Im späten 13. Jahrhundert schrieb der venezianische Kaufmannssohn Marco Polo zusammen mit dem Autor Rustichello da Pisa ein Buch namens „Il Milione“(1) . Sie waren beide in ein Gefängnis in Genua gekommen, nachdem Marco Polo bei einer Seeschlacht gefangen genommen wurde. „Später, im Jahre 1298 nach Christi Geburt, als er zusammen mit Messer Rusticiaus von Pisa im selben Gefängnis in Genua saß, bat er diesen, alles aufzuschreiben was er ihm erzähle.“(2) In dem Buch schilderte Marco Polo seinen 25 Jahre dauernden Aufenthalt im Reich des mon-golischen Herrschers Kubhilai Khan, und wie er von diesem das Amt eines Ge-sandten erhalten habe. Nach und nach beschreibt er die Sitten der Völker, die Fauna und Flora und die Geographie des gesamten fernen Ostens. Ob er aber wirklich als Gesandter von Khan und Papst durch das damals noch unbekannte China, Indien und Südostasien reiste, war bereits seit dem ersten Erscheinen des Milione umstritten und führte soweit, daß in Venedig eine Karnevalsfigur ent-stand, die dem Volk Lügen nach Art eines Baron Münchhausen erzählte : Marco Milioni(3).
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1 Über das genauere Zusammenarbeiten vgl. auch Münkler, Marina, Marco Polo. Leben und Le-gende, München 1998, S. 54 ff. , sowie Rieger, D. : Marco Polo und Rustichello der Reisende und sein Erzähler (in : Reisen und Reiseliteratur im Mittelalter und der Frühen Neuzeit (Chloe : Bei-hefte zu Daphins, Bd. 13)), S. 289-312, Amsterdam 1992.
2 Polo, M.: Il Milione : Die Wunder der Welt (Übers. v. Guignard, E.), Frankfurt 1997, S. 8.
3 Moule, A.C., Pelliot, P. (Hrsg.) : Marco Polo: The Discription of the World, 1. Band., London 1938, S. 33.
Inhaltsverzeichnis
2 Einleitung
2.1 Einleitende Worte
Quellenlage
2.1.1 Überreste der Reise Marco Polos:
2.1.1.1 Überreste in Venedig
2.1.1.2 Überreste in China
3 Die Argumente Haegers und Wood und der Versuch einer Wiederlegung an Hand des Miliones
3.1 Einleitende Worte
3.2 Der Tee
3.3 Das chinesische Schriftsystem
3.4 Die geschnürten Füße
3.5 Die chinesische Mauer
3.6 Das Nichterscheinen des Namens Marco Polo in chinesischen Quellen
4 Abschließende Worte
5 Literaturverzeichnis
5.1 Quellen
5.2 Literatur
2 Einleitung :
2.1 Einleitende Worte :
Im späten 13. Jahrhundert schrieb der venezianische Kaufmannssohn Marco Polo zusammen mit dem Autor Rustichello da Pisa ein Buch namens „Il Milione“[1]. Sie waren beide in ein Gefängnis in Genua gekommen, nachdem Marco Polo bei einer Seeschlacht gefangen genommen wurde. „Später, im Jahre 1298 nach Christi Geburt, als er zusammen mit Messer Rusticiaus von Pisa im selben Gefängnis in Genua saß, bat er diesen, alles aufzuschreiben was er ihm erzähle.“[2] In dem Buch schilderte Marco Polo seinen 25 Jahre dauernden Aufenthalt im Reich des mongolischen Herrschers Kubhilai Khan, und wie er von diesem das Amt eines Gesandten erhalten habe. Nach und nach beschreibt er die Sitten der Völker, die Fauna und Flora und die Geographie des gesamten fernen Ostens. Ob er aber wirklich als Gesandter von Khan und Papst durch das damals noch unbekannte China, Indien und Südostasien reiste, war bereits seit dem ersten Erscheinen des Milione umstritten und führte soweit, daß in Venedig eine Karnevalsfigur entstand, die dem Volk Lügen nach Art eines Baron Münchhausen erzählte : Marco Milioni[3].
Von diesen Zweifeln abgesehen, hat das Buch dennoch große Bedeutung für die Wissenschaft der folgenden Jahrhunderte. Die Beschreibung der Wunder, die von der Omnipotenz Gottes zeugen, das Wunder der versetzten Berge bei Baudac[4], das der schwebenden Säule vom Sanmarcan[5] und die wundersame Aussperrung des Volkes Gavi aus dem Grab des hl.Thomas[6], veranlaßten den Erzbischof von Canterbury, Thomas Bradwardine sich in seinem 1344 verfaßten Buch De causa Dei contra Pelagium mit den neuen Anfechtungen der Philosophie gegenüber dem Glauben auseinanderzusetzen.[7] Außerdem hat unter anderem das Buch Marco Polos und die darin beschriebenen Reichtümer Indiens und Cipangus, Christopher Columbus zu seiner Entdeckungsreise angeregt.[8]
In der heutigen marcopolianischen Wissenschaft vertreten unter anderem John W. Haeger[9] und Frances Wood[10] diejenigen, die den Wahrheitsgehalt des Buches bezweifeln, in ihren Arbeiten aber unterschiedliche Ergebnisse aufweisen. Während Haeger nur den Aufenthalt Marco Polos in Mangi, also Südchina in Frage zieht, stellt Frau Wood die These auf, Marco Polo sei niemals weiter, als Konstantinopel gekommen.[11] Allerdings kann das Buch von Frau Wood aufgrund zu vieler Errata[12] kaum als zitierfähig gelten.[13] Daß dieses Buch dennoch hier verwendet wird, ist nur damit zu begründen, daß es der aktuellste aller Texte gegen die These des Asienaufenthaltes Marco Polo ist.
Quellenlage :
2.1.1 Überreste der Reise Marco Polos:
2.1.1.1 Überreste in Venedig
Es existieren nur sehr wenige schriftliche Quellen, an Hand derer man weiteres über Marco Polo, und seine Reise erfahren könnte. Einige schriftliche Überreste, so sein Testament, ein Inventar über ein Drittel des Besitztümer bei seinem Tod sowie wenige Notizen, die Prozesse oder Schenkungen verzeichnen, sind das einzige was von Marco Polo aus dessen Zeit in Venedig in den Archiven noch vorhanden ist.[14] Insbesondere das Inventar von 1366 ist, in bezug auf den Chinaaufenthalt Marco Polos, eine besonders aussagekräftige Quelle. Hier sind einige kuriose Wertgegenstände aufgeführt, die Marco Polo durchaus aus dem Reich des Khubilai Khan mitgebracht haben könnte. So zum Beispiel ein buddhistischen Rosenkranz[15], oder eine der goldenen Befehlstafeln[16] die der Khan an Gesandte verteilte , um für sie einen Sonderstatus in Sachen Schutz, Reisebegleitung oder Unterkunft zu dokumentieren.[17] Weiterhin wird neben einem Beutel Rhabarber[18], der in China als Medizin diente, auch ein mongolischer Kopfschmuck in dem Inventar genannt, ein sogenannter Bogtaq[19], wie er auch von Johannes von Plano Carpine erwähnt wird[20].
2.1.1.2 Überreste in China
In China gibt es von der Reise des Marco Polo keinerlei Überreste, dies liegt zum einen an der schwierigen Lage in chinesischen und mongolischen Archiven, andererseits daran, daß sein Name bis heute nicht in Quellen aus der Zeit der Yüan-Dynastie erscheint Dennoch beweisen einige chinesische Dokumente indirekt seinen Aufenthalt in China.[21]
3 Die Argumente Haegers und Wood und der Versuch einer Wiederlegung an Hand des Miliones :
3.1 Einleitende Worte :
„Und so mutet es sehr seltsam an, daß in einem erklärtermaßen populären Werk von Tee, Schriftzeichen und geschnürten Füßen – drei Dingen also, die China nach westlicher Vorstellung hin symbolisieren – mit keinem Wort die Rede ist.“[22]
Das Buch Marco Polos wirkt, in den Augen von Haeger und Wood, vor allem dadurch unglaubwürdig, da es wichtige Dinge nicht erwähnt, die dennoch andere Reisenden in ihren Aufzeichnungen vermerkten, die einige Jahre vor oder nach Marco Polo das Reich des Großkhans durchreisten. Es waren dies die Franziskanermönche Johannes von Plano Carpini (1245-1247)[23], Wilhelm von Rubruk (1253-1255)[24] und Odorico da Pordenone (1314/7-1330)[25].
So sind die am häufigsten genannten Auslassungen, die Zweifel am Milione aufkommen lassen, daß Marco Polo den Tee, die chinesische Schrift und den Brauch, aus modischen Gründen, den Frauen die Füße durch Verschnüren zu verkrüppeln, nicht erwähnt.
Ebenso deutet das Fehlen der chinesischen Mauer im Buch Marco Polos und, daß sein Name nicht in Quellen in der Mongolei oder Chinas zu finden ist, für die Vertreter der Gegenthese darauf hin, daß Marco Polo nicht in China war. Allerdings sind die Auslassungen die Frau Wood als ausschlaggebend für ihre These nimmt, sind keineswegs durch sie „entdeckt „ worden. Bereits Henry Yule, wies 1871 in seinem Buch The book of Ser Marco Polo the Venetian Concerning the Kingdoms and Marvels of the East[26] auf die Lücken hin.[27]
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[1] Über das genauere Zusammenarbeiten vgl. auch Münkler, Marina, Marco Polo. Leben und Legende, München 1998, S. 54 ff. , sowie Rieger, D. : Marco Polo und Rustichello der Reisende und sein Erzähler (in : Reisen und Reiseliteratur im Mittelalter und der Frühen Neuzeit (Chloe : Beihefte zu Daphins, Bd. 13)), S. 289-312, Amsterdam 1992.
[2] Polo, M.: Il Milione : Die Wunder der Welt (Übers. v. Guignard, E.), Frankfurt 1997, S. 8.
[3] Moule, A.C., Pelliot, P. (Hrsg.) : Marco Polo: The Discription of the World, 1. Band., London 1938, S. 33.
[4] Il Milione, S. 36-41.
[5] Il Milione, S. 76.
[6] Il Milione, S. 312 und S. 326 f.
[7] Reichert, F. : Marco Polos Buch. Lesarten des Fremden, in: Fiktion des Fremden. Erkundung kultureller Grenzen in Literatur und Publizistik, hrsg. v. Dietrich Harth, Frankfurt a. M. 1984, S. 190.
[8] Es existiert in der Biblioteca Capitular y Columbina von Sevilla eine mit handschriftlichen Marginalien von Columbus selbst versehenes Manuskript der Divisament dou monde nach der Fassung des Francesco Pipino. Vgl. dazu Reichert, F. : Marco Polo und Columbus – Asien in Amerika. Zur Literaturgeschichte der Entdeckungen, ZfHf 15 (1988), S. 1-66.
[9] Vgl. den Artikel Marco Polo in China ? Problems with internal evidence, in :Bulletin of Sung-Yüan Studies 14, New York 1979.
[10] Vgl. das Buch Marco Polo kam nicht bis China, München 1996.
[11] Vgl. Wood, S. 208.
[12] Der Text von Igor de Rachewiltz Marco Polo went to China, in : Sonderdruck aus Zentralasiatische Studien des Seminars für Sprach- und Kulturwissenschaft Zentralasiens der Universität Bonn 27 (1997), (hrsg. W. Heissig und M. Weiers), S. 34-92), listet bereits über 50 (teilweise sehr grobe) Fehler auf.
[13] Ein sehr ausgiebiger und ergiebiger Text dazu ist der oben bereits zitierte Artikel von Igor de Rachewiltz.
[14] In der von Moule und Pelliot veröffentlichen Marco Polo: The Discription of the World, 2 Bd., London 1938 sind mehrere Dokumente, darunter das Testament und das Inventar Marco Polos abgedruckt, eine vollständige Sammlung dieser Dokumente findet sich bei Orlandini, G. : Marco Polo e la sua famiglia, in : Archivio veneto tridentino (1926), S. 1-68.
[15] Bosolo.j.modo di paternosri. Moule – Pelliot, Bd.1, S. 556. Den Rosenkranz beschreibt Marco Polo im Milione S. 307.
[16] Una tola.j..doro granda di comandamento. Moule – Pelliot, Bd. 1, S. 556.
[17] Il Milione, S. 14, 23, 126 f. und 161.
[18] Riobarboro in.j.sacho. Moule – Pelliot, Bd. 1, S. 555. Der Rhabarber wird im Milione auf Seite erwähnt.
[19] Bochta.j.doro con piere & perle. Moule – Pelliot, Bd. 1, S. 556.
[20] Gießauf, J. : Die Mongolengeschichte des Johannes von Plano Carpine: Einführung, Text, Übersetzung, Kommentar, Graz 1995, S. 131.
[21] Vgl. dazu auch den Punkt 3.6 hier.
[22] Wood, S. 106.
[23] Johannes von Plano Carpine war ein Gesandter des Papst Innocenz IV, der mit der Historia Mongalorum eine sehr ausführliche Beschreibung über die Sitten, und der Mongolen verfaßte.
[24] Der Missionar Wilhelm von Rubruk verfaßte über seine Reise das Itinerarium (Sinica Franciscana: Itinera et relationes fratrum minorum saeculi XIII et XIV, collegit Anastasius van den Wyngaert (Quaracchi 1929), S. 164-332) wurde ebenfalls von seinen Zeitgenossen nicht ernst genommen. (Reichert, F. : Chinas Beitrag zum Weltbild der Europäer. Zur Rezeption der Fernostkenntnisse Il Milione 13. Und 14. Jahrhundert, in : Das geographische Weltbild um 1300, in: ZfHF Beih. 6 (1989), S. 33-57.
[25] Da Ordorico da Pordenone, ein Missionar, dessen Liber de mirabilibus mundi (Sinica Franciscana, S. 413-495) sehr an das Milione des Marco Polo angelehnt ist.
[26] Yule, H. : The book of Ser Marco Polo the Venetian Concerning the Kingdoms and Marvels of the East, translated and edited, with Notes, by Colonel Sir Henry Yule, London 1871.
[27] Yule, H. : S. 108.
- Quote paper
- Timo Schwalbe (Author), 1999, Marco Polo in China? Tee, die Schrift, geschnürte Füße - über die Lücken im `Millione`und ihre Bedeutung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/993