Entwicklungspsychologie der Jugendpsychologie : Jugend und Familie
Bei oberflächlichen Betrachtungen der Beziehungen zwischen Jugendlichen und ihren Eltern könnte man schnell zu dem Schluß gelangen, daß die Rolle der Familie im Jugendalter stark abnimmt. Vielfältige Untersuchungen in diesem Bereich zeigen jedoch, daß die Familie nach wie vor einen hohen Stellenwert hat.
Jugendliche brauchen feste soziale Bindungen, auf die sie sich verlassen können und die ihnen Halt, Stabilität und Unterstützung während ihrer schwierigen persönlichen Entwicklung bieten. Es gibt kein prototypisches Familienmodell, das eine Garantie für eine harmonische Entwicklung bietet, doch haben sich in zahlreichen Untersuchungen einige Kriterien als günstig erwiesen. Dazu gehören vor allem eine Beziehung zwischen Eltern und Jugendlichem, die auf gegenseitiger Akzeptanz, Anregung und Berücksichtigung individueller Unterschiede beruht, sowie eine funktionierende Partnerschaft der erwachsenen Bezugspersonen. Abweichungen von diesen Kriterien, wie z. B. die Scheidung der Eltern oder das Aufwachsen mit einem alleinerziehenden Elternteil, müssen zwar nicht zwangsläufig zu einer fehlgeleiteten Entwicklung des Kindes führen, bedeuten jedoch oft ein erhebliches Problem für den Heranwachsenden und beinhalten gewisse Risiken für die Erfüllung von Entwicklungsaufgaben.
Viele andere Faktoren in der Konstellation Kind bzw. Jugendlicher und Familie können sich negativ auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirken, sei es die Erwerbstätigkeit von Mutter und Vater und die dadurch oftmals entstehende Vernachlässigung des Kindes, andererseits aber auch die psychische Krise eines Elternteils, das gerne arbeiten möchte, aber nicht kann, die besondere Stellung als Einzelkind, Probleme in der Partnerbeziehung der Eltern, psychischer Druck auf das Kind durch zu hohe Leistungserwartungen oder im schlimmsten Fall die körperliche Mißhandlung von Kindern und Jugendlichen.
Doch auch wenn all diese Risikofaktoren nicht auftreten, ist das Verhältnis zwischen Eltern und Kind in der Phase der Adoleszenz sicher nicht immer spannungsfrei. In dem sich vollziehenden Prozeß der Ablösung vom Elternhaus gibt es unterschiedliche Ansichten über Rechte, Eigenverantwortung, das Maß der Eigenständigkeit auf der einen und über Pflichten, Autorität und Abhängigkeit auf der anderen Seite.
Veränderung der Familienbeziehungen im Jugendalter
Von mehreren Autoren auf dem Gebiet der Entwicklungspsychologie wird festgestellt, daß sich mit Beginn der Adoleszenz die affektive Qualität der Beziehungen zwischen Eltern und Jugendlichem ändert. Dazu gibt es zwei Hypothesen, die Hypothese der emotionalen Distanzierung und die Dämpfungshypothese.
Die Hypothese der emotionalen Distanzierung besagt, daß es zum Zeitpunkt des größten Wachstumsschubes eine zunehmende emotionale Distanzierung zwischen Eltern und Jugendlichem gibt. Daraus ergibt sich, daß Jugendliche während der Zeit der Pubertät eine geringere Bindung (attachment) zu ihren Eltern haben, es kommt zu einer Verringerung des emotionalen Ausdrucks in der Familie und zu einer Steigerung sozialer Ängste und Depressionen.
Die Attachmenttheorie sagt jedoch andererseits voraus, daß in Streß- und Angstsituationen das Bindungsverhalten aktiviert wird. Daraus ergibt sich die zweite Hypothese. Die Dämpfungshypothese (buffering hypothesis) meint, daß eine gute Beziehung zwischen Eltern und Jugendlichem ein Puffer für Ängste und Streßfaktoren des Jugendlichen sein kann, vor allem während der Zeit der Adoleszenz Beide Hypothesen wurden in einigen Untersuchungen überprüft und lassen sich teilweise bestätigen. Es besteht jedoch keine direkte Beziehung zwischen den Hypothesen, zumindest wurde sie bisher noch nicht nachgewiesen.
Meiner Meinung nach ist eine gesunde Beziehung zu den Eltern während der Pubertät sehr wichtig. Auch wenn es oft so scheint, als seien gerade zu dieser Zeit die Eltern das Letzte was die Jugendlichen wollen und brauchen, so sind die Eltern gerade bei wichtigen Entscheidungs- situationen oder Problemen die ausschlaggebenden Bezugspersonen. Man darf nicht vergessen, daß die Freunde vielleicht einiges besser zu verstehen scheinen, aber selbst viele Erfahrungen noch nicht gemacht haben. Wenn das Verhältnis zu den Eltern gut ist, stellen die Eltern als erwachsene Bezugspersonen eine wichtige Hilfe bei der Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes dar, die nicht durch gleichaltrige Peers ersetzt werden kann.
Oft ist ein Aufrechterhalten oder die Entwicklung einer solchen gesunden Eltern-Kind-Beziehung zur Zeit der Pubertät nicht sehr einfach, und gerade die Eltern stehen oft vor einer Wand aus Trotz, Unverständnis, Wut oder Gleichgültigkeit bei den Jugendlichen. Gerade dann darf man nicht aufgeben, sondern muß sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, daß man als Elternteil die Verantwortung dafür hat, wie das Kind später in der Welt, in sozialen Beziehungen etc. zurecht kommt.
Sicherlich gibt es keine ideale Art und Weise, wie man mit seinem Kind umgehen sollte, keine Patentrezepte für eine stabile Beziehung. Jedes Kind ist anders und in manchen Fällen kommt man mit der Theorie und mit klugen Ratschlägen überhaupt nicht weit. Ich weiß auch nicht, ob ich es mir anmaßen kann, Vorschläge für den Umgang mit Jugendlichen zu geben, da ich selbst noch nicht in der Elternrolle bin. Ich bin jedoch gerade in der Phase, in der ich die Pubertät und damit die typischen Probleme mit meinen Eltern hinter mir gelassen habe und sie mit einigem Abstand betrachten kann. Mittlerweile habe ich einen viel rationaleren Blickwinkel als zu problematischen Zeiten und ich denke, ich kann von dieser Warte aus ganz gut beurteilen, was mir wichtig war und gewesen wäre.
Meiner Meinung nach ist es also wichtig, daß die Eltern Meinungen und Wünsche des Kindes akzeptieren, das Kind als eigenständige Person ansehen, ihm auch Freiheiten lassen, es aber trotzdem leiten, ihm mit Rat und Tat zu Seite stehen, ihm dabei helfen, eigene Ansichten zu entwickeln, ihm aber nicht ihre Meinungen überstülpen. Und auch wenn es gerade heutzutage so scheint, als bräuchten die Jugendlichen nur Freiheit und Selbständigkeit: es ist auch wichtig, Grenzen aufzuzeigen. Als Jugendlicher braucht man Menschen, an denen man sich orientieren kann, die einem in dieser schwierigen Zeit des Umbruchs Halt geben, auch wenn man das meist nicht zugeben will. Es ist bei den meisten Situationen wichtig, einen Mittelweg zu finden: nicht zuviel Freiheit, aber auch kein Einengen.
Da mir diese Worte bei dem Thema immer einfallen, möchte ich Sie hier auch anbringen. Sie drücken ungefähr aus, was ich abschließend zu dem Thema sagen möchte:
Eure Kinder sind nicht eure Kinder.
Sie sind die S ö hne und T ö chter der Sehnsucht nach sich selber. Sie kommen durch euch, aber nicht von euch,
Und obwohl sie mit euch sind, geh ö ren sie euch doch nicht.
Ihr d ü rft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken.
Ihr d ü rft ihren K ö rpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen, Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen,
das ihr nicht besuchen k ö nnt, nicht einmal in euren Tr ä umen. Ihr d ü rft euch bem ü hen, wie sie zu sein,
aber versucht nicht, sie euch ä hnlich zu machen... (Gibran, 1994)
Die Wirkung vonäußeren Einflüssen auf das System Familie am Beispiel Berufstätigkeit
Eine Familie kann nie allein existieren, es gibt keinen luftleeren Raum, sondern immer ein soziales Umfeld, in dem die Familienmitglieder leben. Erfahrungen, Denkweisen, Lebensumstände, Charaktereigenschaften oder Beziehungen zueinander - all das kann durch Einflüsse von außen verändert, reguliert, beeinflußt und bestimmt werden. Das wirkt sich natürlich auch darauf aus, wie der Jugendliche und seine Familie miteinander interagieren. Man muß sich nur den Jugendlichen in einer Clique vorstellen, die völlig andere Ansichten hat als die Eltern des Jugendlichen. Das ruft zwangsläufig Konflikte zwischen dem Jugendlichen und seinen Eltern hervor, wenn die Eltern nicht gerade nach dem "laissez- faire"-Stil leben.
Die Berufstätigkeit der Mutter ist in dieser Hinsicht ein sehr aufmerksam betrachtetes Phänomen. Da die Mütter meist dann, wenn ihre Kinder im Jugendalter sind, wieder ins Berufsleben eintreten, fragt man sich natürlich, wie sich die berufliche Belastung beider Elternteile auf die Entwicklung des Jugendlichen auswirkt. Auch dazu gibt es zwei gegensätzliche Hypothesen:
Die erste Hypothese geht davon aus, daß die Berufstätigkeit der Mutter den Streß in der Familie erhöht, die Mutter steht unter einer ständigen Doppelbelastung, die Jugendlichen erhalten weniger Zuwendung, was sich negativ auf ihre Entwicklung auswirkt. Die zweite Hypothese meint hingegen, daß sich die Berufstätigkeit der Mutter positiv auf die Familie auswirkt, da sie durch Statuserhöhung und emanzipatorische Wirkung das Wohlbefinden der Mutter steigert.
Beiden Hypothesen liegt die Annahme des "spillover" zugrunde, d. h. daß die Befindlichkeit der Mutter auf die Kinder überfließt. Hypothese 1 wurde von Piotrkowsi (1979, zitiert nach Oerter & Montada, 1998) und Bonfenbrenner und Crouter (1982, zitiert nach Oerter &Montada, 1998) vertreten, Hypothese 2 hingegen wurde in vielen Untersuchungen zumindest für die Phase der frühen Adoleszenz bestätigt. Grundsätzlich wurde in den meisten Untersuchungen festgestellt, daß sich die Berufstätigkeit der Mutter nicht negativ auf die Entwicklung der Kinder auswirkt. Es kann aber daraus nicht geschlossen werden, daß sich Familien, in denen die Mütter nicht berufstätig sind, negativ von den Familien unterscheiden, in denen die Mütter berufstätig sind. Im allgemeinen würde ich sagen, daß es keine direkten Beziehung zwischen der Berufstätigkeit der Mutter und der positiven bzw. negativen Entwicklung des Jugendlichen sehen kann. Da ich in der ehemaligen DDR aufgewachsen bin, ist es für mich absolut normal, daß die Mutter berufstätig ist und ich kann nicht sagen, daß mir dies in irgendeiner Weise geschadet hätte. Genauso kenne ich viele Jugendliche, deren Mutter nicht berufstätig ist und die sich genauso gut (oder schlecht) entwickelt haben wie die Kinder mit berufstätigen Müttern. Ich sehe eher einen Zusammenhang zwischen dem Wohlbefinden, der Zufriedenheit der Mutter und dem seelischen Gleichgewicht, der Zufriedenheit der Kinder, was sich langfristig natürlich auch auf die persönliche Entwicklung des Kindes auswirkt. Dabei ist es meiner Meinung nach völlig zweitrangig, ob die Mutter berufstätig ist oder nicht, solange sie ihre Aufgabe wählen kann und nicht aus finanziellen Gründen arbeiten muß oder arbeiten will und keine Stelle bekommt. Wichtig ist außerdem, daß sie sich in der gewählten Position wohl fühlt, etwas Sinnvolles tut und sich nützlich und gebraucht fühlt. Das alles geht sowohl im Beruf als auch zu Hause. Wenn man etwas tut, womit man zufrieden ist und was einem Spaß macht, dann kann man auch mit einer höheren Belastung umgehen und läßt den Streß nicht an den Kindern aus.
Abschließende Gedanken zum Thema
Die Jugend als eine Phase des Kampfes, der Verzweiflung, der Unsicherheit, des Suchens und Findens beschäftigt Autoren der Entwicklungspsychologie in zunehmendem Maße. Obwohl ich selbst diese Zeit nicht als so problematisch empfunden habe, sei es, weil ich relativ behütet aufgewachsen bin oder weil ich selbst ein relativ unkomplizierter Mensch bin, kann ich durchaus nachvollziehen, daß diese Ablösungsphase oft sehr viele Schwierigkeiten mit sich bringt.
Einerseits soll man versuchen, in dieser Zeit seine eigenen Werte, Ideale und Ziele zu finden, andererseits hat man noch nicht genug Rechte und Möglichkeiten, um sich in dieser Hinsicht auch wirklich auszuprobieren. Auch die meist unterschiedlichen Ansichten der Generationen bringen viele Konflikte mit sich.
Die Familie spielt bei diesen Konflikten und der Phase der Adoleszenz eine wichtige Rolle, sei es als Auslöser der Konflikte oder als Rückhalt in schwierigen Situationen, bei Konflikten mit sich selbst. Aus diesem Grund ist die Familie und die Konstellation Jugendlicher in der Familie ein wichtiges Thema für die Entwicklungspsychologie.
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