1. Einleitung
Die Beziehungen zwischen der BRD und der DDR in den Jahren nach 1949 waren geprägt durch andauernde Konflikte auf politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Sektor. Konträr organisierte Gesellschaftssysteme bedingten Spannungen und Auseinandersetzungen; konstruktive Kommunikation und Verständigung waren daher nur sporadisch möglich.
Die komplexen Probleme zwischen beiden deutschen Staaten spiegelten sich zweifellos auch im Buchhandel wider. Die BRD, als freiheitlich-demokratischer Staat konzipiert, bemühte sich scheinbar um eine liberale und tolerante Haltung gegenüber der DDR. Ein deutlich ambivalentes Verhalten aber kam dadurch zum Ausdruck, dass auch sie in einigen Fällen die DDR und ihre Literatur diskriminierte. Um diese Handlungsweise zu verstehen, müssen Organisation und Gesellschaftsstruktur der DDR im Vergleich zur BRD unter buchhandelsrelevanten Aspekten analysiert, Abkommen zwischen beiden deutschen Staaten beleuchtet und juristische Eingriffe von Seiten der BRD auf ihre Zulässigkeit überprüft werden.
2. Situation nach dem 2. Weltkrieg
Die 4 Besatzungsmächte übernahmen 1945, nach Beendigung des 2. Weltkrieges, die Kontrolle aller Aktivitäten im deutschen Raum. Während die Franzosen, Engländer und Amerikaner das System im westdeutschen Gebiet nach parlamentarisch-demokratischen Grundsätzen entwickelten, ergriff die UdSSR Maßnahmen, um in der Sowjetzone eine Ordnung auf sozialistisch-kommunistischen Prinzipien aufzubauen.
Im Juni 1948 kam es zur Währungsreform in West und Ost, so dass 2 Währungsgebiete entstanden. Es gab jedoch keine amtlich festgelegte Kursrelation, sondern nur den Verrechnungsverkehr. Dieser beruhte auf der Annahme, dass eine DM-Ost einer DM-West entspräche. Die Notenbank der BRD und die der DDR unterhielten jeweils bei der anderen ein Konto.
2.1 Politische Lage in der DDR und Auswirkung auf den ostdeutschen Buchmarkt
Entgegen von der Sowjetunion verbreiteter Theorien entwickelte sich in der DDR ein totalitäres System, das in seiner Struktur dem Modell der westlichen Demokratie diametral entgegengesetzt war. Gegen den kapitalistisch-imperialistischen Westen operierte man, denn dieser wurde als ein Hort von Ausbeutung, Unterdrückung und neuer Faschismen verurteilt.1
Im Zuge des politischen Strukturwandels der DDR erfolgte unvermeidlich auch eine gravierende Veränderung des Buchmarktes, bei der vor allem linientreue Emigranten wie Johannes R. Becher eine tragende Ro lle innehatten. Die Entstehung, Drucklegung und Veröffentlichung der Bücher standen unter staatlicher Kontrolle, ebenso der Vertrieb und die Literaturkritik. Dafür wurde eine undurchlässige Kette von Einrichtungen geschaffen. Im Gegensatz zum Westen also, wo die Militärzensur nach und nach aufgehoben wurde2, entstand hier ein totales Überwachungssystem der Buchproduktion.
Das sogenannte Druckgenehmigungsverfahren, das nichts anderes als eine Präventivzensur darstellte, garantierte die Lückenlosigkeit. Der ,,Kulturelle Beitrag", später in ,,Amt für Literatur und Verlagswesen" umbenannt, entschied über die Veröffentlichung von Manuskripten. Das Gros der Verlage befand sich in staatlicher Hand und wurde als volks- bzw. organisationseigen bezeichnet. Kleinere Privatverlage wurden benachteiligt und somit ausgeschaltet. Die SED besaß Papier- fabriken, Verlage (u. a. Dietz, Aufbau) sowie Druckereien.
Die Buch- und Literaturpolitik in der DDR wurde nicht durch marktwirtschaftlich - gewinnorientierte Überlegungen bestimmt, wie in der BRD, sondern war stark ideologisch geprägt und der kulturpolitischen Planwirtschaft untergeordnet. Nur bestimmte Personen und Unternehmen durften westliche Literatur erwerben. Meist bestand zudem eine Abhängigkeit von vorgegebenen Kontingenten. Die Aussage Otto Grotewohls aus dem Jahre 1951 bekräftigte die Haltung, dass Buchinhalte in der DDR immer auch mit dem sozialistischen System abzustimmen waren. ,,(...) Literatur und Bildende Kunst sind der Politik untergeordnet. (...) Was sich in der Politik als richtig erweist, ist es auch unbedingt in der Kunst. (...)"3
Im Westen konnten Zeitschriften und Bücher, zumindest offiziell, von jedem Interessenten ungestraft gekauft werden, wenn vorher eine sogenannte Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt wurde. Ideologisch verdächtige Lektüre wurde allerdings konfisziert. Nur Personen mit erhöhtem Informationsbedürfnis konnten Ausnahmegenehmigungen für solch brisante Veröffentlichungen erhalten, z.B. für DDR-Zeitungen.4
2.2 Interessen der DDR-Verlage
Aufgrund der rigorosen Einschränkungen, der totalen Kontrolle und Unterdrückung in der DDR wanderten viele Verleger früh nach Westdeutschland ab. So entstand ein Mangel an Literatur im Osten. Da für den Aufbau der Industrie gerade die wissenschaftlichen Bücher und Zeitschriften gebraucht wurden, die verstaatlichten Verlage den Bedarf jedoch nicht decken konnten, bestand das Anliegen, die Handelsbeziehungen zur BRD nicht abbrechen zu lassen. Selbstverständlich wollte man auch den Absatzmarkt im Westen nicht ganz verlieren. Somit existierte ein Zwang zur Kooperation.
2.3 Interessen der BRD-Verlage
Die meisten traditionellen Druck- und Satzbetriebe befanden sich nach der Teilung Deutschlands nunmehr auf dem Territorium der DDR. Die Unternehmen im Westen verfügten nicht über genug Erfahrung und Kapazität im Bereich der wissenschaftlichen Titel. Aufgrund dessen hatten die westdeutschen Verleger ein reges Interesse daran, die Produktion von Büchern in der DDR fortzusetzen. Ebenso wollte man natürlich auch den ostdeutschen Absatzmarkt erhalten.
Zudem sahen viele westberliner Buchhändler eine berechtigte Gefahr im ungeregelten Austausch von Literatur. Eine große Menge bundesdeutscher Bücher in der DDR steigerten das Risiko des Reimportes, der im Westen Preise weit unter Marktniveau nach sich zog. Kontradiktorische Befehle und Bestimmungen, die von beiden Seiten erlassen wurden, erschwerten den Handel zusätzlich. Der Waren- und Zahlungsverkehr zwischen beiden Ländern war ungeregelt, so dass eine dringende Notwendigkeit darin bestand, den Buchhandel durch Verträge und Interzonenhandelsabkommen zu vereinfachen.
3. Interzonenhandel
Der Interzonenhandel mit Büchern, also der Austausch von Waren und Dienstleistungen des Buchhandels zwischen Ost und West, war eines der wichtigsten Bindeglieder der getrennten deutschen Staaten. Er war mit vielen Komplikationen verbunden; allein die Unterschiede im Bedarf der beiden Länder lösten Probleme aus. Politische Diskrepanzen sowie verschiedene Wirtschaftssysteme verstärkten diese Konflikte.
3.1 Frankfurter Abkommen
Das Frankfurter Abkommen, am 08.10.19495 geschlossen, beinhaltete die Grundsätze für die Handhabung des Waren- und Zahlungsverkehrs zwischen der DDR und der BRD. Ein Warenaustausch in Höhe von 300 Millionen Verrechnungs-einheiten6 wurde vorgesehen. Allerdings fanden die Gegen- stände des Buchhandels keine Erwähnung. Warenlisten für Verlagserzeugnisse gab es nicht, nur für Zellstoff und Papier. Die Möglichkeiten eines Interzonenhandels mit Büchern waren demnach noch ungeklärt.
Dieser vertragslose Zustand vergrößerte die Chancen des Schwarzmarkts. Durch die vielen Flüchtlinge aus der DDR verfiel der Kurs der Ostwährung zunehmend. Bücher aus der DDR wurden zum Teil mit 50 % Rabatt im Westen angeboten. Deshalb bestand ein dringender Bedarf nach einem Wirtschaftsabkommen, das die Belange des Buchhandels im Besonderen berücksichtigt. Allerdings bezog sich der Wunsch nach Austausch von Literatur rein auf fachliche und wissenschaftliche Werke, nicht auf die Belletristik.
Dr. Carl Hanser, Vorsitzender des Börsenvereins, äußerte seine Vorschläge in Bezug darauf, den ungeregelten Hand el mit Bücher und die Gefahr des Reimportes einzudämmen, am 14.04.1950 wie folgt: ,, (...) Der Osten braucht Bücher aus dem Westen, insbesondere wissenschaftliche. Wir sind bemüht, im Rahmen des sogenannten Frankfurter Abkommens vom Oktober vorigen Jahres, das an sich keine Bestimmungen über Bücher enthält, versuchsweise ein Sonderabkommen über ein Bücher Clearing in Höhe von zunächst DM 30.000 zu schaffen. Hierbei müssten die Bestellungen darauf überprüft werden, ob es sich wirklich um Kundenbestellungen handelt, damit die Gefahr eines Rückimportes im Wege des Bücherschmuggels verringert wird. ( ... )."7
Trotz des Risikos für den westdeutschen Buchmarkt war man in der BRD also bestrebt, die Kontakte zur DDR nicht abbrechen zu lassen und auch zukünftig Literatur dorthin zu liefern.
3.2 Zwischenlösung
Am 27.07.1950 wurde ein Abkommen zwischen der westberliner Kommissions- und Großbuchhandlung Ernst Globig und der Leipziger Kommisions- und Großbuchhandelsgesellschaft geschlossen. Gegenstand des Vertrages war die Vereinbarung über den Austausch von wissenschaftlichen Büchern im Werte von 30.000 Verrechnungseinheiten.
Wirklich befriedigt war der westdeutsche Buchhandel mit dieser Zwischenlösung jedoch nicht. Zumal ein neues Problem auftrat: das Lieferdefizit der DDR. Die BRD hatte jedoch, obwohl es unklar war, zu welchem Zeitpunkt Zahlungen und Lieferungen von Seiten der DDR eingingen, laut Carl Hanser ,,aus einer selbstverständlichen Verbundenheit mit den in der Ostzone lebenden Deutschen"8 Publikationen dorthin geliefert. Man wollte die Beziehungen zur Ostzone demnach nicht abreißen lassen, sowohl aus kulturpolitischen als auch aus wirtschaftlichen Gründen. Der Absatz von westdeutscher wissenschaftlicher und fachlicher Literatur in der Ostzone war eine der Prioritäten der BRD-Verlage. Zudem fühlte man sich den Bürgern der DDR nahe, weshalb der dringende Bedarf an Büchern in der Ostzone im möglichen Rahmen gedeckt werden sollte.
Um die Lieferdefizite der DDR auszugleichen, wurde von Seiten der BRD vorgeschlagen, eine Verrechnung von Zeitungspapier und Druckaufträgen zu vereinbaren. Die BRD kam der DDR in diesem Punkt folglich entgegen.
3.3 Berliner Abkommen
Dass das Funktionieren des Interzonenhandels abhängig von der politischen Lage war, wurde am 20.September 1950 deutlich. Die DDR stellt die Belieferung von Strom und Wasser an Westberlin ein. Daraufhin wurden die Verhandlungen westlicherseits abgebrochen. Erst Wochen später konnten die Gespräche wieder aufgenommen werden.
Schließlich wurde am 6.Juli/20.September 1951 das ,,Berliner Abkommen" geschlossen. Ein Gesamtaustausch von 326 Millionen Verrechnungseinheiten wurde vereinbart. Für den Buchhandel waren davon 1,5 Millionen VE vorgesehen. Während der Interzonenhandel mit anderen Produkten nur im Clearingverfahren möglich war, d.h. die Zahlungen waren auf ein Konto bei der jeweiligen Zentralbank zu leisten, konnten Druckerzeugnisse im Tausch geliefert und bezogen werden. Die Vergabe von Druckaufträgen in den Osten war als weitere Kompensationsmöglichkeit vorgesehen. Trotz dieser Vereinbarung kam es auch künftig zu Lieferrückständen von Seiten der DDR. Für den Westen stellte diese Tatsache ein größeres Problem dar, denn von diesem Bezug hingen wiederum die Lieferungen bundesdeutscher Verlage in die DDR ab.
3.4 Öffnung der westdeutschen Postzeitungsliste für DDR-Zeitschriften
Bis Mitte der fünfziger Jahre waren nur 4 Ost-Zeitschriften über die westdeutsche Postzeitungsliste lieferbar. Im August 1955 beschloss die BRD schließlich, unpolitische Zeitschriften aus der DDR für den Postzeitungsvertrieb freizugeben. Die Vorschlagsliste enthielt 108 wissenschaftliche und fachliche Zeitschriften, u.a. das Leipziger ,,Börsenblatt".9 In der BRD war man der Meinung, dass Kontakte mit der DDR in bezug auf nachbarschaftliche Fragen unbedenklich seien, einen regen Kulturaustausch hielt man aber grundsätzlich für bedenklich. K. U. von Hassel, damaliger Ministerpräsident von SchleswigHolstein, sagte, dass der Kommunismus die Absicht verfolge, im Westen das Gefühl zu verbreiten, die SED sei gar nicht so, und die Regierung der Zone sei eine durchaus demokratische Angelegenheit.10 Da aber genau das Gegenteil die sozialistische Realität bestimmte, beschränkte sich der Austausch von Periodika weiterhin auf wissenschaftliche und fachliche Publikationen.
3.5 Handel mit Belletristik
In den ersten Jahren nach Gründung der BRD und der DDR waren beide Länder aufgrund von ideologischen Bedenken nicht am Austausch von schöngeistiger Literatur interessiert. Die DDR hatte Vorbehalte gegen die bourgeoise Literatur des Westens, dieser wiederum befürchtete, nicht unbegründet, dass die DDR eine kommunistische Indoktrinierung der BRD oder zumindest eine Schwächung des demokratischen Systems anstrebte. Die Äußerung Dr. Carl Hansers im Zusammenhang mit der Frage der Erweiterung des Interzonenhandels 1955 lässt vermuten, wie stark die Bedenken gegenüber der DDR-Literatur waren: ,, (...) Wir sind daran interessiert, unsere schöngeistige Literatur in die Sowjetische Besatzungszone zu liefern, wir haben aber kein Interesse daran, umgekehrt schöngeistige Literatur der Sowjetischen Besatzungszone11 hier einzuführen ( )"12
Auch Dr. Georgi erklärte 1954 bei einer Sitzung des Börsenvereins, die Liberalisierung des Buchverkehrs, wie sie von Seiten der UdSSR vorgeschlagen wurde, sei nicht möglich. Georgi führte an, dass eine Freihe it des Buchmarktes auch immer eine Freiheit des Geistes voraussetze. Und diese Toleranz war in der DDR nicht gegeben, die gut funktionierenden Kontrollinstanzen dort verhinderten dies. Das Buch im Osten wurde politisiert, sogar wissenschaftliche und fachliche Publikationen waren im Vorwort bzw. Nachwort von staatlichen Einflüssen gekennzeichnet. Georgi schilderte die weit verbreitete Meinung im westdeutschen Buchhandel gegenüber der DDR wie folgt: ,, (...) Schon heute ist es so, dass von den zehn Millionen Verrechnungseinheiten nur die Hälfte in Büchern und Zeitschriften aus der SBZ bezogen werden kann. Die andere Hälfte muss schon in Druckaufträgen abgenommen werden, weil wir mit der politisierten Literatur von drüben nichts zu tun haben wollen. (...)"13
Im Westen wurde in diesem Zusammenhang 1955 eine Bestimmung erlassen, die beinhaltete, dass der Bezug staatsgefährdender Schriften nach §93 des Strafgesetzbuches verboten und strafbar sei. Der Abnehmer von Büchern aus der DDR war dafür verantwortlich, dass keine staatsgefährdenden Schriften darunter seien; er konnte von den zuständigen Behörden der Inneren Verwaltung eine Unbedenklichkeits-erklärung oder Genehmigung einholen. Dieses Verfahren war zwar mit viel bürokratischem Aufwand verbunden, funktionierte jedoch relativ problemlos. Dass aber der Begriff ,,staats-gefährdende Schrift" dehnbar war, zeigte sich bald.14
1955 wurde erstmals belletristische Literatur im Wert von 500.000 Verrechnungseinheiten ausgeschrieben.15 Tatsächlich fand aber nur ein Austausch von 214.000 VE statt. Das Interesse der BRD an DDR-Literatur war immer noch nicht besonders hoch. Allein die Zahlen aus dem Jahre 1956 beweisen diese Tatsache: Der Westen lieferte für 14 Millionen VE Bücher in die DDR, bezog allerdings nur Publikationen für 3,4 Millionen VE aus dem Osten.
3.6 Vorläufige Beendigung des Interzonenhandels durch den Mauer bau 1961
Am Ende der fünfziger Jahre hat sich der innerdeutsche Handel mit Literatur weitestgehend normalisiert. Einen zeitweiligen Einbruch gab es später, 1961, nach dem Bau der Berliner Mauer. Alle Kontakte und Gespräche waren unterbrochen, der Druckaustausch und der Austausch von Publikationen ging jedoch, wenn auch mit hohen Einbußen für den Buchhandel, weiter.16
Trotz der politischen Ereignisse empfahl der bundesdeutsche Interzonenhandelsausschuss dem Börsenvereinsvorstand im September 1961, den Interzonenhandel mit Büchern als primär anzusehen und möglichen Kündigungen von Abkommen entgegenzutreten.17 Der Börsenvereinsvorstand folgte dem Rat des Ausschusses. Das geschah vor allem deshalb, um den Bürgern Berlins die Verbundenheit Westdeutschlands zu verdeutlichen. Werner Dodeshöner, Vorsteher des Börsenvereins, forderte in diesem Zusammenhang, dass die BRD aus einem Gefühl echter Verantwortung derer gedenken sollte, die von den politischen Maßnahmen getroffen werden. Er bedauerte, dass die Bürger Berlins nicht mehr in der Lage waren, sich von einer deutschen Stadt in die andere zu bewegen und oftmals von ihren Familien und Freunden getrennt waren.18
4. Behinderung der Verbreitung von DDR-Literatur in der BRD
Trotz der scheinbar liberalen Haltung gegenüber der DDR waren Anfang der sechziger Jahre Bücher aus dem Osten eine Seltenheit in westdeutschen Buchhandlungen.19 Man konnte auch in der BRD nicht in jedem Geschäft legal Publikationen aus der DDR beziehen. Zum Teil wurden westdeutsche Buchhändler willkürlich wegen der Einfuhr von DDR-Literatur juristisch belangt, obwohl in anderen Buchhandlungen zum selben Zeitpunkt die gleichen Titel verkauft werden durften.
Von Seiten des Ostens hä uften sich nun Anschuldigungen, die sich an die Bundesregierung und den Frankfurter Börsenverein richteten. Man warf der BRD vor, sie verhindere Kauf und Verkauf von DDR-Literatur, indem sie die Veröffentlichungen mit Hilfe des politischen Strafrechts kriminalisiere.20 Auch auf den Buchmessen sei die DDR nicht gleichberechtigt vertreten.
Tatsächlich gab es einige Fälle politischer Justiz, die das Bild des liberalen Rechtsstaates ins Wanken brachten. Die Freiheit der Presse und der öffentlichen Meinung wurden angezweifelt. Die folgenden Beispiele geben einen Einblick in diese Situation.
4.1 Konfiszierung von Schriften des Brücke-Verlages
Der Düsseldorfer Brücke-Verlag hat im Jahre 1963 21 Dokumente des XXII. Parteitages der KPdSU importiert und einige Exemplare verkauft. Aufgrund der Brisanz dieser Schriften veranlasste das Düsseldorfer Landgericht eine Einziehung dieser Publikationen.22 Allerdings wurden nicht nur die Lagerbestände konfisziert, sondern auch die Rechnungskopien und Kundenlisten. Daraufhin wurden die Bibliotheken der Privatkunden und Volkshochschulen nach staatsgefährdenden Schriften durchsucht. Diese Maßnahmen waren denen der DDR nicht unähnlich. Die Zensur hat also auch in der BRD eine Rolle gespielt. Obwohl Liberalität immer groß geschrieben wurde, hat man Privatsphären verletzt und Verlagsleiter, weil sie zeitweilig der KPD angehörten, als verdächtig angesehen.
4.2 ,,Verbringungsgesetz" 1961
Im Mai 1961 wurde ein ,,Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsgebote"23 erlassen. Damit spitzte sich die bereits bestehende Situation zu: Nun konnten ,,staatsgefährdende" Schriften schon an der innerdeutschen Grenze durch den Zoll und die Post abgefangen werden. Ca. 800.000 Sendungen wurden zu Beginn der sechziger Jahre monatlich vernichtet. Dabei wurde nicht unterschieden, ob es sich um Propagandamaterial aus der DDR handelt oder um Publikationen im Rahmen der Austauschabkommen. Auch Sendungen an Bundestags-abgeordnete und private Post wurden zerstört. Der ,,Spiegel" berichtete, das Zeitschriften und Zeitungen sogar beschlag-nahmt worden seien, wenn sie nur als Reiselektüre mitgeführt wurden.24
Die Kontrolle von Seiten der DDR war mindestens ebenso lückenlos. Post- und Zollbeamte durchkämmten eingehende Sendungen aus der BRD täglich. Auch Geschenkpäckchen wurden auf ideologische Inhalte überprüft.
4.3 Zeitungen aus der DDR
Bis April 1966 war es BRD-Bürger nicht möglich, Zeitungen aus dem Osten zu beziehen.
Westdeutsche Demokraten konnten demnach nicht lesen, was ostdeutsche Kommunisten druckten.25 Der § 93 StGB und das ,,Verbringungsgeset z" verboten es. Nun aber waren Zeitungen, wie das ,,Neue Deutschland" und die ,,Junge Welt" Bundesbürgern zugänglich, allerdings vorerst nur in Hamburg. Auch jetzt musste vorher auf einen schriftlichen Antrag hin eine Unbedenklichkeitsbescheinigung für die entsprechenden Publikationen ausgestellt werden. Diese erhielt jeder, gegen den offiziell nichts vorlag. Die Lockerung der Nachrichten- und Informationsblockade war demnach nur ein kleiner Fortschritt. Es existierte zwar das ,,Loch in der Mauer"26, doch gab es weiterhin eine Kontrolle von DDR-Veröffentlichungen.
Auf der ostdeutschen Seite war die Überwachung noch viel strikter. Das ,,Gesetz zum Schutze des Friedens" bedrohte jeden mit Gefängnis oder Zuchthaus, der andere Völker oder Rassen schmähte, gegen diese hetzte oder zum Boykott gegen sie aufforderte. Fast jede bundesdeutsche Zeitung war laut ost-deutscher Rechtsauffassung ein potentieller Kandidat für diese Sparte.
5. Abschließende Bemerkungen
Natürlich kann man nicht davon ausgehen, dass der westdeutsche Buchhandel mit den vom Staat angeordneten Befehlen und Gesetzen in jedem Fall einverstanden war. Da aber nach dem Krieg und bis in die sechziger Jahre hinein Politik und Buchhandel eng miteinander verknüpft waren, der Börsenverein und seine Vorsitzenden sich oft negativ über die politisierende Literatur des Ostens äußerten, bleibt zu vermuten, dass die Entscheidungen der Regierung vom Gros der Verlage und Vereinigungen des Buchhandels mitgetragen wurden. Das Interesse war ja das gleiche: Beide wollten die minimale Präsenz von DDR-Literatur, weil sie befürchteten, der Osten könnte versuchen, die noch sehr junge westliche Demokratie anzugreifen. Auf der einen Seite also sollten die buchhändlerischen Beziehungen zur DDR nicht abbrechen und Wirtschaftsabkommen geschlossen werden. Liberalität zeigte man, gerade wenn es um die Frage der Lieferrückstände und Zahlungsschwierigkeiten ging. Andererseits sind Distanz und Misstrauen Bestandteile der Tagesordnung gewesen. Angesichts der ,,geistigen Mauer"27 jedoch, die zwischen beiden Staaten stand, kann man dieses Verhalten nicht wirklich verurteilen. Die beiden deutschen Systeme waren viel zu unterschiedlich, als dass der Buchhandel sich unbeeinflusst von dieser Spannungslage äußern konnte.
LITERATURVERZEICHNIS
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. Frankfurter Aus-gabe. 1950-1963.
Das Loch in der Mauer. In: Der Spiegel. Hrsg. v. Rudolf Augstein. Heft 19. 1966, S. 44.
Emmerich, Wolfgang: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Leipzig: Gustav Kiepenheuer 1996.
Lehmstedt, Mark / Lokatis, Siegfried: Das Loch in der Mauer. Der innerdeutsche Literaturaustausch. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 1997.
Umlauff, Ernst: Der Wiederaufbau des Buchhandels. Beiträge zur Geschichte des
Büchermarktes in Westdeutschland nach 1945. In: AGB 17 (1977-1978 ). Frankfurt/Main 1978.
Wittmann, Reinhard: Geschichte des deutschen Buchhandels. München: C.H. Beck 1999.
[...]
1 Vgl.: Emmerich, Wolfgang: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Leipzig: Gustav Kiepenheuer 1996, S. 29.
2 Das Gesetz Nr. 5 der Alliierten Hohen Kommission vom 21.09.1949 beendete die westalliierte Einflussnahme auf den interzonalen Handel weitgehend. Lediglich ein Interventionsrecht behielt sie sich vor, um zu verhindern, dass kommunistisches Agitationsmaterial in die BRD eingeführt wurde.
3 Vgl.: Wittmann, Reinhard: Geschichte des deutschen Buchhandels. München: C.H. Beck 1999, S. 395.
4 Vgl.: Das Loch in der Mauer. In: Der Spiegel. Hrsg. v. Rudolf Augstein. Heft 19. 1966, S. 44.
5 siehe auch Kapitel 4.3 Gespräche zwischen beiden deutscher Länder waren erst mit Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 möglich.
6 Der Begriff ,,Verrechnungseinheiten" wird in den folgenden Kapiteln mit VE abgekürzt.
7 Vgl.: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. Frankfurter Ausgabe. Nr. 30 vom 14. April 1950, S. 114.
8 Vgl.: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. Nr. 79 vom 3. Oktober 1950, S. 338.
9 Das ,,Frankfurter Börsenblatt war in der ostdeutschen Postzeitungsliste nicht aufgeführt. Ostberlin hatte zudem im März 1955 seine Bezüge westdeutscher Zeitschriften gekürzt. Diese durften nur noch an Institutionen, nicht mehr an Privatleute geliefert werden. Auch nach Öffnung der westdeutschen Postzeitungsliste hielt der Osten an seiner Sperre fe st.
10 Vgl.: Ernst Umlauff: Der Wiederaufbau des Buchhandels. Beiträge zur Geschichte des Büchermarktes in Westdeutschland nach 1945. In: AGB 17 (1977-78), Sp.1439.
11 In den folgenden Kapiteln wird der Ausdruck als SBZ abgekürzt.
12 Vgl.: Umlauff, Ernst: Der Wiederaufbau des Buchhandels. Beiträge zur Geschichte des Büchermarktes in Westdeutschland nach 1945. In: AGB 17 (1977-1978 ). Frankfurt/Main 1978, Sp. 1399.
13 Vgl.: Mitteilungen des Börsenvereins Nr. 48 vom 30.11.1954, S. M 240.
14 Vgl. Kapitel 4
15 Ausschreibungen wurden jährlich im Börsenblatt und Bundesanzeiger veröffentlicht.
16 1964 hat sich der Handel wieder eingependelt, der frühere Stand war erreicht.
17 Vgl.: Umlauff, Ernst: Der Wiederaufbau des Buchhandels. Beiträge zur Geschichte des Büchermarktes in Westdeutschland nach 1945. In: AGB 17 (1977-1978 ). Frankfurt/Main 1978, Sp. 1452.
18 Vgl.: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. Frankfurter Ausgabe. Nr. 76 vom 22.09.1961, S. 1439.
19 Vgl.: Lehmstedt, Mark/Lokatis, Siegfried: Das Loch in der Mauer. Der innerdeutsche Literaturaustausch. Harrassowitz Verlag: Wiesbaden 1997, S. 56.
20 Laut §93 StGB von 1953 war der Bezug staatsgefährdender Schriften strafbar. Das bezog sich vor allem auf politische Schriften. Die Beurteilung, ob eine Publikation staatsgefährdend sei, lag im jeweiligen Ermessensspielraum der Justiz.
21 Vgl.: Lehmstedt, Mark/Lokatis, Siegfried: Das Loch in der Mauer. Der innerdeutsche Literaturaustausch. Harrassowitz Verlag: Wiesbaden 1997, S. 59-60.
22 Das Düsseldorfer Landgericht begründete die Aktion damit, dass sich aus dem Inhalt der Schriften die Werbung für eine Staatsumwälzung in der BRD ergebe.
23 Vgl.: Lehmstedt, Mark/Lokatis, Siegfried: Das Loch in der Mauer. Der innerdeutsche Literaturaustausch. Harrassowitz Verlag: Wiesbaden 1997, S.64-65.
24 Vgl.: Das Loch in der Mauer. In: Der Spiegel. Heft 19. 1966, S. 44.
25 Vgl.: Das Loch in der Mauer. In: Der Spiegel. Heft 19. 1966, S. 44.
26 ebd., S.44.
27 Vgl.: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. Nr.62 vom 2.08.1963, S. 1337.
- Arbeit zitieren
- Nadine Kinne (Autor:in), 2000, Haltung des westdt. Buchhandels zur DDR 1949 bis 1961, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99909
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