Diese Arbeit untersucht die Einführung der Sozialistengesetze unter Bismarck im Deutschen Kaiserreich und deren Zusammenhang mit der Entwicklung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SAP). Der Fokus liegt auf den politischen Gegensätzen zwischen Konservativen und der aufstrebenden Arbeiterbewegung sowie den sozialen und politischen Forderungen der SAP.
Die Arbeit beleuchtet die politische Landschaft des Deutschen Kaiserreichs im späten 19. Jahrhundert, insbesondere die Ausbreitung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SAP) und die damit verbundenen gesellschaftlichen Spannungen. Es wird auf die Gründung der SAP 1869 in Eisenach und ihre Vereinigung mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein 1875 zur SAP Deutschlands eingegangen.
Ein zentraler Punkt ist die Einführung der Sozialistengesetze 1878 unter Bismarck, die Sozialdemokraten politisch isolierten und ihre Aktivitäten stark einschränkten. Die SAP kämpfte für Arbeiterrechte und sozialistische Ideale, was von konservativen Kreisen als Bedrohung der staatlichen Ordnung angesehen wurde.
Die Arbeit betrachtet auch die politischen Gegensätze zwischen Bismarck und der aufstrebenden Arbeiterbewegung, die von ihm als Reichsfeind betrachtet wurde. Bismarcks Entscheidungen und Handlungen im Zusammenhang mit den Sozialistengesetzen werden analysiert, insbesondere seine Sicht auf die sozialdemokratischen Elemente als Bedrohung für den Staat.
Insgesamt zielt die Arbeit darauf ab, die politische Dynamik dieser Zeit zu verstehen und die historischen Hintergründe der Sozialistengesetze sowie deren Auswirkungen auf die Sozialdemokratie und den politischen Diskurs im Deutschen Kaiserreich zu beleuchten.
Bismarcks Sozialistengesetze und die Einführung der Sozialversicherungen
Ein Mann wie der heutige Bundeskanzler Schröder hätte vor etwas mehr als 100 Jahren nicht nur nicht Kanzler sein können - er hätte sich politisch nicht einmal betätigen dürfen. Hätte er damals am Tor von Reichskanzler Bismarck gerüttelt und geschrien: ,,Ich will hier rein!" - er wäre verhaftet worden und für einige Zeit verschwunden. Sozialdemokraten galten damals noch als ,,vaterlandslose Gesellen" und wurden von allen Schaltstellen der Macht ferngehalten - erstaunlicherweise durften sie aber weiterhin wählen und für den Reichstag auch gewählt werden.
Diese Situation hing mit dem sogenannten Sozialistengesetz zusammen, auf das ich jetzt näher eingehen möchte.
Die innenpolitische Lage des Kaiserreich im Jahre 1878 Die Ausbreitung der SAP / SPD
1869 Gründung der ,,Sozialdemokratischen Arbeiterpartei" in Eisenach
1875 Vereinigung mit dem ,,Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein" zur ,,Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands" (SAP)
- Massenpartei mit fester Mitgliedschaft und straffer Organisation
- Masse der SPD reformistisch gesinnt
- Kampf für die Rechte der Arbeiter, Durchsetzung von Streiks
- kein Wille zum völligen Umsturz im Sinne von Marx und Lenin
- Gründung zahlreicher, der Partei nahestehender Organisationen: Kindergärten, Sport- und Gesangsvereine, Spar- und Bauvereine
- große Ausdehnung der sozialdemokratischen Bewegung in der Gesellschaft
- Stimmenzuwachs bei den Reichstagswahlen 1874 und 1877
- in konservativen Kreisen als zunehmende Bedrohung der staatlichen Ordnung gesehen
Forderungen:
- Weltrevolution der Arbeiterklasse
- Verstaatlichung der Produktionsmittel, gerechte Entlohnung entsprechend der geleisteten Arbeit, Beseitigung aller sozialen und politischen Ungleichheit, Plebiszite und Arbeitszeitverkürzungen
- Stimmenzuwächse bei den Reichstagswahlen 1874 und 1877: zunehmende Bedrohung der staatlichen Ordnung Aus dem Gothaer Programm der SAP 1875:
II. Von diesen Grundsätzen ausgehend, erstrebt die SAP mit allen gesetzlichen Mitteln den freien Staat und die sozialistische Gesellschaft, die Zerbrechung des ehernen Lohngesetzes durch Abschaffung des Systems der Lohnarbeit, die Aufhebung der Ausbeutung in jeder Gestalt, die Beseitigung aller sozialen und politischen Ungleichheit. Die SAP fordert, um die Lösung der sozialen Frage anzubahnen, die Errichtung von sozialistischen Produktionsgenossenschaften mit Staatshilfe unter der demokratischen Kontrolle des arbeitenden Volkes. Die Produktionsgenossenschaften sind für Industrie und Ackerbau in solchem Umfange ins Leben zu rufen, dass aus ihnen die sozialistische Organisation der Gesamtarbeit entsteht.
Scharfe Gegensätze zwischen Konservativen und der Arbeiterbewegung
- Bismarck: Parteien als ,,Verbündete auf Zeit", Ablehnung des Parlamentarismus
- sozialistische Arbeiterbewegung als Reichsfeind gesehen
- internationaler Charakter von Bismarck als ein Sprengmittel gegen die junge deutsche Einheit betrachtet
- Zugewinn von Reichstagssitzen durch die Sozialdemokratie · starke Revolutionsfurcht
- Befürchtung einer revolutionären Bedrohung für die monarchische Ordnung Europas
- antisozialistische Propaganda durch Attentate auf Kaiser Wilhelm I. ermöglicht
- Täter als Sozialdemokraten bezichtigt
- tiefe persönliche Abneigungen gegen die ,,vaterlandslosen Gesellen": grundsätzlich Opposition zwischen SAP und dem Kaiserreich
Bismarck: " Ich komme zu der Frage zurück, wann und warum ich meine Bemühungen um
soziale Verhältnisse aufgegeben habe, und wannüberhaupt meine Stellung zur sozialen Frage eine andere geworden ist. Es stammt dies von dem Augenblick her, wo in versammeltem Reichstag ... ich weißnicht, war es der Abg. Bebel oder Liebknecht, in pathetischem Appell die französische Kommune als Vorbild politischer Einrichtungen hinstellte und sich selbst offen vor dem Volke zu dem Evangelium dieser Mörder und Mordbrenner bekannte. Von diesem Augenblick an habe ich die Wucht der Überzeugung von der Gefahr, die uns bedroht, empfunden; jener Anruf der Kommune war ein Lichtstrahl, der in die Sache fiel, und von
diesem Augenblick an habe ich in den sozialdemokratischen Elementen einen Feind erkannt, gegen den der Staat, die Gesellschaft, sich im Stande der Notwehr befindet. Bismarck reagiert
- 1878 Beginn des entschiedenen Kampfes Bismarcks gegen die Sozialdemokratie
- Sprengkraft der durch Industrialisierung und Wirtschaftskrise der Gründerjahre verschärften sozialen Gegensätze erkannt
- Lösung der `ArbeiterfrageÂwollte er nicht Arbeiterparteien überlassen, denen es um mehr als nur die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Arbeiter ging
- Doppelstrategie:
- berechtigten Wünschen der Arbeiterklasse sollte durch Gesetze und Verwaltungsvorschriften entgegenkommen werden, auch, um sie von den Sozialdemokraten zu lösen und wieder stärker an die herrschenden Schichten heranzuführen.
- SAP sollte entschieden bekämpft werden, Verbots- und Strafgesetze sollten ihren Einfluß vermindern
- Anlaß für eine aggressivere Politik gegen die Sozialdemokraten: zwei Attentate auf Kaiser Wilhelm I. im Mai und Juni 1878, die fälschlicherweise den Sozialdemokraten zugeschrieben wurden (Vorwand) ` Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie Â
Die Sozialistengesetze
- am 19. Oktober 1878 vom Reichstag verabschiedet, nachdem zuvor noch Neuwahlen
durchgeführt wurden, um Mehrheiten zu erlangen, die bereit waren dieses zu unterstützen · bis 1890 mehrfach verlängert
Aus der Begründung des Gesetzes durch den Präsidenten des Reichskanzleramtes, Karl Hofmann vom 23. Mai 1878:
M. H., alle die Mittel, die an sich dazu geeignet sind, die sozialdemokratische Idee als solche auf rein geistigem und moralischem Wege zu bekämpfen, sind vollständig wirkungslos oder doch in ihrer Wirksamkeit im gr öß ten Maße gefährdet, solange dieöffentliche Ausbreitung dieser Idee in derselben Weise gestattet wird wie bisher, d. h. solange die Sozialdemokratie alle durch unsere jetzige Gesetzgebungüber die Presse, das Vereins- und Versammlungsrecht gewährten Mittel dazu benutzt, um ihre Lehreöffentlich zu verbreiten. Und hier, in. E., ist der Punkt, wo der Staat mit seiner Gesetzgebung einschreiten muß. Es handelt sich darum, daßwir der Sozialdemokratie die Mittel entziehen, welche die Gesetzgebung selbst ihr gibt, um durch Benutzung der Presse, durch das Vereinswesen usw.öffentlich Propaganda zu machen.
Auf diesem Gebiete kann der Staat wirksam einschreiten, und hier mußer einschreiten, wennüberhaupt das Umsichgreifen, das beständige Zunehmen der sozialdemokratischen Bewegung verhindert werden soll ..."
Die Reaktionen der Sozialdemokraten
Die sozialdemokratische Fraktion im Reichstag setzte sich gegen das drohende
Ausnahmegesetz nicht einmal zur Wehr; sie beteiligte sich an den Debatten über den
Gesetzentwurf erst gar nicht, sondern ließ lediglich am 23. Mai durch Wilhelm Liebknecht eine gemeinsame Erklärung verlesen:
,,Der Versuch, die Tat eines Wahnwitzigen, noch ehe die gerichtliche Untersuchung abgeschlossen ist, zur Ausführung eines lang vorbereiteten Reaktionsstreichs zu benutzen und die "moralische Urheberschaft" des noch unerwiesenen Mordattentats auf den deutschen Kaiser einer Partei aufzuwälzen, welche den Mord in jeder Form verurteilt und die wirtschaftliche und politische Entwicklung als von dem Willen einzelner Personen ganz unabhängig auffaßt, richtet sich selbst so vollständig in den Augen jedes vorurteilslosen Menschen, daßwir, die Vertreter der sozialdemokratischen Wähler Deutschlands, uns zu der Erklärung gedrungen fühlen:
Wir erachten es mit unserer Würde nicht vereinbar, an der Diskussion des dem Reichstage heute vorliegenden Ausnahmegesetzes teilzunehmen und werden uns durch keine Provokationen, von welcher Seite sie auch kommen mögen, in diesem Beschlußerschüttern lassen. Wohl aber werden wir uns an der Abstimmung beteiligen, weil wir es für unsere Pflicht halten, zur Verhütung eines beispiellosen Attentats auf die Volksfreiheit das Unsrige beizutragen, indem wir unsere Stimmen in die Waagschale werfen. Falle die Entscheidung des Reichstags aus wie sie wolle - die deutsche Sozialdemokratie, an Kampf und Verfolgungen gewöhnt, bückt weiteren Kämpfen und Verfolgungen mit jener zuversichtlichen Ruhe entgegen, die das Bewußtsein einer guten und unbesiegbaren Sache verleiht."
Die Wirkung des Sozialistengesetzes
- Verstoß gegen das grundlegende Rechtsstaatsprinzip der Rechtsgleichheit
- Verbot aller Organisationen, ,,welche durch sozialdemokratische, sozialistische und kommunistische Bestrebungen den Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung bezwecken."
- Auflösung aller Parteiorganisationen und der ihnen nahestehenden Gewerkschaften, nicht jedoch der Partei selbst
- Verbot der gesamten Parteipresse
- Sozialdemokraten als Reichsfeinde
- Verhaftung zahlreicher Sozialdemokraten
Wie drastisch die Auswirkungen auf die Sozialdemokraten war zeigt sich auch in der Erinnerung des Vorsitzenden August Bebel:
,,Sobald das Gesetz verkündet und in Kraft getreten war, fielen die Schläge hageldicht.
Binnen wenigen Tagen war die gesamte Parteipresse mit Ausnahme des Offenbacher
Tageblatts und der Fränkischen Tagespost in Nürnberg unterdrückt. Das gleiche Schicksal teilte die Gewerkschaftspresse mit Ausnahme des Organs des Buchdruckerverbandes, des "Korrespondenten". Auch war der Verband der Buchdrucker, abgesehen von den Hirsch- Dunckerschen Vereinen, die einzige Gewerkschaftsorganisation, die von der Auflösung verschont blieb. Alleübrigen fielen dem Gesetz zum Opfer. Ebenso verfielen der Auflösung die zahlreichen lokalen sozialdemokratischen Arbeitervereine, nicht minder die Bildungs-, Gesang- und Turnvereine, an deren Spitze Sozialdemokraten standen ... Das Trümmerfeld des Zerstörten wurde erweitert durch die Verbote der nicht periodisch erscheinenden Literatur. Dieser Hiobsbotschaft folgte am nächsten Tage die Mitteilung, daß67 unserer bekanntesten Parteigenossen, ausgewiesen worden seien. Damals gingen die Gerichte noch nicht so weit, Sammlungen für die Ausgewiesenen zu bestrafen, später aber, als die Behörden solche Sammlungen ausdrücklich auf Grund des Sozialistengesetzes verboten, wurde die Rechtsprechung eine andere. Wir mußten jetzt die Sammlungen ausschließlich für die Familien der Ausgewiesenen vornehmen ...
Die fortgesetzten Ausweisungen und die Schikanierung der Ausgewiesenen durch die Polizei hatten aber einen Erfolg, den unsere Staatsretter nicht vorausgesehen. Durch die Verfolgungen aufsäußerste erbittert, zogen sie von Stadt zu Stadt, suchtenüberall die Parteigenossen auf, die sie mit offenen Armen aufnahmen, undübertrugen jetzt ihren Zorn und ihre Erbitterung auf ihre Gastgeber, die sie zum Zusammenschlußund zum Handeln anfeuerten. Dadurch wurde eine Mengeörtlicher geheimer Verbindungen geschaffen, die ohne die Agitation der Ausgewiesenen kaum entstanden wären."
Die Sozialversicherungen
- Bevölkerungsexplosion aufgrund der Industrialisierung
- Verstädterung
- viele Arbeiter, Besitzlose demgegenüber gesellschaftliche Elite: Adel, Militär, Unternehmer, diese Konstellation barg Zündstoff
- keine soziale Absicherung
- wöchentliche Arbeitszeit ca. 60 Std.
- konstruktive staatliche Maßnahmen: soziale Lage der Arbeiterschaft verbessern
- Beginn der Planung zeitgleich zu den Sozialistengesetzen, das erste Gesetz passierte den Reichstag 1883
- ,,kaiserliche Botschaft" war als Forderung nach Sozialgesetzen voraus gegangen
Krankenversicherung (1883)
- neben weiterhin existierenden Kranken-, Innungs- und Knappschaftskassen:
- reichsweite Einführung der genossenschaftlichen Organisation der Ortskrankenkassen
- typische Arbeitkassen
- zahlten vom 3. Krankheitstage an in den ersten 13 Krankheitswochen (später 26) eine Beihilfe an den arbeitsunfähigen Arbeitnehmer
- ferner die Finanzierung der ärztlichen Behandlung sowie für Medikamente
- Beiträge je zur Hälfte von den Arbeitnehmer und den Arbeitgebern finanziert
Unfallversicherung (1884)
- Berufsgenossenschaften der Arbeitnehmer übernahmen Zahlungen bei Unfall eines Arbeiters
- Arbeiter brauchten nichts einzuzahlen
- trat nach Ablauf der Krankenversicherung ein, also nach Ablauf der 13. Woche der Arbeitsunfähigkeit
- Arzt- und Heilmittelkosten ab der 14. Woche von der Unfallversicherung übernommen
- bei dauernder Invalidität als Folge eines Unfalls erhielt der Arbeitnehmer zwei Drittel seines
- Lohns, bei Tod Hinterbliebenenrente in Höhe von 60 Prozent des Monatslohnes Alters- und
Invaliditätsversicherung (1889)
- sicherte jedem Arbeiter, der weniger als 2000 Mark im Jahr verdient hatte eine Altersrente nach dem 70. Lebensjahr zu, sowie eine Invaliditätsrente bei Arbeitsunfähigkeit
- finanziert je zur Hälfte durch Zahlungen von Arbeitern und Arbeitgebern
- darüber hinaus staatlicher Zuschuß
- Ursprünglich: die Arbeiter sollten keine eigenen Beiträge für die Sozialversicherungen zahlen, da
- dies die Einkommen schmälern und eventuell mit Unmut hätten reagieren können
- 1911: Zusammenfassung der drei Gesetze zur Reichsversicherungsordnung (RVO)
Kaiser Wilhelm zu den Sozialversicherungen
,,Schon im Februar dieses Jahres haben Wir Unsere Ü berzeugung aussprechen lassen, da ß
die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließlich im Wege der Repression
sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichm äß ig auf dem der positiven
Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sein werde. Wir halten es für Unsere
Kaiserliche Pflicht, dem Reichstage diese Aufgabe von neuem ans Herz zu legen. [ ... ] In diesem Sinne wird zunächst der von den verbündeten Regierungen [Gemeint sind die Monarchen der Bundesstaaten des Deutschen Reichs.] in der vorigen Session vorgelegte Entwurf eines Gesetzesüber die Versicherung der Arbeiter gegen Betriebsunfälle mit Rücksicht auf die im Reichstag stattgehabten Verhandlungenüber denselben einer Umarbeitung unterzogen, um die erneute Beratung desselben vorzubereiten. Ergänzend wird ihm eine Vorlage zur Seite treten, welche sich eine gleichm äß ige Organisation des gewerblichen Krankenkassenwesens zur Aufgabe stellt. Aber auch diejenigen, welche durch Alter oder Invalidität erwerbsunfähig werden, haben der Gesamtheit gegenüber einen begründeten Anspruch auf ein höheres Maßstaatlicher Fürsorge, als ihnen bisher hat zuteil werden können.
Bismarck über die Notwendigkeit zur Verbesserung der sozialen Lage der Arbeiterschaft
Der dritte Zweig der Reformen, die wir erstreben, liegt in der direkten Fürsorge für die
Arbeiter. Die Frage von Arbeitszeit und Lohnhöhe ist durch staatliche Einwirkung,überhaupt durch Gesetze außerordentlich schwierig zu lösen, durch irgendeine Gesetzgebung, die man macht, läuft man Gefahr, in die persönliche Freiheit, seine Dienste zu verwerten, sehr erheblich und unnütz einzugreifen. Denn wenn man die milchgebende Kuh oder die eierlegende Henne mit einem Male schlachtet, so geht damit die Industrie ein, um die es sich handelt, weil sie die ihr aufzulegende Last der kurzen Arbeit für hohe Löhne nicht tragen kann. Dann leidet darunter der Arbeiter ebenso wie der Unternehmer. Das ist also die Grenze, die geboten ist, und vor der jede gesetzliche Einwirkung haltmachen muß. Ich habe darüber auch nur sporadisch lokale Klagen gehört. Der eigentliche Beschwerdepunkt des Arbeiters ist die Unsicherheit seiner Existenz. Er ist nicht sicher, daßer immer Arbeit haben wird, er ist nicht sicher, daßer immer gesund ist, und er sieht voraus, daßer einmal alt und arbeitsunfähig sein wird. Verfällt er aber der Armut auch nur durch eine längere Krankheit, so ist er darin nach seinen eigenen Kräften vollständig hilflos, und die Gesellschaft erkennt ihm gegenüber bisher eine eigentliche Verpflichtung außer der ordinären Armenpflege nicht an, auch wenn er noch so treu und fleißig die Zeit vorher gearbeitet hat. Die ordinäre Armenpflege l äß t aber viel zu wünschenübrig."
Die Sozialdemokraten und die Sozialversicherungsgesetze
- umfangreiche Veränderungen ohne die Mitwirkung der Sozialdemokraten, sogar gegen ihre Stimmen im Reichstag
- die Partei, die die Interessen der Arbeiter vertreten wollte, spielte keine Rolle bei der `ArbeiterpolitikÂin den 1880 Âer Jahren
- SAP erklärte, "daß sie nach dem bisherigen Verhalten der herrschenden Klasse weder an ihre ehrlichen Absichten noch an ihre Fähigkeiten glaube".
- Aktivismus Bismarcks als taktisches Mittel um die Arbeiter von richtigen Wegen abzulenken
- Reformen als völlig unzureichend bewertet Bismarcks Sozialistengesetz und die Sozialversicherungen - Erfolg oder Mißerfolg ? Die Sozialversicherungen
- soziale Sicherheit der Arbeitnehmer stieg erheblich, da sie im Krankheitsfall und im Alter einen Rechtsanspruch auf finanzielle Leistungen besaßen
- deutsche Sozialgesetzgebung damit im internationalen Vergleich auf lange Zeit konkurrenzlos, Vorbild für die Welt
- Unternehmer blieb innerhalb seiner Fabrik trotz der sich allmählich wieder formierenden Gewerkschaften relativ autonom, bestimmte Arbeitsbedingungen wie Arbeitszeit und Arbeitslohn
- erster Schritt hin zur Sozialpartnerschaft
- Struktur der heutigen Sozialversicherungen: Bismarckscher Ansatz
Das Sozialistengesetz
- massive Beeinträchtigungen: chaotische Zuständen und Lähmung der Sozialdemokratie · Brandmarkung als Reichsfeinde und Verbot der sozialdemokratischen Presse verfehlte Wirkung nicht Reichstagswahlen 1881 Stimmenzahl auf 312.000
- Trend kehrte sich schnell um, 1890 konnte die SPD 1.427.000 Wählerstimmen auf sich vereinigen und wurde 1912 gar stärkste Fraktion im Reichstag
- Partei hielt in der Schweiz 1880 ihren ersten Kongreß ab
- Druckschriften wurden dort verlegt und nach Deutschland eingeschleust
- äußerer Druck - enger zusammenrücken, Empörung über die Unterdrückung - Solidarisierung zuvor noch ungebundener Arbeiter - Stärkung der SPD
- langfristige Wirkungen dieser Bekämpfungsstrategie waren äußerst negativ:
- Gegensatz zwischen der Arbeiterschaft - vor allem dem wachsenden Industrieproletariat - und dem Staat nahm zu und trug in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts zum Niedergang der Weimarer Republik bei:
- Kämpfe zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten die höhlten Legitimität des jungen Staates von der Straße her aus
- parlamentarische Bewältigung der Konflikte war nicht mehr möglich; gab dafür keine Tradition und daher auch keine gewachsenen und von allen Seiten für selbstverständlich erachteten und anerkannten Spielregeln für Streit
Diskussion:
Welches waren die eurer Meinung nach bedeutungsvolleren Maßnahmen Bismarcks?
Sozialgesetzgebung und Wirkung für Welt und heute
Sozialistengesetze als Undemokratie und Manko der dt. Vorkriegsdemokratie - Weltkriege?!
[Kann man das überhaupt so interpretieren mit dem Demokratiedefizit?]
Quellen:
- Geschichtsbücher
- Internet
- Peter Kritzer: ,,Kurze Programmgeschichte der Deutschen Arbeiterbewegung" München 1972
Häufig gestellte Fragen
Was war Bismarcks Sozialistengesetz?
Das Sozialistengesetz war eine Reihe von Gesetzen, die 1878 im Deutschen Reich unter Reichskanzler Otto von Bismarck erlassen wurden. Sie zielten darauf ab, die sozialdemokratische Bewegung zu unterdrücken. Die Gesetze verboten sozialistische und sozialdemokratische Organisationen, Versammlungen und die Verbreitung sozialistischer Schriften. Sie ermöglichten es der Polizei, sozialistische Aktivitäten zu unterbinden und Sozialisten zu verhaften.
Welche innenpolitische Lage herrschte im Kaiserreich im Jahr 1878?
Die sozialistische Bewegung, insbesondere die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP), erfreute sich wachsender Beliebtheit. Dies beunruhigte konservative Kreise, die darin eine Bedrohung der staatlichen Ordnung sahen. Nach Attentaten auf Kaiser Wilhelm I., die fälschlicherweise Sozialdemokraten zugeschrieben wurden, ergriff Bismarck die Gelegenheit, härter gegen Sozialisten vorzugehen.
Was forderte die SAP (Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands)?
Die SAP forderte unter anderem eine Weltrevolution der Arbeiterklasse, die Verstaatlichung der Produktionsmittel, gerechte Entlohnung, die Beseitigung sozialer und politischer Ungleichheit, Plebiszite und Arbeitszeitverkürzungen.
Wie reagierte Bismarck auf die sozialistische Bewegung?
Bismarck sah die sozialistische Arbeiterbewegung als Reichsfeind und betrachtete ihren internationalen Charakter als eine Bedrohung für die deutsche Einheit. Er fürchtete eine Revolution und nutzte die Attentate auf Kaiser Wilhelm I. als Vorwand, um die Sozialistengesetze zu erlassen.
Was war Bismarcks Doppelstrategie gegenüber den Arbeitern?
Bismarcks Doppelstrategie bestand darin, einerseits die berechtigten Wünsche der Arbeiterklasse durch Gesetze und Verwaltungsvorschriften zu erfüllen, um sie von den Sozialdemokraten zu lösen. Andererseits sollte die SAP entschieden bekämpft werden, um ihren Einfluss zu vermindern.
Was bewirkte das Sozialistengesetz?
Das Sozialistengesetz verbot alle Organisationen, die den Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung bezweckten, löste Parteiorganisationen und Gewerkschaften auf und verbot die Parteipresse. Viele Sozialdemokraten wurden verhaftet und verfolgt.
Welche Sozialversicherungen wurden eingeführt?
Im Kaiserreich wurden unter Bismarck folgende Sozialversicherungen eingeführt: 1883 die Krankenversicherung, 1884 die Unfallversicherung und 1889 die Alters- und Invaliditätsversicherung. Diese Gesetze sollten die soziale Lage der Arbeiterschaft verbessern und sie an den Staat binden.
Wie funktionierten die Sozialversicherungen?
Die Krankenversicherung zahlte Krankengeld und finanzierte ärztliche Behandlung und Medikamente. Die Unfallversicherung übernahm Zahlungen bei Arbeitsunfällen. Die Alters- und Invaliditätsversicherung sicherte eine Altersrente ab dem 70. Lebensjahr bzw. eine Invaliditätsrente bei Arbeitsunfähigkeit. Die Finanzierung erfolgte durch Beiträge von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und staatliche Zuschüsse.
Wie standen die Sozialdemokraten zu den Sozialversicherungsgesetzen?
Die Sozialdemokraten standen den Sozialversicherungsgesetzen ablehnend gegenüber, obwohl diese die Lage der Arbeiter verbesserten. Sie sahen darin ein taktisches Mittel Bismarcks, um die Arbeiter von den "richtigen" Wegen abzulenken und bewerteten die Reformen als unzureichend.
War Bismarcks Politik gegenüber den Sozialisten erfolgreich?
Die Sozialversicherungen waren ein Erfolg und etablierten Deutschland als Vorreiter in der Sozialgesetzgebung. Das Sozialistengesetz hingegen war langfristig nicht erfolgreich. Es führte zu einer Radikalisierung der sozialistischen Bewegung und trug letztendlich zum Niedergang der Weimarer Republik bei, da die Gegensätze zwischen Arbeiterschaft und Staat verstärkt wurden.
- Quote paper
- Wenke Christoph (Author), 2000, Bismarcks Sozialistengesetze und Sozialgesetzgebung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99560