In der späten römischen Republik und im Kaiserreich hatte die römische Baukunst ihren Höhepunkt erreicht und sich über den gesamten mediterranen Kulturbereich ausgedehnt. Die bescheidenen Anfänge der römischen Kultur und damit der Baukunst waren erst im 6. Jh. v. Chr. bemerkbar geworden. Zu einer Zeit, als andere Völker des Mittelmeerraumes schon hoch entwickelte Kulturleistungen aufzuweisen hatten.
Zu der Zeit, als die griechische Steinarchitektur in höchster Blüte stand, zeigten sich die ersten Regungen einer römischen Kultur, die sich aus bodenständigen Traditionen der Villanovakultur und der etruskischen Kunst herauszulösen begann. Die altrömische, stark etruskisch beeinflusste Mythologie, wurde bald durch die griechische Götterwelt bereichert.
Die ersten Tempel Roms waren noch etruskisch. Nachdem die Römer den letzten etruskischen König vertrieben hatten, übernahmen sie die griechische Baukunst mit Tempeln, Theatern und Palästen in Architektur und Bauweise und konnten ihr schon bald eigenen Formen und Ausdrucksmittel hinzufügen. Eine eigenständige römische Baukunst war erreicht, als die Römer begannen, eigene Raumtypen zu entwickeln.
Beispiele hierfür sind Basiliken, Amphitheater, Foren, Triumphbögen und vor allem technische Nutzbauten, wie gigantische Aquädukte, gewagte Brücken und beeindruckende Hafenanlagen.
Die ständig wachsenden Anforderungen an das Bauwesen im gesamten Imperium veranlassten die römische Ingenieure, neue wirtschaftliche und zeitsparende Bauweisen zu entwickeln und sich mit technische Problemen und den Einflüssen der Natur auseinanderzusetzen.
Der von den Römern erfundene wasserfeste Beton war neben dem Naturstein der bedeutendste Baustoff für die Erfüllung der großen Aufgaben des römischen Bauwesens.
Exkurs Wasserverehrung
In der frühen römischen Republik schöpften die Römer ihr Wasser aus Quellen und Flüssen oder sammelten Regenwasser in Zisternen. Das Wasser in all seinen Erscheinungsformen verehrten sie als freundliche Gabe der göttlichen Natur. Nach ihren Vorstellungen wohnten in den Quellen Nymphen, die von der Bevölkerung in kultischen Riten verehrt und mit Votivgaben beschwichtigt wurden.
Zu Flüssen hatten die Römer ein religiöses Verhältnis. Er war seinem Wesen nach mehr als nur ein Naturelement und wurde als Gottheit verehrt. Kein Römer betrat gedankenlos einen Fluß, ohne sich vorher die Hände zu reinigen und ein Gebet zu verrichten.
Oceanus der Gott aller Flüsse, als Maske auf Brunnen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nachdem Ägypten besiegt war, hatte Rom keine Feinde mehr und eine lange Friedensperiode begann, diePax Romania.
Für die Wasserversorgung konnte nun auch weit entfernt liegende Quellen in Anspruch genommen werden. Auch wenn die Trasse tiefe und ausgedehnte Täler überwinden musste, denn feindliche Überfälle und Zerstörung der Wasserleitungen waren nicht mehr zu befürchten. Die Wasserversorgungssysteme bestehen aus drei Funktionselementen.
- Die Wasserfassung, die das Quell- oder Flusswasser in den Kanal einzuführen hat
- Der Kanal, überirdisch oder unterirdisch verlegt, der im freien Gefälle das Wasser zur Stadt leitet
- Das Wasserkastell, welches das Wasser über das städtische Leitungsnetz auf die einzelnen Versorgungsbereiche verteilt
Kein Bauwerk dieser Wasserleitungen war so charakteristisch für die römische Baukunst, wie die in der Antike und heute so bewunderten, grandiosen Bogenreihen, der Aquädukte.
Der Feldherr Agrippa (63-19 v.Chr.),erhielt wahrscheinlich von seinem Schwiegervater, dem Kaiser Augustus den Auftrag, eine 50 Kilometer lange Wasserleitung von einer Quelle bei Uzès bis zum städtischen Wasserschloss zu bauen.
Der eindrucksvollePont du Gard der römischen Wasserleitung nach Nemausus ( Nimes ) ist die am besten erhaltene Kanalbrücke aus römischer Zeit und mit einer Höhe von 48,7m der höchste Aquädukt. In der Regel baute man die Bögen mit Spannweiten von 4,5 bis 5,2m. Die Bögen des Pont du Gard haben in den unteren Stockwerken jedoch Spannweiten von 15,5 bis 24,5m.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der römische Steinbogen
Ein bis dahin unbekanntes Tragsystem. Ein Halbkreisbogen aus Steinblöcken mit radialem Fugenschnitt überträgt die Last des Bogens durch die Radialfugen zum Kämpfer. Die römischen Brückenbauingenieure haben mit dem etruskischen Bogen, dem griechischen opus quadratum und dem römischen opus caementitium ein Steinbrückensystem hoher Vollendung geschaffen, dass weit über das Altertum hinaus in ganz Europa die Grundlage des Brückenbaus geworden ist.
Sie erkannten die Kraftlinien im Bogen, wo Eigenlast und Verkehrslast in die Bogenstützlinie umgelenkt werden und im Kämpfer auf den Pfeiler treffen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Man hat schon früh erkannt, dass der Schlankheitsgrad des Bogens, nämlich das Verhältnis von Bogendicke zu Bogenspannweite ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung der Standsicherheit ist und Grundlage zur Bemessung sein kann. Die ältesten Steinbrücken im 2. Jh. v. Chr. hatten noch ein Schlankheitsverhältnis von 1:8,2 . Bereits im 1. Jh. n. Chr. erreichte man ein Verhältnis von 1:17, aber nach der Zeitenwende zeigen die Brücken oft ein Standartverhältnis von 1:10 .
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das Mauerwerk
Das gesamte Mauerwerk ist in opus quadratum mit sorgfältig behauenen, großen Steinquadern in gleich hohen Schichten ohne Mörtel ausgeführt worden. Als Verbindungsmittel ließ man neben der Reibung lediglich schwalbenschwanzförmige Dübel aus Eichenholz zu. Lediglich das Kanalbauteil wurde aus kleineren, behauenen Steinen im Mörtelbett hergestellt. Die Sohle des Kanals wurde betoniert und erhielt einen Ziegelspritz- putz.
Opus quadratum galt bei den Römern als höchste Form deringenieurmässig-handwerklichen Baugestaltung und wurde bei bedeutenden öffentlichen Bauten bis ins 1. und 2. Jh. hinein anderen Bauweisen vorgezogen.
Eine neue Konstruktion ist in den großen Gewölben der beiden unteren Stockwerke festzustellen. Die Gewölbesteine bis zur 5. bzw. 6. Lage über den Kämpfern wurden wie üblich im Verband gesetzt. Darüber bestehen die Gewölbe aus vier, im zweiten Stockwerk aus drei selbstständigen, nebeneinander stehenden Bögen ohne Verbund. Der Grund ist wohl im Lehrgerüst zu suchen, das nur jeweils für einen Bogen hergestellt werden musste und nach Fertigstellung des ersten Bogens zum zweiten weitergeschoben wurde. Das Abweichen von der Allgemeinen Verbundregel konnte nur bei exakter Bearbeitung der Bogensteine riskiert werden. Trotz des fehlenden Verbundes überdauert das Bauwerk bis heute.
Auffallend sind die an der Außenfront der Pfeiler hervortretenden Kragsteine. Sie sind tief im Pfeiler verankert und trugen während der Bauzeit die Gerüste. Bei anderen Bauwerken wurden diese Steine nach der Fertigstellung abgeschlagen. An dieser Brücke ließ man sie jedoch dran um im Falle einer Reparatur ein Gerüst ansetzen zu können.
Beim Bau sollen 800 bis 1000 Arbeiter mehr als drei Jahre beschäftigt gewesen sein.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bautechnik
Besonders schwierig war es, die Leitung in gleichmäßigem Gefälle aus dem Gebirge über Taleinschnitte zu führen. Vermessungs- und Rechenarbeit waren erforderlich, denn der Höhenunterschied beträgt insgesamt nur 17m.
Das bedeutet ein durchschnittliches Gefälle von 0,035 % !
Für den Aquädukt verwendete man groben, gelben Muschelkalk, der sich in bergfeuchtem Zustand leicht bearbeiten lässt und nach der Lufttrocknung sehr hart wird.
Große Steine wurden bereits im Steinbruch fertig behauen. Damit man auf der Baustelle wusste, wohin der Stein kommen soll, erhielt er eine Schriftmarkierung, die seinen Platz im Gewölbe bestimmte.
FRD IV = 4. Block im Bogen an der „Frons Distra“, d.h. der rechten Fassade FRS I I = 2. Block im Bogen an der “Frons Sinistra”, d.h. der linken Fassade
An Werkzeugen standen den Handwerkern Meißel, Schlegel, Winkel, Wasserwaage und Schaufel zur Verfügung. Zum Verladen im Steinbruch und auf der Baustelle hatte man Kräne mit Flaschenzügen. Eine Hebelzange am Kran erleichterte das Anheben der Blöcke. Für das Heben und Versetzen der bis zu 6 t schweren Steine wurden die leistungsfähigsten Kräne herangeholt.
Geometrie
Wie bei allen römischen Aquädukten sind auch die Bögen des Pont du gard Halbkreisbögen. Die Bogenspannweiten der ersten und zweiten Ebene nehmen vom Hauptbogen über dem Fluss nach beiden Seiten in einem bestimmten Rhythmus ab. Der größte Bogen hat eine Spannweite von 24,4 m. Die nächsten drei Bögen spannen über 19,5 m und die äußeren über 15,5 m.
Da die Scheitel in jedem Stockwerk auf gleicher Höhe liegen, steigen die Kämpferhöhen zu den Talhängen an.
Durch die abnehmenden Bogengrößen unter Beibehaltung der Scheitelhöhen vermitteln dem Betrachter eine lebendige Perspektive.
Die Bogendurchmesser sind so gewählt, dass sie eine rhythmische Zahlenreihe bilden. Die Verhältniszahl ist 1,25.
Die Akribie, mit der die riesigen Steinquader ohne Mörtel versetz wurden, zeigt das opus quadratum in meisterhafter Vollendung. Die sich aus den großformatigen Quadern ergebende Struktur und die demonstrativ belassenen Kragsteine schaffen eine ehrliche Architektur, die nichts verbirgt.
J.J. Rousseau schrieb:
„ Einsam steht das Werk in der ernsten Landschaft mit felsigen Ufern und dem bis an das Wasser herabhängenden Baumwuchs majestätisch da, als Wahrzeichen einer großen Vergangenheit und einer dankbaren Gegenwart .“
Quellen:
- Bonatz, Paul und Fritz Leonhardt Brücken, Karl Robert Langewiesche Verlag, Königstein im Taunus 1956
- von Wölfel, Wilhelm Brunnen - Brücken - Aquädukte, Ernst & Sohn, Berlin 1997
- Espérandieu, Emile Le Pont du Gard, H. Laurens - Paris
Interessante Internetadressen :
- http://www.structurae.de/
- http://www.deutsches-museum.de/
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in diesem Text über römische Baukunst?
Der Text behandelt die Entwicklung der römischen Baukunst von ihren Anfängen bis zu ihrer Blütezeit im Kaiserreich. Er beleuchtet Einflüsse etruskischer und griechischer Baukunst, die Entwicklung eigener römischer Bauformen wie Basiliken, Amphitheater, Foren und Aquädukte, sowie die Bedeutung des römischen Betons und ingenieurtechnischer Innovationen.
Welche Rolle spielte die Wasserverehrung im römischen Leben?
Wasser wurde in der frühen römischen Republik als Gabe der Götter verehrt. Quellen und Flüsse waren religiös bedeutsam, Nymphen und Flussgötter wurden verehrt. Vor dem Betreten eines Flusses wurden Reinigungsrituale durchgeführt.
Was ist die "Pax Romana" und wie beeinflusste sie die Wasserversorgung?
Die "Pax Romana" war eine lange Friedensperiode nach der Eroberung Ägyptens. Sie ermöglichte den Bau weit entfernter Wasserquellen, da Überfälle und Zerstörungen der Wasserleitungen nicht mehr zu befürchten waren.
Wie funktionierten die römischen Wasserversorgungssysteme?
Römische Wasserversorgungssysteme bestanden aus drei Hauptelementen: der Wasserfassung (Quelle oder Fluss), dem Kanal (oberirdisch oder unterirdisch) und dem Wasserkastell (Verteilung des Wassers über das städtische Leitungsnetz).
Was sind Aquädukte und warum sind sie wichtig für die römische Baukunst?
Aquädukte sind Wasserleitungen, oft in Form von beeindruckenden Bogenreihen, die Wasser über lange Distanzen transportierten. Sie sind ein charakteristisches Bauwerk der römischen Baukunst und zeugen von den ingenieurtechnischen Fähigkeiten der Römer.
Was ist der Pont du Gard und warum ist er so berühmt?
Der Pont du Gard ist eine gut erhaltene römische Kanalbrücke in Südfrankreich und Teil einer Wasserleitung nach Nemausus (Nîmes). Er ist der höchste Aquädukt mit einer Höhe von 48,7 Metern und ein beeindruckendes Beispiel römischer Ingenieurskunst.
Wie funktionierte der römische Steinbogen?
Der römische Steinbogen war ein Halbkreisbogen aus Steinblöcken mit radialem Fugenschnitt. Er übertrug die Last des Bogens durch die Radialfugen zum Kämpfer. Die Römer nutzten etruskische Bogenbaukunst, griechisches opus quadratum und römisches opus caementitium, um ein hochentwickeltes Brückensystem zu schaffen.
Was ist "opus quadratum" und welche Bedeutung hatte es?
"Opus quadratum" ist eine Bauweise mit sorgfältig behauenen, großen Steinquadern in gleich hohen Schichten ohne Mörtel. Es galt als höchste Form der ingenieurmässig-handwerklichen Baugestaltung und wurde bei bedeutenden öffentlichen Bauten bevorzugt.
Welche Bautechniken wurden beim Bau des Pont du Gard verwendet?
Beim Bau des Pont du Gard wurde Muschelkalk verwendet, der in bergfeuchtem Zustand leicht zu bearbeiten war. Große Steine wurden bereits im Steinbruch behauen und mit Markierungen versehen, um ihren Platz im Gewölbe zu bestimmen. Werkzeuge wie Meißel, Schlegel, Winkel, Wasserwaage und Kräne mit Flaschenzügen wurden eingesetzt.
Welches Gefälle hat der Aquädukt des Pont du Gard?
Der Aquädukt hat ein sehr geringes Gefälle von durchschnittlich 0,035 %, was den gleichmäßigen Wasserfluss ermöglichte.
Welche Quellen werden im Text genannt?
Im Text werden folgende Quellen genannt: Bonatz, Paul und Fritz Leonhardt - Brücken, Karl Robert Langewiesche Verlag, Königstein im Taunus 1956; von Wölfel, Wilhelm - Brunnen - Brücken - Aquädukte, Ernst & Sohn, Berlin 1997; Espérandieu, Emile - Le Pont du Gard, H. Laurens - Paris.
Welche Internetadressen werden im Text genannt?
Im Text werden folgende Internetadressen genannt: http://www.structurae.de/, http://www.deutsches-museum.de/, http://www.geschichte.2me.net/dch/dch_5.htm
- Citation du texte
- Christian Rathmacher (Auteur), 2000, Der Pont du Gard, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98800