Gersfeld - Eine Siedlung im ländlichen Raum
1. Einleitung
Diese Arbeit soll sich mit den siedlungsgeographischen Grundmerkmalen der Stadt Gersfeld / Rhön auseinandersetzen. Zum besseren Verständnis der Gemeindeentwicklung wird eingangs auf die historischen und soziokulturellen Grundaspekte des Ortes Gersfeld und der ihn umgebenden Region eingegangen. Dies ist besonders wichtig, um historisch begründete Entwicklungsinterdependenzen aufzuzeigen die in ihrer Wirkung teilweise bis heute fortbestehen und aus siedlungsgenetischer Perspektive deutliche Prägungen hinterlassen haben. Des weiteren wird eine räumliche Einordnung vorgenommen. Auf der Basis von Zahlen, Daten und Fakten soll die Gemeinde Gersfeld in ihren grundsätzlichen Größen beschrieben werden. Auch eine kurze Betrachtung der naturräumlichen Voraussetzungen soll hier eingeschlossen werden. Ein Schwerpunkt wird auf der Beschreibung und Begründung der, das Ortsbild prägenden Siedlungs-, Gehöft- und Gebäudeformen liegen. Auch die Ortsteile werden dabei einer Analyse unterzogen. Von besonderer Bedeutung ist für Gersfeld, mit seiner Lage in relativ dünn besiedeltem Raum, der Aspekt der Verkehrsanbindung. Hier soll auf die heutige Verkehrssituation, die bestehenden Probleme und Chancen eingegangen werden, um darauf aufbauend Aussagen über Gesichtspunkte des Fremdenverkehrs treffen zu können. Anhand der vorigen Kapitel und unter Betrachtung der Wirtschaftsstruktur Gersfelds soll der Frage nach der Zentralität des Ortes nachgegangen werden. So weit es in der kürze dieser Arbeit möglich ist, soll der Versuch unternommen werden Entwicklungstendenzen aufzuzeigen, die die Rahmenbedingungen der zukünftigen Einflussfaktoren der Gemeinde darstellen.
2. Hauptteil
2. 1. Geschichte
Die Geschichte der Rhönbesiedelung ist wesentlich bestimmt durch die geographischen, wirtschaftlichen und vor allem politischen Verhältnisse in der Rhön. Grundsätzlich orientierte sich die Besiedelung des Landes weitgehend an den geographischen Gegebenheiten des Gebirges. So wurden die orographisch gemäßigten Zonen früher und häufiger erschlossen als die höher gelegenen Regionen. Gleichzeitig spielten aber auch die Machtansprüche der jeweils sich etablierenden Herrscher eine herausragende Rolle. Sie prägten das Siedlungswesen in der Rhön nachhaltig, so dass die heute noch vorhandenen Siedlungsformen vielfach auf staatsgeschichtliche Faktoren zurückzuführen sind.1 Dazu sind die drei Schlösser mit Schlosspark, im Kernbereich Gersfelds, aber auch Streusiedlungen und Einzelhöfe zu zählen. Neben den größeren Herrschaftsgebilden gelang es seit dem späten Mittelalter zunehmend auch kleineren Adelsgeschlechtern, selbständige, relativ unabhängige Machtbereiche aufzubauen. In den Jahren 1402 und 1428 übertrug das Hochstift Würzburg den ursprünglich fuldischen Ort Gersfeld mit seiner Wasserburg den Herren von Ebersberg (genannt von Weyhers) als Lehen. Damit war Gersfeld dem Einfluss Fuldas verlorengegangen. Indem der Adel im Zuge der Reformation die Religionshoheit für sich reklamierte, konnte er seine landeshoheitlichen Rechte vervollkommnen und er gewann ein entscheidendes Stück Selbständigkeit. Als einst ritterschaftliches Gebiet ist Gersfeld und das dazugehörige Umland „bis heute evangelisch in einem überwiegend katholischen Umfeld geblieben“2. Zum besseren Verständnis der Herausbildung gegenwärtiger Dorfstrukturen ist es deshalb erforderlich, zunächst einen Blick auf die Siedlungsgeschichte zu werfen. An der Frühneuzeitlichen Rekultivierung um Gersfeld ab dem 16. und 17. Jahrhundert hatten die Herren von Ebersburg - aus fiskalischen Gründen - entscheidenden Anteil.3 Im 18. und 19. Jahrhundert fanden demgegenüber kaum noch Ortneugründungen statt. Die gewachsenen Siedlungsbilder erfuhren lediglich eine gewisse Ausweitung und Verdichtung. Entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung und Anordnung der Wohnanlagen übten die Gersfelder Stadtbrände von 17564 und 18145 und mehrere Einzelbrände in den heutigen Ortsteilen aus.
Nach der Verweltlichung der geistlichen Fürstentümer unter Napoleon in den Jahren 1802/03 und danach mehrmals wechselnder Landeszugehörigkeit, fiel das ehemalige Hochstift Fulda 1816 an Kurhessen. 1866 geriet Kurhessen, und damit auch der hessi-sche Teil der Rhön, unter preußische Herrschaft. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges fand schließlich eine erneute Aufteilung statt. Durch die Abschottung der sowjetischen Besatzungszone vom westlichen Teil Deutschlands erfuhr die Gemeinde bis 1989 eine starke „Peripherisierung“6. Staatliche Subventionen konnten die wirtschaftlichen Ungunstfaktoren nur teilweise kompensieren. Auch nach der Grenzöffnung zeichnet sich die Rhön noch heute als dreigeteiltes Grenzgebiet der Bundesländer Hessen, Thüringen und Bayern aus.
2. 2. Lage im Raum
Gersfeld liegt auf 50 Grad, 27 Minuten, 3 Sekunden nördlicher Breite und 90 Grad,55 Minuten, 9 Sekunden östlicher Breite im Zentrum der Rhön. Als Teil der mitteldeutschen Gebirgsschwelle vermittelt die Rhön zwischen Thüringer Wald,Spessart, Vogelsberg, Mainfranken und Nordhessischem Bergland. Als vulkanisch beeinflusste Triaslandschaft ist die Kuppenrhön einem Sockel aus Buntsandstein durch vulkanisch- magmatisches Geschehen aufgesetzt. Diese Kuppen sind meist bewaldet, während das flachwellige Umland durch landwirtschaftliche Nutzung weitgehend freigehalten ist. Die Menschen siedeln hier eher verstreut in kleinen Dörfern, Weilern und Einzelgehöften. Das Hochrhönmassiv als waldarmes,siedlungsfeindliches Hochplateau erreicht im Mittel Höhenlagen von 800 m ü. N. N. und erhebt sich stellenweise über 900 m (Wasserkuppe 950 m ü. N. N.). Der Wald beschränkt sich - von Aufforstungsinseln aus jüngerer Zeit abgesehen - im wesentlichen auf Talschluchten und steilere Hänge. Annähernd der Wasserscheide von Rhein und Weser folgt die Rhöner Mundartgrenze, die das Hessische vom Ostfränkischen als Teil der Grenze zwischen nord- und süddeutschem Sprachraum trennt.7 In diesen und anderen Sprachkontrasten spiegeln sich noch die mittelalterlichen Herrschaftsverhältnisse, die Buchonien8 in zwei große Kulturräume schieden, die Territorien der Abtei Fulda und des Bistums Würzburg. Gersfeld hat eine Fläche von 89,37 Quadratkilometern die sich zwischen 371m ü. N. N. und 950 m ü. N. N. erstreckt. Es wird von Bergen halbkreisförmig umschlossen. Da diese schon der Hohen Rhön als naturräumliche Einheit zugeordnet werden müssen, liegt die Gemeinde genau an der Grenze zweier naturräumlicher Einheiten.9 Bei der heutigen Zahl von 6379 Einwohnern ergibt sich eine Bevölkerungsdichte von 71 Einwohnern je Quadratkilometer. Der Kurort liegt in dem nach Südwesten gerichteten Fuldatal inmitten des UNESCO- Biosphärenreservats Rhön. Durch die Gemeindegebietsreform wurden 1971/72 die Orte Altenfeld, Dalherda, Gichenbach, Hettenhausen, Maiersbach, Mosbach, Obernhausen, Rengersfeld, Rodenbach, Rommers, Sandberg und Schachen nach Gersfeld eingemeindet.10 Die Mehrzahl der Ortsteile liegen am Rande der Talsohlen oder an Einmündungen von Seitentälern. Mit über einem Drittel ( 34,7% ) nimmt der landwirtschaftlich genutzte Bereich mit hohem Grünlandanteil große Flächen der mittleren Höhenlagen in der Gemarkung ein. Auch die Waldfläche hat große Gebietsanteile ( 37,9% der Gemarkungsfläche), die sich allerdings auf die relativ ortsfernen Hang- und Hochlagen beschränken.11 Fulda bildet mit ca. 60 000 Einwohnern als Kreisstadt das Oberzentrum der Region. Es liegt im Regierungsbezirk Kassel des Bundeslandes Hessen. Trotz der insgesamt zentralen Lage in Deutschland liegt Gersfeld weitab der Ballungszentren.
2.3. Grund und Aufriss
2.3.1. Heutiges Ortsbild und Schritte der Siedlungsentwicklung
Der historische Ortskern der Stadt Gersfeld liegt sowohl nördlich als auch südlich des Flusslaufs der Fulda. Dazu lässt sich der in unmittelbarer Nähe liegende Schlossparks mit den ehemals herrschaftlichen Gebäuden zählen12. Von diesen hat, neben der Rokokokirche13, zweifellos das fünfstöckige Barockschloss14 die prägendste Wirkung auf das Ortsbild. Von der Kirche aus erstreckt sich ein zentraler angerförmiger Marktplatz nach Osten. Er ist mit gut erhaltenen Fachwerkbauten umstanden. Eine Ausnahme bildet das „Wohn- und Geschäftshaus ‚Am Marktplatz’“15 von 1981, das sich als „‚hineinkomponierte [...] Bausünde’“16 nicht in das historisch gewachsene Bild des Platzes einfügt. Die flächenintensive Bebauung mit geschlossenen Häuserzeilen beschränkt sich auf den Ortskernbereich um den Marktplatz.
In der Hanglage um den Bahnhof entstanden ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, mit steigender Bedeutung des Fremdenverkehrs, Hotels und Herbergen. Heute verlagern sie sich weiter nach Süden den Hang hinauf, um der steigenden Geräuschemission des Individual- und Schwerverkehrs auf der Bundesstraße 279 zu entgehen. Am Südhang nördlich des Ortskerns in unmittelbarer Nähe zum Schlosspark hat sich ab 1945 nach und nach ein Wohngebiet mit rasterförmigem Straßennetz und großen Gartenflächen entstanden, das noch heute erweitert wird. Vor allem im neueren Bereich, wohnen wohlhabende Bevölkerungsteile.
Im einem südöstlichen Tal hat sich seit den 20er Jahren ein Freizeitbereich mit Sportplatz und Freibad herausgebildet. Dieser wird seit den 70er Jahren durch eine Jugendherberge und einen Hochwildschutzpark ergänzt. Eine Gesamtschule liegt in unmittelbarer Nähe zu diesem Komplex.
Westlich der Ortsmitte liegt in dezentraler Tallage ein planmäßiger Siedlungsbereich mit zwei- bis sechsstöckigen Mehrfamilienhäusern. Er ist durch Schlosspark, Freiflächen und Friedhof vom eigentlichen Ort räumlich abgegrenzt. Ursprünglich wohnten hier v. a. Angehörige des US- amerikanischen Truppenstützpunktes am südlichen Rand der Gemarkung. Nach der Übernahme des militärischen Sperrgebiets durch die Bundeswehr wohnen im o. g. Talbereich vor allem Aussiedler der früheren deutschen Ostgebiete und ärmere Bevölkerungsteile. Im Westen des Ortkerns zwischen Bahnhof und der Ausfallstraße B 279 hat sich ein kleines Gewerbegebiet angesiedelt, ebenso wie ca. einen Kilometer außerhalb im Osten. Alle genannten flächenextensiven Siedlungserweiterungen sind hauptsächlich im Laufe dieses Jahrhunderts entstanden, wobei vorhandene Lücken im Baukörper der Gemeinde bis zum heutigen Tage allmählich geschlossen werden. Als herrschaftlicher Sitz des frühen und späten Mittelalters gehört Gersfeld so zum „Typus jener mehr oder minder engmaschig über den hessischen Raum verteilten Ackerbürgerstädtchen, die in ihrer Mischung aus dörflichen und städtischen Elementen zu den hervorstechendsten Gliedern seines Siedlungsgefüges gehören.“17
2. 3. 2. Siedlungsformen
Die Kulturlandschaft der westlichen Rhön ist wesentlich durch ein raues Klima und eine montane Geographie geprägt. Die unwirtliche Umgebung wirkte sich sowohl auf die Siedlungsformen als auch auf die Bauweisen der Häuser aus.
Bezüglich der Siedlungsformen ist hervorzuheben, dass sich in der westlichen und höheren Kuppenrhön vor allem unregelmäßige, recht lockere Haufendörfer herausbildeten. Dies hing damit zusammen, dass die Siedlungsdichte in der westlichen Rhön infolge der schlechten landwirtschaftlichen Ertragslage insgesamt gering war. Ähnliche Ursachen weisen auch die fast ausschließlich in der westlichen Rhön vorhandenen Weiler auf. Die geringe landwirtschaftliche Ertragsfähigkeit der Region bedingte, dass sich nur wenige Siedler niederlassen konnten. Die meist recht engen Täler zwangen zur Anlage langgezogener Haufendörfer entlang des Bach- bzw. Flusslaufes; oder entlang der Wege im Falle von Straßendörfern wie Hettenhausen. Im Gegensatz zu anderen Regionen sind hier kaum geschlossene Straßenzeilen mit eng aneinandergereihten Gehöften vorhanden. Während sich etwa in der Ostrhön viele ursprüngliche Weiler im Laufe der Jahrhunderte zu Haufendörfern weiterentwickelten, stagnierte die Ansiedlung in der westlichen Rhön.
Die vor allem westlich von Gersfeld vorhandenen Streusiedlungen (z.B. Rommers, Schachen, Maiersbach und Gichenbach) sind dagegen auf staatliche Einflüsse zurückzuführen. Die Fürstabtei Fulda forcierte im 17. und 18. Jahrhundert die Be- siedlung dieser Landschaft, um ihre Machtansprüche gegenüber dem Erzrivalen, dem Bistum Würzburg, zu demonstrieren.18 Dabei bevorzugte man den Streusiedlungstyp, der sich mit seinen arrondierten Bewirtschaftungsflächen hervorragend für die montane Region eignete.
2. 3. 3. Gebäudeformen
Wie die Siedlungen waren auch die Gehöfte in der heutigen Gemeinde Gersfeld häufig bescheiden. In früheren Jahrhunderten existierten hier vermutlich zahlreiche „Gebirgs-Gehöfttypen"19, wie Einhäuser und Streckhöfe.20 Heute sind dagegen noch zahlreiche Zwei- und Dreiseithöfe vorhanden, bei denen in den letzten Jahrzehnten vielfach ältere Haupthäuser, Auszugshäuser oder Scheunen, durch an gleicher Stelle errichtete Neubauten, ersetzt wurden.
Das in der westlichen Rhön dominierende eingeschossige Ernhaus ist als typische bauliche Erscheinung der früheren Jahrhunderte hervorzuheben. Dies ist einerseits sicherlich mit der weit verbreiteten Armut erklärbar, andererseits hatten eingeschossige Ernhäuser den Vorteil, dass hier nur eine geringe Wandfläche der Witterung ausgesetzt war.21 Auf diese Weise stellt die Hausform zugleich eine der Umgebung angepasste Bauweise dar. Früher ebenfalls weit verbreitete vertikale Wohnstallhäuser sind heute weitgehend verschwunden und nur noch in wenigen, vielfach baulich überformten Resten vorhanden.
Weiterhin sind in der südwestlichen Rhön schon seit dem 17. Jahrhundert Kniestockbauten nachweisbar, die eine bessere Ausnutzung des Dachraumes gewährleisteten.22 Reichere Bauern bauten in der Regel ein zweigeschossige Ernhäuser.
Die ehemalige, weit verbreitete Armut der Bevölkerung, in der westlichen Rhön, dokumentiert sich auch in der dominierenden Fachwerkbauweise23, die hier häufig sehr einfach ausgebildet ist.24 Schmuckhölzer und Schnitzwerk sind vielfach nur sparsam verwendet. Allerdings muss hier hervorgehoben werden, dass auch die Bevölkerung dieses Landstriches -trotz viel betonter Armut - ein Schmuckbedürfnis besaß. Bei genauerer Betrachtung zeigen sich an einfachen Fachwerkbauten beschnitzte Geschosszonen, verzierte Eckständer oder einfache Schmuckhölzer. Je reicher der Hausbesitzer war, desto ausgeprägter waren diese Schmuckformen. Allerdings wurden viele Fachwerkbauten - auch solche mit Fachwerkschmuck - seit dem späten 18. und insbesondere im 19. Jahrhundert verkleidet. In Gersfeld fanden vor allem Holzschindeln und sogenannte Wettbretter eine weite Verbreitung.
2. 3. 4. Andere das Ortsbild prägende Einheiten
Zäune, Abschlussmauern und Hoftore bilden einen wesentlichen Bestandteil der dörflichen Architektur. Neben Holzzäunen und Massiveinfriedungen treten in der Gemarkung Gersfeld auch zahlreiche Eisengitterzäune in Erscheinung. Im Zuge der Einführung neuer und größerer landwirtschaftlicher Geräte wurden aber vor allem Hoftore in den letzten Jahrzehnten unwiederbringlich beseitigt. Häufig sind nur noch Reste ehemaliger Hofabschlüsse und Einfriedungen vorhanden, anhand derer sich frühere Umfriedungsformen ablesen lassen.
Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde die Wasserversorgung der Bewohner Gersfelds durch die Nutzung von Brunnen geregelt. Noch heute sind viele davon v. a. im Ortskern erhalten.
Alte Steinbrücken sind teilweise erhalten, in durch den motorisierten Verkehr genutzten Bereichen aber auch durch Betonbrücken ersetzt worden.
2. 4. Verkehrssituation
Gersfeld ist durch die Verkehrsträger Straße und Schiene zu erreichen. Aus Norden und Süden über die Bundesautobahn (BAB) 7, die Bundesstraße (B) 27 und B 279 sowie aus dem Westen über die BAB 66, B 40, B 27, und B 279. Die B 284 verbindet Gersfeld mit dem Tourismuszentrum der Wasserkuppe und den östlichen Bereichen der Rhön.25 Die verkehrsstrategische Lage Gersfelds hat sich seit 1989 grundlegend geändert. Es ist als ländliche Siedlung von der Peripherie in eine Zentrallage in der Mitte Deutschlands gerückt; mit positiven und negativen Konsequenzen. Durch erhöhte Besucherströme in Richtung Wasserkuppe und einem großen Anteil des Schwerverkehrs am Verkehrsaufkommen der B 279 ergibt sich das große Problem eine Mobilitätsverbesserung mit der naturschonenden Zielsetzung des UNESCO- Schutzgebiets in Einklang zu bringen. Neben der Förderung einzelner kleinerer Maßnahmen, wie dem Ausbau von Radwegen vor allem entlang der Täler, sind die erheblichen Mittel zu erwähnen, die in den Erhalt der Rhönbahn geflossen sind.26 Die Stichstrecke Fulda - Gersfeld, 1997 für 21,5 Millionen DM saniert, stellt die letzte noch regelmäßig27 genutzte Bahnlinie von Westen her in die Rhön dar.28 Eine gesicherte Weiterführung nach dem Jahr 2002 kann bei der derzeitigen Nutzungsfrequenz jedoch nicht garantiert werden. Vor allem eine „großräumige Vernetzung mit Bussen, [...] die einen zentralen Ausgangspunkt am Bahnhof Gersfeld haben könnten“29 ist für den Erhalt der Rhönbahn und die Bedarfsdeckung im Öffentlichen Nahverkehr dringend von Nöten.
2. 5. Fremdenverkehr
In der Analyse der Fremdenverkehrsattraktivität bilden die Landschaftsgestalt und das Klima wichtige Grundlagen für die Attraktivität einer Fremdenverkehrsgemeinde. Auch die Vegetation und die Gemarkungsflächennutzung bilden wichtige Bewertungspunkte für die Fremden, ihrem Erholungsbedürfnis nachzukommen. Dass„Abwechslung im Gelände bevorzugt wird [und] ausgefallene Formen [...] von starker Wirkung [...]“30 sind, macht deutlich, dass Gersfeld eine fremdenverkehrsattraktive Ortslage besitzt.31 Diese Attraktivität wird treffend mit dem Schlagwort: - Land der offenen Fernen - umschrieben. „Naturschutz bedeutet daher in der Rhön paradoxerweise auch, auf weiten Flächen dem natürlichen Lauf der Dinge Einhalt gebieten zu müssen, um ein vom Menschen geschaffenes Landschaftsbild zu bewahren, dessen Einzigartigkeit das Tourismuskapital der Region ist.“32 Mit einem reizmilden bis reizstarken Bioklima33 und den Auszeichnungen als Luftkurort und Kneippheilbad ist Gersfeld vor allem Ziel von natur- und gesundheitsorientierten Urlaubern und Kurgästen. Als Fremdenverkehrsgemeinde weist Gersfeld einen „Überbesatz an tertiären Funktionen [auf.] Der Bereich der Gastronomie und der Branchen, die speziell für die Bedürfnisse der Touristen entstanden sind, steht natürlich im Mittelpunkt der Fremdenverkehrswirtschaft. Jedoch auch andere Teilbereiche des tertiären Sektors werden vom Fremdenverkehr beeinflußt, obwohl sie hauptsächlich vom Bedarf der einheimischen Bevölkerung getragen werden [...]“.34 Die Entlegenheit Gersfelds zu den größeren Bevölkerungsschwerpunkten im Bundesgebiet, sowie die unzureichende Verkehrsanbindung in Richtung Osten, wirken nachteilig auf die Fremdenverkehrsentwicklung im speziellen, wie auch auf die gesamte Wirtschaftssituation im allgemeinen.
2. 6. Wirtschaft
Die wichtigste Erwerbsquelle der Bevölkerung in der Rhön bildet seit jeher die Landwirtschaft. Da sich aufgrund der relativen Armut an natürlichen Bodenschätzen und der abgeschiedenen Lage fern der großen städtischen Ballungszentren Handel, Bergbau und späterhin Industrie hier nur in geringem Maße entfalten konnte. So sind in Gersfeld „noch viele Haupterwerbsbetriebe mit intensiver Milchviehhaltung vorhanden.“35 Der Anteil der in Land- und Forstwirtschaftbeschäftigten liegt heute insgesamt jedoch unter 2 %. Mit über 50 % hat der tertiäre Sektor den Hauptanteil an der Beschäftigtenstruktur in der Gemeinde. Ein Großteil der Beschäftigten ist hier dem Gast- und Beherbergungsgewerbe zuzurechnen. Ca. ein Drittel der Beschäftigten vereinigt der sekundäre Wirtschaftssektor auf sich.36 Gersfeld, weit von den Wirtschaftszentren der Bundesrepublik entfernt, stützt sich so, mit seiner schmalen gewerblichen Basis, immer mehr auf den Fremdenverkehr als Wirtschaftszweig.
3. Endbetrachtung
Mit den Stärken der Gemeinde in den Grunddaseinsfunktionen des „Sich Erholens“, „Wohnens“ und „Sich Bildens“ (durch die Gesamtschule mit gemarkungsübergreifendem Einzugsgebiet) hat Gersfeld für den näheren ländlichen Umkreis zentralörtliche Bedeutung. Um Menschen und Arbeitsplätze weiter in Gersfeld zu halten, ist die Sicherung und Weiterentwicklung umweltschonender Nutzungen mit der Förderung regionaler Kräfte in Landwirtschaft, Handwerk und Gewerbe als wichtigstes Ziel weiter zu verfolgen. Die Förderung heimischer Produkte, des heimischen Handwerks, das Aufgreifen alter Rhöner Bauformen, mit Verwendung regional verfügbarer Materialien, und die Direktvermarktung landwirtschaftlicher Produkte sowie die Vernetzung von Land- und Gastwirten bedürfen weiterer Unterstützung. Das Absatzdefizit37 kann durch Imagekampagnen38 unter dem Dach des UNESCO- Biosphärenreservates und ein zunehmend besser funktionierendes Kooperations- und Vermarktungsnetz zumindest teilweise kompensiert werden. So kann Öffentlichkeitsarbeit als eine wichtige Aufgabe in der sogenannten „heimlichen Hauptstadt der Rhön“ gesehen werden, um insbesondere der örtlichen Bevölkerung die Ziele und Maßnahmen für eine nachhaltige Entwicklung in der Region zu vermitteln. Das Zusammenwachsen der Grenzregionen nach dem Zusammenbruch des Ostblocks aber wird noch viele Jahre und erhebliche finanzielle Mittel in Anspruch nehmen.
[...]
1 Die Karolinger übertrugen Bonifatius königlichen Besitz zur Gründung des Bistums Würzburg im Jahr 741/ 742 und des Klosters Fulda im Jahr 744 in dem Bestreben, das Machtvakuum im ostfränkischen Raum nicht nur kirchlich, sondern auch politisch auszufüllen. Damit waren die beiden Macht- und Kulturräume festgelegt, die über ein Jahrtausend lang die Entwicklung Gersfelds prägten, das 944 erstmals als Geraldisfeld erwähnt wurde. Vgl. Rehm, Gottfried: Aus der Geschichte von Gersfeld. In: http://www.gersfeld-rhoen.de/g_geschichte.html. Stand 24.12.1999, abgerufen am 13.2.2000, 22.12 Uhr.
2 Etzel, Stefan: Die Rhön - Landschaft, Kultur und Geschichte. In: http://www.main-kinzig.net/privat/DrEtzel/rh_text.htm#rhoenklb. Stand 16.12.1999 abgerufen am 14.2.2000 17.56 Uhr.
3 Vgl. Röll, Werner: Die kulturlandschaftliche Entwicklung des Fuldaer Landes seit der Frühneuzeit. In: Giessener Geographische Schriften. Bd. 9. Giessen 1966. S. 14 f.
4 „‚In wenigen Stunden sind 33 Wohnhäuser nebst 23 Scheunen und mehrere Nebengebäude ein Raub der Flammen geworden.’ ‚[...] es wurden auch, um die Verbreitung des Brandes zu hindern, an mehreren Stellen, wo man bey der großen Hitze beykommen konnte, Gebäude eingerissen.’ Die Geschädigten stellten den Antrag, beim Neubau aus Kostengründen auch das Untergeschoss in Holz erbauen zu dürfen, anstatt wie vorgeschrieben aus Stein, was aber nur in jenen Fällen genehmigt wurde, wenn unter der Wohnung ein Viehstall aus Stein errichtet wurde.“ Rehm, Gottfried: a.a.O.
5 1756 fallen dem Brand 233 Gebäude zum Opfer. Vgl. Die Geschichte Gersfelds in Stichpunkten. In: http://www.gersfeld-rhoen.de/g_historie.html. Stand 18.12.1999, abgerufen am 13.2.2000, 21.32 Uhr.
6 Lienau, Cay: Die Siedlungen des ländlichen Raumes. 2. Aufl.. Braunschweig 1995. S. 146 f.
7 Das Hessische hat z.B. das P/B beibehalten, wo es im Fränkischen schon PF heißt (Äbbel/Äpfel), ähnlich verläuft die -chen/-lein-Grenze (Kindchen/Kindlein).
8 „Das sogenannte ‚Land der offenen Fernen’ ist durch eine Umweltzerstörung großen Ausmaßes, die mittelalterliche Rodung der das ganze Gebirge ursprünglich bedeckenden Laubwälder, entstanden. Insbesondere die Buche war der typische Rhönbaum, weswegen das Waldgebirge in der geschriebenen Geschichte als Buchonia bezeichnet wird. Der Name Rhön taucht urkundlich erstmals 1228 auf. Meist wurde keltischer Ursprung vermutet, in jüngster Zeit kam auch die Herleitung aus einem germanischen Wort auf, das mit Isländisch raunia ‚Geröllfeld’ verwandt ist. Dadurch würde der Name Bezug auf den erst durch die Rodungen freigelegten heutigen Charakter des Gebirges nehmen.“ Etzel, Stefan: a.a.O.
9 Vgl. Röll, Werner: a.a.O. Karte 1 des Anhangs.
10 Vgl. Die Geschichte Gersfelds in Stichpunkten. a.a.O.
11 Vgl. Gersfeld: Zahlen - Daten - Fakten. In: http://www.gersfeld-rhoen.de/g_daten.html#1. Stand 29.1.2000, abgerufen am 13.2.2000, 21.39 Uhr.
12 „1486- 1493 Entstehung des oberen Schlosses, [...] 1605 - 1608 Umbau des oberen Schlosses und Bau des mittleren Schlosses“. Vgl. Die Geschichte Gersfelds in Stichpunkten. a.a.O.
13 „Erbaut 1780 - 1785“ Vgl. Ebd.
14 „Erbaut 1740“ Vgl. Ebd.
15 Ebd.
16 Lienau, Cay: a.a.O. S. 61.
17 Röll, Werner: a.a.O. S. 144.
18 Vgl. Ernst, Eugen u. Herrmann Klingsporn: Hessen in Karte und Luftbild, topographischer Atlas, Teil I. Neumünster 1969. S. 113.
19 Ellenberg, Heinz: Bauernhaus und Landschaft in ökologischer und historischer Sicht. Stuttgart 1990. S. 42 ff.
20 Vgl. Volkert, Hermann: Bauernhaus und Dorfformen im Fuldaer Land. Fulda 1933. S. 117. 6
21 Vgl. zur Veranschaulichung die Beschreibung der Odenwälder Hausformen in: Assion, Peter u. Rolf Wilhelm Brednich: Bauen und Wohnen im deutschen Südwesten, Dörfliche Kultur vom 15. bis 19. Jahrhundert. Stuttgart 1984. S. 18.
22 Vgl. Schilli, Hermann: Die Verteilung der Hausarten in der Ortenau, Versuch eines Beitrages zur Besiedlungsgeschichte. o. O. 1940. S. 156 ff.
23 Vgl. Gerner, Manfred. Fachwerk. Entwicklung, Gefüge, Instandsetzung. Stuttgart 1989.
24 Vgl. Kindinger, Wieland. Beiträge zur Entwicklung der Kulturlandschaft in der zentralen Rhön vom Dreißigjährigen Krieg bis 1933. Würzburg 1942. S. 24 ff.
25 Vgl. Hessisches Landesvermessungsamt (Hrsg.): Topographische Karte 1 : 25000. Blatt 5525 Gersfeld (Rhön). o. O. 1988.
26 Vgl. Filzinger, Werner: Welche Chance bietet die Bahn? Bahnverbundsystem Rhön. In:Verkehrsentwicklung im Biosphärenreservat Rhön. Positionen und Beiträge. Bd. 7. Fulda 1996. S. 108 f.
27 Vgl. Deutschen Bahn AG (Hrsg.): Kursbuch. Frankfurt a. M. 1999.
28 Vgl. Ott, Erich: Aktuelle Verkehrsdiskussion in der Rhön - Problembeispiele Straße und Schiene. In: Verkehrsentwicklung im Biosphärenreservat Rhön. Positionen und Beiträge. Bd. 7. Fulda 1996. S. 149.
29 Ebd. S. 151.
30 Jülg, Ferdinand: Praktische Hinweise für wissenschaftliche Arbeiten in der Fremdenverkehrsgeographie. Wien 1965. S. 60.
31 Zur näheren Bestimmung der topographischen Verhältnisse wurde ein Radius von 3 km um die Ortslage gewählt und deren Reliefenergie aus einer topographischen Karte 1 : 25000 entnommen. Vgl. Hessisches Landesvermessungsamt (Hrsg.): a.a.O.
32 Etzel, Stefan: a.a.O.
33 Vgl. Diercke Weltatlas. Braunschweig 1986. S. 24.
34 Rosa, Dietmar: Der Einfluß des Fremdenverkehrs auf ausgewählte Branchen des tertiären Sektors im Bayerischen Alpenvorland. München 1970. S. 10.
35 Stühlinger, Peter (Hrsg.): Biosphärenreservat Rhön, Rahmenkonzept für Schutz, Pflege und Entwicklung. Nürnberg 1995. S. 172.
36 Vgl. Volkszählung und Arbeitsstättenzählung 1987.
37 Lammfleisch aus Neuseeland ist selbst in Gersfeld billiger als solches vom Rhönschaf.
38 Die heimischen Erzeuger werben mit umweltschonenden Produktionsverfahren und dem Beitrag zur Umweltentlastung durch Verkehrsvermeidung.
- Arbeit zitieren
- Christian Schwedes (Autor:in), 2000, Gersfeld - Eine Siedlung im ländlichen Raum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97347
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