INHALTSVERZEICHNIS
1. WORT UND BEGRIFF DER FABEL
2. GATTUNGSMERKMALE DER FABEL
2.1. AKTEURE IN DER FABEL
2.2. ANTHROPOMORPHISIERUNG
2.3. DER „ALLGEMEINE MORALISCHE SATZ“
2.4. DIALEKTIK VON WIRKLICHKEIT UND ILLUSION
3. AUFBAU UND STRUKTUR DER FABEL
4. VERSCHIEDENE STILE
5. ABGRENZUNG VON ANDEREN GATTUNGEN
5.1. TIEREPOS
5.2. MÄRCHEN
5.3. PARABEL
5.4. PHILOSOPHISCHES NATURGEDICHT
6. LITERATURVERZEICHNIS
Die Fabel als Gattung
1. Wort und Begriff der Fabel
Der Fabelbegriff geht zurück auf das lateinischen Wort „fabula“, was so viel bedeutet wie „Rede oder Erzählung“; auch verwandt mit „fari“ (= sprechen) und „fateri“ (= bekennen ). In Deutschland findet man Belege dieses Wortes, die bis ins junge 13. Jahrhundert zurückreichen. Es wurde zunächst mit pejorativer Bedeutung belegt und bedeutete soviel wie „lügenhafte Geschichte“.
Seit 1515 ist auch das Verb „fabulieren“ mit der Bedeutung „phantasiereich erzählen“ bekannt.
Als Gattungsbegriff wird das Wort „Fabel“ zur Zeit der Humanisten erstmals verwendet, der sich im 18. Jahrhundert verfestigt. Seit dem 18. Jahrhundert ist „Fabel“ der literarische Gattungsbegriff für eine Form der Erzählung, in der (vor allem) Tiere so handeln, daß eine Parallele zu menschlichen Verhaltensweisen und eine Lehre daraus sichtbar wird.1 So hat sich Heinrich Steinhöwel (1412 - 1478) zur Fabel geäußert und sinngemäß folgende fünf Merkmale festgelegt:
1. die Fabel muß unterhalten
2. die Fabel muß belehren
3. die Fabel ist frei erfunden
4. die Handelnden sind nicht-menschliche Figuren
5. die Handlung ist auf das menschliche Leben direkt übertragbar
2. Gattungsmerkmale der Fabel
2.1.Akteure in der Fabel
In der Fabel findet man redende Tiere, anstelle von Menschen, die sich konträr gegenüberstehen. Die Form ist kurz und pointiert, erzählend sowie dialogisch. Moral und Kritik sind sofort offenbar.
Häufig wird als wichtigstes Erkennungsmerkmal der Fabel genannt, daß sprechende Tiere die Handlung vollziehen, aber diese Einengung wird der Fabel nicht gerecht, denn außer den bekannten Fabeltieren wie Löwe, Bär, Wolf, Fuchs und Hase sind in einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Fabeltexten auch Pflanzen, Gegenstände, menschliche Körperteile u.ä. Handlungsträger.
Jedoch gibt es eine Reihe von Gründen, die für den Einsatz von agierenden Tieren in der Fabel sprechen. Das sprechende Tier wird von BREITINGER als Element des Wunderbaren verstanden, das wie kein zweites das Interesse des Rezipienten auf sich zieht. LESSING dagegen meint, daß die Tiere dem Leser als Verständnishilfen dienen sollen. Wenn der Leser den Titel „Der Wolf und das Lamm“ höre, sei über die Charaktere der Handlung bereits alles gesagt und sofort seien Assoziationen im Leser geweckt. Der Wolf z.B. werde sogleich als gefräßiger, wilder Jäger und das Lamm als friedfertige Beute identifiziert (auch J. GRIMM).
Vielfach findet man Eigenschaften und Verhaltensweisen von Fabeltieren in Sprichwörtern und Redensarten,. so daß man von einem Bekanntheitsgrad der Eigenschaft auch ausgehen kann, wenn diese nicht mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und Beobachtungen nicht übereinstimmt.
Allerdings gibt es auch Tiere, die einen weniger festgelegten Typ haben, z.B. Maus oder Frosch. Ihre Handlung ist dann nicht typabhängig, sondern situationsabhängig.
Tiere zeigen von Natur aus Verhaltensweisen, die dem Menschen (oder besonderen Charaktereigenschaften des Menschen) in einigen Aspekten ähnlich sind. Daher eignen sie sich zur Anthropomorphisierung besser als unbelebte Gegenstände.
Die Tiere werden überwiegend aus der direkten Umgebung der Menschen genommen (Hahn, Wolf, Lamm, Maus, Frosch, Habicht, ...) und dürfen deshalb vom Dichter als bekannt in ihrer Erscheinungsform vorausgesetzt werden.
SPOERRI weist noch darauf hin, das einfach das Animalische dazu dient, dem Menschen seinen Größenwahn auszutreiben und ihn daran zu erinnern, daß er, wenn er sich nicht kultiviert verhält, nichts anderes ist als ein Tier.
Kritische Fabeldichter waren häufig Angehörige der unteren und unterdrückten Gesellschaftsklasse. Kritik oder Protest konnte nicht frei geäußert werden, so daß Tiere mit den entsprechenden Merkmalen die herrschende Klasse (z.B. auch hier der Wolf) repräsentierten.
Die Anzahl der Akteure ist gering und auf ein Minimum beschränkt. Zwei Parteien formieren sich, die grundsätzlich gegensätzliche Einstellungen oder Verhaltensweisen zeigen. Häufig wird jede Partei gerade durch eine Figur repräsentiert. Wenn mehrere Tiere auftreten werden Gruppen gebildet, die auch im Handlungsverlauf wechseln können.
2.2. Anthropomorphisierung
Wesen und Merkmal der Fabel ist es, daß das Geschehen der Fabel auf menschliche Verhältnisse übertragbar ist, das geschieht durch die Vermenschlichung, die Anthropomorphisierung der Akteure. Es gibt verschiedene Stufen der Anthropomorphisierung.
Von geringer Anthropomorphisierung kann man sprechen, wenn sich Tiere (bei Gegenständen ist dies natürlich nicht möglich) so verhalten, wie sie das instinktiv und ihrer Art entsprechend tun. Wenn ein Eichhörnchen beispielsweise Vorräte für den Winter sammelt, ist das ein Verhalten, das seiner Art entspricht. Wird dieser Vorgang in einer Fabel zum Gegenstand, dann wird die Instinkthandlung des Eichhörnchens zu einem planvollem Handeln und einer Charaktereigenschaft, deshalb kann man auch in diesem Fall von Vermenschlichung sprechen.
In den meisten Fabeln ist eine höhere Stufe der Anthropomorphisierung zu erkennen. Hierbei behalten die Tiere grundsätzlich ihre tierischen Verhaltensweisen, aber es treten neue ausschließlich menschliche Verhaltensweisen hinzu, z.B. technische Fertigkeiten oder Kulturtechniken ausüben.
Von einer völligen Anthropomorphisierung kann man sprechen, wenn die Tiere in den Fabeln, tierische Verhaltensmuster ganz ablegen (oder nicht zeigen). Dies ist typisch für die moralische Fabel. Das Tier wird zur Person.
2.3. Der„allgemeine moralische Satz“
Die Fabel beinhaltet eine Situation, ein anschauliches Beispiel, so daß sofort eine Übereinstimmung zu menschlichen Verhaltensweisen deutlich wird und der dargestellte Einzelfall für eine ableitbare Regel der Moral oder Lebensklugheit zu verstehen ist. Die dichterische Verkleidung einer bestimmten Erkenntnis, der Lehre, erfordert vom Leser den Akt des intellektuellen Transfers. Hinter der vordergründigen Handlung, muß er menschliche Verhaltensweisen und eine Moral erkennen, die er von der fiktiven Ebene auf seine reale Existenz übertragen muß. Jedoch darf dieser Denkakt nicht überbewertet werden, da zur Auflösung Hilfestellungen gegeben werden. Häufig wird diese allgemeine Weisheit an die Erzählung angefügt (Epimythion) oder aber vorangestellt (Promythion), so daß der Leser sich hieran orientieren kann. Eine Interpretation der Fabel von Wolf und Lamm dahingehend, daß es sich womöglich um ein beklagenswertes Ereignis zwischen zwei Tieren an einem Bachlauf handelt, ist auszuschließen.
Die Fabel wirkt wie eine Demonstration, ein kurzes Fallbeispiel, um den „allgemeinen moralischen Satz“ zu untermauern.
Keine andere dichterische Form zielt so sehr darauf ab, etwas zu beweisen, wie die Fabel. Daß der Beweis oft nicht glückt oder daß gar das Gegenteil des Beabsichtigten in die Fabel hineininterpretiert wird, ändert nichts daran, daß der Fabeldichter einen Beweis für (s)eine Ansicht der Dinge bringen möchte.
Zur Fabel gehört die Anwendung des „allgemeinen moralischen Satzes“ auf eine große Zahl praktischer Anwendungsmöglichkeiten. Die Fabel benötigt zweierlei: ihre Lehre und mögliche Anwendungsmöglichkeiten, die sich dem Rezipienten auftun.
Durch die abschließende (oder vorangehende) Lehre wird die Fabel in einen größeren Zusammenhang eingeordnet und bleibt nicht als bedeutungslose, unvollendete Erzählung stehen oder wird gar vom Leser als Rätsel verstanden, daß erst noch gelöst werden muß. Die konträren Ansichten oder Handlungsweisen fordern eine Entscheidung und Beurteilung des Geschehens. Quasi durch einen Richterspruch wird das Geschehen abgeschlossen, verständlich und in seinen Zusammenhängen erklärt.
2.4. Dialektik von Wirklichkeit und Illusion
Die Handlung der Fabel ist frei erfunden, sie bildet kein tatsächliches Geschehen ab. Die fiktiven Handlungen haben jedoch den Anschein tatsächlicher Vorgänge. Ein real unmöglicher Fall wird als wirklich beschrieben. Der Fabeldichter stellt seine erfundene Geschichte so dar, als sei sie wirklich geschehen und als könnte man aus diesem Fall allgemeingültige Folgerungen schließen. An einer Handlung, die gänzlich in einem nichtmenschlichen Kontext spielt, werden Lehren und moralische Schlußfolgerungen für das menschliche Leben festgemacht.
Dies wird nicht bewirkt durch die Wahrheit eines tatsächlichen Geschehens, sondern durch eine innere Logik. Die Fabel ist demnach ein Widerspruch in sich. Fremde und doch vertraute Charaktere spielen eine Szene einer unwirklichen Geschichte, die den Leser zu der Konklusion kommen läßt, daß ein wahrer Sinngehalt für das wirkliche, menschliche Leben aus der Fabel zu entnehmen ist.
3. Aufbau und Struktur der Fabel
Bei LESSING findet sich die Auffassung, daß die Fabel knapp, gezielt und pointiert sein muß, um die entsprechende Wirkung zu erreichen, alles andere sei nur schmückendes Beiwerk und lasse die Fabel zum „Kinderspiel“ werden. Alles, was den Leser von der eigentlichen Absicht der Fabel ablenkt, kann getrost weggelassen werden. Der „allgemeine moralische Satz“ muß offensichtlich und schnell erfaßbar bleiben. Die plötzliche Wendung der Dinge, die Pointe, darf nicht wegen einer lebendigen, bildreichen Erzählweise untergehen.
Normalerweise beginnt die Fabel ohne Vorrede, ohne Einleitung und geht gleich in medias res. Das Problem wird verdeutlicht und es folgt die Lehre. Der Einfachheit halber kann man das Schema so beschreiben: 1. Erzählung -2. Lehre. Die Lehre wird häufig in abstrakter Form angehängt, dadurch entsteht leicht ein Bruch im Erzählverlauf. Von der bildlichen Ebene wird gewechselt zur abstrakten. Bei Luther findet sich häufig eine bildliche Darstellung der Lehre, die angelehnt ist an bekannte Sprichwörter oder Redensarten. Hier entsteht also auch kein Bruch im Erzählverlauf.
Abweichend davon gibt es noch eine zweite Grundform der Fabel. Bei Dichtern, die sich an die lateinische Vorlage halten, erscheint zuerst die Lehre, dann folgt die Erzählung und zum Schluß folgt noch einmal die Zusammenfassung des Lehrgehalts. Daraus ergibt sich folgendes Schema:
1. Lehre - 2. Erzählung - 3. Lehre.
Bei Erasmus ALBERUS kommt noch eine weiter Form der Fabel vor. Er beginnt nicht sofort mit der Erzählung, sondern mit einer Ortsbeschreibung, die den Rahmen und die Bedingungen für die Handlung zeichnet. Bei ALBERUS ergibt sich also folgendes Schema: 1. Ortsbeschreibung - 2. Erzählung - 3. Lehre.
In der Fabel finden wir die Einheit von Zeit, Ort und Handlung, häufig ist die Zeitspanne der Handlung kaum länger als ein kurzer Schlagabtausch zwischen den beiden gegensätzlichen Akteuren. Es gibt nur eine Haupthandlung, Nebenhandlungen haben in der Fabel keinen Platz.
Die Erzählung zeigt nur einen Ausschnitt, keine abgeschlossene Handlung. Die Fabel fragt nicht danach, was vorher war oder was nachher sein wird. Wichtig ist nur der Augenblick, in dem die Lehre offenbar wird. Die Fabel in ihrer strengen Form beschränkt die Handlung auf eine Zuspitzung des Geschehens, das sich ausdrückt in Rede und Gegenrede oder in Handlung und Gegenhandlung. Beide ergänzen sich, müssen zwingend aufeinander folgen. DITHMAR bezeichnet diese Widerparte allgemein als actio und reactio. Es folgt ein Ergebnis als Folge des Schlagabtauschs. So ergibt sich für DITHMAR folgendes Schema für die Gestaltung einer Fabel:
1. Situation - 2. actio - 3. reactio - 4. Ergebnis.
Beispiel:
Der Rabe und der Fuchs
Ein Rabe hatte einen Käse gestohlen und setzte sich damit auf einen hohen Baum, um ihn zu verzehren. Dies bemerkte ein Fuchs, lief hinzu und sprach: „O Rabe, was bist du für ein schöner Vogel! Deine Federn glänzen wie 5 der Sonnenschein, und deine Gestalt ist wie die eines Adlers. Ist deine Stimme auch so schön, so sollte man dich zum König krönen über alle Vögel der Welt!“
Den Raben kitzelte das Lob, und er fing an zu krächzen. Als er aber den Schnabel auftat, entfiel ihm der Käse. 10 Der Fuchs sprang hinzu, schnappte ihn auf, verschlang ihn und lachte den törichten Raben aus.
nach Martin Luther
1. Es stellt sich folgende Situation für den Leser dar: Ein Rabe sitzt mit einem Stück Käse auf einem hohen Baum. Ein Fuchs kommt hinzu, der nach dem Käse trachtet, aber einsieht, daß er nicht dem Raben auf den Baum nachjagen kann.
2. Der Fuchs versucht durch eine einschmeichelnde Rede (actio) zu seinem Ziel zu gelangen. Seine Worte sind von Übertreibungen und Lügen nur so voll.
3. Der Rabe fällt auf die Schmeicheleien des Fuchses herein und will dem Fuchs beweisen, daß er es wert ist, zum König der Vögel gekrönt zu werden. Der Rabe setzt zum Gesang an und verliert in dem Augenblick den Käse (reactio).
4. Das Ergebnis gestaltet sich so: Der Fuchs hat sein Ziel erreicht und verzehrt den Käse und verhöhnt obendrein noch den eitlen Raben. Der Rabe durchschaut zu spät die List des Fuchses und muß sowohl auf den Käse verzichten, als auch die Häme des Fuchses ertragen.
Aber auch andere bereits diskutierte Merkmale finden sich in diesem Beispiel wieder.
Die Fabel ist sehr knapp geschrieben und auf das Wesentliche beschränkt. Sehr lang und ausführlich wirkt zwar die Rede des Fuchses (Zeile 3 - 7), aber diese Ausschmückungen lenken nicht von eigentlichen Ziel, der eigentlichen Lehre ab, sondern verschärfen sie nur. Sie machen deutlich wie sehr der Rabe von den Worten des Fuchses eingenommen wird, so daß er am Ende selbst glaubt, was er da hört. Es hätte auch ausgereicht, wenn der Fuchs etwa dieses gesagt hätte: „O Rabe, ich hörte du singst so schön! Bitte, zeige mir eine Probe deines Könnens!“ Jedoch wird durch die längere Rede deutlich, wie der Rabe nach und nach sein Mißtrauen verliert. Er lauscht andächtig und vergißt die Welt um ihn herum und sein eigentliches Ziel, den Käse zu verspeisen. Die massiven Komplimente verdeutlichen dem Leser wie es dazu kommen konnte, daß der Rabe den Käse fallen läßt. Ansonsten wird auf weiteren Zierrat verzichtet, damit der Tenor der Fabel nicht verloren geht.
Auch bei diesem Beispiel gibt es keine Vorgeschichte. Die Fabel beginnt mit der Situation und fragt nicht nach dem „Wieso“, nach den Hintergründen. Zum Beispiel wird dem Leser nicht erklärt, warum der Rabe den Käse gestohlen hat und wen er bestohlen hat. Es bleibt offen und ohne Urteil, ob der Rabe ein gewohnheitsmäßiger Dieb ist oder aus großer Not heraus gehandelt hat.
Ort und Zeitpunkt der Handlung werden nicht näher beschrieben. Es ist für den Ablauf der Fabel uninteressant, ob sich der Baum, auf dem der Rabe sitzt, in einem Wald befindet oder gar in welchem Wald der Baum steht. Allein die Tatsache, daß der Rabe auf dem Baum sitzt, ist für die Fabel relevant, da durch dieses Element deutlich wird, daß der Jäger sein Opfer nicht einfach überwältigen kann, um ihm die Beute zu entreißen. Weiterhin ist es nicht von Bedeutung, ob die Begegnung von Fuchs und Rabe am Tag oder am Abend stattfindet. Der gesamte Rahmen, der beim Erzählen einer Geschichte nicht fehlen dürfte, bleibt in der Fabel unerwähnt.
Es bleibt die Lehre, die aus dem Ergebnis zu ziehen ist. Dem Leser bleibt es überlassen, ob er die Lehre aus Sicht des Raben oder aus Sicht des Fuchses zieht. Aus der Sicht des Raben ergibt sich folgende Lehre: Jemandem, der zuviel lobt, dem traue nicht! Oder auch angelehnt an das Sprichwort:
Wer dir die Wahrheit sagt, meint dir’s gut; wer dir schmeichelt, meint sich‘s gut.
Für den Fuchs ergibt sich die Lehre: Mit viel Schmeicheleien erreiche ich mein Ziel.
Weiterhin gibt es ein auffallendes Strukturmerkmal, das man bereits in der Überschrift findet. In der Überschrift werden stets die Gegenspieler benannt, nicht etwa der Inhalt der Geschichte. Der Rezipient weiß also sofort, auf welche Handlungsträger er sein Augenmerk zu richten hat, damit ihm der Konflikt keinesfalls entgeht.
Beispiele:
„Der Hase und die Schildkröte“, „Wolf und Lamm“, „Die Eiche und das Rohr“, „Der Wolf und der Reiher“, „Der Löwe und die Mücke“ und nicht zuletzt auch „Der Rabe und der Fuchs“. Man weiß beim Lesen der Überschrift, daß man sich auf actio und reactio zwischen Rabe und Fuchs einzustellen hat. Die Überschrift „Der gestohlene Käse“ wäre für den Inhalt der Fabel sicher eine treffende Überschrift, jedoch werden die beiden Gegenspieler benannt, um jede Ablenkung vom Hauptgeschehen von vornherein auszuschließen.
4. Verschiedene Stile
1. Fabuloser Stil
Der Fabeldichter gibt der Fabel im fabulosen Stil keine Tendenz in eine bestimmte Richtung; sie soll einen symbolischen Wert haben. Jedoch kann man sich eine Lehre bei der Gattung Fabel nicht wegdenken, deshalb gibt es gleichwohl eine Lehre, die aber weniger einengend auf ein bestimmte Sichtweise ist.
Dieser Stil findet sich bei der überwiegenden Anzahl der Fabeln. Die Naturgesetze werden als solche von den Fabeldichtern akzeptiert und als unabänderlich hingenommen. Eine besondere Anweisung zum Handeln, eine explizite Lehre, wird vermieden. Aus der Sicht des Dichters wird die Welt mit ihren Eigenarten und Gesetzmäßigkeiten beschrieben, ohne ein Urteil zu fällen. Ein gewisser Fatalismus schwingt in diesem Stil mit.
Gerade hier ergibt sich jedoch auch die Gefahr, daß Inhalte, besonders politischer Art, vom Leser als gegeben hingenommen werden. Ein Gefühl der Hilflosigkeit und Resignation kann die Folge sein, aber andererseits gibt diese Sichtweise dem Leser die Möglichkeit auch gehörige Ungerechtigkeiten gelassen hinzunehmen.
2. Belehrender Stil
Zu dem belehrenden Stil zählen vor allem folgende drei Varianten: religiös, moralisch oder lebensklug.
Die religiös-belehrende Fabel verdeutlicht ein religiöses Dogma. Die gesamte Fabel erfährt ihren Aufbau durch eine religiöse Wahrheit. Der Handlungsverlauf ist klar und zielgerichtet ohne weitere Ausschmückungen, die von der Verdeutlichung des dogmatischen Satzes wegführen können. Die Erzählweise ist sachlich, nahezu wissenschaftlich. In der moralisch-belehrende Fabel zeigt der Fabeldichter ganz bewußt die Welt, in der sich das moralische Handeln bewähren soll. Die Handlung muß in sich schlüssig und sinnvoll sein, damit sie ihre Moral auch beweisen kann. Schlüssigkeit heißt soviel, daß derjenige, der entgegen den zu verteidigenden Moralvorstellungen handelt, am Ende Schaden erleidet. Der Leser erlebt, daß eine unmoralische Tat schlimme Folgen hat. Aber auch dieser Fabelstil ist geprägt von einem knappen Berichtstil, der ohne weitere Ausgestaltung stehen bleiben kann. Die Handlung ist häufig wenig spannend und wenig anschaulich.
3. Die Fabel, die Lebensklugheit vermitteln will, verzichtet auf autoritäre Durchsetzung; sie will lieber eine beratende Funktion übernehmen.
Die Intention der Fabel ist Einsicht, daß durch Beachtung der Lebensweisheit ein materieller Schaden verhindert werden kann. Stilmerkmal ist häufig eine formale Abtrennung von Erzählung und Lehre. Dem Leser erscheint die Lehre eher als freiwillige Zusatzinformation des Autors, da sie nicht in die Erzählung eingebunden ist. Die Handlung der Fabel ist so gewählt, daß es dem Rezipienten unklug erscheinen muß, den gegebenen Rat nicht anzunehmen. Gleichwohl bleibt es dem Leser überlassen, den Rat in den Wind zu schlagen.
4. Kritisierender Stil
Im Vergleich zur belehrenden Fabel ist der Ton in der kritisierenden Fabel ungleich schärfer. Bestehende Umstände, Eigenschaften werden angegriffen, besonders politische Gegebenheiten. Die Wortwahl ist emotional geprägt.
Der kritisierende Stil findet sich häufig bei umgestalteten Fabeln, ein neues, anderes Motiv tritt zutage. Durch Veränderung einer bereits bekannten Fabel wird die Intention des Dichters mehr als deutlich. Häufig findet sich darin indirekt auch eine Aufforderung zum politischen Handeln.
Soziale Kritik findet sich in den Fabeln auch so wieder, daß menschliche Ordnungen und Institutionen in die Tierwelt übertragen werden.
5. Satirischer Stil
Die satirische Fabel verwendet die Mittel der Fabel: die Akteure, die Anthropomorphisierung, die Demonstration. Jedoch wählt sie die Mittel, für einen spezifischen Fall zutreffend, aus. Durch die Wahl des Bildes ergibt sich der satirische Gehalt. Die Lehre am Schluß steht nicht für eine Vielzahl von möglichen Fällen, sondern repräsentiert eine ganz bestimmte Vorstellung, die nicht durch andere ausgetauscht werden kann. Dieses besondere Verhältnis wird durch die Art der Darstellung lächerlich gemacht.
5. Abgrenzung von anderen Gattungen
5.1.Tierepos
„Epos“ bezeichnet eine Großform erzählender Dichtung in gleichartig gebauten Versen oder Strophen.
Die Gegenwart des Epos wird durch den Rezipienten handelnd erfahren. Die im Epos beschriebene Welt ist nicht von privater Natur, sondern ist geprägt vom Charakter der Gemeinschaftlichkeit. Meist findet der Leser eine strukturierte (häufig aristokratische) Gesellschaft vor. Das Geschehen des Epos ist bestimmt und beschränkt von den vorgegebenen gesellschaftlichen Normen. Bevorzugte Schreibanlässe sind Reisen, Schlachten oder Kriege. Heldensagen oder Mythen sind die Themen der Epen. Der Dichter orientiert sich ausdrücklich an den ihm vorliegenden Quellen.
Beim Epos kann man allerdings nicht von einer strukturierten Handlung in dem Sinne sprechen, als daß das Geschehen auf ein einziges Ziel steuert. Wichtig ist die Erzählung selbst, die einzelnen Schritte der Handlung, nicht in erster Linie das Ziel derselben. Eine reiche Außenwelt wird detailliert beschrieben. Abschweifungen von der Haupthandlung und ausführliche Herkunftsbeschreibungen der Helden sind möglich.
Das Tierepos entwickelte sich etwa gleichzeitig zur Fabel. Wie sie verwendet es einen ähnlichen Tierkanon, der auch mit typischen (menschlichen) Eigenschaften ausgestattet ist. Gleichzeitig werden Darstellungs- und Sprachstil des Epos verwendet. Beide Merkmale zusammen werden zu parodistischen, vor allem aber zu satirischen Zwecken verwendet. Das Tierepos wendet sich dabei gesellschaftlich aktuellen Problemen zu. Die Fabel dagegen stellt ja häufig allgemein menschliche Probleme dar, die von mehr individuellem Interesse sind. Ein wesentlicher Unterschied, der sich durch Anlehnung an das Epos ergibt, ist der viel größere Umfang des Tierepos im Gegensatz zur Fabel, die bemüht ist, sich auf das wesentliche zu beschränken.
Es gibt gegensätzliche Meinungen, welche der beiden Dichtungsformen zuerst da war und wie sie sich gegenseitig beeinflußt hätten. SILCHER meint, daß das Tierepos aus der Aneinanderreihung mehrerer kleiner Episoden entstanden sei, daß also die Kleinform Fabel der Ursprung des Tierepos sei. PLESSOW dagegen ist der Ansicht, das es vor der Fabel die Großform als reines Epos gegeben habe. Einzelne Ausschnitte seien herausgelöst worden und hätten sich dann zur Fabeldichtung entwickelt.
5.2. Märchen
Das Märchen ist im eigentlichen Sinne gar keine literarische Gattung, denn sie ist eine weitgehend mündlich und ohne Angabe der Autoren weitergegebene Gattung. „Märchen“ ist eine für Deutschland typische Bezeichnung, häufig wird daher in der europäischen Forschung das Wort „Märchen“ als Fremdwort übernommen.
Ein Märchen ist eine mit dichterischer Phantasie entworfene Erzählung, die nicht an die Bedingungen des wirklichen Lebens geknüpft ist.
Schwierigkeiten werden im Märchen überwunden. Die Hauptfigur, die den Konflikt bewältigen muß, ist meist ein Mensch, der zudem häufig noch arm und zurückgesetzt ist. Hilfe kann die Hauptfigur von alten Frauen, Zauberern Zwergen oder ähnlichen erhalten, die ihr beistehen oder von denen sie Dinge mit einer Zauberkraft erhält (ein Trank, ein Ring, ein Zauberpferd ...). Dem Haupthelden sind Gegenspieler zugeordnet. Die Anzahl der Figuren ist überschaubar: Nur die Figuren, die notwendig sind zur Gestaltung der Handlung kommen vor. Der Böse wird stets bestraft, der Held gelangt zu Glück und Reichtum. Dazu gehört auch die formelhafte Wendung: „... und er lebte glücklich bis an sein Lebensende.“ Auch beginnt das Märchen formelhaft: „Vor langer, langer Zeit lebte einst...“ oder „Es war ein mal...“. Beschwörungen und Sprüche sind auch Kennzeichen des Märchenhaften. Häufig haben auch bestimmte Zahlen eine magische Bedeutung. Diesseitige und jenseitige Welt gehen ineinander über.
In den Tiermärchen wird besonders gern das Motiv des dankbaren und hilfreichen Tieres verwendet. Aber insgesamt läßt sich feststellen, daß Märchen weniger häufig Tiere als Haupthandlungträger haben; es sind doch eher Menschen oder Phantasiewesen. So steht im Märchen auch das Zauberhafte, Magische im Vordergrund. In der Fabel dagegen geht nichts mit unrechten Dingen zu. Der Verlauf der Handlung kommt ohne Zaubereien zum Ziel. Damit, daß Tiere sprechen, denken und aufgrund von Intentionen handeln, ist bereits alles Wunderliche im Bereich der Fabel gesagt. Die Handlung ist für den Leser immer nachvollziehbar und auf seine Lebensumstände übertragbar, was man vom Märchen nicht behaupten kann.
5.3. Parabel
Eine Parabel ist ein zu einer Erzählung erweiterter Vergleich, der vom Rezipienten fordert, den gemeinten Sachverhalt von der Bildebene auf die Gedankenebene zu übertragen. Im Gegensatz zum Gleichnis wird keine direkte Verknüpfung zum erläuternden Sachverhalt gegeben. Im Unterschied zur Fabel finden sich in der Parabel hauptsächlich menschliche Akteure. In der Parabel wird eine Gleichsetzung vorgenommen. Ein Bild steht für ein ganz bestimmtes Pendant in der Wirklichkeit, so steht z.B. der Ring in Lessings Parabel für eine Religion. Der Fuchs in der Fabel jedoch steht nicht für die Schläue allgemein, sondern zeigt, daß dieser in bestimmten Situationen schlau handelt. Gemeinsam ist Parabel und Fabel eine lehrhafte Tendenz, denn die Parabel will nicht etwa eine Wahrheit verbergen, sondern sie will den Leser auffordern, die Schlüsse selbst zu ziehen.
5.4. Philosophisches Naturgedicht
Im Naturgedicht wird die Natur als menschliche Lebenswelt oder deren Einzelerscheinungen thematisiert. In der Naturphilosophie geht man über die gegenständliche Beschreibung (Landschaft, Blumen, Bäume etc.) hinaus: Es kommen zivilisationskritische, antitechnische oder auch utopische Haltungen zum Ausdruck. Fabel und philosophisches Naturgedicht haben gemeinsam, daß Folgerungen aus der Naturbeobachtung gezogen werden, allerdings findet bei der Fabel keine direkte Auswertung statt.
Das Naturgedicht hat keine Handlung, es bezeichnet einen Zustand. Hier kann man eine klare Grenze zur Fabel ziehen. Die Fabel schildert immer einen Handlungsverlauf. Die Fabel ist nicht lyrisch, sondern immer episch oder dramatisch. Das Naturgedicht nähert sich wissenschaftlichen Kategorien an, auf fabulose Verfremdung wird verzichtet.
6. Literaturverzeichnis
1) Dithmar, Reinhard:
Die Fabel
8.Auflage, Schöningh, 1997 (unverändert seit 1988)
2) Hippe, Robert:
Die Fabel Dichtung in Theorie und Praxis Hollfeld, C. Bange Verlag, 1981
3) Knörrich, Otto (Hg.):
Formen der Literatur in Einzeldarstellungen
2. überarb. Auflage, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 1991
4) Leibfried, Erwin:
Fabel - Sammlung Metzler - Realien zur Literatur - Band 66
4., durchg. und erg. Auflage, Stuttgart, Metzler, 1982
5) Meyers Lexikonredaktion unter Leitung von Kwiatowski, Gerhard (Hg.): Schülerduden Die Literatur
2. überarb. und erg. Auflage, Mannheim, Wien, Zürich, Dudenverlag, 1989
6) Schweikle, Irmgard und Günther (Hg.):
Metzler Literatur Lexikon Begriffe und Definitionen
2. überarb. Auflage, Stuttgart, 1990
[...]
1 Außerdem versteht man unter dem Begriff „Fabel“ heute auch das Stoff- und Handlungsgerüst, das einem epischen oder dramatischen Werk zugrunde liegt.
- Arbeit zitieren
- Stefanie Plener (Autor:in), 1999, Die Fabel als Gattung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96979
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