Georg Trakl (1887-1914) wurde knapp 100 Jahre später geboren als Joseph von Eichendorff (1788-1857). Während Trakl, ein Militärapotheker, seinem Leben schon mit 27 Jahren ein Ende setzte, lebte Eichendorff bis ins Rentenalter von 69 Jahren. Der studierte Jurist Eichendorff gilt als einer der bedeutendsten Lyriker der deutschen Romantik, obwohl auch das Interesse an Trakl bis in die Gegenwart immernoch zunimmt.
Trakl galt Zeit seines Lebens als verhaltensgestörter, drogenabhängiger und depressiver Mensch, der vor allem mit dem ausbrechenden 1. Weltkrieg nicht fertig wurde und an einer Überdosis Kokain starb. In seinen Werken stellt er gegensätzlich die Schönheit der Welt und düstere Verzweiflung mit Vorahnungen kommender Katastrophen dar.
Eichendorff, ein vehementer Gegner des Fortschritts und auch Endzeitpessimist, sucht dagegen in der Schönheit der Natur Trost und Entspannung und flüchtet sich in sie. Beide haben Sehnsucht nach einer heilen Welt und erkennen diese in der Natur; Eichendorff erhält dadurch Lebensmut, Trakl verzweifelt, vor allem auch geprägt durch den Kriegsausbruch am Leben.
Gliederung
Georg Trakl (1887-1914) wurde knapp 100 Jahre später geboren als Joseph von Eichendorff (1788-1857). Während Trakl, ein Militärapotheker, seinem Leben schon mit 27 Jahren ein Ende setzte, lebte Eichendorff bis ins Rentenalter von 69 Jahren. Der studierte Jurist Eichendorff gilt als einer der bedeutendsten Lyriker der deutschen Romantik, obwohl auch das Interesse an Trakl bis in die Gegenwart immernoch zunimmt. Trakl galt Zeit seines Lebens als verhaltensgestörter, drogenabhängiger und depressiver Mensch, der vor allem mit dem ausbrechenden 1. Weltkrieg nicht fertig wurde und an einer Überdosis Kokain starb. In seinen Werken stellt er gegensätzlich die Schönheit der Welt u8nd düstere Verzweiflung mit Vorahnungen kommender Katastrophen dar. Eichendorff, ein vehementer Gegner des Fortschritts und auch Endzeitpessimist, sucht dagegen in der Schönheit der Natur Trost und Entspannung und flüchtet sich in sie. Beide haben Sehnsucht nach einer heilen Welt und erkennen diese in der Natur; Eichendorff erhält dadurch Lebensmut, Trakl verzweifelt, vor allem auch geprägt durch den Kriegsausbruch am Leben. Historisch ist Eichendorffs Schaffensperiode Romantik (1795-1835) von den Befreiungskriegen gegen Napoleon geprägt. Auch die menschenfeindlichen Züge des aufkommenden Kapitalismus erschütterten die Welt der Romantiker. Sie flüchteten sich unter anderem aus der Wirklichkeit der sozialen Mißstände, die die Industrielle Revolution hervorbrachte. Fluchträume, uns somit Themen ihrer Dichtung, waren die Partnerschaft mit geliebten Menschen, die Familie und Natur, die christlich-mittelalterliche Mythenwelt sowie der Glaube an Gott. Die Romantiker orientierten sich auf die Welt der Gefühle und der Phantasie. Ihr Anliegen war, den Menschen zu tiefem Naturerleben zu befähigen. Der Expressionismus (1910-1925), Trakls Schaffensepoche, entstand vor dem Krisenbewußtsein vor 1914 und der Krise des 1. Weltkrieges selbst und war keine Flucht. Gefühle spielten eine wichtige Rolle, jedoch eher Negative. Die Expressionisten wollten den Menschen im Mittelpunkt darstellen, von Ängsten geschüttelt, auf Erneuerung hoffend, Mitmenschlichkeit suchend. Lyrik war vor allem Ausdruck der Konfrontation mit dem Grauen. Aus meiner Sicht ist die Romantik sowie der Expressionismus von intensiven Gefühlen geprägt, den Veränderungen der Zeit entsprechend vor allem negative Emotionen und Stimmungen. Im folgenden möchte ich nun Trakls Gedicht "Verfall" (1914) interpretieren und analysieren und Eichendorffs "Der Abend" vergleichend heranziehen. In Trakls "Verfall" schildert der Autor einen Abend im Herbst, die Vögel ziehen schon Richtung Süden. Das Lyrische Ich, welches meiner Meinung nach Georg Trakl ist, spaziert in der Natur, ist in Gedanken jedoch bei den Vögeln, die der drohenden Kälte des Winters entfliehen. Doch auf einmal überfällt das Lyrische Ich ein Angstschauer, er sieht die kahlen Bäume der Wirklichkeit und fühlt die Kühle des Herbstes. Der Text sagt also aus, daß das Lyrische Ich nicht an dem Ort bleiben möchte, wo es ist, da es sich vom kommenden Winter bedroht fühlt. Glasklar wird hier schon, daß sich Georg Trakl vor dem 1. Weltkrieg, der ja 1914 ausbrach, sehr fürchtete, er hatte apokalyptische Vorahnungen, die sich ja auch bewahrheiteten. Wie in vielen Trakls späterer Gedichte ist auch in "Verfall" eine äußerst ausgeprägte Lebenssehnsucht erkennbar, und zwar in den ersten beiden Strophen, die jeweils vier Verse haben. Die letzten beiden Strophen, bestehend aus je drei Versen, lassen dagegen eine tiefe Verzweiflung erkennen. "Verfall" ist also ein Sonett. Solch eine Gedichtform soll eine deutliche inhaltliche Zweiteilung veranschaulichen, daher ist das Sonett eine wichtige Form der Gedichte im Expressionismus.
Das Reimschema des Sonetts lautet in den Quartetten abba und in den Terzetten cdc dcd, also ein klassisches Sonett. Die Reime aa ("läuten" - "Weiten") sind nicht rein, alle anderen sind rein. Auffällig ist auch, daß der Titel "Verfall" mit den ersten beiden Strophen inhaltlich nichts zu tun hat, dafür die Gesamtaussage des Gedichts und Trakls seelische Verfassung am passendsten beschreibt. Nun komme ich zur Analyse der einzelnen vier Strophen: Die erste Strophe ist ein ganzer Satz. Trakl drückt seine Stimmungen und Gefühle darin noch mit relativ verständlichen Bildern aus, was in den folgenden Strophen schon schwieriger zu interpretieren ist. Personifizierungen wie "Glocken", die "Frieden läuten" sollen verdeutlichen, daß am Abend eine gewisse Beruhigung unter den Menschen eintritt, die auch wünschenswert für den Autor ist. Dieser beobachtet an diesem Herbstabend die Vögel, die frei gen Süden fliegen, "gleich frommen Pilgerzügen". Diese Personifizierung der Vogelschar soll vielleicht bedeuten, daß sich Trakl viele Menschen wünschte, die damals 1914 vor dem Krieg flüchten, weit weg wollten, damit er nicht allein ist mit seiner Angst. Aber die Masse freute sich damals. Davon träumt Trakl, wenn er die Vögel beobachtet. Die zweite Strophe sind zwei Sätze, in denen die sprachlichen Bilder schon schwieriger zu verstehen sind. Der Autor geht am Abend durch "dämmervolle Garten", also durch die Natur, vielleicht auch wirklich einen Garten. Dabei träumt er "nach ihren helleren Geschicken", also wie das alles wohl am Tag aussieht, wenn es lichter ist. Dabei fühlt er, daß die Nacht kommt, "die Stunden Weiser". Damit fühlt Trakl, glaube ich, daß er nicht mehr lange Zeit hat, daß er nicht mehr lange lebt. Damit will er wohl auch seinen Selbstmord ankündigen, den er schon mit dem Titel des Gedichts "Verfall" begründet. Er befindet sich also in tiefer seelischer Zerrüttung. Er schließt sich jetzt jedoch wieder den Vögeln an, folgt ihnen in Gedanken über den Wolken. Die dritte und vierte Strophe werde ich nun zusammen analysieren: Der erste Vers ist ein ganzer Satz. Trakl spürt auf einmal eine Veränderung, einen "Hauch von Verfall" überfällt ihn und macht ihm Angst. "Verfall" drückt für mich eine wirklich depressive Stimmung aus. Aus eben noch einem wundervollen Traum ist auf einmal tiefe Verzweiflung geworden, die bis zum Schluß des Gedichts anhält. Auf einmal sieht Trakl nicht mehr die schönen Vögel, sondern eine Amsel, die im kühlen Herbst in ""entlaubten Zweige" daheim bleiben muß. Ich denke, daß die Amsel ein Synonym für Trakl selbst ist, er kann ebenfalls nicht weg und sieht sein Ende schon im kalten Winter, er wird auch sterben wie die Amsel, die jetzt schon klagt. In Vers 10 wird Trakls Verzweiflung und seine apokalyptischen Vorahnungen noch deutlicher: Der "rote Wein an rostigen Gittern", der schwankt, steht meiner Meinung nach für den drohenden Krieg, der "rot", also blutig und mörderisch sein wird, vor allem für Trakl als Militärapotheker. Die "rostigen Gitter" sollen vielleicht die Schäden darstellen, die dieser Krieg hinterlassen wird, oder Trakl drückt damit seine seelische Verfassung aus: Er fühlt sich wie eingesperrten einer Welt, in der er nicht sein möchte, weil er den Krieg nahen ahnt. Aber Trakl weiß schon, wie er entbricht, nämlich mit Selbstmord, so daß er bewußt das Adjektiv rostig gewählt hat. Das wäre eine zweite Interpretationsmöglichkeit von diesen schwer deutbaren Bildern. Der dritte Vers der dritten Strophe bildet einen Zusammenhang mit der vierten und letzten Strophe, er ist durch ein Komma mit ihr verbunden. In der letzten Strophe nun sind alle Satzanfänge klein geschrieben, und die sprachlichen Bilder werden immer düsterer und schwieriger zu verstehen, was die tiefe seelische Zerrüttung Trakls verdeutlicht. Er sieht Kinder, die um einen Brunnen an den Händen gefaßt tanzen, beschreibt dies aber als deren "Todesreigen". In diese Vorausdeutung fließen wieder seine apokalyptischen Vorahnungen ein, daß diese Kinder wohl nicht mehr viel zu lachen haben und bei dem Krieg, der so grausam wird, sterben werden. Die "dunklen Brunnenränder" stehen für den Tod, denke ich. Die Kinder tanzen um den Tod, wissen es nur nicht oder lassen sich von seinem verwitterten Aussehen täuschen. Vielleicht meint Trakl damit auch die Euphorie, die vor Kriegsausbruch durch raffiniert propagierten Nationalismus geschürt wurde und die Menschen verblendete. Viele zogen mit Freude in den Krieg, Trakl dagegen hatte mörderische Angst davor. Genau deshalb wird er sich auch allein gefühlt haben und letztendlich am Leben in einer kriegsbegeisterten Masse verzweifelt sein. Im letzten Vers bezieht sich Trakl noch einmal auf die Natur, nämlich auf "blaue Astern", die sich jedoch in der Kühle des Herbstes "im Wind ... fröstelnd ... neigen". Sowie die Amsel, die klagt, sind auch die Astern ein Synonym für Trakl selbst. Astern sind fast die einzigen Blumen, die schön farbig im Herbst blühen, sie sind also auch gewissermaßen allein. Wenn man sich als Mensch allein fühlt, friert man auch oft, und so geht es den Astern wie Trakl. Durch diese Aneinanderreihung von Bildern, mit Hilfe von Metaphern ( "Brunnenränder" für Tod), Symbolen ("rot" für Schmerz, Gefahr), Personifizierungen und Attributen ("klare Weiten", "dämmervolle Gärten"), entsteht beim Leser (nach mehrfachem Lesen) eine gewisse Grundstimmung. Die Bilder scheinen isoliert zu stehen, aber im Gesamtgefüge der Strophen weisen sie über sich hinaus. Schon durch den Titel "Verfall" erhält das Gedicht eine negative Grundstimmung, die sich zum Ende des Gedichts erschütternd bewahrheitet. Die Bilder wandeln sich von schön zu ängstlich, was sich auch in der Benutzung von verschiedenen Wörtern in den Quartetten und Terzetten zeigt: "Positive" Wörter wie "Abend", "Frieden", "wundervollen", "frommen", "klaren" und "helleren" in den Quartetten geben die Natur als schön wieder und stehen für Trakls Lebenssehnsucht. "Negative" Wörter in den Terzetten wie "Verfall", "erzittern", "klagt", "entlaubt", "rostig" und "Todesreigen" zeigen dagegen die Verzweiflung Trakls auf. Georg Trakl wollte mit diesem Gedicht sich einfach nur ausdrücken, wie er fühlt, von welcher Angst er zerrüttet wird. Vielleicht wollte er sich damit auch von der kriegsbegeisterten Masse distanzieren. Wahrscheinlich ist auch, daß er unter dem Einfluß von Kokain Wahnvorstellungen hatte und dieses Gedicht geschrieben hat. Aber egal au8s welchem Grund er es geschrieben hat, seine düsteren Vorahnungen einer kommenden Katastrophe haben sich ja im 1.Weltkrieg bewahrheitet, und gerade deshalb kann man ihn nicht als unbedeutsamen Lyriker unter Drogeneinfluß abtun, sondern ihn als ernstzunehmenden Expressionisten verstehen, der Respekt verdient hat. Als scheinbares Gegenstück möchte ich nun Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu Eichendorffs "Der Abend" gegenüberstellen und werten. Ein deutlicher Unterschied ist schon einmal der Titel des Gedichts. Während beide über das Thema Abend dichteten, ist dieser bei Eichendorff eher zu erkennen als bei Trakl. "Der Abend hat nur eine Strophe und es ist ein verschränkter Reim (abbabba) in den 7 Versen zu erkennen. Eichendorff wählte bewußt eine unkonventionelle, regellose Form, was Merkmal der Romantiker ist. Auch hat sein Gedicht einen volksliedhaften Charakter, worauf unter anderem das Metrum, der Trocheus, schließen läßt. Im Gegensatz zu Trakls Werk benennt Eichendorff die Gefühle direkt mit "linde Trauer" oder "leise Schauer", was sein Gedicht leichter zu verstehen macht. Auch beschreibt Eichendorff den Abend positiv, ohne irgendwelche negativen Assoziationen. Gemeinsam haben beide Dichter, daß sie auf die Natur ihre Sehnsucht nach einer heilen Welt übertragen. Eichendorff kann sich an ihr halten, Trakl nicht. Für Eichendorff war die Natur ein Ort der Zuflucht, um aus dem bürgerlichen Alltagsleben zu fliehen. Auch ist sie die Welt der Wunder Gottes, was auch in "Rauscht die Erde wie in Träumen zum Ausdruck kommt. Auch ist die Natur für den Romantiker ein trostspendender Lebensraum, in dem man sich auch gern mal an "Alte Zeiten" erinnert, an verflossene Liebe und ähnliches. Trakl dagegen besitzt noch keine so schönen Erinnerungen, weil er wesentlich jünger ist als Eichendorff. Wahrscheinlich hat Trakl auch nicht viele schöne Sachen erlebt, er soll ja sehr menschenscheu gewesen sein. Überhaupt ist die Sprache Eichendorffs viel gefühlsbetonter, die sprachlichen Bilder rufen beim Leser eine wundervolle Welt hervor, was bei Trakl genau daß Gegenteil ist. Eichendorffs enthusiastisches Gedicht ist beinahe eine "Hymne an den Abend". Eichendorff beschreibt auch eher die Gefühle eines Augenblicks, die wirklich nicht jeder so in Worte fassen kann ("rauscht", "schweifen", "Schauer"). Diese höchsten Emotionen faßt Eichendorff in Worte ohne ein Lyrisches Ich zu benennen, was die Allgemeingültigkeit dieses Abends verdeutlichen soll. Auch ich habe schon viele wundervolle Abende mit Sonnenuntergängen erlebt, mir fiel jedoch immer nur "schön" dazu ein, Eichendorffs Worte drücken jedoch das aus, was ich an solchen Abenden fühle. Diese Wirkung auf den Leser wollte Eichendorff damit sicherlich auch erzielen. Der volksliedhafte Charakter seines Gedichts soll eben auch die Gefühle eines Volkes am Abend vermitteln. Trakl dagegen hat seine individuellen Gefühle in "Verfall" ausgedrückt, sehr wenige seines Volkes hatten 1914 die Angst, von der Trakl befallen war. Auf den ersten Blick spricht mich Eichendorffs Gedicht mehr an als Trakls, weil es einfach verständlicher ist und eine positivere Stimmung ausstrahlt. Interessanter finde ich jedoch "Verfall", weil es eine Seele in tiefster Not darstellt, was durch die bereits genannten komplexen Ursachen in der Umwelt des Autors begründet ist. Das Naturbewußtsein der Menschen heute schätze ich als genauso ein, jedoch ist man heute darauf bedacht, die Natur zu schützen, um sie schön zu erhalten, was meiner Meinung nach eher nicht gelingt. Auch ist man heutzutage, bedingt durch technischen Fortschritt und die daraus folgende Bequemlichkeit, nicht mehr soviel in der Natur, wie noch zu Lebzeiten beider Autoren. Ich selbst versuche so oft es geht ein bißchen Zeit z. B. bei einem Sonnenuntergang auf den Hochkippen zu verbringen, weil solche Momente einfach unter die Haut gehen und das Leben lebenswert machen.
- Arbeit zitieren
- Andrea Günzel (Autor:in), 2000, Gedichtvergleich Georg Trakl "Verfall" und Joseph Freiherr von Eichendorff "Der Abend", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97385
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