Inhaltsverzeichnis
Einführung
die Schrift
der Buchdruck
das Radio
der Computer
Autor+Quellen
Einführung
Marshall McLuhan (21.7.1911- 31.12.1980) war ein kanadischer Medientheoretiker und gilt auch als Gründerfigur der Postmoderne. In Deutschland lagen zwar seit Ende der 60er Jahre Übersetzungen seiner Texte vor ("das globale Dorf", "das Medium ist die Botschaft"), richtig beachtet wurde er damals noch nicht. Er untersuchte die Wirkung von Medien auf die menschliche Entwicklung. Dabei war Ihm kein Medium verpönt oder aus ideologischen Gründen ungeeignet. McLuhan bewunderte die amerikanische Jugendgeneration der 50er und 60er Jahre, die als erste Generation mit dem Fernsehen aufgewachsen war und dieses keinen Einbruch in Ihre persönliche Identität bedeutete. Sowohl Konservative wie auch Linke Intellektuelle waren von seinen Thesen irritiert. Den einen erschienen die modernen Medien wie ein Rückfall in barbarische, weil Schriftlose Gesellschaft, den anderen durch die Kritik an Marx, den er für gefangen im mechanischen Zeitalter sah, und der Vorhersage des Niedergangs der Sowjetunion durch die dezentrale Wirkung von Computern.
McLuhan verglich die visuelle Kultur Europas und vor allem der USA mit der orientalischen, akustischen Kultur. Er rekonstruierte den Prozess indem die Dominanz der oralen Kultur durch die Schrift von der Vorherrschaft des Visuellen aufgelöst wurde. McLuhan spricht davon, der Mensch bekam "ein Auge für ein Ohr".
In seiner Jugend war er noch sehr auf das Medium Buch fixiert, vor allem romantische Literatur. Er studierte in Cambridge (UK) 1934-36 wo er sein Interesse auf neue Medien lenkte.
McLuhan sieht sich in einer Zeit, in der die Vorherrschaft der Gutenbergschen Buch Druck Kultur vom Zeitalter der Automation abgelöst wird. "Gutenberg löschte das mittelalterliche Manuskript aus, belebte aber die Antike neu. Die mechanische Industrie löschte zwar das Landleben aus, belebte aber die mittelalterliche Kunst, Wahrnehmung und Handwerk von neuem. Die elektronische Technologie löschte die mechanische Industrie aus und belebte die frühesten und okkultesten Formen der Wahrnehmung wieder indem sie alle primitiven Gesellschaften der Welt in den Schoß des Westens kippte".
Seine Texte sind oft irritierend, wirken wie Hypertexte die linear gelesen sehr sprunghaft das Thema wechseln. Oft ergibt sich ein Aha-Effekt der noch im selben Absatz für neue Verwirrungen sorgt. Die Herausgeber seines Buches bezeichnen dies als "Sound im Ohr aber kein Ziel vor Augen".
McLuhan mußte sich den Vorwurf anhören, seine Schriften seien nicht wissenschaftlich genug. Tatsächlich wollte er zeigen, daß die bisher akzeptierte Form der Wissenschaft auf linearität und kontinuität beruhte und eben dieses mit der Erscheinungsform der Gutenbergschen Buchdruck Kultur begründet ist. Im elektronischen Zeitalter ist diese Form der Wissenschaft ebenso überholt wie auch ihre Darstellung.
McLuhan kam zu der Definition von Wissenschaftlichkeit Aussagen zu akzeptieren denen zugrunde liegt, sie seien nachprüfber und falsifizierbar (widerlegbar durch empirische Beobachtungen). Er bildete eine Tetrade in der die allgemeine Form solcher Aussagen über Medien beschrieben wird: 1- Ausweitung bzw. Verstärkung , 2-Veralten bzw. Abschwächen, 3-Wiedergewinnung, 4-Umschlag
Die Tetrade, so sagen seine Herausgeber, sollte damit auch den Erkenntnissen der Quantenphysik gerecht werden, die Vorgänge nicht mehr in Ketten, sondern als Abläufe innerhalb eines Intervalls voller Resonanzen beschrieb.
Veränderungen in der menschlichen Kultur und Gesellschaft durch Einführung neuer Medien am Beispiel der Schrift, des Buchdruckes, des Radios und des Computers
Die Schrift
McLuhan schrieb, die Sprache sei das größte Massenmedium. Sie erfüllt die Grundanforderung eines Kommunikationssystems, zirkulär und selbstkorrigierend zu sein. Daher ist der menschliche Dialog die Grundform der Zivilisation. Jeder Dialogteilnehmer ist gezwungen seine eigene Sicht über die Wahrnehmung eines anderen zu sehen und neu zu gestalten.
Plato im alten Griechenland bemerkte im Zusammenhang mit dem Aufkommen der Schrift: "Denn die Erfindung des Alphabets wird den Seelen der Lernenden vielmehr Vergessen einflößen aus Vernachlässigung der Erinnerung, weil sie im Vertrauen auf die Schrift sich nur von außen vermittels fremder Zeichen, nicht aber innerlich...erinnern werden,...werden sie sich auch vielwissend dünken, obwohl...unwissend."
Plato befürchtete den Niedergang des "sich erinnerns", der bisherigen Form des Lernens. Gelehrte versuchten damals ein enzyklopädisches Wissen zu erlangen. Lernen war ein mündlicher Prozeß, Lehren umso mehr. Individuelles lernen konnte erst mit Einführung der Schrift beginnen. Vorher wurde das Wissen über die Generationen mündlich weitergegeben und war sozusagen ein kollektives überliefertes Wissen, nicht aber der Standpunkt einer Gruppe oder eines Einzelnen. Mit der dann aufkommenden Manuskriptkultur, die sich über fast 2000 Jahre hinziehen sollte, fand aber immer noch kein harter Bruch mit der gesprochenen Rede statt. Manuskripte wurden noch laut vorgelesen. Beim Verfassen eines Manuskriptes war die Urheberschaft nicht immer eindeutig. Ein mittelalterlicher Mönch, der mühsam in verschiedenen Bibliotheken nach alten Schriften suchte, Abschriften machte oder andernorts bestellte und schließlich neu aufschrieb hatte auch noch das Bewußtsein, an überliefertem Wissen teilzuhaben und nicht die Meinung eines Einzelnen darzustellen.
Ebenso schwierig war es die Abschriften in den Bibliotheken zu sortieren. Ein möglicherweise von Kunsthandwerkern reich verziertes und geschmücktes Manuskript konnte verschiedene Schriften in sich tragen. Das Buch wurde möglicherweise nach dem Titel des ersten Manuskripts archiviert. Wer sich zum Beispiel für das dritte Manuskript interessierte mußte unter völlig anderem Namen danach suchen um an das richtige zu gelangen. Wenn ein Manuskriptautor starb und in seiner Arbeitsstube Schriften gefunden wurden, konnte man nicht so leicht feststellen ob es Abschrift, Original oder nur ein Entwurf war. Durch die Aufwendige Herstellung (auch in Verbindung mit anderen Berufsgruppen) waren Manuskripte Einzelanfertigungen und nur wenigen Vorbehalten.
Vorgreifend läßt sich schon sagen, daß diese Form der Informationssammlung sehr zentralistisch war, gebunden an die Bibliotheken und Klöster in denen die Manuskripte lagerten und geschrieben wurden.
Der Buchdruck
"Die Mechanisierung der Schreibkunst war wahrscheinlich die erste Zerlegung einer Handfertigkeit in mechanische Glieder. Das heißt, sie stellte die erste Übersetzung einer Bewegung in eine Reihe statischer Momentaufnahmen oder Teilbilder dar."
Dies ist der wesentliche Unterschied zur Vorhergehenden Manuskriptkultur. Die Grundlage für das mechanische Zeitalter, das im 19. Jahrhundert mit der Industrialisierung seinen Höhepunkt fand, war gegeben. Zusätzlich wird das Auge an die Darstellung des phonetischen Alphabets gewöhnt. Das Alphabet bewirkt eine frühzeitige Gewöhnung von Kindern, automatisch auf bestimmte Art zu denken und zu handeln. Das Alphabet fördert die visuelle und räumliche Wahrnehmung; die Aufgliederung von Tätigkeiten und folgender Spezialisierung spiegelt den linearen Prozeß der Auffächerung wider, der für die Technik des Alphabets typisch ist.
Die Schrift machte gleichzeitig die Mimik und Gestik eines Erzählers oder Vorlesers unkenntlich. Der Körper verliert seinen Ausdruckswert, der Geist wird "hörbar aber Unsichtbar". In der Prosa wird tatsächlich diesem Umstand Tribut gezollt wenn Seitenweise ein Detail beschrieben wird welches eben nicht mehr durch eine Mimik des Erzählers erfasst wird. McLuhan spricht hier vom Übergang in die visuelle Welt, das phonetische Alphabeth "gibt ein Auge für ein Ohr". Der "akustische" Mensch war gebunden an seine Stammeszugehörigkeit, an seine Sippe. Mit der Aufnahme von einheitlichen Einstellungen kann er sich von seiner Sippe lösen und in einer individuellen Gesellschaft überleben.
Die Druckseite ist ein Gleichmacher für Ausdrucksformen aber auch sozialer Art. Jeder Leser kennt die Illusion sich mit dem Erzähler (=Schreiber) zu identifizieren. Mit der oben erwähnten Gewöhnung an das gedruckte Alphabet mit seiner linearen Darstellung und der genormten Darstellung ist für McLuhan Grundlage für Auswirkungen auf Wissenschaft, Politik und Kunst.
In der Malerei entstand das Stilmittel der Perspektive im 15. Jahrhundert als Folge des "starren Gesichtspunktes", der beim lesen eingenommen wird. Vorher wurden Bilder nach Bedeutungen gemalt. Dieselbe Person konnte mehrmals im selben Bild erscheinen wenn es die Botschaft oder die Handlung so verdeutlichte. Jetzt wurde ein Standpunkt aufgenommen der fix ist. Räumliche Darstellung gelang mit Hilfe der Fluchtlinien. Andere Kulturen, die nicht an diesen starren Standpunkt gewöhnt sind können bis heute nicht verstehen wie die Perspektive in einem Zweidimensionalen Bild gesehen wird.
Eine lesende Gesellschaft war in der Lage ihre Landessprache buchstäblich zu sehen. Eine Nationalität wurde innerhalb ihres Sprachraumes visualisiert. Ein anderes Beispiel für die Entwicklung von Individualität, hier in der Bildung von Nationalstaaten. Märkte und Nationalarmeen entstanden.
McLuhan beschreibt ein Beispiel indem Napoleon seinen analphabetischen Soldaten das Exerzieren vergeblich beizubringen versucht. Da kein Gefühl für Normierung und Wiederholbarkeit besteht, läßt er seinen Soldaten schließlich 45cm lange Stricke zwischen die Füße binden um Ihnen ein Gefühl für die Schrittlänge in einer Kompanie zu geben.
Die mit dem Entstehen der Buchdruck Kultur einhergehende Aufsplitterung von Erfahrungen und Handlungen in gleichförmige Einheiten mit dem Ziel höherer Rentabilität sind für McLuhan ein Beweis dafür, daß westliche Industrieprogramme so militant, militärische Programme dagegen industriell sind.
Eine Gesellschaft, die auf Produktionsoptimierung und Wachstum ausgerichtet ist braucht ein Bildungssystem das Schüler frühzeitig der Buchdrucktechnik unterwarf. Somit waren sie in der Lage spezielle Mechanisierungen nachzuvollziehen und zu entwickeln Mit der Typographie wurde, so McLuhan, das vollkommenste Beispiel angewandten Wissens gezeigt. Es war kein neues Wissen. Es war die Mechanisierung eines Handwerks mit Techniken die schon vorhanden waren. Aus China importiert hatte Papier das Pergament ersetzt, Farben auf Ölbasis wurden in der Malerei verwandt, Goldschmiede fertigten möglicherweise die Buchstabensätze und die Buchpresse war der Weinpresse nicht unähnlich. Bis die mechanische Vervielfältigung der Buchdruckkunst, das maschinengeschriebene Buch tatsächlich zu einem Massenmedium wurde war es noch ein langer Weg. Zunächst wurde das gedruckte Buch wie ein handlicheres Manuskript benutzt. Die Verbreitung fand an den Stellen statt, die auch schon mit Manuskripten gehandelt hatte. McLuhan bezeichnet diese Zeit als Übergangsbewußtsein. Heute finden wir auch noch Worte wie "wireless"(=Kabellos) oder "moving pictures" (=bewegte Bilder), die aus Übergangszeiten kommen. Wir beschreiben das neue mit Worten die einen Zustand beschreiben, den Gegenstand aber nicht bezeichnen.
Das Radio
McLuhan nennt es: das Radio, die Stammestrommel.
Vor allem im kontinentalen Europa hatte das Radio große Macht und erweckte alte "Stammeszauber". McLuhan unterscheidet zwischen den erdgebundeneren und weniger visuellen (weil mehr orientalisch beeinflußten) Völkern Europas und Großbrittanien und die USA. Hier beeinflußte die Alphabetisierung und lang dauernde Industrialisierung eine visuellere Kultur, die gegen das Radio immun war.
Das Radio ist ein rein akustisches Medium und widerspricht dem visuellem des phonetischen Alphabets. Es berührt von Mensch zu Mensch und schafft eine besondere Atmosphäre zwischen Sprecher und Hörer. Es tritt direkt auf und nur die menschlichen Sprache kommt seiner Macht gleich. McLuhan beschreibt Techniken wie z.B. Telefon, Telegraf und Rundfunk als Ausweitung unseres Nervensystems. Das Radio vereinigt die zwei mächtigsten und persönlichsten Techniken, die der Mensch beherrscht: Die Sprache und das zentrale Nervensystem. "Das Ohr ist im Vergleich zum neutralen Auge überempfindlich. Das Ohr ist intolerant, in sich geschlossen und schließt anderes aus, während das Auge offen und neutral ist und Verbindungen herstellt".
Vor allem im Nazideutschland entwickelte das Radio "den alten Stammeszauber". Hitler sagte am 14.3.1936 im Radio: "Ich gehe meinen Weg in Nachtwandlerischer Sicherheit".
McLuhan benutzt den Begriff des nachtwandelns in Bezug auf einen unreflektierten und kurzsichtigen Umgang mit Medien. Er beschreibt Hitlers Opfer (hier zählt er wohl die Gefolgsleute mit dazu) und Kritiker ebenfalls als Nachtwandler, die hypnotisiert zur Stammestrommel des Radios tanzten, das ihr zentrales Nervensystem ausweitete, um die Voraussetzung für die Gesamtbeteiligung aller zu schaffen.
Auch im zivilen Leben aus den USA läßt sich mit den Panikreaktionen der Zuhörer von O.Welles Radiosendung "Die Invasion vom Mars" (1938) zeigen, welche Wirkung das Radio entwickeln konnte. Hitler, sagt McLuhan, wandte O.Welles Methode auf die Wirklichkeit an. Interessant ist es auch zu untersuchen wie dieselben Personen im Radio oder im Fernsehen völlig unterschiedlich wirken. McLuhan benennt hier zwei bezeichnende Beispiele:
Als Chrustschow im amerikanischen Fernsehen erschien wirkte er annehmbarer als Nixon, eine Art Clown und netter alter Junge.
In Radiodebatten zwischen den Präsidentschaftskandidaten Nixon und Kennedy wirkte Nixon klar überlegen.
Das Fernsehen machte aus Nixons Erscheinung eine Karikatur. Das Radio nimmt Witzfiguren ernst. Chrustschow im Radio hätte gegenüber Nixon ganz anders gewirkt.
McLuhan vermutet daher, daß Hitler bei einer bestehenden Fernsehkultur nicht an die Macht gekommen wäre bzw. er nicht an der Macht geblieben wäre, hätte sich das Fernsehen in seiner Amtszeit ausgebreitet. Das Radio hat also in seiner unreflektierbaren, direkten und persönlichen Form in einer Gesellschaft in der "noch keine Sättigung mit visuellen Werten" erreicht war zu Hitlers Machtperiode beigetragen.
An dieser Stelle muß eine genauere Definition der Aussage "das Medium ist die Botschaft" erfolgen um Mißverständnissen vorzubeugen.
"Wir neigen nur zu leicht dazu, die technischen Mittel zum Sündenbock jener zu machen, die sie handhaben. Die Schöpfungen der modernen Wissenschaft sind an sich weder gut noch schlecht; die Art und Weise aber, wie sie verwendet werden, bestimmt ihren Wert." McLuhan nennt diese Sichtweise aber die "übliche Nachtwandlermentalität" und karikiert diese Aussage: "Nehmen wir an, wir wollten sagen, Apfelkuchen ist an sich weder gut noch schlecht; nur die Art wie er verwendet wird, bestimmt seinen Wert. Oder, der Pockenvirus ist an sich weder gut noch schlecht; nur die Art, wie er verwendet wird, bestimmt seinen Wert. Oder auch, Schußwaffen sind an sich weder gut noch schlecht; nur die Art, wie sie verwendet werden, bestimmen ihren Wert." An dieser Aussage sieht man deutlich, daß gewisse technische Geräte auch eine gewisse Verwendung nahelegen. Natürlich ist es theoretisch möglich, aus Apfelkuchen ein Knusperhäuschen zu bauen oder sich mit einem Maschinengewehr in der Nase zu bohren. Aber diese Verwendungsarten sind doch sehr ungewöhnlich und unwahrscheinlich; die technischen Geräte selbst legen allein aufgrund ihrer Natur eine ganz bestimmte Anwendungen nahe. Somit stellt sich die Frage nicht, ob ein Medium gut oder schlecht ist. Wichtig ist allein die Art des Mediums, weil damit bestimmte Eigenschaften verbunden sind.
Der Computer (bzw. die Automation)
Mit dem Buchdruck begann das Zeitalter der Mechanik durch Herstellung von Maschinen, die den Menschen bestimmte Tätigkeiten abnahmen. Dafür mußte sich der Mensch dem "Maschinenrhythmus" unterwerfen. Er mußte Arbeitszeiten einhalten und sich in bestimmten Bereichen spezialisieren um diese besondere Tätigkeit ausführen zu können. Das Arbeitsleben war vom privaten Freizeit- und Familienleben getrennt und teilweise nicht vereinbar. Die Welt veränderte sich nicht aufgrund der neu erschaffenen Produkte sondern aufgrund der Existenz der Maschinen und deren Nutzung. Die Vielfalt der Berufe im Zeitalter der Mechanik ist zwingend erforderlich.
Das nun aufkommende Zeitalter der Automation ist Grundverschieden. McLuhan beschreibt es so:
Die Elektrizität erweitert die sofortige Verarbeitung von Information durch Herstellung von Querverbindungen wie es unser zentrales Nervensystem schon lange tut. Mit der Elektrizität als Mittler der Automation gehen Energie und Produktion einer Vereinigung von Information und Wissen entgegen. Dies geschieht im Zuge der elektrischen Implosion nach der Explosion des mechanischen Zeitalters mit seiner immer stärkeren Spezialisierung. Genauso wie Licht gleichzeitig Energie und Information ist (je nachdem was beleuchtet wird), vereinigt die elektrische Automation Erzeugung, Verbrauch und Wissenschaft in einem komplexen Prozeß.
Automation ist Information. Die Automation verwendet Elektrizität als Speicher und zur Beschleunigung der Information. Bisher haben Maschinen Abläufe relativ gesehen nur gering beschleunigt. Elektrizität tut dies in Lichtgeschwindigkeit.
Dies beendet nicht nur die Aufgabe der Spezialisierung sondern macht ganz neue Lernprozesse nötig. Man lernt jetzt nicht mehr, um später arbeiten zu können, nein jetztist das Lernen die Arbeit! Man muß lernen im Zeitalter der Automation zu leben. McLuhan ist überzeugt davon, daß Lernen selber zur wichtigsten Form von Produktion und Verbrauch wird. "Daher die sinnlose Aufregung um Arbeitslosigkeit. Bezahltes Lernen wird jetzt schon zur Hauptbeschäftigung und außerdem zur Quelle neuen Reichtums in unserer Gesellschaft." Die Automation ist organischer Natur. Prozesse finden gleichzeitig statt, es gibt keine Linearität mehr. Die Energie ist zugleich Wissen und Produkt. Eine Automatische Maschine kann zwar speziell arbeiten, ist aber nicht auf diesen Ablauf beschränkt. Ein Mensch im Zeitalter der Automatisierung muß mit den Gegebenheiten umgehen lernen. Unser Denken und unsere Erziehung ist noch von linearen Strukturen geprägt. Ein belastender Nebeneffekt ist, daß auch Erwachsene die eigentlich ausgelernt haben, neue Grundkenntnisse und Fähigkeiten erlernen müssen.
McLuhan sieht den Menschen im Zeitalter der Automation so: "Die Menschen werden plötzlich nomadische Informationssammler, und zwar so nomadisch wie noch nie, informiert wie noch nie, frei von hemmender Spezialisierung wie noch nie- aber auch wie noch nie in den ganzen Gesellschaftsprozeß einbezogen, da wir ja mit Elektrizität unser Zentralnervensystem weltumspannend erweitert haben und jede menschliche Erfahrung sinnvoll einordnen können."
Beurteilung der Fragestellung und persönliche Stellungnahme
Marshall McLuhan hat mit erstaunlicher Weitsicht und Analyse die Medien und Strukturen seiner Zeit untersucht. Neben vielen verblüffenden Beispielen ist wohl am aufregendsten festzustellen, daß er eine neue Zeit nicht nur technisch kommen sieht sondern konkrete Auswirkungen aufzeigt, wie sich das Bewußtsein und die Gesellschaftsstruktur der westlichen Zivilisation verändern wird. Es ist selbst heute, gut 30 Jahre nach Herausgabe seiner Schriften, noch nicht absehbar wann das mechanische Zeitalter endgültig der Vergangenheit angehören wird, weil es immer noch im Alltag der meisten Menschen dominant ist, aber einige Voraussagen sind bereits eingetroffen. Ohne Zweifel befinden wir uns heute in einem Übergangszeitalter mit zunehmender Computerisierung und fast überall erhältlicher
Information durch elektronische Medien. Das Internet konnte McLuhan Mitte der 60er Jahre und davor nicht voraussehen, trotzdem charakterisiert er elektronische Massenmedien durch die gleichzeitige Verfügung an vielen verschiedenen Orten und der Tatsache, daß Sender und Empfänger dieselbe Person sein können. Der Vergleich mit den nomadischen Informationssuchern ist für mich auch nirgends so gut erfüllt wie im Internet und seinen Dienstleistungen (inklusive der modernen Telekommunikation). Über die konkreten Möglichkeiten konnte McLuhan aber seinerzeit nur spekulieren.
McLuhans herangehensweise an die Medien, die Aussage "das Medium ist die Botschaft" und den Wegfall von moralischen oder ideologischen Wertungskriterien machen die Materie vom Wesen her deutlich. Eine Inhaltliche Diskussion zum jeweiligen Nutzen fällt meiner Auffassung nach nicht unter den Tisch sondern kann nun gezielt mit dem Verursacher (eben dem entsprechenden Medium) geführt werden und nicht unsinnigerweise mit seinen ausführenden Gestaltern. Die Informationsverarbeitung aus der Umwelt ist Propaganda, sagt McLuhan, und Propaganda endet wo der Dialog beginnt. In einem anderen Text vergleicht McLuhan eine dem Programmleiter vorgetragene Kritik mit der Beschwerde an einer Würstchenbude am Fußballplatz, daß das Spiel schlecht sei. Die Auseinandersetzung mit dem Medium an sich ist viel effektiver.
Es stellt sich aber die Frage, ob sich wirklich eine ganzheitlichere Lebensweise einstellt, wenn die Zwänge der Spezialisierung wegfallen? Vielleicht dauert dies noch etliche Generationen bis die Menschen nicht mehr streng linear denken und handeln und die Industriealisierung aus soziokultureller Sicht beendet wird, so wie das gedruckte Buch zunächst wie ein handliches Manuskript behandelt wurde bevor es ein Massenprodukt mit all seinen beschriebenen Folgen wurde. Die Vorstellung, die Automation dient letztlich nur der Festigung des mechanischen Zeitalters, da die Menschen gewohnt sind in diesen Strukturen zu leben oder gewisse Machtverhältnisse diese Strukturen erhalten ist nicht abwegig. Wahrscheinlich ist es aber nur ein Übergangsprozeß über dessen Dauer schwerlich spekuliert werden kann. Nach McLuhan verändern die bestehenden Medien die Wirklichkeit unabhängig von deren Inhalten. Wenn man sieht wie sich heute Wirtschaftsbereiche innerhalb der modernen Medien entwickeln, die obwohl Millionengewinne verbuchend, gar keine materielle Waren im herkömmlichen Sinne produzieren, so ist dies ein Schritt in die von McLuhan beschriebene Welt.
Desweiteren stellt sich die Frage inwiefern McLuhan als Angehöriger der Nordamerikanischen visuellen Kultur "parteiisch" ist in Bezug auf die Beurteilung der Objektivität des Auges gegenüber der "Intoleranz" des Ohrs. Man kann auch behaupten, das Ohr das sich nicht schließen kann, objektiver ist als das Auge, das selektierend wahrnimmt und Sachen übersehen kann. McLuhan schreibt zwar, das die Bildsprache der Chinesen und die Kultur der Inder eine viel genauere Differenzierung ermöglicht und gleichzeitig die lineare Mechanik erschwert aber wäre es nicht interessant zu beobachten, ob im nächsten Schritt der Automation diese Kulturen nicht im Vorteil wären? Schließlich ist der ganzheitliche Aspekt noch Teil deren Kultur und muß nicht mehr neu erlernt werden wie in unserer westlichen Zivilisation.
Matthias Bettag, Oktober 1999
Quelltext aus "Marshall McLuhan, Klassiker der Medientheorie-vier magische Schriften"
- Quote paper
- Matthias Bettag (Author), 2000, Marshall McLuhan, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97891
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