Zusammenfassung einiger Kapitel aus Popitz, Heinrich: Prozesse der Machtbildung, Tübingen 1969
Prozesse der Machtbildung verdeutlicht an drei Beispielen und deren Analyse
Definition von Macht nach Max Weber:
"Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigen Willen, auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht."
Gemeinsamkeiten der Beispiele:
- wenige gewinnen Macht über viele
- Minderheit setzt sich gegen die eindeutigen Interessen einer Mehrheit durch
- "kasernierte" Bedingungen fi auseinanderlaufen ist nicht möglich
- alle Beteiligten beginnen die Situation mit den gleichen Bedingungen
- es existiert ein knappes Gut, was von vielen begehrt wird (Liegestühle, Herd, Brot)
2.1. Beispiel: Kreuzfahrtschiff
Ein Schiff kreuzt von Hafen zu Hafen. Passagiere verlassen das Schiff, neue kommen an Bord. Auf dem Schiff existieren etwa ein Drittel so viele Liegestühle wie Passagiere. Die Liegestühle wechselten ständig den Besitzer (Belegsymbole wurden nicht anerkannt), wodurch immer genügend freie Liegestühle vorhanden waren. Ein begrenztes Gebrauchsgut wurde nicht knapp.
1. Phase: Eine Gruppe von Neuankömmlinge brachte alle Liegestühle an sich und erhob einen dauerhaften
Besitzanspruch auf diese. Die "Auch-Besitzer" verteidigten die frei gewordenen Stühle durch Posen, Gesten und Geschrei, gegenüber den anderen Passagieren. Die nicht besetzten Liegestühle wurden zusammengeklappt und dienten als Ringmauer. Die Durchsetzung einer exklusiven Verfügungsgewalt über ein Gebrauchsgut etablierte zwei Klassen, die der Besitzenden (positiv Privilegierte) und die der Nicht-Besitzenden (negativ Privilegierte).
Die Besitzenden hatten, gleichbleibenden Bedarf vorausgesetzt, gegenüber der alten Ordnung noch keinen Vorteil errungen. Das Beneidenswerte ihrer Situation ist, daß sie nicht zu den Besitzlosen gehören und ihre Position ausbaufähig ist.
2. Phase: Die Liegestühle werden gegen Naturalien und Dienstleistungen (Wächteramt) vermietet. Dadurch kommt es zur Dreiteilung des Gefüges in Besitzende, Wächter und Nur-Besitzlose.
In der ersten Phase wäre eine offene Kraftprobe für die Minderheit am gefährlichsten gewesen. Durch die Dreiteilung wäre eine Kraftprobe nicht unbedingt erfolgreich.
2.1.1. Machtausübung durch die überlegene Organisationsfähigkeit der Privilegierten
Zu Beginn existieren zwei gegensätzliche Ordnungsvorstellungen, die untereinander in Konflikt geraten. Hier die dauerhafte exklusive Verfügungsgewalt, gegen die zeitweilige Nutzung aller. Die Minderheit kann sich gegen die Mehrheit durchsetzen, weil sie es versteht sich schnell und wirkungsvoll zu organisieren. Das gemeinsame Interesse der Minderheit ist also wesentlich organisationsfähiger.
Situation der Besitzenden:
Übernimmt man die Überwachung des Anspruches eines anderen, kann man darauf hoffen, daß dieser auch die Überwachung des eigenen Anspruches übernimmt. Aus gleichem Interesse heraus helfen wir die Ansprüche zu verteidigen. Außerdem erhöht jeder Fall, in dem ein Besitzanspruch Geltung erreicht, auch die eigenen Chancen. Indem wir dem anderen helfen, helfen wir gleichzeitig uns selbst und dem Prinzip (individuelles und gemeinsames Interesse decken sich). Durch die Gegenseitigkeit erhöht sich die Geltung des Besitzanspruchs.
Situation der Nichtbesitzenden:
Bei den Nichtbesitzenden besteht zwar Einigkeit darüber, daß die bestehende Ordnung ungerecht ist. Dies schafft aber noch kein Einverständnis darüber, welche Neueordnung gerecht wäre.
Das gemeinsame Interesse die alte Ordnung wiederherzustellen ist vorhanden, aber dies ist die schwierigste und unwahrscheinlichste Lösung, da sie einen erneuten Angriff der Privilegierten hervorrufen würde (freie Konkurrenz des Ordnungsentwürfe).
Die Möglichkeit das genossenschaftlich gleichheitliche Prinzip durchzusetzen, funktioniert nur durch eine Umerziehung der Privilegierten oder durch eine geschlossene Gesellschaft, an der die Privilegierten vom Gebrauchsrecht ausgeschlossen sind.
Für die Unterprivilegierten ist eine Kooperation eine viel höhere Leistung, als die der Privilegierten, da die Kooperation keinen individuellen Erfolg zusichert und der Zusammenhalt für den einzelnen nicht unmittelbar garantiert wird. Gemeinsamkeit bedeutet zumeist nur ein Wagnis. Sie dürfen nicht auf den Augenblicklichen Vorteil schauen, sondern müssen sich auf ein entferntes Ziel hoffen. Die Nichtbesitzenden stehen vor der ungewöhnlichen Schwierigkeit, das was jeder will, umzusetzen in etwas was alle wollen.
Für die Nichtbesitzenden ist es schwierig sich zu organisieren, da sie nicht so schnell eine Einigkeit über eine Neuordnung erzielen können und auf einen augenblicklichen Vorteil verzichten müßten, um ein entferntes Ziel vielleicht zu erlangen.
Warum können wenige anscheinend so leicht über viele herrschen?
Die überlegene Organisationsstruktur der Gruppe. Menschen die etwas für sich haben möchten, haben eine bessere Chance sich zu organisieren.
Weil die wenigen die Besitzenden sind und weil der Besitz - die Verteilung des Besitzes, das gelöste Problem der Verteilung und damit die Ordnungsübereinstimmung - eine überlegene Organisationsfähigkeit vermittelt. Sie herrschen nicht zuletzt, weil sie in dieser Weise überlegen sind, und weil sie herrschen, können sie diese Überlegenheit ständig reproduzieren und eventuell weiter ausbauen.
Die neue Gruppe besaßzunächst nichts als die augenblicklichen de-facto-Verfügungüber ein allgemeines Gebrauchsgut und stellte den Anspruch auf exklusive und dauerhafte Verfügungsgewalt: dieser scheinbar hauchdünne Vorsprung reichte zur Bildung einerüberlegenen Organisationsfähigkeit aus, - und damit zumBeginn eines Ansammlungsprozesses der Macht gegen die Interessen der Mehrheit.
2.1.2. Entstehung der Legitimitätsgeltung aus dem Gegenseitigkeitsprinzip
Legitimitätsgeltung im Sinne von Max Weber erreicht eine Ordnung, insbesondere auch eine Herrschaftsordnung, sofern sie als "an sich verbindlich" anerkannt wird; eine Anerkennung grundsätzlicher Art, die über bloße Gewohnheit und Zweckmäßigkeit hinaus ein zusätzliches Motiv schafft, sich im Sinne dieser Ordnung zu erhalten. Je höher die Legitimitätsgeltung ist, desto größer die Chance ordnungs- und herrschaftskonformen Verhaltens.
Die Herrschenden stellen einen Legitimitätsanspruch nach unten, die Beherrschten adressieren einen Legitimitäsglauben nach oben.
Im Fall des Kreuzfahrtschiffes vollzieht sich die Anerkennung der Privilegierten aus dem Gegenseitigkeitsprinzip in einem Austauschprozeß. Die neue Ordnung ist zunächst nur für die Privilegierten legitim, sie helfen sich gegenseitig beim Aufbau ihres überzeugend guten Gewissens. Ich erkenne nicht nur meinen Anspruch an, sondern auch den Anspruch der anderen, die meinen anerkennen. Durch die gegenseitig Bestätigung entsteht der Glaube an die Gültigkeit der Ordnung.
Legitimitätsgeltung als wechselseitige Bestätigung zwischen Gleichen, als Übereinstimmung Privilegierter über die Gültigkeit der Ordnung, die sie privilegiert. Die Mitglieder der privilegierten Gruppe bestätigen sich gegenseitig Recht zu haben und richtig zu handeln., so daß schließlich alle davon überzeugt sind. Dies ist wichtig, um auch auf andere überzeugend zu wirken.
Dieser interne Vorgang gibt den Beteiligten eine zunehmende Sicherheit, die eine nicht zu unterschätzende ausstrahlende Wirkung nach außen hat, die Suggestivkraft des Einverständnisses. Verstärkt wird diese Suggestivkraft noch durch Grußformen, Kleidung und Anerkennungsgesten mit "vor-bildlicher" Wirkung.
Durch die gegenseitige Anerkennung der Privilegierten, wirkt die Ordnung auch für die anderen zunehmend als legitim. Man zweifelt eher an dem eigenen Ordnung, als an eine Ordnung die andere für legitim halten.
2.2. Beispiel: Kriegsgefangenenlager
Kriegsgefangenenlager in England am Ende des 2. Weltkrieges. Die Gefangenen bekommen nur rohe Lebensmittel, offenes Feuer ist verboten.
Vier Kriegsgefangene mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten (einer war Koch, einer Klempner, einer konnte Englisch und einer verfügte über Körperkraft) schlossen sich zusammen. Sie entwickelten eine ungewöhnliche Solidarität. Der von jedem mitgebrachten Besitz wurde Gemeineigentum, auch die Währung des Lagers - die Zigaretten. Sie verteilten die Aufgaben untereinander sinnvoll und spezialisierten sich.
Dadurch hatten sie die Möglichkeit einen Herd zu bauen, der mit wenig Brennmaterial auskam. Dessen Bau erforderte viel Zeit, Geschick und Arbeitsaufwand. Die Gruppe entwickelte sich weiterhin zum Handels- und Machtzentrum des Lagers.
Zuerst mußte von Außenstehenden für die Benutzung des Herdes nur bestimmte Bezahlungen geleistet werden. Diese Zahlungen verwandelten sich in Dienstleistungen (Wachdienst) und mit wachsender Nachfrage wurde die Benutzung zum Gnadenakt.
Nach einiger Zeit verstärkte sich die Gruppe durch die Dienstleistenden, so daß der Bau eines Konkurrenzherdes verhindert werden konnte. Die Benutzung des Herdes wurde zum Gnadenakt und es entstand ein Monopol auf ein knappes Gut.
2.2.1. Produktive Überlegenheit von Solidaritätskernen durch Arbeitsteilung, Spezialisierung und Kooperation
Die vier gingen ein unangemessenes, unbegründetes Wagnis ein. Das Vertauen wurde nicht ausprobiert, sondern vorweggenommen. Durch die Solidarität ergeben sich folgende Organisationschancen zur Produktivitätssteigerung:
1. helfen und teilen, ist die Grundform der Solidarität aus der sich alle anderen bilden; bietet schon in seiner einfachsten und spontansten Form eine Chance zur Leistungssteigerung
2. koordiniertes Kollektivhandeln fi gleichartige Tätigkeiten, die gleichzeitig und am gleichen Ort ausgeführt werden: gemeinsames Zupacken, ermöglicht bestimmte Leistungen durch einen Summierungseffekt der Kräfte, Kettung ineinandergreifender Tätigkeiten
3. zeitliche Reihung gleichartiger Tätigkeiten, z.B. Ablösen bei schwerer körperlicher Arbeit
4. räumliche Trennung gleichartiger Tätigkeiten, Ausnutzung verschiedener Chancen zum gleichen Zeitpunkt
5. durch stellvertretendes Handeln Arbeitskraft einsparen und für andere Zwecke freisetzen
6. kurzfristige Arbeitsteilung, Leerzeiten fallen weg
7. dauerhafte Arbeitsteilung führt zu Spezialisierungseffekten
8. Spezialisten finden schneller neue Arbeits- und Produktionsmethoden der Teilprozesse heraus
9. Gliederungs- und Koordinationschancen des Gesamtprozesses
Durch die Kooperation wird Arbeitskraft freigesetzt, die für neue Aufgaben genutzt werden kann, z.B. für den Bau des Herdes. Die praktizierte Solidarität schafft auch Sicherheit und Geborgenheit. Mit zunehmender äußerer Sicherheit, steigt auch die innere Sicherheit und es entsteht ein Überlegenheitsbewußtsein.
Dies alles ergibt noch keine unbedingte Machtausübung über andere. Machtbeziehungen entwickeln sich erst mit der zunehmenden Abhängigkeit der Außenstehenden, ihrer Angewiesenheit auf die Gunst der Gruppe und verfestigen sich dann mit der Durchsetzung des Produktionsmonopols.
Die produktive Überlegenheit schuf bereits ein Machtpotential, sie stellte die Mittel zur Verfügung, die sich in Macht umsetzen ließen. Die Produktive Überlegenheit war das Resultat der hohen Organisationsfähigkeit, die ein Resultat des strategisch plausiblen Ergebnisses ihres ungewöhnlichen Solidarität war.
2.2.2. Machtnahme als Staffelungsprozeß
Damit eine Minderheit über eine Gruppe der Mehrheit herrschen kann, muß der Zusammenhalt der Gruppe verhindert werden (teile und herrsche). Ein Mittel zur Verhinderung von Gegenkoalitionen ist die Politik der Staffelung. Der Versuch die Außenstehenden im Bezug zum Machtzentrum zu differenzieren, abzustufen und durch diese Art der Teilung verschiedene Interessenlagen zu schaffen. Vereinfacht ist das strategische Ziel eine Staffelung von drei Teilgruppen zu bilden. Dieser Vorgang läuft nicht unbedingt bewußt ab.
a) Staffel der Teilnehmer
Gruppe der Teilhaber, Anverwandten, des Stabes (Wachdienst, "Drecksarbeit" etc.)
Sie sind vom Machtzentrum abhängig, es wird ihnen jedoch eine Gewinnbeteiligung zugestanden. Daher besteht eine ambivalente (doppelertige) Beziehung zur Machtgruppe.
Die Gruppe ist am sinnvollsten, wenn sie bereit ist sich im Auftrag des Machtzentrums gegen andere zu wenden. Sie hat die Funktion des "Verstärkers"(Anweisungen, Meinungen) für das Machtzentrum und die Funktion des "Ableiters" für das Machtzentrum und den Unterprivilegierten. Die Unfehlbarkeit der Spitze wird erhalten, indem sie die Zurechnung des Mißerfolges auf sich zieht. Die Machtspitze behält "saubere Hände", da die Drecksarbeit von dieser Gruppe geleitet wird (in der Politik sehr verbreitet, z.B. Nazi-Deutschland: "wenn das Hitler wüßte"). Die Gruppe kann sich aus der Verantwortung ihrer Taten herausreden, da sie ja nur Befehle ausführt.
b) Staffel der Neutralen
Gruppe der Neutralen, Zuschauer, Nichtbetroffenen, Mitläufer
Am schwersten dürfte die Schaffung, Erhaltung und schrittweise Reduzierung der Staffel der Neutralen sein. Sie ist die Wichtigste, die ausschlaggebende Hilfstruppe der Machtnahme.
Ihnen muß suggeriert werden, daß sie mit dem Vorgang der Machtausdehnung, mit den Konflikten nichts zu tun habe und dies als Friedensprivileg verkauft werden. Sie müssen sich als die "Herausgehaltenen" solange geschätzt und möglichst wohl fühlen, bis sie nur noch den Rest darstellen, der darauf wartet verteilt zu werden.
Die große Gruppe der Mitläufer ermöglicht erst durch ihre Passivität die Machtnahme. Die eigene moralische Verantwortung wird verleugnet. Durch ihr "Nichtstun", ihr bewußtes wegschauen, werden sie mitschuldig.
c) Staffel der Unterprivilegierten
Gruppe der Unterprivilegierten, der Hörigen, der Paria (Asylanten, Ausländer, Behinderte, etc.)
Sie kann mit Hilfe der Stabsgruppe geschaffen werden; sie kann aber auch als erste Gruppe entstehen und dazu dienen den Prozeß der Staffelung in Gang zu bringen. Die Bildung dieser Gruppe hat den Vorteil, daß sie meist die Zustimmung der Neutralen erhält.
Prädestiniert für diese Gruppe sind die Neuen, die Fremden, die Andersartigen, Personen mit abweichenden Merkmalen.
Die Bekämpfung dieser Gruppe erfolgt zunächst nur propagandistisch. Danach werden ihre Verbindungen und Beziehungen zum sozialen Umfeld zerstört, wodurch sie aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwinden. Erst dann werden sie offen angegriffen und vernichtet (z.B. Juden in Nazi-Deutschland).
Sie sind die Sündenböcke, die Schuldigen an den Verhältnissen. Die anderen Gruppen bekommt dadurch ein entlastendes, verbessertes Gefühl. Es kommt zu einer Stärkung des "Wir-Gefühls".
Die Schwierigkeit besteht nicht so sehr in der Schaffung dieser drei Staffeln, sondern im angemessen dosierten Aussparen und Dezimieren der vorübergehend "Nichtbetroffenen", d.h. derjenigen Gruppe, die in der Lage wäre, überlegene Mehrheiten zu bilden, wenn sie sich als Gruppe konstituierte. Jede Solidarisierung der Gruppen muß verhindert werden. Der Teilungsprozeß muß also in jeder Phase verschiedenartige und trennende Interessenlagen durch "gestaffelte" Verhältnisse zur Machtgruppe begründen.
Verschiedenartige Abhängigkeitsverhalten wurde durch verschiedenartigen Einsatz von Gütern erzielt:
- Teilhaberschaft der Stabsgruppe gegen besondere Dienstleistungen
- "normale" Handelsbeziehungen mit den Neutralen gegen Konkurrenzverzicht
- wirtschaftliche Ruinierung und anschließende Ausbeutung der Arbeitskraft der untersten Gruppe
Die Ausdehnung und Steigerung des Abhängigkeitsverhältnisses beruht darauf, daß die Ansammlung von Gütern umgesetzt werden konnte in Machtausübung über Menschen (Abgaben, Dienstleistungen, Widerstandsverzicht, Folgebereitschaft) und die Machtausübung wiederum in eine Ansammlung von Gütern.
Daraus entsteht ein Umsetzen von Verfügungsgewalten über knappe Güter in Verfügungsgewalten über Menschen und umgekehrt.
2.3. Beispiel: Erziehungsheim
Eine Gruppe von 13 Jungen haben durch ein Heimkonzept der Selbstverwaltung viel Eigenverantwortung. Die Lebensmittel waren sehr knapp.
Die Staffelung der Gruppe war schon voll erfolgt; es gab keine neutrale Gruppe mehr. 4 Jungen bilden das Machtzentrum, 3 die Hilfsgruppe, 6 werden ausgebeutet, herumkommandiert.
Zum Frühstück erhielten alle Jungen je zwei Scheiben Brot. Die Unterdrückten mußten davon je eine abgeben. Die Hilfsgruppe bekam eine Scheibe ( also jeder 1/3 Scheibe), der Chef bekam 2 Scheiben, die anderen 3 aus dem Machtzentrum jeweils 1 Scheibe.
2.3.1. Reproduktion der Macht im System der Umverteilung
Behalten: Ein Teil der vereinnahmten Werte kann investiert und so das produktive Kapital - und damit ein Machtpotential - sukzessive vergrößert werden.
Geben und Nehmen: Die Ausgebeuteten sind nicht nur Objekte einer Machtanwendung, sie geben auch selber die Mittel für ihre Ausbeutung. Die vereinnahmten Werte dienen dazu das Verhalten anderer zu steuern (Belohnung der Hilfsgruppe). Die Hilfsgruppe macht mit, weil sich ihre Lage sonst verschlechtern würde, da sie jederzeit ersetzbar sind (Zuckerbrot und Peitsche).
Beide Gruppen sorgen, indem sie sich selbst fügen, zugleich dafür, daß andere sich fügen. Für die Spitze bedeutet die Fügsamkeit der einen Gruppe zugleich das Mittel, die anderen fügsam zu machen. Ein und dasselbe Gut reproduziert also auf der gebenden und nehmenden Seite die Macht. Dies geschieht durch die Umleitung der Güter über das Machtzentrum.
Die Ausgebeuteten haben Angst vor einer Verschlechterung ihrer ohnehin schon schlechten Lage, die Hilfstruppen haben wegen ihrer Austauschbarkeit Angst vor einer Verschlechterung. Die Interessen der beiden Gruppen können ständig gegeneinander ausgespielt werden.
Das System der Umverteilung funktioniert wie von allein, es gewinnt eine selbständige, freischwebende Funktionssicherheit. Gewalt tritt nur noch als Notmaßnahme auf und ist nicht Kennzeichen des System, sondern seiner Defekte. Solche Systeme lassen sich nur noch schwer von innen zerbrechen, sie werden durch äußere Eingriffe zerstört oder durch Veränderungen der wirtschaftlichen Grundlage.
Es handelt sich hierbei oft um schleichende Prozesse, die am Anfang als nicht gefährlich eingeschätzt werden. Weshalb auch zu Beginn nicht gegen sie vorgegangen wird (Salamitaktik).
Beispiel: Mittelalter: Adelige lebten ohne Arbeit im Luxus, da sie die Bauern ausbeuteten; Nazi-Deutschland: die Juden mußten die Transporte ins KZ von ihrem Vermögen bezahlen, ihr Arbeitslohn ging für die KZ- Unterbringung drauf, das Vermögen wurde nach dem Tode konfisziert.
2.3.2. Der Ordnungswert der Ordnung als Basislegitimation
Nach einer Zeit verinnerlichen die Unterdrückten die neue Ordnung, die Furcht tritt zurück und die Pflichten werden in Bereitschaft und Gefolgschaft erfüllt. Dies führt zu einer weiteren Vertiefung und Absicherung der Macht. Ein Machtsystem wird anerkannt werden, wenn Dauer und Ordnung eine für die Bewußtseinbildung tragende Bedeutung erhalten könne. Die bestehenden Verhältnisse erhalten einen Ordnungswert. Über die Anerkennung des Ordnungswert, wird das ganze System anerkannt. Nicht die Bedingungen der Ordnung werden anerkannt, sondern ihre Deutung und Bedeutung.
Ordnungssicher sind die Beteiligten, wenn sie sicher wissen welche Aufgaben alle Beteiligten haben und diese sie auch verläßlich ausführen.
Ordnung gibt Sicherheit, da eine Situation berechenbar ist. Auch wenn die Ordnung negativ ist, kann man immer noch planen und reagieren. Berechenbarkeit der Situation ist für die Menschen sehr wichtig (stabiles System). Lieber eine schlechte Ordnung (aktives handeln, wenn auch beschränkt, möglich), als keine oder eine unberechenbare Ordnung (Anarchie).
Der eigene alltägliche Aufwand schafft zwangsläufig einen Investitionswert in der bestehenden Ordnung. Die Änderung einer Ordnung wird dadurch mit ihrer Dauer immer schwieriger. Bei einer Änderung müßte der individuelle Investitionswert der bestehenden Ordnung aufs Spiel gesetzt werden.
Voraussetzungen für die Entstehung eines Ordnungswertes:
1. Unterdrückung systematisieren, d.h. voraussehbar machen
2. auch die Investitionen der negativ Privilegierten müssen gewissen Wert haben
3. bestehende Ordnung braucht Dauer
Zusammenfassung
Grundlage für die überlegene Organisationsfähigkeit, ist in allen drei Beispielen, die primären Akt der Solidarität, Helfen und Teilen. Die Weiterentwickung dieser Akte vom spontanen zum planvollen wiederholten, differenzierten und koordinierten Verhalten erreicht ein hohes Niveau.
Die Organisationsdefizite der "anderen" ergeben sich im ersten Beispiel aus der faktischen Besitzverteilung, wird dann im zweiten Beispiel im Prozeß der Machtausdehnung zusätzlich manipuliert (Strategie der Staffelung) und im dritten Beispiel im relativ verfestigten Machtgefüge systematisiert (System der Umverteilung).
Vorteile der Organisationsfähigkeit und Besitzvorteile könne als "Machtmittel" aufgefaßt werden, die sich in Macht umsetzen lassen.
Macht über andere Menschen läßt sich mit anderen Worten so steuern, daß der Einsatz von Besitzvorteilen die organisatorischen Vorteile erhöht und der Einsatz von organisatorischen Vorteilen die Besitzvorteile vermehrt.
Diese Umsetzung wird zunehmend manipulierbar, je mehr das Verhalten der anderen gesteuert werden kann. Es sind schließlich die Machtunterworfenen, die für die Machthaber diese Umsetzung leisten.
Reaktionen des Widerstandes waren erst in sehr späten Stadien - bei stark geminderter Widerstandsfähigkeit - zu erwarten. Eine Widerstandsbereitschaft als gelernte Reaktion - einschließlich gelernter Verfahrensweisen - fehlte. Sie hätten in sehr frühen Stadien des Prozesses fast sicheren Erfolg gehabt.
Dies bedeutet das den benachteiligten in unserer Gesellschaft Alternativen aufgezeigt und ihr Selbstbewußtsein gestärkt werden muß.
- Arbeit zitieren
- Detlef Kaenders (Autor:in), 1998, Prozesse der Machtbildung verdeutlicht an drei Beispielen und deren Analyse (zu: Popitz, Heinrich: Prozesse der Machtbildung, Tübingen 1969), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96487