Probleme der Theoriebildung in den Sozialwissenschaften
1. Das Werkzeug Sprache
1.1 Begriffe und Wirklichkeit
Mit Worten und deren Bedeutungen werden Erscheinungen unserer Wirklichkeit erfaßt, geordnet und in einen Zusammenhang gebracht. Sprache ist also ein Werkzeug zum Begreifen der Wirklichkeit. Über die Zuordnung von Bezeichnungen zu Erscheinungen werden Begriffe geschaffen.
Allerdings besteht ein Spannungsfeld zwischen Begriffen und Wirklichkeit: die Zahl der Er- scheinungen der Wirklichkeit ist unendlich, entsprechend müßte es unendlich viele Begriffe geben (-> Quantitätsproblem) und die Beschaffenheit dieser Erscheinungen ist nicht erschöpfend zu beschreiben (-> Qualitätsproblem). Außerdem kann ein Begriff je nach Gebrauch unter- schiedliche und unterschiedlich viele Erscheinungen umfassen. Für den wissenschaftlichen Ge- brauch ist nun eine eindeutige Klärung der Begriffe, also dessen, was eine Bezeichnung "bedeuten" soll, unumgänglich.
Jeder Begriff läßt sich in eine Aussage auflösen (-> Definition), jede Aussage kann zu einem Begriff verdichtet werden.
1.2 (Sozial-) Wissenschaft
Wissenschaft ist ein Kommunikationsprozeß mit dem Ziel der Entdeckung neuer Erkenntnisse, der durch regelgeleitetes, methodisches Vorgehen, die Definition von Begriffen und die Auf- stellung und Überprüfung von Hypothesen ermöglicht und so zur Vergrößerung gesicherten Wissens führt.
Ziel der modernen Sozialwissenschaft, begründet durch Comte und Durkheim, ist es, das Zusammenleben von Menschen zu untersuchen mit dem Ziel, generalisierbare Aussagen zu gewinnen. Aus dem Gegenstandsbereich ergeben sich Probleme:
- Da der Forscher selbst Teil seines Untersuchungsgegenstandes, des Sozialen, ist, ist es schwierig, die nötige Distanz und Neutralität gegenüber dem Untersuchten zu gewinnen. Die Sprache als Werkzeug der Erkenntnis schiebt sich verbindend zwischen Subjekt und Objekt und macht somit Distanz unmöglich
- Die soziale Wirklichkeit besitzt aufgrund der unendlichen Menge ihrer Elemente und der Korrelationen zwischen diesen eine ungeheure Komplexität und Vielschichtigkeit.
- Die soziale Wirklichkeit ist dynamisch, was unendlich viele Problemstellungen produziert. Außerdem bedeutet der stetige Wandel des Untersuchungsgegenstandes, daß bereits ge- wonnene neue Erkenntnisse rasch wieder veraltet sind.
- Es ergibt sich ein Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch, Regelhaftigkeiten zu fin den und Erkenntnisse zu generalisieren und der Notwendigkeit, das individuelle, subjektive und zeitgebundene Elemente sozialer Phänomene zu berücksichtigen.
1.3 wissenschaftliche Aussagen
- Logische Aussagen stellen Zusammenhänge formal her. Durch logisches Schließen gewonneue Aussagen sind immer nur logisch, nicht aber unbedingt empirisch wahr.
- Faktische Aussagen drücken empirisch erfahbare Erscheinungen aus und lassen sich in des-- kriptive und explikative Aussagen unterscheiden.
- Normative Aussagen schreiben vor, erlassen Regeln, Gebote oder Empfehlungen, enthal ten Werturteile.
- Technologische Aussagen geben einen Zweck vor und beschreiben Mittel, mit denen die ser Zweck zu erreichen ist.
Diese Unterscheidung ist jedoch idealtypisch, in der Realität tauchen Mischformen auf. In der Sozialwissenschaft werden faktische und normative Aussagen am häufigsten auftreten; wichtig ist, daß sich der SozWiss über den Status seiner Aussagen bewußt ist.
2. Sprachtheorie und Begriffsbildung
2.1 Semiotik
Der Grundgedanke der Semiotik besagt, daß jedes Zeichen/jeder Begriff drei Dimensionen aufweist:
- Die pragmatische Dimension, d.h. das Verhältnis Mensch-Zeichen, denn jedes Zeichen wird uf eine bestimmte Weise von jemandem verwendet und übermittelt.
- Die syntaktische Dimension, d.h. das Verhältnis von Zeichen zu Zeichen, denn jedes Zei- chen ist Teil eines Zeichensystems.
- Die semantische Dimension, d.h. das Verhältnis von Zeichen und dem, was damit gemeint ist, also die Bedeutung. Eine sinnvolle Folge von sprachlichen Zeichen ist ein Ausdruck, die Bedeutung eines Ausdrucks ist ein Begriff.
2.2 Begriffsbildung
Die Bedeutungen von Ausdrücken, also die Begriffe, sind geprägt von der Gesellschaft, in der sie entstanden sind bzw. in der sie verwendet werden. Es bilden sich in einer Gesellschaft Überinkünfte über die Bedeutung von Ausdrücken heraus, Begriffe werden gesellschaftlich konvenTionalisiert. Verständigungsprobleme zwischen A und B tauchen dann auf, wenn sie mit den ausgetauschten Zeichen oder Ausdrücken verschiedene Bedeutungen verbinden. Derartige Bedeutungsdifferenzen und Bedeutungswandel allgem. sind v.a. bedingt durch Schichtzugehö- rigkeit, Zeit, funktionsbedingte Sondersprachen, Ideologie, persönliche Erfahrungen.
2.3 Begriffsdefinitionen
Um Verständigungsprobleme zu reduzieren, müssen in der Wissenschaft Begriffe für den je- weiligen Gebrauch definiert werden. Definition bedeutet die Bestimmung von Begriffen und ihre Bindung an eine Zeichenfolge. Dabei wird die Bedeutung eines Begriffes häufig mit Hilfe anderer bereits bestimmter Begriffe festgelegt, was auf einen unendlichen Regreß hinausläuft. Es gibt verschiedene Arten von Begriffsbestimmungen:
- Die Realdefinition oder Wesensdefinition ist der Versuch, eine direkte Beziehung zwischen Ausdruck und Objekt herzustellen und somit das Objekt definitiv und erschöpfend zu be- stimmen. Eine Realdefinition ist in den SozWiss unmöglich.
- Die Begriffsexplikation will den allgemein üblichen Gebrauch eines Begriffes erläutern.
- Die Nominaldefinition stellt eine Übereinkunft über einen Begriff und seine Verwendung für einen bestimmten Zweck in einem eingrenzbaren Zusammenhang dar. Eine Nominalde- finition spielt sich allein auf der Ebene der Begriffe ab, kann keinen direkten Bezug zur Wirklichkeit herstellen und damit keinen Anspruch auf Wahrheit erheben.
- Die operationale Definition zielt darauf, Begriffe in einer Zahl mit Maßeinheit auszudrüc??k- ken undf unktioniert in Reinform nur in den Naturwissenschaften. In den SozWiss: Codie rung.
3. Theorien
Eine Theorie ist ein System logisch miteinander verbundener, widerspruchsfreier Hypothesen. Sie enthält eine Reihe von unabhängigen Aussagen aus denen weitere Aussagen, Gesetze und Theoreme mittels Regeln abgeleitet werden. (-> Friedrichs)
3.1 Funktionen von Theorien
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3.2 Ansprüche an Theorien
- Informationsgehalt
- Präzision und innere Widerspruchsfreiheit
- Bewährtheit/ empirische Überprüfbarkeit
- Intersubjektivität/ Nachvollziehbarkeit
- Kommunikabilität/ Verständlichkeit
- Authentizität/ Validität
3.3 Theoriearten
Theorien werden unterschieden nach Reichweite, Abstraktionsgrad und Komplexität. Reihenfolge nach zunehmender Komplexität und Abstraktion:
empirische Regelhaftigkeit -> ad-hoc-Theorie -> Theorie mittlerer Reichweite -> Theorie hoher Komplexität
3.4. Notwendigkeit einer theoriegeleiteten Empirie
Faßbar sind immer nur Ausschnitte der Wirklichkeit, diese sind nur sinnvoll zu erfassen, wenn sie systematisch - theorieorientiert also - erhoben werden. Theorien tragen bei zur Reduktion von Komplexität, zur Intersubjektivität und zur Abstraktion.
- Arbeit zitieren
- Svenja Kunze (Autor:in), 2000, Kommunikationstheorie: Probleme der Theoriebildung in den Sozialwissenschaften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96600