Die Arbeit analysiert das Bild des Advokaten und des Richters in Franz Kafkas Werken. Neben den Rechtsbegriffen nehmen im "Proceß" Franz Kafkas und anderen Arbeiten Berufe naturgemäß eine relevante Position ein. Kafka literarisiert zwei der klassischen juristischen Professionen, nämlich jene des Advokaten und des Richters. Die relevantere Position kommt dem Richter zu, das Advokatenbild ist weniger erforscht.
Kafka verfügt über persönliche Erfahrungen mit Anwälten, dies einerseits aus seiner kurzen Konzipientenzeit und andererseits aus dem Umstand, dass er die Absicht hatte, Teilhaber der Prager Asbestwerke zu werden. In diesem Zusammenhang konsultierte er einen Doktor K. Einige Eindrücke über diesen Advokaten sind in Doktor Huld aus dem "Proceß"-Roman eingeflossen. Ein weiterer Advokat ist Doktor Bucephalus, der in der Skizze "Der neue Advokat" auftritt.
Bei der Beschreibung des Richters hat sich Kafka nicht so sehr mit den Rechtsgrundsätzen der Unabhängigkeit, Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit, die zu seinen Lebzeiten bereits ausgebildet waren, beschäftigt, als vielmehr mit der Ausleuchtung des Rollenbilds. Kafkas Richter pflegen einen autoritären Stil und nehmen einen Platz in entrückter Ferne ein. Einige Meinungen besagen sogar, dass Kafkas Richter nicht urteilen, sondern jagen und hetzen. Das Richterbild ist nicht sehr vorteilhaft. Im "Proceß" macht Kafka die Eitelkeiten der Richter deutlich, wenn er schreibt, dass sich noch der kleinste Untersuchungsrichter wie ein Gerichtspräsident malen lasse.
DER ADVOKAT
Kafkas Advokatenbild ist weniger erforscht als andere Berufe. Eine neueste Untersuchung legt Sterzenbach1 vor. Evident ist, dass im Strafprozess als ju-ristischem Ritual, der dem „Proceß"-Roman als Ordnungsmodell dient, der Richter eine relevantere Rolle spielt, woraus sich das größere Forschungsinteresse ab-leitet. Auch vom Beruf des Anwalts hatte Kafka eine konkrete Vorstellung, obwohl er als Rechtsanwaltsanwärter nur kurze Zeit tätig war.
Binder hält über Kafkas Konzipientenzeit folgendes fest: „Schon vor Beendigung seiner Prüfungen, am 1. April 1906, trat Kafka, der von Anfang an nicht die Absicht hatte, bei der Advokatur zu bleiben, als Aushilfskraft (‚Concipient’) bei dem Rechtsanwalt Dr. RICHARD LÖWY ein. [...] Er wollte nur die Zeit bis zu dem am 1. Oktober beginnenden einjährigen Rechtspraktikum [...] ausnützen, das für alle Juristen vorgeschrieben war, sofern sie in den staatlichen Dienst eintreten woll-ten."2 Hayman stellt in diesem Zusammenhang fest: „Er arbeitete zielstrebig, ohne sich wirklich für die Materie zu interessieren."3
Sterzenbach beschreibt zunächst nach dem Stichwort Advocat aus der Allgemeinen Enzyklopädie der Wissenschaften und Künste4 den Begriff und hält fest: „Der Be-griff des Advokaten, den man wohl am sinnvollsten mit ,der Hinzugerufene’ oder ,zur Hilfe Gerufene’ übersetzt, wurde seit der Antike für die rhetorisch geschulten Gerichtsredner verwandt, die in der deutschen Rechtstradition eher als Für-sprecher oder als Vorsprecher bekannt waren."5 Es handle sich um geschulte Per-sonen, die für andere eintraten. Mit der Einführung fremder Rechte und dem schriftlichen Verfahren habe die Gelehrsamkeit zugenommen, so dass man von den Advokaten auch als Schriftsteller und Rechtsgelehrten sprach. Diese Rechts-kundigen sollten sich nicht nur durch Spezialwissen, „sondern durch allgemeine Tugenden, wie ,einen guten Lebenswandel’, ,die Begabung mit guten Sitten’ und eine gewisse ,Lebenserfahrung in vielen Dingen’ auszeichnen."6
Die erwähnte Enzyklopädie geht sicherlich von einem Idealbild aus, das Kafka nicht nachzeichnen konnte, bei ihm bleibt von diesem positiven Bild nicht viel übrig, eher zeichnet er diesen juristischen Stand mit einer gewissen Verachtung.
Sterzenbach arbeitet verschiedene Advokatentypen heraus, so den phantasti-schen, hässlichen, geschwätzigen, unheimlichen und rätselhaft neuen.
Der „phantastische Anwalt" ist jener, den Kafka in den Träumen zeichnet, und der vom Alltäglichen in das Phantastische transformiert wird.
Für den „häßlichen Advokaten" zitiert Sterzenbach aus den „Fragmenten aus Hef-ten und losen Blättern", und zwar den Entwurf „Fragment des ,Unterstaatsan-walts’": „Der Verteidiger war ungefährlich, ein dem Unterstaatsanwalt bekanntes, immer schreiendes, aber wenig scharfsinniges Männchen. An dem Tag war er gewiß nicht einmal sehr kampflustig, er verteidigte, weil er verteidigen mußte, weil es um ein Mitglied seiner politischen Partei ging, weil sich vielleicht Gelegenheit zu Tiraden ergeben würde, weil die Parteipresse auf den Fall ein wenig aufmerksam war, aber Hoffnung, seinen Klienten durchzubringen, hatte er nicht. [...] Er schien dem Unterstaatsanwalt ein unwürdiger Gegner zu sein. Als er gleich bei Beginn der Verhandlung aufhüpfte und mit häßlicher pfeifender Stimme den Antrag gestellt hatte, die Verhandlung möge in öffentlicher Sitzung stattfinden, erhob sich der Un-terstaatsanwalt fast schwerfällig von seinem Sitz. [...] Und er schloß sich dem An-trag des Verteidigers an, sein Verhalten war ebenso unerwartet wie das des Ver-teidigers selbstverständlich gewesen war."7
Auch Sterzenbach meint, dass Kafka dieses präzise Bild eines Verteidigers deshalb zeichnen könne, da er für die Arbeiter-Unfall-Versicherung zuweilen an Gerichts-verhandlungen teilnehmen hatte müssen.
Sterzenbach berichtet, dass Kafka im Jahr 1911 plante, Teilhaber der Prager Asbestwerke zu werden, was terminlich nachvollziehbar ist. Am 10. Oktober 1911 erhält Kafka „von der Prager Polizeidirektion ein Führungszeugnis als Gesellschafter der ,Ersten Prager Asbest-Fabrik’ seines Schwagers Karl Hermann."8 Am 19. Oktober 1911 geht er „zu Dr. K. zum Vertragsabschluß über die Asbest-Fabrik."9 Den Nachmittag des 8. November 1911 verbringt er „bei Dr. K. wegen der Fabrik."10 Am 28. Dezember 1911 ist Kafka „früh wegen einer kommissionellen Besichtigung in der Fabrik."11
Für die Vertragserrichtung konsultierte er einen anwaltlichen Berater, den Ster-zenbach nun als den „geschwätzigen Advokaten" apostrophiert. Dazu zitiert er eine „Tagebuch"-Belegstelle: „Geschwätzigkeit des Dr. K. Ging zwei Stunden hinter dem Franz-Josefs-Bahnhof mit ihm herum, bat ihn von Zeit zu Zeit, mich weg-zulassen, hatte die Hände vor Ungeduld verflochten und hörte so wenig zu als möglich war. [...] Er erzählt übrigens sehr gut. [...] Gerichtliche Ausdrücke geben der Rede Halt, Paragraphen werden genannt, deren hohe Zahl sie in die Ferne zu verweisen scheint. [...] eingeschobene Bemerkungen des Zuhörers werden nicht sofort, was ärgerlich wäre (Kubin), sondern zwar bald, aber doch erst im Laufe der Erzählung an richtiger Stelle eingelegt, was als sachliche Schmeichelei den Zuhörer in die Geschichte hineinzieht, weil es ihm ein ganz besonderes Recht gibt, hier Zuhörer zu sein."12
Sterzenbach meint hier, dass einiges von den Eindrücken des Dr. K. in die Figur des Advokaten Dr. Huld aus dem "Proceß"-Roman eingeflossen ist. Zwei Advo-katen, die Kafka beschrieben hat, verdienten besondere Aufmerksamkeit, Dr. Huld aus dem "Proceß", und Dr. Bucephalus aus der Skizze "Der neue Advokat".
Auf den Rat seines Onkels hin bedient sich Josef K. für eine gewisse Zeit der Dienste des Advokaten Dr. Huld, „der seinem Klienten im siebten Kapitel des Romans auch eine eingehende Beschreibung der allgemeinen Stellung der Advo-katenschaft bei dem K anklagenden Gericht liefert."13 Die hauptsächliche Aufgabe der Advokaten bestehe darin, „für den Angeklagten Eingaben zu fertigen, die je-doch bei Gericht entweder gar nicht oder jedenfalls kaum gelesen werden. [...] Dr. Huld hingegen ist - nicht zuletzt wohl aus finanziellen Gründen - auf seine Mandanten angewiesen und kämpft um ihre Gunst."14 Als ihm Josef K. gegen Ende des Romans den Auftrag entziehen will, versucht Huld ihn mit seinem ganzen rhetorischen Geschick davon abzubringen.
Frey sieht in den Eingaben der Advokaten „eine ständige Komplizierung und Ver-längerung des Prozesses."15 Alle Eingaben müssten bearbeitet werden, so dass die Kanzleibeamten ständig gezwungen seien, „neue Rechtfertigungen auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen."16 Die Hartnäckigkeit der Advokaten sei nichts anderes als „Ermüdungstaktik"17. Die Advokaten verhinderten damit das „Weitergehen des Prozesses zu höheren Gerichten."18
Die Beziehung Dr. Hulds zu seinen Mandanten ist allerdings zwiespältig, hat er sie einmal gefangen, schreckt er nicht davor zurück, sie zu erniedrigen, „wie jenen unglückseligen Kaufmann Block, den er vor K’s Augen demütigt."19 Die Beziehung zu Block ist weit intensiver, als sie üblicherweise zwischen Anwalt und Klient zu sein pflegt. Huld hat Block in sein Haus aufgenommen, bietet ihm also nicht nur rechtlichen Rat, sondern Kost und Logis. „Und mehr noch. Auch seine Haushälterin und Pflegerin Leni muss dem Mandanten gleichsam als Zugabe zu Willen sein. Durch diese ,Großzügigkeit’ gewinnt der Advokat Macht über seinen Schützling, den er durch seine fürsorgliche Belagerung immer tiefer in seine Abhängigkeit zieht."20
Seinem Wesen nach ist Huld genauso unheimlich wie das Gerichtssystem, das im Dunkeln bleibt. „Hulds Kanzlei befindet sich in einem dunklen Haus, in jener unge-mütlichen Vorstadt, in der auch die alptraumhaften Gerichtskanzleien gelegen."21 Huld empfängt Josef K. und Block regelmäßig im Bett liegend, geschützt unter einer Decke, so dass er seine Besucher über seinen wahren körperlichen Zustand täuschen kann.
Sterzenbach fragt, wer nun dieser Huld sei. Dazu führt er aus, dass er in der Kafka-Forschung zum Beispiel als „Stellvertreter der kantischen Philosophie"22, „Bett-ungeheuer"23 oder „Inkarnation Mephistos und der Seinen"24 gesehen wird. Schließlich konstatiert Sterzenbach, dass Huld nicht für die kantische Idee der Aufklärung stehe, sondern für deren Umkehrung, zumal er nicht für die Forderung und den Mut eintritt, sich des eigenen Verstands zu bedienen. Huld lehre das Gegenteil und entmutige, indem er die Schwierigkeiten der Rechtsverteidigung hervorhebe. Er verspreche seinen Mandanten, den Prozess für sie, aber nicht mit ihnen zu führen.
Bekannt ist, dass der Advokat Huld Josef K. nicht erfolgreich verteidigt hat, zumal er zuletzt erwürgt und erstochen wird.25 Huld geht es nicht um den Angeklagten, sondern strebt er nur danach, „seine eigene Existenz innerhalb des Gerichts zu sichern."26 Er macht seine Klienten zu Werkzeugen, die „seiner eigenen Erhal-tung"27 dienen, weshalb der Advokat „in Wirklichkeit ein armseliger kleiner Schmarotzer (ist)."28 K. erkennt dies nachdem er sich von ihm gelöst hat.
Kellerwessels Beurteilung der Huldschen Rechtskünste ist rigoroser, zumal es offen bleibe, „ob Huld über irgendwelche Gesetzeskenntnisse verfügt."29 Er nenne zwar Vorschriften der Prozessführung, es werde dabei aber nicht deutlich, „ob diese im Gesetz verankert sind oder nicht."30 Insgesamt fehlten Belege, „die von einem Wis-sen des Anwalts von Gesetzen zeugen."31 Der Nutzen des Advokaten bleibe daher ungewiss.
Sterzenbach meint, dass die Anwälte bei Kafka nicht nur krakenhafte, frei-heitsvertilgende Ungeheuer sind, sondern ihrerseits geknechtete Wesen mit einem Drang zur Befreiung von Zwängen ihrer Berufswelt. Dabei führt er als Beispiel die kleine Erzählung, „Der neue Advokat", aus dem Jahr 1917 an. Sie beschreibt die Metamorphose des weltberühmten Pferdes Bukephalus32 zu einem Rechtsge-lehrten.
Diesen - im Sinn Sterzenbachs – „rätselhaften neuen Advokaten" beschreibt Kafka folgend: „Wir haben einen neuen Advokaten, den Dr. Bucephalus. In seinem Äu-ßern erinnert wenig an die Zeit, da er noch Streitroß Alexanders von Mazedonien war. [...] Doch sah ich letzthin auf der Freitreppe selbst einen ganz einfältigen Gerichtsdiener mit dem Fachblick des kleinen Stammgastes der Wettrennen den Advokaten bestaunen, als dieser, hoch die Schenkel heben, mit auf dem Marmor aufklingendem Schritt von Stufe zu Stufe stieg. [...] Vielleicht ist es deshalb wirklich das beste, sich, wie es Bucephalus getan hat, in die Gesetzbücher zu versenken. Frei, unbedrückt die Seiten von den Lenden des Reiters, bei stiller Lampe, fern dem Getöse der Alexanderschlacht, liest und wendet er die Blätter unserer alten Bücher."33
Sterzenbach schreibt dazu: „Die legendäre Zeit eindeutiger philosophischer Vor-gaben ist also vorbei, ein klares Ziel nicht mehr auszumachen. In dieser wirren Si-tuation nun findet Bucephalus für sich einen segensreichen Ausweg."34 Er befreit sich nach seinem physischen geschichtlichen Tod nicht nur von den Fesseln seines Streitrossdaseins, sondern auch von dem älteren Kafkaschen Advokatenbild des seine Mandanten überfürsorglich durch das Leben tragenden Dieners, um sich als wahrhaft neuer freier Advokat zu emanzipieren. Der derart promovierte Buce-phalus versenkt sich kontemplativ in die Gesetze, liest und wendet die Blätter der alten Bücher. Er wendet sich also von der realen, verwirrten, haltlosen Welt ab, derjenigen der Bücher, der Fiktionen und Ideen zu und findet hier in den Schriften seinen Trost. So spiegelt sich zuletzt in der Erzählung „ Kafkas alter Lebenstraum von der Befreiung vom juristischen Brotberuf, um sich ganz der Literatur hingeben zu können."35
Frey sieht – im Gegensatz zu Sterzenbach – Kafkas Advokaten völlig different. Huld, zum Beispiel, die Hauptfigur ihrer Untersuchung, „mutet wie ein Zauberer an, der dem Dunkel befehlen kann"36 und „eine Affinität zur sinnlichen Welt"37 hat. Frey meint, dass es für den Advokaten „nichts außerhalb des sinnlichen Seins gibt"38. Da sie ihn auf die Sinnlichkeit reduziert, bedeute für ihn Leben lediglich „Teilnahme am Gericht"39. Der Lieblingsaufenthalt Hulds sei das Bett, das ihm „ein Untertauchen im Schlaf und Vergessen oder in sinnlicher Lust"40 ermögliche. Über-dies sei er krank, was „eine Minderung der Lebenskraft"41 zur Folge habe: „Die Existenz des Advokaten ist also ständig bedroht."42 Die Existenzbedrohung sei „ei-ne radikale, seine Krankheit ist eine Krankheit zum Tode."43
Die Stellung Hulds bei Gericht, so konstatiert Frey, sei „weder unerschütterlich noch eine Vertrauensstellung"44. Die Advokaten sind am Gericht nur geduldet und werden mit äußerster Verachtung behandelt: „Schon die ihnen zugewiesene enge niedrige Kammer zeige die Verachtung, die das Gericht für diese Leute hat."45 Auch die örtliche Situierung spricht eine beredte Sprache: „Das Advokatenzimmer liegt auf dem zweiten Dachboden. [...] Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man in Advo-katenkreisen solche Verhältnisse schändlich nennt."46 Pfaff stellt sogar fest, dass die „Isolation der Advokatur beinah vollkommen (ist)"47.
Die Advokaten haben nicht die Wahl, die ihnen vom Gericht zur Verfügung ge-stellten Zimmer abzulehnen, zumal sie nur widerwillig geduldet werden. Das Ak-zeptieren des „zweiten Dachboden(s)"48 ist „für sie die einzige Möglichkeit, überhaupt am Sein zu partizipieren."49 Die Existenzsituation der Advokaten wird aus der Gestaltung ihrer Kammer deutlich, sie ist klein und eng, sie gehört dem Gericht.
Frey sieht in den Advokaten insgesamt eine „lächerliche Gesellschaft"50 mit einem „absoluten Mangel an Würde"51. Schon der kleinste Beamte, den Kafka aber „posi-tiv charakterisiert"52, hat die Macht, den Advokaten, diesen „kleinen, schwarzen Schmarotzern"53 alles zu erschweren. Auch in Huld sieht Frey einen „armseligen Schmarotzer des Gerichts"54.
Das Gericht hat, so Frey, „in seiner Eigenschaft als Vertreter des absoluten Gesetzes keinerlei Interesse an der Existenz von Advokaten."55 Die Advokaten wollen am Gericht partizipieren, weil dies für sie die einzige Möglichkeit ist, überhaupt zu (über)leben: „[...] einerseits haben sie keinen eigentlichen Anspruch darauf eingelassen zu werden, [...] Andererseits aber ist jeder nicht bei Gericht verbrachte Tag für sie verloren"56. Sie müssen bei den Beamten deshalb ein In-teresse für ihre Existenz erwecken und sollte das Gericht – als Vertreter des absoluten Gesetzes – ihnen die Arbeit ermöglichen. Die Diskrepanz „zwischen Sein und Sollen des Gerichts zieht also auch ein widersprüchliches Verhalten der Ge-richtsvertreter den Angeklagten gegenüber nach sich"57. Sie lehnen die Verteidigung durch Advokaten ab, weil das Gericht weder verbessert noch zerstört werden soll, andererseits treibt die Beamten das Interesse an einer Nicht-Verän-derung des Gerichts dazu, „mit den Advokaten auf Kosten der Angeklagten und gegen das Gesetz freundschaftliche Beziehungen zu unterhalten."58 Kellerwessel konstatiert in summa, dass eine „tatsächliche Feststellung über den Wert der Verbindungen nicht getroffen (wird)"59. Auch K. erkennt diesen Zustand, wenn er sagt: „Verdächtig aber blieben die unauf-hörlich hervorgehobenen persönlichen Beziehungen zu den Beamten."60 Die Dis-krepanz „zwischen Sein und Scheinen des Advokaten"61 liegt nun darin, dass er sich nicht für den Angeklagten bemüht, sondern nur für seine Existenzsicherung. Hat der Advokat keinen Klienten, so ist er dem Nichts, seiner Nicht-Existenz ausgesetzt. Und gerade diese Realität wollte Kafka durch groteske, aber auch ko-mische Situationen zum Ausdruck bringen.
Die Advokaten als Vertreter eines der klassischen juristischen Berufe haben Kafkas Aufmerksamkeit gefunden. Das Bild, das er zeichnet, ist jedoch nicht gerade freundlich. Die Advokaten, die er auf Verteidiger reduziert, sind befremdliche Wesen, phantastisch zwar, doch eher hässlich, unheimlich und rätselhaft, so als würden sie den „Ehrentitel" Zu-Hilfe-Gerufene nicht verdienen, weil sie im eigentlichen armselige Schmarotzer sind.
[...]
1 Georg Sterzenbach ist Rechtsanwalt in München und hat seine Arbeit in der Neuen Juristischen Wochenschrift veröffentlicht, auf sie wird hier teilweise zurückgegriffen.
2 Hartmut Binder: Franz Kafka. Leben und Persönlichkeit. Stuttgart 1979, S. 229.
3 Ronald Hayman: Kafka. Sein Leben, seine Welt, sein Werk. Bern und München 1981, S. 74.
4 Allgemeine Enzyklopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge von genannten Schriftstellern bearbeitet und herausgegeben von Ersch und Gruber, Professoren zu Halle. Neudruck. Graz 1969, S. 463 ff.
5 Georg Sterzenbach: Streitroß und Bettungeheuer - Zum Advokatenbild Franz Kafkas. Neue Juristische Wochenschrift, Heft 17/1997, S. 1125.
6 Sterzenbach: Streitroß und Bettungeheuer - Zum Advokatenbild Franz Kafkas. S. 1125.
7 Franz Kafka: Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande und andere Prosa aus dem Nachlaß. Frankfurt a. M. 1976, S. 269 f.
8 Bezzel: Kafka-Chronik. S. 48.
9 Bezzel: Kafka-Chronik. S. 50.
10 Bezzel: Kafka-Chronik. S. 51.
11 Bezzel: Kafka-Chronik. S. 54.
12 Franz Kafka: Tagebücher 1910-1923. Frankfurt a. M. 1976, S. 71 ff.
13 Sterzenbach: Streitroß und Bettungeheuer - Zum Advokatenbild Franz Kafkas. S. 1126.
14 Sterzenbach: Streitroß und Bettungeheuer - Zum Advokatenbild Franz Kafkas. S. 1126.
15 Gesine Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". Marburg 1969, S. 110.
16 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 110.
17 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 110.
18 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 110.
19 Sterzenbach: Streitroß und Bettungeheuer - Zum Advokatenbild Franz Kafkas. S. 1126.
20 Sterzenbach: Streitroß und Bettungeheuer - Zum Advokatenbild Franz Kafkas. S. 1126.
21 Sterzenbach: Streitroß und Bettungeheuer - Zum Advokatenbild Franz Kafkas. S. 1127.
22 Peter Pfaff: Was kann man wissen? In: Frank Schirrmacher (Hrsg.): Die Ver-teidigung der Schrift. Frankfurt a. M. 1987, S. 124.
23 Heinz Politzer: Franz Kafka. Der Künstler. Frankfurt a. M. 1978, S. 322.
24 Christian Eschweiler: Der verborgene Hintergrund von Kafkas „Der Prozeß". Bonn 1990, S. 125.
25 Franz Kafka: Der Proceß. Roman in der Fassung der Handschrift. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt a. M. 1990, S. 312.
26 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 111.
27 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 113.
28 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 113.
29 Wulf Kellerwessel: Kafkas „Prozeß" – eine sprachphilosophische Deutung. Frankfurt a. M. 1990, S. 59.
30 Kellerwessel: Kafkas „Prozeß" – eine sprachphilosophische Deutung. S. 59.
31 Kellerwessel: Kafkas „Prozeß" – eine sprachphilosophische Deutung. S. 59.
32 Der historische Bukephalus war das Lieblingspferd Alexander des Großen. Es wurde von diesem selbst zugeritten und trug ihn bis nach Indien, den damaligen Ostrand der Welt, um dort zu sterben. Indien steht bei Kafka mit größter Wahrscheinlichkeit für das Jenseitige und Transzendente.
33 Franz Kafka: Erzählungen. Frankfurt a. M. 1976, S. 111.
34 Sterzenbach: Streitroß und Bettungeheuer - Zum Advokatenbild Franz Kafkas. S. 1129.
35 Sterzenbach: Streitroß und Bettungeheuer - Zum Advokatenbild Franz Kafkas. S. 1129.
36 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 103.
37 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 105.
38 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 106.
39 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 106.
40 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 105.
41 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 105.
42 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 105.
43 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 106.
44 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 106.
45 Kafka: Der Proceß. S. 152 f.
46 Kafka: Der Proceß. S. 153.
47 Pfaff: Was kann man wissen? S. 121.
48 Kafka: Der Proceß. S. 153.
49 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 107.
50 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 108.
51 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 108.
52 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 108.
53 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 108.
54 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 101.
55 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 110.
56 Kafka: Der Proceß. S. 159.
57 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 111.
58 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 111.
59 Kellerwessel: Kafkas "Prozeß" – eine sprachphilosophische Deutung. S. 62.
60 Kafka: Der Proceß. S. 167 f.
61 Frey: Der Raum und die Figuren in Franz Kafkas Roman „Der Prozeß". S. 111.
- Quote paper
- Janko Ferk (Author), Der Advokat und der Richter bei Franz Kafka, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/960612
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