Die vorliegende Studie untersucht die Stigmatisierungstendenz von Psychologiestudenten sowie Nicht- Psychologiestudenten gegenüber Menschen mit der psychischen Erkrankung Schizophrenie.
Es soll überprüft werden, inwiefern und ob sich die Einstellungen der beiden Gruppen unterscheiden. Methodik: Mit dem 27-Item-Fragebogen „Attribution Questionnaire 27“ von Corrigan, Markowitz, Watson, Rowan und Kubiak werden die Aussagen der 62 Studenten online erfragt.
Anhand einer Vignette werden die Probanden in eine hypothetische Situation versetzt. Die Gruppenvergleiche werden anhand des t- Tests für unabhängige Stichproben durchgeführt.
Unter einer psychischen Krankheit zu leiden ist in unserer Gesellschaft noch immer mit Vorurteilen behaftet. Viele Menschen, die psychisch erkrankt sind, haben somit zwei Bürden zu tragen. Zum einen müssen sie die alltäglichen Erscheinungen des Krankheitsbildes bewältigen und zum anderen werden sie durch Vorurteile anderer missverstanden oder auch ausgegrenzt. Hinzu kommt, dass sie für ihren aktuellen Zustand erst einmal selbst eine Akzeptanz schaffen müssen. Überdies sind einige Erkrankte möglicherweise selbst mit Vorurteilen gegenüber psychischen Störungen aufgewachsen.
Aufgrund der Abwertung durch das äußere Umfeld besteht die Wahrscheinlichkeit einer Selbststigmatisierung bei psychisch kranken Menschen. Hierdurch kann es zu einer geringeren Inanspruchnahme professioneller Hilfen kommen und somit der Genesung schaden. Die psychiatrische Fachliteratur machte in den letzten Jahren darauf aufmerksam, dass Stigmatisierung einen Einfluss auf den Krankheitsverlauf haben kann.
Die World Health Organization und World Psychiatric Association betonen, dass Stigmatisierung gravierende Folgen haben kann. So können Stigmata von Ablehnung und Ausgrenzung bis hin zu sozialer Isolation, Arbeitsunfähigkeit, Substanzabhängigkeit gehen oder gar in der Obdachlosigkeit enden. Es wird ein Bild von einem Menschen übertragen, der gefährlich, schwach sowie unzurechnungsfähig sei.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Stand der Forschung
1.2 Forschungsanliegen
2 Theorie
2.1 Definition „Psychische Erkrankung"
2.2 Schizophrenie
2.2.1 Symptomatik
2.2.2 Ätiologie, Epidemiologie und Verlauf
2.2.3 Behandlung
2.3 Stigma und Stigmatisierung
2.3.1 Formen und Funktionen
2.3.2 Folgen
3 Methodik
3.1 Zielsetzung
5.2 Fragestellungen und Hypothesen
3.3 Stichprobe
3.4 Statistische Auswertung
3.5 Reliabilität und Validität der Testitems
4 Ergebnisse
4.1 Deskriptive Statistik
4.2 Hypothesenprüfung
5 Diskussion
5.1 Limitationen
5.2 Aussicht
5.3 Zusammenfassung
6 Literaturverzeichnis
7 Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
8 Anhang
8.1 Anhang A - Fragebogen
8.2 Anhang B - Ergänzende Tabellen
Abstract
Ziel der Studie: Die vorliegende Studie untersucht die Stigmatisierungstendenz von Psychologiestudenten sowie NichtPsychologiestudenten gegenüber Menschen mit der psychischen Erkrankung Schizophrenie. Es soll überprüft werden, inwiefern und ob sich die Einstellungen der beiden Gruppen unterscheiden. Methodik: Mit dem 27-Item-Fragebogen „Attribution Questionnaire 27" von Corrigan, Markowitz, Watson, Rowan und Kubiak (2003) werden die Aussagen der 62 Studenten online erfragt. Anhand einer Vignette werden die Probanden in eine hypothetische Situation versetzt. Die Gruppenvergleiche werden anhand des t- Tests für unabhängige Stichproben durchgeführt. Ergebnisse: Psychologiestudenten zeigen eine signifikant niedrigere Stigmatisierungstendenz. Auch in den untersuchten Subkategorien des Fragebogens können positivere Einstellungen seitens der Psychologiestudenten festgestellt werden. Bezüglich der sozialen Distanz zu schizophren Erkrankten sind allerdings keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen zu verzeichnen. Schlussfolgerung: Da sich die Studentengruppen in ihrer Stigmatisierungstendenz unterscheiden, deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Erfahrung sowie das Wissen bezüglich psychischer Erkrankungen einen Effekt auf die Einstellung gegenüber schizophren erkrankten Menschen haben.
1 Einleitung
"Schizophrenie ist ein Kampf um Integration, der scheitert, weil die Kraft fehlt, die innere Wahrheit in einer feindseligen Umwelt zu leben" (Gruen, 1987, S.116). Unter einer psychischen Krankheit zu leiden ist in unserer Gesellschaft noch immer mit Vorurteilen behaftet. Viele Menschen, die psychisch erkrankt sind, haben somit zwei Bürden zu tragen. Zum einen müssen sie die alltäglichen Erscheinungen des Krankheitsbildes bewältigen und zum anderen werden sie durch Vorurteile anderer missverstanden oder auch ausgegrenzt. Hinzu kommt, dass sie für ihren aktuellen Zustand erst einmal selbst eine Akzeptanz schaffen müssen. Überdies sind einige Erkrankte möglicherweise selbst mit Vorurteilen gegenüber psychischen Störungen aufgewachsen.
Einer der primären Gründe, Stigmatisierungsprozesse zu untersuchen und Antistigmakampagnen zu fördern, ist die große Belastung der Betroffenen. Meise, Sulzenbacher und Hinterhuber (2001) fanden heraus, dass Erkrankte die Stigmatisierung belastender empfinden als die Schizophrenie selbst.
Aufgrund der Abwertung durch das äußere Umfeld besteht die Wahrscheinlichkeit einer Selbststigmatisierung bei psychisch kranken Menschen. Hierdurch kann es zu einer geringeren Inanspruchnahme professioneller Hilfen kommen und somit der Genesung schaden. Die psychiatrische Fachliteratur machte in den letzten Jahren darauf aufmerksam, dass Stigmatisierung einen Einfluss auf den Krankheitsverlauf haben kann (Rutz, 2001; Gäbel & Priebel, 2017).
Die World Health Organization und World Psychiatric Association (2002) betonen, dass Stigmatisierung gravierende Folgen haben kann. So können Stigmata von Ablehnung und Ausgrenzung bis hin zu sozialer Isolation, Arbeitsunfähigkeit, Substanzabhängigkeit gehen oder gar in der Obdachlosigkeit enden. Es wird ein Bild von einem Menschen übertragen, der gefährlich, schwach sowie unzurechnungsfähig sei. Der Einfluss dieser Personen sei schlecht.
Die Komplikation dieser Thematik ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Allgemeinbevölkerung bestehendes Wissen über psychische Erkrankungen vor allem aus den Medien herleitet und nur in mäßiger Interaktion mit Erkrankten steht (Gäbel, Baumann & Witte, 2002). Laut Open the Doors, einem Verein gegen die Stigmatisierung und Ausgrenzung schizophrener Menschen, werden leider noch immer Mörder oder gewalttätige Menschen als „wahnsinnig" bezeichnet. Das Stereotyp des „gewalttätigen Psychiatriepatienten“ löst in vielen Menschen Angst aus und führt zu sozialer Distanz gegenüber psychisch Erkrankten (Open the Doors, 2018).
„Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen sind inakzeptabel, gleich aus welchem Grund, und jeder Mensch hat das Recht, vor Ungleichbehandlung und Ausgrenzung aus der Gemeinschaft geschützt zu werden (Gäbel & Priebe, 2017, S. 219).“
Aus diesem Grund widmet sich diese Arbeit der Untersuchung von Stigmatisierungstendenzen und Möglichkeiten, diese zu reduzieren.
1.1 Stand der Forschung
Die Stigmaforschung in Deutschland zeigt, dass sich die Vorverurteilung psychisch kranker Menschen in den letzten zwei Jahrzehnten nicht reduziert hat. Eine Studie von Angermeyer, Matschinger und Schomerus (2013) veranschaulichte, dass es sogar zu einer Verschlechterung der Einstellung gegenüber Menschen mit Schizophrenie kam. In Bezug auf die Einstellung gegenüber Menschen mit einer Depression oder Alkoholabhängigkeit gab es allerdings keine signifikanten Unterschiede zwischen 1990 und 2011. Angermeyer et al. (2013) verdeutlichten, dass der Wunsch nach sozialer Distanz zu Menschen mit Schizophrenie größer wurde. In den letzten zwei Jahrzehnten stieg beispielsweise die Ablehnung, mit jemandem zu arbeiten, der an einer Schizophrenie leidet, von 20 auf 31 Prozent.
Schon Crisp, Gelder, Rix, Meltzer & Rowlands haben in einer Umfrage im Jahr 2000 an 1700 Probanden aus Großbritannien feststellen können, dass die britische Bevölkerung Menschen mit Schizophrenie, Alkohol- oder Drogenabhängigkeit am häufigsten als gefährlich und unberechenbar einschätzt. Auch neuere Studien vermitteln ähnliche Ergebnisse. Über 45 Prozent der Probanden einer bevölkerungsbezogenen Studie aus Kanada schätzten Menschen mit einer psychischen Erkrankung, wie einer Depression, als unberechenbar ein. 20 Prozent der Teilnehmer waren der Ansicht, Menschen mit einer Depression seien gefährlich (Wang & Lai, 2008).
Eine weitere aktuelle Studie aus Schweden beschäftigt sich mit den Einstellungen des psychiatrischen Personals. Die Probanden dieser Studie wären beispielsweise nicht bereit, mit einer Person auszugehen, die bereits in stationärer Behandlung war. Außerdem würden sie es ablehnen, einen Mitarbeiter mit psychiatrischer Vorgeschichte einzustellen (Hansson, Jormfeldt, Svedberg & Svensson, 2013). Interessant sind auch die Erkenntnisse einer Schweizer Studie von Nordt, Rössler und Lauber (2006), welche verdeutlichen, dass Mitarbeiter von psychiatrischen Einrichtungen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung mehr negative Stereotype zu psychischen Erkrankungen zeigen. Bezüglich der sozialen Distanz konnten keine Unterschiede zwischen beiden Gruppen gefunden werden.
Auch die Untersuchungen von Buizza, Ghilardil & Ferrari (2017) zeigen anhand von 486 Probanden, dass ein höherer Bildungsgrad, persönliche Erfahrungen mit psychisch kranken Menschen und die Akzeptanz gegenüber psychischen Erkrankungen miteinander korrelieren. Probanden, welche einen hohen Bildungsgrad haben oder als Lehrkraft tätig sind, zeigten einen niedrigeren Wert bezüglich der Vorurteile gegenüber psychisch Kranken. Ebenso korreliert der Bildungsgrad mit der Annahme, eine psychisch kranke Person könne eigene Entscheidungen zum Therapieverlauf oder Behandlungsmöglichkeiten treffen. Jene Probanden, welche schon in Kontakt mit psychisch kranken Menschen waren, sind überzeugt von integrierten Behandlungsmethoden, welche verschiedene Therapieverfahren miteinander verbinden. Ebenso korreliert der Bildungsgrad mit der Bereitschaft, mit einer psychisch kranken Person zusammen zu arbeiten.
Bell, Johns & Chen (2006) untersuchten, ob es einen Unterschied in der Stigmatisierung von Schizophrenie und Depression zwischen Pharmaziestudenten des dritten Jahres und Pharmazieabsolventen gibt. Die Pharmaziestudenten im dritten Jahr erhielten noch keine Vorlesungen zu mentaler Gesundheit, wohingegen die Absolventen diese schon belegten, sowie ein halbes Jahr Praxiserfahrung sammeln konnten. Vermutet wird, dass Pharmazieabsolventen weniger stigmatisieren als die Studenten im dritten Jahr. Die Stigmatisierungstendenz bezogen auf Depression und Schizophrenie lag unter den beiden Studentengruppen ebenfalls im gleichen Bereich. Es zeigten sich ebenfalls keine signifikanten Unterschiede bezüglich der sozialen Distanz zu Menschen mit Schizophrenie zwischen den Gruppen.
Schomerus, Van der Auwera, Matschinger, Baumeister & Angermeyer (2015) fanden in einer weiteren Studie zur Einstellung gegenüber mentalen Erkrankungen im Lebensverlauf heraus, dass die Stigmatisierungstendenz mit wachsendem Alter zunimmt. Diese Studie bezog sich ebenfalls auf Menschen aus Deutschland. Hieran zeigt sich, dass nicht nur der Wissensstand oder die Erfahrung mit psychischen Erkrankungen relevant sind, sondern zum Beispiel auch das Alter.
Es konnten zudem auch kulturelle Unterschiede in der Stigmatisierungstendenz gefunden werden. In einer Studie, die deutsche Probanden mit tunesischen Probanden vergleicht, wurde festgestellt, dass tunesische Probanden schizophren erkrankte Personen häufiger selbstverantwortlich für ihre Erkrankung machten. Zugleich zeigten die tunesischen Probanden jedoch mehr prosoziale Reaktionen und weniger Furcht als die deutschen Probanden. Der Wunsch nach sozialer Distanz war dementsprechend vermehrt bei deutschen Probanden ausgeprägt, als dass es bei den tunesischen Teilnehmern der Fall war (Angermeyer, Carta, Matschinger, Refai, Schomerus & Toumi, 2016).
Insgesamt verdeutlichen die dargestellten Studien, wie vielschichtig diese Problematik ist und wie viele Faktoren die Stigmatisierungstendenzen beeinflussen können.
1.2 Forschungsanliegen
Die empirische Arbeit geht der Frage nach, ob Unterschiede in der Stigmatisierung zwischen Psychologiestudenten und Nicht-Psychologiestudenten vorhanden sind. Und falls dies der Fall sein sollte, ist noch unklar, in welchen Bereichen sich die Einstellungen eventuell doch ähneln. Die Stigmatisierungstendenzen an diesen beiden Gruppen zu untersuchen, ist besonders interessant, da man davon ausgehen kann, dass sich Psychologiestudenten schon näher mit psychischen Erkrankungen, wie der Schizophrenie, beschäftigt haben und eventuell schon praktische Erfahrung sammeln konnten. Es wird somit auch untersucht, inwiefern der Wissensstand in die Stigmatisierungstendenz einfließt. Dementsprechend gestaltet sich der Studiengang in dieser Untersuchung als unabhängige Variable und die Stigmatisierungstendenz als abhängige Variable. Mit Hilfe von quantitativer Forschung soll diese Frage beantwortet werden. Die Daten werden mittels des Fragebogens „Attribution Questionnaire 27" von Corrigan et al. aus dem Jahr 2003 erhoben. Durch einen t- Test werden im empirischen Teil die Mittelwertsunterschiede der beiden Gruppen detailliert vorgestellt.
Aus dem Verständnis der Forschung müssten Psychologiestudenten eine niedrigere Stigmatisierungstendenz gegenüber Menschen mit einer Schizophrenie als Nicht-Psychologiestudenten aufweisen. Ferner wird angenommen, dass Psychologiestudenten einen signifikant höheren Score im Bereich „Help/Hilfe“ zeigen. In Bereichen wie „Fear/ Angst“ und „Dangerousness/ Gefährlichkeit“ wird angenommen, dass Nicht- Psychologiestudenten hohe Scores erzielen und sich von den Psychologiestudenten signifikant unterscheiden. Zudem lässt sich vermuten, dass Nicht- Psychologiestudenten den schizophren erkrankten Menschen eher eine persönliche Verantwortung für die Erkrankung („Blame/Schuld“) zuschreiben, als es Psychologiestudenten tun. Zuletzt wird davon ausgegangen, dass zwischen den beiden Gruppen kein Unterschied in der Dimension „Avoidance/ Vermeidung“ herrscht. Diese These stützt sich auf die Ergebnisse von Hansson et al. aus dem Jahr 2013.
Im Folgenden werden zunächst Psychische Erkrankungen und besonders die Schizophrenie sowie die Stigmatisierung definiert und genauer erläutert. Im Anschluss wird die Methodik dieser Untersuchung sowie das Untersuchungsdesign dargestellt. Daraufhin werden die deskriptiven Statistiken sowie Ergebnisse veranschaulicht. Der letzte Abschnitt ist der Diskussion vorbehalten. Abschließend folgt ein kurzer Ausblick auf mögliche Ansatzpunkte weiterer Untersuchungen.
2 Theorie
2.1 Definition „Psychische Erkrankung“
Der Begriff der psychischen Erkrankung lässt sich schwer definieren. Er kann sich verändern und ist abhängig von Variablen wie der gesellschaftlichen Norm, Objektivität oder auch dem Forschungsstand (Gerrig & Klatt, 2015). Zudem steht der Begriff der psychischen Erkrankungen stellvertretend für eine Vielzahl von Formen psychischen Verhaltens.
Die psychische Erkrankung wird laut Klassifizierungssystem DSM-5 (Falkai & Wittchen, 2015, S.26) als „Syndrom, welches durch klinisch signifikante Störungen in den Kognitionen, in der Emotionsregulation und im Verhalten einer Person charakterisiert ist“ beschrieben. „Diese Störungen sind Ausdruck von dysfunktionalen psychologischen, biologischen oder entwicklungsbezogenen Prozessen, die psychischen und seelischen Funktionen zugrunde liegen. Psychische Störungen sind typischerweise verbunden mit bedeutsamen Leiden oder Behinderung hinsichtlich sozialer oder berufs-/ausbildungsbezogener und anderer wichtiger Aktivitäten."
Die Entscheidung, diese Untersuchung am Beispiel der Schizophrenie durchzuführen, ist darauf zurückzuführen, dass die Schizophrenie als eine der schwerwiegendsten psychischen Erkrankungen gesehen wird und im Vergleich zu anderen psychischen Erkrankungen am stärksten stigmatisiert wird (Dickerson, Sommerville, Origoni, Ringel, & Parente, 2002).
Des Weiteren sind psychische Erkrankungen sehr vielfältig und komplex und können demnach nicht verallgemeinert werden. Aus diesen Gründen konzentriert sich diese Arbeit auf die Stigmatisierung von schizophren erkrankten Menschen.
2.2 Schizophrenie
Der Begriff der Schizophrenie wurde erstmals durch den Schweizer Psychiater Eugen Bleuler im Jahr 1911 eingeführt. Zuvor hatte Emil Kraeplin dieses Krankheitsbild unter dem Begriff Dementia praecox zusammengefasst (Kircher & Gauggel, 2008). Dementia praecox wurde von Kraepelin 1899 durch „eigenartige Schwächezustände sowie Verstandesabnahme, Gemütsabstumpfung und Einbußen an Willensfestigkeit und Tatkraft beschrieben" (Jäger, 2015, S. 55). Bleuler hingegen wollte dieses Krankheitsbild nicht auf einen Kern beschränken und sich ebenso nicht auf die Demenz stützen oder diese in den Mittelpunkt rücken. Er schlug also den Begriff der Schizophrenie vor. Er sprach ebenso von der „Gruppe der Schizophrenien", da sich die Krankheit in vielfältiger Art zeigen kann (Davison, Neale & Hautzinger, 2007).
Der Ursprung des Begriffs Schizophrenie kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Spaltung der Seele". Hierbei wird allerdings nicht von einer multiplen Persönlichkeit gesprochen, sondern von einer Spaltung des Denkens und Fühlens (Robert-Koch-Institut, 2010; Bäuml, 2008).
Die Schizophrenie wurde schon durch Bleuler als sehr komplex sowie heterogen beschrieben. Bevor dieses Krankheitsbild also näher erläutert wird, sollte deutlich werden, dass kein einheitliches Erscheinungsbild oder gar ein vorhersehbarer Krankheitsverlauf besteht. Die vielfältigen Symptome und die Komplexität des Gehirns stellen eine große Herausforderung für die Forschung dar (Wittchen & Hoyer, 2011). Ebenfalls seien die Ursachen einer Schizophrenie laut Robert-Koch-Institut (2010) vielschichtig und können durch die Kombination verschiedenster Bedingungsfaktoren entstehen.
„Schizophrene Störungen betreffen den zentralen Bereich des Ich und führen somit zu einer Veränderung von Persönlichkeit, Denken und Sprechen, von Wahrnehmung und Realitätserfassung, sowie des Erlebens, des Handelns und der Affekte. Keines dieser Symptome ist für sich allein schizophrenietypisch“ (Fleischhacker & Hinterhuber, 2012, S. 113).
2.2.1 Symptomatik
Zur Diagnostik der Schizophrenie werden die gültigen diagnostischen Klassifizierungssysteme DSM-5 sowie das ICD-10 verwendet. Im Folgenden soll die Klassifizierung im ICD-10 erläutert werden.
Für die Diagnose einer schizophrenen Störung müssen laut ICD-10 mindestens eines der vier folgenden Symptome aus der ersten Gruppe (1-4) oder zwei Symptome aus der zweiten Gruppe (5-8) auftreten. Die erste Gruppe umfasst die Symptome:
1. Gedankenlautwerden,
2. Kontroll- oder Beeinflussungswahn,
3. kommentierende oder sich unterhaltende Stimmen sowie
4. anhaltender, kulturell unangemessener oder unrealistischer Wahn (Dilling, Mombour & Schmidt, 2015).
Unter Gedankenlautwerden ist zu verstehen, dass die Betroffenen das Gefühl haben, ihr Umfeld könne ihre Gedanken lesen und auf diese einen Einfluss haben. Der Kontroll- und Beeinflussungswahn beschreibt die Vorstellung der Betroffenen, von dritten Personen kontrolliert und physisch beeinflusst zu werden. Patienten, die kommentierende Stimmen hören, leiden unter akustischen Halluzinationen. Sie hören Stimmen, welche ihr eigenes Verhalten kommentieren. Das letzte Symptom der ersten Gruppe, der anhaltende sowie kulturell unangemessene Wahn, zeigt sich darin, dass der Betroffene das Gefühl hat, er könne zum Beispiel das Wetter kontrollieren (Falkai, 2003).
Bei der zweiten Gruppe handelt es sich um folgende Symptome:
5. Halluzinationen aller Sinnesmodalitäten,
6. Gedankenabreißen oder -einschiebungen,
7. katatone Symptome (z.B. Haltungsstereotypien oder Stupor) sowie
8. negative Symptome (z.B. Affektverflachung).
Halluzinationen sind Wahrnehmungen ohne einen entsprechenden Sinnesreiz von außen. Ein Beispiel können die akustischen Halluzinationen sein. Seltener treten zum Beispiel optische Halluzinationen auf, die sich in Form von Lichtern, Farben oder undeutlichen Gestalten zeigen. Auch haptische Halluzinationen wie Brennen oder Berührungen können vorkommen (Fleischhacker & Hinterhuber, 2012). Bei Symptomen wie Gedankenabreißen oder -einschiebungen handelt es sich um formale Denkstörungen. Es kommt beispielsweise zu einem unvorhergesehenen Abbruch eines Gedankenganges (Falkai, 2003).
Katatone Symptome zeigen sich durch psychomotorische Auffälligkeiten. Die Betroffenen zeigen sonderbare Bewegungsstereotypien, welche mit einer hohen Aktivität verbunden sind. Auf der anderen Seite kann es allerdings auch zu einem Stupor kommen, bei welchem sich die Betroffenen in einer starren unnatürlichen Position befinden (Bäuml, 2008). Negative Symptome machen sich durch einen flachen Affekt deutlich. Die Betroffenen zeigen einen verminderten Antrieb sowie eine eingeschränkte Schwingungsfähigkeit (Falkai, 2003).
Gemäß den diagnostischen Kriterien des ICD-10 kann bereits nach Anhalten der Symptome über vier Wochen von einer Schizophrenie ausgegangen werden (Dilling et al., 2015).
Bei der Diagnose einer Schizophrenie lässt sich zudem zwischen zwei Typen unterscheiden. Tim Crow schlug 1980 vor, zwischen der Positivsymptomatik (Typ-I-Syndrom) und der Negativsymptomatik (Typ-I I- Syndrom) zu differenzieren. Als Positivsymptome gelten Wahn, Halluzinationen oder Denkverzerrungen. Sie können einer akuten psychotischen Krankheitsepisode zugeordnet werden (Fleischhacker & Hinterhuber, 2012). Ein Beispiel für Positivsymptome sind Denkverzerrungen. Sie zeigen sich beispielsweise dadurch, dass das Umfeld des Betroffenen Zusammenhänge des Gesagten nicht nachvollziehen kann, da die Verbindung der einzelnen Gedankengänge verwischt ist. Die Betroffenen können zwischen relevantem und nicht relevantem nicht unterscheiden. Der Gedankengang erscheint unlogisch sowie sprunghaft und wird durch assoziative Erinnerungen des Betroffenen bestimmt. In einigen Fällen sprechen die Betroffenen nur noch in zusammenhangslosen Worten. Durch ein zerfahrenes Denken dieser Art kommt es zu einer schnellen Ermüdung oder auch Konzentrationsschwierigkeiten seitens der Erkrankten (Finzen, 2008; Kipp & Unger, 1996). Das Denken eines schizophren Erkrankten kann sich aber auch in eine andere Richtung entwickeln. Es kann ebenso zu einer Verlangsamung des Denkens sowie zu einem Abbruch des Gedankenganges kommen (Finzen, 2008).
Negativsymptome sind hingegen gekennzeichnet durch Affektverflachung, Antriebsreduktion sowie sozialen Rückzug. Diese Symptome zeichnen sich durch den Verlust normaler Verhaltensweisen aus (Wittchen & Hoyer, 2011; Fleischhacker & Hinterhuber, 2012). Ein Beispiel für ein negatives Symptom ist die Apathie. Unter einer Apathie versteht man einen Zustand von Emotionslosigkeit beziehungsweise Teilnahmslosigkeit gegenüber äußeren Einflüssen. Die Motivation, alltäglichen Pflichten nachzukommen, fehlt. Es kommt in einigen Fällen zu einer Antriebslosigkeit, bei der unter anderem die Körperpflege vernachlässigt wird (Davison et al., 2007).
Die schizophrene Störung lässt sich nach ICD-10 ebenfalls in verschiedene Unterformen einteilen. Der erste Subtyp, die paranoide Schizophrenie ist die häufigste Form der schizophrenen Psychosen. Sie kennzeichnet sich durch Wahnvorstellungen, welche mit akustischen Halluzinationen und Wahrnehmungsstörungen einhergehen können. Der Betroffene leidet also zum Beispiel unter einem Verfolgungswahn (Dilling et al., 2015). Bei dem zweiten Subtyp, der hebephrenen Schizophrenie ist eine Veränderung im Affekt auffällig. Der Betroffene legt ein zielloses, unvorhersehbares sowie zusammenhangsloses Verhalten an den Tag. Man könnte diesen Typ auch als desorganisiert und sozial isoliert beschreiben. Ebenso sind Denk- sowie Sprachzerfahrenheit erkennbar. In der Regel wird die hebephrene Schizophrenie nur bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen diagnostiziert (Dilling et al., 2015). Bei dem dritten Subtyp, der katatonen Schizophrenie stehen die psychomotorischen Störungen im Vordergrund. Diese Unterform zeichnet sich durch episodische Erregungszustände, Bewegungsstereotypien aber auch durch Bewegungslosigkeit sowie Starre (Stupor) aus (Dilling et al., 2015). In den vierten Subtyp, die undifferenzierte Schizophrenie, fallen Betroffene, die die Kriterien einer Schizophrenie erfüllen, aber keinem bestimmten Subtyp zugeordnet werden können (Dilling et al., 2015). Bei dem fünften Subtyp, der postschizophrenen Depression, handelt es sich um eine depressive Episode die durch eine schizophrene Störung auftrat, die nur maximal 12 Monate zurückliegen darf. Um von einer postschizophrenen Depression auszugehen, müssen einige schizophrene Symptome noch erkennbar sein, doch sie dürfen das Krankheitsbild nicht beherrschen (Dilling et al., 2015). Der sechste Subtyp, das schizophrene Residuum ist durch „langandauernde, jedoch nicht notwendigerweise irreversible negative Symptome charakterisiert". Dies kann sich auszeichnen durch psychomotorische Verlangsamung, Affektverflachung oder verminderte Aktivität (Dilling et al., 2015). Der letzte und siebte Subtyp nennt sich Schizophrenia simplex und ist gekennzeichnet durch eine chronische Entwicklung der Negativsymptomatik ohne vorhergehende Positivsymptomatik. Es zeigen sich zum Beispiel Affektverflachung und Antriebsmangel (Dilling et al., 2015).
2.2.2 Ätiologie, Epidemiologie und Verlauf
Nach dem heutigen Stand der Forschung wird von einer multifaktoriell bedingten Ätiologie der schizophrenen Störung ausgegangen. Die Erkrankung wird nicht durch eine spezielle Ursache ausgelöst, sondern durch die Kombination von biologisch, biochemisch und psychosozial bedingten Komponenten (Möller, Laux & Kapfhammer, 2011).
Familien- und Zwillingsstudien bestätigen, dass die Erkrankungswahrscheinlichkeit mit dem Verwandtschaftsgrad korreliert. In Familien schizophren erkrankter Menschen tritt das Krankheitsbild vermehrt auf. Nicht nur genetische Faktoren, sondern auch weitere biologische und biochemische Faktoren können Ursachen für einen möglichen Krankheitsausbruch darstellen. Dies sind zum Beispiel anatomische Veränderungen im Hirn. Der heutige Stand der Forschung stellt fest, dass Neurotransmitter wie Serotonin oder Glutamat am Krankheitsausbruch beteiligt sind. Ein Ungleichgewicht im Neurotransmitterhaushalt scheint bei schizophren Erkrankten aufzutreten. Es wird zudem von einer Überaktivität von Dopamin im mesolimbischen System und einer Unteraktivität im Frontalhirn ausgegangen. Weitere biologische Faktoren sind zum Beispiel pränatale und perinatale Komplikationen (Volz & Spring, 2013).
Auf psychosozialer Ebene gelten belastende Lebensumstände, Stress oder Verhaltensauffälligkeiten im familiären Umfeld als Erschwernis. Die psychosozialen Umstände werden weniger als Krankheitsursache betrachtet. Sie beeinflussen eher den Verlauf der Erkrankung.
Der Ausprägungsgrad der verschiedenen Ursachen und die Vulnerabilität des Erkrankten entscheidet letztendlich über einen möglichen Krankheitsausbruch (Möller et al., 2011).
Ebenso kann der Verlauf einer schizophrenen Störung sehr unterschiedlich sein, allgemeingültige Aussagen können demnach nicht getroffen werden. Einige der Betroffenen erreichen nach einer psychotischen Episode einen Zustand von vollkommener Heilung, wohingegen andere eine chronische Schizophrenie entwickeln.
Gewöhnlich tritt dieses Krankheitsbild im frühen Erwachsenenalter auf, so leiden etwa 80 % der Betroffenen vor dem 40. Lebensjahr an einer schizophrenen Störung. Männer erkranken im Durchschnitt jedoch früher als Frauen. Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens an einer Schizophrenie zu erkranken, liegt bei etwa 1 % (Vetter, 2007; Gäbel & Wölwer, 2010). Die Krankheit entwickelt sich in der Regel schleichend und zeigt sich zuerst in Form von Affektverflachung oder Antriebsmangel, bevor nach einigen Jahren positive Symptome wie Halluzinationen eintreten können. Sie kann allerdings auch durch ein einschneidendes Lebensereignis abrupt hervorgerufen werden (Lieberman et al., 2001; Wittchen & Hoyer, 2011).
Laut Häfner (2002) ist der Verlauf einer schizophrenen Störung allgemein geprägt von unregelmäßig wiederkehrenden psychotischen Episoden. Es kann aber auch zu Zeiträumen von teilweiser oder vollständiger Remission kommen. Ebenso ist ein kontinuierlicher Verlauf einer schizophrenen Störung möglich. Die schizophrene Störung kann in drei Phasen aufgeteilt werden. Die Prodromalphase kann bis zu fünf Jahre anhalten und stellt den Krankheitsbeginn dar. Bezeichnend für diese Phase sind negative Symptome, wie der Verlust des Interesses an der Arbeit oder auch Antriebsmangel (Fleischhacker & Hinterhuber, 2012). Mit den ersten positiven Symptomen, wie Wahnvorstellungen, Halluzinationen oder Denkstörungen, wird die psychotische Vorphase erreicht, welche im Durchschnitt etwa 1,1 Jahre andauert. Diese Phase endet, wenn das Maximum der ersten psychotischen Episode erreicht wurde. Die Latenzphase reicht dann bis hin zur ersten Aufnahme in eine Klinik.
Laut Erkenntnissen von Breit & Hasler (2016) kann sich ein unmittelbarer Therapiebeginn positiv auf die Erkrankung auswirken. Die Chancen einer frühen Behandlung sind jedoch eher schlecht, da die Negativsymptomatik zu Beginn vorherrschend ist (Finzen, 2008).
Hinsichtlich des Verlaufs gibt es eine „Drittelregel“, welche besagt, dass etwa ein Drittel der schizophren Erkrankten einen Zustand der vollkommenen Remission erlangt, ein Drittel mit einem gewissen Grad an Beeinträchtigungen sowie wiederkehrenden Episoden rechnen muss und ein Drittel eine chronische Schizophrenie entwickelt (Gäbel, 1996). Langzeituntersuchungen von Huber, Gross und Schüttler (1984), welche sich über den Zeitraum von 22 Jahren erstreckten und an 500 Schizophreniepatienten durchgeführt wurden, haben gezeigt, dass jedoch nur 22 % der Patienten eine Vollremission zeigten. 35 % der Patienten zeigten im Verlauf Negativsymptome sowie vereinzelt Positivsymptome (charakteristisches Residualsyndrom) und 43 % zeigten weiterhin Negativsymptome (uncharakteristisches Residualsyndrom).
2.2.3 Behandlung
Die Behandlung von schizophrenen Störungen basiert auf drei Ansätzen. Diese bestehen aus der Pharmakotherapie, psycho- und verhaltenstherapeutischen Therapien sowie der Rehabilitation im Sozial- und Berufsleben oder auch Soziotherapie (Wittchen & Hoyer, 2011). Die Pharmakotherapie setzt antipsychotisch wirkende Medikamente ein, die zumeist Neuroleptika sind. Sie reduzieren die akute Positivsymptomatik und können den Betroffenen somit helfen, soziale Beziehungen aufrecht zu erhalten. Hier werden häufig atypische Neuroleptika eingesetzt, da sie ebenso die Negativsymptomatik behandeln können (Wittchen & Hoyer, 2011). Wird die Pharmakotherapie nicht eingesetzt, so besteht die Gefahr einer Chronifizierung der Erkrankung (Hahlweg & Dose, 1998). Der zweite Ansatz, die Psychotherapie und besonders die Verhaltenstherapie, sollen Patienten dabei helfen, Copingstrategien zu entwickeln, welche nachdrücklich den Umgang mit Wahnvorstellungen und Halluzinationen erleichtern. Zudem hat die Therapie das Ziel, soziale Kompetenzen zu fördern. Auch die Psychoedukation besitzt eine wichtige Rolle, da sie Patienten und deren Angehörige, ein Krankheitsverständnis vermittelt und sie über den Umgang mit der Erkrankung informiert. Besonders bei Ersterkrankten stellt die Psychoedukation ein wichtiges Hilfsmittel zur Entscheidungsfindung bezüglich der Therapiemöglichkeiten dar (Schwarzer, 2013; Bäuml, Behrendt, Henningsen & Pitschel-Walz, 2016). Der dritte Ansatz, die Soziotherapie, legt ihren Schwerpunkt auf die Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Die soziale und berufliche Rehabilitation ist dabei das Ziel. Mit den Patienten wird zum Beispiel an der Kommunikationsfähigkeit gearbeitet oder Selbstverantwortung trainiert.
Mojtabai, Nicholoson und Carpenter (1998) untermauern in ihrer Metaanalyse die Annahme, dass eine psychosoziale Behandlung der Schizophrenie einen Effekt auf den Krankheitsverlauf hat. Gegenüber der Kontrollgruppe, welche nur eine Pharmakotherapie erhielt, hatte die Gruppe, welche zusätzlich an einer Familientherapie teilnahm, eine signifikant geringe Rückfallrate.
2.3 Stigma und Stigmatisierung
Der Begriff des Stigmas wurde erstmals durch Erving Goffman im Jahr 1963 in die sozialwissenschaftliche Forschung integriert und fand seine Verbindung zur ursprünglichen Bedeutung. Der eigentliche Ursprung des Begriffs „Stigma" kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Brandmal". Ein Brandmal wurde Verbrechern oder Sklaven in den Körper geschnitten oder gebrannt und war dafür da, dass diese Person gemieden werden sollte. Der Träger eines „Brandmals" galt als unrein (Goffman, 1967). In der heutigen Zeit werden psychisch kranken Menschen leider noch immer negative Attribute zugeschrieben. Sie werden in übertragenem Sinne gebrandmarkt.
Stigmatisierung benötigt nach Goffman (1967) nicht nur den Bezug zu einer bestimmten Eigenschaft, sondern auch die Relation zur Norm. Die Eigenschaft des Trägers muss also zuerst negativ bewertet werden und in Bezug zur gesellschaftlichen Norm gesetzt werden. Zudem werden den Betroffenen weitere negative Attribute zugeschrieben, für die es keine oder nur geringe reale Hintergründe gibt.
Link und Phelan (2001) definieren den Begriff „Stigma" als die Verknüpfung von vier Phasen. Im ersten Schritt wird eine Normabweichung bei den Stigmatisierten wahrgenommen. Das Umfeld erkennt also ein sich unterscheidendes Merkmal bei dem Stigmatisierten und deutet dieses Merkmal als negativ. Im zweiten Schritt wird das unterscheidende Merkmal mit weiteren negativen Attributen in Verbindung gesetzt. Es werden negative Stereotype aktiviert. So werden einem psychisch kranken Menschen Attribute wie „gefährlich" zugeschrieben. Im dritten Schritt kommt es zur Abgrenzung vom Stigmatisierten. Es findet also eine deutliche Trennung von der eigenen Gruppe zur fremden Gruppe statt. Im vierten Schritt erlebt der Stigmatisierte dann einen Statusverlust und wird durch sein Umfeld diskriminiert.
Goffman (1967) stellt fest, dass jedes Individuum in sozialen Interaktionen eine Vorstellung darüber hat, wie sich sein Umfeld verhalten soll. Mit Hilfe dieser Vorstellungen und Erwartungen können fremde Personen in eine „Kategorie" geordnet werden. Diese Kategorisierung von Fremden nennt Goffman die „virtuale soziale Identität". Wenn allerdings Attribute des Gegenübers tatsächlich festgestellt werden können, beschreibt er dies als „aktuale soziale Identität". Ein Stigma entsteht also, wenn sich die virtuale soziale Identität von der aktualen unterscheidet, und zwar im negativen Sinn. Wenn sich also die Vorstellung von der Realität unterscheidet.
Menschen werden laut Goffman (1967) aufgrund von drei Kategorien stigmatisiert. Die Stigmatisierungen können sich beziehen auf die Körpereigenschaften eines Menschen, also physische Defizite oder körperliche Behinderungen. Zum anderen können sie auch auf Persönlichkeitseigenschaften zielen, wie zum Beispiel Willensschwäche oder psychische Erkrankungen. Zuletzt kann ein Stigma auch durch die Gruppenzugehörigkeit (Phylogenese) eines Menschen entstehen. Gründe für eine Stigmatisierung wären dann, Faktoren wie Religion oder Nationalität.
2.3.1 Formen und Funktionen
Stigmatisierung kann in verschieden Weisen auftreten. Man unterscheidet zwischen öffentlicher Stigmatisierung sowie Selbststigmatisierung. Die öffentliche Stigmatisierung zeigt sich in Form von negativen Meinungen über eine Gruppe und kann ebenso in Diskriminierung münden. Im Gegensatz zu den öffentlichen Stigmata kann es auch zu einer Selbststigmatisierung kommen. Selbststigmatisierung entsteht, wenn die Bewertungen der Gesellschaft durch den Betroffenen verinnerlicht werden. Dies äußert sich in einer negativen Meinung gegenüber sich selbst. Die Betroffenen haben einen niedrigen Selbstwert und reden sich Phrasen wie: „Ich bin zu nichts fähig!" ein. Dies spiegelt ebenso eine niedrige Selbstwirksamkeit wider (Rüsch, Berger, Finzen & Angermeyer, 2004).
Laut Hohmeier (1975) erfüllt der Stigmatisierungsprozess einige Funktionen, die für die Orientierung im Alltag hilfreich sein können. Diese sind:
1. Orientierungs- und Entlastungsfunktion,
2. Projektion verdrängter Triebansprüche,
3. Stigmatisierung als Identitätsstrategie.
Um sich in einer sozialen Situation zu orientieren, wird ein Merkmal des Interaktionspartners pauschalisiert und dadurch oft eine Handlungssicherheit erreicht. Das Individuum lebt in der Illusion, seinen Interaktionspartner einschätzen zu können. Der Gebrauch von Stigmata kann somit Verhaltensunsicherheiten reduzieren und zu einer Entlastung in vielen Lebensbereichen führen. Es wird allerdings auch an einem zuvor festgelegten Vorurteil festgehalten.
Aus tiefenpsychologischer Betrachtung ist Hohmeier (1975) der Ansicht, die Nutzung von Stigmata erfülle unter anderem die Funktion, eigene verdrängte Triebansprüche auf den Stigmatisierten zu projizieren.
Des Weiteren erfüllt die Stigmatisierung den Zweck der Identitätssicherung. Der Kontakt mit dem Stigmatisierten stellt eine Gefahr für die eigene Identität dar. Durch die Abgrenzung zum Stigmaträger wird die eigene Identität gewahrt. Hierbei werden die eigenen Merkmale als „normal" attribuiert und die des Stigmaträgers als abweichend oder negativ.
Aus gesellschaftlicher Sicht, hat die Stigmatisierung eine Regulierungsfunktion inne. So beeinflussen Stigmata den Zugang zu knappen Gütern wie z.B. den Status- und Berufschancen. Stigmatisierung billigt somit Ungleichbehandlung. Im einigen Fällen werden bestimmte Minderheiten als Schuldige für allgemeine Missstände erklärt. Durch die Abgrenzung zu den Stigmaträgern wird das Gemeinschaftsgefühl gestärkt (Hohmeier, 1975).
2.3.2 Folgen
Stigmatisierung wird oft als zweite Krankheit bezeichnet (Gaebel, Zaeske, & Baumann, 2004). Die Folgen von Stigmatisierung können in alle Lebensbereiche eindringen. So deutet Hohmeier (1975) auf eine Reihe von Einschränkungen hin. Eine negative Folge macht sich durch die Einschränkungen in der Teilhabe des Stigmaträgers an der Gesellschaft bemerkbar. Stigmatisierung mündet in Diskriminierung. Menschen mit einer psychischen Erkrankung erfahren eine individuelle Diskriminierung, indem sie zum Beispiel Schwierigkeiten bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche erfahren. Des Weiteren sind sie einer strukturellen Diskriminierung ausgesetzt, da sie durch Versicherungsgesellschaften oder den Staat benachteiligt werden (Angermeyer & Matschinger, 2004; Gaebel et al., 2004). Dieser Rollenverlust und der damit einhergehende erschwerte Zugang zu bestimmten Gütern mindern laut Hohmeier (1975) die Lebensqualität.
Ebenso ist die Teilhabe des Stigmaträgers in der Interaktion mit dem Umfeld beeinträchtigt. Bei dem Versuch der Integration, muss der Stigmaträger jederzeit damit rechnen, „entdeckt" zu werden. Interaktionen sind daher gekennzeichnet durch Spannungen und Befangenheiten. Aufgrund von Diskriminierung hat der Stigmaträger fortwährend das Problem, nicht als gleichwertiger Interaktionspartner anerkannt zu werden (Hohmeier, 1975). Auch die Anstrengungen des Stigmaträgers, die eigene Identität zu verschleiern, gestalten sich als sehr belastend und sind in sozialen Interaktionen kräftezehrend. So kann die Verschleierung für einen Bereich zielführend sein, jedoch kann sie auch neue Komplikationen mit sich bringen (Link & Phelan, 2001). Als Folge der umständlichen sozialen Interaktion wenden sich die Erkrankten oft von ihrem sozialen Umfeld ab (Rüsch, 2005).
Eine weitere Folge stellen persönlichkeitsspezifische Auswirkungen dar. Infolge von verinnerlichten negativen Aussagen des Umfelds kann es zu einer Selbststigmatisierung seitens des Stigmaträgers kommen. Allein durch das Vorhandensein der Krankheit bestimmen die Erkrankten ihre persönliche Identität neu. Besonders durch die Rollenzuschreibung des „Patienten in einer Psychiatrie" kann es zu einer Identitätsveränderung kommen (Hohmeier, 1975).
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