Die "großen" Einflüsse auf die Börsenkurse
Konrad Huber
Langfristig sind die Börsen nichts anderes als zeitversetzte Spiegelbilder der realen Wirtschaft. Sie funktionieren niemals abgehoben von Produktion, Handel und Geldwirtschaft. Die ,, kurzfristigen" und ,,langfristigen" Bewegungen verhalten sich dabei, frei nach der Börseninstitution Andre Konstolany, in diesem System zueinander etwa so, wie ein Hund gegenüber seinem Herrn während eines Spazierganges. Dieser läuft zwar jenem manchmal davon oder bleibt zurück, schließlich kommen die beiden aber zusammen am Ende des Weges an.
Klaffen Erwartungen (Börse) und Realität (Wirtschaft) zu stark auseinander, kommt es zu einer Trendende bzw. Sogar zu Preisstürzen oder Preisschüben. Je nachdem, ob es sich um Aktienbörsen, organisierte Märkte für Rentenpapiere oder Devisen, Warenbörsen (z.B. für Metalle und landwirtschaftliche Produkte) oder um Börsen für sogenannte ,,Derivative" handelt, sind dabei verschiedene Phänomene zu beobachten.
Im Blickpunkt der interessierten Öffentlichkeit stehen in der Regel die Aktienbörsen. Und seit dem großen Börsenkrach in der Wallstreet im Jahre 1929 wurden wahrscheinlich nur wenige menschliche Aktivitäten so häufig und unter so vielen Gesichtspunkten untersucht wie das Kaufen und Verkaufen von Aktien. Ein Heer von Experten, Hobbybörsianen und Scharlatanen ist somit seit Jahrzehnten bemüht, verläßliche Methoden zu finden, wie man Situationen und Entwicklung von Märkten erkennen kann.
Die Schwierigkeit dabei ist, daß Preise eine Vielzahl von Faktoren reflektieren. Dazu gehören nicht nur nüchterne Analysen von Unternehmensdaten, ebenso fließen die Erwartungen (Hoffnungen, Befürchtungen, Vermutungen und Stimmungen), rationale ebenso wie irrationale, aller Marktteilnehmer ein. Die Börse spiegelt aber selbstverständlich auch deren tatsächliche Bedürfnisse und die Kapitalausstattung der gehandelten Unternehmen wieder. Insgesamt also eine Reihe von Einflußgrößen, die sich jeder noch so genauen Einzelanalyse entziehen müssen.
Ein kurze Historie als Erklärungsansatz
Der Grundstein für das Börsenwesen wurde im Spätmittelalter gelegt und ist eng mit dem Seßhafteren des Handels verknüpft. Wichtige Börsengründungen fanden zum Beispiel 1531 in Antwerpen, 1571 in London und 1611 in Amsterdam statt. Ursprünglich handelte es sich um reine Warenbörsen.
Durch die Entwicklung großer Handelsgesellschaften und die damit verbundenen neuen Formen der Unternehmensfinanzierung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gab es in England bereit s die ersten Aktiengesellschaften im heutigen Sinn und bald darauf die Märkte für übertragbare Unternehmensanteile. Und etwa Mitte des 17. Jahrhunderts konnte man dann auf der Amsterdamer Börse schon viele Spielarten moderner Börsengeschäft, wie zum Beispiel Termingeschäft und Optionskäufe, finden. Bis zur Schulzeit der heutigen Bankdirektorengeneration existierten allerdings überwiegend nur nationale Aktienbörsen und nationale Geldmärkte.
Wenn hingegen heute in London der Diskontsatz um einen Viertel Prozentpunkt erhöht wird, geht diese Meldung binnen Sekunden um die ganze Welt und löst überall und sofort Reaktionen auf den Geldmärkten aus. Und wenn in New York ein Einbruch der Aktienbörse stattfindet, wie etwa im Oktober 1987, so purzeln innerhalb von Minuten auch in London, Frankfurt und Tokio die Kurse. Für den Anleihenmarkt und die verschiedenen Futuresbörsen gilt das analog. Gleichzeitig übertreffen inzwischen die Umsätze an den Finanzmärkten die Handelsumsätze der notierten Aktiengesellschaften um ein zigfaches.
Insbesondere gewinnen in den letzten Jahren die Börsen für die bereits erwähnten ,,Derivation Instrumente" (Futures, Optionen, Swaps etc., ) immer mehr an Bedeutung. Erklären läßt sich die am besten durch einen kleinen Sidestep zur ,,Drei-Sektoren-Hypothese".
Die Drei-Sektoren-Hypothese
Dieser Theorie zufolge ist der wirtschaftliche Entwicklungsprozeß durch eine Verschiebung der Ressourcen vom primären Sektor ( Landwirtschaft etc.) über den sekundären Sektor (Gewerbe, Industrie etc.) hin zum tertiären Sektor (Dienstleistungen) gekennzeichnet. Ganz analog dazu verliert im Finanzbereich der primäre Banksektor (Sparbuch auf der einen ,,einfache" Kredite auf der anderen Seite) ständig an Bedeutung. Ebenso stellen das mehr oder weniger unbetreute Wertpapierportefeuille oder die übliche Kreditpalette ( in Österreich z. B. vom ERP über Bürges bis zum Investitionskredit), also im übertragenen Sinne der sekundäre Sektor des Bankgeschäftes, keine zeitgemäßes Angebot dar. Die Entwicklung geht heute ganz eindeutig in Richtung Dienstleistungen wie Cash-Management, Finanzkonzepte für Joint- ventures oder umfassende Vermögensberatung.
Wie neue Technologie, so schafft dieses Financial engineering ( der ,,tertiäre Banksektor) neue Produkte und neue Arbeitsplätze. Ausgelöst wurde diese Entwicklung durch verschiedene Faktoren: z.B. durch neue Leitlinien in der Wirtschaftspolitik, durch steigende Risiken, durch den verschärften Wettbewerb auf dem internationalen Kreditmarkt, durch die Verschuldungskrise, durch das Dollar-Floating und anderes mehr.
Paradebeispiel dafür ist die Entstehung des ,,Eurodollar"- Marktes: Ende der 50iger Jahre transferieren osteuropäische Staaten, allen voran die damalige Sowjetunion, aus Angst vor einem möglichen ,,Einfrieren" ihrer Konten durch die US-Regierung, ihre Guthaben von amerikanischen Banken nach London. Dieser Markt für Dollars außerhalb der USA, der dann in der Folge durch verschiedene andere Entwicklungen (z.B. durch britische Devisenbestimmungen oder die Einführung von Zinsobergrenzen für Termineinlagen in den USA) aufgewertet wurde, ist heute von größter Bedeutung für internationale Zahlungsflüsse und hat seine ganz eigenen ,,Gesetze" entwickelt.
Die wichtigsten Investoren der Welt
Ganz allgemein ist bei den Marktteilnehmern an den internationalen Finanzmärkten eine grobe Unterscheidung in folgende Kategorien sinnvoll:
- Finanzinstitutionen
- multinationale Unternehmen
- Staaten/öffentliche Hände
- Investmentfonds
- nationale Unternehmen
- Privatkunden
- Vermittler (Broker)
- Die Markttätigkeit der genannten Gruppen hat wiederum verschiedene Hauptmotive bzw. Antriebe zur Grundlage:
- Absichern
- Spekulieren
- Kapitalbeschaffung
- Arbitrieren
Vor dem Hintergrund der Marktteilnehmer und deren Motivstruktur sowie der schon skizzierten Globalisierung können nun verschiedene Einflußgrößen auf die Finanzmärkte identifiziert werden.
Primär sind zu nennen:
- Realwirtschaftliche bzw. makroökonomische Veränderungen (z.B. BIP-Wachstum), zumeist verücksichtigt auf Basis von statistischen Daten und Prognosen. Gutes Beispiel: Die wirtschaftlich positive Entwicklung mehrerer südamerikanischer Staaten.
- Politische Entwicklungen (z.B. ,,Systemstabilität"). Gutes Beispiel: Die früheren Vorbehalte vieler Investoren gegen Südafrika.
- Standortfragen. Gutes Beispiel: Wien und Berlin als ,,Drehscheiben" für die Markterschließung Osteuropas.
- Entscheidungen zur Machterhaltung bzw. -erlangung (z.T. ökonomisch falsch, trotzdem rational!) G. Bsp.: Der Zerfall Jugoslawiens.
- Verschiebungen in der Wertstruktur. Bsp.: Verfall des Goldpreises. Irgendwann hat Rußland zuviel Gold auf den Markt geworfen.
- Strukturverschiebungen im Investitionsverhalten. Bsp.: Managed-Future-Fonds.
- Neue Technologien (insbesondere auch im Bereich der Kommunikation) bzw. Verfahrenstechniken.
Bsp.: Die ,,Generationssprünge" in der Informatikindustrie, etwa die Entwicklung des PC oder der Mobiltelefone.
- Wirtschaftspolitik (Zinsniveau, Wechselkursparitäten). Bsp.: Leitzinserhöhungen oder - senkungen durch die Notenbank eines Landes.
- Rechentechnik/Einsatz von mathematischen Modellen als teilweise ausschließliche Entscheidungsbasis für Käufe und Verkäufe an den Börsen.
Die Entwicklung von langfristigen Einflüssen bzw. Wirkungen der aufgezählten Faktoren darzustellen.
- Quote paper
- Konrad Huber (Author), 1999, Die "großen" Einflüsse auf die Börsenkurse, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96914