Stefanie Müller
Vorurteile, ihre Entstehung und ihre Rolle als Auslöser von Intergruppenkonflikten Wie entstehen Vorurteile, woher kommen diese vorgefertigten Ansichten über Dinge und Menschen, die wir noch nie vorher gesehen haben?
Es gibt viele Ansätze, die dieses Phänomen erklären wollen. Einer der bekanntesten ist wohl die Sichtweise, daß Vorurteile aus der Persönlichkeit entspringen, daß ein vorurteilsbehafteter Mensch ein Persönlichkeitsproblem hat. Die einflußreichsten Vertreter dieser Theorie waren Adorno et. al. Sie gingen davon aus, daß die Einstellungen eines Individuums bezüglich der Gesellschaft und ihren Mitgliedern einen "Ausdruck tiefliegender Züge der Persönlichkeit" darstellen (Adorno et al. 1950, S. 1, zitiert nach Brown, 1996) Die Verdrängung verschiedener Bedürfnisse aufgrund von Normen der Gesellschaft, vor allem geprägt von den Eltern, seien ein Entwicklungsproblem und es sei die Aufgabe der Eltern, dieses so gut wie möglich zu lösen. Bei einer autoritären Persönlichkeit besteht das Problem in einer zu konservativen und strengen Erziehung der Eltern, die dem Kind keinen Raum für Entfaltung eigener Ideale und Vorstellungen läßt. Die durch die ausgeübten Zwänge entstehende Aggression des Kindes richtet sich auf alternative Ziele, da das Kind keine direkte Aggression gegen die Eltern zeigen kann und es entsteht eine Persönlichkeit, die unterwürfig gegenüber Autoritäten und feindselig gegenüber Minderheiten ist.
Diese Theorie wurde mehrfach geprüft und es gibt vielfältige Ergebnisse, die sie bestätigen, jedoch auch viele Kritikpunkte. Meiner Meinung nach macht man es sich mit dieser Theorie etwas zu einfach, da sie nicht erklärt, warum auch Menschen mit völlig anderer Erziehung Vorurteile haben, warum viele Vorurteile sich durch ganze Gesellschaftsschichten ziehen und sich dabei oft auf eine spezifische Minderheit richten, andere Minderheiten aber völlig unbeachtet bleiben und warum es z. B. oft so ist, daß sich Vorurteile in relativ kurzen Zeitspannen entwickeln, ohne daß ein Einfluß der Eltern oder der Erziehung erkennbar wäre. Andere Theorien lassen Sozialisationsinstanzen wie die Eltern völlig außer Acht und gehen von anderen Faktoren aus, die vorurteilsbehaftetes Verhalten verursachen. Die von Dollard et. al. (1939) entwickelte Frustrations-Aggressions-Hypothese besagt, daß sich die durch Frustration ausgelöste Aggression oft von den wahren Auslösern auf leichter erreichbare Ziele verschiebt. Hovland und Sears (1940) schlossen daraus, daß die Ursache der Vorurteile in der Frustration liegt und entwickelten aus der Frustrations-Aggressions-Hypothese die "Sündenbocktheorie" des Vorurteils.
Doch auch diese Theorie konnte nicht vollständig belegt werden. Aufgrund zahlreicher Kritikpunkte wie die Annahme, daß Intergruppenverhalten emotional bestimmt ist statt zielgerichtet zu sein, was aber eher fragwürdig ist, ging die Popularität der FrustrationsAggressions-Hypothese bald zurück.
Wenn man das erste Mal von dieser Hypothese hört, so scheint sie auf den ersten Blick ziemlich einleuchtend, weil sie dem entspricht, was einem im täglichen Leben oft widerfährt. Man erlebt oft, daß jemand sich über irgend etwas ärgert und dann jemandem die Schuld daran gibt, der schwächer und eher greifbar ist als der eigentliche Verursacher des Problems. Der wohl am meisten genannte Grund im Bereich der Ausländerfeindlichkeit - "die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg" - entspricht genau diesem Schema: der Betroffene ist frustriert, da er arbeitslos ist oder Angst hat, es zu werden. Da er gegen das Problem jedoch primär nichts ausrichten kann, richtet sich seine Wut und Aggressivität auf Minderheiten, in dem Fall "die Ausländer".
Doch genau dort entsteht beim genaueren Nachdenken über die Theorie zumindest in meinem Kopf ein Widerspruch: warum gerade "die Ausländer"? Warum richtet sich an dieser Stelle die Aggression nicht auf eine andere Minderheit? Warum heißt es z. B. nicht: "die rothaarigen Frauen nehmen uns die Arbeitsplätze weg" ? Ist das willkürlich oder wodurch wird die Auswahl bestimmt? Für mich ist es einfacher nachzuvollziehen, daß das Vorurteil oder zumindest eine negative Grundstimmung gegenüber der Minderheit schon besteht, daß der Arbeitslose aus dem Beispiel bereits eine negative Einstellung gegenüber Ausländern im allgemeinen hat, woher sei dahingestellt. In dem Moment, wo er frustriert ist, sucht er einen Schuldigen und konzentriert sich dabei auf genau die Minderheit, die in seinen Denkschemata sowieso schon negativ besetzt ist.
Ich muß also an dieser Stelle sagen, daß die Frage, woher Vorurteile kommen und warum sie bei verschiedenen Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt sind, nicht erschöpfend geklärt ist. Es gibt viele Ansätze und Theorien, die mich aber nicht wirklich zufriedenstellen und von denen keine ausreichend belegt ist.
Die Auswirkungen von Vorurteilen auf das Verhalten zwischen Gruppen
Niemand wird bezweifeln, daß es nicht nur völkerumspannende Konflikte wie Kriege und außenpolitische Auseinandersetzungen gibt, sondern auch tägliche, "ganz normale" Konflikte zwischen kleinen Gruppen, denen wir alle mehr oder weniger angehören. Sei es der Streit zwischen Parteien im Parlament, sei es die Auseinandersetzung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern bei Streikverhandlungen oder die gewalttätigen Konflikte zwischen verfeindeten Hooligans. Oft genug erscheinen Konflikte zwischen Gruppen völlig grundlos, es prallen einfach nur Menschen aufeinander, die zu unterschiedlichen Gruppen gehören und deshalb eine gegenseitige Antipathie empfinden.
Meist werden diese Konflikte durch Vorurteile ausgelöst. Menschen treffen aufeinander, die einander gar nicht kennen und meist auch überhaupt keine Gründe haben, außer der unterschiedlichen Gruppenzugehörigkeit, miteinander in Streit zu geraten. Aufgrund unterschiedlicher Prozesse und Gesetzmäßigkeiten in der Gruppe wird die Eigengruppe immer favorisiert und die Fremdgruppe abgewertet. Man schafft sich Feindbilder, indem man davon ausgeht, daß die anderen sowieso alle gleich sind, alle schlechter, bösartiger, dümmer etc. als die Mitglieder der eigenen Gruppe und deshalb ist man nahezu dazu gezwungen, einen Konflikt mit ihnen auszutragen. Oft genug geschieht das auf gewalttätige und aggressive Art und Weise.
Und genau da liegt die Gefahr von Vorurteilen: daß man die Unterschiedlichkeit der Mitglieder der Fremdgruppe nicht mehr wahrnimmt, alle gleich beurteilt und nicht versucht, sich mit ihnen auseinander zu setzen. Vielleicht hat man einmal schlechte Erfahrungen mit jemandem aus der Fremdgruppe gemacht (meist ist dies nicht einmal der Fall) und diese Erfahrung überträgt man zukünftig auf die ganze Fremdgruppe. Die meisten Intergruppenkonflikte entstehen dadurch und werden oft genug zwischen Menschen ausgetragen, die eigentlich gar nicht so unterschiedlich sind und die sich vielleicht gut verstehen würden, wenn sie sich außerhalb der Gruppe und vorurteilsfrei begegnen würden.
Gibt es Menschen ohne Vorurteile?
Oft genug hört man Menschen, die von sich selbst behaupten, sie wären unglaublich tolerant und hätten keinerlei Vorurteile. Sie verurteilen Menschen, die in Klischeevorstellungen gefangen sind und sich selbst und anderen Menschen kaum Möglichkeit geben, ihnen das Gegenteil zu beweisen. Doch gibt es wirklich irgendeinen Menschen, der völlig frei von Vorurteilen durchs Leben geht, vorbehaltlos anderen Menschen gegenübertritt und sich ohne Klischeevorstellungen eine Meinung bildet?
Man muß natürlich differentielle Unterschiede berücksichtigen, nicht jeder hat gleich viele und gleich stark ausgeprägt Vorurteile. Außerdem gibt es verschiedene Arten, mit den eigenen Vorurteilen umzugehen, man kann um jeden Preis bei seiner Meinung bleiben, völlig rigide seine Vorstellungen beibehalten, obwohl man etwas völlig entgegengesetztes erlebt oder ob man kann über seine Sichtweisen nachdenken und dahin tendieren, sie aufgrund neuer Erfahrungen zu modifizieren.
Abgesehen von diesen Unterschieden muß ich jedoch sagen, daß ich bisher noch keinen Menschen kennengelernt habe, der völlig vorurteilsfrei denkt und handelt. Ich selbst kann von mir behaupten, daß ich zwar niemals einen Menschen aufgrund seiner Hautfarbe oder Nationalität verurteilen würde, von "kleinen" Vorurteilen kann ich mich jedoch nicht freisprechen. Das beginnt dabei, daß man immer wieder überrascht ist, wenn ein Mann gut kochen kann und dies auch ausgiebig tut, wenn eine Frau außerordentlich gut Auto fährt, geht weiter bei typischen "Männer- und Frauenberufen", bei Vorstellungen über die Mentalität verschiedener Nationen, Charaktereigenschaften von Studenten verschiedener Studiengängen oder Menschen mit unterschiedlichen Berufen. Natürlich weiß ich, daß nicht alle BWL- Studenten, alle Männer und alle Bankangestellten gleich sind, trotzdem ertappe ich mich selbst immer wieder dabei, daß ich von bestimmten Vorurteilen behaftet bin und zustimmend nicke, wenn diese zutreffen. Ich bin der Meinung, daß dies jedem Menschen so geht, auch wenn man sich allzu oft gerne davon freisprechen würde.
Oft genug haben Vorurteile ja auch eine praktische Wirkung, sie helfen uns, Kategorien zu finden und unser Leben zu ordnen. Da man nicht jeden Menschen erst lange kennenlernen kann, um sich ein Urteil zu bilden, ist es oft sehr hilfreich, wenn man sich aufgrund bestimmter Informationen sofort ein Urteil bilden kann. Dabei muß man jedoch sehr aufpassen, daß man sich aufgrund dieser nahezu sofortigen Meinung nicht für gegensätzliche Informationen verschließt. Man sollte trotzdem offen bleiben und darf sich nicht davor scheuen, seine Meinung nachträglich zu verändern.
Außerdem ist es natürlich sehr wichtig, daß Vorurteile den anderen niemals verletzen und menschenverachtend sind. Wenn möglich sollte man seine Vorurteile für sich behalten und erst überprüfen, ob die Eigenschaften, die man der Person zugedenkt auch zutreffen. Man sollte versuchen, möglichst wenig Vorurteile zu haben und vor allen Dingen aus Vorurteilen keine Konflikte entstehen lassen.
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- Stefanie Müller (Author), 2000, Vorurteile und ihre Rolle als Auslöser von Intergruppenkonflikten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98774
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