Neonazismus. Die Gefahr von Rechts


Essay, 1985

52 Seiten


Leseprobe


NEONAZISMUS

Vorwort
Zum 8. Mai 1945

Einleitung
Zur Problematik: Neonazismus
Begriffsbestimmung: Neonazismus

Die theoretischen Ausgangspunkte des „neuen Nationalsozialismus“
Nationalismus
Faschismus

Neonazismus

Neonazis
Nationaldemokratische Organisationen
Wehrsportler
Rechtsextremisten
Rechtsextremistische Jugendgruppen
Rechtsextremistische Randgruppen
„Alte Nazis“

Resümee

Quellen und Literatur

NEONAZISMUS

DIE GEFAHR VON RECHTS

Die vorliegende Broschüre „NEONAZISMUS“ wendet sich an alle diejenigen, die sich für die übergreifenden Sachverhalte und Problemstellungen des Neonazismus interessieren. Diese Broschüre gibt eine kurze und knappe Darstellung des aktuellen Neonazismus auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland.

Quellenverweise in Klammern 0 beziehen sich auf Zitate in der Literatur, die als eine Anregung zu betrachten sind, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Die im Quellen- und Literaturverzeichnis aufgeführten Literaturhinweise ohne Klammern, sollen in erster Linie zur vertieften Beschäftigung mit dem Thema führen.

Mit Bedacht wurde zur Veröffentlichung der 8. Mai 1985 gewählt, dem 40. Jahrestag der Befreiung vom Hitler-Faschismus, um die Problematik des Neonazismus mit dem 8. Mai 1945 in Bezug zu bringen. Die Broschüre will eindringlich darauf hinweisen, dass die faschistische Gefahr noch längst nicht gebannt ist und immer noch besteht.

Vorwort

Zum 8. Mai 1945

Zum vierzigsten Mal jährt sich heute der 8. Mai 1945. Dieses Datum bedeutet für uns einen entscheidenden Einschnitt in die deutsche Geschichte. Der 8. Mai 1945 war das Ende des furchtbarsten Krieges in Europa, den die Menschheit je erlebt hat und das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft. Nicht alle Deutschen begreifen, dass der 8. Mai 1945 kein Tag der nationalen Schande und Schmach war, sondern eine Erlösung und Befreiung von Rassenhass bis zur brutalen Vernichtung von sechs Millionen jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger, nationaler Verblendung, Missachtung der Rechte der Persönlichkeit, Größenwahn und der Unterdrückung Andersdenkender. Eine Mehrheit der Bundesbevölkerung ist der Beschäftigung mit den düsteren Kapiteln der jüngsten deutschen Geschichte – dem Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg – müde und hält den Rückblick für überflüssig. Der Wunsch, sich 40 Jahre nach Kriegsende nicht schon wieder die Greul der Hitler-Zeit und die Schrecken des Krieges vergegenwärtigen zu müssen und das wiedererwachte nationale Selbstbewusstsein in der Bundesrepublik nicht durch die Erinnerung an die Untaten des Vorgänger-Staates zu belasten, ist groß. Es soll geschwiegen werden.

Doch die Deutschen dürfen an diesem Tag, an dem in der ganzen Welt viel geredet wird, nicht schweigen. Auch nicht über ihre eigene Schuld. Vor allem dürfen sie nicht lügen. Deshalb müssen wir uns eingestehen, dass die Deutschen sich gegen die Stimmen einer kleinen und dezimierten Minderheit für einen Weg entschieden hatten, den die Alliierten auf den Plan rief, denn die Deutschen waren nicht stark genug, um sich allein von Hitler zu befreien. Wir müssen uns eingestehen, dass andere die Tore der Konzentrationslager aufmachen mussten, um das Leiden hinter Stacheldraht zu beenden.

Der 8. Mai bedeutet eine Erinnerung an:

- die 250.000 nichtjüdischen Häftlinge, die zwischen 1933 und 1945 in den deutschen Konzentrationslagern ihr Leben lassen mussten;
- die 275 Personen, die nach dem 8. August 1944 – ohne im Zusammenhang mit den Verschwörern des 20. Juli zu stehen – hingerichtet wurden;
- die 3.427 wegen angeblichen Landesverrats im Jahre 1944 zum Tode Verurteilten;
- die 162.734 Schutzhäftlinge und 27.369 politisch Verurteilten, die sich nach einem Gestapo-Bericht vom 10. April 1939 in „Gewahrsam“ deutscher Behörden befanden;
- die frei gewählten Vertreter des deutschen Volkes im Reichstag, von denen 186 durch NS-Gerichte in Konzentrationslagern, Gefängnissen und Zuchthäusern ums Leben kamen;
- auch an die 200 jüdischen Kindern, die bis Juni 1941 die jüdische Schule in Nürnberg besuchten und von denen 198 in den Gaskammern der SS ermordet wurden;
- die 10 unschuldigen russischen Kriegsgefangenen, die am 9. April 1945 im Steinbruch in Lindlar erschossen wurden;
- und die zwölf Lindlarer, die noch am 10. und 12. April 1945 durch den Krieg der Deutschen ums Leben kamen.

Sowie die Erinnerung an die 7.820.000 Menschen, die insgesamt während der Zeit des Dritten Reiches von der SS in die Konzentrationslager verschleppt wurden, und von denen nur 700.000 überlebten. Sowie die Erinnerung an die 7,3 Millionen deutsche Männer, Frauen und Kinder die diesen Krieg nicht überlebten, der nicht ihr Krieg war.

Doch der 8. Mai ist auch der Tag des Sieges für die Deutschen, die in oder außerhalb Deutschlands gegen Hitler gekämpft haben. Es ist der Tag, der eine Generation davor bewahrte, in die Verbrechen des gestürzten Regimes verstrickt zu werden.

Das Hitler-Regime war keine einmalige Naturkatastrophe, nur, weil die äußeren Zeichen des Zweiten Weltkriegs langsam verloren gehen. Auch wenn Menschen Geschichte vergessen und Geschichte sich nicht wiederholt, muss man gegen das „Vergessen“ der Vernichtungslager und des antifaschistischen Widerstands aktiv werden.

Denn nur wer die Fehler der Vergangenheit kennt, ist in der Lage, diese in Zukunft nicht zu wiederholen. Wenn wir diese Mahnung beherzigen wollen, aus allem was geschah zu lernen, können wir die Zukunft menschenwürdig und in Frieden gestalten. Darum lassen wir den 8. Mai nicht einfach als stillen Gedenktag liegen, geben wir ihm ein historisches Gewicht, indem wir ihn zum „Denktag“ machen.

Heinz Kerp

Einleitung

Zur Problematik: Neonazismus

Neonazismus ist ein zeitlich unbegrenzter und weit gefächerter Komplex, dessen Problematik sich nicht so einfach darstellen lässt. Es ist fast unmöglich einen Text zu verfassen, der dem aktuellen Stand der jetzigen Situation entspricht, da sich immer wieder neue Straftaten Rechtsradikaler ereignen und Fahndungs- und Aufklärungserfolge der Polizei fortwährend neue Aspekte im Dunkeln des Neonazismus erblicken lassen.

Zeitungsartikel der Tagespresse und Berichte in anderen Medien spiegeln die aktuelle Lage wieder. Durch sie lässt sich die Entwicklung des Neonazismus verfolgen. Dies reicht jedoch nicht aus, um sich der immer stärker aufkommenden Gefahr von Rechts – welche in ganz erheblichen Maße bis jetzt unterschätzt wird – bewusst zu machen. Letztendlich ist alles nur eine Momentaufnahme.

Begriffsbestimmung: Neonazismus

Betrachtet man das Wort Neonazismus etwas genauer und zerlegt es in seine „Einzelteile“, entdeckt man zunächst die griechische Vorsilbe Neo.

Sie bedeutet „Erneuerung“, „das Wiederauftreten von etwas Vergangenem“.

Nazi ist die Abkürzung von „Nationalsozialist“. Und „Nazismus“ bedeutet „Nationalsozialistentum“.

Neonazismus kann somit problemlos als „neues Nationalsozialistentum“ bezeichnet werden. Neonazis sind demnach mit Personen gleichzusetzen, die das Dritte Reich mit all seinem Größenwahn, seiner Missachtung der Persönlichkeitsrechte und der Unterdrückung Andersdenkender neu erschaffen wollen.

Die theoretischen Ausgangspunkte des „neuen Nationalsozialismus“

Das „neue Nationalsozialistentum“ hat in seiner Grundideologie zwei markante Bausteine. Erstens eine übersteigerte Form des Nationalismus und zweitens den Faschismus.

Nationalismus

Die angesprochene Form des Nationalismus ist die chauvinistische Ausprägung des Nationalismus. Er zeichnet sich durch ein übersteigertes Selbstbewusstsein eines Volkes aus, das nur den eigenen Wert und das eigene Lebensrecht gelten lässt. Die Daseinsberechtigung anderer Völker hingegen wird als sehr gering betrachtet. 1

Somit ist der Nationalismus die vordringliche Bewertung – häufig die Überbewertung – des Nationalen als oberste Richtlinie politischen Handelns. 2

Jedoch wird der Nationalismus auch oft zu Unrecht mit der selbstverständlichen Vaterlandsliebe, dem Nationalstolz und dem Nationalgefühl verwechselt. Es ist keineswegs Nationalismus, wenn man sich freut, dass die eigene Nationalmannschaft gewonnen hat. Es ist auch kein Nationalismus, wenn Politiker wie Margret Thatcher (Großbritannien) und Bettino Craxi (Italien) für ihre Nationen die höchsten Profite aus der EG-Haushaltskasse heraushandeln – auch wenn dies auf Kosten anderer Staaten geschieht.

Der angesprochene übersteigerte Nationalismus wurde in übertriebenen Maße von den Nationalisten, die von 1919 an den Nationalsozialismus betrieben, praktiziert. Der Nationalsozialismus war die rein spezifisch deutsche Ausprägung des internationalen Faschismus.

Faschismus

Der Faschismus entwickelte sich zwischen den beiden Weltkriegen. Er wurde in vielen Ländern, besonders in Italien und Deutschland, zur dominierenden ideologischen Kraft. Mit seinem ausgeprägten Nationalismus, der oft soziale und kollektivistische Untertöne aufwies, fand er in Ländern, die von einem völligen Zusammenbruch ihrer Wirtschafts- und Sozialordnung bedroht waren, die Unterstützung weiter Kreise ihrer Bevölkerung. 3

Die Bezeichnung Faschismus wurde von den italienischen Faschisten nach dem Ersten Weltkrieg geprägt. Er entwickelte sich als ideologische Strömung und als politische Bewegung, die ausschließlich die Klasseninteressen der Monopolbourgeoisie zum Ausdruck brachte und von dieser politisch und materiell gefördert wurde.

Der Faschismus hat die Aufgabe, vor allem die revolutionäre Arbeiterbewegung und ihr Partei sowie alle anderen demokratischen Kräfte und Organisationen mit brutalem Terror zu unterdrücken, die bürgerlich-parlamentarische Demokratie auszuschalten und durch eine beispiellose soziale und nationale Demagogie für das Monopolkapital eine Massenbasis zu organisieren. 4

Die faschistische Ideologie wurde von vielen Denkern vertreten. Aber der Faschismus hat nie, wie etwa der Marxismus, seine Ideen klar formuliert; es gab verschiedene Interpretationen mit unterschiedlich starker Betonung der einzelnen Komponenten. 5

Neonazismus

Mit dem Wiederaufbau seit 1945/46 rechnete die Bevölkerung des ehemals Deutschen Reiches auf verschiedenste Weise, die meisten für sich allein, mit dem Dritten Reich ab. Die Einen - und dies waren wohl die meisten - vertraten den Standpunkt: nur alles schnell vergessen. Doch es gab noch andere, die die Meinung vertraten, diese zwölf Jahre Nazi-Terror müssten aufgearbeitet werden. Es sollten dabei keine Schuldkomplexe nachgehalten werden, sondern den Älteren Vergessenes wieder ins Gedächtnis zurückgerufen werden, so, dass die jüngere Generation über die Vorgänge von 1933 bis 1945 informiert wird. Denn: „Nur wer die Fehler der Vergangenheit kennt, ist in der Lage, diese in Zukunft nicht zu wiederholen.“ 6

Aber da gibt es noch jene, die nichts aus der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus gelernt haben, sondern diese Zeit verherrlichen und befürworten. Diese Aktivitäten sind gestützt auf die Weltanschauung, das Programm und den Machtanspruch der einstigen NSDAP. Sie zielen darauf ab, eine Wiedererrichtung eines der NS-Diktatur vergleichbaren Systems zu erreichen. 11,5 Millionen Bundesbürger (= 13% der Wahlbevölkerung) mit rechtsextremen Einstellungen (Sinusstudie) sind Indikatoren dafür, dass der Nationalsozialismus zählebig wirkt, und zwar in den Menschen wie in den gesellschaftlichen Verhältnissen, die sie umklammern. 7

In den fünfziger und sechziger Jahren, sogar in der heutigen Zeit noch, hatten und haben alte Faschisten und Nazi-Sympathisanten einflussreiche Positionen in der Wirtschaftsbranche und bei Militär inne. Häufig sogar in der Justiz und der Verwaltung. Wie aus einer Übersicht der deutsch-israelischen Journalistin Inge Deutschkorn hervorgeht, war jeder 8. Bundestagsabgeordnete der 1949 im Deutschen Bundestag vertreten war, ehemaliges NSDAP-Mitglied. „Insgesamt umfasste das 1949 gewählte Parlament 402 Abgeordnete, wovon 53 Bundestagsabgeordnete nachweislich Mitglied in der NSDAP waren." Faktisch war damit die Gruppe der ehemaligen Nazis die drittstärkste Fraktion im Parlament. Wie Deutschkorn weiter feststellte, waren 43 der Alt-Nazis den damaligen Regierungsparteien CDU/CSU, FDP und DP angeschlossen und konnten damit unmittelbar auf die Mehrheiten-Bildung Einfluss nehmen. Die verbleibenden zehn Alt-Nazis fanden sich auch in den zwei Oppositionsparteien Deutsche Reichpartei (DRP) und der Wirtschaftlichen Aufbau- Vereinigung (WAV) wieder. So tauchten diese autoritären bis rechtsextremistischen Einstellungen in der bundesrepublikanischen Normalität unter. „Deutschland wurde nicht mehr von den Nazis, sondern die Nazis von ihrer Vergangenheit befreit." 8 Doch seit Ende der siebziger Jahre zeigen sich diese Einstellungen anders und viel schärfer.

Rechte Kreise finden immer mehr Zulauf. Die Flut von Schriften, die den Faschismus verherrlichen und seine Opfer verhöhnen, ist mittlerweile unübersehbar geworden. Das Anknüpfen Jugendlicher an den Nationalsozialismus wird zunehmend durch aktuelle Desintegrationserscheinungen überlagert, die das Abgleiten Jugendlicher nach rechts wesentlich begünstigen. Empirische Untersuchungen belegen, dass sich immer mehr Hauptschüler und Auszubildende, „die Kleinsten, die Schwächsten und Ohnmächtigsten in dieser Gesellschaft“ (Klaus Sochatzky) anfällig zeigen. 9

Die jetzige ökonomische Struktur der Bundesrepublik bedeutet für viele Jugendliche eine Verlängerung der Jugendphase. Ihre in Schule und Lehre erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten können in unserer Wirtschaft - in einem Beruf - nicht angewandt werden, weil kein Arbeitsplatz vorhanden ist. Folglich wird dadurch vielen Jugendlichen die Motivation genommen, den Kenntniserwerb überhaupt berufsbezogen auszurichten. Angesichts dieser Lage auf dem Arbeitsmarkt nimmt die resignative Haltung vieler Jugendlicher, das Gerede von „No Future“, immer mehr zu. Soziale Unsicherheit begleiten mittlerweile jugendliche Biographien dauerhaft.

So muss die rechtsextreme Artikulation von Jugendlichen aus deren aktueller Lebenssituation verstanden werden. Sie versuchen damit zu provozieren, Protest zu artikulieren und kurzfristig Identität herzustellen, um sich von ökonomischem und psychischem Druck zu befreien. Dabei übernehmen sie das Konzept der SA, die an die Frühphase der NS-Bewegung in den dreißiger Jahren anknüpft, nämlich den Kampf um die Straße. Sie suchen gezielt die gewaltsame Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner oder mit anderen „Feindgruppen“, wie zum Beispiel Türken oder Asylsuchende aus der Dritten Welt." 10

Die Krisenlösungskonzepte der Regierungskoalition CDU/CSU/FDP in Bonn lassen „auf jeden Fall Konsequenzen beschreiben, weil die Folgen dieser Politik, soziale Deklassierung und gesellschaftliche Desintegration Voraussetzung für rechtsextreme Bewegungen sind." 11

Der Abbau der Staatsverschuldung, neue Initiativen für Wirtschaft und Industrie, Steuersenkungen und Subventionskürzungen sollen die wirtschaftliche Wende herbeiführen, so die Meinung der Regierungskoalition. Es ist jedoch fraglich, ob diese „Sparpolitik“ die soziale Sicherheit in der Bundesrepublik erhalten kann, die während den Legislaturperioden einer SPD geführten Regierung entstanden sind. Zu den sozialen Errungenschaften der letzten beiden Jahrzehnte zählen das „Arbeitsförderungsgesetz“ von 1969, das die Bundesanstalt für Arbeit zu einer aktiven Arbeitsmarktpolitik befähigt, das „Lohnfortzahlungsgesetz“ von 1970 für Arbeitnehmer im Krankheitsfall, das „Schwerbehindertengesetz“ von 1974 und die Einführung der „flexiblen Arbeitsgrenze“ von 1972, mit der Männer mit Vollendung des 63. und Frauen mit Vollendung des 60. Lebensjahres in Rente gehen können. 12

Durch die schon lange anhaltenden weltweiten Wirtschaftsprobleme haben alle Arbeitnehmer auch in der Bundesrepublik Einschränkungen hinnehmen müssen – durch den Verlust von Arbeitsplätzen, bei Lohn und Gehalt, bei vielen sozialen Leistungen. Doch erst seit 1982, seit Helmut Kohl Kanzler ist, fallen ganze Bevölkerungsgruppen durch die Maschen des sozialen Netzes. Noch 1982 erhielten bedürftige Schülerinnen und Schüler auch dann eine finanzielle Unterstützung (BAföG), wenn sie zu Hause wohnten. Heute jedoch werden fast alle Schüler nicht mehr gefördert. Folge: finanzielle Einbußen bis zu 275 DM im Monat." 13

Im BGBI. 1 Nr. 53/83 wurde das Haushaltsbegleitgesetz 1984 verkündet, das in seinen wesentlichen Teilen am 1.1.1984 in Kraft getreten ist. In Stichworten fassen wir nachstehend die wichtigsten sozialpolitischen Änderungen zusammen. Zu einigen Fragen, denen besondere Bedeutung zukommt, sind ergänzende Beiträge vorgesehen.

Die Renten werden zum 1.7.1984 um 3,4% erhöht. Zu gleich steigt der Krankenversicherungsbeitrag der Rentner von 1 auf 3%, so dass den Rentnern nur eine Erhöhung von 1,4% verbleibt.

Anspruch auf eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit haben nur noch Versicherte, die in den letzten fünf Jahren mindestens drei Jahre lang eine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt haben. Die Rahmenfrist verlängert sich um bestimmte Zeiten, z.B. nach der Geburt eines Kindes um 5 Jahre. Wer bereits die Wartezeit von 60 Monaten erfüllt hat, kann den Invaliditätsschutz aufrechterhalten, wenn er in Zukunft jährlich mindestens 12 Mindestbeiträge leistet. Für 1984 sind Übergangsregelungen vorgesehen.

Bei der Wiederverheiratung von Witwen (oder Witwern mit Rentenanspruch) beträgt die Abfindung künftig nicht mehr das Fünffache, sondern nur noch das Zweifache des Jahresrentenbeitrages.

Krankengeld ist künftig beitragspflichtig zur Renten- und Arbeitslosenversicherung, wobei der Beitrag je zur Hälfte vom Krankengeldbezieher und von der Krankenkasse zu tragen ist. Das Krankengeld vermindert sich dadurch um 11,55%. Arbeitslosengeld, Kurzarbeitergeld und Schlechtwettergeld für Leistungsempfänger ohne Kinder wird ab 1984 von bisher 68 auf 63% des letzten Nettolohns gekürzt. Die Arbeitslosenhilfe für Kinderlose verringert sich von 58 auf 56%. Nach langen Diskussionen wird das Mutterschaftsgeld auch weiterhin für vier Monate gewährt, doch verringert sich der Betrag von bisher 750 DM auf 510 DM monatlich. Ab 1987 sollen auch die nicht berufstätigen Mütter das Mutterschaftsgeld erhalten.

Die unentgeltliche Beförderung von Behinderten in öffentlichen Verkehrsmitteln wird durch Zahlung eines Eigenanteils in eine verbilligte Beförderung umgewandelt, die auch nur noch Behinderten zusteht, die „in der Bewegung“ behindert sind. 14

„Die Rechtskoalition hat nicht nur Sozialleistungen gekürzt. In der Sozialversicherung erhöhte sie offen die Beitragssätze. Weitere Erhöhungen der Beiträge versucht die Koalition zu verstecken, indem sie Sozialleistungen und Teile des Arbeitslohnes, für die zuvor keine Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen waren, beitragspflichtig gemacht hat. Beispiele offener Beitragserhöhungen: Der Beitragssatz in der Arbeitslosenversicherung wurde von 4 auf 4,6% erhöht. Die bereits zuvor beschlossene Erhöhung des Beitragssatzes in der Rentenversicherung wurde vorgezogen, von 18 auf 18,5%. Wer einen Krankenhausaufenthalt notwendig hat, muss in den ersten 14 Tagen je 5 DM zuzahlen. Wer zur Kur fährt, muss pro Kurtag 10 DM zuzahlen. Der Krankenversicherungsbeitrag, den Rentner auf ihre Rente zu zahlen haben, steigt schneller: Ab Mitte 1984 3%, ab Mitte 1985 bereits 5%.

Beispiele versteckter Belastungserhöhungen: Vom Urlaubsgeld und vom Weihnachtsgeld müssen mehr Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden, weil sie bei der Berechnung auf das ganze Jahr umgelegt werden. Gestrichen wurde der Weihnachtsfreibetrag von 100 DM in der Sozialversicherung.

In den Strategiepapieren haben wichtige Politiker der Rechten wie Lambsdorff (FDP), Albrecht (CDU) und George (CDU) die Politik der Rechtskoalition vorgezeichnet. Das war keine Zukunftsdrohung. Was in den Papieren steht, wird heute schon durchgeführt.“ 15

So wird die Sozialhilfe eingeschränkt. Die Ärmsten der Armen wird das Dringendste vorenthalten. Die Rentenanwartschaften für Behinderte in Werkstätten, z.B. in Blindenwerkstätten oder ähnlichen Einrichtungen, werden so beschnitten, dass die Behinderten im Alter mit ihrer Rente nicht auskommen können und zusätzlich Sozialhilfe brauchen. Alles in allem: die Armen werden noch ärmer! Im Sprachgebrauch der Rechtskoalition heißt dies: „Wildwuchs beschneiden“, „Abspecken“, „Konsolidieren“, „Gesundschrumpfen“ und „Sparen“.

Jedoch auch in der anderen Richtung, also bei den Zuschüssen, im Sprachgebrauch der Rechtskoalition „Anregung der Investitionstätigkeit“ genannt, wird etwas getan: die sogenannte Investitionshilfeabgabe wird entgegen dem Wahlversprechen der CDU/CSU nicht einbehalten, sondern zurückgezahlt. Die Vermögenssteuer wurde deutlich herabgesetzt. Dadurch sparen die Vermögensbesitzer jährlich rund 1,7 Milliarden Mark. Die Reichen werden reicher!

Hauptproblem jedoch ist und bleibt die Arbeitslosigkeit, die mit 10% am 6. April 1985 die höchste Marke seit der Währungsreform erreicht hat. Das bedeutet eine Arbeitslosenzahl von rund drei Millionen Arbeitslosen. Doch weitaus beunruhigender ist die Tatsache, dass „die Bundesregierung mit ihrer klassischen Aufspaltung in Kapital und Arbeit“ dabei ist, eine zweite, nicht minder gefährliche gesellschaftliche Aufspaltung in „Arbeitsplatzbesitzende und (Langzeit-)Arbeitslose“ vorzunehmen. 16

Bereits im Jahr 1982 war fast jeder dritte Arbeitslose länger als ein Jahr ohne Beschäftigung. Der Anteil der jugendlichen Arbeitslosen lag dabei im Herbst 1982 mit 41,6% an der Gesamtarbeitslosigkeit und mit 24,2% an den Langzeitarbeitslosen erschreckend hoch. 17

„Armut unter Arbeitslosen ist wieder zum festen Bestandteil unseres Sozialstaates geworden“, so kommentierte der stellvertretende DGB-Vorsitzende Gerd Muhr die Ergebnisse einer Untersuchung der Gewerkschaft. Fazit: Neue Armut ist die kalkulierte Folge der Sanierungspolitik der Bundesregierung.

Die nehmen sie bewusst in Kauf. Die Arbeitslosenversicherung wurde mehr als gesund „saniert“, auf Kosten der Ärmsten in diesem Lande. Für 1984 erwartet die Bundesanstalt für Arbeit einen Überschuss von drei Milliarden Mark. 18

Besonders betroffen sind die Jugendlichen, denen der Kanzler eine Lehrstellengarantie gab und sie nicht eingehalten hat. „Ende August 1984 konnten noch 130.000 Ausbildungsplatzbewerber nicht vermittelt werden. Das teilte Bundesbildungsministerin Wilms mit.“ 19 Im gleichen Atemzug behauptet sie jedoch: „Die Lehrstellenkatastrophe hat nicht stattgefunden!“

Nun, „Kanzler Kohl hat gut lachen: er hat seine Lehrstelle. Wer sich aber auf Kohls Lehrstellengarantie verlassen hat, ist verlassen. Man darf nicht zulassen, dass die erste Erfahrung vieler junger Menschen im Berufsleben die deprimierende Erkenntnis ist: Ich werde nicht gebraucht. Jeder Jugendliche braucht eine qualifizierte Ausbildung, ohne sie bleiben alle Türen verschlossen.“ 20

Die eben nur knapp beschriebene soziale Lage der Bundesrepublik hat eine vergleichbare Perspektive, mit der wachsenden Knappheit in bestimmten Bevölkerungsgruppen und verschärfter Auseinandersetzungen, die in den zwanziger Jahren zur Grundlage des nationalsozialistischen Weltbildes wurden. An der Präsenz von 4,6 Millionen Ausländern machen sich Stimmungen breit, die soziale Ängste und offenen Fremdenhass artikulieren. Noch münden sie nicht in zielgerichtetes politisches Verhalten, sondern offenbaren sich in gehässigen und abwehrenden Formen im Alltag: rassistische Witze, ausländerfeindliche Wandparolen, Schlägereien.

Die aktuellen Verhältnisse haben besonders negative Auswirkungen auf die Situation von Jugendlichen, vor allem von Arbeiterkindern. In dieser Situation gewinnen nun viele Jugendliche die massenkulturell vermittelten historischen Identifikationsangebote an Faszination, die im Kontext von Faschismus und II. Weltkrieg stehen. Diese Angebote reagieren zum Beispiel auf das Bedürfnis nach „Abenteuer“, „Heldentum“ und „Action“, das Bedürfnis, selbsttätiges Subjekt seines Lebens und nicht nur verwaltetes Objekt sein zu können.

Fazit: Rechtsextremismus ist weder eine zufällige, noch eine Randerscheinung des gesellschaftlichen Lebens. Er hat seinen Nährboden in der deutschen Nachkriegsgeschichte und in den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen. 21

„Rechtsextreme Jugendgruppen und ihre Publikationen haben offenbar Werte und Hilfen anzubieten, die Jugendliche woanders nicht finden beziehungsweise vermissen: Geborgenheit, ernst genommen werden, Stärke- und Wir-Gefühl (vermittelt über Uniformen, gemeinsames Auftreten, Kameradschaft). Rechtsextreme Parolen und aggressives Verhalten sind die Antworten von Jugendlichen auf den Realitätsdruck des Alltags, auf die gesellschaftlich produzierte Desorientierung, auf die eigene subjektive Ohnmacht. Was die neofaschistischen Jugendgruppen anzubieten haben, ist eine ideelle Ersatzwelt mit festen Orientierungen inklusive Traditionsbestand, auch ein vermeintlicher Ausweg aus Notlagen und Krisen.“ 22

Alle rechtsextremistischen Bestrebungen – Parteien, Organisationen, Gruppen sowie Publikationen, die Anhängerschaft bilden und zusammenhalten – haben drei gemeinsame Wesensmerkmale: Völkischen und rassistischen Kollektivismus.

Der Einzelne soll hiernach Wert und Würde aus der Zusammengehörigkeit zu seinem Volk, seiner Nation oder Rasse beziehen. Dieser völkische und rassistische Kollektivismus ist verbunden mit einem übersteigerten Nationalismus auf völkischer oder rassistischer Grundlage. Nationen, Völker und Rassen bilden angeblich ungleichwertige Menschen und ungleichwertige Kollektive heraus. Die eigene Nation, das eigene Volk und die Rasse, die es vermeintlich prägt, werden als höherwertig als die anderen angesehen.

Rechtsextremisten sind antidemokratisch, insbesondere antiparlamentarisch und antirechtsstaatlich. 23 Jugendliche, die keine Perspektive in dem festgefahrenen System der Bundesrepublik sehen, ohne politische Motivationen sind und aufgrund ihrer persönlichen Situation, lassen sich allzu schnell von den neonazistischen Parolen einfangen. Es wird das Verlangen nach einem starken Staat und rettenden Führer, der wieder Ordnung schafft und Identifikation ermöglicht, wach.

So wird Arbeitslosigkeit, nur ein Übel der Gesellschaft, mit dem simplen Erklärungsmuster: „Kamerad, ein Ausländer sitzt auf deinem Arbeitsplatz!“ erklärt. Die demokratischen Organisationen reagieren klassisch auf das Problem „Neo-Faschismus“ mit Verbotsforderungen. Daran ist zweierlei richtig: Zum einen ist gemäß Grundgesetz das Verbot faschistischer (Nachfolge-)Organisationen möglich. Der Kern des Grundgesetzes ist im Grundsatz ein antifaschistischer. Zum zweiten stärkt das offene Auftreten neofaschistischer Organisationen in einem Wechselverhältnis das für faschistische Ideologien anfällige Bevölkerungspotential. Es bedeutet die Verherrlichung eines sozialen und politischen Problems. Das Problem lässt sich rechtlich gegebenenfalls zwar bekämpfen, aber nicht lösen. Überdies läuft man durch eine Verbotspolitik sehr stark Gefahr, dass die Aktivisten in den Untergrund abgedrängt und militarisiert werden. Man nimmt sich mit dem Verbot die Möglichkeit einer besseren Kontrolle.

Natürlich ist der politische und rechtliche Ansatz sinnvoll, Gesetzeslücken dort zu schließen, wo .es angebracht ist. 24 Ein von der SPD/FDP Regierung entworfener Gesetzestext (und von der CDU-Bundesratsmehrheit abgelehnt) sah vor, dass das Billigen, Leugnen oder Verharmlosen des Völkermords an den Juden („Auschwitz-Lüge“) von Amts wegen verfolgt und bestraft werden sollte. Bislang konnten nur Juden selbst Strafanträge stellen. Dieses Problem dieser Gesetzeslücke wurde im März dieses Jahres nochmals erörtert. Doch in der Bonner Koalition bestehen offenkundig Meinungsunterschiede ob die „Auschwitz-Lüge“ künftig als Offizialdelikt auch ohne Antrag strafrechtlich verfolgt werden soll. Bundeskanzler Helmut Kohl, Unionsfraktionschef Alfred Dregger und CSU-Landesgruppenchef Theo Waigel kamen allerdings unabhängig voneinander zum Ergebnis, dass der Entwurf gegen die „Auschwitz-Lüge“ nicht Gesetz werden soll. Die CDU/CSU-Fraktion entschied sich deshalb dafür, den Gesetz-Entwurf zurückzuziehen. Also gibt es vorerst kein Gesetz gegen die Verkünder der „Auschwitz-Lüge“. Die öffentliche Leugnung des millionenfachen Juden-Mordes wird auch in Zukunft nicht automatisch vom Staatsanwalt verfolgt.

„Ein großer Teil der Antifaschisten geht direkt oder indirekt davon aus, es könne sich der Nationalsozialismus in der gleichen Weise auch heute wiederholen. Diese Angst ist insbesondere bei denjenigen zu verstehen, die die Nazidiktatur selbst noch erlebt und erlitten haben. Sie greift jedoch zu kurz: die Ursachen für den ‚neuen Faschismus‘ mögen die gleichen sein wie 1933. Die Erscheinungsformen können heute jedoch anders aussehen als 1933.“ 25 Es eher ist unwahrscheinlich, dass der historische Faschismus wiederkehrt. 26

Neonazis

Die Neonazis sind keine einzelne feststehende Gruppe oder Organisation. Man muss auch hier bereits differenzieren. Es gibt im Bereich des Neonazismus Unterschiede, die ich einmal sehr grob in gewaltsames, paramilitärisches, terroristisches Verhalten und in nationalsozialistisches, politisches, demagogisches Verhalten unterteilen möchte. In den ersten Bereich fallen bei mir die Wehrsportler und Rechtsextremisten, sowie rechtsextremistische Randgruppen. Wehrsportler können jedoch in bestimmten Fällen bereits als Rechtsextremisten eingestuft werden. In den zweiten Bereich fallen die „alten Nazis“ und die rein politisch aktiven nationaldemokratischen Organisationen.

Nationaldemokratische Organisationen

Die nationaldemokratischen Organisationen betreiben einen aggressiven und militanten Antikommunismus sowie eine affinierte, soziale und nationale Demagogie. So vertreten sämtliche rechtsextreme Organisationen ökologische Positionen zur Atomenergie und Natur. Sie sprechen dabei die Bevölkerung genauso an wie die alternativen Linken. Jedoch bleibt die ideologische Basis ein übersteigerter Nationalismus, gepaart mit einem völkisch-rassistischem Kollektivismus sowie der autoritäre Führerstaat. Nach dem Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen von 1983, herausgegeben vom Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, haben die nationaldemokratischen Organisationen ihre Position 1983 weitgehend halten können. „Die Gesamtzahl der Mitglieder rechtsextremistischer Gruppen in Nordrhein-Westfalen wird für 1983 auf rund 4.000 (1982: etwa 3.000) geschätzt. Sie sind in zirka 30 Gruppen organisiert. Die Steigerung der Mitgliederzahlen gegenüber dem Vorjahr ist darauf zurückzuführen, dass genauere Schätzungen im Bereich der „national-freiheitlichen“ Gruppierungen möglich wurden. Die „nationaldemokratischen“ Organisationen haben 1983 ihre Position weitgehend halten können. Die Mitgliederzahlen weichen nicht wesentlich von denen des Vorjahres ab und auch die Aktivitäten in der Öffentlichkeit hielten sich im üblichen Rahmen. Nachdem zunächst die Tätigkeit der „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ im Vordergrund stand, liefen im Herbst mit den Kandidatenwahlen die Vorbereitungen für die Wahl des Europäischen Parlaments im Juni 1984 an 27, an denen sich die Nationaldemokraten beteiligt haben.

Fürs Europa Parlament hat es bei den Nationaldemokraten nicht gereicht, aber ein Erfolg für die Rechtsradikalen war es trotzdem. Sie erreichten bei der Europawahl 0,8%, das sind 198.370 Wählerstimmen (allein in der Bundesrepublik). Durch die großzügige Kostenerstattungsregelung für die Parteien – jede Partei bekommt fünf DM für jeden Wähler – kassiert die Nationaldemokratische Partei Deutschlands mit ihren 0,8% rund 1,8 Millionen DM. Damit sind die an sich finanziell schlecht ausgestatteten Neo-Faschisten erst einmal saniert. Allein im Oberbergischen Kreis bekamen die Nationaldemokraten ein hervorragendes Europawahlergebnis von 0,66% und haben in einzelnen Kommunen eine feste Stammwählerschaft.

Somit gilt als wichtigste und bedeutendste Gruppierung innerhalb der nationaldemokratischen Parteien und Organisationen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands, NPD.

„Durch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. November 1980 (Akte 2C24.78) wurde erstmals höchstrichterlich festgestellt, dass die NPD verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, die sich – unabhängig von dem offiziellen Parteiprogramm und der Satzung der NPD – aus einer ständigen, gegen die Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichteten und der Partei politisch zuzurechnenden Polemik ergeben. Darin kommen laut Urteil „Missachtung und Ablehnung oberster Verfassungswerte, insbesondere der parlamentarischen Demokratie, des Mehrparteiensystems und der Volkssouveränität‘ zum Ausdruck.“ 28

Die NPD, mit dem Sitz des Parteivorstands in Stuttgart, verfügt in Nordrhein-Westfalen über sechs Landesbereiche mit insgesamt 54 Kreisverbänden. Mit 6.000 Mitgliedern im ganzen Bundesgebiet stellt der Landesverband Nordrhein-Westfalen mit 1.000 Mitgliedern den stärksten. Finanziert werden die Aktivitäten durch Beiträge und Spenden sowie über „Freundes- und Förderkreise“, wie zum Beispiel die „Aktion Deutsches Radio und Fernsehen“, die zum Kampf „gegen antideutsche Medienhetze, Manipulation und Machtmissbrauch im Fernsehen und Radio“ 29 aufruft und um Unterstützung in Form von Monatsbeiträgen bittet. Genauso verhält es sich mit dem „Ehrenbund Rudel – Gemeinschaft zum Schutz der Frontsoldaten“ und dem „Freiheitlichen Sozialwerk“, das zurzeit dem Nazi-Major Walter Reder, der in Italien in Kriegsgefangenschaft sitzt, finanziell und juristisch hilft.

Als Presseorgan der NPD erscheint die „Deutsche Stimme“ und die „Deutsche National Zeitung“ sowie auf allen Gliederungsebenen der NPD periodisch erscheinende Blätter und Informationsdienste, die in sehr grober Weise gegen die Grundprinzipien der bundesdeutschen Grundordnung verstoßen. Im Wesentlichen dienen die Publikationen und Zeitungen dazu, Dr. Gerhard Frey, Herausgeber der „Deutschen National Zeitung“, die finanziellen und publizistischen Mittel zur Verfolgung der Ziele seiner „nationalfreiheitlichen“ Organisationen zur Verfügung zu stellen.

Mit versteckter „Schmuddel-Propaganda“ wurde in verschiedenen Großstädten versucht, Wähler zu beeinflussen. So machte der 59-jährige Friederich Karl Grau einige Sozialdemokraten bei den Wählern zu Handlangern Moskaus, indem er unter anderem politische Aufkleber in den Städten Esslingen, Stuttgart und Frankfurt verteilte, auf denen der Text: „Lieber die Russen in Heilbronn, als Strauß in Bonn - Entspannung" mit dem Aufdruck „Jungsozialisten in der SPD“ auf CDU-Wahlplakate klebte. Dies erweckte bei den Wählern eine Abneigung gegen die SPD, die mit „solchen Mitteln Wahlkampf betreibt“. Die meisten Aktionen der nationaldemokratischen Organisationen beruhen auf Diffamierungen der sozialen und demokratischen Parteien in der Bundesrepublik, wobei sie auf Lügen und Verleumdungen einzelner Personen die im öffentlichen Interesse stehen, wie zum Beispiel im Wahlkampf 1972 Bundeskanzler Willy Brandt und Herbert Wehner mit Hetz-Pamphleten als Kommunisten abkanzelte und SPD-Mann Horst Ehmke Verbindungen zum CSSR-Geheimdienst unterstellte. Des Weiteren erfolgten mehrere NS-Plakat- und Schmieraktionen. Hierfür kommen jedoch vorwiegend Einzeltäter in Betracht. Der Vertrieb sogenannter NS-Artikel (Schallplatten mit den Reden Hitlers, Lieder, Mützen, Orden, Waffen und dergleichen mit Emblemen der Nazi-Zeit) nehmen erheblich zu. Mit den Hinterlassenschaften aus dem III. Reich machen Händler glänzende Geschäfte. Für Orden, Waffen und Uniformen mit Hakenkreuz und SS-Runen werden ständig steigende Preise gezahlt. Offiziell ist das Verbreiten von Nazi- Symbolen verboten. Auch das Vorrätig halten und Importieren wird nach den Paragraphen 86 und 86a Strafgesetzbuch (StGB) unter Strafe gestellt. Ausgenommen davon ist die Aufbewahrung, wenn sie der „staatsbürgerlichen Aufklärung", der „Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen“ oder der „Wissenschaft“ dienen. Seit sich dies herumgesprochen hat, dienen diese Symbole offiziell alle der Aufklärung, dem Schutz der Verfassung oder der Wissenschaft. Die letzte größere Aktion der Staatsanwaltschaft gegen unverbesserliche Hakenkreuzanhänger fand 1980 statt. Ergebnis: zwölf Händler kamen mit geringen Geldbußen davon. Einem Großhändler in Nazi-Devotionalien hatte das Landgericht Lüneburg 1977 die bisher höchste Geldstrafe aufgebrummt: Der ehemalige NPD-Funktionär Lothar Hartung musste 5.400 DM wegen „Verbreitung und Verwendung nationalsozialistischer Kennzeichen" bezahlen. In einem anderen Strafverfahren hatte Hartung zum Erstaunen der Staatsanwaltschaft freiwillig auf die Rückgabe der sichergestellten NS-Objekte verzichtet, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass diese dem „Deutschen Wehrmachtsmuseum“ zur Verfügung gestellt würden. So geschah es. Was die Staatsanwaltschaft dabei übersah: Inhaber des privatbetriebenen Wehrmachtsmuseums in dem Heidedorf-Harber war Hartung. Die Sammler selber machen meistens keinen Hehl aus ihrer Bewunderung für das III. Reich. Ihr Hobby sei eben „Geschichte zum Anfassen“. Ob sie dabei auch an die Opfer des Holocaust denken? „Selbstverständlich, auch das gehört zur Geschichte. Deutschland war damals der aufregendste Platz der Welt … Die Paraden und Aufmärsche übertrafen alles … Es gab Arbeit für alle … Es gab keine Unordnung … keine Schwarzen, keine Untermenschen." Nazis sind diese „Amateurhistoriker“ ihrer Meinung nach nicht.

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Ende der Leseprobe aus 52 Seiten

Details

Titel
Neonazismus. Die Gefahr von Rechts
Veranstaltung
40. Jahrestag der Befreiung vom Hitler-Faschismus am 8. Mai 1985
Autor
Jahr
1985
Seiten
52
Katalognummer
V962204
ISBN (eBook)
9783346374028
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Broschüre ist zu der Gedenkveranstaltung zum 40. Jahrestag der Befreiung vom Hitler-Faschismus am 8. Mai 1985 aller Jugendorganisationen in der Gemeinde Lindlar veröffentlicht worden.
Schlagworte
Neonazismus, Rechtsradikale, Rechtsextreme, Politik, Zeitgeschichte
Arbeit zitieren
Heinz Kerp (Autor:in), 1985, Neonazismus. Die Gefahr von Rechts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/962204

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