Das Phänomen Siegfried Kracauer in seiner Gesamtheit zu erfassen, ist eine dankbare, wenn auch denkbar schwierige Aufgabe, entzog sich der 1889 in Frankfurt am Main geborene Theoretiker doch Zeit seines Lebens jeglicher oberflächlicher Etikettierung im Sinne einer bestimmten philosophischen, theoretischen oder gar politischen Denkschule. Dies hat ihm, neben einer eher zweifelhaften Stellung im Kreis der Intellektuellen seiner Zeit, seit jeher eine eher stiefmütterliche Behandlung durch die akademischen Eliten eingebrockt, die bis weit in die heutige Zeit seinen Platz im akademischen Diskurs mit großen Fragezeichen versahen. Zu sehr tangieren seine Veröffentlichungen und Bücher mehrere Bereiche gleichzeitig, war der ehemals angehende Architekt Kracauer Journalist, Literat, Philosoph und Soziologe zugleich, was eher verunsicherte, als eine der zitierten Berufsgruppen oder deren wissenschaftliche Disziplinen hinter sich vereinen hätte können. Vor diesem Hintergrund mag es wenig verwundern, dass gerade auch die für das Feuilleton der Frankfurter Zeitung geschriebenen Texte, welche den Hauptgegenstand dieser Arbeit bilden, den gutgesinnten Rezensenten vor gröbere Bezeichnungsprobleme stellen, wie u. a. Gerwin Zohlen treffend bemerkt:
Die Mischung von literarischer Form und philosophischem Interesse, essayistischem Verfahren und journalistischer Publikation hat noch keine beständige Bezeichnung gefunden: Stadtbilder, Straßentexte, diagnostische Bilder, philosophische Miniaturen oder Illuminationen, all dies trifft zu und engt zugleich ein. Denkbilder, der Terminus von Walter Benjamin, faßt am knappsten zusammen, daß diese Texte Themen moderner Welt- und Lebensverhältnisse der Lese- und Nachdenklust aussetzen wollen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1. Erinnerung an eine Pariser Straße
- 2. Straße Ohne Erinnerung
- 3. Abschied von der Lindenpassage
- 4. Analyse eines Stadtplans
- 5. Über Arbeitsnachweise
- 6. Resumé
- Bibliographie
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert die Straßentexte von Siegfried Kracauer, die in seinem Buch "Straßen in Berlin und anderswo" zusammengefasst sind. Die Arbeit zielt darauf ab, Kracauers besondere Herangehensweise an die Architektur und seine Verwendung von Raum- und Stadtbildern als Ausdruck gesellschaftlicher Strukturen zu untersuchen. Dabei werden die Themen der sozialen Wirklichkeit, der Erinnerung, der Architektur als Trägerin sozialer Information und die Krise des Subjekts in der modernen Großstadt beleuchtet.
- Die Rolle der Architektur als Spiegel der gesellschaftlichen Strukturen
- Die Bedeutung von Raum- und Stadtbildern als Träger sozialer Information
- Die Krise des Subjekts in der modernen Großstadt
- Die Verwendung von Erinnerung und Zeit als Elemente in Kracauers Texten
- Die Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft und ihren Idealen
Zusammenfassung der Kapitel
In "Erinnerung an eine Pariser Straße" schildert Kracauer ein eindringliches Straßenerlebnis, in dem Raum und Zeit verwoben sind. Der flanierende Protagonist begegnet einer Umgebung, die ihn in ihren Bann zieht und ihm einen Objektstatus verleiht. Die Sprache des Textes ist reich an Metaphern und evoziert eine einzigartige Atmosphäre.
"Straße ohne Erinnerung" verlagert den Blick nach Berlin und beleuchtet die flüchtige und geschichtslose Natur des Kurfürstendamms. Die Häuser verlieren ihre Identität und werden zu Sinnbildern eines unaufhaltsamen Wandels. Kracauers Kritik an der modernen Architektur und den Ornamenten, die als Brücke zum Gestern fungierten, wird hier deutlich.
In "Abschied von der Lindenpassage" wird die Passage als eine Schattenwelt dargestellt, in der das Ausgestoßene und Hineingestoßene der bürgerlichen Gesellschaft Zuflucht findet. Die Passage entlarvt die Scheinheiligkeit der Fassadenkultur und stellt die bürgerlichen Ideale in Frage. Kracauers Analyse der Passage als Ort des sozialen Klassenkampfs wird hier deutlich.
"Analyse eines Stadtplans" beleuchtet den Kontrast zwischen den Faubourgs und dem Zentrum von Paris. Die Faubourgs, bewohnt von den kleinen Leuten, werden als Orte des natürlichen Lebens und der menschlichen Wärme dargestellt. Kracauer sieht in den Faubourgs das Potential für einen Aufbruch, gleichzeitig warnt er vor den Gefahren der Korruption durch das System.
"Über Arbeitsnachweise" untersucht die räumliche Anordnung der Arbeitsnachweise als Ausdruck der Position der Erwerbslosen in der Gesellschaft. Die Arbeitsnachweise werden als "typischer Raum" für die Erwerbslosen betrachtet, der ihre soziale Wirklichkeit widerspiegelt. Kracauers Analyse der Arbeitsnachweise als Raum der Entfremdung und Abgestumpftheit wird hier deutlich.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Architektur, Raum- und Stadtbilder, soziale Wirklichkeit, Erinnerung, Zeit, gesellschaftliche Strukturen, die Krise des Subjekts in der modernen Großstadt, die bürgerliche Gesellschaft, der soziale Klassenkampf, die Erwerbslosigkeit und die Entfremdung. Kracauers Straßentexte analysieren die Stadt als Spiegel der sozialen Wirklichkeit und beleuchten die Herausforderungen der modernen Gesellschaft.
- Quote paper
- Martin Stepanek (Author), 2002, Siegfried Kracauer: Straßentexte, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9606
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