Tanja Claus
Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen: Diskussion des Ansatzes "Akzeptierende Jugendarbeit"
Klaus Ness: Alles nur ,,Einzeltäter und verwirrte Jugendliche"?- Rechte Jugendszene, organisierter Neonazismus in Ostdeutschland.
Ausschreitungen gegen Asylbewerber
- Ausgangspunkte für eine massive Angriffswelle rechtsextremer Gewalt: Hoyerswerda (1991), Rostock (1992).
--> Diese Überfälle waren keine Nacht- und Nebelaktionen einiger weniger Jugendlicher, sondern wurden im Scheinwerferlicht der Fernsehkameras und unter Anfeuerungsrufen und Beifallklatschen eines großen Teils der Bevölkerung verübt.
--> Polizei und Grenzschutz wurden nicht Herr der Situation und mußten vor Angriffen kapitulieren.
--> Die rechten Randalierer hatten ihr Ziel erreicht: Hoyerswerda und Rostock- Lichtenhagen sind ,,ausländerfrei"!
Welchen Anteil an der Vorbereitung und dem Ablauf der Krawalle haben rechtsextreme und neonazistische Parteien und Organisationen neben dem großen Teil an diesen Ausschreitungen beteiligten Jugendlichen, welche sich selbst als rechtsorientiert begreifen und der Skin- Szene zurechnen?
Diskussion: Hat sich in der rechtsextremistischen Szene schon ein Netzwerk entwickelt, das gezielt Anschläge organisiert und durchführt und dabei die Einbeziehung von (noch) unorganisierten rechtsorientierten Jugendlichen betreibt?
- Nicht jede Gewalttat gegen Ausländer, Homosexuelle und Linke in ist in einer ,,Neonazizentrale geplant und politisch genau ,,vorbereitet",
- jedoch gibt es unter den Neonazis verstärkte Organisations- und Vernetzungsbemühungen. Diese Gruppen propagieren offen politische Gewalt, legen verstärkt Waffenlager an und können immer häufiger als organisierte Rechtsextreme als treibende Kräfte bei Überfällen auf Asylbewerbereinrichtungen identifiziert werden.
Rostock:
--> Die Angriffe auf die dortige Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber (ZAST) wurde in den ersten beiden Tagen hauptsächlich von Jugendlichen aus Rostock und der näheren Umgebung getragen.
--> Spätestens am dritten Tag waren auch rechtsextrem orientierte Jugendliche aus anderen Teilen der Bundesrepublik angereist- u.a. zahlreiche Mitglieder rechtsextremistischer Organisationen und Parteien.
--> Die Motivation war dabei sicherlich nicht nur die Lust am Krawall, sondern auch die Hoffnung, für ihre Organisationen neue Aktivisten zu werben.
-Anschließende Angriffe gegen Asylbewerbereinrichtungen in Cottbus, Eisenhüttenstadt, Quedlinburg, Wismar und zahlreichne anderen Orten zeigten, daß Rostock tatsächlich dieses ,,Fanal" wurde, das eine noch nicht absehbare Blutspur noch sich ziehen wird.
- Aktivisten aus dem Umfeld des mittlerweile an Aids verstorbenen Neonazi- Führers Michael Kühnen sehen ihre Chance, in Ostdeutschland Fuß zu fassen, neue Anhänger zu gewinnen, Massen zu mobilisieren und Sympathie für eine politische Bewegung zu gewinnen, die keinen Hehl daraus macht, daß sie sich in der Tradition der NSDAP sieht.
Aufbau von Kaderorganisationen in Deutschland
- Ostdeutschland ist für die militanten Neonazis schon seit langem ein interessantes Umfeld, um neue Anhänger zu gewinnen und ihre Organisationen zu stärken.
- Umfragen und Studien über die Einstellungen ostdeutscher Jugendlicher beweisen, daß die Zustimmung zu rechtsextremistischen, rassistischen Positionen weit verbreitet ist; es gibt kaum noch einen Ort/ Kreis in Ostdeutschland, in dem sich keine rechte Jugendclique mehr oder weniger lose zusammen geschlossen haben.
- Auffällig ist der sehr geringe Teil der Anhänger dieser Jugendgruppen in rechtsextremen oder neonazistischen Parteien- NPD; DVU oder Reps haben immer noch weit geringere Mitgliedszahlen als im Westteil der Republik.
- Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, daß viele Proteste durch gezielte rechtsextreme Propaganda geschürt worden sind (z.B. das Verteilen von ausländerfeindlichen Flugblättern in den Tagen vor dem Pogrom in Lichtenhagen durch die DVU).
--> Ziel:
- Nicht vorrangig, möglichst schnell viele Mitglieder zu werben, sondern
- Sie wollen schlagkräftige Kaderorganisationen aufbauen:
- Diese Parteigruppen arbeiten halbkonspirativ, sind aber in der Lage durch ihre Kader als Ideologieträger auf rechtsextrem orientierte Skinhead- Gruppen Einfluß zu nehmen und sie für ihre Zwecke zu instrumentalisieren- die Deutsche Alternative nahm z.B. ideologischen als auch logistischen Einfluß auf den Ablauf der Angriffe und Krawalle in Cottbus; die Angreifer verfügten über Funkgeräte, koordinierten danach ihre Angriffe und waren offensichtlich auch in der Lage, den Funkverkehr der Sicherheitskräfte abzuhören.
Die DA - ein Bindeglied zwischen Neonazis und rechter Jugendszene
DA:
- Deutsche Alternative;
- ein sich seit der Wende herausgebildete relativ große neonazistische Gruppierung der DDR bis zu ihrem Verbot am 10.12.1992 agierte;
- Bundesvorsitzender: Cottbuser Frank Hübner (zu DDR- Zeiten inhaftiert, wurde von der Bundesrepublik freigekauft, knüpfte dann im Westen Kontakte zu Gesinnungsgenossen, engagierte sich in Hessen in der FAP; nach der Wende etablierte Hübner in Cottbus einen Landesverband der im Westen gegründeten DA.
- Mitgliederzahl der DA: in der Cottbuser Region ca. 200 meist jugendliche Mitglieder.
- DA plant, an den nächsten Kommunalwahlen teilzunehmen.
- Viele Mitglieder wirken in rechten Jugendcliquen als Ideologieträger unter Jugendlichen, um für die neonazistische Bewegung zu werben und erfüllen dort ihren Kaderauftrag.
- Am 7. Juli 1990 führte die DA ihren ersten Landesparteitag in Kiekebusch bei Cottbus durch- in Anwesenheit eines erlesenen Kreises westdeutscher undösterreichischer Neonazis.
- Die DA ist eine von vielen Organisationen (nach außen legal gebärdend, intern aber kadermäßig organisiert) der Neonazis, die sich in Ostdeutschland etablierte: Nationale Alternative (NA), Nationaler Block (NB), Nationale Liste (NL), Deutsche Nationale Partei (DNP), Wotans Volk/ Deutsche Alternative:
- Das Netz zwischen diesen Gruppen ist sehr eng verwoben (gemeinsame Aktionen wie Aufmärsche oder Demonstrationen).
- Eine enge Zusammenarbeit mit der NA entwickelte die NL. Christian Worch aus Hamburg, der Begründer der NL trat damals als besonders aktiver Gruppengründer in Erscheinung.
- Die NA setzt sich zusammen aus ostdeutschen rechtsextremistischen Aktivisten, die sich schon aus Gefängnissen der DDR kennen und ,,Nachwuchs- Neonazis", die ihr rechtes Coming- Out erst nach der Wende hatten.
Das Netzwerk der Neonazis
- die Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front
- Dieöffentlichkeit soll im Unklaren gelassen werden, welche engmaschigen Verbindungen die Neonazis mittlerweile zwischen den verschiedenen Aktionsgebieten sowohl in West- als auch in Ostdeutschland geschaffen haben.
- Beim Verbot einer Organisation oder Partei steht sofort eine ,,Alternativorganisation" zur Verfügung, die eine Fortsetzung der Aktivitäten erlaubt.
- Zusammengehalten werden die Netze neonazistischer Organisationen von der Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF - eine ,,Gemeinschaft von überzeugten und bekennenden Nationalsozialisten, die die Überwindung des NS- Verbotes und die Neugründung der NSDAP als legale Partei" anstrebt."); die deutschen Neonazis unterhalten auch intensive Kontakte zu Gesinnungsfreunden in anderen Ländern.
Die jugendkulturelle Modernisierung der Neonazis
- Für die Reps, die DVU und der NPD in Ostdeutschland bleibt oftmals nur die Funktion des Durchlauferhitzers für militante und aggressiv auftretende Gruppen der Neonaziszene übrig.
- Der Grund hierfür:
- die- im Hinblick auf die Wahlerfolge- bemüht legalistische und auf eine wachsende,öffentliche Reputation bedachte unattraktive Außendarstellung für Jugendliche;
- auch das Parteileben orientiert sich weniger an den Bedürfnissen der Jugendlichen- lediglich Lamentieren über die ,,verlorenen Ostgebiete und die wachsende Ausländerflut und Betätigung als Konsument von Freys NS- Devotionalienhandel.
- Die DA und verwandte Gruppen bieten hingegen z.B.:
- aktives Handeln gegen Ausländer;
- Parteileben inclusive feucht- fröhlichen ,,Kameradschaftsabenden";
- gemeinsame Besuche von ,,Oi- Konzerten" mit in der Szene so beliebten NeonaziMusikgruppen wie Landser, Stö rkraft oder den Bö hsen Onkelz.
--> Insbesondere in Ostdeutschland hat sich die organisierte Neonaziszene jugendkulturell modernisiert und aufgerüstet und dabei auch nicht auf Anleihen der linken Szene verzichtet:
- Neonazis besetzen Häuser,
- probieren alternative (völkische?) Wohnformen aus;
- bei Demonstrationen werden ,,Ermittlungsausschüsse" eingerichtet, um Übergriffe von Linken und Polizei zu dokumentieren;
- mit der Hilfsgemeinschaft Nationaler Gefangener (HNG) haben sie ein braunes Gegenstück zur Roten Hilfe gegründet, um ihren im Gefängnis gelandeten Gesinnungsfreunden Unterstützung zukommen zu lassen.
Rechtsextreme als ,,Sozialarbeiter" für Neonazis?
- Eigene Jugendtreffs für rechtsorientierte Jugendliche:
- Ziel der Jugendlichen:
- eigene ,,befreite Räume" zu schaffen,
- dient der Festigung der eigenen Gruppenstruktur,
- ungestört vor Linken,
- können ihre Musik hören.
- Ziel der pädagogischen Arbeit:
- Nicht, den einzelnen den Beziehungsprozessen auszusetzen und ihn dadurch als Individuum zu stabilisieren, zu einem Selbstbewußtsein verhelfen, das es ihm ermöglicht, Alternativen zu gewalttätigen Verhalten einer Gruppe zu erkennen,
- sondern die gleichgesinnte Bezugsgruppe zu stabilisieren.
--> Also: einen Sozialarbeiter beschäftigen, der die Gruppe ideologisch unterstützt; dieser aus Mitteln der Kommune oder des Bundes finanzierten SozialarbeiterInnen wird damit quasi Organisator der Gruppe- im Extremfall zum ,,staatlich finanzierten Parteisekretär der Neonazis".
--> Vorteil: Die Bewährung diesen Konzeptes soll dazu führen, daß sie von der DA bereitwillige Unterstützung finden (viele ihrer Kader sind bestimmt bereit, als ,,Sozialarbeiter" an der ,,Stabilisierung" rechtsextremer Jugendgruppen mitzuarbeiten); Überlegung einer Schaffung einer neuen, treffenden Begrifflichkeit für ihre berufliche Tätigkeit durchsetzen: Nationalsozialarbeiter !
- Kommunalpolitiker und Sozialpädagogen dazu:
--> Auf der einen Seite steht offene Ablehnung, da die Befürchtung besteht, daß den rechtsorientierten Jugendlichen damit eine Möglichkeit gegeben wird, an ihrer Orientierung festzuhalten, neue Anhänger zu gewinnen und sie damit quasi ,,staatlich anzuerkennen".
--> Auf der anderen Seite hat dieses Ansinnen für viele Kommunalpolitiker auch eine gewisse Attraktivität:
- Jugendgruppen, die bisher ,,auf der Straße sitzen", an Bushaltestellen und anderen informellen Treffpunkten herumhängen und dadurch ständig in deröffentlichkeit Anstoß erregen, bieten an, sich aus dem Blickfeld zurückzuziehen und sich in geschlossenen Räumen zu treffen.
--> In der Sozialarbeit wird seit einiger Zeit unter dem Stichwort Akzeptierend Jugendarbeit ein neuer Ansatz für die pädagogische Arbeit mit rechten Jugendcliquen diskutiert:
- Dieser Ansatz geht davon aus: die bisherige Reaktion der Sozialarbeit der Ausgrenzung und des moralisierenden Zeigefingers gegenüber rechtsorientierten Jugendlichen sei nur ein ,,hilfloser Antifaschismus" gewesen, der die Attraktivität rechter Ideologien unter Jugendlichen eher erhöht als verringert hat.
- Akzeptierende Jugendarbeit fordert: keine Ausgrenzung aus Jugendzentren und keine Unterziehung einer ständig moralisierenden antifaschistischen Agitation von Skins und anderen Jugendlichen- die Jugendlichen anzunehmen und ihre Probleme ernst zu nehmen; die Annahme des Einzelnen.
- SozialarbeiterInnen verdeutlichen zwar, daß sie ihre Einstellung nicht teilen, aber auch darauf verzichten, das Abschwören von der rechten Einstellung von den Jugendlichen als Vorbedingung für die individuelle Hilfe zu verlangen.
--> ,,Grundgedanke der Akzeptierende Jugendarbeit ist, daß sich in den Personen von SozialarbeiterInnenn sehr unterschiedliche, ja gegensätzliche Wertorietierungen, Deutungsund Handlungsmuster begegnen." Es geht dabei ,,um das Akzeptieren des Andersseins, um einander Zuhören, Verstehen und Ernstnehmen". Erst aus solchen ,,Erziehungsprozessen können und sollen Veränderungen erwachsen, die mit Aufklärung, Belehrung oder mit Bestrafung nicht zu erreichen wäre." (Krafeld. In: Tagesspiegel).
- Ein Wildwuchs von unterschiedlichen Konzeptionen hat sich im Laufe der Zeit entwickelt, deren wesentlicher Unterschied sich an den eingesetzten SozialarbeiterInnen festmacht. · Erfolge dieser Konzepte:
- Rechtsextreme Jugendliche gewinnen Vertrauen zu den SozialarbeiterInnen;
- sind bereit, sich auf angebotene Lösungsansätze für ihre Probleme einzulassen;
- lösen sich nach und nach aus den scheinbar festgefügten Gruppenstrukturen.
Was tun?
- Organisationen und Parteien wie die DA, die DNP, die NF, die FAP und andere müssen verboten werden.
- Ein Verbot und eine konsequente juristische Verfolgung der Kader dieser Organisationen ist auch dringend geboten, um ihre Agitation unter den rechtsorientierten Jugendlichen, die noch nicht über ein geschlossenes Neonazi- Weltbild verfügen, zu behindern.
- Die Verhinderung der ideologischen Aufrüstung der rechtsorientierten Jugendlichen ist eine notwendige Voraussetzung, um überhaupt noch Anknüpfungspunkte für eine pädagogische Arbeit mit ihnen zu finden. Diese pädagogische Arbeit, die sicherlich auf ihren Überlegenheit demonstrierenden moralischen Zeigefinger verzichten muß, wird diese Jugendlichen als Individuen mit ihren Ängsten und Sorgen ernstnehmen und ihnen konkrete Unterstützung für ihre Probleme und Alltagssorgen anbieten müssen.
--> Jegliche pädagogische Arbeit kann nur so gut sein wie es die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zulassen.
- Dramatische Änderungen in fast allen Lebenslagen (Versperrung der Aussicht auf einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz, das Nehmen der Hoffnung auf einen eigene Wohnung, also die Sperrung des Zugangs in die Gesellschaft) führen bei vielen Jugendlichen zu einer wachsenden Orientierungslosigkeit, die sich in bewußten und unbewußten Ängsten äußert.
--> Wenn Jugendlichen in unserer Gesellschaft- besonders in Ostdeutschland- keine materielle und geistige Perspektive angeboten werden kann, wie sie ihr Leben selbstverantwortlich gestalten können, werden Neonazis mit ihren konkreten Feindbildern und identitätsstiftenden Handlungen in Zukunft leichtes Spiel haben.
- Arbeit zitieren
- Tanja Claus (Autor:in), 2000, Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen: Diskussion des Ansatzes "Akzeptierende Jugendarbeit", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97453
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