Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis
1. Einführung
2. Was heißt eigentlich „lernende Organisation"?
3. Was ist nicht unter einer „lernenden Organisation" zu verstehen?
4. Der Begriff der Organisation
4.1. Klassische Organisationslehre
4.2. Neoklassische Organisationstheorie
5. Das systemtheoretische Denken
6. Wichtige Auslöser für die Entwicklung von Organisationen
7. Die Organisationsentwicklung - eine Möglichkeit des Umgangs mit Veränderungen
8. Die Organisationsentwicklung als Entwicklungskonzept der „lernenden Organisation"
9. Organisationales Lernen - eine Strategie zur Organisationsentwicklung?
9.1. Die wichtigsten Lerntheorien
9.1.1. Die Stimulus-Response-Theorie
9.1.2. Die Kognitive Theorie
9.2. Individuelles Lernen/Soziales Lernen/Lernen eines Systems
9.3. Organisationale Lernsysteme - eine konzeptionelle Beschreibung
9.4. Ebenen organisationalen Lernens
9.5. Der notwendige Kontext für organisationales Lernen
9.6. Kommunikation - eine unabdingbare Voraussetzung für organisationales Lernen
9.7. Schlüsselprobleme organisationalen Lernens 1
10. Exkurs: Die „lernende Organisation" in der Praxis eines Großunternehmens (DaimlerChrysler AG)
11. Exkurs: Die „lernende Organisation" aus der Sicht der Polizei und der Gendarmerie Österreichs
12. Die Berliner Polizei als „lernende Organisation"?
12.1. Beispiel (1) - Die Ausbildung für den gehobenen Dienst der Berliner Polizei
12.1.1. Die Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege, Fachbereich 3 - Situationsanalyse
12.1.2. Der mögliche Veränderungsprozeß
12.1.3. Die „lernende Organisation" - das richtige Konzept?
12.2. Beispiel (2) - Die Berliner Polizei als Dienstleister
12.2.1. Anpassung oder Fortschritt?
12.2.2. Der mögliche Veränderungsprozeß
12.2.3. Die „lernende Organisation" - doch das richtig Konzept?
12.3. Fazit
13. Zusammenfassung und Ausblick Erklärung
Literaturverzeichnis
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Demske, Ingo: Betrieb und Wirtschaftsordnung. Fernstudienagentur des FachhochschulFernstudienverbundes der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, Berlin, 1996.
Demske, Ingo: Führung des Unternehmens. Fernstudienagentur des FachhochschulFernstudienverbundes der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, Berlin, 1996.
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1. Einführung
Faßt man den Milleniumswechsel nicht nur als numerische Novität auf, kann man seine Augen wohl kaum vor der stetigen und immer rasanteren Weiterentwicklung der Industrie und der wissenschaftlichen Forschung verschließen. Über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte hinweg etablierte Wirtschaftszweige versinken förmlich über Nacht in der Bedeutungslosigkeit, andere schießen wie die Pilze aus dem Boden. Die moderne Genetik beispielsweise steht kurz vor der Entschlüsselung des menschlichen Gencodes, die Medizin hat in den letzten Jahren Fortschritte gemacht, die noch vor kurzem undenkbar waren.
Auf der anderen Seite, als Konsument und Nutznießer all dieser Neuerungen, steht der Mensch -mit all seinen im Laufe der Zeit gewandelten Einstellungen und Bedürfnissen. Ein Auto muß heute nicht mehr das ganze Leben lang halten, fast täglich kommen neue Produkte (die oft allein schon durch ihr bloßes Vorhandensein den Wunsch nach Konsum wecken) auf den Markt - Produkte, die für einen Konsumenten gemacht sind: den Menschen. Beanspruchte bis vor kurzem noch der Arbeitsalltag einen großen Teil unserer Zeit, ist der Stellenwert der Freizeit in den letzten Jahren rasant gewachsen. Auch wenn gerade wieder über eine Anhebung der Lebensarbeitszeit nachgedacht wird, hat jeder täglich immer mehr Freizeit zur Verfügung. Zeit, die, wenn möglich, nicht nur einfach tatenlos verbummelt werden, sondern die durch Nutzung aller angebotenen Konsummöglichkeiten möglichst effektiv genutzt werden will. Fakt ist: Die Menschheit ist in der modernen, hochentwickelten Industriegesellschaft zu einer Freizeitgesellschaft geworden.
Innovation und Konsumtion lassen sich nur dann gewinnbringend miteinander vereinbaren, werden also nur dann zu gleichberechtigten Partner in einem hochqualifizierten ,,Spiel", wenn auch die ,,Produktion" mit den gewachsenen Anforderungen jedes einzelnen Schritt hält. Angebot und Nachfrage haben für die ,,Produktion" eine Trendwende eingeleitet. Zunehmend erfolgt eine Abkehr vom handwerklichen Herstellungsprozeß. Kundenorientiertes, flexibles Handeln ist heute mehr denn je gefragt. Fast jedes Unternehmen, fast jede Behörde versteht sich mittlerweile als Dienstleister. Unabdingbare Voraussetzung, um an dieser Entwicklung partizipieren, sie aktiv mitgestalten zu können, ist ein generelles Umdenken - ein Umdenken sowohl des einzelnen Individuums als auch der gesamten Gesellschaft. Dieses Umdenken ist unweigerlich verbunden mit einem beständigen Lernen.
Die vorliegende Hausarbeit versucht, die Frage zu beantworten: Ist die Berliner Polizei auf dem Weg zu einer „lernenden Organisation" oder gar zu einem „lernenden Unternehmen"? Und vor allem: Hilft uns „lebenslanges Lernen", helfen uns „lernende Organisationen", den Anforderungen gerecht zu werden, die in Zukunft an uns gestellt werden?
2. Was heißt eigentlich „lernende Organisation"?
Ausgangspunkt des Versuchs einer Begriffsdefinition ist die ausgedehnte Qualifikations- und vor allem Qualifizierungsoffensive in den Unternehmen und privaten Weiterbildungseinrichtungen. Eine „lernende Organisation" wäre auf dieser Basis eine Organisation, deren Mitglieder (Arbeiter, Angestellte, Beamte - Führungskräfte wie Mitarbeiter gleichermaßen) die steigenden Anforderungen, die ihre jeweilige Tätigkeit an sie stellt, nicht nur passiv hinnehmen, sondern aus ihnen lernen. Lernen bedeutet in diesem Zusammenhang nicht nur neu lernen bzw. umlernen - sondern auch Verlernen.
Nicht mehr nur das einzelne Individuum befindet sich in einem ständigen Lernprozeß - die ganze Organisation ist es, die lernen muß. Dem Lernen kommt eine immer größere Bedeutung zu, und diese Bedeutung gilt es zu erkennen - um daraus die richtigen Schlüsse ziehen zu können. Die Leitung der jeweiligen Organisation ist hier besonders gefragt. Zwar sollte es ein wünschenswertes Ergebnis einer Organisationsumstrukturierung im Sinne einer „lernenden Organisation" sein, Veränderungen durch Lernen, Aktivität und Anstöße seitens der Mitarbeiter einzuleiten. Es bedarf jedoch eines enormen Umdenkens aller, um dieses Resultat zu erzielen - es wird also zunächst die Anleitung, die Lenkung ,,von oben" benötigt.
Damit die „lernende Organisation" nicht zu einem inhaltslosen Schlagwort verkommt, ist es notwendig, sie nicht als Dogma, also quasi als Allheilmittel zu betrachten. Es nutzt einer starren, unflexiblen, überfrachteten Organisationsleitung nicht das Geringste, wenn sie sich den Begriff der „lernenden Organisation" auf die Fahnen schreibt, und nicht auch gleichzeitig ein langanhaltender Veränderungsprozeß einsetzt, der auch die Leitung selbst erfaßt. Das heißt: Nicht eine symptomatische Bekämpfung von Problemen und überkommenen Strukturen ist die Lösung - die Organisation muß sich um den Menschen herum gestalten, muß sich mit ihm und durch ihn entwickeln. Möglichst ungeachtet jeglicher Hierarchie sollte der Mensch aus seiner eigenen Arbeit heraus Freude und Motivation für die eigene Arbeit erfahren. Nur diese Art der Motivation ist wirklich leistungsfördernd - sich selbst und die eigene Entwicklung als Ziel weiteren Arbeitens anzusehen, das ist unabhängig von äußeren Einflüssen und Antrieben. Etwas von sich selbst anzunehmen, ist perspektivisch gesehen leichter, als ständig von anderen dirigiert zu werden. Dafür ist ein konsequentes und dauerhaftes Lernen notwendig.
3. Was ist nicht unter einer „lernenden Organisation" zu verstehen?
Aus dem traditionellen Wissen heraus, daß das Lernen ein charakterisierendes Merkmal des Menschen ist - eines Individuums also -, darf auf keinen Fall geschlußfolgert werden, daß eine ,,lernende Organisation" sich über die Summe der Lernergebnisse und -fortschritte ihrer jeweiligen Mitglieder definiert.
Nicht das triviale Lernen des einzelnen, das oft von Instinkten bestimmt wird, ist kennzeichnend für die ,,lernende Organisation", sondern das Ver- und vor allem Einarbeiten sämtlicher Umwelteinflüsse und jeglicher individueller Erfahrungen sowie das Berücksichtigen des Eingebundenseins in ein kulturelles Beziehungsgeflecht.
Lediglich dadurch, daß eine Organisation ihre Mitglieder alle auf dem Markt befindlichen Weiterbildungsangebote nutzen läßt, wird sie nicht automatisch zur ,,lernenden Organisation". So wird nur die Kumulation individuellen Wissens forciert - ein Gewinn für die Organisation läßt sich daraus nicht zwangsläufig ableiten.
Eine ,,Lernende Organisation" ist also nicht die (unkontrollierte) Ansammlung von Fachwissen durch den einzelnen. Eine derartige Strategie läßt jegliche Zukunftsorientierung vermissen, hier steht die kurzfristige Lösung im Mittelpunkt. Der Begriff der ,,lernenden Organisation" wird ad absurdum geführt.
4. Der Begriff der Organisation
„Organisation - soziales Gebilde mit einer eigenen Sozialstruktur und einer ihrem Zweck und Wesen entsprechenden, mehr oder weniger losen oder festen Organisationsstruktur." (Microsoft Encarta 98 Enzyklopädie)
Basierend auf dieser Definition läßt sich eine wesentliche Aussage treffen: Der Begriff der Organisation läßt sich aus zwei Perspektiven betrachten. Entweder bezieht er sich auf das Ding, das Gebilde, das Objekt selbst - dieses stellt dann eine Organisation dar. Oder aber Organisation meint, daß etwas eine solche besitzt. Es existieren also zwei unterschiedliche Organisationsbegriffe.
Auf der einen Seite steht der institutionale Organisationsbegriff. Er beschreibt Organisation ,,... als eine Sammelbezeichnung für sämtliche sozialen oder sozio-technischen Systeme." (Demske 1996, S. 28) Letztere sind charakterisiert durch ein permanentes Zusammenwirken von Menschen und Sachmitteln sowie von Menschen untereinander - somit zählen dazu auch Unternehmen, Verbände und Behörden. Der Begriff der Organisation und der Institution werden synonym gebraucht. Speziell in der Psychologie und in der Soziologie ist ein derartiges Verständnis von Organisation dominierend. (vgl. Demske 1996, S. 29)
Andererseits existiert der betriebswirtschaftliche Organisationsbegriff: Die Organisation ist ein Werkzeug zur Erreichung der Unternehmensziele. Organisieren ist hier gleichbedeutend mit organisatorischer Gestaltung." (Demske 1996, S. 29)
Die Auseinandersetzung mit der „lernenden Organisation" wirft nunmehr die Frage auf: Welcher dieser beiden Organisationsbegriffe ist maßgeblich?
Eine eindeutige Antwort läßt sich darauf nicht geben. Möglicherweise ist genau das das Resultat eines Veränderungsprozesses in der Betrachtungsweise der „lernenden Organisation". Man löst sich von alten, überholten Denkmustern, sieht die Dinge nicht mehr als rein statische Zustände an, sondern bezieht Veränderungen in seine Überlegungen mit ein. Wenn im weiteren Verlauf von „Organisation" gesprochen wird, geht es also sowohl um die organisatorische Gestaltung - also um Organisation im betriebswirtschaftlichen Sinne - als auch um das umgebende System selbst.
4.1. Klassische Organisationslehre
Für das weitere Verständnis ist es unerläßlich, in einem kurzen Überblick die Erkenntnisse der Organisationsforschung - die in die klassische Organisationslehre und in die neoklassische Organisationstheorie unterteilt werden kann - zusammenzufassen.
Bedeutende Vertreter der klassischen Organisationslehre sind Frederick Taylor („Scientific Management" - ein rein mechanistisches Abbild der Organisation), Erich Gutenberg (Produktionsfaktorenansatz) und Max Weber (Bürokratiemodell).
Charakteristisch für Taylors mechanistischen Ansatz ist, daß der Mensch als wichtigster Produktionsfaktor lediglich als analytisch berechenbare und von außen exakt steuerbare Maschine zu sehen ist. Gestaltet man nur die Struktur einer Organisation so optimal wie möglich, so erhält man - da Reaktionen einer Organisation als Summe der Reaktionen ihrer Mitglieder gesehen werden - ein auf Effizienz ausgerichtetes System. Der Mensch selbst gelangt bei diesem Ansatz nicht zu eigenständiger Bedeutung, er verkommt zu einem Instrument. Seine Individualität wird vernachlässigt. Er wird kontrolliert und koordiniert durch eine strenge Organisationshierarchie.
Gutenberg versteht ,,... das Wirtschaften im Betrieb ... als die Kombination von menschlicher Arbeitsleistung mit Betriebsmitteln und ... Sachgütern." (Heyne 1996, S. 8) Er geht davon aus, daß eine Organisation grundsätzlich über alle notwendigen Produktionsfaktoren verfügen kann. Aufgabe des Managements einer Unternehmung ist es danach, die vorhandenen Faktoren so zu kombinieren, daß ein möglichst optimaler Ertrag erzielt wird. Problematisch an Gutenbergs Ansatz ist vor allem, daß er fast ausschließlich idealtypische Situationen behandelt - diese werden den realen Entscheidungen, vor die sich eine Organisation gestellt sieht, jedoch kaum gerecht. Verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse werden weitgehend aus der Betrachtung ausgeschlossen.
Abgesehen vom unflexiblen Organisationsverständnis der klassischen Organisationslehre bleibt auch die Umwelt fast unberücksichtigt. Sie wird lediglich als Lieferant von Ressourcen, die dann gewinnbringend in einen festgelegten Output umgewandelt werden können, betrachtet. Wechselwirkungen zwischen Organisation und Umwelt sind nicht vorgesehen.
Eine ,,lernende Organisation" ist unter diesem Gesichtspunkt nicht realisierbar, ist doch das System ,,Mensch _· Umwelt" kein Gegenstand der klassischen Organisationslehre. Ein Lernen des Menschen von der Umwelt, ein Lernen der Organisation selbst ist damit nahezu ausgeschlossen.
4.2. Neoklassische Organisationstheorie
Geht die klassische Organisationslehre von der Organisation als Ganzes aus, so rücken in der neoklassischen Organisationstheorie die einzelnen Bestandteile einer Organisation in den Mittelpunkt der Betrachtung.
Erstmals wird der Begriff der sogenannten ,,informellen Organisation" erwähnt - Mitglieder einer Organisation werden als soziale Wesen wahrgenommen, die mit der Umwelt in ständigem Kontakt stehen, so daß das Organisationsgeschehen nicht mehr als ein nur von der Organisationsleitung bestimmter Ablauf realisiert wird, sondern wesentlich mitbestimmt wird von der Herkunft, den Verhaltensweisen, Gewohnheiten, Erfahrungen, Wünschen und Erwartungen der Organisationsmitglieder.
Daraus resultiert, daß die Tatsache, daß allein monetäre Anreize als motivationsbildender Faktor nicht ausreichend sind, zunehmende Akzeptanz findet. Zunehmend werden innere Werte und Einstellungen des einzelnen - Motivation, Zufriedenheit, Zweck einer Organisationsmitgliedschaft u.a. - als zusätzliche Variablen berücksichtigt.
Einer der repräsentativsten Vertreter dieser Erkenntnis dürfte Maslow sein - er unterteilte unsere menschlichen Bedürfnisse in verschiedene Kategorien und entwickelte daraus eine Bedürfnispyramide. Seiner These zufolge strebt der Mensch danach, zunächst seine physischen, ,,natürlichen" Grundbedürfnisse zu befriedigen: Hunger, Durst, Gesundheit, ... Erst wenn der Mensch dies erreicht hat, versucht er, auch seine psychischen Bedürfnisse zu befriedigen - das Streben nach Sicherheit für Leib und Leben, für den Arbeitsplatz, ... Diese psychischen Bedürfnisse sind wesentlich mitgeprägt von der sozialen Umwelt. Hat man diese Stufe der Pyramide erreicht, so trachtet man danach, geliebt zu werden und sucht die Einbindung in eine Gemeinschaft. Der Mensch strebt weiter ,,nach oben", um beispielsweise die gesellschaftliche Anerkennung zu erreichen. Am Ende der Pyramide finden sich Werte wie Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung.
Die Maslowsche Bedürfnispyramide stellt natürlich nur ein Denkmodell dar - ihre Aussagen erheben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Die realen individuellen Bedürfnisse divergieren häufig. Zudem sind im Alltag die Übergänge zwischen den einzelnen Stufen der Pyramide eher fließend. Trotz allem trägt das Maslowsche Modell wesentlich zur Selbsterkenntnis bei. (vgl. Demske 1996, S. 9)
Die neoklassische Organisationstheorie umfaßt jedoch noch weitaus mehr als nur die Maslowsche Bedürfnispyramide. Sie untersucht Gegenstände wie Leistungsmotivation, Führung, Arbeitszufriedenheit u.a. Mit Hilfe von Erkenntnissen der Verhaltenswissenschaften - „Wissenschaften, in denen es in erster Linie um das Verstehen, die Voraussage und die Regulierung menschlichen Verhaltens geht, besonders um die Formen des Verhaltens, die in zwischenmenschlichen Beziehungen auftreten" (Microsoft Encarta 98 Enzyklopädie) - wird versucht, das tatsächliche Entscheidungsverhalten von Einzelpersonen und Organisationen zu erfassen. Die neoklassische Organisationstheorie fordert einen hohen Delegationsgrad, ein hohes Maß an Partizipation, wenig strukturierte Kommunikationskanäle und eine gleichmäßige Verteilung der Macht innerhalb der Organisation.
Trotz dieser dynamischen Sichtweise leidet die neoklassische Organisationstheorie an einer gewissen Starre. Kommunikation wird ausschließlich unter dem Aspekt der top-down- Kommunikation betrachtet - organisationales Lernen läßt dies nur sehr beschränkt zu.
5. Das systemtheoretische Denken
Sowohl die klassische Organisationslehre als auch die neoklassische Organisationstheorie berücksichtigt in ihren Untersuchungen den Menschen, der doch den wichtigsten Bestandteil einer Organisation darstellt, nur für die Zielerreichung einer Organisation. Eine einschneidende Weiterentwicklung dieser beiden Ansätze stellt daher das systemtheoretische Denken dar.
Die beiden bisher getrennt untersuchten Teilbereiche einer Organisation - Mensch _ · organisierte Arbeit - werden einer ganzheitlichen Betrachtung unterzogen. Der Mensch wird als wichtiges Betrachtungsobjekt einbezogen - damit kann von einer komplexen Betrachtungsweise beziehungsweise von Systemen gesprochen werden.
Im deutschsprachigen Raum ist für die Entstehung und Verbreitung der Systemtheorie vor allem ein soziologischer Schulenstreit verantwortlich - die Habermas-Luhmann-Debatte um die Möglichkeiten und Grenzen einer soziologischen Systemtheorie. Aus dieser Auseinandersetzung resultieren zwei soziologische Standardwerke: Habermas legte 1983 seine „Theorie des kommunikativen Handelns" vor, Niklas Luhmann 1984 seine Untersuchung „Soziale Systeme: Grundriß einer allgemeinen Theorie".
Das systemtheoretische Denken basiert auf der Grundüberlegung, daß ein System einen ganzheitlichen Zusammenhang von Dingen, Vorgängen und Teilen darstellt, wobei das Wesen der einzelnen Bestandteile vom übergeordneten Ganzen bestimmt wird. Dabei kommt der Kommunikation zwischen den einzelnen Teilen eine wesentliche Bedeutung zu.
Die Systemtheorie differenziert zwischen offenen und geschlossenen Systemen. Kennzeichen eines offenen Systems ist, daß mindestens ein Element des Systems in Wechselwirkung zu anderen Elementen eines anderen Systems steht. Bei einem geschlossenen System existieren derartige Wechselwirkungen nicht. Es finden keinerlei Interaktionen zwischen einem Systemmitglied und seiner Umwelt statt.
Zwei Schwerpunkte systemtheoretischer Erklärungsansätze lassen sich als wesentlich für die „lernende Organisation", die ja gerade von der Komplexität und der Umweltdynamik lebt, herausstellen: Ein System wird als komplexes System in einer ebenso komplexen Umwelt beschrieben - dies zieht die Forderung nach Offenheit nach sich. Demgegenüber wird ein System auch als in sich geschlossen betrachtet.
Kennzeichnend für systemisches Denken sind das Denken in Zusammenhängen, das Denken unter Berücksichtigung offensichtlicher Ursache-Wirkungs-Beziehungen und eine reduzierte Komplexität durch die Konzentration auf Wesentliches.
6. Wichtige Auslöser für die Entwicklung von Organisationen
Geht man davon aus, daß wir uns zu einer modernen Industrie-, Dienstleistungs- und Konsumgesellschaft entwickelt haben, so wird schnell deutlich, daß auch die Probleme, vor die Organisationen sich derzeit gestellt sehen, an Qualität und Komplexität deutlich zugenommen haben.
Das Vorhandensein von Problemen - oder drastischer gesagt: von Krisen - kann als primärer Auslöser dafür angesehen werden, daß Veränderungen in und von Organisationen stattfinden. Weitere Auslöser für derartige Veränderungen können u.a. sein: zunehmender Wettbewerbsdruck, das Scheitern oberflächlicher organisatorischer Umstrukturierungen, eine verstärkte Orientierung der Organisation auf den Menschen, notwendige Qualitätssteigerungen, fehlende Organisations-Identität und fehlende Identifizierung der Mitglieder einer Organisation mit ihr.
Unabdingbar dafür, die notwendigen Veränderungen durchführen zu können, ist, daß eine Entwicklung aus der Organisation selbst heraus stattfindet.
7. Die Organisationsentwicklung - eine Möglichkeit des Umgangs mit Veränderungen
Diese Entwicklung aus sich selbst heraus ist Gegenstand der Betrachtung der Organisationsentwicklung - sie bietet eine Vielzahl von Erklärungen und Erkenntnissen von Organisationen und deren Entwicklung.
Organisationsentwicklung soll dabei verstanden werden als systematischer Veränderungsprozeß einer Organisation, dessen Ziel es ist, eine gesteigerte Effektivität der Organisation bei der Analyse und Lösung ihrer Probleme und bei der Verfolgung ihrer Ziele zu erreichen. Diesem Prozeß liegen ein Lernen der Organisationsmitglieder und der Organisation selbst und der nachfolgende Austausch der gewonnenen Erkenntnisse - Interaktion - zugrunde. Es ist ein langfristiger Prozeß, bei dem immer wieder ungeplante künftige Ereignisse auftreten können, die naturgemäß im vorhinein nur schwer Berücksichtigung finden können. Schwerpunkt der Veränderung ist der Wandel der Organisation selbst, weniger der der einzelnen Individuen.
8. Die Organisationsentwicklung als
Entwicklungskonzept der ,,lernenden Organisation"
Fraglich ist, ob die Organisationsentwicklung - obwohl sie der Wechselwirkung ,,Mensch _ · Umwelt" einige Beachtung schenkt - das geeignete Konzept ist, um Organisationen auch in der Zukunft die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Die Berücksichtigung der Umwelt - damit einhergehend kommt es selbstredend zu einer ständig steigenden Komplexität eines Systems - stellt für die Organisationsentwicklung ein umfangreiches Problem dar. Problematisch könnte vor allem sein, daß Organisationsentwicklung stets unter Einbeziehung externer Berater - Moderatoren - stattfindet. Das Lernen der Organisationsmitglieder ist eher als den Veränderungsprozeß begleitend zu beschreiben. Will man diesen Prozeß jedoch so effizient wie möglich gestalten, ist es notwendig, daß der Anstoß für Veränderungen, für den Wandel aus der Organisation heraus, durch ihre Mitglieder, erfolgt. Die Organisationsmitglieder müssen selbst als Moderatoren der Entwicklung ihrer eigenen Organisation tätig werden. (Diese Kritik ist nicht gleichzusetzen damit, daß nicht auf externe Hilfe zurückgegriffen werden darf. Die externe Hilfe muß sich jedoch auf die fachliche Anleitung beschränken.)
Ein grundsätzliches Manko der Organisationsentwicklung ist es auch, daß sie entweder die Notwendigkeit der Anpassung bzw. Veränderung der internen Faktoren (Menschen) einer Organisation unterstreicht oder aber die Anpassung der Organisation an externe Faktoren (Umwelt) hervorhebt. Die Folge ist eine isolierte Entwicklung der einzelnen Bestandteile einer Organisation. Es mangelt an einer ausreichenden Berücksichtigung der Interaktion der einzelnen Organisationsteile.
Zunehmend gewinnt jedoch die Erkenntnis an Bedeutung, daß nicht das Gleichgewicht der Bestandteile einer Organisation sondern eine permanente Dynamik das notwendige Potential für die Organisationsentwicklung in sich birgt. Dem Lernen kommt ein immer größerer Stellenwert zu. Die „lernende Organisation" stellt ein mögliches Konzept dar, welches die genannten Aspekte in den Mittelpunkt stellt.
9. Organisationales Lernen - eine Strategie zur Organisationsentwicklung?
„Lernen - nach allgemeinem Verständnis das Aneignen von Kenntnissen und Fähigkeiten. Darüber hinaus, vor allem nach dem Verständnis der Psychologie, können auch Gefühle und Verhaltensweisen erlernt werden. ... Kennzeichnend für alles Lernen im psychologischen Sinn ist die auf der Grundlage des Erlernten zielgerichtete Modifikation des Verhaltens. ... Heute existieren unterschiedliche Lerntheorien, die als kognitive Psychologie, Wahrnehmungs- und Gestaltpsychologie vor allem den Prozeß der Informationsverarbeitung (Gehirn) wie auch die unterschiedlichen Formen des motorischen, emotionalen und sozialen Lernens untersuchen." (Microsoft Encarta 98 Enzyklopädie)
Innerhalb des organisatorischen Lernens ist zunehmend Dynamik gefragt - es muß ein fortlaufender Lernprozeß stattfinden. Dabei geht es um die Möglichkeit, Organisationen als lernende Institutionen zu begreifen. Die Organisation selbst muß im Lernprozeß eine aktive Rolle einnehmen. Mit dieser Forderung gelangt man von der Organisationsentwicklung zur Organisationstransformation - diese betont die sich eigenständig entwickelnde Organisation. Die Organisation wird vom passiven Konsumenten von Lernangeboten zum aktiven Handlungsträger des Umgestaltungsprozesses.
9.1. Die wichtigsten Lerntheorien
Psychologie, Pädagogik und Biologie erklären zwar die wissenschaftlichen Grundlagen des Lernens bzw. das Verhalten der Lernenden - sie gehen jedoch nicht auf den Vorgang des Lernens als solches ein. Diese Aufgabe haben verschiedene Lerntheorien übernommen. Die beiden wichtigsten Lerntheorien - die Stimulus-Response-Theorie und die kognitive Theorie des Lernens - sollen im Folgenden überblicksartig beschrieben werden.
9.1.1. Die Stimulus-Response-Theorie
Die Stimulus-Response-Theorie faßt das Lernen als ein Merkmal von Individuen auf und beschreibt den Vorgang des Lernens als Reaktion eines Individuums (Response) auf einen gleichen oder ähnlichen Reiz (Stimulus) in einer von früherem Verhalten signifikant abweichenden Art und Weise. (vgl. Microsoft Encarta 98 Enzyklopädie) Der Mensch - als Aktionsort des Lernens eine ,,Black Box" - empfängt also demnach Reize aus seiner Umwelt, verarbeitet diese Reize irgendwie und reagiert dann auf sie. Dieses Lernen stellt einen kontinuierlichen Prozeß dar.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das bekannteste Beispiel einer Stimulus-Response-Theorie dürfte die ,,Konditionierung" sein. Lernen erfolgt dabei als bedingte Reaktion durch Übung, und es kann auch nur durch permanente Übung erhalten werden. In der Konsequenz heißt das, daß ein Lernerfolg durch Reizeinwirkung nur dann erzielt werden kann, wenn die Reize in einer definierten Folge zeitlich und räumlich zusammentreffen. Das Individuum selbst bleibt bei dieser Art des Lernens weitgehend passiv - mit anderen Worten: Es wirkt nicht von sich aus auf seine Umwelt ein, sondern es reagiert lediglich auf Reize aus dieser.
9.1.2. Die Kognitive Theorie
Charakterisierend für die kognitive Lerntheorie ist, daß sie auf die Wahrnehmung von Reizen sowie auf die Organisation derselben und die Struktur des Bewußtseins eingeht. Nicht bestimmte Verhaltensweisen werden erlernt sondern Regeln, auf denen dann wiederum die Verhaltensweisen basieren. Im Gegensatz zur Stimulus-Response-Theorie ist das Individuum kein undurchschaubarer Kasten, keine ,,Black Box" mehr, sondern die kognitiven Vorgänge im Menschen werden in den Vordergrund gerückt.
Das Individuum schafft sich eine ,,eigene" Wirklichkeit. Nicht mehr nur die Umwelt (Stimuli) oder erfolgreiche Reaktionen (Response) lenken das menschliche Handeln sondern die Denkvorgänge des Individuums. Damit bietet die kognitive Lerntheorie eine hervorragende Grundlage für die Untersuchung von Lernvorgängen in Organisationen.
9.2. Individuelles Lernen/Soziales Lernen/Lernen eines Systems
Um organisationales Lernen umfassend verstehen zu können, bedarf es der Analyse des Lernens des Individuums, der Gruppe und des Systems.
Selbstverständlich können Organisationen in gewisser Weise auch unabhängig von ihren jeweiligen Mitgliedern existieren, dennoch nimmt das Individuum als wesentliches Element jedes sozialen Systems eine äußerst einflußreiche Rolle innerhalb einer Organisation ein. Die Organisation ist ohne ihre Mitglieder schlichtweg undenkbar, sie würde zum reinen Selbstzweck. Dem Individuum kommt dabei nicht nur eine generell bedeutsame Rolle zu, es ist auch der entscheidende Träger des organisationalen Lernprozesses.
Organisationales Lernen hat sein Fundament in den physischen, kognitiven und sozialen Fähigkeiten des einzelnen Menschen. Diese Fähigkeiten beeinflussen nicht nur das Verhalten ihres Trägers sondern eben gerade auch das der ihn umgebenden Organisation. Zwar ist organisationales Lernen nicht gleichbedeutend mit der Summe der zugrundeliegenden individuellen Lernergebnisse und -fortschritte, aber diese sind unerläßlich für das Lernen des Gesamtsystems. Ohne individuelle Lernerfolge kann Lernen innerhalb der Organisation keine neue Qualität erreichen.
Organisationales Lernen setzt die individuelle Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt voraus - diese Auseinandersetzung erfolgt mittels der vorhandenen kognitiven Fähigkeiten. Eine ständige Beobachtung der Umwelt ist zwingend notwendig. Aus den gemachten Beobachtungen muß das Individuum auf künftige, abweichende Situationen und die darauf erforderlichen Reaktionen schließen können - ist es dazu in der Lage, so kann höheres Lernen stattfinden. Individuen bringen in den Lernprozeß ihre individuellen Erwartungen an die Zukunft mit ein. Diese Erwartungen differieren naturgemäß von Mensch zu Mensch. Schafft es das Individuum, die Auswirkungen seiner Handlungen auf die verursachten Differenzen zwischen Wunsch und Wirklichkeit hin genau zu untersuchen und daraus wiederum zu lernen, so findet eine Selbstreflexion statt.
Finden sich einzelne Individuen zu einer Gruppe zusammen, so sind nicht mehr nur die Individuen Träger ihrer jeweiligen Lernprozesse, sondern auch die Gruppe wird zum Träger eines Lernprozesses. Das Lernen der Gruppe ist dabei wesentlich geprägt von der Interaktion und der Kommunikation ihrer Mitglieder. Je besser die Kommunikation innerhalb der Gruppe, desto höher ist auch die kollektive Lernfähigkeit. Werte, Normen und Erwartungen der Gruppenmitglieder kumulieren zu neuen gemeinsamen Standards, die durch die Menge des eingebrachten Wissens und der persönlichen Erfahrungen deutlich höher sind als die der Individuen. Die Gruppe schafft ein „kollektives Wissen".
Organisationales Lernen ist mehr als die Summe individuellen Lernens. Von den Lernprozessen des Individuums oder auch einer Gruppe läßt sich nicht automatisch auf die der gesamten Organisation schließen. Die Organisation besitzt die Fähigkeit, im Laufe ihrer Entwicklung sogenannte Lernsysteme zu entwickeln - diese äußern sich in bestimmten Symbolen, Leitlinien, Werten und Normen.
Das Lernen eines Systems wird zudem wesentlich geprägt von den vielfältigen Beziehungen, die zwischen der Organisation und ihren Mitgliedern bestehen. Zwar ist individuelles Lernen für ein Organisationslernen zwingend erforderlich, jedoch ziehen große individuelle Lernanstrengungen und -erfolge nicht stets gleichzeitig hohe Lernerfolge der Organisation nach sich. Diese können im Gegenteil sogar sehr gering oder auch gar nicht nachweisbar sein. Andererseits können minimale Lernanstrengungen einzelner zu großen organisationalen Lernerfolgen führen - und zwar genau dann, wenn die besonders effizient lernenden Individuen strategisch wichtige Schlüsselpositionen innerhalb der Organisation einnehmen. Da diese Konstellation jedoch nicht die Regel ist - der Arbeitsmarkt bietet besonders hoch qualifizierte potentielle Organisationsmitglieder nicht in ausreichender Anzahl an -, genügt es nicht, Organisationslernen lediglich punktuell zu fordern und zu fördern.
Geht man zum einen davon aus, daß erfolgreiches Lernen eines Individuums zu Verhaltensänderungen (vgl. 9.1. Die wichtigsten Lerntheorien) führt und unterstellt man zum zweiten, daß auch eine Organisation ,,Verhalten" zeigt - sie repräsentiert das Verhalten ihrer einzelnen Mitglieder nach außen und zwar meist durch nur wenige Organisationsmitglieder, die besonders intensiv im Außenverhältnis tätig sind -, so gelangt man zwingend zu der Schlußfolgerung, daß organisationales Lernen zur Änderung dieses „Verhaltens" führt. Die Organisation entwickelt im Laufe ihrer Entwicklung eine Art Netzwerk und ,,speichert" so Erfahrungen aus vorangegangenen Lernprozessen sowie die Normen und Wertvorstellungen all ihrer Mitglieder. Dieses Netzwerk ist erinnerungsfähig und existiert unabhängig von jeglichen Individuen. Es dient der Erhaltung der Organisationskultur und -struktur und deren Weiterentwicklung.
9.3. Organisationale Lernsysteme - eine konzeptionelle Beschreibung
Das Lernen einer Organisation läßt sich einerseits beschreiben als das Lernen der Mitglieder stellvertretend für das der Organisation. Diese Art des Lernens wird meist nur von einer geringen Zahl von Personen ausgeübt. Es steht damit in engem Zusammenhang zur „Macht" innerhalb der Organisation - das in wenigen individuellen Lernprozessen erworbene Wissen hat die besten Aussichten, in organisationale Entscheidungsvorgänge einzufließen. Andererseits kann man das Lernen einer Organisation als die selbständige Gestaltung kognitiver Lernprozesse interpretieren. Das Lernen wird als ein von der individuellen Ebene losgelöstes betrachtet und entspricht der Weiterentwicklung des von allen Organisationsmitgliedern gemeinsam getragenen Wissens. Kontinuierliche Lernerfolge werden benötigt, um die Organisation selbst laufenden Veränderungen zu unterwerfen - eine wichtige Voraussetzung, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
9.4. Ebenen organisationalen Lernens
Lernprozesse basieren wesentlich auf Erfahrungen: Das Handeln einer Organisation steht stets in Beziehung zu ihrer Umwelt. Beobachtet die Organisation die Konsequenzen ihrer Handlungen und die Reaktionen der Umwelt darauf, so kann sie möglicherweise die Gründe für eben diese analysieren. Gerät diese Analyse nicht zum reinen Selbstzweck, sondern wird sie genutzt, um zukünftiges organisationales Verhalten zu verändern, so entwickelt sich die Organisation laufend weiter. Ein zyklischer Lernprozeß setzt ein.
Eine ,,lernende Organisation" wird also bei akuten Problemen, die sich ihr stellen, bereits Gelerntes in aktives Verhalten umsetzen. Die Organisationsmitglieder und die Organisation selbst haben so die Möglichkeit, aus den daraus resultierenden Umweltreaktionen zu lernen (vgl. 9.1.1. Die Stimulus-Response-Theorie). Lernen ist stets auch mit Anpassung verbunden: Die Organisation ist gezwungen, sich an Veränderungen der Umwelt - beziehungsweise der Bedingungen, die diese bietet - anzupassen. Ist sie dazu nicht in der Lage, riskiert sie ihren Fortbestand.
Jede Organisation befindet sich in einem permanenten Lernprozeß - die Frage ist lediglich, wie sie diesen für sich und die Annäherung an eine möglichst optimale Organisationsstruktur und -kultur nutzt. Verkommt dieser Prozeß zu einem einmaligen, statischen Akt, so beraubt sich die Organisation der Möglichkeit der Weiterentwicklung aus sich selbst heraus. Nutzt die Organisation diesen Prozeß mit seiner Vielzahl von Rückkopplungen ,,Organisation _ · Umwelt" und mit jedem seiner Lernschritte, so erhält sie sich die Chance, auf optimale Art und Weise durch Selbstorganisation wettbewerbsfähig zu bleiben beziehungsweise zu werden.
Durch das organisationale Lernen entwickelt sich innerhalb der Organisation eine Art „virtuelle Wirklichkeit". Die Organisation ist fähig, Veränderungen innerhalb der Umwelt als Möglichkeit zu sehen, die Umwelt in gewissem Maße an die Organisation anzupassen und Umweltveränderungen als positive Stimuli wahrzunehmen. Die notwendige Anpassung führt zu einer gesteigerten Wahrnehmung selbstorganisatorischer Prozesse und läßt die Organisation in wahrnehmende und verarbeitende Interaktion mit ihrer Umwelt treten. Organisationen handeln stets gemäß der subjektiven Vorstellungen und Handlungsgewohnheiten ihrer Mitglieder. Auf dieser Grundlage lassen sich drei aufeinander aufbauende Lernniveaus beschreiben. Im Grundsatz lebt organisationales Lernen von dem Vergleich erreichter Handlungsergebnisse und zuvor an die Handlungen gestellter Erwartungen. Werden aufgetretene Abweichungen unter Beibehaltung herrschender Vorgaben korrigiert, so ist dies kennzeichnend für das niedrigste Lernniveau - das Singleloop-Lernen (Anpassungslernen). Ein zweites Lernniveau kann erreicht werden, indem wahrgenommene Umweltsignale zunächst neu interpretiert werden und erst dann der Korrektur dienen - Double-loop-Lernen (reflexives Lernen). Dieses nutzt die bisherigen Erfahrungen einer Organisation und ihrer Mitglieder und transformiert diese, hinterfragt jedoch zugleich die grundlegenden Normen und Wertvorstellungen der Organisation. Für das Double-loop-Lernen bedarf es unbedingt einer veränderungsfähigen und -willigen Organisationsleitung. Dieses Erfordernis führt im Ergebnis zu einem Konflikt zwischen jenen Organisationsmitgliedern, die alten Handlungsmustern verhaftet bleiben, und solchen, die modifizierte Handlungstheorien schaffen und nutzen wollen. Letztendlich ist es eine Machtfrage, inwieweit sich Neues innerhalb einer Organisation durchsetzen läßt. Doubleloop-Lernen ist also keine zwangsläufige Folge „qualifizierten" Single-loop-Lernens, sondern abhängig von der Durchsetzungsfähigkeit der einen oder der anderen Gruppe von Organisationsmitgliedern. In der Konsequenz führt es bei erfolgreicher Implementierung jedoch zu einem erneuten Lernfortschritt im Sinne eines höheren Lernniveaus - Deutero- Lernen (Lernen durch doppelte Reflexion beziehungsweise Lernen-zu-Lernen). Das Deutero- Lernen basiert auf der Reflexion organisationaler Lernprozesse. Dadurch verarbeitet die Organisation Informationen über sich selbst und schafft so die Voraussetzungen, um auf vorangegangene, aktuelle oder zukünftige Entwicklungen innerhalb der Organisation und in der Umwelt entsprechend reagieren zu können. Deutero-Lernen erfordert ein ständiges Überdenken des Organisationsselbstverständnisses.
Bei der Beschreibung organisationalen Lernens darf nicht außer acht gelassen werden, daß in jegliche Handlungen einer Organisation die subjektiven Wertvorstellungen und Lernfortschritte ihrer Mitglieder einfließen. So, wie das einzelne Organisationsmitglied sich innerhalb des Systems „Umwelt" positioniert und daraufhin Zusammenhänge wahrnimmt, greift es aktiv in das Organisationsverhalten ein.
9.5. Der notwendige Kontext für organisationales Lernen
Organisationales Lernen ist zwangsläufig eingebettet in das strukturelle und kulturelle Umfeld der Organisation. Die organisationsinterne Hierarchie und zentralisierte Entscheidungen bestimmen dabei wesentlich den strukturellen Kontext, da sie Basis der Repräsentation der Organisation nach außen hin sind. Das kulturelle Umfeld setzt sich aus den Regeln, Normen und Werten zusammen, auf denen der strukturelle Kontext aufbaut. Die Anschauungen, Umwelterfahrungen und Persönlichkeiten der Organisationsmitglieder gehören ebenfalls zum kulturellen Umfeld einer Organisation.
Die Organisationskultur ist damit zum einen notwendige Bedingung für die Existenz und das Funktionieren eines wirtschaftlich operierenden Systems, andererseits aber auch Ergebnis genau dieses Wirtschaftens. Die Organisation ist permanent auf der Suche nach Lösungen für die Konflikte, denen sie sich im Wechselspiel mit ihrer Umwelt ausgesetzt sieht. Das durch organisationales Lernen erworbene Wissen und die daraus resultierenden Erkenntnisse sind somit ebenfalls zwingend notwendige Bestandteile der Unternehmenskultur.
Den nötigen Zusammenhalt erfährt die Organisation durch das bereits beschriebene Netzwerk (vgl. 9.2. Individuelles Lernen/Soziales Lernen/Lernen eines Systems). Dieses Netzwerk verbindet strukturelles und kulturelles Umfeld der Organisation zu einem homogenen, flexiblen Ganzen.
Der Versuch, einer Organisation eine bestimmte Kultur ,,von außen aufzusetzen" oder aber ,,von innen zu verordnen", ist zum Scheitern verurteilt. Der kulturelle Kontext entsteht aus ständiger Interaktion und Reflexion der Organisationsmitglieder untereinander und mit ihrer Umwelt, er ist Resultat der Dynamik innerhalb einer Organisation. Die Organisation erwirbt ihre Organisationskultur selbst, sie entwickelt sich aus ihr heraus - dabei ist die Organisationskultur jedoch kein statisches „Etwas" sondern ständigen Veränderungen unterworfen.
Eine ,,lernende Organisation" setzt innerhalb ihres kulturellen Kontextes somit mindestens folgende Elemente voraus:
- Konzentration und Reduktion der Aufgaben der Leitungsebene auf die eigentlichen Führungsaufgaben,
- Reduktion der Führungsebenen,
- Delegation von Verantwortung durch weitestmögliche Dezentralisierung,
- klare Aufgabendefinition und fortlaufende Überprüfung der aktuellen Aufgabenstellung,
- Vorgabe klarer Ziele und Leitbilder,
- Förderung einer milieukritischen Organisationskultur.
(vgl. SIAK 1998, S. 11 f.)
Auch die Struktur einer Organisation hat maßgeblichen Einfluß auf ihre Fähigkeit zu organisationalem Lernen. Zur Struktur zählt dabei nicht nur die Aufbau- und Ablauforganisation. Struktur meint auch sich entwickelnde humane und individuelle Arbeitsgestaltung sowie die Ermöglichung individueller Lernprozesse.
Die Organisationsstruktur wirkt sich nicht immer nur förderlich auf das organisationale Lernen aus, teilweise behindert sie es sogar. Denkbar ist es beispielsweise, daß Organisationsmitglieder ihre individuellen Lernerfolge nicht der Organisation als Ganzes zur Verfügung stellen - so unter anderem dann, wenn einzelne Mitglieder der Organisation divergierende Erwartungen an ihre eigene und die Rolle anderer innerhalb der Organisation haben.
Auch positive Auswirkungen der Organisationsstruktur auf den organisationalen Lernerfolg sind jedoch möglich. So ist die Organisation in der Lage, eine größere Menge an Wissen zu speichern als die einzelnen Individuen und dieses dann den Organisationsmitgliedern auch wieder zur freien Verfügung zu stellen. Dabei ist eine Erweiterung der organisationsinternen Wissensbasis durch dieses Wechselspiel nicht nur möglich sondern sogar erwünscht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
9.6. Kommunikation -
eine unabdingbare Voraussetzung für organisationales Lernen
,,Kommunikation - Übermittlung und Empfangen von Gedanken, Informationen und Nachrichten. Ganz besonders in den letzten zwei Jahrzehnten sind der schnelle Informationsaustausch über große Entfernungen sowie der leichte Zugang zu Informationen zu markanten und bedeutsamen Merkmalen der menschlichen Gesellschaft geworden." (Microsoft Encarta 98 Enzyklopädie)
Kommunikation stellt also einen Prozeß des Mitteilens, des gegenseitigen Austausches von Gedanken, Meinungen, Wissen, Erfahrungen, ... und des Übertragens von Informationen dar. Dieser Prozeß ist von immenser Bedeutung für das organisationale Lernen und damit schlußendlich für die Organisationsentwicklung. Die Kommunikation der einzelnen Organisationsmitglieder ist für die Organisation als solche überlebensnotwendig. Nur durch den wechselseitigen Informationsaustausch „Individuum _ · Individuum" und "Individuen _ · Organisation" gelangt fortlaufend neues, aktualisiertes Wissen in das organisationseigene Netzwerk, aus dem dann die Mitglieder der Organisation und das System als Ganzes wiederum Wissen schöpfen können. Weiterhin schafft Kommunikation Kontakte - inner- und außerhalb der Organisation. Intensive Kontakte nach außen - zur Umwelt - schaffen Möglichkeiten für erweiterten Informationserwerb und zeigen zudem, wie die Umwelt auf Aktivitäten der Organisation reagiert - ein notwendiges Feedback für organisationales Lernen. Nur durch Kommunikation ist ein Lernen aus Fehlern, ein Lernen aus der Organisation heraus möglich. Selbsterfahrung gelingt nur durch Gedankenaustausch. Je vielfältiger die durch die Kommunikation aufgenommenen Informationen sind, desto eher gelingt es, die für die Organisationsentwicklung notwendigen herauszufiltern.
Kommunikation und die „Kanäle", die für die Kommunikation genutzt werden, dürfen nicht als statisch begriffen werden. Kommunikation ist wandelbar und reagiert auf Änderungen in der Organisationsstruktur und -kultur sowie in der Umwelt. Sie ist abhängig von den jeweiligen Organisationsmitgliedern und den Werten und Moralvorstellungen, die diese in die Organisation einbringen. Flexibles Reagieren auf Probleme schafft die besten Voraussetzungen, damit Kommunikation zum Organisationserfolg beitragen kann.
9.7. Schlüsselprobleme organisationalen Lernens
Bei aller Euphorie angesichts der Möglichkeiten, die organisationales Lernen für die Entwicklung einer Organisation augenscheinlich bietet, dürfen jedoch nicht die Probleme, die bei der Umgestaltung einer Organisation zu einer „lernenden" auftreten, außen vor gelassen werden.
Für den Aufbau des genannten organisationalen Netzwerkes (vgl. 9.2. Individuelles Lernen/Soziales Lernen/Lernen eines Systems) ist es unerläßlich, daß die Organisationsmitglieder das von ihnen erworbene Wissen in die Organisation einbringen und ihr zur Verfügung stellen. Die Organisation selbst muß durch die Schaffung lernoptimaler Bedingungen die individuellen Lernprozesse fördern und ihre Mitglieder zur Kommunikation anregen. Dies erfordert ein großes Vertrauen der Organisationsmitglieder untereinander und zur Organisation, was mit einem Verzicht auf Machtpositionen verbunden ist. Ohne diesen Verzicht würden individuelle Lernerfolge zurück- und der Organisation vorenthalten werden. Aus dem in die Organisation integrierten Wissen müssen modifizierte und den veränderten Umweltbedingungen angepaßte Regeln für das Handeln der Organisation und ihrer Mitglieder erwachsen. Diese Regeln bedürfen einer fallbezogenen Konkretisierung, um sie auf die Lösung anstehender Probleme anwenden zu können. Möglich ist dies nur, wenn sich die einzelnen Individuen einig sind über den Sinn gemeinsam erlangten und für alle verfügbaren Wissens. Individuelle Machtinteressen und informelle Kleinstgruppen können dem entgegenstehen.
Die aus dem organisationalen Netzwerk entwickelten Regeln müssen im weiteren Verlauf gefestigt und in die konkrete Persönlichkeitsstruktur der Organisationsmitglieder übernommen werden. Natürlich könnten diese Regeln den Organisationsmitgliedern einfach ,,befohlen" werden. Sinnvoll erscheint dies nicht. Eine ,,lernende Organisation" greift das Problem auf, das innerhalb der Organisation künftig als neue Regel gelten soll. Sie tut dies, ohne diese neuen Regeln von oben zu oktroyieren. Die Organisationsmitglieder identifizieren sich mit der sie umgebenden Organisation und sind von sich aus hochgradig motiviert, neue Regeln zu akzeptieren.
Letztlich ist es problematisch, aus bereits erlernten Situationen geschaffenes Wissen zu reflektieren. Die Mitglieder der Organisation benötigen ein Feedback ihrer individuellen Lernprozesse aus ihrer Umwelt - dieses Feedback ermöglicht ihnen innovative Ideen. Durch die Komplexität der Handlungsabläufe innerhalb von (zumindest größeren) Organisationen ist es jedoch oft schwierig, das gegebene Feedback auch als solches zu erkennen. (vgl. Lembke 1995/96, S. 29 f.)
10. Exkurs: Die „lernende Organisation" in der Praxis eines
Großunternehmens (DaimlerChrysler AG)
Daß die ,,lernende Organisation" tatsächlich nicht nur ein Schlagwort moderner Organisationstheorie ist, sondern in der Praxis wirklich ,,gelebt" wird, zeigt die in den letzten Jahren vollzogene Umgestaltung der DaimlerChrysler AG.
Das Unternehmen sah sich - wie unzählige andere auch - einer verschärften Wettbewerbssituation gegenüber, die dazu führte, daß es seine bisherige Position überprüfen und dabei feststellen mußte, daß die bislang praktizierten Geschäftstheorien für ein erfolgreiches Bestehen im Wettbewerb nicht mehr adäquat waren. Innovationen, hohe Anforderungen an die Produktqualität, ausgeprägte Serviceleistungen - all dies verlangen die Kunden heute.
Die DaimlerChrysler AG konnte den gestiegenen Anforderungen nicht mehr gerecht werden und suchte nach gangbaren Wegen, die sich rasch ändernden Kundenbedürfnisse zu befriedigen - wenn möglich, schneller und besser als die Konkurrenz. Das Unternehmen erkannte, daß Organisationen Überkommenes verlernen und Neues erlernen müssen. Ein Ausruhen auf Erfolgserlebnissen ist durch die instabilen Umweltbedingungen nicht möglich. Welche Stellung das Unternehmen gerade einnimmt und wie man wettbewerbsfähig bleiben kann, muß ständig kontrolliert werden. Durch eine grundlegende Transformation konnte die DaimlerChrysler AG die Voraussetzungen für einen erneuten Erfolg des Unternehmens schaffen.
Zur Veränderung des Unternehmens lokalisierte die DaimlerChrysler AG drei Stellhebel:
Stellhebel 1 : Ideen
Da die Ideen den Kern eines jeglichen Veränderungsprozesses bilden, muß man sich zunächst mit diesen beschäftigen. Sie sind der Auslöser für den Transformationsprozeß, und sie repräsentieren den neuen Zustand, den das Unternehmen durch die Veränderung erreichen will. Zuerst muß jedoch genau analysiert werden, von welchen Geschäftsideen der aktuelle Unternehmenszustand bestimmt wird. Darauf aufbauend läßt sich dann ermitteln, wovon man sich trennen möchte und was man für die Zukunft anstrebt.
Stellhebel 2: Prozeßanlage
Entscheidend für das Gelingen des Veränderungsprozesses ist es, die emotionalen Energien jedes einzelnen Mitarbeiters für die Transformation zu mobilisieren, da daran letztendlich der gesamte Prozeß hängt. Der Prozeßablauf selbst gliedert sich in mehrere Phasen, die keiner streng chronologischen Abfolge unterliegen, sondern die auch fließend ineinander übergehen können. Erschwerend für die DaimlerChrysler AG war es zudem, daß Entwicklungen in einem derartigen Großunternehmen in den verschiedenen Bereichen mit variierender Geschwindigkeit vor sich gehen. Das Unternehmen legte dem Transformationsprozeß ein Drei-Phasen-Modell zugrunde. In der ersten Phase - Aufrütteln und Einbinden - ging es darum, allen Mitarbeitern die Notwendigkeit kommender Veränderungen begreiflich zu machen und Akzeptanz derselben zu erreichen. Die zweite Phase - Visionieren - bestand im gemeinsamen Formulieren von Leitbildern und Visionen. Letztlich flossen in der dritten Phase - Umgestalten - Arbeiten und Lernen der Mitarbeiter ineinander. Einerseits mußte der Unternehmensalltag weiterlaufen (die Kunden wollten auch weiterhin Produkte und Dienstleistungen geliefert bekommen), andererseits mußten die Mitarbeiter ihre Arbeitsweise und die des Unternehmens insgesamt verändern - damit die Kunden auch zukünftig der DaimlerChrysler AG treu bleiben.
Das Unternehmen setzte zur wirkungsvollen Gestaltung der drei Prozeßphasen verschiedene Instrumente ein:
Schulen, Trainingskonzepte zur Entwicklung von Einstellungen und Fähigkeitenjgfjgj Medien, Kommunikationskonzepte Transparenz hinsichtlich beabsichtigter Schritte Polizei, Prozeß-/Projektcontrolling Möglichkeit zur Steuerung der Umgestaltung Dabei machte die DaimlerChrysler AG die Erfahrung, daß insbesondere der Kommunikation innerhalb eines Veränderungsprozesses ein immenser Stellenwert zukommt (vgl. 9.6. Kommunikation - eine unabdingbare Voraussetzung für organisationales Lernen).
Stellhebel 3: Kontexteingriffe
Die Transformation lebt davon, daß für alle Mitarbeiter sichtbare Zeichen gesetzt werden, die die Ernsthaftigkeit des Prozesses demonstrieren. Untrennbar mit der Beschleunigung des Veränderungsprozesses verbunden war ein partieller Personalwechsel, da es letztendlich die Mitarbeiter sind, die eine bestimmte Unternehmenskultur in sich tragen und nach außen repräsentieren. Für den erfolgreichen Wandel der DaimlerChrysler AG bedurfte es personeller Vorbilder, die auf die übrigen Mitarbeiter eine mitreißende Wirkung ausübten. Zusätzlich wurden neue Aufgaben und ,,Spielregeln" definiert.
Die maßgeblichsten Veränderungen vollzog das Unternehmen im Ergebnis in folgenden Bereichen:
- jedes Vorstandsressort bekam seinen eigenen Prozeß mit 6 verbindlichen Elementen,
- jedes Center bekam ein Leitbild,
- jährlich/alle zwei Jahre finden Mitarbeiter-Befragungen statt,
- jedes Produkt/jeder Standort bekam ein eigenes Kommunikationskonzept,
- neue Aufgaben- und Rollenträger sind sogenannte Transformationsmanager und -berater.
Die DaimlerChrysler AG konnte durch den erfolgreich durchgeführten Unternehmenswandel mit mehreren, kurz aufeinanderfolgenden Produktinnovationen den Markt bedienen - dies spiegelte sich deutlich im Unternehmensergebnis wieder. Sie gewann ihre durch eine starre und unflexible Unternehmensstruktur und Produktpolitik verlorengegangene Wettbewerbsfähigkeit zurück. (vgl. Fischer)
11. Exkurs: Die „lernende Organisation" aus der Sicht der
Polizei und der Gendarmerie Österreichs
Da viele Unternehmen der freien Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten einem zunehmenden Wettbewerbs- und Innovationsdruck ausgesetzt waren und sie diesem mit traditionellen Bewältigungsstrategien nicht mehr effektiv begegnen konnten, sahen sie sich gezwungen, nach neuen Lösungen für die anstehenden Probleme zu suchen. In diesem Kontext wurde auch das Konzept der „lernenden Organisation" entwickelt. Wirtschaftsexperten aus Theorie und Praxis erkannten, daß Unternehmensumstrukturierungen in der heutigen Zeit nur noch dann wirklich zu realisieren sind, wenn jeder einzelne Mitarbeiter eines Unternehmens in den Wandelungsprozeß mit einbezogen wird und ein permanentes Lernen jedes Unternehmensmitgliedes einsetzt.
Die Teilnehmer des dritten Führungskräftelehrganges 1997/98 - 20 Führungskräfte der Polizei und der Gendarmerie Österreichs - erstellten im Rahmen dieses Projektes eine Arbeit zu dem Thema ,,Wollen wir eine lernende Organisation (LO)?" Bereits in der Einleitung zu dieser Arbeit stellten die Verfasser fest, daß ,,... der öffentliche Dienst ... als Hort der Unbeweglichkeit, der organisatorischen Erstarrung und als Ort der Nichtveränderung schlechthin ..." (SIAK Juni 1998, S. 4) gilt. Aus dieser Überlegung heraus folgte die Frage: ,,Ist der öffentliche Dienst überhaupt fähig zu lernen?" (SIAK Juni 1998, S. 4)
Dieser Denkansatz wurde im Bereich der öffentlichen Verwaltung - und das beileibe nicht nur in Deutschland - zunächst kaum zur Kenntnis genommen. Eine streng hierarchisch aufgebaute Organisationsstruktur mit eingefahrenen Handlungsmustern verhinderte über einen langen Zeitraum, daß die ,,lernende Organisation" überhaupt als lohnenswerte Alternative wahrgenommen wurde. Daß sich diese entwicklungshemmende Einstellung in den letzten Jahren zumindest ein Stück gewandelt hat, zeigt sich beispielsweise daran, daß in die Führungskräfteausbildung der österreichischen Exekutive seit einiger Zeit ein Projekt zum Thema ,,lernende Organisation" integriert ist.
Die Projektteilnehmer analysierten im Folgenden Stärken und Schwächen der herrschenden Organisationsstruktur im Bereich der Sicherheitsverwaltung. Dabei unterschieden sie zwischen stabilitäts- und flexibilitätsorientierter Struktur mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen, wobei sich klar herauskristallisierte, daß die Organisationseinheiten innerhalb der Sicherheitsverwaltung überwiegend stabilitätsorientiert aufgebaut sind, eine ,,lernende Organisation" jedoch im wesentlichen die Kriterien einer flexibilitätsorientierten Struktur beinhaltet. Als ursächlich für diese Diskrepanz wurde die bisherige Monopolstellung des österreichischen Bundesministeriums des Innern (BMI) - diesem ist die Sicherheitsverwaltung organisatorisch unterstellt - benannt, wodurch sich das BMI keinerlei existentiellem Druck ausgesetzt sah, ,,... sich den geänderten wirtschaftlichen, sozialen, technischen und sonstigen Rahmenbedingungen anzupassen ... die Chance, den ,Betrieb BMI' beweglicher, flexibler, reaktionsschneller und kundenorientierter zu gestalten, wurde nur in einzelnen Ansätzen, nicht aber im Rahmen einer umfassenden Unternehmensphilosophie und -strategie wahrgenommen." (SIAK Juni 1998, S. 8) Andererseits besteht jedoch auch für den öffentlichen Dienst ein Bedarf zur laufenden Optimierung seiner Organisationsstruktur - wie die Projektteilnehmer in ihrer Arbeit klar herausstellten.
Als gestaltungs- und entwicklungsbedürftige und -fähige Rahmenbedingungen für den Aufbau und die Existenz einer „lernenden Organisation" wurden der Mensch innerhalb der Organisation und die Organisationskultur dargestellt. Dabei zeigte sich ganz deutlich, welche Mängel der vorhandenen Organisationskultur einer Korrektur und Verbesserung bedürfen, damit der Weg zur Entwicklung zu einer „lernenden Organisation" geebnet ist. Spezifizierte Anforderungen und herrschender Ist-Zustand wurden dezidiert gegenübergestellt. Dabei waren besonders die Führungskräfte innerhalb des BMI starker Kritik ausgesetzt - fehlende Konzentration auf die eigentlichen Führungsaufgaben, Mehrfachzuständigkeiten, mangelhafte Verantwortungsdelegation, fehlende Leitbilder und Zielvorgaben waren nur einige der genannten Aspekte.
Im Ergebnis konnten so Kriterien für die Gestaltung eines effektiven Arbeitsplatzes, für eine zunehmende Serviceorientierung, für den Arbeits- und Führungsstil, für die erforderliche Flexibilität, Identität und Betriebskultur formuliert werden:
- ein modernes Büro mit funktionaler Einrichtung,
- Ausstattung mit geeigneter Büro- und Nachrichtentechnik,
- transparente Gestaltung von Arbeitsabläufen,
- flexible Gestaltung der Arbeitszeiten,
- Förderung der Teamarbeit,
- Förderung außerdienstlicher Aktivitäten,
- verstärkte Kundenorientierung und Bekennen zum Dienst an der Bevölkerung,
- Gestaltungsfreiräume für eine eigenverantwortliche Aufgabenerfüllung,
- Minimierung von Formalismen,
- Einbindung der Wirtschaft und der Wissenschaft in die kriminal- und sicherheitspolizeiliche Arbeit,
- effizientes Aus- und Fortbildungssystem,
- gemeinsame Entwicklung eines Leitbildes und
- Erkennen des Mitarbeiters als Individuum mit all seinen Stärken und Schwächen.
(vgl. SIAK Juni 1998, S. 16-23)
Die Projektteilnehmer erarbeiteten im Anschluß drei Beispiele im Bereich des BMI für Ansatzmöglichkeiten einer „lernenden Organisation": (1) Personalentwicklung/Aus- und Fortbildung in der Sicherheitsexekutive, (2) Budget und Beschaffung und (3) Kriminaldienst. Zusammenfassend wurden folgende Voraussetzungen für den schrittweisen Durchbruch der „lernenden Organisation" innerhalb des BMI ermittelt:
1. der Mensch als Maß aller Dinge,
2. jede/-r Mitarbeiter/-in ist ein Werbeträger seines Unternehmens,
3. Steuern und Lenken als typische Führungsaufgaben,
4. klare Ziele und Aufgaben für alle Mitarbeiter,
5. Schaffen flacher und einheitlicher Organisationsstrukturen mit minimalem Formalismus,
6. weitestgehende Dezentralisierung und
7. Controlling als Maßstab der Entscheidungen der Leitungsebene.
(vgl. SIAK Juni 1998, S. 32)
12. Die Berliner Polizei als „lernende Organisation"?
Der Mensch als Triebfeder der „lernenden Organisation" ist nur die eine Seite der Medaille - die entscheidende Frage, die sich nunmehr stellt, ist, ob mittlerweile nicht nur zahlreiche Unternehmen der freien Wirtschaft erkannt haben, daß sie den Anforderungen der Zukunft nur gewachsen sind, wenn sie ihnen mit deutlich modifizierter Firmenstruktur und -kultur begegnen, sondern auch die Verwaltung. Der öffentliche Sektor ist einer der größten Arbeitgeber Deutschlands. Unzählige Menschen suchen in diesem Bereich Arbeitszufriedenheit und verständlicherweise auch -sicherheit. Doch wie sieht die Realität aus und vor allem, wie läßt sich unter Zuhilfenahme der vorangegangenen Erkenntnisse eben diese Realität im Interesse der dort Beschäftigten neu und den menschlichen, kulturellen und technischen Gegebenheiten der heutigen Zeit entsprechend gestalten?
12.1. Beispiel (1) - Die Ausbildung für den gehobenen Dienst der Berliner Polizei
Ein erster Versuch, das Konzept der „lernenden Organisation" in die Praxis der Berliner Polizei zu übernehmen, soll der Ausbildung von Schutz- und Kriminalpolizeibeamten des gehobenen Dienstes an der Berliner Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege (FHVR) gelten. Wie im Folgenden zu sehen sein wird, ist dieser Bereich der Berliner Polizei dringend reformbedürftig.
12.1.1. Die Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege,
Fachbereich 3 - Situationsanalyse
Schaut oder hört man sich unter den derzeit am Fachbereich 3 Studierenden um, so bemerkt man mit steigender Zahl der absolvierten Ausbildungssemester eine zunehmende
Motivations- und Antriebslosigkeit. Diese wird jeweils kurzzeitig unterbrochen durch die in das Studium integrierten zwei Praxisabschnitte im zweiten und vierten Semester. Woraus resultiert aber nun die fehlende Motivation der Studenten?
In einem ersten Schritt werden die Ursachen für die Situation der Studierenden und den unbefriedigenden Verlauf der Ausbildung sowie deren konkrete Auswirkungen benannt.
Diese Ursachen sind so vielfältig, daß sie der Übersichtlichkeit und Verständlichkeit halber in folgende Bereiche untergliedert werden müssen:
(1) Bewerbungs- und Auswahlphase der künftigen Studenten,
(2) theoretische Ausbildung an der FHVR,
(3) fachpraktische Ausbildung an der Landespolizeischule (LPS) und
(4) praktische Ausbildung auf Dienststellen der Berliner Polizei.
(1) Bewerbungs- und Auswahlphase der künftigen Studenten
Viele künftige Studenten bewerben sich bei der Berliner Polizei, ohne ein einziges Informationsgespräch über ihre künftige Tätigkeit und die Anforderungen, mit denen sie in ihrer späteren praktischen Arbeit konfrontiert werden, in Anspruch genommen zu haben.
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Gerade über die Tätigkeit eines Polizeibeamten bestehen - nicht zuletzt indirekt gesteuert durch die Medien (TV, Kino, Literatur, ...) - bei vielen Menschen falsche Vorstellungen. Treffen diese Vorstellungen dann bei der theoretischen oder praktischen Ausbildung beziehungsweise beim späteren beruflichen Einsatz auf die stark differierende Realität, kommt es zur Resignation und Frustration der Betroffenen.
Ein Großteil der späteren Ausbildung vollzieht sich an der FHVR, in das Auswahlverfahren ist außer den Ausbildungsleitern der Schutz- und Kriminalpolizei jedoch kein Professor oder Lehrbeauftragter der FHVR integriert.
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Eine letzte Chance, den Bewerbern ein realistisches Bild von dem zu geben, was in den drei Jahren ihres Studiums auf sie zukommt, wird vertan. Fehlvorstellungen über Ausbildungsinhalte und Prüfungsanforderungen können so nicht korrigiert werden.
Die Form des Auswahlverfahrens - schriftlicher und mündlicher Test, Bewerbungsgespräch in der Gruppe - wird so seit vielen Jahren praktiziert, entspricht jedoch nicht den Anforderungen, die beim späteren Studium zu erfüllen sind und bereitet die zukünftigen Studenten auch nicht darauf vor, was sie erwarten wird.
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Der Einstellungstest entspricht dem vielfach praktizierten Verfahren in der freien Wirtschaft und dem öffentlichen Dienst. Überdenkt man einmal, welche Leistungen im Studium oder in der späteren Arbeit tatsächlich erwartet werden, so ist es mit einem Test, der orthographische, grammatikalische und bedingt logische Kenntnisse der Kandidaten abverlangt und in begrenztem Ausmaß ihre kommunikativen Fähigkeiten überprüft, kaum möglich, die geeignetsten Bewerber herauszufiltern. Es ist sicher wünschenswert, daß die zukünftigen Beamten sich in Wort und Schrift korrekt ausdrücken können, die wirkliche Hürde im praktischen Einsatz stellen aber kommunikative, psychologische und soziale Kompetenzen dar, die der Arbeitsalltag dem Polizeibeamten abverlangt.
Abgelehnte Bewerber erfahren selten, worauf sich ihre Ablehnung stützt - angenommene Bewerber haben aufgrund fehlender Transparenz und eines hohen Anonymisierungsgrades des Bewerbungsverfahrens keinen Überblick über ihren Leistungsstand.
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Viele der abgelehnten Kandidaten bewerben sich ein zweites Mal - da sie jedoch nicht wissen, aus welchen Gründen sie bei ihrer ersten Bewerbung abgelehnt wurden, ist es ihnen kaum möglich, sich gezielt auf einen erneuten Einstellungstest vorzubereiten und vorhandene Schwächen abzubauen. Für die angenommenen Bewerber bedeutet die Unkenntnis ihres Abschneidens bei dem Einstellungstest, daß viele Studenten in den ersten Wochen der Ausbildung verunsichert sind, da ihnen der Überblick über ihren Leistungsstand im Vergleich zu ihren Kommilitonen fehlt. Vermeintlich bessere Kollegen werden gemieden, ohne daß die Ursache für sie ersichtlich wäre.
(2) theoretische Ausbildung an der FHVR
Der Fachbereich 3 der Fachhochschule ist zu eng an die Berliner Polizei gekoppelt, eine freie studentische, lehrende oder gar wissenschaftliche Tätigkeit ist kaum möglich.
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Die fehlende Unabhängigkeit des Fachbereiches führt dazu, daß eine echte studentische Ausbildung kaum möglich ist. Die Lehrveranstaltungen sind verschult, den Studierenden verbleibt kein Freiraum bei der Auswahl der zu absolvierenden Vorlesungen, eine Schwerpunktbildung durch Wahlfachangebote ist nicht möglich. Die fehlende Akzeptanz der Ausbildung in den Rechts- und Gesellschaftswissenschaften seitens der Polizeibehörde führt zu Lustlosigkeit bei den Studenten.
Die Studierenden werden in ein starres und undynamisches Ausbildungskonzept gezwängt, ihnen wird ein Teil der zustehenden Selbstbestimmungsrechte und ihrer Mündigkeit entzogen.
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Ein abgeschlossenes Studium soll dem Absolventen nicht nur ein umfangreiches Fachwissen vermittelt haben, sondern es soll ihn erst recht dazu befähigen, selbständig, eigenverantwortlich und mitdenkend zu arbeiten. Die Ausbildung am Fachbereich 3 leistet dieses nicht. Es bestehen kaum Mitspracherechte der Studenten bei der Gestaltung des Studiums.
Die Ausbildungsinhalte gehen teilweise weit an der Realität und den späteren Praxisanforderungen vorbei.
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Die Tätigkeit zukünftiger Schutz- und Kriminalpolizisten unterscheidet sich in starkem Maße voneinander. Diese Tatsache findet nur ungenügende Berücksichtigung innerhalb der Ausbildung. Zudem sind einige Wissensbereiche stark überrepräsentiert - Rechtswissenschaften -, während andere nur unzureichend vermittelt werden - polizeiliche Fachwissenschaften, Gesellschaftswissenschaften. Zwar ist es für die spätere polizeiliche Arbeit von großer Wichtigkeit, tatsächliche Sachverhalte rechtlich einordnen und alternative Handlungsvarianten vom juristischen Standpunkt und ihren Konsequenzen her beurteilen zu können, andererseits soll jedoch die Polizei nicht die Justiz ersetzen. Weiterhin sind gerade für die polizeiliche Arbeit psychologische und soziologische Kenntnisse von immenser Bedeutung. Diesen Fächern kommt jedoch noch eine untergeordnete Bedeutung zu, sie treffen bei den Studierenden kaum auf Interesse oder gar Akzeptanz
Viele Lehrbeauftragte sind unmotiviert und für eine lehrende Tätigkeit nicht ausreichend qualifiziert, die vermittelten Inhalte entsprechen oftmals nicht einmal annähernd der Ausbildungsordnung.
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Eine Lehrtätigkeit verlangt didaktische Fähigkeiten, Engagement und anwendungsbereites Wissen seitens des Lehrenden und die Fähigkeit, die Zuhörenden für den vermittelten Stoff zu begeistern und sie entsprechend zu motivieren. Diese Voraussetzungen lassen sich nicht nur durch ein entsprechendes Studium oder eine ähnliche Ausbildung der Lehrkräfte sicherstellen. Es muß jedoch gewährleistet sein, daß die Dozenten über entsprechende Fähigkeiten verfügen - anderenfalls ist eine qualifizierte Ausbildung der Studierenden nicht gewährleistet, zumal ihnen durch die Anwesenheitspflicht bei den Vorlesungen die Möglichkeit genommen wird, sich den Stoff auf andere als die angebotene Art und Weise im Selbststudium oder durch ergänzende Lehrveranstaltungen anzueignen. Die Studenten sind dementsprechend auf die Kompetenz der Lehrenden angewiesen.
Der Studienverlauf ermöglicht nur den wenigsten Studenten eine zwischenzeitliche Kontrolle ihres Leistungsstandes, ein fehlendes Vordiplom - oder eine ähnliche Form der Zwischenprüfung - verstärkt die Antriebslosigkeit noch zusätzlich.
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Der Gedanke, die Studenten durch fehlende Leistungsüberprüfungen während des Studiums zu eigenverantwortlichem Studieren zu führen, korrespondiert nicht mit der Realität. Einerseits fehlt den aus eigenem Antrieb oder Wissensdurst motivierten Studenten die Möglichkeit, ihren Leistungsstand anhand der an der FHVR an sie gestellten Anforderungen zu überprüfen - sie studieren und lernen ,,in den blauen Dunst hinein” -, andererseits bedürfen die meisten Menschen einer gezielten, steuernden Anleitung, eines permanenten Drucks, um die für sie höchstmöglichen Leistungen zu erbringen. Es wäre sicher sehr wünschenswert, wenn jeder Mensch von sich aus kontinuierlich lernen, sich weiterbilden und seine Fähigkeiten entwikkeln würde - hätten wir diesen Stand allerdings bereits erreicht, bedürfte es wiederum auch gar keiner Polizei mehr...
Den meisten Lehrveranstaltungen mangelt es am Vorlesungscharakter, eine Differenzierung zwischen Vorlesungen, Tutorien, Seminaren oder ähnlichen Formen der Wissensvermittlung findet nur sehr unzureichend statt.
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Ein Studium - auch ein Fachhochschulstudium - unterscheidet sich vom schulischen Lernen gerade dadurch, daß die Studenten zu eigenverantwortlichem Lernen, einem selbständigen Nachbereiten des behandelten Stoffes und in gewissem Maße auch zu wissenschaftlichem Denken befähigt werden sollen. Dem trägt der Charakter der meisten Lehrveranstaltungen keine Rechnung.
(3) fachpraktische Ausbildung an der Landespolizeischule (LPS) Bei den meisten Ausbildern handelt es sich um Polizeibeamte ohne entsprechende Lehrbefähigung - zweifellos vorhandenes Engagement kann fehlende didaktische Grundkenntnisse jedoch nur ungenügend ausgleichen.
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Gerade die Ausbildung an den ISVB-Geräten, an den Funkgeräten oder das Einsatz- und Führungslehreseminar sind von immenser Bedeutung - hier wird Wissen vermittelt, das später im täglichen Einsatz auch tatsächlich benötigt wird. Die eingesetzten Lehrkräfte sind jedoch oft bereits so lange nicht mehr in der Praxis tätig, daß sie kaum realitätsbezogen lehren können.
Zudem ist gerade auch für die fachpraktische Ausbildung eine entsprechende didaktische Befähigung des Lehrenden notwendig.
Die Qualität der Ausbildungsabschnitte entspricht bei weitem nicht der eines Fachhochschulstudiums.
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Vergleicht man die Ausbildung an der LPS mit zu absolvierenden Praktika an anderen Fachhochschulen, so wird die mangelhafte Qualität deutlich. Die gestellten Anforderungen und der dargebotene Lehrstoff sowie die Qualität der Lehrveranstaltungen sind weit von einer Fachhochschulausbildung entfernt.
Die Kommunikations- und Verhaltenstrainingsseminare sind in der jetzigen Form und mit den jetzigen Ausbildern nicht dazu geeignet, die erforderlichen Inhalte zu vermitteln.
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Gerade die Schulung kommunikativer Fähigkeiten verdient bei der Ausbildung eines Polizeibeamten besondere Beachtung. Die Seminare zum Kommunikations- und Verhaltenstraining wären eine optimale Möglichkeit, diese Fähigkeiten weiterzuentwickeln und den späteren Berufsanforderungen gemäß auszubilden. Leider wird diese Möglichkeit kaum genutzt - wichtige Inhalte wie beispielsweise das Überbringen von Todesnachrichten werden nicht vermittelt.
Die Schießausbildung ist zu kurz und berücksichtigt nur unzureichend unterschiedliche Ausbildungsstände und Fähigkeiten der Studierenden.
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Zum Polizeiberuf gehören der korrekte und fehlerfreie Umgang mit der Dienstwaffe und im Ernstfall auch deren tatsächlicher Einsatz. Die wenigsten Studenten sind durch vorangegangene sportliche Aktivitäten mit dem Umgang mit einer Waffe vertraut - gerade diese Studenten sind jedoch durch das Niveau der Ausbildung an der Schußwaffe unterfordert. Für die restlichen Studierenden - den größeren Teil also - besteht dagegen das Problem fehlender Differenzierung innerhalb der Schießausbildung. Gerade hier sollten individuelle Fortschritte im Rahmen der Ausbildung starke Berücksichtigung finden. Fehlende Rechtskenntnisse haben kaum so schwerwiegende und nicht umkehrbare Folgen in ihrer Anwendung wie ein fehlerhafter Gebrauch der Schußwaffe durch ungenügend geübte Beamte.
Die Sportausbildung wird derzeit durch äußerst engagierte und kompetente Ausbilder durchgeführt. Eine sportliche Grundausbildung in körperlicher Fitneß, Selbstverteidigung, Schwimmen, ... stellt jedoch naturgemäß höchste Ansprüche an die physische Verfassung der Lehrenden. Mangels geeigneten Nachwuchses wird daher die Qualität der Ausbildung zunehmend nachlassen.
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Körperliche Fitneß ist eine unabdingbare Voraussetzung, um den Anforderungen des Polizeialltages standzuhalten. Zeichnet sich die Sportausbildung derzeit noch durch ein sehr hohes Niveau aus, so wird dieses in der Zukunft infolge mangelnden Sportlehrernachwuchses deutlich sinken.
Das vorhandene Ausbildungsmaterial und die Ausstattung der Lehrsäle entspricht bei weitem nicht dem heutigen Stand der Technik und den Anforderungen, die daraus für die Studenten in ihrer praktischen Arbeit resultieren.
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Bereits heute ist es eine unumstößliche Tatsache, daß gerade so gefährliche Deliktsbereiche wie die organisierte Kriminalität oder die Wirtschaftskriminalität durch einen zahlenmäßig immensen Einsatz moderner Computertechnik und dergleichen geprägt sind. Hält die Fachhochschulausbildung damit nicht Schritt, indem sie die notwendigen Kenntnisse vermittelt und das Interesse und die Sensibilität der Studenten für diese Gebiete weckt und fördert, wird die herrschende Diskrepanz künftig immer stärker hervortreten.
(4) praktische Ausbildung auf Dienststellen der Berliner Polizei Oft werden die Studenten an den jeweiligen Praktikumsstellen lediglich „eingesetzt" statt ausgebildet.
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An der FHVR werden die Studenten in den erforderlichen rechtlichen, polizei- und gesellschaftswissenschaftlichen Grundlagenfächern ausgebildet, an der LPS erfolgt eine dementsprechende praktische Schulung. Auf den Praktikumsdienststellen muß dieses Wissen nunmehr im Berufsalltag angewandt werden - dazu bedarf es jedoch der hilfreichen Anleitung durch die Kollegen. Polizeiarbeit erlernt sich nicht dadurch, daß die Studenten lediglich als das ,,fünfte Rad am Wagen" angesehen werden, sie verlangt eine praktische Ausbildung.
Es fehlt an kompetenten Praxisausbildern und -anleitern.
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Jeder Berufsanfänger benötigt kompetente Ansprechpartner, um seine Ausbildung so erfolgreich wie möglich zu absolvieren und bei auftretenden Problemen schnellstmöglich eine Klärung herbeiführen zu können. Fehlen solche Ansprechpartner oder werden sie ihrer Aufgabe nicht gerecht, führt dies leicht zur Demotivation der betroffenen Studenten.
Die meisten Dienststellen sind nur unzureichend mit technischem Gerät ausgestattet.
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' Auf vielen Dienststellen sind entweder gar keine Computer vorhanden, oder aber es handelt sich um von den dort arbeitenden Beamten privat besorgte Geräte, oder aber mehrere Kollegen müssen sich die vorhandene Technik teilen. Gerade für die Studierenden, die den Umgang mit den eingesetzten Programmen und den Aufbau der verwandten Formulare erst erlernen müssen, stellt dies eine nicht zu unterschätzende Schwierigkeit dar.
12.1.2. Der mögliche Veränderungsprozeß
Im folgenden zweiten Schritt gilt es, zunächst zu definieren, welchen Anforderungen und Ansprüchen eine Polizei als „lernende Organisation" gerecht werden muß. Ein neues Selbstbild, ein reformiertes Selbstverständnis der „lernenden Polizei" muß entwickelt werden. Anschließend werden Kriterien für eine zukunftsweisende, den veränderten Gegebenheiten in Gesellschaft, Natur und Technik entsprechende Ausbildung der zukünftigen Polizeibeamten formuliert. Bei der späteren Umsetzung dieser Kriterien darf nicht aus dem Auge verloren werden, daß bei einer ,,lernenden Organisation" stets der Mensch mit all seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten im Mittelpunkt steht. Eine Umgestaltung funktioniert nur dann, wenn allen Beteiligten das neue Selbstbild auch entsprechend vermittelt werden kann. Jeder einzelne muß
die „lernende Organisation" zu seinem eigenen Ziel werden lassen. Die Notwendigkeit einzuleitender Veränderungen muß allen begreiflich gemacht werden, sie bedarf der Akzeptanz und des Verständnisses jedes einzelnen Organisationsmitgliedes. Bei alledem darf nicht vergessen werden, daß gerade auch das Verlernen überholter, fehlerhafter Verhaltensweisen ein integraler Bestandteil des Konzeptes der „lernenden Organisation" ist. Das neue Selbstbild - ,,Vision"
Das derzeitige Polizeiverständnis läßt nur allzuoft eine Orientierung darauf, eine für den Menschen arbeitende Behörde zu sein, vermissen. Folge dessen sind zum einen seitens vieler Polizeibeamter ein übersteigertes Selbstbewußtsein, das sich in einem entsprechenden Verhalten im Einsatz äußert, und ein fehlendes Bemühen um permanenten Wissenszuwachs. Auf der anderen Seite wird die Polizei von vielen Bürgern „nicht ernst genommen", es fehlt verständlicherweise an der Einsicht in die Notwendigkeit durchgeführter polizeilicher Maßnahmen.
Dringend erforderlich ist es daher, um Verständnis bei den Beamten für eine Polizei als „Dienstleister" zu werben. Nicht die Bürger sind für die Polizei da, sondern diese für die Bürger - dies muß der allerwichtigste Ansatzpunkt eines Umdenkens sein. Nur dann gelingt es, auch die Ausbildung zukünftiger Beamter entsprechend auszurichten. Vorhandenes fachliches Wissen muß stärker anerkannt werden, die Eigeninitiative der Beamten bedarf stärkerer Akzeptanz und Förderung.
Die Berliner Polizei benötigt eine mitarbeitergerechte Führung; diese muß sich an den Wertvorstellungen und Bedürfnissen ihrer Mitarbeiter orientieren. In gleichem Maße muß diese Führung einer Leistungsorientierung gerecht werden.
Kriterien, denen die Fachhochschulausbildung innerhalb einer „lernenden Polizei" entsprechen muß:
- umfassende Information künftiger Bewerber für den Polizeiberuf im Vorfeld der Bewerbung über die auf sie im Berufsalltag zukommenden Anforderungen,
- stärkere Integration der Fachhochschule in die Auswahl der Einzustellenden,
- Erfordernis einer vorangegangenen Berufsausbildung/-tätigkeit oder eines Studiums,
- modifiziertes Auswahlverfahren,
- Offenlegung der Ergebnisse des Einstellungstestes · Transparenz,
- Trennung von FHVR und Polizeibehörde, stärkere Betonung des Studiencharakters,
- Einführung von getrennten Vorlesungen, Seminaren, Tutorien als Lehrveranstaltungsform,
- freie Auswahl der lehrenden Professoren durch die Studierenden,
- Abschaffung der Anwesenheitspflicht bei den Lehrveranstaltungen,
- aktive Mitwirkung und Mitsprache der Studenten in allen Ausbildungsfragen,
- Angebot von Repetitorien in den Rechtswissenschaften,
- Möglichkeit der Belegung von Wahlfachgruppen,
- (Wieder-)Einführung eines Vordiploms (oder einer entsprechenden Zwischenprüfung),
- kontinuierliche Leistungsüberprüfung durch Klausuren, Hausarbeiten etc.,
- Angebot einer fremdsprachlichen, berufsspezifischen Ausbildung,
- stärkere Betonung der polizeilichen Fach- und der Gesellschaftswissenschaften,
- Orientierung der Lehrinhalte an der polizeilichen Praxis,
- Nachweis einer Lehrbefähigung durch die Lehrenden,
- differenziertes Eingehen auf die Studenten - je nach Leistungsstand,
- Ausstattung der FHVR und der LPS mit modernen Lehr-/Lernmitteln und -räumen,
- intensivierte Schießausbildung,
- Auswahl geeigneter Praxisdienststellen und -anleiter,
- Ausstattung der Berliner Polizei mit moderner Computertechnik und - als Allerwichtigstes -
- ununterbrochene Kommunikation zwischen allen Beteiligten - Lehrkräfte, Studenten, Polizeibehörde - als unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren einer Umgestaltung
- Feedback!
Die aufgestellten Kriterien werden beiden Gesichtspunkten gerecht - der stärkeren Förderung der Eigenständigkeit der Studierenden und künftigen Polizeibeamten und der Notwendigkeit der fachlichen, praktischen und menschlichen Anleitung durch entsprechend ausgebildete Beamte. Auch Mündigkeit und Selbständigkeit müssen ersteinmal erlernt werden - eine „Kontrolle" erscheint deshalb unerläßlich.
[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] Angesichts dieser trivial anmutenden Lösung mag die Frage entstehen, wieso der vorgestellte Ansatz im Ergebnis zu einer Umgestaltung der Fachhochschulausbildung unter Berücksichtigung des Prinzips der ,,lernenden Organisation” führt. Die Antwort auf diese Frage liegt auf der Hand. Die,,lernende Organisation” setzt ein ständiges Lernen aller Organisationsmitglieder und der Organisation selbst voraus. Ein effektives und sinnvolles Lernen ist jedoch nur dann möglich, wenn den einzelnen Individuen innerhalb einer Organisation bewußt ist, der Verwirklichung welcher Ziele der Lernprozeß dient. Die „lernende Organisation” erfordert also zunächst die Einsicht aller in die Notwendigkeit der vorzunehmenden Veränderungen - dem dient die Erarbeitung und Vermittlung eines neuen Selbstverständnisses der Berliner Polizei. Dieses modifizierte Selbstbild bedarf der Akzeptanz aller Organisationsmitglieder, um zur Motivation und Anregung der Mitarbeiter eingesetzt werden zu können. In der Konsequenz ist es für die Umsetzung dieses Selbstbildes in die täglich gelebte Polizeipraxis zwingend notwendig, gerade auch die Ausbildung zukünftiger Polizeibeamter entsprechend zu gestalten. Eine Polizei, die für die Menschen da ist, sich als Dienstleister versteht, benötigt Beamte, die dieses Selbstverständnis mittragen und deren Ausbildung es ihnen ermöglicht, den auch perspektivisch kontinuierlich erforderlichen Wissenszuwachs zu erreichen. Eine derartige Polizei verlangt nach vielseitig und hervorragend ausgebildeten Mitarbeitern. Dem wird das Fachhochschulstudium in seiner derzeitigen Form nicht gerecht. Zukünftig wird die Polizeibehörde mit Reaktionen aus ihrer Umwelt auf die durchgeführten Veränderungen konfrontiert werden. Diese gilt es, in erneutes Lernen umzusetzen. So wird ein Kreislauf ständigen Lernens in Gang gesetzt - entsprechend dem Verständnis der ,,lernenden Organisation”. Die Selbstreflexion vorgenommener Veränderungen und der darauf erfolgten Reaktionen innerhalb der Polizei und in der Umwelt führt zum notwendigen Deutero-Lernen.
12.1.3. Die „lernende Organisation" - das richtige Konzept?
Eine Umgestaltung, ein Wandel der Berliner Polizei hin zu einer „lernenden Organisation" bedarf selbst für den Teilbereich der Ausbildung der Beamten des gehobenen Dienstes an der FHVR großer Anstrengungen. Es gilt zunächst, ein umfassendes, aktualisiertes Selbstverständnis des Polizeiberufes und damit der dafür notwendigen Ausbildung zu entwickeln und dieses jedem Betroffenen verständlich zu machen.
Durch die enge Verzahnung der FHVR mit der Polizeibehörde genügt es nicht, die erforderlichen Veränderungen lediglich in der Fachhochschule selbst durchzuführen. Die Polizei selbst muß sich verändern. Daß der Polizeiberuf den sozial kompetenten Umgang mit allen Menschen erfordert und ein hohes fachliches Wissen und Können verlangt, darf nicht länger nur auf dem Papier stehen, sondern muß auch tatsächlich gelebt werden.
Zusätzlich wäre es eigentlich erforderlich - ist doch die FHVR ein Teil des gesamten Hochschulsystems - die Hochschul- und Bildungspolitik des Landes und des Bundes zu reformieren. Ohne entsprechende finanzielle Mittel, ohne eine ausreichende materielle Ausstattung mit den erforderlichen Lehr- und Lernmaterialien ist eine zukunftsweisende Ausbildung kaum möglich. Fraglich ist zudem, ob verbeamtete Professoren wirklich ein Garant für die Qualität von Lehre und Forschung sind.
In der Konsequenz bedarf selbst die Idee des „Berliner Modells" eines intensiven Überdenkens. Qualifiziert man die Ausbildung für den gehobenen Dienst - dringend notwendigerweise - einer Fachhochschulausbildung gemäß, stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit und den Konsequenzen einer zweigeteilten Laufbahn. Polizeiarbeit beinhaltet beides - eine intensive Arbeit auf der Straße, am aktuellen Fall und mit dem Bürger und effektive, fachlich wie sozial hochkompetente Führungsarbeit. Dies verlangt nach einer spezialisierten Ausbildung für beide Bereiche, stellt unterschiedliche Anforderungen an Wissen und Können sowie an die Ausbildung der Beamten. Konfrontiere ich den zum (Um- /Ver-)Lernen hochmotivierten Mitarbeiter dauerhaft mit einer seine Fähigkeiten bei weitem nicht ausschöpfenden Tätigkeit, führt dies zu steigender Frustration und Resignation. Setze ich den ausgebildeten Polizisten (beziehungsweise jeden anderen Menschen auch) permanent zu hohen Anforderungen aus, hat dies die gleichen Auswirkungen. ,,Lernende Organisation" beinhaltet eben ganz bewußt das Eingehen auf jedes einzelne Individuum einer Organisation mit seinen ganz spezifischen Fähigkeiten und Fertigkeiten.
Die ,,lernende Organisation" ist demzufolge sicher ein Konzept, das die Ausbildung an der FHVR den erwünschten Zielen - eine qualitativ hochwertige Ausbildung der Studierenden, eine hohe soziale Kompetenz der künftigen Polizeibeamten, fundiertes Fachwissen, ... - einen deutlichen Schritt näher rücken lassen würde. Es bedarf andererseits aber einer ungeheuren „Vorarbeit", um den Gedanken der „lernenden Organisation" in die Behörde Polizei und damit in die Fachhochschulausbildung zu integrieren. Andere Wege und eine andere Schwerpunktsetzung mögen daher vermutlich eher zum Erfolg führen.
12.2. Beispiel (2) - Die Berliner Polizei als Dienstleister
Erscheint die Fachhochschulausbildung künftiger Berliner Polizeibeamter aufgrund der komplexen Problemstellung derzeit nicht für eine unreflektierte Übernahme des Konzeptes der ,,lernenden Organisation" geeignet, so soll nachfolgend am Beispiel eines ,,polizeilichen Servicebüros" kurz gezeigt werden, wo sich innerhalb der Polizeibehörde doch ein Ansatzpunkt für eine zukunftsweisende Umstrukturierung bietet.
12.2.1. Anpassung oder Fortschritt?
Eine ,,bedarfsgerechte" Ausgestaltung von Polizeidienststellen ist aktuell nicht auszumachen. Flexible Arbeitszeiten, Nähe zum und ein Eingehen auf den Bürger - momentan eher Fremdworte innerhalb der Berliner (und sicher nicht nur dieser) Polizei.
Die Umwelt, das gesellschaftliche Umfeld haben sich in den zurückliegenden Jahren tiefgreifend gewandelt - dementsprechend auch die Bedürfnisse aller nach serviceorientierter Behördendienstleistung. Es hat eine Verlagerung der Arbeitszeiten, eine stärkere Orientierung hin zu einer aktiv ausgefüllten Freizeit stattgefunden, von den Arbeitnehmern der freien Wirtschaft wird zunehmend örtliche und zeitliche Mobilität erwartet. Eine hochgradige Technisierung von Arbeitsprozessen hat stattgefunden. Selbst das ,,Verbrechen" hat sich diesen Gegebenheiten angepaßt - die organisierte, die Wirtschafts- oder die Computerkriminalität dürften der Polizei mit ihrem Wissen oftmals um einiges voraus sein.
In einigen Bundesländern wurde bereits begonnen, Behördendienstleistungen via Internet rund um die Uhr anzubieten, erste Polizeiservicestellen wurden eingerichtet (allerdings nicht in Deutschland sondern in Österreich). Die Realität sieht jedoch eher so aus, daß den um polizeiliche Hilfe Ersuchenden arbeitnehmerunfreundliche Arbeitszeiten und eine veraltete Ausstattung in den Dienststellen der Berliner Polizei erwarten. Trifft der Ratsuchende dann auch noch auf unzureichend ausgebildete und demotivierte Beamte, kann man wahrlich nicht von einem Dienst am Bürger sprechen.
12.2.2. Der mögliche Veränderungsprozeß
Zum für die Umgestaltung zur ,,lernenden Organisation" erforderlichen reformierten Selbstbild der Berliner Polizei sei an dieser Stelle auf die Ausführungen unter 12.1.2. Der mögliche Veränderungsprozeß - Das neue Selbstbild - verwiesen.
Anforderungsprofil eines ,,polizeilichen Servicebüros" im Sinne einer ,,lernenden Organisation":
- modernes Büro mit zweckentsprechender, funktionaler und technisch hochwertiger Ausstattung,
- ansprechende Wartemöglichkeit für Hilfesuchende,
- 24 Stunden ansprech- und einsatzbereit im Sinne kriminal- und schutzpolizeilicher Belange,
- Möglichkeit der Beratung und Information via Internet,
- Transparenz der Arbeitsabläufe,
- vermehrte Teamarbeit unter Berücksichtigung individueller Fähigkeiten und Fertigkeiten,
- zentrale, verkehrsgünstige Lage des „Servicebüros",
- Dienstleistung ,,aus einer Hand", Vermeidung langer Wege und unnötiger Wartezeiten,
- minimalisierte Formalismen - sowohl für den Polizeibeamten als auch für den Ratsuchenden,
- permanente Aus- und Fortbildung der Polizeibeamten,
- Anerkennung und Förderung von Eigeninitiative,
- speziell ausgebildete und sozial kompetente Mitarbeiter für den Umgang mit älteren Menschen und Kindern/Jugendlichen,
- Dezentralisierung - Beachtung der ,,Kiezgebundenheit" gerade älterer Berliner und - wiederum -
- Kommunikation!
12.2.3. Die „lernende Organisation" - doch das richtige Konzept?
Angesichts dessen, daß man als Betroffener die öffentliche Verwaltung tatsächlich meistens als starr und unbeweglich erlebt, sind die vorangegangenen Ausführungen ein triviales Beispiel dafür, mit welch einfachen Mitteln sich dies ändern ließe.
Das Problem und die Lösung zugleich dabei ist, daß tatsächlich der einzelne Mensch der wichtigste Faktor innerhalb einer ,,lernenden Organisation" ist. Gelingt es, ein neues Selbstverständnis des Polizeiberufes zu verinnerlichen, so sollte ein gutes Stück auf dem Weg dorthin bereits zurückgelegt sein. Jeder einzelne Beamte muß lernen - und damit natürlich anderes auch verlernen -, daß auch die Tätigkeit eines Polizisten über die Jahre hinweg nicht die gleiche bleibt. Sie muß sich der Umwelt, den Menschen, für die sie da ist, anpassen. Und - der Polizeiberuf verlangt kontinuierlichen Wissenszuwachs - durch innerberufliche Fortbildung und persönliches, außerberufliches Engagement.
12.3. Fazit
Die Polizei - auf dem Weg zur „lernenden Organisation"? Oder gar auf dem Weg zu einem „lernenden Unternehmen"? Gerade die letztgenannte Frage zeigt nur zu deutlich, wie weit die Berliner Polizei noch davon entfernt ist.
Ein dominierendes Hierarchiedenken und -bewußtsein, eine überdimensionierte Leitungsebene, eine stark verschachtelte und unübersichtliche Führungs- und Kompetenzstruktur, ein starkes „Behördenbewußtsein", mangelnde soziale Kompetenz und dergleichen verhindern derzeit Schritte auf dem Weg zur ,,lernenden Organisation" oder gar zum „lernenden Unternehmen". Gerade der Begriff Unternehmen setzt ein Denken in wirtschaftlichen und nicht nur verwaltungstechnischen Dimensionen voraus - daran mangelt es stark.
Zwar wurde in den zurückliegenden Jahren zunehmend der einzelne Polizeibeamte als Mitglied der Organisation Polizei wahrgenommen, die Umsetzung gewonnener Erkenntnisse in die Praxis kommt allerdings nur sehr langsam voran.
Es fehlt an geeigneten Führungs- und Einsatzmitteln, an geschultem Ausbildungspersonal, an moderner Computertechnik, teilweise auch einfach an dem Bewußtsein des Erfordernisses einer Umgestaltung. An dieser Stelle sind die derzeit in der Ausbildung für den mittleren oder gehobenen Dienst befindlichen zukünftigen Polizisten gefragt. Wenn sie lernen, das Lernen nicht augenblicklich wieder zu verlernen und sich der Zukunft und der Umwelt offen stellen, steht auch der Verwaltung der Weg zur „lernenden Organisation" offen.
13. Zusammenfassung und Ausblick
Die ,,lernende Organisation" lebt im wesentlichen von der Lernbereitschaft und -fähigkeit ihrer Mitglieder. Jedes einzelne Individuum, das sich in einem kontinuierlichen Lernprozeß befindet, liefert einen wichtigen Baustein für das Fundament an gesammeltem Wissen, auf dem die Organisation gebaut ist. Fundament und Organisation gemeinsam bilden ein komplexes System, das letztendlich eben mehr beinhaltet als lediglich die Summe der Lernerfolge aller Organisationsmitglieder. Dieses System befindet sich in einem ständigen Wechselspiel, in einer permanenten Interaktion mit seiner Umwelt und schöpft daraus wiederum neue Erkenntnisse, die gewinnbringend integriert werden können.
Das Lernen der einzelnen Organisationsmitglieder beinhaltet gleichzeitig auch ein Verlernen - ein Verlernen überholter, „falscher" Verhaltensweisen und Reaktionen auf Umwelteinflüsse. Verbunden ist der Lernprozeß mit einem Machtverlust einiger Mitglieder der Organisation. Wissen repräsentiert Macht. Mitglieder einer ,,lernenden Organisation" müssen lernen, ihr Wissen zu teilen, es dem System zur Verfügung zu stellen - um das Fundament stetig, zum Nutzen aller, zu stabilisieren und zu erweitern.
Fraglich ist, ob nicht genau dieser notwendige Verzicht auf Macht innerhalb der Organisationsstruktur eine wesentliche Schwachstelle der „lernenden Organisation" darstellt. Da die ,,lernende Organisation" so sehr auf das optimale Zusammenwirken all ihrer Mitglieder angewiesen ist, ist sie kaum überlebensfähig, wenn diese das Konzept der „lernenden Organisation" nicht mittragen.
Wichtigster Ansatzpunkt für die Umgestaltung einer Organisation zu einer ,,lernenden" muß daher das einzelne Individuum sein. Mit ihm steht und fällt der gesamte Prozeß des Wandels und der Weiterentwicklung.
- Quote paper
- Ute Fischer (Author), 2000, Die Polizei - auf dem Weg zur lernenden Organisation?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97717
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