Diese Bachelorarbeit widmet sich dem Thema "Gesellschaftliche Teilhabe älterer Menschen mit Migrationshintergrund aus sozialräumlicher Perspektive". Handlungsleitend ist die Frage, wie den genannten Zielgruppen in ihrem Wohnquartier eine adäquate gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht werden kann. Es wird explizit nach kultursensiblen Zugangswegen und integrativen Gestaltungsmöglichkeiten gesucht. Methodisch werden themenbezogene Sozialforschungsprojekte analysiert. Hierbei werden unter anderem auch auf ihre Erkenntnisse zu fördernden und hemmenden Faktoren in Bezug auf funktionierende Beteiligungsangebote hervorgehoben.
Der demografische Wandel ist eine der drängendsten Herausforderungen der Gegenwart. Die Veränderungen werden in Bezug auf die steigenden Zahlen älterer Menschen, der Erhöhung des Durchschnittsalters und gleichzeitigem Geburtenrückgang häufig als besorgniserregend bewertet. Hieraus resultieren unterschiedliche Ansätze zum Umgang mit diesen, häufig durch die Medien skizzierten, "Schreckensbildern". So dominiert auf fachlicher Ebene beispielsweise der Wunsch, die Aktivierung älterer Menschen zu fördern, damit diese auch ohne Erwerbsarbeit einen sinnvollen Beitrag zur Gesellschaft leisten können. Häufig wird jedoch eine weitere Entwicklung gänzlich missachtet: Unsere Bevölkerung ist zusätzlich "auch ,bunter‘ als Folge von Zuwanderungen geworden".
Als Konsequenz wird, im Sinne der kulturellen Diversität, der Fokus der Bachelorarbeit auf migrantische Alterung gesetzt.
Hierbei werden einige Herausforderungen deutlich, da es nicht "die" Menschen mit Migrationshintergrund zu geben scheint, die gleiche Bedürfnisse vorweisen und dementsprechend kollektiv als gemeinsame Zielgruppe angesprochen werden können. Diese These gilt es in den folgenden Kapiteln zu bestätigen oder zu falsifizieren.
Ältere Menschen im Generellen, ob mit oder ohne Zuwanderungsgeschichte, verbindet häufig, dass ihr direktes Wohnumfeld mit steigendem Alter und Beendigung der Erwerbstätigkeit von höher werdender Bedeutung ist (vgl. nähere Ausführungen zu diesem Absatz in Kapitel 2.3). An dieser Stelle könnte eine passende Ansprache deshalb besonders gute Ergebnisse erzielen. Die Menschen sollen mit dem sozialraumorientierten Ansatz dort erreicht werden, wo sie am häufigsten vorzufinden sind: im Einzelhandelsgeschäft, Park oder Hausflur.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Terminologische Definitionen und Differenzierungen
2.1 Perspektiven des Alter(n)s
2.2 Betrachtungsmöglichkeiten von Migration und Integrationsprozessen
2.3 Sozialraumorientierung als zielgruppensensible, aktivierende Option
2.4 Gesellschaftliche Teilhabe zur Sicherung eines zufriedenen Lebens
3 Vorstellung und Einordnung der Forschungsprojekte
3.1 Öffnung des Wohnquartiers für das Alter
3.2 Lebensqualität im Wohnquartier
3.3 Ältere Migrant(inn)en im Quartier
3.4 QuartiersNETZ
3.5 Saglik
3.6 Seniorenorientierte Navigation
3.7 MitgestALTER
3.8 Soziale Ressourcen für altersgerechte Quartiere
3.9 Empowerment für Lebensqualität im Alter
3.10 Vicino
4 Analyse und Bewertung der Forschungsprojekte
4.1 Bewertungsleitfaden
4.2 Präventiver Forschungsansatz
4.2.1 Motivation: Demografischer Wandel
4.2.2 Motivation: Akute Verläufe verhindern
4.3 Niedrigschwellige Zugänge
4.3.1 Niedrigschwelligkeit durch Setting-Ansatz
4.3.2 Niedrigschwelligkeit durch Multiplikator*innen
4.3.3 Niedrigschwelligkeit durch Angebotsbreite
4.4 Kultursensible Grundhaltung
4.4.1 Komplette Ausrichtung auf Menschen mit Migrationshintergrund
4.4.2 Teilausrichtung auf Menschen mit Migrationshintergrund
4.4.3 Keine Ausrichtung auf Menschen mit Migrationshintergrund
4.5 Einbindung von Partizipationsstufen
4.5.1 Stufe 1: Informieren
4.5.2 Stufe 2 und 3: Mitwirken und Mitentscheiden
4.5.3 Stufe 4: Selbstverwalten
4.6 Interpretation und Umsetzung von Empowerment
4.6.1 Empowerment durch Vermittler*innen
4.6.2 Empowerment durch Quartierskonferenzen
4.6.3 Empowerment als übergeordnetes Projektziel
4.7 Sicherung der Nachhaltigkeit
4.8 Transfermöglichkeiten
4.8.1 Entwicklung von Handlungsleitfäden und -empfehlungen
4.8.2 Entwicklung von Handbüchern
4.8.3 Weitere Transferansätze
5 Schlussbetrachtung mit Handlungsempfehlungen
Literaturverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
„Der demografische Wandel ist eine der drängendsten Herausforderungen der Gegenwart.“ (Dreyer 2012: 37) Die Veränderungen werden in Bezug auf die steigenden Zahlen älterer Menschen, der Erhöhung des Durchschnittsalters und gleichzeitigem Geburtenrückgang häufig als besorgniserregend bewertet (vgl. Gentinetta 2014: 31ff). Hieraus resultieren unterschiedliche Ansätze zum Umgang mit diesen, häufig durch die Medien skizzierten, „Schreckensbildern“. So dominiert auf fachlicher Ebene beispielsweise der Wunsch, die Aktivierung älterer Menschen zu fördern, damit diese auch ohne Erwerbsarbeit einen sinnvollen Beitrag zur Gesellschaft leisten können (vgl. Vukoman 2013: 66). Häufig wird jedoch eine weitere Entwicklung gänzlich missachtet: Unsere Bevölkerung ist zusätzlich „auch ,bunter‘ als Folge von Zuwanderungen geworden“ (May/ Alisch 2013: 7). Steigende Zahlen älterer Menschen mit Migrationshintergrund sollten dementsprechend nicht ignoriert werden. Als Konsequenz wird, im Sinne der kulturellen Diversität, der Fokus der Bachelorarbeit auf migrantische Alterung gesetzt.
Hierbei werden einige Herausforderungen deutlich, da es nicht „ die“ Menschen mit Migrationshintergrund zu geben scheint, die gleiche Bedürfnisse vorweisen und dementsprechend kollektiv als gemeinsame Zielgruppe angesprochen werden können (vgl. Schröer/ Schweppe 2010: 373). Diese These gilt es in den folgenden Kapiteln zu bestätigen oder zu falsifizieren.
Ältere Migrant*innen lassen sich in ihrer Vielfalt zum einen in „Gastarbeiter“ unterteilen, die ab den 1950er Jahren unter anderem aus Spanien, der Türkei oder Tunesien zum Arbeiten nach Deutschland kamen (Schimany et al. 2012: 34f). Genauso gibt es viele „Heimatvertriebene“ und (Spät-)„Aussiedler“ als Folge des Zweiten Weltkrieges (ebd.: 37f). Eine weitere Gruppierung stellen die Geflüchteten mit Unterteilungen in „Asylbewerber“ oder auch „Bürgerkriegsflüchtlinge“ dar (ebd.: 40f). Allein diese gekürzt vorgestellten Zuwanderungsgründe verdeutlichen, dass Menschen mit Migrationshintergrund heterogene Bevölkerungsgruppen darstellen müssen (vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 2.2). Aufgrund dessen sollte auf Bundes- und Kommunalebene eine gemeinsame Betrachtung aller Indikatoren des demografischen Wandels mit Fokussierung auf Handlungsmöglichkeiten angestrebt werden. Da dies jedoch bisher weniger stattgefunden hat, wird die Relevanz der Schwerpunktsetzung auf ältere Menschen mit Migrationshintergrund deutlich.
Ältere Menschen im Generellen, ob mit oder ohne Zuwanderungsgeschichte, verbindet häufig, dass ihr direktes Wohnumfeld mit steigendem Alter und Beendigung der Erwerbstätigkeit von höher werdender Bedeutung ist (vgl. nähere Ausführungen zu diesem Absatz in Kapitel 2.3). An dieser Stelle könnte eine passende Ansprache deshalb besonders gute Ergebnisse erzielen. Die Menschen sollen mit dem sozialraumorientierten Ansatz dort erreicht werden, wo sie am häufigsten vorzufinden sind: im Einzelhandelsgeschäft, Park, Freizeitverein oder Hausflur. Hierbei wird häufig von niedrigschwelligen und lebensweltorientierten Zugängen gesprochen.
„Für alle Mitglieder der Gesellschaft, also auch für ältere Menschen [mit Migrationshintergrund, d. Verf.], besteht das Recht auf soziale Teilhabe und gesellschaftliche Partizipation.“ (Vogel et al. 2017: 70) Demzufolge zielt die sozialarbeiterische Altenhilfe häufig darauf ab, die gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten der älteren Sozialraumbewoh- ner*innen zu verbessern. Dieser Ansatz kann prinzipiell als vielversprechend und sinnvoll bewertet werden, jedoch müssen auch hier die älteren Menschen mit Migrationshintergrund mit ihren differenziellen Voraussetzungen und Bedürfnissen häufig alternativer angesprochen werden. Als passende Begrifflichkeit kann hierbei die „kultursensible Altenhilfe“ gesehen werden (vgl. Schröer/ Schweppe 2010: 373).
Die vorliegende Bachelorarbeit widmet sich dem Thema „Gesellschaftliche Teilhabe älterer Menschen mit Migrationshintergrund aus sozialräumlicher Perspektive“. Handlungsleitend ist die Frage, wie den genannten Zielgruppen in ihrem Wohnquartier eine adäquate gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht werden kann. Es wird explizit nach kultursensiblen Zugangswegen und integrativen Gestaltungsmöglichkeiten gesucht. Methodisch werden themenbezogene Sozialforschungsprojekte analysiert. Hierbei werden unter anderem auch auf ihre Erkenntnisse zu fördernden und hemmenden Faktoren in Bezug auf funktionierende Beteiligungsangebote hervorgehoben.
Letztendlich wird die Bachelorarbeit einerseits einen Eindruck über den „Ist-Zustand“ anhand exemplarischer Ausführungen geben können und dies andererseits kritisch auf den gewünschten „Soll-Zustand“ beziehen. Die vergleichenden Analysen der Projekte zielen auf die Formulierung von kultursensiblen, wirkungsvollen Maßnahmen und Methoden ab, durch die sich ältere Menschen mit Migrationshintergrund aktiv in unterschiedlichen Dimensionen beteiligen können und möchten.
Eine Basis bilden zunächst terminologische Klärungen (vgl. Kapitel 2). Insgesamt werden die Begrifflichkeiten in vier Unterkapiteln gekürzt definiert und eingeordnet, die für das Verständnis der Arbeit von besonderer Bedeutung sind. Unter anderem findet sich ein Einblick in die Theorien zur Integration und Assimilation des Migrationswissenschaftlers Hartmut Esser. Dadurch werden bereits Herausforderungen in der Arbeit mit Menschen, die unterschiedlich stark integriert sind, deutlich (vgl. Kapitel 2.2). Hervorgehoben werden zudem die Schwierigkeiten der Abgrenzungen grundlegender Termini wie beispielsweise „Alter“ oder auch „Sozialraum“ (vgl. Kapitel 2.1 und 2.3). Es werden statistische Einordnungen genauso wie dessen Grenzen genannt, Chancen der Sozialraumorientierung wie auch die Rahmenbedingungen partizipativer Arbeitseinstellungen skizziert (vgl. u.a. Kapitel 2.4). Insgesamt werden in diesem Abschnitt, trotz der theoretischen Ebene, bereits die möglichen Herausforderungen bei der Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe älterer Migrant*innen deutlich.
Im nächsten Kapitel folgt die Vorstellung von zehn Forschungsprojekten, die sich, mit unterschiedlichen Schwerpunkten oder aus verschiedenen Blickwinkeln, mit der Partizipation älterer Sozialraumbewohner*innen befasst haben (vgl. Kapitel 3). Häufig sind dies Projekte, die im Rahmen einer Förderlinie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung von Fachhochschulen durchgeführt wurden. Dementsprechend fungiert das dritte Kapitel als Hilfe zur groben Einordnung der Ziele und des Ablaufs dieser Forschungsprojekte, um vergleichbare Informationen generieren zu können. Wissentlich werden auch Projekte gewählt, die keinen Schwerpunkt auf die Zielgruppen der Menschen mit Migrationshintergrund gesetzt haben, wie beispielsweise die Konzepte „Lebensqualität im Wohnquartier“ oder „Soziale Ressourcen für altersgerechte Quartiere“ (vgl. Kapitel 3.2 und 3.8). Begründet wird dies damit, dass ein viel größeres Spektrum an Forschungsprojekten in Bezug auf Ältere ohne Migrationshintergrund erkennbar ist. Von Interesse wäre, ob dort trotzdem in gewisser Weise kultursensibel gehandelt wird und die Relevanz des Themenbereichs anerkannt oder sogar adressiert wird. Wie auch Alisch und May betonen, sind
„[...] die Bedingungen und Ressourcen einer angemessenen Lebensführung älterer Menschen mit Migrationshintergrund[...] weder in den entsprechenden wissenschaftlichen Diskursen der Migrationsforschung, der Alter(ns)soziologie oder der Sozialwissenschaft, noch in der Praxis der Gemeinwesen-, Integrations- oder Seniorenarbeit hinreichend untersucht oder berücksichtigt worden.“ (Alisch/ May 2014: 57)
Aufgrund dieser Tatsache sollen die Defizite nicht durch die Fokussierung auf migran- tisch-orientierte Forschungsprojekte beschönigt, sondern viel mehr kritisch betont werden. Ebenso könnten dabei hilfreiche Informationen zur Angebotsformulierung herausgearbeitet werden, da auch in der Wissenschaft nicht immer Konsens herrscht. Diskutiert wird beispielsweise, ob die Errichtung kulturspezifischer Einrichtungen oder die Integration der Menschen mit Migrationshintergrund in bestehende, kulturunabhängige Angebote sinnvoller sein würde (vgl. Schröer/ Schweppe 2010: 373). Auch diese Grundsatzentscheidungen wirken sich fundamental auf migrantische Teilhabemöglichkeiten aus. Im Anschluss an die übersichtliche Einordnung wird einer ausführlichen Analyse Raum gegeben (vgl. Kapitel 4). Zu diesem Zweck wird zu Beginn ein Bewertungsleitfaden vorgestellt, der selbstständig auf der Grundlage des zweiten Kapitels und weiteren thematisch passenden Ergänzungen erstellt wurde (vgl. Kapitel 4.1). Anhand von sieben Dimensionen, wie beispielsweise der Beachtung präventiver Forschungsansätze oder der Einbindung partizipativer Formate, werden die zuvor vorgestellten Forschungsprojekte in den folgenden Seiten genauestens analysiert (vgl. Kapitel 4.2 und 4.5). Besonderes Augenmerk wird hierbei in Kapitel 4.4 auf die kultursensible Grundhaltung gelegt, was in Anbetracht der Suche nach adäquaten Teilhabemöglichkeiten älterer Migrant*innen plausibel ist. Um eine Übersichtlichkeit zu garantieren, werden die einzelnen Qualitätsdimensionen meist in thematische Unterkapitel zusammengefasst. Schlussendlich folgt eine Bewertung in „gelungen“, „teilweise gelungen“ oder „nicht gelungen“, die am Ende jedes Unterkapitels in tabellarischer Form veranschaulicht wird. Die Bewertungen beziehen sich überwiegend auf die Angemessenheit und Legitimierungen der Ausführungen und Interventionen, dessen Umsetzungsqualität und zuletzt auch auf die Annahme durch die Zielpersonen. Aufgezeigt wird im vierten Kapitel, wie gut die einzelnen Forschungsprojekte die Dimensionen umgesetzt haben. Zusätzlich wird ein Überblick gegeben, inwiefern diese die Förderung gesellschaftlicher Teilhabe älterer Menschen mit Migrationshintergrund aus sozialräumlicher Perspektive beinhalten, unabhängig von einer dementsprechenden Zielformulierung.
Zum Schluss wird die Arbeit durch die Hervorhebung besonders gut bewerteter Bestandteile der Forschungsprojekte abgerundet, damit ein Mehrwert aus der Analyse gezogen werden kann (vgl. Kapitel 5). Zusätzlich findet eine handlungsorientierte Erwiderung des Erkenntnisinteresses Platz. Hierfür wird eine Art „Idealprojekt“ formuliert, welches gut bewertete Dimensionen der verschiedenen Forschungsprojekte zusammenführt. Im fünften Kapitel wird die Frage beantwortet, wie die gesellschaftliche Teilhabe älterer Men- schen mit Migrationshintergrund aus sozialräumlicher Perspektive ermöglicht werden könnte und was es hierfür zu beachten gäbe. Beispielhaft folgen zusätzlich Praxisempfehlungen und Hinweise zu weiterhin bestehenden Forschungs- und Handlungsbedarfen, die präzise an lokale Akteur*innen der (kultursensiblen) Altenhilfe, wie auch Kommunen und die Bundesregierung gerichtet werden.
Im Sinne einer inklusiven Grundhaltung wird in dieser Bachelorarbeit auf eine gendersensible Sprache geachtet. Einerseits sollen, in Bezug auf die Gleichstellung, Frauen und Männer sprachlich gleichermaßen angesprochen werden. Andererseits werden durch die Anwendung des Gender-Stars auch Menschen inkludiert, die sich nicht in eindeutig weibliche oder männliche Kategorien einordnen können oder möchten. Direkte Zitate werden, um eine bessere Lesbarkeit zu garantieren, nicht gegendert.
2 Terminologische Definitionen und Differenzierungen
Als Verständnisgrundlage werden im zweiten Kapitel wichtige Begrifflichkeiten erläutert und eingeordnet. Bereits aus dieser theoretischen Annäherung werden Herausforderungen in der sozialraum- und teilhabeorientierten Arbeit mit älteren Migrant*innen deutlich.
2.1 Perspektiven des Alter(n)s
Die alternde Gesellschaft ist differenziell zu betrachten (vgl. Rüßler 2007: 32). Viele verschiedene Theorien beschäftigen sich mit dem Alter und mit dem Altern als Prozess. Tews (2012: 27) sagt hierzu aus, dass „Altersgrenzen [...] weniger aufgehoben, eher verschoben [werden, d. Verf.]“. Um einen Einblick zu gewähren und eine Grundlage für die folgende Bachelorarbeit zu ermöglichen, folgen einzelne Perspektiven.
Das Alter und der Prozess des Alterns können aus soziologischer Perspektive als Konstrukt wahrgenommen werden (vgl. Schroeter/ Künemund 2010: 393). Häufig findet eine Differenzierung in „junge Alte“ und „alte Alte“ statt (vgl. Pichler 2010: 415). Diese beiden Gruppen unterscheiden sich in der Lebensgestaltung, in ihren Bedürfnissen und in den Möglichkeiten des Engagements fundamental (vgl. Steffen et al. 2007: 11). In Bezug auf das Prinzip der gesellschaftlichen Teilhabe (vgl. Kapitel 2.4), sind hier dementsprechend individuelle Teilhabebedingungen nötig, um „junge“ wie „alte Alte“ gleichermaßen zu inkludieren. Perspektivisch kann das Altern aus biologischer, psychologischer und sozialer Sicht betrachtet werden (vgl. Köster et al. 2008: 161). Biologische Alterung tritt automatisch ein, hier wird beispielsweise von altersbedingten körperlichen Beschwerden, wie Hüftbeschwerden oder Gehörverlust, gesprochen (vgl. ebd.). Die psychologische Perspektive betrachtet unter anderem eine stärkere Resilienz durch überwundene Lebenskrisen (vgl. ebd.). Aus dem sozialen Blickwinkel heraus gelten vor allem wegfallende Kontakte durch das Versterben von Angehörigen oder das Beenden der eigenen Erwerbsarbeit als prägend (vgl. ebd.). In diesem Fall brechen Netze, die jahrelang für Halt und Stabilisierung gesorgt haben, weg (vgl. Tesch-Römer/ Wurm 2009: 9). Hierbei wird die Relevanz einer niedrigschwelligen gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeit und professioneller Quartiersarbeit besonders deutlich, denn passende, gut vernetzte Angebote können ältere Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen auffangen und unterstützen (vgl. Kapitel 2.3 und 2.4).
Dominierend in öffentlichen Diskursen ist die Aktivitätstheorie. Dieser Ansatz wird auf der Ebene der Europäischen Union verfolgt (vgl. Vukoman 2013: 71f). Hierbei wird da- von ausgegangen, dass alternde Menschen physisch, sozial, wirtschaftlich und geistig aktiv sein möchten und an sozialer Teilhabe interessiert seien (vgl. ebd.: 66). Das Alter(n) wird dementsprechend nicht (mehr) als Verlust gesehen, sondern es werden die Gewinne und Möglichkeiten des Alter(n)s klar in den Fokus gestellt (vgl. Rüßler et al. 2015: 15). Laut dieser Theorie sind Menschen zufrieden, wenn sie aktiv sind (vgl. Vogel 2014: 125f). Dadurch erbringen sie auch im Alter Leistung und unterstützen den Staat beispielsweise durch soziales Engagement (vgl. ebd.). Der Aspekt der gesellschaftlichen Teilhabe steht hier dementsprechend sehr stark im Vordergrund (vgl. Kapitel 2.4). Die Aktivitätstheorie wird jedoch auch häufig kritisiert, da laut der Kritiker*innen alten Menschen das Recht abgesprochen werden würde, sich zurückzuziehen und von einem Leben mit Erwerbsarbeit zu erholen (vgl. Rüßler et al. 2015: 15). Hildebrandt und Kleiner (vgl. 2012: 20) sprechen ebenfalls davon, dass vor allem Akteur*innen der Altenhilfe das Konstrukt hinterfragen sollten, in dem aktive ältere Menschen gesund sind und inaktive ältere Menschen automatisch ungesund.
Der häufig thematisierte demografische Wandel ist im Bereich des Alter(n)s zweifelsfrei von Bedeutung. Die Menschen altern, wie in Kapitel 1 angesprochen, laut Heite (2012: 17, Hervorheb. i. O.) dreifach: „die absolute Zahl der alten Menschen steigt, der prozentuale Anteil alter Menschen an der Gesamtbevölkerung nimmt zu und mehr Menschen als je zuvor erreichen die Hochaltrigkeit.“ Auch das Statistische Bundesamt (vgl. Pötzsch/ Rößger 2015: 18) erkennt in der Bevölkerungsvorausberechnung diesen Trend, indem sie beispielsweise darauf hinweisen, dass die absolute Zahl der Menschen, die 65 Jahre alt oder älter sind, von 2013 mit 17 Millionen auf geschätzte 23 Millionen im Jahr 2037 steigen wird. Gleichzeitig werden weniger Menschen geboren, wodurch sich auch der prozentuale Anteil der älteren Bevölkerung (ab 65 Jahren) von 21% im Jahr 2013 auf 33% im Jahr 2060 verändern wird (vgl. ebd.: 17). Die absolute Anzahl an hochbetagten Menschen ab 80 Jahren soll sich laut dieser Vorausberechnung von 4,4 Millionen im Jahr 2013 auf 9 Millionen bis 2060 ungefähr verdoppeln (vgl. ebd.: 19).
Auch empirisch werden das Alter und der Prozess des Alterns betrachtet. Erwähnenswert ist hierbei die Förderlinie „SILQUA - Soziale Innovationen für Lebensqualität im Alter“, mit der das Bundesministerium für Bildung und Forschung ab 2009 zukunftsfähige Modelle für ein altersgerechtes Leben unterstützen wollte (Bührer et al. 2016: 1). Es wurden insgesamt 84 Forschungsprojekte von Fachhochschulen finanziert, die zur „,Erhaltung der Teilhabe von älteren Menschen im Arbeits- und gesellschaftlichen Leben und damit zur Verbesserung ihrer Lebensqualität‘“ beitragen sollten (ebd.). Einige Projekte, die im Rahmen dieser Förderlinie entstanden sind, werden im Kapitel 3 vorgestellt.
Parallel zu den angesprochenen Entwicklungen steigt die Zahl der älteren Menschen mit Migrationshintergrund stetig. Dieser Punkt wird gemeinsam mit weiteren thematischen Grundlagen im nachfolgenden Unterkapitel näher beleuchtet.
2.2 Betrachtungsmöglichkeiten von Migration und Integrationsprozessen
Laut der Definition des statistischen Bundesamtes verfügt eine Person über „einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt.“ (Statistisches Bundesamt 2019: 4) Diese Betrachtungsweise wird in der Bachelorarbeit verfolgt. Teilweise werden auch „Menschen mit Zuwanderungshintergrund“ oder „Migrant*innen“ synonym verwendet.
Menschen mit Migrationshintergrund stellen keine „soziokulturell homogene Gruppe“ dar, da sie, ähnlich wie die Gruppen der älteren Menschen, sehr unterschiedliche Bedürfnisse haben (Schubert et al. 2014a: 19). Exemplarisch wurden hier bereits unterschiedliche Zuwanderungsgründe in Kapitel 1 aufgezeigt. Auch in der Forschung können Menschen mit Migrationshintergrund nur schwer differenziert repräsentiert werden (BMFSFJ 2017: 88). Begründet wird dies unter anderem durch die Begriffsdefinitionen, da Unterschiede zwischen den Bezeichnungen „Migrationshintergrund“, „Staatsangehörigkeit“ oder auch „Ausländer“ existieren (vgl. Schröer/ Schweppe 2010: 369).
Wie bei alternden Menschen ist auch bei den Menschen mit Migrationshintergrund der demografische Wandel zwingend zu betrachten. Deutschland gilt offiziell als Zuwanderungsland (vgl. Schimany et al. 2012: 69). Des Weiteren steigen die Zahlen älterer Menschen mit Migrationshintergrund, was für die Bundesregierung eine neue Situation darstellt (vgl. ebd.: 19). Im Jahr 2010 waren Menschen mit Migrationshintergrund mit einem Altersdurchschnitt von 35 Jahren noch jünger als der Teil der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund mit 44 Jahren (vgl. Baykara-Krumme 2012: 9). In Zukunft werden die Gruppen der Menschen mit Migrationshintergrund jedoch nur etwas später als die restliche Bevölkerung die Alterung der Gesellschaft durchleben (vgl. Schimany et al. 2012: 19). Deshalb müssen sich die Bundesregierung und die Kommunen stärker mit den Herausforderungen befassen, Forschungen betreiben und Konzepte erarbeiten, um ältere Menschen mit Migrationshintergrund aktiv zu integrieren (vgl. ebd.: 20).
Um die Chancen und Hürden bei der integrativen und teilhabeorientierten Arbeit mit älteren Menschen mit Migrationshintergrund verstehen zu können, muss zunächst defini- torisch eine Grundlage geschaffen werden. Integration und Assimilation sind wichtige Begriffe in Bezug auf die Migration. Hierbei ist die „handlungstheoretische“ Sichtweise von Hartmut Esser von hoher Bedeutung (Schnur et al. 2013: 11).
Esser teilt Integration in System- und Sozialintegration auf (ebd.). Während in der Systemintegration die Gesellschaft als Gesamtheit betrachtet wird, beschäftigt sich die Sozialintegration mit den individuellen Akteur*innen eines Systems (vgl. Esser 2001: 3f). Generell handelt es sich bei diesem Modell um Bereiche, die zwar gegenseitig auf sich wirken, jedoch vor allem auf der theoretischen Ebene zum Verstehen von Assimilationsprozessen getrennt voneinander betrachtet werden können (vgl. Kalter 2008: 21). Für die Bachelorarbeit ist die Sozialintegration von vordergründiger Bedeutung. Bei dieser wird der Begriff der Assimilation, also die Aufgabe der alten Bezüge und Annahme Neuer, wie beispielsweise das Erlernen der neuen Sprache, häufig verwendet (vgl. Esser 2001: 69f). Zur besseren Einordnung werden folgend die einzelnen Dimensionen der Assimilation vorgestellt. Während die kulturelle oder auch „kognitive Assimilation [Hervorheb. d. Verf.]“ unter anderem darauf achtet, inwiefern die Menschen die deutsche Sprache und die Wertevorstellungen übernommen haben, fokussiert sich die „strukturelle Assimilation [Hervorheb. d. Verf.]“ beispielsweise auf die Einkommensverhältnisse und berufliche Positionen (Esser 1980: 221f). Die „ soziale Assimilation [Hervorheb. d. Verf.]“ umfasst unter anderem die Themen Vereinsmitgliedschaften, Heiratsverhalten und Freundschaften über unterschiedliche Nationalitäten hinweg (ebd.). Die „ identifikatorische Dimension [Hervorheb. d. Verf.]“ beschreibt das subjektive Gefühl der Zugehörigkeit und ob zum Beispiel ein Wunsch nach einer Wiederkehr in die Ursprungsheimat besteht (ebd.). Hier wird bewertet, ob die Menschen sich eher ihrem Heimatland oder ihrem Zuwanderungsland zugehörig fühlen (ebd.).
Im Nationalen Integrationsplan von 2007 wird die Integration auf quartiersbezogener Ebene besonders hervorgehoben. Mit der Einstellung „Integration entscheidet sich vor Ort“ unterstützt die Bundesregierung Programmpunkte der Sozialen Stadt zur sozialräumlichen Integration (Bundesregierung 2007: 24). Die Bundesregierung beschäftigt sich in ihrem Integrationsplan mit unterschiedlichen Themenbereichen, wobei quartiersbezogene Integrationsgedanken einen eigenen, relevanten Bereich darstellen (vgl. ebd.: 109ff). So lassen ländliche Räume oft andere Möglichkeiten und Voraussetzungen als Großstädte verzeichnen (vgl. ebd.: 109). Mit der Thematisierung reagiert die Regierung auf den Trend, soziale Auffälligkeiten direkt individuell im Quartier anzugehen, wodurch kommunale Integration je nach Ausgangslage differenziell angegangen werden kann (vgl. ebd.: 110ff).
Im folgenden Unterkapitel wird deshalb zunächst erläutert, was unter einem quartierbezogenen Blickwinkel verstanden wird und inwiefern er für die Zielgruppen der älteren Menschen mit Migrationshintergrund von besonderer Bedeutung sein kann. Wie Schröer und Schweppe (2010: 374) passend aussagen, hängt „Alter(n) von Menschen mit Migrationshintergrund [...] von den Lebenslagen und damit von den Handlungsspielräumen [...], die sich eröffnen [...] ab“.
2.3 Sozialraumorientierung als zielgruppensensible, aktivierende Option
Räume im Generellen „ sind keine absoluten Einheiten, sondern ständig (re)produzierte Gewebe sozialer Praktiken “ und können somit nicht klar abgegrenzt werden (Kessl/ Reut- linger 2010: 21, Hervorheb. i. O.). Generell kann von einem relativen und einem absoluten Raumverständnis ausgegangen werden (vgl. ebd.: 22f). Für den Ansatz der Sozialraumorientierung ist eine Mischung aus beiden Ansätzen hilfreich, um die Komplexität des Sozialraums zu begreifen (vgl. Deinet 2009: 46f). Ausschließlich von absoluten, fixierten Räumen auszugehen, gilt als unzureichend (vgl. Reutlinger 2009: 19). Räume können nicht komplett administrativ festgelegt werden, wenn von sozialen Blickwinkeln ausgegangen wird (vgl. ebd.). Der Begriff des Sozial raums kann nicht eindeutig definiert werden, da hier stetige Weiterentwicklungen von Definitionen und Perspektiven verschiedene Ansichten provozieren (vgl. Schnur et al. 2013: 10). Um trotzdem eine Verständnisgrundlage vorzugeben, wird in dieser Bachelorarbeit von Sozialräumen „als Handlungs- oder Entwicklungsräume[n, d. Verf.]“ gesprochen (Kessl/ Reutlinger 2010: 30). Durch diese Sichtweise wird den Bürger*innen die Möglichkeit zugesprochen, ihren Raum aktiv selbst gestalten zu können (vgl. ebd.: 30f). In erster Linie wird der Sozialraum als Resultat von Interaktionen definiert, wobei auch hier vorgegebene quartiersbezogene Voraussetzungen nicht außer Acht zu lassen sind (vgl. ebd.: 25).
Für ältere Menschen ist der Sozialraum, das Quartier oder der Stadtteil meist von besonders hoher Bedeutung. Dies liegt zum einen am Wegfall der Erwerbsarbeit, durch den ein großer Bestandteil des Lebensalltags neu strukturiert werden muss (vgl. Steffen et al. 2007: 16). Der Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand kann vor allem für Menschen mit Migrationshintergrund schwerwiegende Folgen haben, wenn diese beispielsweise durch den fehlenden Kontakt zu ehemaligen Kolleg*innen die deutsche Sprache nicht mehr nutzen müssen und somit die zuvor beschriebene kulturelle Assimilation Rückschritte aufweisen könnte (vgl. Schröer/ Schweppe 2010: 371). Zum anderen ist das Quartier für ältere Menschen aufgrund körperlicher Beschwerden häufig der Lebensmit- telpunkt: Der Gang zum Einkaufen, ein Besuch im Park nebenan oder ein Treffen mit Nachbar*innen in unmittelbarer Nähe bekommt plötzlich eine hohe Bedeutung (vgl. Steffen et al. 2007: 15f). Die Aktivierung älterer Menschen in ihrem Sozialraum kann eine Pflegebedürftigkeit verzögern oder verhindern, was vor allem in Anbetracht der immer weiter steigenden Anzahl hochbetagter Menschen interessant sein kann (vgl. Knopp 2009: 155). Aufgrund dieser Punkte kann der Sozialraum für ältere Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gleichzeitig Hilfe oder Hindernis darstellen, abhängig davon, wie stark die Kommunen und lokalen Akteur*innen auf die differenziellen Zielgruppen eingehen und Möglichkeiten schaffen (vgl. Schnur et al. 2013: 9). Möchten Fachkräfte mit älteren Menschen sozialraumorientiert arbeiten, steht oftmals die „Erweiterung von Handlungsfähigkeit Älterer“ im Raum (Knopp 2009: 163f). Da vor allem die Zahl der älteren Menschen mit Migrationshintergrund steigt und die sozialraumorientierte Altenhilfe zunehmend wichtigere Bereiche einnehmen wird, ist eine spezielle Auseinandersetzung mit der Erreichbarkeit dieser Zielgruppen zu erwarten (vgl. Kapitel 2.2). Die im Kapitel 3 vorgestellten Forschungsprojekte verfolgen häufig unterschiedliche Ansätze, um ältere Menschen mit und ohne Migrationshintergrund kreativ anzusprechen und ihnen Gestaltungs- und Handlungsoptionen aufzuzeigen. Grundlage sollte hierfür eine Auseinandersetzung der Akteur*innen mit partizipativen Arbeitsweisen sein. Diese wird im folgenden Kapitel vorgenommen.
2.4 Gesellschaftliche Teilhabe zur Sicherung eines zufriedenen Lebens
Partizipation, oder auch gesellschaftliche Teilhabe, gilt als Menschenrecht (vgl. BMFSJ 2017: 22). Im Zuge dessen spricht Beate Rudolf (2017: 14) davon, dass die Menschenrechte „die Selbstbestimmung eines jeden Menschen in allen Lebensbereichen sichern [sollen, d. Verf.], wobei Teilhabe als ein untrennbarer Bestandteil dieser Selbstbestimmung gesehen wird.“ In der Bachelorarbeit wird spezifisch von gesellschaftlicher Teilhabe gesprochen, was die Einbindung und Mitwirkung an der Gestaltung gesellschaftlichen Lebens in sozialer, kultureller und politischer Weise betrifft (vgl. Vogel et al. 2017: 45f). Köster et al. (2008: 24) sprechen davon, dass „der Ausbau von Partizipation ermöglicht [...], dass ältere Menschen in die Mitte der Gesellschaft rücken.“ Damit die Partizipation jedoch bedarfsgerecht stattfindet, definieren die Autor*innen vier Stufen der Partizipation (vgl. ebd.: 25f). Bei Stufe 1 können sich die Senior*innen über die Themen lediglich berichten lassen, während sie bei Stufe 2 aktiv mitarbeiten und bei Stufe 3 sogar mitbestimmen können (vgl. ebd.). Innerhalb der vierten Stufe wird komplett unabhängig und eigenständig gearbeitet und entschieden, wodurch dies ist die höchste Stufe des Partizipationsmodells darstellt (vgl. ebd.). Akteur*innen der Altenhilfe, die funktionierende Angebote initiieren möchten, müssen dementsprechend entscheiden, wie partizipativ sie wirklich arbeiten wollen und können, denn oftmals sind hohe Partizipationsstufen mit vielen finanziellen, personellen und organisatorischen Hürden verbunden.
Neben weiteren persönlichen und gesamtgesellschaftlichen Faktoren gilt die gesellschaftliche Partizipation für ältere Menschen häufig als ein Indikator für ein zufriedenes Leben, wodurch der hohe Stellenwert des Themenbereichs deutlich wird (vgl. Motel-Klingebiel et al. 2010: 19f). Die Teilhabe kann durch physische und/oder geistige, altersbedingte Einschränkungen erschwert werden (vgl. BMFSFJ 2017: 22). Ebenso werden Menschen, die ihr Leben lang benachteiligt wurden oder keine Verbindung zu partizipativen Angeboten hatten, seltener angesprochen als bereits gut vernetzte Menschen (vgl. ebd.). Es kann deshalb die Frage aufgeworfen werden, ob die Menschen, die die Angebote dringend benötigen würden, schlussendlich nicht erreicht werden (vgl. Rüßler et al. 2013: 306f).
Der Siebte Altenbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) beschäftigt sich ebenfalls mit der Verbindung von kommunaler Altenhilfe und gesellschaftlicher Teilhabe (vgl. BMFSFJ 2017: 20). Hier wird angesprochen, dass Kommunen die Partizipation Älterer in ihr Leitbild einpflegen sollten, um auf praktischer Ebene richtungsweisend handeln zu können (vgl. ebd.: 23). Nur so können Grundlagen für Partizipationsstrukturen gesetzt werden. Außerdem merken sie an, dass ältere Menschen mit Migrationshintergrund „unterschiedliche Teilhabechancen“ haben, jedoch trotzdem häufig ähnliche Bedürfnisse wie Menschen ohne Migrationshintergrund vorweisen (ebd.: 87f). Umso mehr zeigt dies die Notwendigkeit, Teilhabemöglichkeiten älterer Menschen mit Migrationshintergrund zu verbessern, wie Özgelik, Leiterin der Koordinierungsstelle „Leben im Alter“ in Oberhausen, treffend zusammenfasst:
„Um die gesellschaftliche Teilhabe von älteren MigrantInnen zu fördern und sie in die Gestaltung ihrer Umwelt einzubeziehen, sind niedrigschwellige, kultursensible Beteiligungsangebote und Strategien nötig, wie zum Beispiel die Einrichtung von Kommunikations- und Begegnungsorten, die Unterstützung ethnischer Selbstorganisationen oder die Förderung von Nachbarschaften.“ (Özqelik 2012: 59)
Inwiefern dies utopische oder realistische Ansprüche sind, kann gegebenenfalls bereits durch die nun folgenden Forschungsprojektvorstellungen eingeschätzt werden.
3 Vorstellung und Einordnung der Forschungsprojekte
In Kapitel 3 werden die einzelnen Forschungsprojekte verkürzt vorgestellt. Es folgen Darstellungen zu ihren Rahmenbedingungen und Zielsetzungen, genau wie ein grober Ablauf zur verbesserten Einordnung. Hierbei wurden, wie in Kapitel 1 erläutert, bewusst Projekte ausgewählt, die sich unterschiedlich intensiv auf Quartierbewohner*innen mit Migrationshintergrund beziehen. Dies soll ein realistischeres Bild der aktuellen Sozialraumforschung skizzieren.
3.1 Öffnung des Wohnquartiers für das Alter
Das Projekt der Fachhochschule Köln, „Öffnung des Wohnquartiers für das Alter“1, war ein Teil der Förderlinie SILQUA und lief von 2010 bis 2013 (vgl. Schubert et al. 2014a: 7). Stattgefunden hat das Forschungsprojekt in den Stadtteilen Köln Ehrenfeld und Neuehrenfeld (vgl. ebd.: 79). Der Fokus lag auf die dazugehörigen Quartiere Veedel, Vogelsanger Straße und Neuehrenfeld (vgl. ebd.). Hierbei wurde
„[...] das zentrale Ziel [verfolgt, d. Verf.], im Sozialraum des [...] Stadtteils eine kommunikative Infrastruktur zur Stärkung derjenigen älteren Menschen zu entwickeln, die sich zurückgezogen haben, nicht eigenständig in lokale Beziehungsnetzwerke involviert sind und von daher kaum für Informationen und Angebote von Trägern der Altenhilfe erreichbar sind.“ (Schubert et al. 2011: 1)
Um dieses Ziel zu erreichen und eine Infrastruktur zu entwickeln, wurde eine gewisse Verfahrensweise eingehalten. Zunächst fand im Arbeitspaket „ Aufklärung der Lebenssituation älterer Menschen [Hervorheb. d. Verf.] “ eine quantitative Haushaltsbefragung von Bewohner*innen ab 60 Jahren statt (Schubert et al. 2014a: 75f). Hierbei galt es herauszufinden, wie die aktuelle Lebenssituation aussieht und ob die älteren Menschen bestehende Angebote kennen und nutzen (vgl. Schubert et al. 2011: 4). Außerdem war für das weitere Vorgehen von Interesse, welche Lebensräume die Quartierbewohner*innen alltäglich nutzen würden (vgl. ebd.).
Anschließend wurde im Rahmen des Arbeitspaketes „ Untersuchung der Lebenssituation älterer Menschen [Hervorheb. d. Verf.]“ eine „Aktionsraumanalyse“ initiiert. Hier- bei wurden 22 „Gelegenheiten“ hervorgehoben, die laut der Befragung oft von älteren Menschen besucht werden (Schubert et al. 2014a: 75 und 77). Als Beispiele wurden „[...] Geschäftsinhaber/innen, Verkäufer/innen, Ärztinnen und Ärzte und Apotheker/innen sowie weitere lokale Dienstleister“ genannt (Schubert et al. 2014b: 3). Diese würden als Vermittlungspunkte und als Multiplikator*innen agieren, um ihre Kund*innen auf bestehende Angebote aufmerksam machen zu können und neue Menschen anzusprechen (vgl. ebd.: 3f; vgl. Knopp 2015a: 112f). Es sollte „[.] eine ,Kommunikationsinfrastruk- tur‘[.] entwickelt werden, die im Wohnquartier die ,natürlichen Kontaktpunkte‘ von zurückgezogen lebenden älteren Menschen als ,Brücke‘ für den Austausch von Informationen und Leistungen [.]“ fungiert (Schubert et al. 2011: 1).
Für das weitere Vorgehen wurden im Rahmen des Arbeitspaketes „ Sammlung guter Beispiele in Deutschland und Europa [Hervorheb. d. Verf.] “ zunächst bestehende Projekte analysiert, um funktionierende Bestandteile übernehmen zu können und somit samt der eigenen Ergebnisse ein Infrastrukturmodell zu erstellen (vgl. Schubert et al. 2014a: 75 und 77). Dies wurde „Gute-Praxis-Analyse“ genannt (ebd.: 77).
Mit Blick auf diese Daten und Informationen wurden im folgenden Arbeitspaket „ Entwicklung eines Infrastrukturkonzepts und Überprüfung seiner Akzeptanz [Hervorheb. d. Verf.]“ unter den Instanzen der älteren Bewohner*innen, der lokalen Akteur*in- nen und der Vermittler*innen Gespräche geführt (vgl. ebd.: 75 und 77f). Um herauszufinden, welche der vermittelnden „Gelegenheiten“ das meiste Potential und die höchste Bereitschaft zur Wissensvermittlung haben, wurden hier Befragungen durchgeführt (vgl. ebd.: 78). Neun der ursprünglich 22 „Gelegenheiten“ nahmen an der Erprobung des Infrastrukturmodells teil (vgl. ebd.). Beteiligt waren zwei Arztpraxen, zwei Apotheken, ein Friseur, ein Laden des Einzelhandels, eine Bäckerei, eine Gaststätte und ein Kiosk (vgl. Schubert et al. 2014b: 4).
Abgeschlossen wurden die Arbeitspakete mit der „ Ermittlung der Kosten und des sozialen Nutzens [Hervorheb. d. Verf.] “, bei dem auch das Infrastrukturmodell evaluiert wurde (Schubert et al. 2014a: 75 und 78).
3.2 Lebensqualität im Wohnquartier
Die Fachhochschule Dortmund initiierte das Forschungsprojekt „Lebensqualität im Wohnquartier“2, welches im Rahmen der Förderlinie SILQUA von 2010 bis 2013 in Gelsenkirchen durchgeführt wurde (vgl. Rüßler/ Stiel 2015: 157).
Das Ziel war hierbei, ältere Menschen dazu zu bewegen, selbst Maßnahmen zur Besserung der Lebensqualität im Wohnquartier zu entwickeln (vgl. Rüßler et al. 2015: 43). Es galt die Annahme, dass die Lebensqualität der Älteren abhängig von selbstbestimmter Teilhabe und Mitwirkung zur Gestaltung des Wohnumfelds ist (vgl. Köster et al. 2012: 409).
Das LiW-Projekt lässt sich in vier Phasen aufteilen. Bereits während der ersten Phase, „ Felderschließung [Hervorheb. d. Verf.]“, zeigten sich hier bereits Besonderheiten (Rüßler et al. 2015: 48). Anders als bei anderen Projekten, wurde hier der Planung des Untersuchungsraumes viel Aufmerksamkeit gewidmet (vgl. Knopp 2015a: 109f). Es wurde ein Werkzeug entwickelt, das statistische Daten und Erkenntnisse von Gesprächen mit Expert*innen in eine Rangliste einfügt (vgl. ebd.: 110). Nach diesem Prozess wurde der Gelsenkirchener Stadtteil Schalke als Untersuchungsraum festgelegt und eine Steuerungsgruppe gegründet (vgl. Rüßler et al. 2015: 48). Es folgten eine Dokumentenanalyse, eine schriftliche Befragung älterer Quartierbewohner*innen, Recherchen um Akteur*in- nen im Stadtteil und Expert*inneninterviews (vgl. Köster et al. 2012: 415f).
Die „Entwicklung von Pilotmaßnahmen [Hervorheb. d. Verf.]“ wurde in der zweiten3 Phase fokussiert (Rüßler et al. 2015: 50). Die Steuerungsgruppe organisierte hier zunächst zwei Quartierskonferenzen für ältere Menschen in Schalke, die oftmals durch die vorangegangene Befragung interessiert an der Thematik waren (vgl. Heite 2013: 5). Hier fand die Methode des World-Cafés Anwendung und die älteren Bewohner*innen konnten Themenfelder formulieren, die zur Verbesserung der Lebensqualität im Quartier führen könnten (vgl. Rüßler/ Stiel 2015: 161). Die Themenfelder lauteten „Sicherheit und Sauberkeit, Gemeinschaftliches Zusammenleben, Wohnen und Wohnumfeld, Mobilität und Verkehrssicherheit und Öffentlichkeitsarbeit.“ (ebd.) Es wurden hierfür Arbeitsgruppen gebildet und „Pilotmaßnahmen“ geplant (Köster et al. 2012: 416). Mit Beginn der dritten Quartierskonferenz wurde die dritte Projektphase und somit die „ Umsetzung der Pilotmaßnahmen [Hervorheb. d. Verf.]“ angegangen (Rüßler et al. 2015: 51). Hierzu sollte zunächst der Sozialraum erkundet werden. Angewandt wurden die Nadelmethode und darauf aufbauend die Stadtteilbegehung (vgl. ebd.). Die Ergebnisse der Methoden wurden in Form von Postern in der sechsten Quartierskonferenz vorgestellt (vgl. Rüßler/ Stiel 2015: 162). Gleichzeitig wurden Lösungsvorschläge und Handlungsreihenfolgen erarbeitet (vgl. ebd.). Es folgte Phase vier, die „ Ergebnisaufbereitung und Entwicklung eines Handlungsrahmens [Hervorheb. d. Verf.]“ (Rüßler et al. 2015: 53). Hier wurden zunächst „ biografisch-narrative Interviews mit sieben Personen durchgeführt, die über einen längeren Zeitraum an den Quartierskonferenzen teilnahmen.“ (ebd., Hervorheb. i. O.) Wichtig war hier vornehmlich, dass die Befragten einen möglichst unterschiedlichen Bil- dungs- und Einkommensstatus aufweisen würden (vgl. ebd.).
Gleichzeitig planten die einzelnen Arbeitsgruppen ab der siebten Quartierskonferenz intern Möglichkeiten und Maßnahmen, um ihren Themenbereich zu verbessern (vgl. Rüß- ler/ Stiel 2015: 162). Beispielsweise setzte sich somit die Gruppe „Wohnen und Wohnumfeld“ für „seniorengerechte, bezahlbare Wohnungen“ ein, indem sie passende Häuser dokumentierte und Eigentümer zu Diskussionsrunden motivierte (Rüßler et al. 2015: 122). Abschließend wurden die Erkenntnisse mittels unterschiedlicher Verfahren ausgewertet und zu einem Handlungsrahmen für Akteur*innen, Kommunen und Fachkräfte formuliert (vgl. Köster et al. 2012: 416).
[...]
1 Nachfolgend wird das Projekt „Öffnung des Wohnquartiers für das Alter“ aus Gründen des besseren Leseflusses mit „ÖFFNA“ abgekürzt.
2 Nachfolgend wird das Projekt „Lebensqualität im Wohnquartier“ aus Gründen des besseren Leseflusses mit „LiW“ abgekürzt.
3 Nachfolgend wird das Projekt „Ältere Migrant(inn)en im Quartier: Stützungund Initiierung von Netzwerken der Selbstorganisation und Selbsthilfe“ aus Gründen des besseren Leseflusses mit „AMIQUS“ abgekürzt
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