In der Arbeit soll Chrétiens "Erec et Enide" sprachwissenschaftlich analysiert werden, wobei anfangs erst einmal Probleme der Übersetzung und phonologische Auffälligkeiten bei der Transkription des entsprechenden Textabschnitts ins Zentrum des Interesses rücken werden. Dazu gehören Vokale, Konsonanten und Nasale. Es soll der Frage nachgegangen werden, was konkret im Neufranzösischen übrigbleibt. Die sprachwissenschaftliche Untersuchung beschränkt sich jedoch auf eine kurze Textpassage, in der die Morphosyntax mit der Stammabstufung der Nomen und Verben und dem Artikelsystem mit dem bestimmten als auch unbestimmten Artikel untersucht werden sollen.
1 Einleitung
Das Altfranzösische – zeitlich betrachtet und begrenzt – ist im Wesentlichen die Sprache des Hochmittelalters, das heißt des 11. bis 13. Jahrhunderts. Erstes noch erhaltenes Zeugnis auf Altfranzösisch aus dem Jahre 1050 ist das Alexiuslied (Vie de Saint Alexis), denn es beinhaltet alle Merkmale: Grammatikalisch gesehen das Zweikasussystem, ein analytischer Satzbau und eine bestimmte Verbalmorphologie.
Diese Sprache entspricht zeitlich etwa dem Mittelhochdeutschen und dem Mittelenglischen. Dem Altfranzösischen geht das kaum durch Texte belegte, aber doch gut erschließbare gesprochene Latein Galliens voraus (Vulgärlatein, Sprechlatein). Dieses Vulgärlatein ist jedoch nicht in handschriftlichen Originaltexten überliefert. Es handelt sich um die galloromanischen Dialekte nördlich der Loire, welche die südliche Grenze des Altfranzösischen markiert, einschließlich England: langue d’oïl.
Vorlage für das Werk sind einfache Erzählformen, wie die bretonischen beziehungsweise keltischen „ Lais“ (Haug 2009: 98), wo es motivisch gesehen um die Gewinnung, den Verlust und Wiedergewinn einer Geliebten am Ende geht. Die Liebesbeziehungen können auch mit außerweltlichen Partnern, wie zum Beispiel feenartigen, also nicht-sterblichen Wesen, eingegangen werden. Es handelt sich dabei um kürzere Verserzählugen von Marie de France (nach 1160). Dieser arthurische Versroman ist um 1165 am Hof von Marie de Champagne in Frankreich entstanden und hat die Liebe zwischen Erec und Enide zum Thema.
Bis zu der näher kommentierten Textpassage wird vom Beginn der Liebe (1. Einleitungsteil) bis zur Hochzeit erzählt. Im zu untersuchenden Haupt- beziehungsweise Mittelteil (2. Teil) geht es um den Kampf zu Pferd mit drei Raubrittern – der Krise und Prüfung – in der auch die Liebe der beiden Protagonisten auf die Probe gestellt wird. Im Schlussteil (3. Teil) kommt es dann zur Krönung. Diese Hochzeit mit der Krönung als Vollendung ist vielleicht als Ideal und unerreichbares Ziel zu sehen. Eine Ehe mit einer wundersamen, feenartigen Gestalt spielt in vielen Märchen eine Rolle und ist als Urbild zu betrachten.
Im Folgenden soll Chrétiens „Erec et Enide“ sprachwissenschaftlich analysiert werden, wobei anfangs erst einmal Probleme der Übersetzung und phonologische Auffälligkeiten bei der Transkription des entsprechenden Textabschnitts ins Zentrum des Interesses rücken werden. Dazu gehören Vokale, Konsonanten und Nasale. Es soll der Frage nachgegangen werden, was konkret im Neufranzösischen übrigbleibt. Die sprachwissenschaftliche Untersuchung beschränkt sich jedoch auf eine kurze Textpassage, in der die Morphosyntax mit der „Stammabstufung“ (Wolf/ Hupka 1981: 100) der Nomen und Verben und dem Artikelsystem mit dem bestimmten als auch unbestimmten Artikel untersucht werden sollen. Zu Beginn des linguistischen Kommentars wird aber erst einmal allgemein etwas zum historischen Hintergrund erläutert.
2 Probleme bei der Übersetzung
„Lors torne l‘escu et la lance, contre le chevalier se lance; cil le voit venir, si l‘escrie. 2855 Quant Erec l‘ot, si le desfie; andui poignent, si s‘antre vienent, les lances esloigniees tienent; mes cil a a Erec failli, et Erec a lui maubailli 2860 que bien le sot droit anvaïr. Sor l‘escu fiert de tel aïr que d‘un chief en autre le fant, ne li haubers ne li desfant: en mi le piz le fraint et ront, 2865 et de la lance li repont pié et demi dedanz le cors. Au retrere a son cop estors, et cil cheï; morir l‘estut, car li glaives el cuer li but. 2870 Li uns des autres deus s‘eslesse, son conpaignon arrieres lesse; vers Erec point, si le menace. Erec l‘escu del col anbrace, si le requiert come hardiz; cil met l‘escu devant le piz, 2875 si se fierent sor les blazons.“ (Gier 2007: 162ff.)
Da(nn) hält (hielt) er den Schild vor und senkt(e) die Lanze, galoppiert(e) dem Ritter entgegen / dreht(e) sich gegen den Ritter; dieser sieht (sah) ihn kommen und (so) schreit (schrie) er. Als Erec das vernimmt (vernahm), fordert(e) er ihn (somit) heraus; beide sporn(t)en ihre Pferde, so kommen (kamen) sie aufeinander zu, die Lanzen halten (hielten) sie von sich gestreckt; dieser aber verfehlt(e) Erec und Erec richtet(e) ihn übel zu, denn sicherlich weiß (wusste) er es, dass er angreifen muss. Bei Gott, das Schwert wurde mit derartiger Wut geschlagen, dass er ihn vom einen Ende zum anderen spaltete, und das Panzerhemd kann ihn auch nicht schützen: Inmitten der Brust zerriss und zerbrach er ihn, und eineinhalb Fuß von der Lanze stieß er ihm in den Körper hinein. Indem er von seinem Körper zurückwich, zog er das Schwert heraus und der Gegner musste sterben, denn die Lanzenspitze hatte das Herz getroffen. Einer der beiden anderen stürmte los, ließ seinen Mitkämpfer hinter sich; spornte sein Pferd gegen Erec und droht ihm (somit). Erec umfasste das Schwert am Hals und erwartete (so) mit Kühnheit (Mut) den Angriff, jener (der Gegner) nahm den Schild vor die Brust und (so) schlugen sie sich gegenseitig auf den Schild (Foerster 1973).
Gerade in der dekonstruktivistischen, kulturwissenschaftlichen und ethnologischen Diskussion, beschäftigt man sich mit Fragen der Übersetzung. Die freie Übersetzung scheint hier die Norm zu sein, denn Schleiermachers Ansatz, der die Übersetzung als Paradigma einer „Kunst des Verstehens“ des Fremden begreift, sei - laut Sabine Lorenz - in der Folge bestimmend für die Übersetzungstheorie. Wie im Bemühen um ein dialogisches Verständnis müsse der Übersetzer den zu verstehenden Sinn in den Zusammenhang übertragen, in dem der Partner des Gesprächs lebt. Jede Übersetzung sei deshalb schon eine Interpretation von vielen und „Erkenntnisprozess“ zugleich laut Rudolf Kloepfer. Dieser Prozess sei weiterführend, unabgeschlossen und führt zu einem offenen Deutungsversuch. In der historisch deskriptiven Übersetzungsforschung geht man der Funktion der Übersetzung in der Zielsprache nach. Literarische Werke seien nicht isoliert zu betrachten, sondern lassen sich in ihrer Besonderheit immer nur im Zusammenhang mit dem Stellenwert begreifen, den sie innerhalb des Systems besitzen, also über ihre „Differenzqualität“ zu literarischen oder außerliterarischen Elementen (vgl. Arnold/ Detering 2008: 555ff.).
In der Übersetzung von Albert Gier wird das Demonstrativpronomen cil mit „Gegner“ übersetzt. Dies kann damit begründet werden, dass es sich um die Zeit des König Artus handelt (vgl. „ Historia regum Britanniae“) – einer Chronik der Könige der Briten von Geoffry von Monmouth in lateinischer Sprache – in den englisch-französischen Auseinandersetzungen – und dies auch in ideologischer Weise, denn der Gegner Frankreich hatte in der Gestalt Karls des Großen einen mythischen und sagenhaften Urvater des Reiches. Die Version des langen Gedichts „ Roman de Brut“ (1155) des nordfranzösischen - genauer gesagt anglonormannischen - Minnesängers Robert Wace diente Chrétien als Vorlage, um seinen Graalszyklus („le cycle Graal“) zu entwickeln. Wace kam vom Hof Henri II Plantagenêt und war gegen Ende seines Lebens Domherr von Bayeux (vgl. Narteau/ Nouailhac 2009: 32).
Die Übersetzung des Textes erfolgte im historischen Präsens. Die Verben poignent (V. 2857), vienent (ed.) und se fierent (V. 2858) sind jedoch alle formenhaft in der 3. Person Plural Präsens aufzufinden. Dies weist auf den gemeinsamen Kampf der Personen hin. Der Rest ist in der 3. Person Singular Präsens verfasst, um sich auf Erec als Helden zu konzentrieren. Vergleichbar dazu ist das „Rolandslied“ mit der Verkörperung der Gemeinschaft und des Gegensatzes zwischen Christentum und Heidentum.
Interessant ist, dass das Altfranzösische eine sogenannte Pro-Drop-Sprache ist. Das bedeutet, dass das Subjektpronomen ausgelassen wird (Nullsubjektsprache). Es entsteht somit eine leere Stelle vor dem finiten Verb: (…) Lors torne (…) (V. 2853).
Auffallend ist jedoch die einzige Stelle innerhalb der zu untersuchenden Textpassage, die mit dem Plusquamperfekt übersetzt wurde: car li glaives el cuer li but (V. 2870). Der Indikativ Plusquamperfekt diente zum Ausdruck der Vorvergangenheit und konnte schon bei Plautus, dem römischen Komödiendichter, aber auch im klassischen Latein als einfaches Vergangenheitstempus verwendet werden. In dieser Funktion steht er in Konkurrenz zum Imperfekt sowie Perfekt.
3 Phonologische Auffälligkeiten bei der Transkription des Textabschnitts
3.1 Die Transkription
[lorstorneleskuetlalantsekontreletʃevaljɛrselantsetsillevoitvenirsileskrjɛkantereklotsiledesfjɛandųipo ɲentsisantrevienentleslantsesesloɲjɛstjɛnentmestsilaaerekfajieterekalųimaubajikebjɛnlesotdroitanvajĨrsorleskufjɛrtdetelajĨrkeduntʃjɛfenautrelefantneliaubersnelidesfantenmilepitslefrajntetrontetdelalantseliepontpieetdemidedantslecorsauretrereasoncopestorsettsiltʃejĨmorirlestutkarliglajveselkwɛrlibutliunsdesautresdeusseslesesonkompaɲonarrieresleseverserekpointsilemenatseerekleskudelkolenbratsesilerekiertkomearditstsilmetleskudevantlepitssisefierentsorlesblatsons]
3.2 Vokale, Konsonanten und Nasale – Was bleibt im Neufranzösischen übrig?
In diesem Kapitel werden Vokale, Konsonanten und Nasale genauer untersucht. Ernst Ulrich Große stellt in Bezug auf die Nasale fest (vgl. Große 1975: 31), dass im Altfranzösischen sämtliche Vokale vor m und n nasaliert werden, also dem folgenden Nasal laut partiell angeglichen werden. Dabei entstehen Laute, die es im Neufranzösischen nicht mehr gibt: Ĩ. Hier soll auch anhand von anderen Beispielen der Frage nachgegangen werden, was im Neufranzösischen noch übrig bleibt.
Zum Verhältnis von Lautung (Aussprache) und Graphie ist zu bemerken, dass zwischen beiden eine gewisse Diskrepanz vorherrscht. Im Altfranzösischen liegt die Betonung bei den Wörtern. Über Reime findet man die Aussprache heraus. Gerade die phonetische Realisation ist zeitlich gesehen älter, denn sie ist schon in früheren Sprachstufen anzutreffen. Für die mittelalterlichen Autoren stellte sich das Problem, auf der Basis des lateinischen Alphabets dem altfranzösischen Lautstand schriftlich Ausdruck zu geben, wobei sie auf keine volkssprachliche Schreibtradition zurückgreifen konnten. Dies erklärt die Vielfalt der Schreibungen für einzelne Laute und Wörter, zumal die „dialektale Zersplitterung“ (Wolf/ Hupka 1981: 35) erschwerend hinzukam.
Bei dem Wort chevalier (V. 2854) besteht eine Verschmelzung (Affrikate) von einem stimmlosen alveolaren Plosiv (t) mit einem postalveolaren stimmhaften Frikativ (ᶴ). Eine Affrikate ist erst ein Verschlusslaut, dann ein Reibelaut. Zusätzlich ein halboffener gerundeter vorderer Vokal (ᵋ) in Zusammenhang mit einem palatalen Approximanten, der stimmlos ist: (j). Dies ist aus dem Diphthong (ie) entstanden. Beide Phänomene treten gleichzeitig auch bei dem Wort chief (V. 2863) auf.
Bei folgenden drei Wörtern ist ein palataler stimmhafter Nasal laut (ᶮ) zu erkennen: poignent (V. 2857), esloigniees (V. 2858), compaignon (V. 2872) . Andere Nasale im vorliegenden Text sind en (V. 2863) und un (V. 2863). Erst im Neufranzösischen werden die Vokale jedoch nasal ausgesprochen. Bei letzterem Beispiel kommt es sogar zu einem Umlaut (ü) in der Aussprache. Bei findere ((„spalten“) > altfranzösisch fendre > fandre > fadre (fendre, fandre) > neufranzösisch fadr (fendre)) sei - laut Hans Rheinfelder - unter dem Nebenton die Öffnung des e zu a nicht erfolgt, wenn das dem e folgende n die nächste Silbe anlautete. Das e wurde in diesem Fall schon früh ent nasal iert und dann wie e in freier Stellung behandelt (vgl. Rheinfelder 1953: 76).
Die Schreibung bei den Verben anvaїr (V. 2861), aїr (V. 2862) und cheї (V. 2869) im Altfranzösischen, weist die Markierung mit einem Trema auf. Die Betonung (Stimmhaftigkeit) liegt folglich auf dem Vokal i und ai oder ei werden nicht als Diphthong ausgesprochen. Es handelt sich hier um Wörter, die die Brutalität dieses Kampfes verdeutlichen sollen.
Der Laut (h) („h aspiré“) wird zwar geschrieben, jedoch nicht ausgesprochen - ein Phänomen, das bis in das Neufranzösische übriggeblieben ist: vergleiche haubers (V. 2864) und hardiz (V. 2875).
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- Quote paper
- Elisabeth Monika Hartmann (Author), 2017, "Erec et Enide" von Chrétiens de Troyes. Phonologische und sprachwissenschaftliche Auffälligkeiten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/963461
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