Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Voraussetzungen für die Theologie der Befreiung
2.1 Soziale und Ökonomische Voraussetzungen
2.2 Kirchliche Voraussetzungen
3. Die Entwicklung der Theologie der Befreiung
4. Die Basisgemeinden
4.1 Wie entsteht eine Basisgemeinde
4.2 Methoden und Prinzipien der Basisgemeinden
5. Kritik an der Theologie der Befreiung
5. Befreiungstheologie, ein Modell für die Zukunft?
7. Literaturverzeichniss
1. Einleitung
Ich verwende die alte Rechtschreibung in dieser Hausarbeit.
Zum ersten mal bildete sich Mitte der sechziger Jahre ein eigenständiges theologisches Denkmodell außerhalb des europäischen Kulturkreises: die Theologie der Befreiung in Lateinamerika.
Diese heute in Europa weitgehend vergessene Theologie, sorgte bis in die späten achtziger hinein für erbittertste Diskussionen innerhalb und außerhalb der Kirche. Dabei war es kein interkontinentaler Konflikt Europa gegen Lateinamerika, es gab sowohl hier als auch in Lateinamerika Gruppen, welche die Theologie der Befreiung ablehnten oder befürworteten.
Wie kam es aber zu diesem neuen Theologieansatz?
Natürlich kann diese Frage nicht in einer Hausarbeit umfassend geklärt werden. Ich beschränke mich deshalb auf einzelne Aspekte.
Zunächst beschäftige ich mich mit der sozialen, ökonomischen und kirchlichen Situation der Menschen in Lateinamerika Mitte der sechziger Jahre.
Die konkrete Entwicklung der Theologie der Befreiung wird im zweiten Teil behandelt.
Der dritten Teil befasst sich mit den Basisgemeinden, ihrer Entstehung, ihren Methoden und Prinzipien.
Die Theologie der Befreiung war vielerlei Kritik ausgesetzt. Einige wesentliche Kritikpunkte und die Positionen der Theologen der Befreiung dazu werden im vierten Teil dargestellt. Abschließend werde ich eine wertende Stellungnahme aus meiner Sicht abgeben und die Frage beleuchten, ob ein solcher Theologieansatz heute noch praktizierbar ist.
2. Voraussetzungen für die Theologie der Befreiung
Alle Voraussetzungen zu beschreiben, die schließlich zur Theologie der Befreiung führten würde den Rahmen dieser Hausarbeit bei weitem sprengen.
Ich möchte mich deshalb auf die (meiner Meinung nach) wichtigsten Punkte beschränken.
2.1 Soziale und Ökonomische Voraussetzungen
Die Sítuation der Menschen in Lateinamerika war Mitte der sechziger Jahre gekennzeichnet durch ein ,,entsetzliches menschliches Elend"(Greinacher, 1985, S.18). Arbeitslosigkeit, steigende Lebenshaltungskosten und eine mangelhafte Gesundheitsfürsorge (vgl. Devoto in: Bonino, 1977, S.30) sind nur ein Teil der Probleme mit denen die Mehrheit der Bevölkerung in Lateinamerika zu kämpfen hatte.
In einem Bericht der Vereinten Nationen von 1952 heißt es u.a.. ,,Zwei Drittel, wenn nicht noch mehr der lateinamerikanischen Bevölkerung sind unterernährt, in einigen Gebieten bis zum Verhungern. Kauen von Cocablättern, Alkohol und in manchen Gegenden sogar das Essen von Erde sind letzte Versuche, um zu überleben. [...] Die Hälfte der lateinamerikanischen Bevölkerung leidet an infektiösen oder Mangel- erkrankungen. [...]
Etwa ein Drittel der lateinamerikanischen Arbeiterbevölkerung, besonders die große Mehrheit der Millionen von indianischen Arbeitern, bleibt außerhalb des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereichs der Gesellschaft. Die Kaufkraft lateinamerikanischer Indianer ist in vielen Gebieten gleich Null.[...]
Fast die gesamte lateinamerikanische Rohstoffindustrie ist Eigentum oder steht unter der Kontrolle von ausländischen Firmen, wobei ein beträchtlicher Teil der Gewinne außer Landes geht." (Bonino, 1977, S.31)
Diese Liste nüchterner Zahlen und Fakten läßt sich beliebig fortsetzen.
Die gesamtgesellschaftliche Situation war und ist bis heute weiterhin bestimmt von vielfältigen ,,Formen der Unterdrückung der Menschen" (Greinacher, 1985, S.15) Als eine sehr weitverbreitete Form ist dabei der Rassismus zu nennen.
Die heutigen Gesellschaften in Lateinamerika entstanden durch die Mischung verschiedenster Menschen aus verschiedensten Kulturkreisen.
Zu der indianischen Urbevölkerung und den spanischen und portugiesischen Eroberern kamen schwarze Sklaven aus Afrika, Weiße aus Nordamerika und an der Pazifikküste viele Asiaten. Trotz dieses Vielvölkergemisches bestand und besteht noch heute die herrschende Klasse - in den einzelnen Ländern unterschiedlich stark ausgeprägt - aus Weißen. (vgl. Greinacher,1985, S.15)
Diese herrschende Minderheit stützt ihre Macht in vielen Staaten Lateinamerikas mit Hilfe einer selbsterrichteten Militärdiktatur.(vgl.Greinacher,1985, S.17)
,, Dahinter verbirgt sich ein politisches System, in dem eine kleine privilegierte Machtelite mit zum Teil unerbittlicher Grausamkeit und unter Verletzung fundamentaler Menschenrechte mit Hilfe der Armee ihre eigenen ökonomischen Interessen verteidigt." (Greinacher, 1985, S.17)
Im Bericht der Vereinten Nationen heißt es hierzu: ,,Eine überwältigende Mehrheit der Landbevölkerung Lateinamerikas besitzt kein Land.[...]
Zweidrittel, wenn nicht mehr des Ackerbodens, der Wälder, der Viehherden, sind Eigentum einer Handvoll einheimischer Großgrundbesitzer und ausländischer Genossenschaften oder werden von ihnen kontrolliert." (Bonino, 1977, S.31)
Ein wichtiges Datum im lateinamerikanischen Freiheitsdenken stellt die kubanische Revolution im Jahr 1958 dar.
Fidel Castros Revolution zeigte, daß imperialistische, kapitalistische und diktatorische Systeme überwunden werden konnten.
Nicht zuletzt dieser Erkenntnis wegen entstand ab Anfang der sechziger Jahre die Dependenztheorie. Ihre Kernaussage war, ,,daß zwischen dem wachsenden Reichtum der kapitalistischen Länder auf der einen Seite und der wachsenden Verarmung der Völker Lateinamerikas auf der anderen Seite ein ursächliches Verhältnis besteht."
(Greinacher,1985, S.20) Der größte Teil der Theologen der Befreiung stützten ihre Aussagen auf diese Theorie.
2.2 Kirchliche Voraussetzungen
Um die Theologie der Befreiung verstehen zu können, muß man den innerkirchlichen Kontext kennen in dem diese neue Art der Theologie entstand.
Als am 9. Oktober 1958 Papst Pius XII. starb ging für die Katholische Kirche ein Zeitalter des ,,monolithischen Katholizismuses" (Greinacher, 1985, S.21) zuende.
Von seinem Nachfolger, Papst Johannes XXIII., erwartete man eine Öffnung und teilweise Aufweichung dieses Katholizismuses.
Eine der Grundlagen des II. Vatikanischen Konzils von 1962 bis1965 bildete das Programm Papst Johannes XXII. des ,,aggiornamento", der Heutigwerdung der Kirche.(Greinacher, 1985, S.21) Für die Kirche in Lateinamerika bildete dieses Konzil einen Wendepunkt. Hatte die Kirche seit der Eroberung durch die Spanier und Portugiesen immer auf Seiten der Starken und Herrschenden gestanden und deren Macht gestützt, so wendete sie sich nun den Armen und Unterdrückten zu und brachte somit viele Reformprozesse in Gang (vgl. Greinacher, 1985, S.21). War die Kirche in Lateinamerika bis jetzt immer eurozentriert gewesen, bildete sich ab Mitte der sechziger Jahre eine eigene ,,lateinamerikanische Idendität" ( Greinacher, 1985,S.22) heraus.
Die Bischofskonferenzen von Medellin (1968) und Puebla (1979) bilden zwei weitere wichtige Fixpunkte bei der Entstehung einer eigenständigen lateinamerikanischen Idendität der Kirche.
3. Die Entwicklung der Theologie der Befreiung
Nachdem im vorangegangenen Teil die sozialen, ökonomischen und kirchlichen Voraussetzungen erläutert wurden unter denen die Theologie der Befreiung entstehen konnte, werde ich nun die konkrete Entwicklung darstellen.
Den Ursprung der Theologie der Befreiung bilden zwei, bis weit in die siebziger Jahre hinein getrennt operierende, Gruppen von, Theologen.
Eine kleine Gruppe von Priestern traf sich seit 1965 in regelmäßigen Abständen in verschiedenen Städten des Kontinents. Der Grund dieser Zusammenkünfte war einerseits persönliche Freundschaft zwischen den Priestern andererseits aber auch die ,,gemeinsame intellektuelle Sorge um die Theologie in Lateinamerika". (Comblin in: Prien, 1981,S.20) Unter den Mitgliedern dieser Gruppe befanden sich u.a. Gustavo Gutierrez, Juan Luis Segundo und Segundo Galilea.
Dieser Verbund wurde zwar nie institutionalisiert gilt aber heute als der zentrale Entstehungsort der Theologie der Befreiung.
Neben dieser katholischen Gruppe entwickelte sich in Montevideo eine protestantische Gruppe innerhalb der Gesellschaft ,,Kirche und Gesellschaft in Lateinamerika" (ISAL) Zu den Mitgliedern gehörten u.a. José Miguez Bonino, Julio de Santa Ana und Richard Shaull. Auch Katholiken, wie Hugo Assmann, die Probleme mit ihrer Kirche hatten fanden in dieser Gruppe ein Forum für ihre Arbeiten.
( vgl. Comblin in: Prien, 1981, S.22)
Ein durchgängiges Merkmal der protestantischen Bewegung ist die Problematik der Gewalt, des Guerrillakampfes und des Marxismus ihren Schriften.
Die beiden Gruppen unterschieden sich in einem zentralen Punkt. Während die katholische Gruppe aus der Kirche heraus ,,in ständiger Gemeinschaft mit ihrer Kirche und den Bischöfen" (Comblin in: Prien 1981, S.22) wirkte beschränkte sich die Arbeit der protestantischen Gruppe auf ein Einwirken von außen.
Sei es, weil sie als Evangelische von ihrer Ortskirche ausgestoßen oder abgelehnt waren oder, weil sie als Katholiken in ihrer eigenen Kirche kein Forum fanden.
(vgl. Comblin in : Prien, 1981, S.22)
Die Theologen beider Gruppen hatten jedoch erkannt, daß arme Menschen keine isoliert existierenden Wesen sind, sondern zu einer sozialen Klasse, einer Kultur gehören und als solche behandelt werden müssen. (vgl. Gutierrez in: Metz, Rottländer, 1988, S. 53) Diese Erkenntnisse gründeten auf den unmittelbaren Erfahrungen, welche die Theologen in den Elendsvierteln gemacht hatten in denen sie arbeiteten und oft auch lebten.
Zwischen 1970 und 1971 kam es in Bogotá zu mehreren Symposien über die Theologie der Befreiung. Das erste größere Treffen der Theologen der Befreiung fand im Rahmen eines Kongresses zum Thema ,,Kirche in Lateinamerika", vom 8.-15. Juli 1972, in El Escorial statt. Das letzte Treffen der Theologen der Befreiung fand bei einem Theologenkongreß in Mexiko im August 1975 statt.
4. Die Basisgemeinden
Die Theologie der Befreiung versteht sich selbst als eine ,,kritische Reflexion der historischen Praxis im Licht des Glaubens". (Gutierrez in: Boff, Kern, Müller, 1988, S.32) Wo aber geschieht dieses Reflexion und durch wen?
Die Basisgemeinden sind der Ort an dem die Theologie der Befreiung vollzogen wird.
Im folgenden werde ich die Entstehung, die Prinzipien und Methoden dieser Basisgemeinden beschreiben.
4.1 Wie entsteht eine Basisgemeinde
Basisgemeinden entstehen immer in Gebieten bzw. Stadtteilen in denen große soziale Not herrscht. Das Wort ,,Basis" hat hierbei zwei Bedeutungen. Erstens eine soziologische, indem es ausdrückt, daß Basisgemeinden die Kirche der Armen und nicht eine Kirche für die Armen sind und zweitens eine ekklesiologische Bedeutung. Dieses sagt aus, daß die ,,einfachen ungebildeten und armen Leute zu aktiven Trägern des kirchlichen Lebens" werden. (Boff, Kern, Müller, 1988, S. 32)
Die Familien, in der Regel 15-30, welche zu einer Basisgemeinde gehören leben alle in einem räumlich eng begrenzten Bereich und teilen somit die selben Probleme, wie Wohnsituation, Sorgen um die Ernährung der Familie usw.
(Boff, Kern, Müller, 1988, S.32)
Etwa 150 000 Basisgemeinden mit etwa 8 Millionen Gemeindegliedern gibt es in Brasilien [Stand: 1988]. (vgl. Boff, Kern, Müller, 1988, S.34)
Obwohl jede Basisgemeinde eine eigenständige Geschichte hat, liegt doch der Ursprung der allermeisten Gemeinden in einem Mangel an Priestern begründet.
Die schlechte ,,kirchliche" Infrastruktur in den Elendsvierteln führte dazu, daß die meisten Gläubigen nur ein- oder zweimal im Jahr einen Priester zu Gesicht bekamen.
Dieser konnte sich dann nicht einmal um die Probleme der Gläubigen kümmern, weil er allzuoft nur damit beschäftigt war die Sakramente zu spenden.
Das Zweite Vatikanische Konzil hatte dieses Problem erkannt und versuchte es durch eine Betonung des ,,allgemeinen Priestertums" (Boff, Kern, Müller, 1988, S. 33) zu lindern.
Durch die Ausbildung von Pastoralteams und Laienkatecheten, durch Bibelkurse und sonstige Aktivitäten sollte den Gläubigen das Bewußtsein vermittelt und die Fähigkeit gegeben werden, ,,selber Kirche zu sein und die wesentlichen Dienste, die eine christliche Gemeinde ausmachen eigenständig zu übernehmen".
(Boff, Kern, Müller, 1988, S.33)
Diese Initiativen führten zum Aufbau der Basisgemeinden.
4.2 Methoden und Prinzipien der Basisgemeinden
Die Basisgemeinde trifft sich ein- oder mehrmals pro Woche. Diese Treffen werden geleitet entweder durch einen Priester oder ein ,,animador", einem Laien mit einer entsprechenden Zusatzausbildung.( vgl. Boff, Kern, Müller, 1988, S, 32)
Die Orte an denen diese Treffen stattfinden sind unterschiedlich. ,,Meistens ist [es] in dem Haus eines der Mitglieder, es kann aber auch in der Kirche, (..) der kleinen Ortskapelle oder in irgendeinem Saal oder sogar im Schatten eines Baumes geschehen." (Boff, 1986, S.85)
Diese Gottesdienste haben einen besonderen Ablauf. Zunächst lesen bzw. hören die Gemeindeglieder einen Abschnitt aus dem Evangelium. Sodann stellen sie ihre Situation dem Willen Gottes gegenüber um schließlich zu einem gemeinsamen Ergebnis bzw. einer gemeinsamen Handlungsbasis zu gelangen. (vgl. Boff, Kern, Müller, 1988, S.32; Boff, 1986, S. 85)
Die Aktivitäten der Basisgemeinden gehen aber weit über den Gottesdienst hinaus. So bilden sich Betreuungskreise für Alte, Kranke und Behinderte, selbstorganisierte Bibelkreise und Mütterclubs. Aber auch Aktionen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung wie Alphabetisierungskampagnen und die Landlosenbewegung wurden von den Basisgemeinden mitgetragen.
Den Basisgemeinden ging es immer darum negative gesellschaftliche Zusammenhänge zu durchschauen, mit dem Ziel sie zu verändern. (vgl. Boff, Kern, Müller, 1988, S.32-35; Boff, 1986, S.85-86)
5. Kritik an der Theologie der Befreiung
Schon bald nach Bekanntwerden der Theologie der Befreiung formierten sich erste Widerstände innerhalb und außerhalb der Kirche.
Besonders die konservativen Kreise innerhalb der katholischen Kirche, welche weiterhin an einer hierarchisch aufgebauten, starren Kirche festhalten wollten, hatten das ,,kritische Potential" (Greinacher, 1985, S.51) erkannt.
In vorderster Linie kämpften dabei der spätere Kardinal Lopez Trujillo und Roger Vekemans.
Dieser gründete 1970 in Bogotá das ,,CEDIAL", das ,,Studienzentrum für Entwicklung und Integration in Lateinamerika" ( Comblin in: Prien, 1981, S.28) Ab 1972 erschien die von der CEDIAL herausgegebene Zeitschrift ,,Tierra Nueva".
In Wirklichkeit verbarg sich hinter CEDIAL und ,,Tierra Nueva" ein und die selbe Person: Roger Vekemans ( vgl. Comblin in: Prien, 1981, S. 28)
Das oberste Anliegen Vekemans war eine totale Vernichtung der Theologie der Befreiung in Lateinamerika. Seine Veröffentlichungen in ,, Tierra Nueva" beschränkten sich vor allem auf folgenden Kritikpunkt.
Die Grundlage der Theologie der Befreiung sei der Marxismus.
Diese Aussage stützte er ( und andere auch) auf die Tatsache, daß in den Texten der Befreiungstheologen Begriffe wie ,,soziale Klasse", ,,Ausbeutung" und ,,Entfremdung" verwendet werden. Auch würde zum ,,Klassenkampf" aufgerufen. (Greinacher, 1985, S.46- 47)
Vekemans setzte dabei die Schriften der 1971 gegründeten Gruppe ,,Christen für den Sozialismus" gleich mit der Meinung aller Vertreter der Theologie der Befreiung. (vgl. Greinacher, 1985, S. 52; Comblin in: Prien, 1981, S. 29-30)
Die Theologen der Befreiung rechtfertigten sich damit, daß Begriffe wie ,,soziale Klasse" etc. zwar wissenschaftlich umstritten ,,aber als analytisches Instrumentarium auch für einen Theologen unerlässlich" (Greinacher, 1985, S.47) seien.
Gewiss würden vereinzelt Elemente aus dem Marxismus assimiliert. Wenn dies aber geschehe, dann immer aus der Realität heraus.
Was dann herauskomme sei so stark verändert und abgewandelt, daß man es nicht mehr als Marxismus bezeichnen könne, sondern lediglich als ein ,,kritisches Verständnis der Wirklichkeit". (Boff, 1986, S.26)
Eine andere kritische Anfrage an die Theologie der Befreiung kam von dem nord- amerikanischen Theologen Carl Braaten. Er unterstützte die Gedanken der Befreiungstheologie sofern sie ,,die soziale und politische Dimension des menschlichen Handelns zum integralen Bestandteil [...] der Kirche machen".
(Gensichen in: Waldenfels, 1982, S.26)
Seine Anfrage war ob es wohl richtig sei, daß dem Menschen das ,,Heil" nicht unabhängig von der Gesellschaftsschicht bzw. Gesellschaftsstruktur zuteil wird in der er lebt.
Die Theologen reagierten auf diese Kritik mit dem Hinweis, daß das Seelenheil unabhängig von der sozialen Situation erreicht werden könne. Der Theologie der Befreiung gehe es vielmehr darum zu zeigen, ,,daß das Reich nicht bloß in der Seele (persönliche Dimension) oder bloß im Himmel (übergeschichtliche Dimension) Platz geifen soll, sondern auch in dem zwischenmenschlichen Beziehungen und gesellschaftlichen Projekten (geschichtliche Dimension)." (Boff, 1986, S.18-19)
Nicht nur von innerhalb der Kirche wurde Kritik an der Theologie der Befreiung geübt. In vielen Staaten Lateinamerikas welche die Ideologie der ,,nationalen Sicherheit" vertraten, waren Diskriminierungen bis hin zur Gewaltanwendung gegen Theologen der Befreiung alltäglich.
Slogans wie ,,Diene deinem Vaterland- töte einen Priester!"(Greinacher, 1985, S.61) waren an der Tagesordnung.
Die ,,Doktrin der nationalen Sicherheit" wurde während des Zweiten Weltkrieges in den Kriegsschulen der USA entwickelt. Ihre Kernanliegen waren es, die Nation vor inneren und äußeren Gefahren zu schützen und den Kommunismus auf der Welt zu besiegen bzw. auszurotten. ( vgl. Greinacher, 1985, S. 17; S.58-61)
Zu Beginn der siebziger Jahre vertraten fast alle Staaten Lateinamerikas diese Ideologie. Teils aus Gründen der Machterhaltung, denn jeder der sich für soziale Gerechtigkeit einsetzte konnte als Kommunist abgeurteilt werden, teils darum, weil von Seiten der USA starke finanzielle und militärischen Hilfen in Aussicht gestellt wurden. Der Geheimdienst der USA, CIA, arbeitete selbst an Strategieplänen um die Theologie der Befreiung zu vernichten. Danach müsse die schon vorhandene Spaltung innerhalb der Kirche vertieft werden, damit die Theologen der Befreiung von der Kirche selbst bekämpft würden.(vgl. Greinacher, 1985, S.60)
6. Befreiungstheologie, ein Modell für die Zukunft
Bisher habe ich nur wissenschaftlich gesicherte Aussagen über die Theologie der Befreiung gemacht. In diesem Teil werde ich eine persönliche Stellungnahme abgeben und dies mit der Fragestellung verknüpfen ob ich diesen Theologieansatz für momentan praktikabel erachte.
Mit der Befreiungstheologie verbinde ich sowohl positive als auch negative Aspekte.
Ein Argument für eine Theologie der Befreiung ist wohl, daß sie genau die sozialen Schichten der Gesellschaft erreicht hat, die sie erreichen wollte. Sie hat die Kirche zu einer erfahrbaren Institution gemacht. Mit ihren unzähligen Aktivitäten abseits der Gottesdienste hat sie den Armen neue Perspektiven eröffnet und deren Selbstwertgefühl gestärkt..
Der heilige Stuhl hat es bis heute nicht verstanden diese Tatsachen zu seinen Gunsten zu nutzen. Damit meine ich, daß sich das Ansehen der Katholischen Kirche in der Gesellschaft verbessert hätte, wenn man die Theologie der Befreiung anerkannt und unterstützt hätte statt sie zu bekämpfen.
Eine Gefahr die mit der Theologie der Befreiung einhergeht, sehe ich in einer Verselbständigung der marxistischen Elemente.
Zwar geben die Theologen an, den Marxismus nur zur Gesellschaftsanalyse verwendet zu haben. Was passiert aber, wenn der Marxismus für die Armen in den Vordergrund tritt und die kirchlichen Aspekte zurückgedrängt werden?
Kann das nicht zu einer Revolution und zu einem sozialistisch/ marxistischen Staat führen? Und haben wir nicht am Beispiel DDR gesehen, daß ein solch ,,klassenloser" Staat gar nicht ,,klassenlos" sondern diktatorisch ist?
Ein weiterer Punkt der mich nachdenklich macht ist, daß die Theologie der Befreiung Gewalt als Mittel der Befreiung nicht gänzlich ausschließt. Zwar betonen die Theologen die Notwendigkeit der Gewaltlosigkeit, in ganz bestimmten Situationen aber ist Gewalt für sie ein legitimes Mittel.
,,Dann nämlich, wenn der Gebrauch der Gewalt durch den Staat nicht mehr länger ausgehalten werden kann, wenn alle anderen gewaltlosen Mittel erschöpft sind und wenn der Gebrauch von Gewalt eine begründete Aussicht auf Erfolg hat." (Greinacher, 1985, S.50) Vor allem den letzten Satzteil halte ich für gefährlich.
Er könnte dazu verleiten zu schnell gewaltlose Aktionen für gescheitert zu erklären, um den bewaffneten Kampf zu rechtfertigen.
Trotz dieser Negativpunkt halte ich die Theologie der Befreiung für sinnvoll und auf Europa durchaus anwendbar.
Gerade heute im Zeichen hoher Arbeitslosenzahlen und zunehmender sozialer Verelendung könnte eine solche Initiative der Kirche eine Wende einleiten.
Und das würde allen zugute kommen.
7. Literaturverzeichniss
Boff, Clodovis (1986): Die Befreiung der Armen; Freiburg (Schweiz): Edition Exodus
Boff, L., Kern B., Müller A. (Hrsg.) (1988): Werkbuch Theologie der Befreiung; Düsseldorf: Patmos Verlag
Bonino, José Miguez (1977): Theologie im Kontext der Befreiung; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
Frieling, Reinhard (19842 ): Befreiungstheologien: Studien zur Theologie in Lateinamerika;
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
Greinacher, Norbert (Hrsg.) (1985): Konflikt um die Theologie der Befreiung; Köln: Benziger Verlag
Metz J.B., Rottländer P.(Hrsg.) (1988): Lateinamerika und Europa, Dialog d. Theologen;
Mainz: Matthias-Grünwald-Verlag; München: Kaiser-Verlag
Prien, Hans-Jürgen (Hrsg.) (1981): Lateinamerika: Gesellschaft-Kirche-Theologie Bd.2 Der Streit um die Theologie der Befreiung;
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
Häufig gestellte Fragen
Was ist der Inhalt dieser Hausarbeit über die Theologie der Befreiung?
Diese Hausarbeit gibt einen umfassenden Überblick über die Theologie der Befreiung in Lateinamerika. Sie behandelt die sozialen, ökonomischen und kirchlichen Voraussetzungen für ihre Entstehung, die Entwicklung der Theologie selbst, die Rolle der Basisgemeinden, die Kritik an der Theologie der Befreiung und eine persönliche Einschätzung ihrer Anwendbarkeit in der Zukunft.
Welche sozialen und ökonomischen Bedingungen führten zur Theologie der Befreiung?
Die Arbeit beschreibt die weitverbreitete Armut, Arbeitslosigkeit, Unterernährung und mangelhafte Gesundheitsversorgung in Lateinamerika Mitte der 1960er Jahre. Rassismus, Militärdiktaturen und die ungleiche Verteilung von Land und Ressourcen trugen ebenfalls zu den Bedingungen bei, die die Theologie der Befreiung beförderten. Die Kubanische Revolution von 1958 wird als wichtiger Impulsgeber für das Freiheitsdenken in Lateinamerika genannt.
Welche kirchlichen Veränderungen ermöglichten die Entstehung der Theologie der Befreiung?
Der Tod von Papst Pius XII. und die Amtszeit von Papst Johannes XXIII. leiteten eine Öffnung der katholischen Kirche ein. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) und das Programm des "Aggiornamento" führten zu Reformprozessen und einer Hinwendung der Kirche zu den Armen und Unterdrückten. Die Bischofskonferenzen von Medellin (1968) und Puebla (1979) trugen zur Entwicklung einer eigenständigen lateinamerikanischen Identität der Kirche bei.
Wie entwickelte sich die Theologie der Befreiung konkret?
Die Theologie der Befreiung entstand aus zwei Gruppen von Theologen, einer katholischen und einer protestantischen. Die katholische Gruppe, zu der Gustavo Gutierrez, Juan Luis Segundo und Segundo Galilea gehörten, wirkte innerhalb der Kirche. Die protestantische Gruppe, die in der Gesellschaft "Kirche und Gesellschaft in Lateinamerika" (ISAL) aktiv war, umfasste unter anderem José Miguez Bonino, Julio de Santa Ana und Richard Shaull. Die Gruppen unterschieden sich in ihrem Umgang mit Gewalt und Marxismus.
Was sind Basisgemeinden und welche Rolle spielten sie in der Theologie der Befreiung?
Basisgemeinden sind kleine Gemeinschaften von Gläubigen, die in Gebieten mit großer sozialer Not entstehen. Sie verstehen sich als "Kirche der Armen" und fördern die aktive Beteiligung der Gemeindemitglieder am kirchlichen Leben. Die Basisgemeinden treffen sich regelmäßig zum Gebet, Bibelstudium und zur Diskussion über ihre Lebensumstände. Sie engagieren sich auch in sozialen Projekten wie Alphabetisierungskampagnen und der Landlosenbewegung.
Welche Kritik wurde an der Theologie der Befreiung geübt?
Kritiker warfen der Theologie der Befreiung vor, auf marxistischen Ideen zu basieren und zum Klassenkampf aufzurufen. Carl Braaten fragte, ob das Heil des Menschen nicht unabhängig von seiner Gesellschaftsschicht erlangt werden könne. In vielen lateinamerikanischen Staaten, die die Ideologie der "nationalen Sicherheit" vertraten, wurden Theologen der Befreiung diskriminiert und verfolgt.
Ist die Theologie der Befreiung ein Modell für die Zukunft?
Die Hausarbeit schließt mit einer persönlichen Stellungnahme, die sowohl positive als auch negative Aspekte der Theologie der Befreiung hervorhebt. Einerseits habe sie die Armen erreicht und ihnen neue Perspektiven eröffnet. Andererseits bestehe die Gefahr, dass sich marxistische Elemente verselbstständigen und Gewalt als Mittel der Befreiung legitimiert werde. Trotz dieser Bedenken hält der Autor die Theologie der Befreiung für sinnvoll und auf Europa anwendbar, insbesondere im Hinblick auf die zunehmende soziale Ungleichheit.
Welche Literatur wurde für diese Hausarbeit verwendet?
Die Hausarbeit verweist auf verschiedene Werke zur Theologie der Befreiung, darunter Bücher von Clodovis Boff, José Miguez Bonino, Reinhard Frieling, Norbert Greinacher, J.B. Metz, Hans-Jürgen Prien und Hans Waldenfels.
- Quote paper
- Peter Mann (Author), 2000, Befreiungstheologie in Südamerika, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97496