Inwieweit beeinträchtigt eine durch Mund-Nasen-Schutz verdeckte Mimik die Emotionserkennung? Eine experimentelle Untersuchung


Bachelorarbeit, 2021

146 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

ABSTRACT

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

TABELLENVERZEICHNIS

1 EINFÜHRUNG
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung

2 FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHER HINTERGRUND
2.1 Die Mimik.
2.2 Emotionen und Emotionserkennung
2.3 Mund-Nasen-Schutz und Atemschutzmaske
2.4 Über die Bedeutung der Mimik
2.4.1 Die Mimik als Verständigungsmittel
2.4.2 Die Facial-Feedback-Hypothese
2.4.3 Der Face-Inversions-Effekt
2.4.4 Der Cross-Race-Effekt
2.4.5 Der Rückkopplungseffekt
2.4.6 Das Still-Face-Experiment
2.4.7 Die neurobiologischen Grundlagen der Spiegelneuronen
2.4.8 Beeinträchtigungen des mimischen Ausdrucks und Erkennung

3 ZUSAMMENFASSUNG UND ZWISCHENFAZIT

4 EXPERIMENTELLE UNTERSUCHUNG
4.1 Methodik
4.1.1 Versuchsplanung und Operationalisierung der Variablen
4.1.2 Versuchsaufbau und -durchführung
4.2 Ausw ertung
4.2.1 Deskriptive Statistiken
4.2.2 Interferenzstatistiken mit Hypothesentestung
4.3 Beantwortung der Forschungsfrage
4.4 Kritische Betrachtung und Diskussion

5 FAZIT UND AUSBLICK

6 LITERATURVERZEICHNIS

7 ANHANG

Abstract

Die vorliegende Bachelorarbeit untersucht den Einfluss einer teilweisen Verdeckung der Mimik durch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes auf Emotionserkennungen. Sie bezieht sich dabei auf unterschiedliche Dimensionen der Emotionserkennungen, die von der Unterscheidung der sieben Basisemotionen nach Paul Ekman über die Emotionserkennung des Lächelns bis zu der Emotionserkennung der Notlage reichen. Es wurde eine experimentelle Untersuchung durchgeführt und mit dem aktuellen Forschungsstand verknüpft.

Die experimentelle Untersuchung mit 80 Probanden (n = 80) im Alter von 17 bis 64 Jahren erhob Daten anhand einer Erhebungssoftware mit Fotostrecken, im Rahmen derer eine Emotionsbewertung seitens der Probanden über dargestellte Personen mit variierender Mimik erfolgte. Die Studie ist im Within-Subject-Design angelegt und geht auf die Überprüfung von vier Hypothesen zurück, von denen wir zwei Hypothesen bestätigen können. Dabei fanden wir heraus, dass Menschen jedes dritte Lächeln von einem Mund-Nasen-Schutz tragenden Gegenüber fehlinterpretierten. Weiter konnten wir schließen, dass die Emotionserkennung der Basisemotionen nach Paul Ekman bei einem Mund-Nasen-Schutz tragenden Gegenüber zu 19 Prozent weniger korrekt ausfiel, als wenn dieses Gegenüber keinen Mund-Nasen-Schutz trug. In den Kontext der ohnehin fehleranfälligen Interpretation der Basisemotionen des Menschen bedeutete dies, dass in der vorliegenden Untersuchung 59 Prozent der Emotionsausdrücke von den mit Mund-Nasen-Schutz dargestellten Personen korrekt eingeordnet werden konnten.

Wir zeigten eine hohe negative Korrelation (r = -0.50) zwischen dem Alter der Probanden und der Fähigkeit der Emotionsunterscheidung in der Aufgabe mit Mund-NasenSchutz auf. Insbesondere älteren Menschen bereiteten die Aufgaben offenbar Schwierigkeiten.

Der Durchschnitt der Probanden benötigte mehr als doppelt so lange, um die Aufgabe der Emotionserkennungen nach Paul Ekman von dargestellten Personen ohne MNS zu absolvieren, als wenn diese mit MNS dargestellt waren.

Die Erkenntnisse des theoretischen Teils deuten außerdem darauf hin, dass Emotion und Mimik eng verknüpft und Lernprozesse auf mimischen Ausdruck angewiesen sind.

Insgesamt kann diese Studie belegen, dass eine durch Mund-Nasen-Schutz teilverdeckte Mimik eine bedeutende Beeinträchtigung der Emotionserkennung nach sich zieht.

Die Thesis hat einen Umfang von 18574 Wörtern.

Grundlage ist der Leitfaden zum wissenschaftlichen Arbeiten in der Wirtschaftspsychologie in der Version 1.1 vom 01.08.2019.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Schematische Darstellung der Mimikmuskulatur nach Hjortsjö, 1970

Abb. 2: Eigene Darstellung einer Frau mit typischem MNS aus Stoff

Abb. 3: Atemschutzmaske der Feuerwehr (Vollmaske) auf einem Kunstkopf

Abb. 4: Aufbau einer Viertelmaske nach BGN Branchenwissen, Aberufen am 20.10.2020 (www.bgn-branchenwissen.de/daten/dguv/112_190/anh1.htm)

Abb. 5: Die Thatcher Illusion nach Wikipedia, Abergufen am 20.10 (https://de.wikipedia.org/wiki/Thatcher-Illusion#/media/Datei:Thatcher.PNG)

Abb. 6: Wahrnehmung eines an Prosopagnosia erkrankten Menschen

Abb. 7: Eigene Darstellung der Begrüßung der Probanden im Rahmen der Erhebungssoftware

Abb. 8: Eigene Darstellung der Abfrage der demographischen Daten im Rahmen der Erhebungssoftware

Abb. 9: Eigene Darstellung der Instruktion zu Fotostrecke 1/1 im Rahmen der Erhebungssoftware

Abb. 10: Eigene Darstellung einer beispielhaften Aufgabe in Fotostrecke 1/1 im Rahmen der Erhebungssoftware

Abb. 11: Eigene Darstellung einer beispielhaften Aufgabe in Fotostrecke 2/1 im Rahmen der Erhebungssoftware

Abb. 12: Eigene Darstellung einer beispielhaften Aufgabe in Fotostrecke 2/2 im Rahmen der Erhebungssoftware

Abb. 13: Eigene Darstellung einer beispielhaften Aufgabe in Fotostrecke 3/1 im Rahmen der Erhebungssoftware

Abb. 14: Eigene Darstellung einer beispielhaften Aufgabe in Fotostrecke 3/1 im Rahmen der Erhebungssoftware

Abb. 15: Eigene Darstellung der Instruktion zur letzten Aufgabe im Rahmen der Erhebungssoftware

Abb. 16: Eigene Darstellung der Fotostrecke der letzten Aufgabe im Rahmen der Erhebungssoftware

Abb. 17: Eigene Darstellung der jeweiligen Untersuchungsergebnisse im Rahmen der Erhebungssoftware

Abb. 18: Eigene Darstellung eines Streudiagrammes zu Fotostrecke 1/1

Abb. 19: Eigene Darstellung eines Streudiagrammes zu Fotostrecke 2/1

Abb. 20: Eigene Darstellung eines Streudiagrammes zu Fotostrecke 2/2

Abb. 21: Eigene Darstellung eines Streudiagrammes zu Fotostrecke 4

Abb. 22: Eigene Darstellung eines Streudiagrammes zu Fotostrecke 4

Abb. 23: Eigene Darstellung eines Boxplot-Diagrammes für das Ergebnis der Fotostrecke 1/1

Abb. 24: Eigene Darstellung eines Boxplot-Diagrammes für das Ergebnis der Fotostrecke 1/1 für beide Geschlechter

Abb. 25: Eigene Darstellung eines Boxplot-Diagrammes für das Ergebnis der Fotostrecke 2/1

Abb. 26: Eigene Darstellung eines Boxplot-Diagrammes für das Ergebnis der Fotostrecke 2/2

Abb. 27: Eigene Darstellung eines Boxplot-Diagrammes für die Dauer der Fotostrecke 3/1

Abb. 28: Eigene Darstellung eines Boxplot-Diagrammes für die Dauer der Fotostrecke 3/2

Abb. 29: Eigene Darstellung eines Boxplot-Diagrammes für das Ergebnis der Fotostrecke 2/2

Abb. 30: Eigene Darstellung eines Boxplot-Diagrammes für das Ergebnis der Fotostrecke 2/2

Abb. 31: Eigene Darstellung einer MNS tragenden Frau

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Eigene Darstellung des Stichprobenumfangs

Tabelle 2: Eigene Darstellung der Häufigkeitsverteilung der Ausprägung Alter der Stichprobe

Tabelle 3: Eigene Darstellung der Prognose der statistischen Power

Tabelle 4: Eigene Darstellung eines Ausschnittes der Datenablage in MS Excel

Tabelle 5: Eigene Darstellung der durchschnittlichen Ergebnisse der einzelnen Emotionen

Tabelle 6: Eigene Darstellung der Auswertung von abhängigen Stichproben (t-Test)

Tabelle 7: Eigene Darstellung der Auswertung von abhängigen Stichproben (t-Test)

Tabelle 8: Eigene Darstellung der Auswertung von abhängigen Stichproben (t-Test)

Tabelle 9: Eigene Darstellung eines Wilcoxon-Tests für verbundene Stichproben

Tabelle 10: Eigene Darstellung eines Wilcoxon-Tests für verbundene Stichproben

Tabelle 11: Eigene Darstellung eines Wilcoxon-Tests für verbundene Stichproben

Tabelle 12: Eigene Darstellung eines Wilcoxon-Tests für verbundene Stichproben

Tabelle 13: Eigene Darstellung eines Wilcoxon-Tests für verbundene Stichproben

Tabelle 14: Eigene Darstellung eines Wilcoxon-Tests für verbundene Stichproben

Tabelle 15: Eigene Darstellung eines Wilcoxon-Tests für verbundene Stichproben

Tabelle 16: Eigene Darstellung eines Wilcoxon-Tests für verbundene Stichproben

Tabelle 17: Eigene Darstellung der Berechnung des Eta-Koeffizienten

Tabelle 18: Eigene Darstellung der Berechnung des Eta-Koeffizienten

Tabelle 19: Eigene Darstellung der Berechnung des Eta-Koeffizienten

Tabelle 20: Eigene Darstellung der Berechnung des Eta-Koeffizienten

Tabelle 21: Eigene Darstellung der Berechnung der Signifikanz des Eta-Koeffizienten

Tabelle 22: Eigene Darstellung der Berechnung des Eta-Koeffizienten

Tabelle 23: Eigene Darstellung der Berechnung der Signifikanz des Eta-Koeffizienten

Tabelle 24: Eigene Darstellung einer Kreuztabelle zur Korrelationsanalyse

Tabelle 25: Eigene Darstellung einer Kreuztabelle zur Korrelationsanalyse

Tabelle 26: Eigene Darstellung einer Kreuztabelle zur Korrelationsanalyse

1 Einführung

1.1 Problemstellung

Seit Paul Ekman zusammen mit Wallace Friesen das Buch „Unmasking the Face” (1975) veröffentlichte, erlebt die Mimik und die damit verbundene Emotionserkennung einen Aufschwung an wissenschaftlicher Aufmerksamkeit. Dazu kamen sowohl angewandte klinisch-psychologische Interventionen als auch die Erforschung der neurobiologischen Grundlagen der Emotionen, die neue Erkenntnisse zu Prozessen um die menschliche Emotionserkennung und der damit einhergehenden Emotionsverarbeitung ermöglichten (Adolphs et al., 1999).

Ekman wollte die verschiedenen Regungen der menschlichen Mimik trennscharf bestimmt haben und kam zu dem Ergebnis, dass der Mensch kulturübergreifend sieben Basisemotionen erkennen und ausdrücken kann (Ekman, 1984, S. 21). Diese Emotionsausdrücke sollen nicht ohne Grund evolutionär entstanden sein, denn ein überraschtes Gesicht etwa bietet durch den aufgerissenen Mund eine bessere Atmungsmöglichkeit, während der Ausdruck von Ekel die Atemwege verschließt (Ekman, 1999, S.45 ff.). Diese Basisemotionen können demnach am menschlichen Gesicht aufgrund der variierenden mimischen Muskelkontraktionen abgelesen werden. Dazu zählen die Emotionen Freude, Furcht, Traurigkeit, Wut, Ekel, Verachtung und Überraschung (Ekman, 1984, S. 21 ff.). Auffällig ist hier insbesondere die Überlegenheit von negativen Emotionsausdrücken. Evolutionär macht dies aber durchaus Sinn: Für das Überleben in der Frühzeit war es existenziell wichtig, dass Mitmenschen negative Emotionen auf dem Gesicht des anderen erkennen konnten, um so vor dem exemplarischen wilden Mammut gewarnt zu sein. Positive Emotionsausdrücke mögen hier eine eher weniger überlebenswichtige Rolle gespielt haben.

Obwohl seit der Veröffentlichung des Buches viele Jahre vergangen sind und sich währenddessen die Forschung rund um die Mimik weiterentwickelt hat - auch heute noch behalten Ekmans Basisemotionen in vielen Kreisen höchste Gültigkeit. Inzwischen wird oftmals gar von Emotionaler Intelligenz gesprochen, wenn ein Mensch mit eigenen Emotionen ausdrucksstark umzugehen weiß und letztlich auch die Emotionen anderer gut erkennen und interpretieren kann (Eilert, 2013, S. 17). Zudem lassen sich schließlich viele Überschneidungen zwischen Emotionaler Intelligenz und Sozialer Intelligenz finden (Eilert, 2013, S. 20).

Wo die Welt der Emotionserkennung damals noch in Ordnung zu sein schien, tritt heute ein neuartiges Problem zutage: Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes (MNS), der den kompletten Bereich von der Nase bis zum Kinn überdeckt. Kann der Mensch mit zu Teilen verdeckter Mimik Emotionen so ausdrücken, dass Mitmenschen sie richtig interpretieren können? Eine Studie der Universität Bamberg hat sich dieser Fragestellung angenommen und kommt zum Ergebnis, dass das emotionale Lesen des Gesichtes durch einen Mund-Nasen-Schutz stark beeinträchtigt wird (Carbon, 2020). Weitere Forschungen zur mimischen Emotionserkennung konnten belegen, dass beispielsweise die Emotionsausdrücke Verachtung und Ekel durch bloße Betrachtung der Augengegend nur schwer unterschieden werden können. Und bereits im unmaskierten Gesicht zeigen Studien, dass Menschen sogar nur etwas mehr als jeden zweiten Gesichtsausdruck richtig zu deuten wussten (Hoheisel, 2005). Da nach jetzigem Stand kein Ende der Coronavirus-Pandemie und damit einhergehend kein Ende des Tragens des Mund-Nasen-Schutzes in Sicht zu sein scheint, müssen langfristige Auswirkungen auf Menschen und Gesellschaft genau untersucht werden.

1.2 Zielsetzung

Diese Arbeit soll anhand eines experimentellen Untersuchungsdesigns die offenen Forschungslücken rund um das teilweise Verdecken der Mimik mit weiteren Erkenntnissen bereichern und mögliche Auswirkungen des Tragens eines Mund-NasenSchutzes auf Körperprozesse benennen. Sie gliedert sich in zwei Hauptabschnitte, den theoretischen Hintergrund und den experimentellen Teil. Um den fehlenden Anteil der Mimik bewerten zu können und auf die Forschungshypothesen hinzuleiten, sollen Grundlagen und Theorien der Mimik und mimischen Emotionserkennung im theoretischen Teil dieser Arbeit behandelt werden. Die Erkenntnisse zur Bedeutung dieser sollen mit einer quantitativ ausgewerteten experimentellen Untersuchung kombiniert werden und zu einer weitreichenden Zusammenfassung und Diskussion über mögliche Auswirkungen führen.

Wir haben daher die Hypothese Hi „Wenn eine Person MNS trägt, kann deren Lächeln vergleichsweise schlechter erkannt werden, als wenn diese Person keinen MNS trägt“ aufgestellt, um zu erforschen, ob eine freundliche Gesinnung eines Gegenübers im Alltag schlechter identifiziert werden kann.

Weiter haben wir die Hypothese H2 „Menschen erkennen Emotionsausdrücke anderer in geringerem Ausmaß, wenn deren Mimik durch MNS teilverdeckt ist“ aufgestellt. Diese Hypothese soll alltägliche Situation aufgreifen, wie beispielsweise, ob der Emotionsausdruck Ekel bei einer Person im Supermarkt richtig erkannt werden kann.

Hypothese H3 lautet: „Eine Person in Notlage kann schlechter identifiziert werden, wenn diese Person MNS trägt, als wenn diese Person keinen MNS trägt.“ Die Untersuchung dieser Annahme soll prüfen, inwieweit Gefahrensituationen mit MNS erkannt werden können.

Zuletzt haben wir die Hypothese H4 aufgestellt, die prüfen soll, ob „die Wiedererkennungsrate eines Gegenübers sinkt, wenn diese Person einen MNS beim vorhergehenden Treffen getragen hat“.

2 Forschungsstand und theoretischer Hintergrund

Um alle Aspekte einer Emotionserkennung umfassend und verständlich zu beleuchten, macht es Sinn, die einzelnen Facetten voneinander abzugrenzen und genau zu definieren. Da die Wissenschaft sehr unterschiedliche Erkenntnisse in der Frage aufweist, inwieweit die Mimik und damit auch die mimische Erkennung des Menschen im Gesamtsystem Mensch von Bedeutung ist, soll im Folgenden eine Abgrenzung der in dieser Arbeit untersuchten Aspekte vollzogen werden. Außerdem gilt es die menschlichen Emotionen, die nach derzeitigem Wissen mit der Mimik eng verbunden zu sein scheinen, genauer zu erläutern und den Zusammenhang zur Emotionserkennung abzuleiten. Letztlich soll auch die Bedeutung des Begriffes Mund-Nasen-Schutz von übrigen Atemschutzmasken abgegrenzt werden.

2.1 Die Mimik

Die Mimik stellt einen wichtigen Aspekt der menschlichen Körpersprache und Kommunikation dar und ermöglicht einen differenzierten Ausdruck emotionaler Reaktionen des Menschen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die zugrundeliegenden Emotionen auf realen oder vorgestellten Ereignissen beruhen (Merten, 2017, S. 291 ff.).

Paul Ekman definierte die sogenannten Basisemotionen des Menschen, und damit Emotionsausdrücke der Mimik, die unabhängig von Kultur und Epoche von allen Menschen ähnlich ausgedrückt und erkannt werden. Dabei bildet die Mimik durch Gebrauch vielzähliger Muskeln verschiedene typische Muster, die sich in den Gesichtsbewegungen widerspiegeln. Erst als Ganzes wird daraus ein spezifischer emotionaler Ausdruck (Merten, 2017, S. 297 f). Ein Artikel im amerikanischen Journal American Psychologist befand anhand einer quantitativen Untersuchung sogar, dass die menschliche Mimik 28 unterschiedliche und meist kulturspezifische Emotionsausdrücke widerspiegelt (Cowen & Keltner, 2020).

Anatomisch betrachtet bewegen sich beim Lachen 135 Muskeln im Gesicht. Es fängt mit der mimischen Muskulatur an den Augen an, danach folgen die Muskeln seitlich des Mundes. Das Lachen ist dabei lediglich ein kleiner Teil der Mimik. Denn das komplexe System der Mimik ist noch sehr viel umfangreicher. Um diese Vielschichtigkeit zu verdeutlichen, muss angemerkt sein, dass Mimik keine Universalität darstellt, sondern sich in vielerlei Hinsicht von Mensch zu Mensch unterscheiden kann (Martin, 2009). Dabei stellen sich besonders die folgenden Eigenschaften dualisierend dar: Die Mimik beinhaltet angeborene und erlernte Anteile. Sie besteht aus kulturübergreifenden, sowie aus kulturspezifischen Merkmalen. Und sie drückt sich durch nicht kontrollierbare unbewusste Emotionsausdrücke, sogenannte Mikroexpressionen, sowie durch kontrollierbare und bewusste Regungen, aus (Eilert, 2013, S. 37).

Bereits im Jahr 1802 setzte sich Johann Jakob Engel mit der Mimik auseinander und schrieb das Buch „Ideen zu einer Mimik“. Damals leitete er die Wichtigkeit der Mimik aus dem Schauspiel seiner Zeit ab. Er schrieb nieder, dass „Feuer, Empfindung, Eingeweide, Wahrheit, Natur, Unmut alle im Munde führen, und kein einziger würde vielleicht wissen, was er dabei denken müsse (Engel, 1802, S.8)“ Er schließt seinen Brief an einen Freund mit den Worten: „So in dieser [das Schauspiel] und so in allen anderen Künsten: Und bloß die Mimik, wenn wir die Kunst nur erst hätten, sollte einen Unterschied machen (Engel, 1802, S. 16).“

Damit führt Engel bereits zwei bedeutende Aspekte der Mimik an: Erstens, dass die mimische Ausdrucksweise aus einem angeborenen Teil besteht, der sich im Laufe der Entwicklung des Menschen mit dem zu erlernenden Teil vervollständigt. Und Zweitens, lässt sich in den Aufzeichnungen finden, dass die Mimik einen bedeutenden Teil der zwischenmenschlichen Verständigung ausmacht, wobei sich Engel hier besonders auf die Kunst des Schauspiels bezieht.

Und die Wichtigkeit der Mimik wird mit ähnlich großer Bedeutung auch in der Neuzeit bedacht. So sagt beispielsweise der deutsche Mimikexperte Dirk Eilert in einem Radiointerview auf die Frage, wie wichtig es sei, die Mimik deuten zu können: „Wenn Sie mich fragen, ist es die wichtigste Fähigkeit, die wir brauchen, denn es geht um nichts anderes als um Empathie.“

Doch was genau beschreibt das Konstrukt der Mimik? Ist es ein Ausdruck von Emotionen auf dem eigenen Gesicht kombiniert mit einer tiefgreifenden biochemischen Körperfunktion? Hat sich die Mimik vorwiegend zu einem Mittel der Emotion oder einem Mittel der Kommunikation entwickelt?

An der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, der Charité in Berlin, forscht der Psychiater Georg Juckel am Zusammenhang zwischen der Mimik und Emotionalität. Denn hier kann möglicherweise eine entscheidende Schnittstelle bestehen, die die Einzigartigkeit in der Bedeutung der Mimik für viele Prozesse des menschlichen Körpers veranschaulicht. So beschreibt der Wissenschaftler, dass „[...] Emotionen wie Freude, Angst, Ekel etc. in der Regel verschiedene Dimensionen auf[weisen]. Sie haben eine gefühls- oder erlebnishafte Seite, besitzen eine kognitive (Bewertungsvorgänge) und eine motivationale (zu Handlungen führende) Komponente [und] haben einen biologischen- neuronalen Hintergrund [...] (Juckel, 2005, S. 379 f.).“ Juckel bezieht dabei seine Erkenntnisse induktiv aus den Beobachtungen und Untersuchungen depressiver Patienten. So hatte bereits Paul Ekman ausgeführt, dass fast jede Emotion von einer Regung des menschlichen Gesichtes begleitet wird (Ekman, 1993, S. 384). „Die zentrale Stellung des Gesichts und seiner Mimik beruht auf dessen phylo- und ontogenetischen Entwicklungsgeschichte als wichtigstes „Organ“ in der zwischenmenschlichen Kommunikation für Sendung und Empfang sozialer Signale,“ führt der Psychiater weiter aus (Juckel, 2005, S. 379 f.). Er untermauert dies, indem er auf Charles Darwin verweist, der der Meinung war, dass die Mimik sich zu nützlichen miteinander verbundenen Gewohnheiten und damit zu einem System sozialer Kommunikation entwickelt habe. Wie schon die Psychiater Bleuler und Kraepelin vor über hundert Jahren feststellten, drücken sich Emotionen psychiatrischer Patienten vortrefflich in der Mimik aus. So zieht Juckel als Fazit seiner Untersuchung, dass eine verminderte mimische Ausdrucksfähigkeit für depressive Patienten charakteristisch sei. Zeigt dies im Umkehrschluss, dass eine gut funktionierende Mimik essenziell wichtig sein kann für eine gesunde menschliche Psyche? Oder kann die gesunde Psyche verantwortlich sein für eine gut funktionierende und aktive Mimik? In Kapitel 3.2 (Die Facial-Feedback- Hypothese) soll diese Frage näher untersucht werden.

Dass mimische Ausdrücke eine rein kognitive Seite haben können, findet sich in einer experimentellen Untersuchung von Paul Ekman aus dem Jahr 1993, das im methodischen Bereich die regionale elektrische Aktivität des Gehirns messen sollte. Dabei schloss er, dass nicht jedes Lächeln dasselbe bewirken konnte: Nur die nicht künstlich erzeugte, und in seinen Augen somit wahre Form des Lächelns, bildete das physiologische Muster ab, das mit Freude verbunden war, und entsprechend wurden bei den Probanden dabei verstärkt Glückshormone ausgeschüttet und Stresshormone gebremst (Ekman, 1993, S. 387 f.).

Eine weitere Untersuchung von Robert Levenson, Paul Ekman und Wallace Friesen aus dem Jahr 1990 fand dabei ebenfalls eine erhöhte Ausschüttung von Glückshormonen, die die Wissenschaftler nicht bei einem erlernten mimischen Ausdruck nachweisen konnten. Diese resümierten im Zusammenhang mit diesen Ergebnissen, dass freiwillige Gesichtsaktionen eine emotionsspezifische Aktivität des autonomen Nervensystems erzeugt (Levenson et al., 1990, S. 363 ff.)

In einem Journal, das von der American Psychological Association (APA) veröffentlicht wurde, konnten Forscher im Jahr 2020 im Rahmen einer experimentellen Untersuchung belegen, dass eine Störung der Aktivierung der mimischen Muskulatur bei den Probanden zu dem Resultat führte, dass sie höhere Risiken eingingen als eine Vergleichsgruppe. Um messen zu können, wie viel Risiko die Probanden bereit waren einzugehen, stellten die Wissenschaftler als Aufgabe an die Probanden, möglichst viele Luftballons mit einer Pumpe aufzublasen, die jedoch bei schnellerem Aufpumpen platzen konnten. Hier zählten sie die Anzahl der tatsächlich aufgeblasenen plus der gescheiterten aufgeblasenen Luftballons der Probanden. Hierbei wurde die Experimentalgruppe mit einem gepolsterten Helm in ihren mimischen Regungen gestört. Die Vergleichsgruppe zeigte aufgrund des Risikos in der experimentellen Aufgabenstellung häufig ängstliche mimische Ausdrücke, was die Experimentalgruppe aufgrund des Polsters so gut wie nicht ausdrücken konnte. Die Gruppe mit manipulierter Mimik zeigte deutlich mehr Risikobereitschaft (Carpenter & Niedenthal, 2019).

Das Journal of Personality and Social Psychology publizierte im Juli 2020 eine Untersuchung, in der Forscher belegen konnten, dass Probanden, die weniger lächelten, auch weniger bereit waren Aktivitäten durchzuführen, die spaßig klangen. Das Lächeln durfte allerdings nicht erlernt sein, damit die beteiligten mimischen Muskeln während dem Emotionsausdruck aktiviert wurden (Pressman, Acevedo, Hammond & Kraft-Feil, 2020).

Festzuhalten ist also: Es kommt ganz darauf an, ob eine mimische Regung als soziale Handlung erlernt wiedergegeben wird, oder Ausdruck eines tieferen innenstehenden Prozesses ist, und sich somit in kongruenter Mimik ausdrückt.

Kongruente Mimik ist dabei eine in sich stimmige Ausdrucksform, was beispielsweise bei einem Lachen ein Zusammenziehen der Augen und nicht ein bloßes Anheben der Mundwinkel zeigt. Dirk Eilert stellt dabei die These auf, dass Charisma aus einer kongruenten Ausdrucksform der Mimik entspringt. Unter Charisma versteht er dabei eine besonders weitreichende Ausstrahlungskraft eines Menschen, die nach Eilert durch echte, und damit nicht durch soziale oder kulturelle Gegebenheiten hervorgerufene Emotionsausdrücke entsteht (Eilert, 2013, S. 52).

Auch im Jahr 2020 ist die Mimik noch nicht gänzlich untersucht und die Frage nicht beantwortet, ob Auswirkungen der Mimik auf unterschiedliche Körperprozesse oder unterschiedliche Körperprozesse als Auswirkung auf die Mimik überwiegen. Möglicherweise kann ein Blick auf die Anatomie der Mimik weitere Einblicke verschaffen. Die individuell angeregten mimischen Muskeln bezeichnete der schwedische Anatom Hjortsjö (1971) mit fortlaufenden Ziffern und sind in Abbildung 1 zu entnehmen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Schematische Darstellung der Mimikmuskulatur (Hjortsjö 1970, S.48)

Die Mimik des Menschen ist verschiedenen Wissenschaftlern nach ein hoch differenziertes Ausdrucks- und Kommunikationssystem. Die Komplexität der Mimik entstehe dabei nicht nur durch die Vielzahl der beteiligten Muskelgruppen des Gesichts, sondern erhöht sich noch durch das dynamische Zusammenspiel der mimischen Teilbewegungen, auf deren zeitliche Aufeinanderfolge die beteiligten Sozialpartner interpretatorisch sehr sensibel reagieren (Merten, 1997, S. 179 f.; Schwab, 2007).

Prof. Dr. Jörg Merten fügt hinzu: „Schon kleine Fehler im Timing der beteiligten Muskeln eines Gesichtsausdrucks lassen so aus einem authentischen Emotionsausdruck ein mühsam gestellt wirkendes Verhalten werden (Merten, 2016, S. 291).“

Forscher untersuchten zudem in einer Studie, inwieweit die Kopfhaltung bei mimischen Ausdrücken Auswirkung auf die Ausdrucksqualität eines mimischen Ausdrucks hat: Diese belegte, dass selbst die Haltung des Kopfes einen Baustein zum Effekt auf die Mimik als Ganzes darstellt und somit mimische Ausdrücke und Emotionserkennungen anderer beeinflusst (Witkower & Tracy, 2020).

Mimik existiert nicht nur beim Menschen, sondern ist auch im Tierreich zu beobachten. So zeigen Mäuse Mimik, wie Nejc Dolensek und sein Team vom Max-Plank- Institut für Neurobiologie in einer Publikation in der Fachzeitschrift Science im April 2020 anführen konnten (Dolensek, Gehrlach, Klein & Gogolla, 2020).

Und selbst mit der Entwicklung der Sprache trat die mimische Information in ihrer Bedeutung nicht zurück. Wie die österreichische Tageszeitung „Der Standard“ im April 2020 titelte, sollte Mimik ähnlich einer ständigen Feedbackwolke gesehen werden. Dementsprechend lösen nicht nur die Sender von Mimik etwas beim anderen aus, sondern auch der Empfänger beim Sender, da dieser mit einer hochsensiblen mimischen Antwort zum Ausdruck bringt, wie er zu den dargebotenen Inhalten steht. Damit könnte die Mimik der Emotionalität näherstehen als die gesprochene Sprache, da diese ohnehin in großen Teilen bewusster vonstattengeht als mimische Ausdrücke.

2.2 Emotionen und Emotionserkennung

Jeder Mensch durchlebt täglich unterschiedliche Emotionen. Manche können unangenehm sein, andere erfreulich. Emotionsforscher bezeichnen den Menschen als hoch entwickeltes Wesen, gerade weil er vielfältige Emotionen erleben und ausdrücken kann und oft eine spezifische Handlung aus einer Emotion resultiert. Zur Frage, was Emotionen ausmacht, antwortet der Emotionsforscher Peter Bak, dass diese das „Salz in der Suppe unseres Erlebens“ seien (Bak, 2019).

Emotionen bilden einen grundlegenden Anteil am menschlichen Erleben und Verhalten, denn sie haben Einfluss auf vielfältige Prozesse des Gehirns, allen voran der Wahrnehmung, des Lernens und der Erinnerung (Arnold & Holzapfel, 2008). Und bei fast allen zwischenmenschlichen Kontakten spielen sie eine maßgebliche Rolle (Rimé, Finkenauer, Luminet, Zech & Philipphot, 1998). Insbesondere entfalten sie ihre Bedeutung bei sozialer Interaktion (Gottman, 1993) und laut Merten (2003) sind sie verantwortlich für Verhaltensausprägungen.

Nach Fuchs (2013) sind Emotionen jedoch keine absolute Beschaffenheit, sondern ein Konstrukt, mit dem sich die Psychologie seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts intensiv auseinandergesetzt hat.

Dr. Katharina Anna Fuchs lehrt am psychologischen Institut an der Universität Gregoriana in Rom und beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Emotionserkennung und Empathie. Dabei verdeutlicht sie deren beider Zusammenhang wie folgt: „Um die Sichtweise einer anderen Person einnehmen zu können, ihre Gedanken und Gefühle zu verstehen oder Mitgefühl für sie zu entwickeln, ist die Fähigkeit, deren emotionalen Gesichtsausdruck zu identifizieren unabdingbar, um diesen daraufhin zu imitieren und davon ausgehend stellvertretend mit der Person mitzuerleben (Fuchs, 2014, S.20).“

Dieses Zitat soll einleitend die Wichtigkeit der Emotionserkennung unterstreichen und eine Verbindung zur Empathie schaffen.

Inwieweit erfolgt Emotionserkennung über die Mimik? Eine Studie im amerikanischen Journal Emotion (2020) kam - wie auch vorhergehende Studien - zum Schluss, dass Menschen unterschiedliche visuelle Fixierungsmuster des eigenen Blickes auf dem Gesicht des anderen nutzen, um Emotionen zu erkennen. Je nach mimischem Emotionsausdruck kommt es dabei zu unterschiedlichen Fixationsmustern. Dabei wurde aber keine Korrelation zwischen dem Nutzen eines jeweiligen Musters und einer prozentualen Emotionserkennungsrate festgestellt. Die Ergebnisse implizierten, dass eine extrafoveale Verarbeitung, also eine Verarbeitung des peripheren Sichtfeldes einen größeren Anteil an der Emotionserkennung bei mimischen Emotionsausdrücken hat als bisher angenommen (Yitzhak, Pertzov, Guy & Aviezer, 2020). Hier sollen die aufgestellten Forschungshypothesen untersuchen, ob eine solche Verarbeitung der Emotionen durch das Tragen des MNS gestört sein kann.

2.3 Mund-Nasen-Schutz und Atemschutzmaske

Der Mund-Nasen-Schutz (MNS) ist ein Medizinprodukt, das den unteren Teil des menschlichen Gesichts von der Nase bis zum Kinn bedeckt (Abbildung 2). Er dient dem Zweck, die Übertragung von Viren, Bakterien oder Schafstoffen zu reduzieren. Ein am Gesicht des Trägers anliegender MNS filtert sowohl die eingeatmete als auch die ausgeatmete Luft.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Eigene Darstellung einer Frau mit typischem MNS aus Stoff

Die Atemschutzmaske allgemein ist ein Oberbegriff für Gesichtsmasken, die den Träger vor in der Luft befindlichen Schadstoffen oder Krankheitserregern schützen sollen. Dabei werden Atemschutzmasken in Voll-, Halb- und Viertelmasken eingeteilt. Ein Beispiel für Vollmasken sind Atemschutzmasken der Feuerwehr. Diese schützen das Gesicht, sowie die Atemwege, vor toxischen Gasen und Rauch (Abbildung 3).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Atemschutzmaske der Feuerwehr (Vollmaske) auf einem Kunstkopf (Brodersen, Volmer, Romba, Schmidt 2015, Nürnberg, S. 12)

Dabei ist die Maske durch eine Dichtlinie abgedichtet. Der gesamte frontale Kopfbereich wird von der Maske bedeckt, bietet aber dank einer Verglasung einen freien Blick auf die Augenpartie. Bei dieser Art von Maske versorgt eine auf dem Rücken getragene Flasche den Träger der Atemschutzmaske mit frischem Sauerstoff (Brodersen, Volmer, Romba, Schmidt 2015, Nürnberg, S. 12).

Die vor allem im medizinischen Bereich getragenen FFP-Masken (englisch: filtering face piece) sind dafür zuständig, die Luft zu filtrieren und je nach Aufgabengebiet schützen diese die Atemwege vor Partikeln einer definierten Größe, die in der Luft vorkommen können. Diese Masken gehören zu den Halbmasken. Allgemein umschließen Halbmasken den Mund, die Nase und das Kinn. Dagegen umschließen Viertelmasken lediglich Mund und Nase (Abbildung 4).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Aufbau einer Viertelmaske (BGN Branchenwissen, 2020)

Welche Partien des Gesichtes werden also bei der jeweilig getragenen Maske verdeckt? Da die Atemwege bei allen Arten der Atemschutzmaske geschützt werden sollen, verdecken die Masken mindestens den Bereich über Mund und Nase (vgl. Abbildung 2, Abbildung 3 und Abbildung 4). Die Viertelmaske hat die Besonderheit, dass sie nicht den gesamten Mundbereich verdeckt und so im seitlichen Gesicht einen großen Teil der Mimik freigibt. Alle Halbmasken verdecken den unteren Bereich des Gesichtes bis knapp unter den Augen. Hier wird also ein Großteil der Mimik verdeckt. Die Vollmasken verdecken dadurch, dass sie das gesamte Gesicht von der Außenluft isolieren auch die gesamte Mimik. Allerdings ist hier eine durchsichtige Sichtfront eingearbeitet, die einen - wenn auch verminderten - Blick auf die Augenpartie zulässt.

2.4 Über die Bedeutung der Mimik

Die Mimik ist direkt mit dem Limbischen System, dem Emotionszentrum des Menschen, verdrahtet und ist deshalb sehr unwillkürlich und schwer steuerbar (Juckel, 2005; Eilert, 2013, S. 29). Um die Vielseitigkeit des mimischen Ausdrucks und dessen Relevanz zu unterstreichen, sollen im folgenden Kapitel wichtige Funktionen und Effekte der Mimik ausführlich dargestellt und diskutiert werden.

Dabei soll stets eine Brücke zur experimentellen Untersuchung dieser Arbeit - dem Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und dem diesbezüglichen Verdecken der Mimik - geschlagen werden. Einzelne Facetten können Auswirkung auf die aufgestellten Forschungshypothesen haben. So könnte der in Kapitel 2.4.2 beschriebene Face-Inversions-Effekt die Emotionserkennung mehr beeinträchtigen, als durch ein bloßes Verdecken von Teilen der Mimik durch MNS zu erwarten wäre. Dagegen könnte der in Kapitel 2.4.3 diskutierte Cross-Race-Effekt Gegenteiliges bewirken. Die Mimik als Verständigungsmittel (Kapitel 2.4.1) soll einleitend die wohl bekannteste Funktion der Mimik beschreiben. Wichtige Erkenntnisse können auch Schlussfolgerungen von kranken und behinderten Menschen bieten, die nicht über die Fähigkeit eines mimischen Ausdrucks verfügen oder keine Emotionsausdrücke erkennen können (Kapitel 2.4.7). Aus dieser Erkenntnislage wollen wir die daraus resultierende Bedeutung der Mimik für die menschlichen Körperprozesse und die psychische Beschaffenheit des Menschen zusammenfassen (Kapitel 3).

2.4.1 Die Mimik als Verständigungsmittel

Die Mimik ist zweifellos ein wichtiger Bestandteil der menschlichen Kommunikation. Um herauszufinden, wie wichtig der Beitrag der Mimik zur Kommunikation als Ganzes ist, kann eine Studie aus dem Jahr 1989 hilfreich sein. Dabei wurde untersucht, inwieweit die Mimik im nonverbalen Verhalten von Lehrern einen Effekt auf die Wahrnehmung der Schüler zwischen 9 und 17 Jahren hatte. Die Schüler bekamen mimische Ausdrücke, sowie Gesten und Körperhaltungen von Lehrern vorgezeigt. Dabei sollten vor allem die beiden Ausdrucksweisen feindlich und sozial unterschieden werden, wobei anfangs nur die Mimik variierte. Lächeln und Stirnrunzeln beispielsweise hatten starke Effekte auf die Kinder, bei deren Gebrauch eine Einordnung in die beiden Kategorien relativ leichtfiel. Die in der zweiten Phase variierende Gestik und Körperhaltung hatte indes nur schwache Auswirkungen auf die Beurteilungen der Schüler (Neill, 1989).

Damit zeigt sich, dass die Mimik zumindest im nonverbalen Gebrauch eine relativ große Wichtigkeit aufweisen kann.

Das Buch „Körpersprache und Kommunikation - Nonverbaler Ausdruck und Soziale Interaktion“ beschäftigt sich mit experimentellen Verfahren zur Erforschung nonverbaler Kommunikation und fasst zusammen, warum der Mensch überhaupt kommuniziert. Dabei stellt die Autorin fünf Funktionen der nonverbalen Kommunikation heraus, die sie wie folgt definiert:

- Äußerung von Emotionen
- Mitteilung sozialer Beziehungen
- Unterstützung verbaler Äußerungen
- Selbstdarstellung
- Rituale.

Die Äußerung von Emotionen stellt dabei nach ihr eine der wichtigsten Funktionen dar und drückt sich vortrefflich in der Mimik aus (Argyle & Schmidt, 1979, S.16).

Und auch bei der Interaktion zur Mitteilung sozialer Beziehungen steht die Mimik neben Berührungen und Tonfall im Fokus. Dass mimische Ausdrücke zur Unterstreichung von verbalen Äußerungen immens wichtig sind, und auch dem Sender der Sprache stetig Feedback geben, wurde in Studien belegt und wird in Kapitel 2.4.4 (Die soziale Rückkopplung) näher beleuchtet. Dazu kommt, dass Menschen stets mimisch und gestisch kommunizieren, sobald sich diese in Sichtweite befinden (Bavelas, 2006). Auch im Rahmen der Selbstdarstellung und in Ritualen spielen mimische Ausdrücke eine Rolle. Beispiele für Rituale sind Begrüßungen wie Lächeln oder Handschütteln oder gruppenspezifische Verhaltensnormen wie weit aufgerissene Augen und Mund beim Torjubel im Fußball (Argyle & Schmidt, 1979, S. 16 f).

Dass nonverbale Kommunikation die verbale Kommunikation gar ersetzen kann, zeigt der Gebrauch der Gebärdensprache, die ein selbiges Ausdrucksniveau erreichen kann wie die gesprochene Sprache. Dabei scheint die Prosodie, also die Gesamtheit der lautlichen Eigenschaften, wie beispielsweise Tempo, Rhythmus und Pausen, die auch in Gebärdensprachen ausgedrückt werden können, wichtiger zu sein als Tonlage und Aussprache (Leuninger, 2007).

Dass aber auch die gesprochene Sprache ein wichtiges Werkzeug der Kommunikation darstellt, zeigt ein Buch von Michael Tomasello (2009): Hier wird die Hypothese untersucht, ob die gesprochene Sprache - evolutionär aufgebaut auf ursprünglichen Zeigegesten - in einem bestimmten Rahmen als höchste Stufe der Kommunikation angesehen werden kann. Demnach sollen sich konventionelle Sprachen auf dem Fundament der bereits verstandenen Gesten entwickelt haben, was in eine komprimierte Form der Kommunikation gemündet haben soll. Der Vorteil der gesprochenen Sprache gegenüber Gesten, Mimik und Körpersprache sei, dass Sprache höchst effektiv vonstattengehen kann. Dabei wird aber oft ein gemeinsamer kultureller Hintergrund und gemeinsames Wissen der Kommunikationspartner vorausgesetzt (Tomasello, 2009, S.21).

Die Wichtigkeit der Mimik als Verständigungsmittel im Hinblick auf alternative Kommunikationsmethoden wie die gesprochen Sprache oder Körpersprache ist demnach in der Wissenschaft nicht eindeutig bekannt, bzw. variiert je nach Forschungsgegenstand. Dass mimische Gesten genau wie andere Gesten (z.B. das Fingerzeigen) schon von Kleinkindern verstanden werden, zeigt, dass sich ein Zusammenspiel verschiedener Kommunikationsmittel evolutionär entwickelt hat und deshalb einer jeden Komponente entsprechende Wichtigkeit zukommen kann.

Mimische Gesten in ihrer Komplexität der Intensität können also vermutlich nicht vollständig durch Körpergesten oder gesprochene Sprache ersetzt werden. Jedoch kann wohl eine Intention, die einen Menschen zum Ausdruck einer mimischen Bewegung veranlasst, durch einen Ausdruck von Sprache und Gestik in ähnlicher, wenn auch weniger komplexen Weise dargeboten werden.

Wichtig ist, dass im entsprechenden Bezugsraum ein Ausweichen auf andere Kommunikationskanäle überhaupt möglich ist. So könnte ein Problem resultieren, wenn Menschen sich in einer bei Stillarbeit sitzenden Bibliothek befinden und einer der Studierenden die anderen durch laute Geräusche stört. Hier genügte in der Vergangenheit ein kurzer verächtlicher mimischer Ausdruck in die Richtung des Störenden, um alles mitzuteilen, was nötig war. Tragen jedoch alle Beteiligten einen Mund-Nasen-Schutz, so müsste wohl auf eine Handgeste ausgewichen werden.

2.4.1 Die Facial-Feedback-Hypothese

Die Facial-Feedback-Hypothese besagt, dass Gesichtsmuskelbewegungen das eigene emotionale Erleben beeinflussen. Sie besteht bereits seit 140 Jahren und geht im Wesentlichen auf Charles Darwin zurück. Bis heute forscht die Wissenschaft an dieser Hypothese und noch immer ist unklar, inwieweit mimische Ausdrücke für Emotionserleben verantwortlich sind. Und auch die Bedeutung einzelner mimischer Komponenten ist umstritten und der Dermatologe Eric Finzi (2013) stellt fest, dass das Sprichwort, die Augen seien das Fenster zur Seele, besser hintenangestellt wäre und eher die Augenbrauen als Fenster zur Seele angesehen werden sollten.

Nach der Facial-Feedback-Hypothese spiegelt die Mimik nicht nur das emotionale Innenleben wider, sondern ist auch selbst für die Erzeugung von Gefühlen und Stimmungen verantwortlich (Finzi, 2013).

Und was haben Botox und Emotionen gemeinsam? Äußerst wenig, könnte man meinen. Jedoch haben beide eine starke Verbindung zur Mimik. Ersteres will ein Zusammenziehen der mimischen Muskeln verhindern und Zweiteres will die mimischen Muskeln aktivieren. In der Untersuchung „Face of Emotion: How Botox Affetcs Our Moods and Relationships“ (2013) arbeitet der Autor heraus, wie Botulinumtoxin (Botox) die mimische Ausdruckskraft mindert. Dabei konnte er bei depressiven Patienten beobachten, dass ihnen eine Botox-Behandlung half, da sie hierdurch weniger negative mimische Ausdrücke - und damit verbundene Emotionen - äußern konnten (Finzi, 2013). Zu einem fast deckungsgleichen Ergebnis kam auch eine Studie von Alam, Barrett, Hodapp und Arndt (2008).

Die ursprüngliche Facial-Feedback-Hypothese teilte sich im 20. Jahrhundert in zwei Erklärungsansätze auf. Auf der einen Seite besagt der Ansatz des bewussten kognitiven Prozesses nach Laird (1974), dass zuerst die physische Reaktion stattfindet. Dies kann die Muskelbewegung eines Lächelns sein. Hier unterstellt Laird einen kognitiven Rückschluss, der lauten könnte wie: „Ich lächele, also bin ich fröhlich.“ Die weitere kognitive Verarbeitung löst dann die resultierende Emotion im Gehirn aus (Laird, 1974).

Der zweite Erklärungsansatz ist der Ansatz der unbewussten psychologischen Prozesse und besagt, dass durch den mimischen Ausdruck ein unbewusster Prozess angestoßen wird, der die Erfahrung der Aktivierung der Mimik und deren einzelner Muskeln mit der Erfahrung der Emotion verknüpft und dabei die Emotion im Gehirn hervorruft (Zajonc, 1989).

Hier teils widersprechend finden sich neuere Studien, die zwar ebenfalls eine emotionale Auswirkung durch eine Kontraktion der Gesichtsmuskeln bestätigen, jedoch bezieht sich die entstandene Emotion dabei weniger auf das eigene Selbst, sondern eher auf andere Personen. So konnten Ito, Chiao, Devine, Lorig und Cacioppo (2006) belegen, dass die Einstellungen zu anderen Personen durch ein manipuliertes Aktivieren der Gesichtsmuskeln während des Betrachtens verschiedener Fotos zwischen Experimental- und Kontrollgruppe signifikant unterschiedlich ausfielen. Die Kontrollgruppe wurde dabei keiner mimischen Manipulation ausgesetzt. Resultat: Die Experimentalgruppe bewertete Fotos anhand des Implicit Association Tests (IAT), der implizite Vorurteile erfassen sollte, besser, wenn dabei die Lachmuskeln aktiviert waren (Ito, Chiao, Devine, Lorig & Cacioppo, 2006).

Welche Bedeutung hat dies im Rückschluss für das Tragen des Mund-NasenSchutzes? Da aktuell noch nicht gesichert ist, inwieweit Menschen auch unter einem Mund-Nasen-Schutz Emotionsausdrücke ausleben, kann hier lediglich gemutmaßt werden. Sollten unter dem Mund-Nasen-Schutz vermindert mimische Muskelkontraktionen stattfinden, dann hätte dies vermutlich einen erheblichen Effekt auf das Wohlbefinden des Trägers und dessen gewohnten emotionalen Prozessen, sowie auf die unbewusste Bewertung anderer Personen. Sollten Menschen auch unter einem Mund- Nasen-Schutz in ähnlichem Ausmaß Emotionen ausdrücken, als wenn sie diesen nicht tragen würden, so hätte dies vermutlich keinen nachteiligen Effekt.

2.4.2 Der Face-Inversions-Effekt

Der Face-Inversions-Effekt lässt sich in das Forschungsfeld der Gesichtswiedererkennung einordnen. Er beruht auf einer Untersuchung der Verhaltenspsychologie und beschreibt den Effekt, dass Personen andere Personen besser wiedererkennen können, wenn sie diese Gesichter in gewohnter Weise präsentiert bekommen haben. Hier nutzte der Forscher Robert Yin vom Massachusetts Institute of Technology (1969) eine Experimental- und eine Vergleichsgruppe, um beiden Gruppen Gesichter von bekannten Personen des öffentlichen Lebens und unbekannten Personen zu demonstrieren. Dabei bekam die Experimentalgruppe die Gesichter falsch herum präsentiert. Es zeigte sich, dass diese Gruppe signifikant weniger Gesichter zuordnen konnte als die Vergleichsgruppe. Bemerkenswert war dabei, dass beide Gruppen im Vorhinein die Personen zu sehen bekamen, die sie später wiedererkennen sollten. Die Gesichter der Experimentalgruppe waren aber auch hier auf den Kopf gedreht. Jedoch konnte der Wissenschaftler daraus keine Schlüsse auf die Besonderheiten der Gesichtserkennung ziehen. Deshalb führte er dasselbe Experiment mit Gegenständen wie einem Haus und Strichfiguren durch. Hier stellte sich heraus, dass der Effekt des Auf-den-Kopf-Stellens auf das Resultat gegenüber der gewohnten aufrechten Betrachtung sehr viel geringer ausfiel. Es belegt also einen größeren Inversionseffekt für Gesichter als für andere Stimuli. Dies wies als eines der ersten Ansätze auf ein neuronales Erkennungssystem im Gehirn hin (Yin, 1969).

Darauf aufbauend existieren mittlerweile viele tiefgreifendere Forschungen, wie beispielsweise eine Untersuchung, die die sogenannte Thatcher Illusion beleuchtet:

Zwei Gesichter werden falsch herum präsentiert, wie in Abbildung 5 zu sehen ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5: Die Thatcher Illusion (Wikipedia, 2020)

Dabei scheinen dem Betrachter falschherum präsentierte Gesichter weniger seltsam auszusehen, als wenn das merkwürdig aussehende Gesicht richtigherum gezeigt wird (Thomson, 1980). So sieht das Gesicht links unten in Abbildung 5 weniger merkwürdig aus, als wenn dasselbe Gesicht (rechts unten) aufrecht dargeboten wird. Dies zeigt, dass unser Gehirn auf aufrechtstehende und damit gewohnt dargebotene Gesichter programmiert sein könnte.

Hier schließt sich der Kreis hin zu der Untersuchung dieser Arbeit. Wenn unser Gehirn evolutionsbedingt besser mit der gewohnten Präsentation von Gesichtern umgehen kann, dann könnte ein Gesicht, das durch einen Mund-Nasen-Schutz verdeckt ist, ähnlich des Inversionseffektes, schlechter im neuronalen System erkannt werden.

2.4.3 Der Cross-Race-Effekt

Der Cross-Race-Effekt, der wahlweise auch als Cross-Race-Bias, Other-Race- Bias oder Own-Race-Bias bezeichnet wird, beschreibt die Tendenz des Menschen, Personen des eigenen ethnischen und kulturellen Umfeldes besser unterscheiden und wiedererkennen zu können, als Personen einer ungeläufigen ethnischen Zugehörigkeit und Kultur (Meissner & Brigham, 2001). Dieser Effekt kann allerdings nicht nur in zwischenmenschlichen Situationen veranschaulicht werden, sondern kann grob auf Tiere und sogar Objekte übertragen werden: Ein klassisches Beispiel hierfür ist, dass eine Person, die selten oder nie zuvor Dalmatiner gesehen hatte, zu einer Ansammlung von Dalmatinern sagen würde, dass diese zumeist gleich aussehen. Hat die Person jedoch selbst einen Dalmatiner, so könnte sie diesen laut eigener Aussage unter Hunderten wiedererkennen - der Cross-Race-Effekt soll dafür verantwortlich sein.

Laut einer aktuellen Untersuchung, die in der 11. Ausgabe des Journals „Frontiers in Psychology“ (2020) publiziert wurde, konnte jedoch ein Fragebogen, in welchem die Teilnehmer der Studie nach dem Ausmaß an interrassischen Kontakten befragte wurden, nicht signifikant vorhersagen, inwieweit die Probanden im nachfolgenden Experiment den Cross-Race-Effekt abbildeten. Darüber hinaus stützten die Ergebnisse in der beschriebenen Untersuchung ebenfalls die Annahme, dass unterschiedliche neuronale Mechanismen bei der Gesichtsverarbeitung gewohnter Gesichter einen Teil der Effektstärke beschreiben könnten und deshalb die der näherstehenden Ethnie und Kultur im Gehirn effektiver verarbeitet werden können (Wong, Stephen & Keeble, 2020, S. 208).

Für die in dieser Arbeit aufgestellten Forschungshypothesen relevant könnte der Cross-Race-Effekt allemal sein und erhebliche Auswirkung mit sich bringen: Die anfangs ungewohnte Situation bedeckter menschlicher Mimik könnte mit der Zeit zu einer gewohnten Situation werden. Laut des Cross-Race-Effektes könnte somit nicht nur die Wiedererkennung eines Mund-Nasen-Schutz tragenden Menschen mit der Zeit verbessert werden, sondern möglicherweise auch die Emotionserkennung, da Gesichtspartien außerhalb der Verdeckung durch die Maske dann möglicherweise effektiver und gewohnter interpretiert werden könnten. Hier empfiehlt sich eine Längsschnittstudie, die in Verbindung mit Mund-Nasen-Schutz tragenden Personen in der westlichen Welt bis dato noch nicht durchgeführt wurde.

2.4.4 Die soziale Rückkopplung

Eine bedeutsame Schlussfolgerung der Sozialpsychologie über die menschliche Kommunikation ist, dass man nicht nicht kommunizieren kann, wie der Kommunikationsforscher Paul Watzlawick im ersten seiner fünf Axiome zum systemischen Wesen der Kommunikation beschreibt (Willemse & Ameln, 2018). Hier gilt der Satz, dass keine Antwort auch eine Antwort ist und dass sobald sich ein Kommunikationspartner in Seh- oder Hörweite befindet, auch zwingend Kommunikation stattfindet (Bavelas, 2006).

Die soziale Rückkopplung beschreibt dazu, dass ein ständiger Abgleich stattfindet. Dieser Abgleich kann zum Beispiel auf ein Ziel hingerichtet sein. Die Person gleicht also ständig ab, ob sie diesem Ziel näherkommt oder nicht. Und je nachdem, was dieser Abgleich ergibt, verändert dies - bewusst sowie unbewusst - die eigenen Handlungen und Wahrnehmungen. Menschen haben damit auf andere Menschen ständig einen Einfluss (Beetz, 2016).

Eine Untersuchung, die an der University of Michigan und der Ohio State University in den USA durchgeführt wurde, belegte, dass soziale Rückkopplung das endogene Opioidsystem aktiviert. Damit können also körpereigene Endorphine ausgeschüttet werden, was laut der Untersuchung zu einer Zunahme der subjektiven Glücksempfindung führt (Hsu et al, 2013, S. 1211 ff.).

Die Autoren einer Studie stellen sogar die These auf, dass intime Beziehungen und die darin enthaltenen Rückkopplungen für das emotionale Wohlbefinden maßgeblich verantwortlich sind. Auf der anderen Seite kann negative soziale Rückkopplung zum Gegenteil führen und damit endogene Opioide hemmen. Dagegen eher gewappnet sollen Menschen mit hohen Resilienzen sein. Diese Personen tragen somit viele Ressourcen zur Bewältigung von Hindernissen, also persönliche Widerstandskräfte, in sich. Das Ausmaß dieser Resilienz kann beispielsweise durch Persönlichkeitsmerkmale oder genetische Veranlagung bestimmt sein (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2019).

Die Mimik ist ein wichtiger Bestandteil der sozialen Rückkopplung. Gerade in der Entwicklung eines Menschen spielt dieses ständige Feedback eine essenzielle Rolle, worauf in Kapitel 3.6 („Das Still-Face-Experiment“) näher eingegangen wird.

Fraglich ist an dieser Stelle, welchen Stellenwert die Mimik im Bereich der sozialen Rückkopplung einnimmt. Fest steht aber bereits, dass eine fehlende mimische Feedbackfunktion durch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes die soziale Rückkopplung beeinträchtigen kann und demnach das Wohlbefinden eines Menschen beeinflussen könnte (Hsu et al, 2013).

2.4.5 Das Still-Face-Experiment

Das Still-Face-Experiment (übersetzt das Experiment mit regungslosem Gesicht) wurde erstmals im Jahr 1987 durchgeführt und beruht auf dem Entwicklungspsychologen Edward Tronick, der in den 1970er und 1980er Jahren bekannt für seine Untersuchungen zur Mutter-Kind-Bindung wurde.

Im Journal „Psychotherapy Research“ erläutern die Autoren Tronick und Ham, inwieweit das Still-Face-Experiment die Arbeit der Psychophysiologie in der MutterKind-Beziehung bereichern könnte. Das im Artikel beschriebene Experiment greift die frühe Entwicklungsphase von Kleinkindern im Alter von fünf Monaten auf und macht deutlich, dass bereits zu diesem Zeitpunkt eine soziale Interaktion zwischen Mutter und Kleinkind möglich ist, und nicht wie oftmals angenommen, dass eine solche Interaktion lediglich auf Initiative der Mutter möglich sei (Ham & Tronick, 2009).

Das Experiment gewinnt im Kontext dieser Arbeit an Bedeutung, da das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes ein in gewissem Ausmaß ähnliches regungsloses Gesicht darstellen könnte, wie es Mütter im Experiment simulieren.

Der Ablauf des Experiments ist in drei 2-minütige Phasen unterteilt, während deren die Mutter des Kindes eine jeweils genau definierte Aufgabestellung vornimmt, bei der stets ihre Mimik eine entscheidende Rolle spielt. Die Mutter sitzt dem Kind, das bequem in einem Kindersitz liegt, gegenüber und blickt ihm dabei direkt ins Gesicht. Die Gesichter der beiden sind sich sehr nahe und während der ersten Phase spielt die Mutter freudig mit dem Kind in gewohnter Spielsituation. Sie und das Kind lächeln dabei immer wieder und die Mutter reagiert auf das Fingerzeigen des Kleinkindes oder kitzelt es beispielsweise.

In der zweiten Phase des Experimentes kommt es zur eigentlichen relevanten Untersuchung: Die Mutter blickt das Kind noch immer an, verharrt jedoch regungslos in ihrer Mimik, auditiven Sprache und Körpersprache. Da das Kind es gewohnt ist, dass die Mutter auf Mimik, Bewegungen, Sprechversuche und Gesten reagiert, tritt nun eine dem Kind ungewohnte Situation auf, die sogenannte Still-Face-Situation.

Die dritte Phase des Experimentes bildet schließlich die Wiedervereinigung: Die Mutter beruhigt das Kind wenn notwendig und fängt wieder an gewohnt mit ihm zu kommunizieren und es aufzuheitern.

Ziel der Untersuchung ist es also, dass die Mutter die Erwartungen des Kindes bezüglich dessen erlernten sozialen Interaktionen enttäuscht und damit Stress auslöst. Das Kind beginnt in der regungslosen Phase der Mutter oftmals zu weinen und will anfangs auf sich aufmerksam machen, die Mutter zurück zum Spielen bewegen. Im weiteren Verlauf mündet dies bei vielen Kleinkindern in Frustration, Schreien und verzweifelten Versuchen, der Mutter eine Regung zu entlocken. Hier kann die Selbstregulation eines Kindes unter Stress beobachtet werden: Einige Kinder wenden sich dem Gesicht der Mutter ab, saugen an den Fingern oder nutzen weitere Stressregulationen. Im Übrigen wurde die Untersuchung in der früheren Vergangenheit auch mit Vätern durchgeführt. Hier wurden weitgehend ähnliche Ergebnisse erzielt.

Dieses Experiment bildet eine wichtige Grundlage der Entwicklungspsychologie und zeigt, dass Menschen bereits im infantilen Alter eine soziale Verbindung suchen und diese auch bewerten können (Hamlin, Wynn & Bloom, 2007). Und nicht nur für Kleinkinder mag dies Gültigkeit bewahren, auch im Erwachsenenalter sind Menschen häufig auf emotionale Reaktionen von Menschen angewiesen, vor allem wenn diese ihnen nahestehen.

Doch was geschieht, wenn das „Stille Gesicht“ dem Kind über eine längere Zeitperiode hinweg präsentiert wird? Da eine solche Untersuchung nicht ethisch vertretbar ist, gibt es hierfür keine wissenschaftlichen Untersuchungen. Jedoch lassen sich aus dem beschriebenen Experiment induktiv Schlüsse ziehen.

So kann die Bindung zwischen Bezugsperson und Kind gestört werden, da es zu einer schädlichen ambivalenten Beziehung führen kann. Eine ambivalente Bindung kann durch ein teilweises Nichtbeachten und nicht Reagieren der Bezugsperson auf Nöte und Bedürfnisse des Kindes entstehen, meist über einen längeren Zeitraum. Das Kind weiß dann nicht mehr, ob es einer Reaktion der Bezugsperson vertrauen kann. Damit kommt es zu einem Vertrauensbruch und damit zu einem gestörten Urvertrauen gegenüber der Mutter (McLanahan & Beck, 2010).

Jedoch ist ein regungsloses Gesicht wie im Experiment nicht direkt mit dem Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes vergleichbar: Denn Eltern können die fehlende Mimik durch Sprache, Gestik und Regungen der Augenpartie zumindest teils ausgleichen. Auch könnte das Kind sich über die Zeit an die eingeschränkte Mimik der Eltern gewöhnen und möglicherweise kommt der Cross-Race-Effekt (vgl. Kapitel 2.4.3) bereits im frühen Alter zur Geltung.

2.4.6 Die neurobiologischen Grundlagen der Spiegelneuronen

Das Deutsche Ärzteblatt gab in der Ausgabe 49 (2009) einen Artikel „Über die Kraft der Spiegelneuronen“ heraus. Dabei wirft der Artikel die Frage auf, was im Gehirn eines Menschen geschieht, wenn dieser mit anderen Menschen interagiert. Auf biochemischer Ebene kann hier die Aktivierung von sogenannten Spiegelneuronen beobachtet werden:

Spiegelneuronen sind ein Resonanzsystem im Gehirn, das aktiviert wird, wenn beispielsweise auf dem Gesicht eines Gegenübers eine emotionale Regung erkennbar ist. Hier werden eigene Nervenzellen also bereits aktiviert, wenn die Mimik eines anderen nur beobachtet wird. Auch in der Medizin können Schlaganfallpatienten mit Lähmungen an den Extremitäten offensichtlich durch reines Beobachten von Arm- oder Beinbewegungen das Wiedererlernen von verlorenen Fertigkeiten beschleunigen. Der Artikel führt aus, dass somit ein somatischer Perspektivwechsel zwischen dem Selbst und dem Gegenüber stattfindet. Dies suggeriert, dass wir fühlen und erleben können, was andere fühlen und erleben, in einer Art innerer Simulation. Im Artikel wird hinzugefügt, dass nicht nur durch Beobachten, sondern auch durch Hören einer Handlung, Spiegelneuronen aktiviert werden können (Baller & Schaller, 2009, S. 2483).

Die Entdeckung der Spiegelneuronen geschah zufällig und geht auf ein italienisches Forscherteam zurück: Im Jahr 1996 wollte das Team herausfinden, wie Handlungen im Gehirn von Primaten geplant und umgesetzt werden. Sie untersuchten die Nervenzellen eines Schimpansen, indem dieser an ein Messgerät angeschlossen wurde. Dabei gelang die vielbeachtete Entdeckung, dass der Schimpanse ein selbiges Aktivitätsmuster im Gehirn erzeugte nicht nur wenn er die Nuss selbst ergriff, sondern auch wenn ein Teammitglied nach der Nuss griff. Das Gesehene wurde also im Gehirn des Schimpansen „gespiegelt“ (Cengiz et al., 2018).

Da entsprechende Experimente zu diesem Zeitpunkt nur an nicht-menschlichen Primaten durchgeführt wurden, war lange ungeklärt, ob das menschliche Gehirn identisch funktioniert. Jedoch wiesen Techniken wie die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) drauf hin, dass gleiche oder zumindest sehr ähnliche Aktivitäten im menschlichen Gehirn stattfinden (Loporto, Holmes, Wright & McAllister, 2013). 2002 haben Rizzolatti, Fogassi und Gallese die Existenz des Spiegelneuronensystems im Brodmann-Areal im menschlichen Gehirn belegt. Dieses Areal wird mit der Wiedererkennung von Handlungen und Imitation in Verbindung gebracht (Rizzolatti, Fogassi & Gallese, 2002). Eine 2010 publizierte Studie berichtete schließlich über den ersten direkten Nachweis von Spiegelneuronen beim Menschen (Mukamel, Ekstrom, Kaplan, Iacoboni & Fried, 2010).

Spiegelneuronen sind unter anderem für Lernprozesse zuständig, da das Beobachtete im Gehirn zu einer ähnlichen neuronalen Aktivität wie beim Ausführenden führt. Dieses Lernen ist Teil des Modelllernens und bildet einen wichtigen Bestandteil des menschlichen Lern- und Entwicklungsprozesses (Arnold & Holzapfel, 2008).

Um sich selbst von der möglichen Existenz dieser Spiegelneuronen zu überzeugen, kann eine Situation im Fußball dienlich sein: Nach einem Foul liegt ein Spieler mit schmerzverzerrtem Gesicht im Rasen und hält sich die schmerzende Stelle des Körpers. Viele Menschen werden hier ebenfalls vor dem Fernseher oder im Stadion das Gesicht verziehen und sozusagen mitfühlen - nicht selten wenden die Zuschauer ihre Blicke ab. Aus demselben Grund könnte auch das Gähnen einer anderen Person ansteckend wirken. Dies ist ein Hinweis auf die Aktivität dieser speziellen SpiegelNervenzellen.

Eine Harvard-Langzeituntersuchung konnte möglicherweise eine einzigartige Ausprägung von Spiegelneuronen beobachten: Die Wissenschaftler verfolgten über einen Zeitraum von 28 Jahren Absolventen der Universität, um deren späteres Verhalten zu analysieren. Bevor sie die Universität verließen, wurden sie nach eigenen Zielen befragt. Einige der Absolventen wollten Manager oder Führungskraft werden, und einige wollten lehrend tätig sein.

Das Ergebnis nach 28 Jahren: Egal welche Ziele sie ursprünglich angaben; sie managten und lehrten in relativ gleicher Weise, wie sie damals gemanagt und gelehrt wurden. Die Beobachtung resümiert, dass Spiegelneuronen auf zwei verschiedenen Wegen aktiv werden: Auf der einen Seite sofort und auf der anderen Seite eines Tages. Unser Gehirn speichert also möglicherweise Handlungen über Jahre hinweg ab, um sie dann in gegebener Situation abzurufen (Taylor, 2016).

Dies könnte auch bei der Erziehung von Kindern zu Tage treten. Denn viele Kinder werden, wenn sie so alt sind wie ihre Eltern damals, eine ähnliche Erziehung an den eigenen Kindern vollziehen, wie ihre Eltern damals. Sie haben sogenannte Spiegelneuronenprogramme abgespeichert und führen diese später nach dem Prinzip Lernsituation gleich Abrufsituation meist unbewusst aus.

Wir können also vermutlich mit unseren Mitmenschen gemeinsam Emotionen erleben und spiegeln meist durch die Mimik des anderen dessen Emotionen. Dass dies für Empathie und Zusammenhalt wichtig sein kann, ist sehr wahrscheinlich. Durch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes verlieren wir jedoch zu einem großen Teil diese Eigenschaft, denn die Mimik ist, wie in Kapitel 2.2 (Emotionen und Emotionserkennung) beschrieben, der bevorzugte Ausdrucksbereich der menschlichen Emotionen.

Welche Auswirkungen dies im dauerhaften Zustand auf die neuronalen Vernetzungen unserer Spiegelneuronen haben könnte, ist unerforscht. Herkömmliche Nervenzellen im Gehirn bilden sich zurück, wenn diese langfristig nicht oder wenig aktiviert werden. Im Umkehrschluss könnte dies auch für Spiegelneuronen gelten und damit könnte das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes auf lange Sicht mit einem indirekten Rückgang von Empathie und Zusammenhalt einhergehen. Diese Problematik ist jedoch nicht belegt und sollte in Längsschnittstudien genauer untersucht werden.

Auch lernen wir möglicherweise die Ausführung von Handlungen durch das reine Beobachten und können unbewusst Jahre später bestimmte Spiegelneuronen aktivieren. Die deutsche Autorin und Managementtrainerin Vera F. Birkenbihl sprach in diesem Zusammenhang gar von einer „Zeitbombe“. Denn besonders während des kindlichen Entwicklungsprozesses, beispielsweise im Klassenraum, könnten durch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes erst viele Jahre später die hier vorprogrammierten Spiegelneuronen aktiviert werden und zu unabsehbaren Verhaltensmustern führen.

2.4.7 Beeinträchtigungen des mimischen Ausdrucks und der mimischen

Erkennung durch Krankheiten Wie bereits in Kapitel 2.1 (Die Mimik) beschrieben, schreibt der Psychiater Georg Juckel als Fazit seiner Untersuchung, dass eine verminderte mimische Ausdrucksfähigkeit für depressive Patienten charakteristisch sei (Juckel, 2005, S. 384). Dies könnte im Umkehrschluss zeigen, dass eine gut funktionierende Mimik essenziell wichtig sein könnte für einen psychisch gesunden Menschen.

Um die Wichtigkeit der Mimik zu veranschaulichen, kann ein Blick auf Menschen hilfreich sein, die aufgrund von Krankheiten, Erbanlagen oder Alkoholismus eine beeinträchtigte Mimikverarbeitung aufweisen. Denn dies kann wiederum im Umkehrschluss zu wichtigen Erkenntnissen führen und etwa die Frage beantworten, ob es gelingen kann, auf einen anderen Kommunikationskanal auszuweichen und damit dennoch ein ähnliches emotionales und intensionales Ausdrucksniveau zu erreichen. Zusätzlich soll in diesem Unterkapitel von Menschen gelernt werden, die keine Mimik erkennen können.

Bekannt für Störungen in der mimischen Ausdrucksqualität und dem Erkennen und Interpretieren von mimischen Ausdrücken sind Betroffene der Parkinson-Krankheit. Mehrere Studien konnten belegen, dass eine Funktionsstörung der Verarbeitung emotionaler Informationen als Symptom der Krankheit auftreten kann (De Risi et al., 2017). Die Folgen auf Stimmungs- und Verhaltensstörungen sind indes aber noch nicht geklärt, wie ebenfalls aus dem Artikel des International Journal of Neuroscience hervorgeht (De Risi et al., 2017).

Da die Parkinson-Krankheit verkürzt dargestellt als ein langsames Absterben von Gehirnzellen beschrieben werden kann, hat die Krankheit Auswirkungen auf verschiedenste Lebensbereiche und kann je nach betroffener Gehirnregion variieren. Im Zusammenhang mit dieser Arbeit soll auf verminderte Emotionsverarbeitungen, die sich oft in einer verminderten mimischen Ausdrucksqualität widerspiegeln, eingegrenzt werden.

Eine aktuelle Studie aus Japan (2019) hat in diesem Forschungsfeld besondere Beachtung hervorgerufen, da sie als eine der ersten fundierten Studien mittels einer Gesichtsausdrucksanalyse herausgestellt hat, dass Rehabilitationsübungen, die an der Mimik ansetzten, die Stimmung und die psychische Gesundheit der Patienten signifikant steigern konnten. Dazu nutzten die japanischen Forscher als Erhebungsinstrumente einen sogenannten FaceReader™, sowie eine Oberflächenelektromyographie (EMG) und um die Resultate vergleichbar zu machen, eine VAS-Skala für Stimmungsänderungen.

Dabei nahmen 21 Patienten an der vorliegenden Studie teil und wurden randomisiert einer Interventions- und einer Nichtinterventionsgruppe zugeteilt. Die Nichtinterventionsgruppe bildete also die Kontrollgruppe. Die Interventionsgruppe unterzog sich 12 Wochen lang einmal die Woche über 60 Minuten einer mimischen Rehabilitationsübung. Daraus resultierte, dass in der Interventionsgruppe ein gestiegener „Happy“-Index und ein gesunkener „Sad“-Index festgestellt werden konnte. Beide IndexParameter waren als Konstrukt zur Bewertung der Stimmung aus der VAS-Skala hervorgegangen. Mithilfe des EMG konnte sogar eine langfristig anhaltende Zunahme der Aktivität der Gesichtsmuskeln in der Interventionsgruppe nachgewiesen werden. Dadurch verbesserte sich die Stimmung der Probanden maßgeblich (Okamoto, Adachi, & Mizukami, 2019)

Da sich das Forscherteam der Erarbeitung einer bestmöglichen Rehabilitationsmethode für Parkinson-Patienten verschrieben hatte, kommen diese lediglich zu dem Schluss, dass dies eine geeignete Rehabilitationsmethode darstellen kann. Im Zusammenhang mit dem Forschungsgegenstand der Verbindung zwischen Mimik und Emotion könnte hier jedoch eine tiefgreifendere Interpretation der Ergebnisse vorgenommen werden: Wenn eine mimische Behandlung die emotionale Stimmung der behandelten Probanden signifikant im Vergleich zur Kontrollgruppe heben konnte, dann ist eine erhöhte mimische Aktivität aller Wahrscheinlichkeit nach ein wichtiger Indikator von Wohlbefinden und zusätzlich gar ein Indikator für psychische Gesundheit.

Als Antithese zur These, dass Parkinson die Aktivität des Gesichtsausdruckes beeinträchtigt, hat sich eine aktuelle Studie zur Aufgabe gemacht, diese mögliche Kausalität genauer unter die Lupe zu nehmen. Dabei kam die Studie zum Ergebnis, dass anhand von dynamischeren Methodiken nicht belegt werden konnte, dass Parkinson tatsächlich die Ursache für Störungen des Gesichtsausdruckes darstellt. Die Studie folgerte gar, dass es keine starken Verarbeitungsdefizite des Gesichtsausdruckes aufgrund von Parkinson gebe und die Ergebnisse eher auf altersbedingte Unterschiede bei der Verarbeitung hinweisen (Derya, Kang, Kwon & Wallraven, 2019). Hier sind deshalb weitere Untersuchungen und eine weitere fundierte Auseinandersetzung nötig.

Eine kanadisch-amerikanische Kooperation hat die Untersuchung „Wenn Emotion und Gesichtsausdruck auseinandergehen: Die sozialen Kosten der ParkinsonKrankheit“ (2017) ins Leben gerufen und kommt zum Ergebnis, dass Patienten mit Parkinson von Außenstehenden negativer wahrgenommen werden als gesunde Altersgenossen. Demnach kann eine Behinderung der Mimik das Sozialgefüge der Betroffenen belasten, da Außenstehende die Betroffenen in negativerer Weise wahrnehmen als gleichaltrige Gesunde. Jedoch kann die Studie keine evidenzbasierte Schlussfolgerung darbieten, aufgrund welcher Faktoren diese gestiegene negative soziale Wahrnehmung entstanden ist (Schwartz & Pell, 2017).

Die Krankheit und der möglicherweise damit einhergehende Verlust an mimischer Aktivität können also bei Parkinson-Patienten ernsthafte Folgen haben - sowohl intrinsischer psychischer Art, als auch extrinsischer Art, wenn sich die Außenwahrnehmung der Betroffenen verändert.

Eine weitere kognitive Störung ist die Prosopagnosia, eine Gesichtsblindheit, bei der Betroffene nicht in der Lage sind, zwischen menschlichen Gesichtern zu unterscheiden. Dabei ist vermutlich ein Areal des Gehirns betroffen, das für das Erkennen von Formen und Texturen essenziell wichtig ist. Dies kann so weit führen, dass Betroffene nicht mehr zwischen Lebewesen und Objekten unterscheiden können. Tiefergreifende Ursachen der Krankheit sind indes noch unbekannt. Interessant ist im Zusammenhang mit der Untersuchung dieser Arbeit, dass hierdurch die Mimik anderer nicht erkannt werden kann (siehe Abbildung 6). Die Betroffenen selbst können aber ohne Einschränkungen Mimik ausdrücken (Ellis & Florence, 1990).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 6: Wahrnehmung eines an Prosopagnosia erkrankten Menschen (Ellis & Florence, 1990)

Eine Studie mit 700 Oberstufenschülern und Studenten entdeckte, dass sogar mehr als zwei Prozent dieser unter einer angeborenen Gesichtserkennungsschwäche litten, was als eine Vorstufe von Prosopagnosia anzusehen ist. Dieselbe Studie konnte auch bekanntgeben, dass Betroffene im Durchschnitt länger brauchten, um sich zu integrieren und vermehrt verhaltensauffällig waren, so die Studie des American Journal of Medical Genetics (Kennerknech et al., 2006).

„Bei Gesichtsblinden sind die Nervenzellen in der FFA (Fusiform Face Area) [zuständiges Gehirnareal für Gesichtserkennung] weniger selektiv als bei anderen Menschen, also sozusagen weniger sensibel für die Unterschiedlichkeit von Gesichtern“, erklärt Dr. Maximilian Riesenhuber, Neurowissenschaftler an der GeorgetownUniversität in Washington. Interessant dabei ist, dass dieses Areal eine direkte Verbindung zum Temporallappen des Gehirns innehat, der dafür zuständig ist, Informationen zu Personen bezüglich des Aussehens, Charakter und Stimmung zu interpretieren. Dies impliziert, dass Betroffene möglicherweise die Mimik sehen können, jedoch nicht die Fähigkeit besitzen, die entstandenen Neuroinformationen zu verarbeiten. Ob das Defizit in der Unterscheidung von Menschen oder in der Interpretation der Mimik nun die entscheidendere Rolle spielt, dass Betroffene als eher auffällig gelten, ist unbekannt. Deshalb kann an dieser Stelle keine direkte Verbindung zur Bedeutung der Mimik hergestellt werden.

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Ende der Leseprobe aus 146 Seiten

Details

Titel
Inwieweit beeinträchtigt eine durch Mund-Nasen-Schutz verdeckte Mimik die Emotionserkennung? Eine experimentelle Untersuchung
Hochschule
FOM Essen, Hochschule für Oekonomie & Management gemeinnützige GmbH, Hochschulleitung Essen früher Fachhochschule
Note
1,8
Autor
Jahr
2021
Seiten
146
Katalognummer
V991089
ISBN (eBook)
9783346356307
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Emotionserkennung, Paul Ekman, Basisemotionen, Mimik, Mund-Nasen-Schutz, Atemschutzmaske, Verdeckung der Mimik, Experimentelle Untersuchung, Facial-Feedback-Hypothese, Face-Inversions-Effekt, Cross-Race-Effekt, Rückkopplungseffekt, Still-Face-Experiment, Spiegelneuronen, Beeinträchtigungen des mimischen Ausdrucks und Erkennung, Emotionen, Facial Feedback Hypothese, Face Inversions Effekt, Cross Race Effekt, Still Face Experiment, soziale Rückkopplung, Corona
Arbeit zitieren
Timo Laux (Autor:in), 2021, Inwieweit beeinträchtigt eine durch Mund-Nasen-Schutz verdeckte Mimik die Emotionserkennung? Eine experimentelle Untersuchung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/991089

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