War das Kind im Mittelalter wirklich unsichtbar? Diese bahnbrechende Untersuchung zur Geschichte der Kindheit, basierend auf Philippe Ariès' revolutionärem Werk, enthüllt, wie sich unsere Wahrnehmung und Behandlung von Kindern zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert grundlegend wandelte. Entdecken Sie, wie die Kindheit, wie wir sie heute kennen, erst allmählich Gestalt annahm, beeinflusst von sozialen, kulturellen und religiösen Strömungen. Ariès analysiert auf faszinierende Weise Gemälde, Kleidung, Spiele und Erziehungspraktiken, um aufzuzeigen, wie Kinder zunächst als kleine Erwachsene betrachtet wurden, bevor ihre Einzigartigkeit und Unschuld erkannt wurden. Tauchen Sie ein in die Welt des Mittelalters, in der Kinder selbstverständlich an Festen und Glücksspielen teilnahmen, ohne dass dies Anstoß erregte, und erleben Sie den Wandel hin zu einer Zeit, in der Moralvorstellungen und erzieherische Prinzipien die Kindheit formten. Verfolgen Sie die Entwicklung der kindlichen Kleidung, von der Uniformität des Mittelalters bis zur Einführung altersgerechter Mode im 17. Jahrhundert, und erfahren Sie, wie selbst die Kleidung ein Spiegelbild der veränderten gesellschaftlichen Einstellung gegenüber Kindern war. Ergründen Sie die subtilen Nuancen der bildlichen Darstellung von Kindern in Kunstwerken, von ihrer anfänglichen Abwesenheit bis zu ihrer zunehmenden Präsenz als individuelle Persönlichkeiten. Dieses Buch ist nicht nur eine historische Abhandlung, sondern eine tiefgründige Reflexion über unsere eigene Kindheit und die Wurzeln unserer modernen Vorstellungen von Erziehung, Familie und Gesellschaft. Es beleuchtet die schrittweise "Entdeckung" der kindlichen Unschuld und die damit einhergehende Verpflichtung, diese zu bewahren und gleichzeitig den Verstand des Kindes zu fördern. Lassen Sie sich von Ariès' brillanter Analyse fesseln und gewinnen Sie neue Einblicke in die komplexe und vielschichtige Geschichte der Kindheit, ein Thema, das uns alle betrifft. Begleiten Sie uns auf einer spannenden Reise durch die Jahrhunderte, auf der wir Zeugen der Geburt einer neuen Wertschätzung für die Kleinsten in unserer Gesellschaft werden und erfahren, wie sich die Kindheit von einer vernachlässigten Lebensphase zu einem zentralen Aspekt unserer Kultur entwickelte.
THEMA: Philippe Ariès: Geschichte der Kindheit
LITERATUR:
- Philippe Ariès: Geschichte der Kindheit, München 1975, 12. Auflage 1996, S. 45-218 BILDQUELLEN:
- http://www.ammma.uni-bielefeld.de/museum/ausstell/motive/motivmen.htm
- http://www.nga.gov
zum Buch
- Originaltitel: L’enfant et la vie familiale sous l’ancien règime
- 1960 in Frankreich erschienen, 1962 USA, 1975 erstmals in Deutschland
- löste die weitere und tiefgreifendere Erforschung der Kindheit aus
- dargestellter Zeitraum: von 16. Jh. bis ungefähr Mitte 19. Jahrhundert
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anthonis van Dyck (1599-1641)
Die ältesten Kinder Charles I., 1635 Öl auf Leinwand, 151x154cm - 1.Version Galleria Sabauda, Turin
Kindheit und ihre Ausdrücke
- Kindheitsvorstellung entspricht der Vorstellung von Abhängigkeit - herrschaftliche wie physische (petit garçon = kleiner Junge, junger Diener)
- keine Abgrenzung zur Adoleszenz, beide Begriffe werden ohne Unterschied genutzt (im Schullatein: puer und adolescens, im Französischen: pueri und adolescentes)
- Beginn 18. Jh.: in gehobeneren Schichten wird „Kind“ nur noch mit physischer Abhängigkeit, Schwäche besetzt und auf die erste Altersstufe bezogen (von jeune enfant zu petit enfant, junges vs. kleines Kind)
- dem Port-Royal (Zisterzienser-Kloster bei Paris) ist die Zunahme der Termini zur Kindheit zuzu- schreiben (bspw. Einteilung der Schüler in „Kleine“, „Mittlere“ und „Große“)
Bildliche Darstellung
- für das MA geht Ariès „... von einer Vorstellungswelt aus, die keine Kindheit kennt.“
- in der Malerei des 13. Jh. gibt es die ersten Anfänge, die sich in der Kunstgeschichte und Ikonographie des 15. und 16. Jh. wiederfinden
- besonders zahlreich und auffällig ist die Darstellung von Kindern als solchen, mit Ausgang des 16. und im 17. Jh.
- im 16. Jh. erscheint das tote Kind auf Grabbildern und in Familienportraits (dargestellt mit Sym- bolen wie einem Totenkopf oder einem Kreuz)
- zu Beginn des 17. Jh. werden sie die bevorzugten Modelle, das Kind wird allein und von seiner Fa- milie getrennt dargestellt
Kleidung
- im MA kleideten sich alle Altersstufen gleich, nur die soziale Hierarchie musste zum Ausdruck kommen
- im 17. Jh. bekommt das Kind (d.h. der Junge) Kleidung, die seinem Alter vorbehalten ist
- auffällig ist, dass Jungen gekleidet werden wie Mädchen und Mädchen gekleidet bleiben wie er- wachsene Frauen
- nach den Windeln/Wickeln folgen Rock, Kleid und Schürze/Lätzchen für beide
- sobald sie anfangen zu laufen, wird das Gängelband hinten am Kleid befestigt
- Jungen bekommen mit ca. 4-5Jahre die Kniehosen unter das Kleid (vorn geknöpft bzw. geöffnet) und einen Kragen
- Besonderheit: lange Hose für Jungen kamen Ende des 18. Jh. aus den Vororten (durch die Kriegs- marine)
- generell: Kleidung nicht gerade bewegungsfreundlich und kaum kindgerecht → erst Ende des 18. Jh. anpassungsfähiger
Spiele und Vergnügungen
- Spiele, Feste und Zerstreuungen waren im MA das Hauptmittel, um die Gemeinschaft enger zu- sammen zu bringen
- gilt besonders für die großen Feste, die an bestimmten Tagen im Jahr stattfanden
- Programme folgten traditionellen Regeln, in die auch die Kinder eingebunden waren
- spezielle Kinderfeste im Mai & November
- Glücksspiele wurden auch von den Kindern gespielt, man fand daran nichts Anrüchiges
- ab dem 17. Jh. traten Moralisten und Kirche entschieden, aber ohne großen Erfolg gegen das Glücksspiel und andere Spiele an → auch die Hausordnungen für die Kollegs und Kloster, in denen Vergnügungen aller Art untersagt waren, wurden häufig ignoriert
- im Laufe des 17. Jh. erkannten die Jesuiten die erzieherische Möglichkeit, die in den Spielen ste- cken konnte und nutzten diese
- parallel dazu kam es zur Spezialisierung von Spielen für die gesamte Gesellschaft, zu Spielen, die nur noch bestimmten Altersstufen oder Ständen vorbehalten waren
Die Entdeckung der Unschuld des Kindes
- Kinder galten nicht als sexuelle Wesen und darausfolgend konnte es keine negativen Auswirkungen (durch derbe Späße) geben → kindl. Unschuld konnte nicht verdorben werden, da es keine gab
- 1706 Schrift von Gerson, die sich mit der kindlichen Sexualität und Anregungen zum Umgang damit beschäftigt, um die ursprüngliche Verderbtheit des Kindes nicht zu fördern
- „So soll man nur nüchtern mit ihnen sprechen und nur züchtige Worte gebrauchen.“
- Kinder sollen sich beim Spielen nicht umarmen, mit bloßen Händen berühren oder sich an-
schauen
- große und kleine Kinder sollten getrennt schlafen
- ebenso sollen sie nicht mit Erwachsenen (auch des gleichen Geschlechts) in einem Bett liegen
- der Begriff „Schamgefühl“ hält Einzug → beträchtlicher Sittenwandel im 17. Jh. → neue moralische Auffassung von der Kindheit, die eher die Schwäche hervorhebt und mit Unschuld verbindet
- der Erziehung wird der erste Rang eingeräumt unter den Verpflichtungen gegenüber den Kindern
- Prinzipien, die von Jacquline Pascal (1721, in einer Schrift für die Regeln in Port-Royal) angespro- chen wurden, werden zur Doktrin, die von verschiedenen Orden anerkannt wird
1. Prinzip: Kinder niemals allein lassen
2.:Kinder nicht verhätscheln und frühzeitig an strenge Lebensregeln gewöhnen
3.: Zurückhaltung, Sittsamkeit im Auftreten vermitteln
4. Prinzip: Züchtigkeit
- es gilt nun die erkannte Unschuld zu wahren UND das Kind zu stärken, indem man für die Entwick- lung seines Charakters und Vernunft sorgt
Das Bild des Kindes hat sich vom Mittelalter, das kein Verhältnis zur Kindheit hatte, zum 18. Jahrhundert so weit verändert, dass man sich nun bemüht, die kindliche Mentalität zu durchschauen und die Kinder besser kennenzulernen.
„Sie sind junge Pflanzen, denen man viel Pflege angedeihen und die man oft gießen muß; mit einigen
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in Philippe Ariès' "Geschichte der Kindheit"?
Das Werk von Philippe Ariès untersucht die Wandlung des Konzepts "Kindheit" vom Mittelalter bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Es analysiert, wie Kinder dargestellt wurden, welche Rolle sie in der Gesellschaft spielten, und wie sich ihre Kleidung, Spiele und Erziehung im Laufe der Zeit veränderten.
Welchen Zeitraum behandelt Ariès in seinem Buch?
Ariès' "Geschichte der Kindheit" konzentriert sich hauptsächlich auf den Zeitraum vom 16. Jahrhundert bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts.
Wie unterschied sich die Vorstellung von Kindheit im Mittelalter von der im 18. Jahrhundert?
Laut Ariès gab es im Mittelalter keine klare Vorstellung von Kindheit als einer eigenständigen Lebensphase. Kinder wurden oft wie kleine Erwachsene behandelt, kleideten sich ähnlich und nahmen an den gleichen Aktivitäten teil. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich ein neues Verständnis von Kindheit als einer Zeit der Unschuld und besonderen Fürsorge, was sich in veränderter Kleidung, Spielen und Erziehungsmethoden widerspiegelte.
Wie wurden Kinder in der Malerei dargestellt?
Im Mittelalter wurden Kinder selten als eigenständige Individuen in der Malerei dargestellt. Ab dem 16. Jahrhundert tauchten Kinder häufiger in Familienporträts auf, manchmal sogar als Symbole der Trauer nach ihrem Tod. Im 17. Jahrhundert wurden Kinder zunehmend als individuelle Subjekte porträtiert, losgelöst von ihrer Familie.
Wie hat sich die Kinderkleidung im Laufe der Zeit verändert?
Im Mittelalter kleideten sich Kinder und Erwachsene ähnlich. Im 17. Jahrhundert entwickelten sich spezifische Kleidungsstile für Kinder, obwohl Jungen oft wie Mädchen gekleidet wurden und Mädchen wie erwachsene Frauen. Erst später entstanden altersgerechte und bewegungsfreundlichere Kleidungsstile.
Welche Rolle spielten Spiele und Vergnügungen im Mittelalter?
Spiele, Feste und Zerstreuungen waren im Mittelalter wichtig, um die Gemeinschaft zu stärken. Kinder waren in diese Aktivitäten eingebunden, einschließlich Glücksspiele, die von der Kirche und Moralisten kritisiert wurden. Im Laufe des 17. Jahrhunderts erkannten die Jesuiten jedoch den erzieherischen Wert von Spielen und nutzten sie.
Was bedeutet die "Entdeckung der Unschuld des Kindes"?
Die "Entdeckung der Unschuld des Kindes" bezieht sich auf eine veränderte moralische Auffassung von Kindheit, die im 17. Jahrhundert entstand. Kinder wurden nun als unschuldig und schutzbedürftig betrachtet, was zu neuen Erziehungsmethoden führte, die darauf abzielten, ihre Unschuld zu bewahren und ihren Charakter zu stärken.
Welche Prinzipien wurden bei der Erziehung im 18. Jahrhundert betont?
Im 18. Jahrhundert wurden Prinzipien wie ständige Aufsicht, frühe Gewöhnung an strenge Regeln, Zurückhaltung, Sittsamkeit und Züchtigkeit in der Erziehung betont. Es ging darum, die erkannte Unschuld zu wahren und gleichzeitig die Entwicklung von Charakter und Vernunft zu fördern.
- Quote paper
- Madeleine Jannasch (Author), 2000, Ariès - Geschichte der Kindheit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99408