Bevölkerungsgeographie der Entwicklungsländer
1. Entwicklungstendenzen der Bevölkerung
- Anzahl der Menschen wächst langsamer als noch vor 30 Jahren (2% Zuwachsrate - heute: 1,3%!)
- trotzdem: 78 Mio. Menschen pro Jahr
- Frauen bekommen im Durchschnitt weniger Kinder - aber: mehr Frauen im gebärfähigen Alter
2. Modell des demographischen Übergangs
- regionale Verteilung der Menschen: 75% leben in Entwicklungsländern - auf sie entfallen 90% des jährlichen Zuwachses
- Demographie untersucht Bevölkerungswachstum und Entwicklung
- wichtigste Größe: natürliche Wachstumsrate (Saldo von Geburten- und Sterberate), Wanderungsbilanz (berechnet sich aus Zu- und Fortzügen)
- unterschiedliche Bevölkerungsentwicklung resultiert aus unterschiedlichen generativen Verhalten - in ein komplexes Gefüge aus wirtschaftlichen, soz. und religiösen Bedingungen eingebunden
- Modellfall: England und Wales
- vorindustrielle Agrargesellschaft Englands: Sterbe- und Geburtenrate verliefen auf hohem Niveau ungefähr parallel
- Industrialisierung u. rasch einsetzender med. und techn. Fortschritt: Sterberate sank ab etwa 1750, Geburtenrate bleib konstant
- Bevölkerung wuchs stark - bis 1880 um das Dreifache
- ab 1880 sank auch die Geburtenrate -> Bevölkerungswachstum verringerte sich
- veränderte Lebensbedingungen und Wertvorstellungen -> Veränderung des generativen Verhaltens
- heute: Bevölkerungsentwicklung in England nahezu stationär
- beobachtete Veränderung vollzogen sich auch in anderen Industrieländern -> Vier-Phasen-Modell des demographischen Wandels
- Besonderheiten bei der Übertragung auf Entwicklungsländer:
- Sterberate sinkt schneller, da gesamter med.-techn. und hyg. Fortschritt gleichzeitig zum Tragen kommt - Geburten- und Sterberate fallen besonders weit auseinander, Wachstumsraten sind sehr hoch (Bevölkerungsexplosion)
- Geburtenrate sinkt schnell; Möglichkeit: durch moderne Massenkommunikationsmittel ändern sich Verhaltensweisen schneller
- Erwartung: ges. demograph. Übergang vollzieht sich schneller
3. Ursachen für die Bevölkerungsexplosion
- relative Überbevölkerung
Von relativer Überbevölkerung spricht man, wenn die menschlichen Bedürfnisse, die derzeit unter den geltenden technologischen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen, verfügbaren Ressourcen überschreiten
- absolute Überbevölkerung
Von absoluter Überbevölkerung spricht man, wenn die Grenzen der Ausschöpfung auch dann überschritten werden, wenn politische, ökonomische und technische Reformen durchgeführt werden.
- Ursachen für die hohe Geburtenrate:
- Kinder sind wichtige Arbeitskräfte in einer wenig mechanisierten Land- und Hauswirtschaft
- Kinder dienen zur Sicherung der Altersversorgung der Eltern # viele Kinder erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass mind. ein Familienmitglied eine gutbezahlte Arbeit bekommt
- aus nationalen, traditionellen und religiösen Gründen werden viele Kinder als Reichtum betrachtet
4. Folgen des Bevölkerungswachstums
4a) Altersstruktur
- Formen von Bevölkerungspyramiden
Pyramidenform:
- wachsende Bevölkerung
- frühe Sterberate -> insg. langsam wachsende Bevölkerung
- Phase I-III des demograph. Übergangs
Glockenform
- Geburtenrate gegenüber der Pyramidenform gesunken
- jährliche Geburtenrate gleich
- stationäre Bevölkerung
- Bev.-Zunahme im Alter -> Lebenserwartung steigt
- Phase IV des demographischen Übergangs
Urnenform
- Neugeborenenjahrgang ist kleiner als voriger
- schrumpfende Bevölkerung
- Ende Phase IV und V des demographischen Übergangs
Tropfenform
- aussterbende Bevölkerung
- kein/kaum Nachwuchs
- Unterscheidung in drei Hauptaltersgruppen
- Kinder und Jugendliche unter 15 - noch nicht erwerbstätig, verursachen volkswirtschaftlich keine Kosten, die für Investitionen im Bereich Gesundheit und Ausbildung notwendig sind.
- Altergruppe zw. 15 und 65 - produktiver und aktiver teil der Bevölkerung, sind in der Regel erwerbstätig
- Altersgruppe über 65 - nicht mehr erwerbstätig, verursacht Kosten im Bereich der Rentenversorgung und Gesundheit
- über die direkte Zahl der Erwerbstätigen ist keine Aussage möglich
- Verschiebung der Schwellenwerte zw. den Hauptaltersgruppen durch:
Industriel ä nder: Verlängerung der Ausbildung, Herabsetzung des Rentenalters
Entwicklungsl ä nder: Teilnahme von Kindern am Erwerbsprozess
- offene und versteckte Arbeitslosigkeit werden nicht ausgewiesen + Arbeit der Frau erscheint meist nicht in den Statistiken
- Arbeiten der Frau (landwirtschaftl. Arbeit, Herstellung einfacher Konsumgüter, Verkauf der Pro. auf dem Markt) gelten als Hausarbeit, obwohl sie meist wesentlich zum Einkommen der Familie beitragen
- traditionelle Auffassung: Frauen dürfen keinem offiziellen Beschäftigungsverhältnis nachgehen - ausschließlich Aufgabe des Mannes
TM Vergleich zw. Industrie- und Entwicklungsländern nur bedingt aussagekräftig
- volkswirtschaftlich wünschenswert: ausgewogene Verteilung der drei Altersgruppen
- ein zu gr. Teil inaktiver Bevölkerung bedeutet hohe Investitionen -> Finanzierung von der produktiven Bevölkerung
- Probleme der Industrie- und Entwicklungsländer stellen sich unterschiedlich dar:
Industrieländer:
- hoher Anteil der Bevölkerung über 65 + niedrige Geburtenrate - schrumpfende Bevölkerung -> zunehmende Überalterung mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen (Rentenfrage, Krankenversicherung)
Entwicklungsländer:
- jährlich steigende Anzahl von Kindern und Jugendlichen -> hohe Investitionen in den Bereichen Gesundheit und Ausbildung
- hohe Anzahl von Jugendlichen sucht Arbeitsplätze
- gesetzliche Renten- und Krankenversicherungen fehlen
- ihre aufgaben werden noch weitgehend von den Großfamilien übernommen => viele Kinder sind daher wünschenswert
5. Familienplanung und -politik: Maßnahmen zur Bekämpfung der Bevölkerungsexplosion
5a) Bevölkerungspolitik
- Bevölkerungswachstum macht zunehmend bevölkerungspolit. Maßnahmen erforderlich
- gezielte Familienplanung (u.a. Geburtenregelung) -> Verringerung des natürlichen Bevölkerungswachstums
- Maßnahmen: Aufklärung der Bevölkerung, Durchführung von freiwilliger Sterilisation sowie anderer empfängnisverhütender Methoden
- Maßnahmen allein bringen wenig Erfolg -> zusätzliche Strategien (v.a. Hebung des Lebensstandards) müssen ergriffen werden
- Verbesserung in anderen Bereichen (z.B. Gesundheitsvor- und -fürsorge, im Bildungsbereich und Verbesserung des Status der Frau und ihr Zugang zum Arbeitsmarkt) müssen mit der Familienplanung Hand in Hand gehen - > hat viel größere Auswirkungen als ein Faktor allein
- sozio-kulturelle Normen und Verhaltensweisen bestimmen die Anzahl der Kinder
- Kinder werden zunächst als Arbeitskräfte und Mitverdienende, später als Altersversicherung gesehen
=> Änderung des generativen Verhaltens sehr schwierig!!!
5b) Generatives Verhalten und Wachstumsunterschiede
- unterschiedliche Bevölkerungsentwicklung der versch. Staaten erklärt sich aus dem unterschiedlichen generativem Verhalten
generatives Verhalten:
Gesamtheit der wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und kulturellen, psychologischen und rechtlichen Handlungs- und Verhaltensbedingungen, einschließlich der Ziele und Wertvorstellungen der Menschen, von denen die zahl der Lebendgeborenen pro Leben einer Frau beeinflusst wird.
- generatives Verhalten wird von einem komplexen Beziehungsgefüge gesteuert
- zwei Faktoren spielen eine zentrale Rolle: Je h ö her das Bildungsniveau und je gesicherter die rechtliche Situation der Frauen, desto geringer ist die durchschnittliche Kindzahl pro Frau bzw. pro Familie
- weitere Faktoren wirken ein: Beteiligung der Frauen am Erwerbsleben + Verfügbarkeit und Anwendung empfängnisverhütender Mittel
- geringe Kinderzahl -> erlaubt Familien ihre Kinder eine längere Schulausbildung zu ermöglichen -> Heiratsalter erhöht sich -> Generationsabstand wird größer -> Rückgang der Geburtenziffer
- Industrieländer: gestiegene Lebensansprüche, Wunsch nach mehr Freizeit, Berufstätigkeit der Frau, Wohnungsprobleme, steigende Kosten für die Kinderversorgung -> Anzahl der Geburten pro Paar weiter rückläufig
- Entwicklungsländer: Veränderung des generativen Verhaltens (hier: verringertes natürlichen Bevölkerungswachstum) wird durch Verbesserung der hygienischen und medizinischen Versorgung gebremst -> weil sich dadurch die Kinder- und Jugendsterblichkeit verringert -> Lebenserwartung steigt
5c) Gegner und Befürworter der Bevölkerungspolitik
- Gegner
Fundamentalisten aus Religion und Ideologie
- machen Front gegen die notwendigen politischen Schritte
- Lehre: Einführung einer schönen gerechten Welt -> Bevölkerungsproblem löst sich von selbst
- Motive: ein Bewusstsein ausschaltendes Gottvertrauen, Traum von einer starken, weil bevölkerungsreichen Dritten Welt, die am Wohlstand der Industrieländer rüttelt
- auch renommierte Dritte-Welt-Experten mischen sich ein: unterstützen intellektuell die Kämpfer gegen die Bevölkerungspolitik
- Verneinen: Unterentwicklung sei durch das Bevölkerungswachstum entstanden
- Einfluss der religiös und ideologisch motivierten Totalverweigerer darf nicht unterschätzt werden
Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt (ASW)
- verteufeln bevölkerungspolitische Ansätze
- berufen sich auf einen Aufsatz der UN: Boden der Entwicklungsländer ohne China könnte 33 Mill. Menschen ernähren (Nachteil: jeder qm müsste bewirtschaftet und gedüngt werden, Großteil der Regenwälder müsste gerodet werden
Die Grünen
- sind bereit ihre Grundprinzipien (gewaltfrei, sozial, basisdemokratisch, ökologisch) über den Haufen zu werfen, nur um die Bevölkerungspolitik zu bekämpfen
- wollen, dass sich Eltern beim Kinderkriegen von ihren ureigensten Instinkten leiten lassen - dass dies langfristig den Weltfrieden gefährdet scheint sie nicht zu kümmern
- im Gegenteil: bedrohter Weltfrieden passt ins Bild -> Süden soll den Norden nach Kräften bedrohen
- bevölkerungspolitische Maßnahmen = verabscheuungswürdiges ,,Mittel als Aufstandsbekämpfung" in den Drittweltstaaten
BUKO
- Entwicklungsprojekte der Bevölkerungspolitik aus Angst vor möglicherweise wachsendem Unruhepotential
katholische Kirche
- moralische Abneigung gegen die Empfängnisverhütung (,,Empfängnisimperialismus", ,,chem. Neokolonialismus")
- Grund für den Druck auf Kontrazeption: Verteidigung des Besitzes der Industrieländer gegen die unerwünschte Schar der Erben aus der Dritten Welt - man fürchtet sie als Bedrohung des eigenen Besitzstandes
Kritiker allgemein
- haben richtig erkann: oft ist es die Armut, die Eltern veranlasst viel Kinder zu bekommen
- Argument: weniger Armut bremst das Bevölkerungswachstum
- Familienplanung, die den Wohlstand steigern will, ist in den Augen der Kritiker dennoch unzulässig
- Armut werde dabei für bevölkerungspolitische Zwecke ausgenutzt
Häufig gestellte Fragen
Was sind die Haupttrends in der Bevölkerungsentwicklung laut dem Dokument "Bevölkerungsgeographie der Entwicklungsländer"?
Die Bevölkerungszahl wächst langsamer als vor 30 Jahren, obwohl es immer noch ein jährliches Wachstum von 78 Millionen Menschen gibt. Frauen bekommen im Durchschnitt weniger Kinder, aber es gibt mehr Frauen im gebärfähigen Alter.
Was ist das Modell des demographischen Übergangs und wie unterscheidet es sich in Entwicklungsländern?
Das Modell des demographischen Übergangs beschreibt die Veränderung von hohen Geburten- und Sterberaten zu niedrigen Geburten- und Sterberaten in verschiedenen Phasen. In Entwicklungsländern sinkt die Sterberate schneller aufgrund des gleichzeitigen medizinisch-technologischen Fortschritts, was zu einer "Bevölkerungsexplosion" führt. Es wird erwartet, dass der gesamte demographische Übergang in Entwicklungsländern schneller abläuft.
Was sind die Ursachen für die Bevölkerungsexplosion in Entwicklungsländern?
Hauptursachen sind: Kinder als wichtige Arbeitskräfte, Sicherung der Altersversorgung der Eltern durch viele Kinder und traditionelle/religiöse Gründe, die viele Kinder als Reichtum betrachten.
Was ist der Unterschied zwischen relativer und absoluter Überbevölkerung?
Relative Überbevölkerung liegt vor, wenn die menschlichen Bedürfnisse die verfügbaren Ressourcen unter den geltenden technologischen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen überschreiten. Absolute Überbevölkerung liegt vor, wenn die Grenzen der Ausschöpfung auch dann überschritten werden, wenn politische, ökonomische und technische Reformen durchgeführt werden.
Welche Formen von Bevölkerungspyramiden gibt es und was bedeuten sie?
Es gibt Pyramidenform (wachsende Bevölkerung), Glockenform (stationäre Bevölkerung), Urnenform (schrumpfende Bevölkerung) und Tropfenform (aussterbende Bevölkerung). Die Form gibt Auskunft über Geburten- und Sterberaten sowie die allgemeine Bevölkerungsentwicklung.
Wie wird die Altersstruktur der Bevölkerung unterteilt und welche Bedeutung hat sie?
Die Bevölkerung wird in drei Hauptaltersgruppen unterteilt: Kinder und Jugendliche unter 15 (nicht erwerbstätig), Altersgruppe zwischen 15 und 65 (erwerbstätig) und Altersgruppe über 65 (nicht mehr erwerbstätig). Eine ausgewogene Verteilung der Altersgruppen ist volkswirtschaftlich wünschenswert.
Was sind die Herausforderungen in Bezug auf die Altersstruktur in Industrie- und Entwicklungsländern?
Industrieländer haben mit einer Überalterung der Bevölkerung zu kämpfen (hoher Anteil über 65, niedrige Geburtenrate), was zu Problemen bei Renten und Krankenversicherung führt. Entwicklungsländer haben mit einer steigenden Anzahl von Kindern und Jugendlichen zu kämpfen, was hohe Investitionen in Gesundheit und Ausbildung erfordert.
Welche Maßnahmen werden zur Bekämpfung der Bevölkerungsexplosion vorgeschlagen?
Gezielte Familienplanung (Geburtenregelung) und die Hebung des Lebensstandards. Maßnahmen wie Aufklärung, Sterilisation und Verhütungsmittel sind wichtig, aber Verbesserungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und die Stärkung der Rolle der Frau sind entscheidend.
Was ist generatives Verhalten und welche Faktoren beeinflussen es?
Generatives Verhalten ist die Gesamtheit der Bedingungen, die die Zahl der Lebendgeborenen pro Frau beeinflussen. Es wird von wirtschaftlichen, sozialen, religiösen, kulturellen, psychologischen und rechtlichen Faktoren gesteuert. Ein höheres Bildungsniveau und eine gesicherte rechtliche Situation der Frauen führen tendenziell zu einer geringeren Kinderzahl.
Wer sind die Gegner der Bevölkerungspolitik und welche Argumente bringen sie vor?
Gegner sind u.a. Fundamentalisten, die ASW, die Grünen, BUKO und die katholische Kirche. Sie argumentieren, dass Armut die Ursache für hohe Geburtenraten sei, verteufeln bevölkerungspolitische Ansätze und lehnen Empfängnisverhütung ab.
- Quote paper
- Juliane Voigt (Author), 2000, Bevölkerungsgeographie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97936