Die Unfähigkeit zum Gespräch


Seminar Paper, 1997

14 Pages, Grade: gut


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Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG

1 DIE SPRACHE ALS MEDIUM

2 MONOLOG UND SELBSTGESPRÄCH

3 DIE KUNST DES GESPRÄCHS
3.1 Der sokratische Dialog als besondere Form des synergistischen Gesprächs..

4 DIE INFORMATIONSGESELLSCHAFT
4.1 Die Mediengesellschaft
4.2 Digitale Technologien als Kommunikationsmittel ?

5 DIE KOMMUNIKATIONSGESELLSCHAFT OHNE KOMMUNIKATION?

6 DIE KOMMUNIKATIONSKLUFT ODER DIE UNFÄHIGKEIT ZUM GESPRÄCH

7 RESÜMEE

8 LITERATURVERZEICHNIS

Einleitung

Bevor von der Unfähigkeit zum Gespräch die Rede sein kann, muß erst geklärt werden, was ein Gespräch ausmacht. Es handelt sich um mehr als Konversation, als den wechselnden Umgangsstil des geselligen Lebens. Es ist eine Erfahrung, durch die Menschen einander nahekommen. Sie geraten Schritt für Schritt tiefer in ein Gespräch und sind am Ende so darin verwickelt, daß eine erste nicht wieder abreißende Gemeinsamkeit zwi- schen den Partnern entsteht.1

Durch die moderne Informationstechnik, die in ihren Anfängen steht und die wissenschaftlich-technische Denkweise, wird das menschliche Verhal- ten im gesellschaftlichen Leben zunehmend monologisiert. Wer nimmt sich in dieser schnellebigen Zeit noch Zeit für ein intensives Gespräch, das eventuell nicht einmal ein Ergebnis zeitigt ? Eine allgemei- ne Erscheinung unserer Zivilisation ist die Vereinsamung in der modernen Welt. Als Ursache des Beziehungssterbens gilt unter Psychotherapeuten die Sprachlosigkeit, die sogenannte Kommunikationskluft. Wie eine sich langsam ausbreitende Wüste verdrängt das reibungslose Nebeneinander das Miteinander.

In einer Zeit der Überflutung durch pausenlos tönende Massenmedien steigt die Skepsis gegenüber Worten.2 Menschen kommunizieren mit Maschinen. Geht das klassische Gespräch verloren ?

1 Die Sprache als Medium

Die menschliche Lebensform wird durch die Sprachfähigkeit gekennzeich- net. Erst die Sprache eröffnet dem Menschen die Umwelt, erst sie ermög- licht die Entwicklung der Vernunft. Die Vernunft ist wesentlich Sprache, womit nicht gesagt ist, daß alles Gesprochene vernünftig wäre.3 „Sprache und Erkenntnis sind streng miteinander verkreuzt. Sie stützen sich aufein- ander, ergänzen und kritisieren sich unaufhörlich. Der Geist spricht und erkennt in der gleichen Bewegung. Die Sprache eines Volkes bildet ihr Vokabular, und ihr Vokabular ist eine ziemlich treue Bibel aller Erkenntnis- se dieses Volkes“.4 „Das gesprochene Wort war die erste Technik, die es dem Menschen möglich machte, seine Umwelt loszulassen und sie in neuer Weise zu ´begreifen`. Wörter sind eine Art Informationsspeicher mit welchem man mit großer Geschwindigkeit die ganze Umwelt und Erfah- rung wiedererwecken kann“5 Dies können sie nur sein, wenn sie die Be- deutung vergangener Äußerungen ansammeln und wiedergeben. Das Sprechen arbeitet am Netz der Sprache, indem es die Bedeutung eines Wortes durch die Stellung festlegt und sukzessive verändert, Relationen auf- und abbaut, verstärkt, schwächt oder umstrukturiert.6

„Die Sprache ist die Analyse des Denkens, [...] (eine) tiefgreifende Schaffung der Ordnung im Raum“.7

2 Monolog und Selbstgespräch

„Monologe im vollen Sinne des Wortes gibt es in Wirklichkeit und unter gesunden Menschen nicht und hat es nie gegeben, sie sind ein Unding. [...] Alles Sprechen ist [...] entweder schon Teil eines Gespräches oder birgt doch den Keim in sich, aus dem ein solches werden könnte, und hat so auf die eine oder andere Weise die Richtung auf das Gespräch. Die Natur des Sprechens drängt zum Gespräch [...“].8

„Sprache ist nur im Gespräch“9 Dabei muß der Gesprächspartner nicht einmal leibhaftig zugegen sein. So können sich etwa örtlich entfernte Personen oder auch längst Verstorbene mahnend oder freundlich beratend in unsere Selbstgespräche einmischen.10

Das Selbstgespräch (im weitesten Sinne ein Gespräch) begleitet uns unser Leben lang. Alles Denken ist nichts anderes als ein „inneres Gespräch der Seele mit sich selbst“.11 Selbst ein Gebet ist nach Feuerbach ein fiktionales Gespräch, in dem der Mensch Gott mit „Du“ anredet und so sein Wesen in zwei Teile teilt, er führt ein Gespräch mit sich selbst, mit seinem Herzen, er erklärt Gott für sein anderes Ich.12

3 Die Kunst des Gesprächs

Das echte, eigentliche Gespräch kann sich nur in Muße entwickeln13 und fordert Symmetrie zwischen den Gesprächspartnern.14 Das Wort Muße bedeutet etymologisch: Gelegenheit oder Möglichkeit, abgeleitet von der alten Bedeutung von müssen = können.15 Es handelt sich um das tiefsinnige Gespräch im Freundeskreis16, es hat seinen Wert in sich selbst, ist zirkelhaft, kreist um ein Thema und ist im Idealfall nicht ergebnisorientiert. Es ist zeitlich nicht strikt fixiert und hat kein natürliches Ende.17 Das eigentliche Gespräch wird von keinem der Teilnehmer geführt18 und erlaubt den freien Sprecher-Hörer-Rollenwechsel.19

„ ...ein echtes Gespräch kann man nicht vordisponieren. Es hat zwar seine Grundordnung von Anbeginn in sich, aber nichts kann angeordnet werden, der Gang ist des Geistes, und mancher ent- deckt, was er zu sagen hatte, nicht eher, als da er den Ruf des Geistes vernimmt“.20

Wenn sich zwei Menschen begegnen und miteinander austauschen, auch im schriftlichen Gedankenaustausch21, treffen sich immer zwei Welten, zwei Weltblicke und zwei Weltbilder, die einander gegenüber treten. Dies ist das Prinzip der Wahrheit, eine Ausweitung unseres Weltbildes mit seinen Verblendungen. Das Gespräch ermutigt unserer Einzelheit zu entfliehen und mit einer allen gemeinsamen Vernunft eine mögliche Gemeinsamkeit zu suchen.22

Man nennt dies ein synergistisches Gespräch: (= Zusammenwirken, die sich gegenseitig verstärkende Wirkung zweier oder mehrerer Kräfte), ein mildes Streitgespräch unter Freunden. Unter einem Diskurs nach Habermas wird eine lebhafte Erörterung, Unterhaltung oder Abhandlung verstanden. Voraussetzung dafür ist die wechselseitige Anerkennung der Subjekte.23 Der Diskurs ist ergebnisorientiert, im Gespräch dagegen nähert man sich einer Sache schrittweise und eher zufällig an.

Das Unterrichts- und Lehrgespräch ist gebunden durch ein vorab definier- tes Ziel, es ist immer geleitet, also asymmetrisch. Es besteht aus einer Vorstruktur des Vorzeigens und Vortragens und einer Nachstruktur des Lernens. Dennoch bleibt die bewußte und planvolle Lehre auf das Ge- spräch angewiesen.24

3.1 Der sokratische Dialog als besondere Form des synergistischen Gesprächs

Das sokratische „Lehrgespräch“ ist nicht Lehre im Sinne einer Vorstruktur. Der Schüler wird durch geschickte Fragen auf die Lösung des Problems hingeführt, er bringt mit Hilfe seines mäeutischen Lehrers das Wissen aus sich selbst hervor, so als brauche er sich lediglich zu erinnern. Die kritisch prüfende Erörterung, die argumentierende Beweisführung im Dialog und dessen vermeintliche Ergebnislosigkeit - die „sokratische Aporie“ (= die Ausweglosigkeit, Unmöglichkeit eine philosophische Frage zu lösen) - führt zu einer zutiefst pädagogischen Provokation zur selbständigen Denkbemühung. Jedoch ist die Widerlegung des Gegenübers nie Selbstzweck, sondern ein notwendiges Nebenergebnis im gemeinsamen Ringen um vernünftige Einsicht. Es ist eine Orientierung am gemeinsamen Ziel, das sie zu verwirklichen suchen.25

4 Die Informationsgesellschaft

Es ist kaum übertrieben zu behaupten, daß der Telegraph mit seinen Nachfolgeerfindungen zur Entstehung einer neuen Definition von Intelli- genz beigetragen hat, denn im Zuge der Überflutung der Welt mit Informa- tionen gewann die Frage, wieviel man weiß, immer mehr Gewicht gegen- über der anderen Frage, welchen Nutzen man aus seinem Wissen zieht.26 Wissen ist das zentrale Produkt unserer Informationsgesellschaft. Die Be- schleunigung der Wissensproduktion läßt jede Information schnell veral- ten. Die Auswirkungen der Technik sind stets unvorhersehbar. Eine Ma- schine wird für einen begrenzten Zweck gebaut, nach einiger Zeit wird dann oft mit Schrecken oder Erstaunen festgestellt, daß sie nicht nur ei- nem Zweck dient, sondern eine ganze Anhäufung von Ideen mit sich bringt. Sie ist nicht nur in der Lage die Gewohnheiten der Menschen zu verändern, sondern auch ihre Denkweise.

4.1 Die Mediengesellschaft

Der Oberbegriff der Kommunikation bietet sich in seiner ursprünglichen Bedeutung an (communicare: etwas gemeinsam machen, einander mitteilen), hat aber einen Bedeutungswandel durch die vielfältigen Kommunikationstheorien erfahren. Er wird als Informationsübertragung oder Mitteilung definiert, andererseits auch mit dem Konsum von Massenmedien verbunden. Paul Watzlawick bezeichnet Kommunikation als menschliches Verhalten, was ein Nicht-kommunizieren von Menschen (durch non-verbale Kommunikation z.B. Mimik, Gestik) unmöglich macht.27

Sprache ist eine Abstraktion aus der Erfahrung, während Bilder konkrete Darstellungen von Erfahrung sind. Ein Bild mag soviel wert sein wie tau- send Worte, aber es ist auf keinen Fall ein Ä quivalent für tausend oder hundert oder auch nur zwei Worte. Wörter und Bilder gehören unterschied- lichen Diskurssphären an, denn ein Wort ist stets und vor allem eine Idee, sozusagen ein Produkt der Vorstellungskraft. Worte erfordern eine aggres- sive Reaktion auf deren Wahrheitsgehalt, während Bilder eine ästhetische Reaktion hervorbringen. Sie sprechen die Gefühle an und nicht den Verstand.28 Das Fernsehen ist ein bildliches Medium und bietet eine ziemlich primitive, unwiderstehliche Alternative zur linearen, sequentiellen Logik des gedruckten Wortes. Es verlangt keine besonderen Fähigkeiten und entwickelt auch keine. Die gesprochene Sprache tritt in eine scharfe Konkurrenz zu den Bildern und ist eigentlich nur erforderlich, um die Bilder in einen Zusammenhang zu bringen.29

Veränderungen innerhalb der Kommunikationstechnik haben stets drei Wirkungen:

1. die Veränderung der Struktur der Interessen (die Dinge, über die nachgedacht wird)
2. die Veränderung des Charakter der Symbole (die Dinge, mit denen nachgedacht wird), somit haben technisch-systemische Entwicklungen auch Einfluß auf die Veränderung von Sprache und Denken
3. das Wesen der Gemeinschaft (die Sphäre, in der sich Gedanken entwickeln)

James Carey bemerkt dazu: „Vielleicht stellen wir dann fest, daß sich die Struktur unseres Bewußtseins umgeformt hat, um der veränderten Kommunikationsstruktur zu genügen, daß wir zu dem geworden sind, was wir geschaffen haben.30

4.2 Digitale Technologien als Kommunikationsmittel ?

Der Frankfurter Medienwissenschaftler Hartmut Winkler stellt die Frage nach den gesellschaftlichen Motiven für den Umbruch der Medienland- schaft von den Bildmedien weg zu den Computern, zum `Internetz´. Die totgesagte „Gutenberggalaxis“ erlebt mit dem Datenuniversum einen neu- en Aufschwung. Das in den Bibliotheken verstaubende und zwischen den Buchdeckeln gepreßte Wissen der letzten Jahrhunderte wird mit in den Cyberspace, die sogenannte Touring-Galaxis hinein genommen. Im Ge- gensatz zur Einlinearität von Texten verbindet sich im Netz die Vorstellung vom n-dimensionalen Raum, den die Texte durchlaufen. Der mehrdimen- sionale Aufbau des digitalen Netzes bietet neue Formen der Textarchitek- tur. Sogenannte Hypertexte erscheinen, hinter denen sich weitere Doku- mente verbergen, die durch Querverweise (Links) auf der Matrix („Neusprech“31 ) sichtbar gemacht werden.

„Die Dynamik der Medienentwicklung hat ihre Ursache in bestimmten Wunschstrukturen und verfolgt Sets impliziter Utopien“.32 Folgt man der Argumentation Flussers zwingt uns die Praxis der elektronischen Ge- dächtnisse (einzelne Rechner) dazu, alle Gegenstände, selbst unseren eigenen Körper, als Medien des Informationsprozesses zu erkennen.33 Zu- sammengenommen ergeben die Informationsprozesse ein kollektives Ge- dächtnis, das Gehirn der Gesellschaft, „das als eine arbeitsteilig organi- sierte und kommunikativ vernetzte Gesamtstruktur tatsächlich ´klüger` sein könnte als die involvierten Individuen“.34 Die Froschperspektive des Einzelnen und die Komplexität des kollektiven Gedächtnisses fallen schmerzlich auseinander und das kollektive Gedächtnis wird für das indi- viduelle Denken zunehmend undurchsichtig. Der einzelne User steht dem Datenuniversum überfordert ob seiner Möglichkeiten der Information und des Datenaustausches gegenüber.

Es können verschiedene Ebenen im Netz unterschieden werden: der seelenlose Datenraum und die Möglichkeit „zwischenmenschlich“ im Direktkontakt zu kommunizieren (ein Beispiel sind die sogenannten virtuellen Städte, die eine direkte Kommunikation ihrer Bewohner und auch deren Besucher ermöglichen).

Einerseits entstand der Gedanke, die globale Kommunikation würde die Kulturen verschmelzen, anderseits zeigt sich, daß sich genau so gut der Zusammenhalt kleiner politischer, ethnischer oder religiöser Interessengruppen verstärken kann.35

5 Kommunikationsgesellschaft ohne Kommunikation?

Betrachtet man die aktuelle Situation, stellt man ein Paradoxon fest. Es wird mehr denn je telephoniert, informiert, gefaxt, übermittelt, bis in den letzten Zipfel der Welt. Jedoch die einfachste Form der zwischenmenschlichen ‘Kontaktaufnahme’ scheint zurückzugehen.

6 Die Kommunikationskluft oder die Unfähigkeit zum Gespräch

Das Resultat der immer schneller aufeinanderfolgenden technischen Inno- vationen ist die psychosoziale Beschleunigung.36 Durch das rein organi- sierende, regelnde, sachbezogene, das „technische“ Gespräch, das nur Alltagsverwaltung ist, können oft keine Bindungen an einem gemeinsamen seelischen Ort wachsen. Besonders in Beziehungen bedeutet die Bezie- hungslosigkeit doppelte Einsamkeit. Es findet kein Austausch von Selbst- porträts, keine gemeinsame Entwicklung statt. Das Dasein wird nebenein- ander gefristet. Die Weltbilder bleiben unverbunden und nichts enttäuscht mehr als die Unmöglichkeit, nach dem eigenen Wesen zu leben. Wir le- ben nicht als diejenigen, die wir sind, solange es uns nicht gelingt, unse- ren wesentlichsten Bedürfnissen Gehör zu verschaffen. Ein Paar, das sich nicht abstimmen kann, verhindert die Selbstverwirklichung beider Partner, verhindert die eigene Beziehung. Schlimmer kann es kaum kommen. Es werden enorme Energien verbraucht, um die bis zu Destruktivität anwach- sende Enttäuschung in Schach zu halten. Durch die Verdrängung entste- hen depressive Verstimmungen und psychosomatische Folgekrankheiten. Dies ist von hoher sozialpolitischer Bedeutung, da Gesundheit und Krank- heit in vielen Fällen abhängig vom Paarleben ist.37 Die bisherige endlose Beziehungdiskutiererei sind Zwiespaltgespräche. Der eine will dem ande- ren weismachen, wie er wirklich ist, der seelische Schwerpunkt liegt beim anderen. Im Zwiegespräch dagegen bleibt jeder bei seinem eigenen Erle- ben und versucht dem Anderen zu zeigen, wie er sich gerade selbst erlebt.

Die drei Hauptwurzeln der zunehmenden Kommunikationskluft („communication gap“) sind:

1. Der allesdurchdringende Wirtschaftszwang: Menschen werden vom Kindergarten an durchfunktionalisiert

2. Massenmedienfreizeit: Die strukturierende Hauptwirkung der Einweg-

Massenmedien berauben, jenseits aller Inhalte, den passiven Konsumen- ten um ihre Zeit für ihre persönliche Kommunikation. Medien bieten eine gute Fluchtmöglichkeit vor Eigenreflektion und gesellschaftlicher Ausei- nandersetzung

3. Wandel der seelischen Entwicklungsbedingungen38

Neurosen und Psychosen sind letztlich „Kommunikosen“, d.h.: Ausdruck einer mehr oder weniger umfassenden Sprachzerstörung. Ein Sprecher, der die gemeinsame Sprachgrundlage mit anderen verloren hat wird zum Idiot (griech.: Privatmann).39 Bei dem Heilgespräch in der Psychoanalyse muß die erste Voraussetzung die Krankheitseinsicht sein, das heißt, die Unfähigkeit zum Gespräch muß sich selbst eingeständig sein.40 In einer Welt der ständigen Reizüberflutung und Medialisierung fällt es immer schwerer jemandem wirklich zuzuhören, sich in die Lage des Ge- sprächspartners zu versetzen und ihn zu verstehen. Wichtig hierbei ist je- doch eine an sich einfache Eigeneinsicht. „Die Unfähigkeit zu hören ist eine so wohlbekanntes Phänomen, daß man sich durchaus nicht dabei andere vorzustellen braucht, die diese Unfähigkeit in besonderem Maße besäßen“.41

Ein klassisches Ergebnis der Sozialpsychologie und der menschlichen Verhaltensforschung ist: Unsere Zuneigung zueinander wächst, je mehr wir voneinander erfahren. Diese Erkenntnis bleibt jedoch ungenutzt. Viele Menschen befürchten das Gegenteil. Mit Distanz wollen sie ihre Schwä- chen verbergen. Sympathie bedeutet „mitfühlen, mitleiden. Wir müssen uns nur die Gelegenheit (Muße) bieten, die Welt mit den Augen des ande- ren zu sehen. Der Austausch von Selbstporträts führt nicht zu einer einsei- tigen Entwicklung des einen, sondern ist mit dem anderen verbunden, die Selbstverwirklichung verstärkt sich wechselseitig, nicht wie häufig im Ver- lauf von Einzel-Psychotherapien [...].42

7 Resümee

Zunehmend entwickelt sich ein kritisches Bewußtsein in Teilen der Bevöl- kerung, unter anderem auch das der ´netuser`, die auf den Mythos vom „global village“ nicht mehr hereinfallen wollen, der lediglich eine ökonomi- sche Kategorie darstellt, um die scheinbar unerschöpflichen Ressourcen des Kommunikationsmarktes zu verwerten. Die realen gesellschaftlichen Problematiken aber bleiben die gleichen und können auch nur durch so- ziale Beziehungen, die die direkte Auseinandersetzung implizieren, gelöst werden. Kommunikationstechniken müssen zukünftig als gesellschaftliche Hilfsmittel gesehen werden und nicht als Konsumgüter, die aus Menschen

Autisten machen. Die Vision der Auflösung der geographischen Grenzen ist bar jeglicher Realität, brauchen wir doch immer noch acht Stunden mit dem Flugzeug von Frankfurt nach New York.

Die Vernetzung außerhalb des Netzes, zunächst der Institutionen (z. B. im Kommunalbereich) wird zunehmend erkannt. Damit ist nicht der reine Da- tenabgleich zur Überprüfung und Transparenz der Bürger gemeint, son- dern die gemeinsame Erarbeitung von Lösungsstrategien in Zeiten knap- per Kassen. Die Form der Kooperation (als Austausch) zum Beispiel in Arbeitskreisen, Gremien und Ausschüssen, nimmt beim Überfluß der ge- schriebenen Worte wieder einen wichtigen Stellenwert ein.

Die Wiederentdeckung des Dialogs als Gegenpol, als Bereicherung der eigenen Persönlichkeit, spiegelt sich zunächst in gesellschaftlichen Rand- gruppen wider. Der Entsolidarisierung der Gesellschaft (mit ihrer scheinba- ren Individualisierung) werden Gegenbewegungen, in Form von Selbsthil- fegruppen, Bürgerinitiativen und Interessengemeinschaften entgegenge- setzt. Schon Friedrich Schleiermacher hat in diesem Sinne 1927 bemerkt:: „Runde Tische sind ein hölzernes Mittel gegen die Vereinzelung“.43

Fazit:

Das Gespräch ist eine unverzichtbare Form des Miteinander, ohne die der Mensch nicht lebensfähig ist.

8 Literaturverzeichnis

Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge: eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt am Main 1974

Gadamer, Hans-Georg: Bd. 2. Hermeneutik: Wahrheit und Methode. - 2. Ergänzung, Register. Tübingen 1986

Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 23. Erweiterte Auflage. Berlin, New York 1995

Moeller, Michael Lukas: Die Wahrheit beginnt zu zweit. Das Paar im Ge- spräch. Reinbek bei Hamburg 1988

Postman, Neil: Das Verschwinden der Kindheit. Frankfurt 1983

Spiegel, Nr. 1. Vom 29.12.1997 S. 136

Weiß, Edgar: Zur Typologie des Gesprächs.

Kieler Berichte aus dem Institut für Pädagogik der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel.; Rote Reihe: Phänomenologische und hermeneutische Pädagogik, Pädagogische Anthropologie, Ethik der Erziehung Nr. 1. Kiel 1989

Winkler, Hartmut: Docuverse. Zur Medientheorie der Computer. München 1997

[...]


1 vgl. Gadamer 1972 S. 208

2 Moeller 1988 S. 17

3 vgl. Schleiermacher 1977. In: Weiß 1989 S. 2

4 Foucault 1974 S. 124 f (F. grenzt die Gültigkeit auf die Phase der Klassik ein.)

5 Mc Luhan 1968. In: Winkler 1997 S. 67

6 vgl. Winkler 1997 S. 207

7 vgl. Foucault 1974 S. 120

8 Hirzel 1895 Bd.I S. 7 f. In: Weiß 1989 S. 31

9 Gadamer 1972 S.207

10 vgl. Weiß 1989 S. 3

11 Platon, Sophistes, 263e ff, S. 239. In: Weiß 1989 S. 2 31

12 vgl. Feuerbach 1849, S. 198 und 200. In: Weiß 1989 S. 32

13 vgl. Bollnow 1966b S. 48; 1975 S. 41. In: Weiß 1989 S. 16

14 vgl. Weiß 1989 S. 10

15 vgl. Kluge 1995. Etymologisches Wörterbuch

16 vgl. Bollnow 1966 b S.50. In: Weiß 1989 S. 18

17 vgl. Loch 1962 S. 651 f. In: Weiß 1989 S. 7

18 vgl. Gadamer 1975 S. 361

19 vgl. Henne 1977 S. 67. In: Weiß 1989 S. 7

20 Buber 1979 S. 296. In: Weiß 1989 S. 32

21 vgl. Gadamer 1975 S. 251. In: Weiß 1989 S. 2

22 vgl.Gadamer 1972 S. 210

23 vgl. Habermas 1971a, S. 192

24 vgl. Weiß 1989 S. 13

25 vgl. Weiß 1989 S. 15

26 Postman 1987 S. 86

27 vgl. Watzlawick/Beavin/Jackson 1980. In Weiß 1989 S. 19 f

28 vgl. Postman S. 87 ff

29 vgl. Postman S. 117

30 vgl. Postman1987 S. 34

31 Ausdruck für eine Sprachveränderung. In: George Orwell: 1984

32 Winkler 1997 S. 16

33 vgl. Flusser 1989. In Winkler 1997 S. 136 f

34 Winkler 1997 S. 139

35 vgl. Spiegel Nr. 1 29.12.97

36 vgl. Moeller 1988 S. 36

37 vgl. Moeller 1988 S. 13 ff

38 Moeller 1988 S. 58

39 vgl. van der Berg 1960 S. 192. In Weiß 1989 S. 21

40 vgl Gadamer 1972 S. 213

41 Gadamer 1972 S 214

42 vgl. Moeller 1988 S. 61

43 vgl. Schleiermacher 1927 a. In: Weiß 1989 S. 32

Excerpt out of 14 pages

Details

Title
Die Unfähigkeit zum Gespräch
College
University of Kassel
Course
Seminar `Vom Erklären und Verstehen`
Grade
gut
Author
Year
1997
Pages
14
Catalog Number
V98004
ISBN (eBook)
9783638964555
File size
360 KB
Language
German
Notes
Was ist ein Gespräch, sterben Gespräche aus ?
Keywords
Unfähigkeit, Gespräch, Seminar, Erklären, Verstehen`
Quote paper
Simone Mikeler (Author), 1997, Die Unfähigkeit zum Gespräch, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98004

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