Zur Funktionalität des dreigliedrigen Schulsystems für den deutschen Nationalstaat


Skript, 2000

6 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Gliederung:

1.Einleitung

2. Begriffsbestimmung

3. Funktionalität des Schulsystems für den deutschen Nationalstaat

4. Spezifische Funktionen der Dreigliederung des deutschen Schulsystems

5. Diskussion und Ausblick

1. Einleitung

Seit dem 18. Jahrhundert wird im deutschen (damals preußischen) Bereich die Schule als ein Instrument zum Staatserhalt und zur Nationsbildung erkannt (vgl. z. B. General-Landschul- Reglement 1763) und zunehmend ausgebaut. Die Probleme, welche sich für das preußische Königreich damals aus der Eroberung vieler Fürstentümer ergaben (Ende des 7-jährigen Krieges), finden sich z. T. in der heutigen Situation wieder. So ist z. B. das Erlernen einer gemeinsamen Nationalsprache, ein wichtiges Instrument zur Staatslenkung, im Rahmen steigender Ausländeranteile an der Bevölkerung wieder zum aktuellen Thema geworden. In wie fern das deutsche Schulsystem diesen Aufgaben mit seiner Dreigliederung (Hauptschule/Realschule/Gymnasium) nachkommt, soll hier erörtert werden.

2. Begriffsbestimmung

Da Begriffe wie Nation und Staat im Alltagssprachgebrauch viel und häufig auch gleichbedeutend gebraucht werden, soll hier eine kurze Begriffsbestimmung folgen:

Staat: Ein Staat ist ein an eine bestimmtes Territorium gebundenes völkerrechtliches Produkt. Seine Notwendigen Bestandteile sind die völkerrechtliche Anerkennung, eine eigene Verfassung, eine Legislative und die Macht zur Durchsetzung derselben, ein eigenes Territorium und ein Staatsvolk (d. h. eine große Anzahl zugehöriger Menschen)

Nation: Eine Nation ist eine Wir-Gruppe (Ethnie) mit angenommenen oder tatsächlichen Gemeinsamkeiten und daraus resultierendem Homogenisierungsdruck. Eine Nation hat einen eigenen Staat oder strebt diesen an.

Nationalstaat: Ein Nationalstaat ist ein Staat, welcher die Mitglieder einer Nation umfasst und sich somit z. B. von einer Monarchie abgrenzt, welche sich immer auf den aktuellen Machtbereich des Herrschenden bezieht (vgl. Preußen).

3. Funktionalität des Schulsystems für den deutschen Nationalstaat

Der Staat bedient sich vieler Mechanismen zur Kontrolle von Schule und Bildung (Finanzierung, Lehrerbeamtenstatus, Lehrbuchselektion / -zulassung , Organisation, ...). Aus dem hierbei betriebenen Aufwand lässt sich eine wichtige Stellung der Bildung im Staatswesen ableiten. Historisch ist seit dem 17. Jahrhundert die staatserhaltende und nationsbildende Einsatzmöglichkeit der Schule in Preußen genutzt worden. Dem wird nicht zuletzt mit einer nach-wie-vor bestehenden allgemeinen Schulpflicht Rechnung getragen. Die staatserhaltende und nationsbildende Funktion zeigt sich in den folgenden Aspekten: Eine wichtige nationsbildende (d. h. ein ,,Wir"-Gefühl schaffende) Funktion der Schule ist das Einführen bzw. der Erhalt einer gemeinsamen Sprache. Erst die Sprache ermöglicht tiefergehende Sozialisation und Identifikation und ist somit wesentlicher Bestandteil einer Nationsbildung, zumal die Sprache, versteht man sie gemäß dem Strukturalismus, ein ,,Differenzierungssystem" bedeutet und somit auch wesentlicher Kulturträger ist. Zudem hat Sprache auch staatserhaltende Funktion, da nur Anweisungen befolgt werden können, die vom Empfänger (= Bürger) verstanden werden.

Auch eine kulturelle Homogenisierung trägt zur Nationsbildung bei. Ein ,,Wir"-Gefühl kann sich sowohl über ähnliche Ausbildungserfahrungen wie auch über gemeinsam gelesene Literatur (entspr. Musik, bildende Kunst) entwickeln.

Zum Staatserhalt trägt das Schulsystem auch einiges bei. Neben einer gemeinsamen Verkehrssprache (s. o.) werden die Schüler auch in gesellschaftspolitische Themen eingeführt und somit auf ihre Aufgaben als Staatsbürger vorbereitet. Nicht zufällig beginnt die Berechtigung zur aktiven und passiven Wahlteilnahme (größtenteils) erst nach Abschluss des Schulbesuchs (evtl. inklusive Berufsschule o. ä.) mit 18 Jahren. Auf die Teilnahme an diesen Staatstragenden Aktionen muss die Schule vorbereiten.

Nicht zuletzt profitiert der Staat einer Industrienation bzw. einer Informationsgesellschaft schon rein wirtschaftlich von gut ausgebildeten Fachleuten. Somit stehen sowohl berufliche Qualifikationen als auch Sekundäreigenschaften wie Fleiß, Wissbegierde, Zuverlässigkeit, indirekt im Dienste des Staates (vgl. aktuelle ,,Green-Card" Aktion aufgrund fehlenden nationalen Bildungsstandes innerhalb der Branche).

4. Spezifische Funktionen der Dreigliederung des deutschen Schulsystems

Das deutsche Schulsystem ist doppelt dreigeteilt. Zum einen vertikal in Grundschule - weiterführende Schule (Haupt-, Realschule, Gymnasium) - Berufsschule / Gymnasiale Oberstufe / Universität / u. a., zum anderen horizontal in Hauptschule, Realschule und Gymnasium. Zumeist wird die horizontale Gliederung mit dem dreigliedrigen Schulsystem gemeint und diese soll hier auch behandelt werden.

Die Dreigliederung hat zunächst historische Ursachen. Hiermit wurde sichergestellt, dass in der Ständegesellschaft des 18. / 19. Jahrhunderts die Standzugehörigkeit auch über die Bildung gewahrt blieb. Diese Steuerung wurde auch über finanzielle Aspekte geregelt, da:

- für die Volksschulen im beginnenden 19. Jahrhundert nur ein Bruchteil des Geldes ausgegeben wurde, welches für ,,höhere" Bildungsinstanzen zur Verfügung stand,
- für Realschulen und Gymnasien noch bis ins 20. Jahrhundert Schulgeld erhoben wurde und somit eine soziale Präselektion stattfand.

Liebknecht formulierte ,,Wissen ist Macht" und machte deutlich, wie herrschende Stände ihre Position durch Bildung sicherten. Dies erklärt auch, warum z. B. im System der Vereinigten Staaten sich keine staatliche Dreigliederung des Schulsystems entwickelt hat, da sich der politische Einfluss unterschiedlicher Stände so nicht entwickeln konnte.

Im weiteren Verlauf wechselte die Begründung eher auf den wirtschaftlichen Sektor. Die Inhalte der Hauptschule sollten für Arbeiter und Handwerker, die der Realschule für Angestellte und Verwaltungspersonal und die des Gymnasiums für Führungskräfte und Wissenschaftler berufsvorbereitend sein.

Im Rahmen der Schaffung gleicher Bildungschancen sollte das System allerdings durchlässiger werden und Schulwechsel ermöglichen, so dass sich die Bildungsinhalte anpassen mussten. Da die Wechselmöglichkeit allerdings eher theoretisch denn praktisch gegeben ist, wurden vielfältige Möglichkeiten geschaffen, höherqualifizierende Abschlüsse auf dem ,,zweiten Bildungsweg" zu erwerben (vgl. ,,Rau-Kommission" 1984) bzw. die Dreigliederung aufgehoben (Gesamtschule, vgl. ,,Rau-Kommission").

Für den aktuellen deutschen Nationalstaat hat die Dreigliederung nach wie vor einige Funktionen. So findet mit ihr nach-wie-vor eine Selektion statt, welche nun nicht mehr soziale, sondern in erster Linie Leistungsgesichtspunkte zugrunde legt (legen sollte). (In wie weit schulische Leistungsfähigkeit mit sozialem Milieu zusammenhängt kann hier nicht erörtert werden.) Durch Leistungen in der gemeinsamen Grundschule kann sich das Kind die Tür zu ,,höherer" Bildung öffnen, auch, wenn das nicht bindend ist (Beratungsstatus der Grundschule beim Wechsel in NRW!) Hierdurch kann in den verschiedenen Schulformen durch z. B. Lehrmittelselektion und Lehrpläne doch ein unterschiedliches Niveau, auch in Bezug auf spätere Tätigkeiten, realisiert werden. Somit zeigt sich eine gewisse ,,Elitebildung" in den Gymnasien, was sich im allgemeinen Lohnniveau der späteren Arbeit auch teilweise ausdrückt. Bezeichnend ist, dass es im Gymnasialbereich noch weitere Spezialisierungen gibt (Altsprachlich/Humanistisch, Wirtschaftsgymnasium, ...), dies bei Hauptschulen allerdings kaum bekannt ist.

Die Dreigliederung soll somit eine gewisse Anpassung:

a) der Schule an das Leistungsniveau des Schülers (bzw. umgekehrt)
b) der Schule an das Leistungsniveau des späteren Arbeitgebers

erreichen.

Da das Empfinden einer deutschen Nationalität mit zunehmendem Anteil von nicht-deutscher oder zumindest nicht deutschsprachiger Bevölkerung schwieriger wird, tritt hier vielleicht auch die Homogenisierungsfunktion der Schule wieder in den Vordergrund. Die Gliederung des Schulsystems scheint zunehmend eine Gliederung ,,nach Sozialisationsgrad" zu werden. So finden sich die weitaus größten Anteile kaum deutsch-sprechender Schüler an den Hauptschulen. Aus Sicht des Nationalstaats steht hier die Homogenisierung und Integration dieser Schüler sicher eher im Vordergrund als eine tatsächliche Bildungschancengleichheit, welche z. B. durch muttersprachlichen Unterricht eher zu erreichen wäre.

Schließlich scheint die Steuerung eines gegliederten Systems für den Staat leichter zu sein. Durch unterschiedliche Lehrmittel, unterschiedliche Lehrerausbildung und unterschiedliche Lehrpläne kann hier feiner manipuliert werden, als in einem reinen Gesamtschulsystem. Zudem wird eine hohe Akzeptanz erreicht (gute Ausbildung im Gymnasium, welches nicht von ,,dümmeren" Schülern ,,ausgebremst" wird), was den Bedarf an Privatschulen (vgl. USA) geringer hält.

5. Diskussion und Ausblick

Die Dreigliederung des Schulsystems, mit seiner zunehmenden Tendenz zur Differenzierung in Homogenisierungsschule (Hauptschule) und Bildungsinstitut (Gymnasium) hat nicht erst seit der Rau-Kommission einen schweren Stand. Tragen auch einige Aspekte zur Nationalstaatsbildung bei (mehr Homogenisierung wo nötig, viel Bildung wo möglich), so ist doch fraglich, ob sich durch die Gliederung nicht eine neue Form der ,,Klassengesellschaft" bildet. Bei allem Bedarf an einen hohen Bildungsstand geht die nationsbildende Wirkung fast verloren, da bei sehr großer Wissens-, Einkommens- und Ansehensdifferenz ein ,,Wir"- Gefühl nur schwer aufrecht zu erhalten ist. Die Sprache und Kultur sind wohl nicht die einzigen Aspekte hierfür.

Die Frage ist, ob das Bildungssystem, welches für eine ethnisch definierte Nation entwickelt ist, sich bei ethnischer Pluralität noch eignet. Die Funktion der Nationsbildung scheint vom dreigliedrigen Schulsystem nur unzureichend erfüllt zu werden, da es wohl kaum ausreicht, einen Teil des System (die Hauptschule) zur Sozialisations- und Homogenisierungsinstanz zu machen, da die Besucher dieses Bestandteils als ,,die zu Homogenisierenden" stigmatisiert würden. Die Gesamtschule scheint hier ausgeglichener zu wirken.

Die Frage nach der Homogenisierungsnotwendigkeit sollte auf der anderen Seite neu beleuchtet werden. Die Fragen sind hier: ,,Wie viel Nation braucht der Staat?" und ,,Wie viel Nationalstaat verträgt Europa?". Hier werden in nächster Zukunft sehr grundlegende Aspekte neu überdacht werden müssen. Die Pluralisierung der Gesellschaft ist im Rahmen der Europäisierung wohl kaum aufzuhalten und das Zusammenwachsen Europas ist sicherlich nur bei Aufweichung einzelstaatlicher Interessen und wahrscheinlich auch Identität möglich. Die großen Umschwünge in den letzten 200 Jahren waren immer von wesentlichen wirtschaftlichen Faktoren mitbestimmt. Da die Wirtschaft der wesentliche Europäisierungsmotor ist, scheint es nur eine Frage der Zeit, bis die Politik und somit auch das Bildungssystem reagieren.

Marco Heimers

Ende der Leseprobe aus 6 Seiten

Details

Titel
Zur Funktionalität des dreigliedrigen Schulsystems für den deutschen Nationalstaat
Note
gut
Autor
Jahr
2000
Seiten
6
Katalognummer
V97926
ISBN (eBook)
9783638963770
Dateigröße
387 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schulsystem, Nationalstaat, Nation, Staat, Dreigliederung
Arbeit zitieren
Marco Heimers (Autor:in), 2000, Zur Funktionalität des dreigliedrigen Schulsystems für den deutschen Nationalstaat, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97926

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