Sechs Phasen der Diskussion über die Wunder Jesu
- Vor der Neuzeit sah man Wunder nach kirchlicher Tradition
„supranaturalistisch“ = Eingriffe Gottes in den Naturverlauf
- Wunder (wie auch Weissagungen) waren Argumente mit denen man den christlichen Glauben untermauerte
- In der Neuzeit wurden sie dann aus der Apologetik verdrängt und zu deren Gegenstand, d.h. „Die Wunder wurden zum Problem“
1. Phase: Die rationalistische Wunderinterpretation
- 2 Theologen, die diese Theorie vertreten: C.F. Bahrdt (1741-1792); H.E.G. Paulus (1761- 1851)
- es steckt im Wort, man versucht Wunder vernunftmäßig zu erklären, indem man das eigentlich wunderbare herausinterpretiert
Bahrdt:
- die Berichte sind geschichtlich
- die wunderhafte Deutung ist zeitbedingt, muss ersetzt werden
- Wunder werden erklärt, d.h. nicht wunderbar, sondern erklärbar (Beispiele: 1.grün)
- B. gleitet oft ins Abstruse (2.grün) Paulus:
- ausgereifte Form der rationalistischen Wundererklärung
- P versucht zwischen den Zeilen zu lesen (nach Paulus: Zwischenursachen), deren Kenntnis ein Wunder mit der Vernunft in Einklang bringen
- allg.: Bessere, nicht utopische, Erklärung (Beispiel: 3.grün)
2. Phase: Die mythische Wunderinterpretation
- 1 Theologe, der diese Theorie vertritt: D.F. Strauß (1808-1874)
- Wunder seien mythisch aufzufassen, d.h. als Dichtungen, die die messianische Idee zum Ausdruck bringen wollen (aus dem Zentrum des christlichen Glaubens heraus erklärt)
- der Messias muss als Messias die Wunder anderer Propheten überbieten
- (Jesus selbst hat den Wundern eher ablehnend gegenüber gestanden)
- zur Zeit Jesu galt: Prophet = Wunderkräfte
- Die Erwartung des wundergläubigen Volkes brachte die Wunder hervor: auf psychosomatischem Weg und durch Dichtung von Wundern, die nie geschehen sind
- Dadurch konnte die Geschichtlichkeit der Wunder bestritten werden und trotzdem konnte man sie im religiösen Sinn dennoch würdigen
3. Phase: Die form- und religionsgeschichtliche Deutung der Wunder
- 3 Theologen, die diese Theorie vertreten: R. Bultmann (1921); M. Dibelius (1919); L. Bieler (1935/36)
- Entstehung zu Beginn des 20. Jahrhunderts
- Im Gegensatz zu 2., bei dem Wunder aus dem alttestamentlichen heraus erklärt werden, werden hierbei gemeinsame Motive zwischen antiken und neutestamentlichen Wundern herausgestellt
Bultmann:
- nicht nur einzelne Motive, sondern ganze Wundergeschichten wurden aus der hellinistischen Welt übernommen (Beispiel: 4. grün)
- Dieser hellinistische Ursprung gilt als sehr wahrscheinlich Dibelius:
- Wundergeschichten = Novellen (profane Erzählungen)
- Wunder = Anpassungserscheinungen an die nicht-christliche Welt Bieler:
- „Das Bild des göttlichen Menschen“ = fester Typus eines Wundertäters
- Auch Jesus wurde nach dem Bild eines göttlichen Menschen gestaltet
- Im Gegensatz zu Strauß rückten die Wunder nun an den Rand der neutestamentlichen Gedankenwelt
- Konsens: die christliche Botschaft habe sich der Wunder nur bedient, um den Glauben zum Ausdruck zu bringen
- „Die Wundergeschichten wurden kerygmatisch von oben interpretiert.“
4. Phase: Die redaktionsgeschichtliche Relativierung der Wundergeschichten
- Bestätigung von 3.
- Wundergeschichten waren als Tradition vorgegeben, die von den Evangelisten kritisch im Sinne ihrer Botschaft bearbeitet und relativiert wurden:
Bei Markus wird das spannungsreiche Verhältnis von kritischer und positiver Sicht der Wunder wie folgt erklärt:
- fügte Schweigegebote und Jüngerunverständnis ein
- Die glorreichen Wunder werden durch die Kreuzigung und die Auferstehung korrigiert
- Vermutung: Evangelium sollte „göttlichen Mensch“-Glauben bekämpfen Matthäus:
- Mt = Interpret der Wundergeschichten
- stark gekürzt/witzige Sinnsprüche
- auf eine theologische Pointe ausgerichtet (dagegen: mirakulöse Züge zurückgedrängt)
- Jesus ist barmherziger „Messias der Tat“, der die Krankheiten aller auf sich nimmt, indem er sie heilt
Lukas:
- illustrieren das in Jesu Wirken gegenwärtige Heil
- Jesus erfüllt „die biblische Verheißungen“
- Die Wunder sind „Erfolgsgeschichten des Heilswillens Gottes“ Johannes
- (nach R. Bultmann) eigentliche Wundergeschichten tiefgreifend umgestaltet, um den darin enthaltenen naiven, massiven Wunderglauben zu korrigieren
- Wunder sollen nur auf das eigentliche wahre Wunder hinweisen: Die Person Jesu als Bringer wahren Lebens
- Wunderglaube nur vorläufig
5. Phase: Die Einordnung Jesu in eine Typologie antiker Wundertäter
- Entstehung in den 70er Jahren
- gegen die einseitige Deutung der Wunder
- bettet die Wundertätigkeit Jesu in den historischen Kontext ein
- Jesus erscheint entweder als Charismatiker oder als Magier Charismatiker (G. Vermes):
- Jesus gehört zu jüdisch charismatischem Milieu
- Unmittelbarkeit der Beziehung zu Gott
- Unabhängig vom Gesetz Zugang zu Gott Magier (M.Smith):
- aus Perspektive der Gegner gesehen
- Ausbildung zum Magier
- Von Dämon besessen
- unter Zuhilfenahme von magischen Praktiken seine Wunder bewirkt
- Andere Züge des Verhaltens und Redens Jesu beweisen sein Magiertum: (grün 5.) Das Nebeneinander von charismatischen und rituellen Wundertätern (G.H: Twelftree):
- Jesus sowohl charismatisch, als auch magisch
- Jesus ist ein üblicher Exorzist
- heilt auf Grund seiner hervorgehobenen Persönlichkeit (nicht auf Grund mächtiger Beschwörungsformeln und magischer Ritualen)
- durch Jesus handle Gott selbst und die Gottesherrschaft bricht an
D. Trunk:
- reine Form des Charismatikers liegt nur in den Evangelien vor, d.h. ein Wundertäter der aus eigener Autorität , mit Hilfe einer in ihm innewohnenden nicht ableitbaren Kraft handelt
- häufiger hingegen waren Mischformen anzutreffen, selten eine reine Form, wie bei Jesus
6. Phase: Sozialgeschichtliche Aspekte des Wunderglaubens und des Auftretens
von Wundertätern
- Funktion und Entstehung des Wunderglaubens Sozialgeschichtliche Forschung (G.H. Theißen):
- gegen die Vorstellung eines zeitlosen Wunderglaubens
- Wunderglaube ist historisch bedingt: in manchen Zeiten geht er zurück und in anderen nimmt er zu
- Urchristentum war die Spitze des wachsenden Wunderglaubens in der Antike (Im neuen Testament werden die meisten Wundergeschichten über eine Person beschrieben)
- Gründe dafür sind die wachsende Spannung zwischen:
- Land- und Stadtbevölkerung;
- Juden und Heiden
- traditionellen und neuen kulturellen Lebensformen
- Wundercharisma und Magie lassen sich durch ihre soziale Funktion unterscheiden
- Protest- und Erneuerungsbewegungen legitimieren sich durch charismatische Wunder
- Das einfache Volk erzählt sich Wundergeschichten, um sich Mut in Notlagen zu machen
- Wunder sind also, kerygmatisch von oben und als Ausdruck menschlichen Protests von unten zu sehen
Sozialanthropologische Überlegungen:
- zeitlos gültiger Sachverhalt
- was als normal ist und nicht definiert die Gesellschaft, d.h. die Gesellschaft bestimmt, was als Magie verrufen wird und was als Wunder gesehen wird
- Nicht nur die Bewertung der Wunder ist sozial bedingt, sondern auch ihre Existenz (werden Dämonen geglaubt oder nicht?)
- Ohne Beachtung der Gesellschaft und ihrer „Macht“, kann man die Wunder nicht verständlich machen
- Arbeit zitieren
- Philipp Muchalla (Autor:in), 2000, Die sechs Phasen der Diskussion über die Wunder Jesu., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99763
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