Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Erarbeitung des Analyse-Kriteriums „Manierismus“
1.1 Manierismus als überzeitliches Phänomen
1.2 Manierismus als Ausdruck einer Krise
1.3 <Idea>-Lehre und Anaturalismus
1.4 Der Gegensatz Manierismus – Klassik
1.5 Manierismus als Epoche
2 Analyse: Manieristische Phänomene im Werk Antonionis
2.1 Die äußere Wirklichkeit
2.1.1 Das Phänomen <Idea>-Natur
2.1.2 Naturdarstellung bei Antonioni
2.1.2.1 <Magische> Natur
2.1.2.2 Quasi-natürliche Chiffren
2.1.2.3 Farbgestaltung bei Antonioni
2.2 Sprengkraft des Bildes
2.2.1 <Figura Serpentinata>
2.2.2 <Figura Serpentinata> bei Antonioni
2.3 <Landschaft des Traums>
2.3.1 Traum und Vision
2.3.2 Traum-Visionen bei Antonioni
2.3.2.1 „Halluzinierende“ Gesichter
2.4 Bruchstücke der Wirklichkeit
2.4.1 Abstraktion und Fragmentarisierung
2.4.2 Abstraktion und Fragmentarisierung bei Antonioni
2.5 <Korrespondenzen des Entlegenen>
2.5.1 Metaphorik
2.5.2 Metaphern im Werk Antonionis
2.5.2.1 Filmische Metaphern
2.5.2.2 Sprachliche Metaphern
2.6 <Die Welt als Labyrinth>
2.6.1 Labyrinth-Motive
2.6.2 Das Motiv „Labyrinth“ bei Antonioni
3 Schlußbemerkung
4 Anhang
4.1 Quellen
4.1.1 Sekundärliteratur
4.1.2 Lexika
4.1.3 Drehbücher
4.1.4 Dokumentarfilme
4.2 Materialien
4.2.1 Verzeichnis der berücksichtigten Filme
4.2.2 Protokoll zur Schlußsequenz von L'eclisse
Einleitung
„Michelangelo Antonionis Filme und der Manierismus“ lautet das Thema der vorliegenden Magister-Arbeit. Es ist eine Themenstellung, die auf den ersten Blick verblüffend erscheinen mag: Sie stellt das Werk eines zeitgenössischen Regisseurs einem kunstgeschichtlichen Begriff gegenüber, der üblicherweise eine Stilepoche in der Bildenden Kunst zwischen Spätrenaissance und Barock bezeichnet.
Der Versuch, die ästhetischen, formalen und inhaltlichen Stilmerkmale des Manierismus mit den Filmen Antonionis in Verbindung zu bringen, könnte aufgrund der Unvereinbarkeit von Untersuchungsgegenstand und Analyse-Kriterien zunächst als fragwürdige Unternehmung erscheinen.
Gleich zu Anfang weise ich daher darauf hin, daß der dieser Arbeit zugrundeliegende Manierismus-Begriff in einem erweiterten Sinn verstanden wird.
Ich beziehe mich dabei auf das von Gustav René Hocke vorgelegte Werk „Die Welt als Labyrinth – Manierismus in der europäischen Kunst und Literatur“[1], in dem der Autor eine Manierismus-Auffassung vertritt, die weit über den gängigen kunsthistorischen Begriff hinausgeht. Hocke definiert Manierismus nicht als eine einmalige Stilepoche des 16.Jahrhunderts, sondert versteht ihn als ein immer wiederkehrendes, epochenunabhängiges Phänomen. Nach Hocke tritt Manierismus nicht nur in der Bildenden Kunst und in der Literatur in Erscheinung – wie der Untertitel seines Buches suggerieren könnte–, sondern in „Kunst, Literatur und Musik, in Philosophie und Theologie, in gesellschaftlichen Konventionen und <subjektiven>, <avantgardistischen> Lebensgewohnheiten“[2].
Hockes Manierismus-Auffassung auch auf die „siebente Kunst“ – den Film – anzuwenden, läßt deren „offener“ Charakter ohne weiteres zu.
Inwieweit kann die beabsichtigte Gegenüberstellung Ergebnisse erbringen, die das in der Antonioni-Literatur bereits Erarbeitete weiterführend ergänzt?
Ein Großteil der Autoren, die sich mit dem italienischen Regisseur beschäftigt haben, beleuchten in ihren Analysen und Wertungen vordringlich die inhaltlichen bzw. thematischen Aspekte seines Werks.
So wird als „Thema“ Antonionis etwa „[...] die menschliche Beziehung in einer zur Entfremdung tendierenden Gesellschaft“[3] ausgemacht oder „[...] das Versagen des modernen Menschen gegenüber den Ansprüchen des <Du>“[4].
„In [den Filmen bis 1962] formulierte [Antonioni] seine Erkenntnis von der Brüchigkeit menschlicher Beziehungen, von der universellen Entfremdung, die zwischen den Menschen, aber auch zwischen den Menschen und der Umwelt herrscht.“[5]
Die Tatsache, daß fast alle Protagonisten dem mittleren oder gehobenen Bürgertum angehören, läßt einige Autoren seine Filme als Portrait einer bestimmten sozialen bzw. gesellschaftlichen Klasse interpretieren:
„Antonioni gab [...] eine künstlerisch vollkommene, von dichtester Poesie überglänzte Studie des Bürgertums, wie er es sieht, eines Bürgertums, das unbeweglich, phantasielos, unbelehrbar und erschöpft in seinen sozialen Positionen und Vorurteilen verharrt; ein Bürgertum, das unfähig ist, je wieder vitale Kräfte zu sammeln, das außerstande ist, in sich Machtströme des Gefühls und der Leidenschaft zu entfesseln, seine seelische Armut zu überwinden.“[6]
Antonioni wird in dieser Lesart zu einem „Diagnostiker“, dessen Filme sich auf das „konzentrieren, was er selbst die >Krankheit der Gefühle< genannt hat, auf das Notstandsgebiet einer Gesellschaft [...], die den Komfort und den Konsum [der italienischen Nachkriegsgesellschaft] mit einem innerlichen Absterben bezahlt“[7].
Italo Calvino spricht sogar von der „Berufung“ Antonionis „als bitterer Chronist einer bürgerlichen Generation“[8].
Die emotionalen Katastrophen, die viele der antonionischen Figuren erleben, gaben vielfach zu Deutungen Anlaß, die den Regisseur als den „großen Pessimisten“ erscheinen lassen. Schlappner spricht von einem „konstitutionellen Pessimismus“[9] in Antonionis Werk.
Diese Deutungen und Einschätzungen haben sicherlich ihre Berechtigung. Sie sind für viele der antonionischen Figuren und ihre psychischen Befindlichkeiten bzw. für ihre Beziehungen untereinander und zur Gesellschaft zutreffend.
Die spezifische Ästhetik, die Antonionis Filme auszeichnet, wurde in der mir vorliegenden Literatur meist den oben skizzierten psychologisch-inhaltlichen Deutungen untergeordnet.
Meine Arbeit unternimmt nun den Versuch, vordringlich die ästhetischen Merkmale des antonionischen Werks im Zusammenhang mit der von Hocke entwickelten Manierismus-Auffassung zu untersuchen.
Während meiner Beschäftigung mit dieser Fragestellung hat sich die These herauskristallisiert, daß Antonionis Filme als Kunstwerke zu betrachten sind, die in hohem Maße von manieristischen Elementen geprägt sind. Dabei möchte ich mich keineswegs darauf beschränken, lediglich eine Stileinordnung seines Werks vorzunehmen. Vielmehr erlaubt gerade der konzentrierte Blick auf die Ästhetik Antonionis eine konkrete Ausformulierung dessen, was andere Autoren als die „Poesie[10] “, als „die klare, geometrische Schönheit der Bilder“[11], als die „frostige Distanz [von] Antonionis filmischer Syntax“[12] oder als die „kühle, noble Schönheit antonionischer Werke“[13] zu beschreiben versucht haben.
Der Ansatz meiner Auseinandersetzung mit Antonionis Filmwerk ist damit weitgehend umrissen.
Gegliedert ist meine Arbeit in drei Hauptteile: Der erste Teil stellt Hockes Manierismus-Auffassung in gegebener Kürze vor, allerdings ohne auf einzelne Phänomene detailliert einzugehen. Hier soll auch die Gegenposition zu Hockes Ansatz zu Wort kommen.
Im zweiten Teil werden die den Manierismus maßgeblich bestimmenden künstlerischen und stilistischen Phänomene kapitelweise erläutert. Jeweils direkt anschließend stelle ich die Entsprechungen dieser Phänomene im Filmwerk Antonionis dar und versuche sie anhand schlüssiger Beispiele zu belegen.
Der dritte Teil enthält das Schlußkapitel, in dem ich die erarbeiteten Ergebnisse zusammenfasse.
Aufgrund der besonderen Fragestellung, die meiner Arbeit zugrundeliegt, habe ich in wesentlich geringerem Umfang als sonst üblich auf Sekundärliteratur zurückgreifen können. Meines Wissens gibt es keine Arbeit, die sich unter einer ähnlichen Fragestellung mit Antonioni befaßt. Entlehnungen aus der Literatur wurden daher nur in begrenztem Maße eingefügt. Wichtigstes Arbeitsmaterial war neben den Filmen Antonionis das Werk von Gustav René Hocke. Ansonsten erfolgte die Analyse weitgehend werkimmanent.
Zu Hockes Buch ist noch zu bemerken, daß ich für meine Magisterarbeit die Neuauflage von 1987 benutzt habe. Die Erstausgaben von 1957 bzw. 1959 (ursprünglich erschienen der „Kunst-“ und der „Literatur“-Band getrennt[14] ) sind nicht mehr lieferbar. In der Neuauflage sind beide Bände in einem vereint. Der Text entspricht nach Angaben des Herausgebers, Curt Grützmacher, „mit wenigen geringfügigen Änderungen“[15] dem der Erstausgaben. Leider wurde bei der Neuauflage aber der ursprünglich sehr detaillierte Fußnotenapparat mit genauen Angaben zu von Hocke zitierten Werken, Seitenzahlen usw. zugunsten einer Werknennung in der Reihenfolge des Vorkommens ersetzt.
Daraus ergibt sich eine besondere Schwierigkeit: In vielen Textstellen, die ich Hockes Werk entnommen habe, finden sich wiederum Textteile, in denen Hocke selbst andere Autoren zitiert. Da es sich dabei häufig um kaum zugängliche Texte aus der Spätrenaissance handelt, muß ich mich in diesen Fällen darauf beschränken, den jeweils zitierten Text nur bibliographisch (also ohne konkrete Nennung der Seitenzahl) zu bezeichnen. Diese Angaben finden sich im Fußnotenapparat meiner Magisterarbeit.
Außerdem möchte ich noch auf eine typographische Eigenheit in der von mir benutzten Ausgabe hinweisen. Die o. g. Zitatfragmente sind in französische Anführungszeichen gesetzt (<...>). Die gleichen Zeichen werden aber auch dann verwendet, wenn Hocke ein Wort oder einen Ausdruck besonders hervorheben wollte. Ich habe die Typographie jeweils übernommen.
Grundsätzlich ist meine Untersuchung – entsprechend der Themenstellung – auf das gesamte Filmwerk Antonionis bezogen. Allerdings mußten dabei einige Einschränkungen gemacht werden (Titelnennungen erfolgen kursiv):
Nicht berücksichtigt werden konnten leider die Kurzfilme Nettezza Urbana (1948), L’amorosa menzogna (1948/49), Superstizione (1949) sowie Sette canne, un Vestito (1949), La villa dei mostri (1950) und La funivia del faloria (1950), die Episode Prefazione in I tre volti (1965), ein Projekt des italienischen Produzenten Dino de Laurentiis, sowie die Dokumentarfilme Gente del Po (1943-47) und Chung Kuo (1972). Diese Filme waren mir leider nicht zugänglich.[16] Das gleiche gilt auch für die Fernseharbeiten Inserte girato a lisca bianca (1983/84) und Fotoromanza (1984).
Filme, in denen Antonioni als Produzent tätig war (z.B. der Kurzfilm Uomini in più, Regie: Nicolò Ferrari, 1955), oder in denen Antonioni einen Film nach dem Tod des Regisseurs fertiggestellt hat (Nel segno di Roma, Regie Guido Brignone, 1958), bzw. in denen er als Regisseur eines zweiten Filmteams tätig war (La tempesta, Regie: Alberto Lattuada, 1958) habe ich in meine Untersuchung ebenfalls nicht einbezogen.[17]
Einen Sonderfall stellt der Film Par dela les nuages von 1995 dar, den Wim Wenders und Antonioni gemeinsam realisiert haben. Da die Regieanteile der beiden Regisseure in diesem Film klar voneinander zu trennen sind, wurde der Film berücksichtigt.[18]
Einen Überblick über die Filme, die Eingang in meine Untersuchung gefunden haben, findet sich im Anhang.
Um den Lesefluß nicht zu stören, wurden die längeren Filmtitel außerdem wie folgt verkürzt: Cronaca di un amore = Cronaca, La signora senza camelie = Signora , Tentato suicido = Tentato [19] , Il deserto rosso = Deserto , Zabriskie Point = Zabriskie, Professione: Reporter = Professione, Il mistero di Oberwald = Mistero, Identificazione di una donna = Identificazione und Par dela les nuages = Nuages.
Die Filmtitel I vinti, Le amiche, Il grido, L’avventura, La Notte, L’eclisse und Blow up werden ausgeschrieben.
Bei Titelnennungen in Zitaten habe ich die Schreibweise des jeweiligen Autors übernommen.
Dialogzitate der Film-Protagonisten werden in Anführungszeichen gesetzt und im Text entsprechend angekündigt. Sie sind durchgängig den deutschen Synchronfassungen entnommen. Eine zusätzliche Kenntlichmachung als „Filmtext“ erschien mir nicht notwendig.
Einige Kapitel habe ich zur Verdeutlichung der Argumentation mit Standbildern illustriert. Diese Bilder wurden direkt vom Fernsehschirm abphotographiert. Ein Abbildungsnachweis entfällt also.[20]
Köln, 04.08.96, Christian Ahrens
1 Erarbeitung des Analyse-Kriteriums „Manierismus“
1.1 Manierismus als überzeitliches Phänomen
Im Allgemeinen wird in der Kunstgeschichte unter Manierismus eine bestimmte Phase in der Spätrenaissance verstanden. Sie zeichnet sich durch besondere stilistische Merkmale aus. Die Darstellung von Mensch und Natur wirkt „übertrieben“, die Kunst dieser Zeit ist betont artifiziell und raffiniert und steht damit im Gegensatz zum absoluten Formsinn der Klassik.
So heißt es etwa im „Lexikon der Kunst“:
„Manierismus (von ital. maniera, Manier, Eigenart), Bezeichnung für den Stil der Spätrenaissance bzw. des Übergangs zwischen Renaissance und Barock, der sich ca. 1520-1600 in mehreren Phasen und in den jeweiligen Ländern Europas zu unterschiedlichen Zeitpunkten entwickelte.“[21]
Neuere Lexika wie das oben zitierte geben außerdem an, daß mit dem Begriff Manierismus „auch alle Spätzeiten einer Epoche“ bezeichnet werden könnten, „die durch Stilbewußtheit, formale Übersteigerung und Spannung zwischen konservativen Bestrebungen und zukunftsweisenden oder auch revolutionären Tendenzen bestimmt sind“[22].
DuMont’S „Bild-Lexikon der Kunst“ beschreibt die stilistischen Merkmale des Manierismus wie folgt:
„Ganz allgemein ist [der Manierismus] durch eine bewußt antiklassische Haltung gekennzeichnet, d.h. eine Abkehr von Idealen wie Harmonie und Schönheit und einer Neigung zu übersteigertem Ausdruck, der sich formal in überlängten Figuren, stark gedrehten Bewegungen [...], komplizierter Raumordnung, expressiver Farbigkeit, unnatürlichen Lichteffekten usw. und inhaltlich in einem Hang zum Ausgefallenen, Phantastischen oder sogar Absurden äußert.“[23]
Als Zeitrahmen werden auch hier die Jahre von 1520 bis 1600 genannt.
Was den Epochenstil „Manierismus“ im 16. Jahrhundert angeht, unterscheidet sich Hockes Auffassung nicht von der gängigen „lexikalischen“ Definition. So schreibt er zum Manierismus der Spätrenaissance:
„Manierismus [...] kann als die Ausdrucksform des Subjektiven gelten, als Kunst, die vorzugsweise geistige und seelische Vorgänge mit auch >irregulären< Form-Mitteln darstellt. Sie begnügt sich also nicht mit der klassizistischen >Nachahmung der Natur<. Die Form-Geometrie des >Goldenen Schnitts< lehnt sie ab.“[24]
Das Besondere an Hockes Ansatz ist seine These, daß der Manierismus kein einmaliges Phänomen in der Kunstgeschichte darstelle, sondern eines, das in verschiedenen Kulturepochen wiederholt als eigenständige Erscheinung aufgetreten sei: in der Antike ebenso wie in der Renaissance oder in der Moderne des 20. Jahrhunderts. Er widersetzt sich also auch der Einschätzung, daß Manierismus lediglich als Spätform eines Stiles zu betrachten sei und weist ihm vollkommene Eigenständigkeit zu.
Dieser Ansatz ist „entscheidend für den wissenschaftlichen Stellenwert der Arbeiten Hockes“.[25]
Als die fünf wichtigsten manieristischen Epochen Europas bezeichnet Ho name="_ftnref26" title="">[26]
Der Manierismus der Spätrenaissance endet seiner Auffassung nach im „ganz und gar unmanieristischen“ Hochbarock und mündet in „Ordnungsmythos und Fortschrittsgläubigkeit“ der Aufklärung und Neuklassik. Eine erneute Hinwendung zum Manierismus trete in der Romantik auf, „mit ihren vielen manieristischen Zügen [...], bis die bürgerliche Welt der Restauration sich zu neuer <Bewältigung des Lebens> sammelt.“ Aber „schon nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71“ ahnten „die <Grands Nerveux> neues kommendes Unheil. Die <Stimmung> für einen neuen Manierismus entsteht.“ Seine „großen Schöpfer“ betreten die Bühne mit ihren Werken „meist kurz vor und unmittelbar nach dem Weltkrieg 1914 bis 1918“.[27]
So wird bei Hocke die historische Einmaligkeit einer kunsthistorischen Epoche zu einem überzeitlichen Phänomen. Manierismus versteht er als eine „Ausdrucksgebärde der Menschheit“, die ein geeignetes Mittel darstelle, „um ein bestimmtes <problematisches> Verhältnis zur Welt zu kennzeichnen“:
„<Manierismus> bezeichnet somit das spezifische ästhetische Verhalten eines bestimmten Menschentypus in der Geschichte und gegenüber der Wirklichkeit jeder Art.“[28]
In seiner Gesamtheit versucht Hockes Buch den Beweis anzutreten, daß die im Manierismus der Spätrenaissance auftretenden typischen Erscheinungsformen dieses Stils auch in anderen Epochen weiterwirken bzw. in neuer Form wiederzufinden sind. So gäbe es etwa zwischen „Spätrenaissance und Moderne“ eine „Typenverwandtschaft, allerdings keine Identität des Individuellen“[29]:
„Die <Manierismen>, ähnlich im Ausdruckszwang, entwickeln sich jeweils verschieden in anderen epochalen Umwelten. Die <Gebärde> ist immer gleich, sie deutet immer auf <Zeichen>. Innerhalb einer bestimmten historischen Umwelt aber wird diese Gebärde sehr verschieden im <Duktus> [...].“[30]
Ziel von Hockes Arbeit ist es, eine „Phänomenologie manieristischer Elemente zur <Problematik des modernen Menschen>“ zu erstellen, die er „anhand einer Reihe von <Motiven>“[31] abschnittsweise behandelt. Im Vorwort seines Buches faßt Hocke die stilistischen und emotionalen Grundtendenzen des Manierismus schlagwortartig zusammen, die sich aus der Konfrontation des Manierismus „von damals“ mit dem „zeitgenössischen“ in Form einer „Konstante des europäischen Geistes“[32] ergäben:
- „Rebellion oder Weltflucht“
- „Weltanklage und Weltangst“
- „Deformation, Konstruktion“
- „Expressionismus, Surrealismus und Abstraktion“[33]
1.2 Manierismus als Ausdruck einer Krise
Manierismus stellt nach Hocke eine „Daseinsgeste des modernen Menschen schlechthin“ dar und sei daher „Merkmal eines problematischen Weltverhältnisses“[34]. Manieristische Kunst entstehe als „Ausdruck einer geistigen Krise“. In ihr findet sich das „ Bewußtwerden einer <aus den Fugen> geratenen Welt, einer epochalen Krise“[35].
Für die Zeit nach dem Ende der Renaissance konstatiert Hocke einen „Bewußtseinswandel“, zu dem die „Jahrzehnte bis zum Hochbarock immer neuen und dramatischen Anlaß“ gaben[36]: Als konkrete historische Ereignisse nennt Hocke die Eroberung Roms durch Karl V. (1527), die Belagerung Wiens durch die Türken, die Kriege zwischen Karl V. und Franz I., die Einführung der Reformation in Schweden, Dänemark und Norwegen, die Augsburgische Konfession, die Loslösung der anglikanischen Kirche von Rom (1531), die Reformation in Genf (1541), die Auseinandersetzung zwischen Spanien und England und den Freiheitskampf der Niederlande[37].
„[...] Kriege und Hungersnöte waren ein Normalzustand. [...] Dazu könnte man den politischen Zerfall Italiens nennen, die Zersetzung der universalen Ideen des Kaiser- und Papsttums, die Ausbildung eines europäischen Staatensystems; das Ende der ritterlich-feudalen dynastischen Staatsauffassung, das Entstehen neuer sozialer Strukturen und Wirtschaftssysteme [...].“[38]
Unter den Menschen breitete sich „Weltangst“ aus, die Künstler dieser Zeit werden „von Untergangsvisionen heimgesucht.“ Im Werk Leonardo da Vincis, Dürers und Raffaels ließen sich dafür zahlreiche Belege finden.[39] Die Welt „[...] mit ihren gestörten politischen und ethischen Ordnungen [bildet] keinen harmonischen Kosmos mehr“. Im Bewußtsein der Zeitgenossen werde sie empfunden als
„[...] eine terribilità [...], eine angstvolle Beziehungslosigkeit, ein Schrecken, der sich nicht mehr mit den Regeln der Klassik darstellen ließ, eine Verdrehung. Man wollte das Schreckliche, Seltsame, das in Raum und Zeit Heimatlose einfangen, um es zu bannen.“[40]
Das Verhältnis des Künstlers zur Welt sei „problematisch“[41] geworden. Während das klassisch geprägte Vollkommenheitsideal der Renaissance mit den Begriffen „Harmonie aller Teile, Proportion, Maß, Kreis, geordnete Mitte“ umschrieben werden könne, sind es bei den Manieristen der Hochrenaissance: „Unruhe, Angst, Verlassenheit, <Unbehaustheit>“[42].
Als weitere Ursachen der „<Problematik> des damaligen <modernen> Menschen“ bezeichnet Hocke einerseits die Diskrepanz zwischen der „Sicherheit der Gewißheit, daß er den <mythischen Menschen> überwunden habe und mit freiem, neuem Bewußtsein philosophisch-theologische Wahrheit finden könne“ und andererseits das Gegenüber zu einer „rätselhaften Natur“, die sich der Mensch der Spätrenaissance zwar „<magisch>“ erklären aber rational nicht verstehen könne[43]. So bilde sich in der Kunst
„[...] geradezu ein Kult des Disharmonischen aus, als allmählich auch gesetzhafte, regelhafte Verhaltensweise des Anti-Konformismus. Dieser Kult, die Liturgie des Manierismus aller Zeiten, ist nicht allein historisch, sondern auch psychologisch und existentiell interessant, weil er sich auch als ästhetische Erscheinungsform der psychischen Struktur des problematischen Menschen darstellt, des Menschen, der an überlieferten Maßstäben für sich, um sich und über sich zu zweifeln beginnt und deswegen nicht selten in einem auch fruchtbaren Sinne [...] ver-zweifelt [sic!].“[44]
Die Problematik des „ zeitgenössischen Menschen“ habe demgegenüber
„[...] eine ähnliche, aber andersgelagerte Ursache. Auf der einen Seite im <Subjekt> das selbstherrliche Gefühl, daß mit der ethischen Vernunft alle gesellschaftlichen Konflikte, vor allem Kriege, überwunden werden müßten, auf der anderen das Erlebnis, daß gerade an Höhepunkten moralistisch-philosophischer Erkenntnisse das Grauen des <Irrationalen> geradezu mit doppelter Gewalt alle <Fortschritte> vernichtet.“[45]
Das „Grauen des <Irrationalen>“ bezieht sich im Kontext obigen Zitats insbesondere auf den Ersten Weltkrieg. Hocke weist darauf hin, daß „die echte Revolution der <modernen> Kunst um 1910 heute vor allem als sensible Vorwegnahme der Katastrophe von 1914 betrachtet wird, als Vorahnung des Endes Alt- europas“[46].
So müsse der Widerspruch zwischen „Deus in terris“ einerseits und dem „Mensch in Ohnmacht“ andererseits „für alle, die sich nicht mit der Ersatzfunktion von konstruierten Harmonie-Mythen begnügen wollen, den [künstlerischen] Ausdruck in jeder Hinsicht bestimmen“[47].
Eine zusätzliche Dimension der Verunsicherung und der „Weltangst“ bestimme den Menschen nach Hocke im atomaren Zeitalter. Der Ausdruck vieler zeitgenössischer Werke (z.B. Salvador Dalís und Max Ernsts) wiesen auf „[...] die Hoffnungslosigkeit einer Zeit, die vor der wohl monströsesten Hybris der Menschheit steht: der sogenannten Atombombe, dieser technischen Reinkarnation uralter prometheischer Mythen, aber gewiß in einem ganz neuen Sinne.“[48]
Zu der „Krise der Moderne“, die zu der jüngsten manieristischen Phase geführt habe, legt Hocke in einer späteren Veröffentlichung dar:
„Die Reiter der Apokalypse heißen heute: Hunger, Umweltzerstörung, Erschöpfung der Energiequellen, thermonuklearer Selbstmord.“[49]
1.3 <Idea>-Lehre und Anaturalismus
Als Grundlage jeder manieristischen Kunst nennt Hocke die Emanzipation der Künstler vom Vorbild Natur. In der „bewußten“ (weil theoretisch reflektierten) manieristischen Phase der Spätrenaissance bildete sich – ausgehend von der Platonischen Akademie in Florenz – die „Idea“-Lehre heraus. Von den Manierismus-Theoretikern dieser Zeit werde das Kunstwerk als originäre „Idee des Künstlers“ und nicht als „Kopie der Natur“ aufgefaßt. Damit setzten sich diese Theoretiker in bewußten Gegensatz zu den Idealen der Renaissance: Denn die „Nachahmung der Natur“ sei „wenn auch in einem idealisierenden Sinne, das Programm der Renaissance wie jeder Klassik“[50].
Die Emanzipation vom Naturvorbild läßt sich – so Hocke – in der manieristischen Traktatliteratur des späten 16.Jahrhunderts nachvollziehen. In dieser Phase wird „der Geist gegenüber der Natur selbstherrlich, die Rebellion allmählich herausfordernd“[51]. Hocke zitiert G. B. Armenini: „Ich lache über diejenigen, die jegliches Natürliche für gut halten.“[52]
Über eine zunächst noch „<gegenständlich> gebundene <Phantasie>“[53] – für die etwa Arcimboldo als Vertreter genannt wird – führe die Emanzipation hin zum Concettismus[54] Zuccaris[55]. Dieser erweitert den Idea-Begriff daraufhin, daß im Geiste des Künstlers zunächst ein Concetto – eine „<ideeliche Vorstellung>“, ein „<Disegno Interno>“[56] – entstehe, dem dann die Ausführung folge („<Disegno Esterno>“). Eine Vorbildfunktion der Natur spiele beim schöpferischen Akt des Künstlers nur insofern noch eine Rolle als daß „der Geist [...] aus der Natur ein eigenes künstliches Bild“[57] schaffe. Zuccari bezeichnete diese Form im Gegensatz zum „<Disegno Naturale>“ (Nachahmung der Natur durch die Kunst) als „<Disegno Artificiale>“. Eine weitere Stufe ist für Zuccari der „<Disegno Fantastico-artificiale>: Ursprung aller <Seltsamkeiten>, überraschenden Wendungen [...] <Erfindungen>, <Phantasien> und <Ungewöhnlichkeiten> [...]“[58]. Über diese Form hinaus könne auch der „<Disegno esterno prodottivo, discorsivo, fantastico>“ geschaffen werden – „die völlig antinaturalistische Kunst“, die alles darstellen könne, „was die ungehemmte Phantasie uns beschert“[59]. Dank „extremer Ausdrucksmittel“ werde diese Kunst „zu einem Abenteuer des Metaphorischen, d.h. der Möglichkeit, alles mit allem zum Ausdruck zu bringen.“[60]
Auf den „Metaphorismus“ im Manierismus werde ich später noch eingehen. Nur soviel vorweg: In der manieristischen Literatur kommt der Wortfigur Metapher nach Hocke ein außerordentlicher Stellenwert zu:
„Sie ist die geistvollste [unter den sprachlichen Stilmitteln], weil sie das Entfernteste miteinander verknüpft, Korrespondenzen des Entlegenen bildet.“[61]
Das Weiterwirken dieser dem Manierismus ein theoretisches Fundament gebenden Traktate bis ins 20. Jahrhundert hinein belegt Hocke mit eindrucksvoller Materialfülle. Er beruft sich dabei auf Aussagen von Paul Klee, Wassily Kandinsky, Paul Éluard, Max Ernst, Salvador Dalí u.a., aus denen das „subjektive“ „Idea“-Selbstverständnis dieser Künstler deutlich werde. So hieße es z.B. bei Kandinsky: „Das Sprechen von Geheimem durch Geheimes. Ist das nicht der Inhalt?“[62]
Die zentrale Bedeutung der „Idea-Lehre“ für den Manierismus drückt sich in folgendem Hocke-Zitat aus:
„Die Manieristen [...] verlegen [ihren] <Blickpunkt> nach innen, sie beobachten [...] nicht mehr mit dem leiblichen Auge, sondern mit einem <seelischen> Auge. Das betrachtende Subjekt wird in einem doppelten Sinne Subjekt. Es nimmt aus seiner subjektiven Blicksituation nicht optisch-physikalisch Objektives auf, sondern <subjektiv> Gesehenes, Erschautes, <Imaginiertes> [...].“[63]
1.4 Der Gegensatz Manierismus – Klassik
Zur Bestimmung des Manierismus-Begriffs nach Hocke ist das Spannungsverhältnis zwischen Manierismus und Klassik konstitutionell. A priori stellt Hocke fest, daß unter Manierismus „[...] alle künstlerischen und literarischen Tendenzen Europas von der Antike bis heute“ verstanden werden müßten, „<die der Klassik entgegengesetzt sind, mögen sie vorklassisch oder nachklassisch oder mit irgendeiner Klassik gleichzeitig sein>“[64]:
„Manierismus gibt es in vorklassischen und in nachklassischen Kulturen. Er wird – als besonders scharfe Dialektik – sogar in klassischen Epochen sichtbar. Immer wieder manifestiert er sich in spezifischen Dichtungen, Kunstwerken und Kompositionen.“[65]
So wie Hocke den Manierismus als eine „Urgebärde der Menschheit“[66] begreift, gelte gleiches auch für die Klassik. Beide seien „ein Mittel zur <Lichtung> des Seins“[67] – jeweils auf eigene Art. Klassik und Manierismus seien „zwei ästhetische Erscheinungsweisen des Absoluten“[68]. Aber während die Klassik das „<Verborgene> des Mysteriums in der <verständlichen>, nur <sublimierten> Natur zur Darstellung“ bringe, will der Manierismus „das <Verborgene> in einer <emblematischen>, in der <Idee> meist <deformierten> Natur zur Wirkung bringen“[69]. Das „Sein“ (die Welt, die Natur, die Existenz) erscheine im Klassischen als das „[...] Bergende, Ordnende, Gründende, Gestaltgebende [...]“, im Manierismus hingegen werde das Sein als „das Bedrohliche, Schreckenerregende, Zerbrechende, Behaustheit Versagende“[70] empfunden.
So konstatiert Hocke für die Klassik eine grundsätzlich naturalistische Haltung. Die „Nachahmung der Natur“ sei „wenn auch in einem idealisierenden Sinne, das Programm [...] jeder Klassik“[71]. Sie wolle „die <Idea> in der Natur erscheinen“, der Manierismus hingegen wolle „die Natur in der <Idea> durchscheinen lassen“[72].
Klassik und Manierismus stehen nach Hocke nicht in einem isolierten Gegensatz zueinander, sondern in einem wechselseitigen, aufeinander bezogenen Spannungsverhältnis. Ohne den Manierismus als Gegenpol und Reibungspunkt liefe die Klassik Gefahr, in Erstarrung zu verfallen. Umgekehrt würde der Manierismus ohne die Klassik der Auflösung anheimfallen.
„Klassik ohne Manierismus als Spannung wird Klassizismus, Manierismus ohne Klassik als Widerstand wird Manieriertheit.“[73]
Interessant ist, daß sich Hocke bei aller Fasziniertheit vom Manierismus doch „trotz allen irdischen <Wahn-Sinns> [...] von der göttlichen Logos-Struktur des Kosmos“ (also einer „klassischen“ Weltsicht) überzeugt zeigt und aus dieser Überzeugung die (nicht weiter begründete) Annahme ableitet, „daß die manieristische <Urgebärde> welthistorisch immer die Funktion hat, eine jeweils folgende klassische <Urgebärde> auszulösen, welche ihrerseits stets die unmittelbarere Beziehung zum schöpferischen Logos hat“[74].
Darüber hinaus scheint Hocke dem Manierismus trotz seines intensiven Bemühens, dessen Eigenständigkeit nachzuweisen, letztlich eine dienende Funktion gegenüber der Klassik zuzuweisen:
„Der <Manierismus> hat, so könnte man meinen, die Aufgabe, einmal die Klassik vor Verflachung zu retten, dann aber der Klassik zu intensiveren Ausdrucksmitteln zu verhelfen.“[75]
Diese Problematik, die letztlich das persönliche Weltbild des Menschen Hocke berührt, soll hier nicht weiter verfolgt oder zu entscheiden versucht werden.
Zum Schluß dieses Kapitels möchte ich – noch einmal auf den Gegensatz Manierismus/Klassik zurückkommend – eine Reihe von Gegensatzpaaren zitieren, die mir geeignet erscheinen, den aufgezeigten Antagonismus mit „sprechenden“ Begriffen zu vertiefen. Der Übersichtlichkeit halber erfolgt die Gegenüberstellung in tabellarischer Form:[76] [77]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1.5 Manierismus als Epoche
Hockes Auffassung vom zyklischen Erscheinen des Manierismus in der Kunstgeschichte ist bis heute umstritten. Obwohl ich Hockes These für überzeugend belegt halte, soll an dieser Stelle auch die Gegenposition kurz vorgestellt werden. Als prominenter Vertreter der gängigen Manierismus-Auffassung ist Arnold Hauser zu nennen, der ein Standardwerk zum Manierismus verfaßt hat.[78] Während sich die Auffassungen Hausers und Hockes weitgehend decken, was die Qualität manieristischer Kunst in der Spätrenaissance angeht, so unterscheiden sich beide Autoren deutlich in der Frage, ob Manierismus ein einmaliges oder ein wiederkehrendes kunstgeschichtliches Phänomen darstelle.
Während Hocke Manierismus wie beschrieben als „Konstante des abendländischen Geistes“ begreift, ist Manierismus für Hauser ein einmaliges, historisch fixiertes Phänomen am Ausgang der Renaissance.
Die Möglichkeit einer Stilperiodizität „im Sinne der regelmäßigen Wiederkehr der Stilformen“ verneint Hauser generell und argumentiert in erster Linie historisch: „Jeder künstlerische Stil [sei] gewissermaßen das Resultat der vorhergehenden Entwicklung“ und diese Entwicklung vollziehe „sich jedesmal auf einer anderen Stufe des kunsthistorischen Gesamtprozesses“[79]. Stilerscheinungen könnten sich daher „nicht in der Form, in der sie einmal aktuell geworden sind, wiederholen“[80]. Daher erscheint es Hauser sinnlos, „von Manierismen in verschiedenen Versionen zu sprechen“ und fordert, „auf die Mehrzahl [des Begriffs „Manierismus“] [...] überhaupt zu verzichten, das heißt, die Bezeichnung ausschließlich für die künstlerische Richtung aufrechtzuerhalten, in der die Krise der Hochrenaissance und die einmalige stilistische Entwicklung zwischen Renaissance und Barock ihren Ausdruck findet.“ Nur in diesem Zeitraum kämen die „Formprinzipien, die den Kriterien des Manierismus entsprechen, voll zur Geltung [...]“[81].
Denjenigen Autoren, die im Manierismus mehr als nur ein einmaliges historisches Phänomen sehen (Hauser zitiert in diesem Zusammenhang auch Hocke), wirft Hauser das Versäumnis vor, manieristisch und manieriert nicht voneinander zu unterscheiden, obwohl eine solche Unterscheidung nötig sei:
„Manierismus ist in kunstgeschichtlicher Artbegriff, Manier ein kunstkritischer Qualitätsbegriff; sie decken sich zwar über gewisse, mitunter beträchtliche Strecken der Entwicklung, sie haben aber weder logisch noch entwicklungsgeschichtlich einen notwendigen Zusammenhang miteinander.“[82]
Als „Manier“ versteht Hauser „Konventionelles, Formelhaftes, Artifizielles und gesucht Raffiniertes“[83] und geht mit Hocke konform, daß solcherlei Züge sehr wohl in der Kunst des Manierismus zu finden seien und daß „die meisten längeren kunstgeschichtlichen Epochen eine dem Manierismus zumindest ähnliche, späte, müde Verfallsstufe mitmachen und mit einer mehr oder minder epigonenhaften, unspontanen und preziösen Phase enden“[84]. Diese Stilphasen sind gemäß Hausers Auffassung „manieriert“, sie dürften aber nicht mit Manierismus verwechselt werden. Der „eigentliche Manierismus als einmaliger historischer Stil“ sei eine kunstgeschichtliche Erscheinung, die Manieriertheit hingegen ein „kunsttheoretischer Typus“. Ersterer müsse daher als „Individualbegriff“ verstanden werden, „dem nur ein einziger logischer Gegenstand“ entspreche; letzterer als ein „Gattungsbegriff, dem eine unberechenbare Anzahl von Beispielen untergeordnet“ werden könne. In diesem Sinne könne „[...] man natürlich von einem <Manierismus> der verschiedensten geschichtlichen Perioden sprechen, doch nur auf eine ganz allgemeine, abstrakte Weise, die mit Geschichte viel weniger als mit Psychologie und Kunstkritik zu tun hat. Der Manierismus verwandelt sich dann in eine fast jederzeit offene künstlerische Möglichkeit und der Manierist in einen psychologischen Typus, der viel mehr das Opfer seiner Nerven als das Kind seiner Zeit ist.“[85]
Auch Hocke geht auf den Begriff „Manieriertheit“ ein. Er will ihn allerdings in einem anderen Sinne verstanden wissen. Um manierierte Kunst handle es sich, wenn in manieristisch geprägter Kunst „Artifizialität [...] zu einem der Schizophrenie durchaus nahen Spiel einer nur noch gekünstelten Gebärde, zum Spiel mit dem nur noch Artifiziellen“[86] werde. Hocke faßt „Manieriertheit“ also als Verfallsstufe des (überzeitlichen) Manierismus auf. Ich erinnere an dieser Stelle an dessen weiter oben bereits zitierten Satz:
„Klassik ohne Manierismus als Spannung wird Klassizismus, Manierismus ohne Klassik als Widerstand wird Manieriertheit.“[87]
Im Licht dieser Ausführungen erweist sich der Gegensatz Hauser/Hocke letztlich als Definitionsproblem, welches zu entscheiden weder die Aufgabe noch die Absicht meiner Arbeit ist. Gerne gehe ich daher mit der Hauser-Formulierung konform, daß der Manierismus-Begriff Hockes „allgemeiner“, „abstrakter“ und nicht primär „kunsthistorisch“ orientiert sei. Er ist meiner Auffassung aber auch nicht falsch oder das Ergebnis einer Verwechslung. Vielmehr sind die verschiedenen Stilepochen für Hocke jeweils entweder der Klassik oder dem Manierismus zugehörig, in denen sich jeweils ähnliche Phänomene wiederfänden, während bei Hauser diese generelle Zuordnung keine Rolle spielt und er an den gängigen Epochenbezeichnungen festhält.
2 Analyse: Manieristische Phänomene im Werk Antonionis
2.1 Die äußere Wirklichkeit
2.1.1 Das Phänomen <Idea>-Natur
Die antinaturalistische Grundhaltung gehört – wie bereits im Kapitel „<Idea>-Lehre und Anaturalismus“ (vgl. S.15) ausführlich erläutert – zu den grundlegenden Charakterisierungen des Manierismus. Die wichtigsten Stichworte hierzu seien noch einmal genannt:
Das Kunstwerk ist das Ergebnis eines in der Vorstellung des Künstlers existierenden Bildes, das nicht aus der Nachahmung der Natur gespeist ist, sondern als originäre Schöpfung des Künstlers auch von diesem selbst aufgefaßt wird. Die Loslösung vom Vorbild Natur kann dabei extreme Formen annehmen.
Aus dieser Empfindungswelt heraus wird „Natur“ in der Kunst des Manierismus nicht „naturalistisch“ oder „ideal“ gezeichnet, sondern wird „magisch“ verfremdet, als geheimnisvoll, undurchschaubar und bedrohlich empfunden und dargestellt. Der Gedanke von der Natur als „idealem“ Zeugnis göttlicher Schöpferkraft spielt entgegen der „klassischen“ Auffassung im Manierismus keine Rolle.
Wie weit die Loslösung vom Vorbild Natur im Manierismus gehen kann, möchte ich anhand eines Beispiels illustrieren, dem auch Hocke ein ganzes Kapitel gewidmet hat. Es handelt sich dabei um den sogenannten „Heiligen Wald von Bomarzo“, der eigentlich ein zu einer herrschaftlichen Villa gehörender Park ist. In diesem Park finden sich „halb versteckt von Bäumen und Gestrüpp, <verdrehte> riesige Plastiken: Monstren, Giganten, Fabeltiere“[88].
„[Der Park] stellt sich als bildhauerische und architektonische meraviglia[89] dar. Aus Inschriften in diesem Park weiß man, was dieser Sacro Bosco bedeuten sollte: einen <heiligen Wald, der keinem anderen gleicht>“.[90]
Alles in diesem Park sei „verzerrt, sogar die Wege; die Architektur ist bewußt falsch konzipiert, jedem Normalen entgegengesetzt, so daß sich eine Wahnvorstellung [beim Besucher des Parks] ergibt“[91].
In dem Park fanden „weltmüde Fürsten und Hofdandies [...] ein intellektuelles, ein ästhetisches Schauerarkadien, ein Stimulans für den Trieb zum Irrealen, eine neue, künstliche Natur innerhalb und oberhalb einer Nur-Natur-Landschaft, die Verwirklichung einer <Idee> der Natur, in welcher Schönheit und Grauen sich mischen“[92].
Neben der Wirkung von ästhetischem Schock und Verblüffung wolle der Schöpfer dieses Parks[93] – so Hocke – ein „Mysterium“ darstellen:
„Die <Erschütterung>, die man vor dem Ungewöhnlichen, vor dem ganz und gar Andersartigen, vor dem Zusammenfall des Gegensätzlichen, vor der plötzlich harmonisierenden Wirkung des Abstrusen, ja des <schlechten Geschmacks> spürt.“[94]
Von dem „verdrehten“ Naturempfinden, wie es sich in dem Park von Bomarzo ausdrückt, zieht Hocke direkte Verbindungslinien zu den Naturdarstellungen der manieristischen Moderne. In dem Park herrsche die gleiche Atmosphäre wie z.B. in den Visionen von Max Ernst. Auch zu den „Dschungelstädten des Surrealismus“[95] bestünden Analogien. Und auch „gewisse paranoische Giganten Dalís“ hätten ihre „Heimat“ in Bomarzo.[96]
Der Park von Bomarzo ist – so Hocke – „ein manieristisches Konzentrat Europas“ ein „Labyrinth“, eine „<Idea>-Natur“ und ein „<Quell> des <Modernen>“[97].
2.1.2 Naturdarstellung bei Antonioni
Ehe ich auf die Darstellung der Natur in Antonionis Filmen näher eingehe, halte ich es in diesem Zusammenhang für erwähnenswert, daß er den „magischen“ Park bei Bomarzo kannte und ihn auch zum Gegenstand eines seiner ersten (Kurz)Filme gemacht hat: La villa dei mostri (1950). Leider lag mir dieser zehnminütige Kurzfilm nicht vor.[98] In der Literatur findet sich nur eine lapidare Beschreibung seines Inhaltes: „Die Kamera führt durch den Skulpturenpark“.[99]
Ohne diesen ersten Hinweis überbewerten zu wollen, erlaubt er die Vermutung, daß dieses „manieristische Konzentrat Europas“ eine gewisse Faszination auf Antonioni ausgeübt haben muß.
Obwohl die meisten von Antonionis Protagonisten Stadtbewohner sind – eine Ausnahme stellt Aldo in Il grido dar –, findet sich in seinen Filmen doch in signifikanter Häufigkeit die Natur als Spielort wieder.
Dieses Kapitel gibt eine erste Standortbestimmung der Haltung Antonionis gegenüber der äußeren Wirklichkeit: Ist sein Blick auf die Natur „subjektiv“ oder „objektiv“? Greift er bei der Darstellung natürlicher Räume bewußt ein? Spielen Verfremdungseffekte und Deformationen eine Rolle?
Es ist auffällig, daß Antonioni Naturräume von besonderer Kargheit oder Trostlosigkeit bevorzugt:
In Le amiche tritt die Natur als ein verlassener winterlicher Strand am Meer in Erscheinung, der den Schauplatz für den emotionalen Zusammenbruch Rosettas abgibt. In Il grido ist sie die winterliche, neblige Landschaft der Po-Ebene, in der der Protagonist Aldo ziellos herumirrt. Die Natursequenzen in L'avventura spielen auf einer unbewohnten, kargen Felseninsel, auf der die Ausflugsgesellschaft erfolglos nach der verschwundenen Anna sucht. In Deserto ist sie eine „industrialisierte, von Fabriken und Industrieabfällen zerstörte Natur, die das Unbehagen an dieser Gegend vermittelt“[100]. In Zabriskie Point und Professione tritt Natur schließlich als Wüste in Erscheinung.
Insbesondere in den frühen Filmen zeigt Antonioni eine Vorliebe für düster-graue Naturszenarien. Das folgende Zitat bezieht sich auf die Antonioni Filme bis L'eclisse:
„Diese Umwelt, diese Stimmung [Norditaliens] erfüllt alle seine Filme, selbst wenn er [Antonioni] die Handlung in den Süden verlegt.“[101]
Es sind Erscheinungsformen der Natur, die den Menschen, die sich in ihr bewegen, „Behaustheit“ versagen. Die Protagonisten wirken oft verloren, heimat- und ruhelos. Eine eindringliche Beschreibung der atmosphärischen Wirkung der Landschaft findet sich zu dem Film Il grido:
„Die Bilder sind wie Landschaften der Seele. In der tristen, armseligen Ebene des Po wallen die Nebel, umhüllen die zerfallenden Häuser und löschen alle klaren menschlichen Konturen aus. Dort rauscht ein endloser Regen, verklebt die Gesichter, verwandelt die Erde in eine breiige Masse. Und ein bleigrauer Himmel scheint sich tiefer und tiefer herabzusetzen. Allein von diesen Bildern einer Landschaft, wie sie kein Italien-Urlauber jemals geschaut hat, geht eine eigenartige Faszination aus.“[102]
Diese knappen Bemerkungen sollen zunächst genügen, die Naturdarstellungen in Antonionis Filmen in ihrer allgemeinen, d.h. in ihrer „atmosphärischen“ Wirkung, zu charakterisieren. Bis auf zwei Ausnahmen (die Wüste in Zabriskie Point, die Schauplatz einer sehr „glücklichen“ Liebesszene zwischen den Protagonisten Daria und Mark ist, und der „idyllisch“ geschilderte ländliche Ort, in der Ida – die zweite Geliebte des Protagonisten Niccolò in Identificazione – lebt) bleibt mit Kranen als Zwischenergebnis festzuhalten:
„Natur konnotiert im Filmkontext meist Bedrohung oder zumindest Unbehagen und wird nie als romantisch verklärte Landschaft oder ‘reine’ Natur der Stadt gegenübergestellt.“[103]
2.1.2.1 <Magische> Natur
Über das „Düstere“ und „Unbehauste“ hinaus erhält die Natur in einigen Filmen Antonionis noch eine ganz andere, und in Bezug auf die Manierismus-Fragestellung dieser Arbeit eine wesentlich relevantere Konnotation: Natur als „magischer“ Ort. Die Sie tritt in diesem Kontext als ein äußerer Rahmen für unerklärliche, irreale und phantastische Ereignisse auf und stellt Protagonisten und Publikum vor „Rätsel“.
Dies wird besonders in L'avventura deutlich. Der gesamte erste Teil dieses Films spielt auf einer Felseninsel vor Sizilien.[104] Eine Gruppe von vermögenden Adeligen und Geschäftsleuten unternimmt zusammen mit ihren Frauen und Geliebten einen Wochenendausflug dorthin. Die Insel selbst wird „naturalistisch“ gezeichnet: roh, wüst und scheinbar unbewohnt. Dennoch ist sie Schauplatz, Auslöser oder vielleicht sogar Anlaß für das rätselhafte Verschwinden von Anna. Die „Natur“ tritt hier als Schauplatz eines vollkommen „alogischen“ Vorganges auf: In einem überschaubaren, begrenzten Raum, verschwindet ein Mensch ohne Spuren zu hinterlassen. Trotz Einsatz aller personellen und technischen Mittel der Carabinieri (Boote, Hubschrauber) wird Anna (oder ihre Leiche) nicht wiedergefunden. Für ihr Verschwinden gibt Antonioni im Laufe des Films nicht einmal den Ansatz einer Erklärung.
Die „Magie“ und undurchschaubare Fremdheit der Insel wird von einer der Protagonistinnen noch vor dem Verschwinden von Anna empfunden. So sagt Patrizia während der Bootsfahrt den seltsamen Satz: „Ich habe die Insel nie verstanden. Mit all dem vielen Meer drumherum. Die Armen.“ Sie zweifelt mit dieser Äußerung gewissermaßen die Definition einer Insel an. Sie wundert sich über das viele Wasser „drumherum“, das per definitionem ein Stück Erde erst zu einer Insel macht, und bedauert die Inseln deswegen. In dieser Äußerung spiegelt sich eine Variante des manieristischen Prinzips „Das Entfernteste miteinander zu verbinden“ (vgl. das Kapitel „<Idea>-Lehre und Anaturalismus, S.15). Patrizia stellt das „Naheliegendste“ in Frage. Folgte man dieser „Alogik“ konsequent, würde sie die Insel erst dann verstehen können, wenn sie nicht von Wasser umgeben wäre, wenn sie also nicht mehr das wäre, was sie ist. So wird die Insel bereits in dieser beiläufigen Bemerkung als vollkommen fremd empfunden charakterisiert.
Die Fremdheit zwischen Mensch und Natur spiegelt sich auch in den Bildkompositionen und in der Montage wieder.
Während sich die Ausflügler auf der Insel aufhalten, insbesondere in den Sequenzen, in denen sie nach der verschwundenen Anna suchen, zeigt Antonionis Kamera die Menschen häufig klein, am unteren Bildrand, vor Himmel, Felsen und Meer. Häufig sind sie nah an den rechten oder linken Bildrand plaziert, manchmal ist nur ein Hinterkopf einer der Protagonist(inn)en zu sehen. Felsen und Meer nehmen bedrohlich und übermächtig den größten Teil des Bildausschnittes in Anspruch (vgl. Abbildung 4, S. 48).
Die Fremdheit gegenüber der Natur wird auch in der Gestaltung der Tonkulisse[105] deutlich, deren Geräuschkomposition von dem Spiel der Wellen, der gischtenden Brandung dem an- und abschwellenden Wind und später vom einsetzenden Regen bestimmt ist. Solange sich die Menschen in der Natur bewegen, sind diese Geräusche omnipräsent. Vor ihrem Hintergrund wirken die Stimmen der Protagonisten dünn und verloren.
Am meisten aber irritiert in diesem ersten Filmabschnitt das „magische“ Verschwinden von Anna, zu dem die Natur der Insel den Schauplatz abgibt und deren Geheimnis trotz aller Anstrengungen nicht gelüftet werden kann.
Wie „schockierend“ das unlogische, unerklärliche und vor allem unerklärte Verschwinden von Anna vom Publikum empfunden wurde, zeigt die Reaktion der Festivalbesucher anläßlich der Uraufführung von L'avventura in Cannes im Jahre 1960. Nach der Vorführung kam es „zu tumultartigen Szenen“[106]. Die „skandalöse Publikumsreaktion“[107] bewog führende Regisseure und Kritiker, für Antonioni eine Ehrenerklärung abzugeben[108].
Ein weiteres Beispiel für „magische“ Natur stellt die Nebelsequenz in Identificazione dar. Um der Bedrohung des anonymen Verfolgers zu entgehen, flüchten Niccolò und Mavi aufs Land, „um der Hysterie der Verfolgung in der Stadt zu entkommen“[109]. Das „Land“ – also die „Natur“ – wird hier zunächst als Schutzbereich eingeführt. Natur ist für Niccolò etwas Ideales, Ruhiges, Harmonisches. In einem Gespräch mit seinem Drehbuchautor hatte er zuvor die „ideale Frau“ mit der Natur gleichgesetzt – eine Frau, in deren Gegenwart man schweigen könne, wie man es gegenüber der Natur tun könne: „Ich würde lieber still sein dürfen, mit einer Frau. Ich meine, ich würde zu ihr gern eine Beziehung haben können wie zur Natur.“
Auf der Fahrt zu seinem Landhaus geraten Niccolò und Mavi in eine Nebelbank. Unter dem Eindruck des dichten, in blaues Licht getauchten Nebels verfliegt die heitere „Urlaubsstimmung“, die noch beim Aufbruch geherrscht hat. Unversehens taucht aus dem Nebel eine orange-rot blinkende Ampel auf. Niccolò hält an, fragt: „Was kann das bedeuten?“ Er steigt aus, geht an der Ampel vorbei über eine Brücke, auf der die Straße weiterzuführen scheint. Er hört Schritte. Hinter einer Buschreihe verborgen scheint ein Mensch vorbeizugehen (die Bewegung eines Kopfes oder eines Hutes ist über den Büschen erkennbar). Die Kamera folgt mit einem langsamen Schwenk und erfaßt in einiger Entfernung einen Mann, der Niccolò sein könnte. Zumindest suggeriert dies die Mis-en-scène, weil der Mann auf Niccolòs Seite der Büsche steht. Er tritt an die Büsche heran, mit suchenden Bewegungen. Die Kamera schwenkt weiter und erfaßt nun wirklich Niccolò, der sich in einer amerikanischen Einstellung der Kamera zuwendet. Gleichzeitig ist auf der Tonspur das Pfeifen einer Lokomotive und das charakteristische Geräusch von Rädern auf Schienen zu vernehmen. Das Geräusch blendet übergangslos in das Motorengeräusch eines Autos über, das an Niccolò vorbeifährt. Die nächste Einstellung zeigt Mavi, die auf der anderen Seite der Brücke, über die Niccolò zuvor gegangen ist, rotgetönte Scheinwerferlampen eines Autos sieht, die wie Signale auf- und abblenden. Sie steigt aus und ruft nach Niccolò, der unvermittelt aus dem Nebel tritt. Die Signale treten nicht mehr in Erscheinung. Mavi glaubt, daß sie immer noch (von dem unbekannten Verfolger) beobachtet werden. Die beiden fahren weiter, Niccolò mit der Absicht, den Verfolger abzuschütteln.
Während der nun folgenden schnellen Autofahrt steigert sich Mavi in einen Angstanfall hinein und verlang hysterisch, daß Niccolò anhalten soll. Zunächst fährt dieser weiter, dann hält er endlich. Mavi steigt wütend aus und verschwindet im Nebel.
Nach einer Weile verläßt auch Niccolò den Wagen. Wieder sind Geräusche von Schritten zu hören. Er entfernt sich – so suggeriert es die Mis-en-scène - nur einige Schritte von seinem Fahrzeug und verbirgt sich hinter einem Baum. Die Schritte werden lauter, auch das Geräusch einer sich öffnenden Autotür ist zu vernehmen.
Niccolò hält einen entgegenkommenden Autofahrer an und fragt nach der Verschwundenen. Er hat sie nicht gesehen, erzählt aber eine zusammenhanglose Geschichte über ein Verbrechern, das geschehen sein soll, berichtet von Schüssen, von jemandem, der in den Fluß gefallen sein soll, von Gangstern, Krankenwagen und Glockengeläut. Als Niccolò zu seinem Wagen zurückkehrt, sitzt Mavi wieder auf dem Beifahrersitz.
Auch in dieser Sequenz erscheint die Natur als das Gegenteil von „ideal“, „klassisch“ oder auch nur „realistisch“. Sie konnotiert im Kontext dieser Sequenz als „bedrohlich“ „geheimnisvoll“ und vor allem als „irreal“. Alle vertrauten Bezugspunkte scheinen aufgelöst zu sein. Ein Mensch (Mavi) verschwindet (vgl. das Verschwinden von Anna in L'avventura) und taucht wie aus dem Nichts wieder auf, obwohl Niccolò ihre Rückkehr eigentlich hätte wahrnehmen müssen. Die Sequenz ist besetzt mit mysteriösen Zeichen: geisterhafte Schritte, sinnlose Blinkzeichen und unbekannte Gestalten im Nebel.
„Realität“ und „Irrealität“, „Wahrnehmung“ und „Einbildung“ werden ununterscheidbar. Dies drückt sich insbesondere bei dem Gespräch Niccolòs mit dem Autofahrer aus. Dieser – durch Gestus und Sprache als bieder charakterisierte Mann – berichtet voller Überzeugung von phantastischen Vorgängen (Schüsse, Sirenen, Gangster, die Autofahrer ausrauben etc.). Seine Frau bestätigt – gleichsam als Zeugin– seine Worte. Der Autofahrer reagiert ungläubig, als Niccolò beteuert, daß er nichts gehört habe. Er zweifelt an dessen Wahrnehmungsvermögen: „Sie sind doch nicht taub?“.
Mit der „magischen“ Naturdarstellung ist der „manieristische“ Gehalt dieser Sequenz noch nicht ausgeschöpft. Ich werde auf diese Sequenz noch einmal in einem anderen Zusammenhang zu sprechen kommen.
2.1.2.2 Quasi-natürliche Chiffren
Im folgenden soll nun das Augenmerk auf einzelne, dem urbanen Leben näherstehende Elemente „naturähnlichen“ Charakters gelenkt werden. Darunter sind zu verstehen: Der „Park“ als innerstädtischer „Naturersatz“, Bäume und Wind.
Dem Park kommt als Drehort in Blow up eine zentrale Bedeutung zu. In ihm macht der Protagonist Thomas zu Anfang des Films eine Reihe von Aufnahmen. Er photographiert ein Liebespaar. Diese Photos werden im Verlauf des Filmes spekulativer Ausgangspunkt für Thomas’ Spurensuche. Was ist in dem Park vorgefallen? Ein Mord?
Der Park erscheint in Blow up zunächst als eine Zone der Ruhe und des Friedens. Kein Autolärm oder das Geräusch menschlicher Stimmen unterbricht die Stille, nur gelegentliches Vogelgezwitscher und der Wind in den Bäumen ist hörbar. Thomas bewegt sich lautlos, und auch das Liebespaar, das er mit seiner Kamera belauert, verursacht keine Geräusche. Nur das Klicken des Auslösers ist zu hören. Außer diesen drei Personen sind sonst keine Menschen zu sehen, was die Weltabgeschiedenheit des Ortes unterstreicht.
Die Bildkompositionen wird von zahlreichen Weitwinkelaufnahmen bestimmt, die die Tiefenwirkung einzelner Einstellungen stark erhöhen. Wie häufig bei Antonioni, sind die Personen nicht im Bildzentrum angeordnet, sondern an den Bildrändern plaziert (auf diese stilistische Eigenheit werde ich später noch zu sprechen kommen).
Das suggestiv wirksamste Mittel aber, das dem Park eine „magische“ Atmosphäre verleiht, besteht in der akustischen Gestaltung der Sequenz: Das Geräusch, das der Wind in den Blättern der Bäume erzeugt. Durch das fast völlige Fehlen anderer akustischer Signale erscheint es überdimensional laut.
Diese akustische Chiffre begleitet alle weiteren Sequenzen des Films, in denen der Park Spielort ist: In der Nachtsequenz, in der Thomas den Leichnam entdeckt ebenso wie am Morgen nach der Party, als er den Park ein weiteres Mal aufsucht, um „beweiskräftige“ Photos von dem vermeintlich Ermordeten zu machen.
Diese letztgenannte Sequenz ist auch Beleg dafür, daß die (zugegeben: sehr subtile) Chiffre „Blätterrauschen“ von Antonioni sehr bewußt eingesetzt wird. Sowohl die Aufmerksamkeit des Rezipienten als auch die von Thomas wird in einer Folge von drei Einstellungen auf die Ursache des „magischen“ Geräusches gelenkt. Ein Sequenzprotokoll verdeutlicht dies[110]:
Thomas in Hockstellung, er sucht den Boden ab (Naheinstellung seines Rückens aus der Aufsicht, starkes Blätterrauschen. / Er hebt den Kopf, blickt nach oben (gleiche Einstellungsgröße, starkes Blätterrauschen). / Naheinstellung aus der Froschperspektive von mehreren Ästen gegen den Himmel (Gegenlicht). Schwenk auf Thomas, der jetzt steht und wieder auf den Boden blickt (nah, starkes Blätterrauschen).
Während in den bisher beschriebenen Sequenzen die Chiffre „Blätterrauschen“ noch in einem naturalistischen Kontext stand (wenn auch in übersteigerter Form), setzt Antonioni sie auch in einem vollkommen anaturalistischen Zusammenhang ein. Diese Beobachtung bezieht sich auf die lange Sequenz, in der Thomas in seinem Labor arbeitet und die im Park belichteten Negative entwickelt und vergrößert. Während dieser Sequenz gibt es einen Moment, in der Thomas die an den Holzbalken seines Studios aufgehängten Photographien betrachtet. Anschließend sind in 15Einstellungen die Vergrößerungen bildfüllend direkt hintereinander zu sehen. Währenddessen ist auf der Tonspur wieder das Blätterrauschen zu vernehmen.
Vielleicht mag die Deutung der beschriebenen Effekte als „magisch“ inszenierte Natur übertrieben erscheinen. Dagegen spricht aber, daß Antonioni sie so häufig einsetzt, daß man geradezu von einem Stilelement sprechen könnte.
So sind es allein in L'eclisse drei Sequenzen, in denen die akustische Chiffre vom Rauschen der Blätter vorkommt. Zum erstenmal nach Vittorias Trennung von Riccardo in ihrer eigenen Wohnung. Sie ist an ein Fenster getreten. Die Kamera zeigt sie im Profil, die ganze linke Bildhälfte ist von Bäumen ausgefüllt, die sich im Wind stark bewegen (und rauschen). Ein weiteres Mal bei der Begegnung zwischen ihr und Piero an der Ecke in Vittorias Wohnviertel, an der sie sich mit Piero zu treffen pflegt, sowie als Bestandteil der Schlußsequenz.
Auch in der Schlußsequenz von L'avventura findet sich ein Beispiel. Eine Einstellung zeigt Claudia mit dem Rücken zur Kamera ganz rechts im Bild. Der ganze restliche Bildausschnitt ist von einer Baumgruppe ausgefüllt. Es geht ein starker Wind. Die Äste schwanken heftig.
In Blow up nimmt Thomas dieses „Naturereignis“ explizit wahr: Er hört das Geräusch und betrachtet die Bäume mit einer Aufmerksamkeit, als wenn im „Flüstern der Blätter“ eine Botschaft enthalten sei. Aber es ist eine, die er nicht dechiffrieren kann. Vielleicht resultiert daraus der „magische“ Charakter und die „unheimliche“ Atmosphäre dieser Sequenzen[111]. Das oben aufgeführte Kandinsky-Zitat vom „Sprechen des Geheimen durch Geheimes“ findet in ihnen eine vollkommene Entsprechung.
2.1.2.3 Farbgestaltung bei Antonioni
Seit dem Erscheinen von Deserto hat Antonioni seine Spielfilme ausschließlich in Farbe gedreht. Sieben der in dieser Arbeit insgesamt 16 berücksichtigten Filme sind auf Colormaterial realisiert worden. Grund genug, das Phänomen „Farbe“ bei Antonioni gesondert zu betrachten und auf seine eventuellen „manieristischen“ Qualitäten zu untersuchen.
Vorausschicken möchte ich, daß Hocke auf die Farbgestaltung manieristischer Kunstwerke nur an wenigen Stellen explizit eingegangen ist. So schreibt er etwa zu den Gemälden El Grecos:
„Die Farbe wird ein Widerspiel subjektiver Seelenzustände. Von Michelangelo übernahm Greco <den Antinaturalismus der Form>, von Tintoretto die <anaturalistische Farbe und Komposition>“.[112]
Zu den Bildern Desiderio Monsùs, den Hocke als den „surrealistischen Vorfahr par excellence“, den „<rätselhaftesten> Maler Europas zwischen 1600 und 1650“ bezeichnet, findet sich folgende Textstelle:
„Knappe, <abstrakte> malerische Mittel, Farben, die allen weisen Farbkompositionen der bella pittura widersprechen, eine [...] <Vereinigung> von elementaren Farb-<Kontrasten>.“[113]
Immerhin lassen sich aus diesen knappen Bemerkungen zwei Kriterien für „manieristische“ Farbeffekte isolieren: der „anaturalistische“ Einsatz der Farbe und die Konfrontation „elementarer Farb-Kontraste“.
Antonionis erster Farbfilm – Deserto – ist durchweg von einer „stumpfen“ Farbgebung bestimmt. So erscheint etwa das Grün von Rasenflächen eher grau-grün, die bunten Rohre der Raffinerie weisen im Rauch und Nebel, die häufig in Erscheinung treten, niemals „klare“ Farben auf. Sie sind stets in ihren Tonwerten reduziert und bekommen dadurch einen matten Charakter.
Tschechne hat die Farbwirkung des Films wie folgt beschrieben:
„Das Wasser der Kanäle, grünes, giftiges Grau, eine Farbenmischung, die speiübel machen kann [...]. Dahinter Eisensilos, rostbraun, abweisend, Betonwände mit schorfigen Ausschlägen, Schornsteine fauchen krankhaftes Gelb in den Himmel, Gras ist zu ockerfarbener Resignation geworden. [...] Mitten im rostigen, schorfigen, feindlichen Graugrau [sic!]: der Mensch.“[114]
Diese Farbwirkung in Deserto hat Antonioni mit „direkten Eingriffen auf die vorgefundene Realität der Schauplätze“[115] erzielt. So ließ er etwa eine Gasse in Ravenna, in der die Protagonistin Giuliana ihr Geschäft eröffnen will, grün-grau streichen. Die natürliche „Farbigkeit“ der Straße wurde dabei so stark reduziert, daß sie fast monochromen Charakter gewinnt. Auch Elemente der „Natur“ wie Früchte, Grasflächen und Bäume wurden in Deserto farbig verändert[116].
Die atmosphärische Wirkung dieser Eingriffe und ihrer filmischen Umsetzung ähnelt den düster-grauen Naturszenarien, die Antonioni in vielen seiner Schwarz-Weiß-Filmen realisiert hat. Auch in Deserto ist die Protagonistin eine „unbehauste“ Gestalt, die in der Industrielandschaft ziellos herumirrt.
Über die atmosphärische Wirkung hinaus, setzt Antonioni Farbe als Gestaltungsmittel auch in betont „anaturalistischer“ Weise ein. Dies wird insbesondere in folgende Sequenz deutlich:
Zu Beginn des Films verläßt Giuliana zusammen mit Corrado ihr Geschäft. Auf der Straße steht ein Händler mit einem Wagen, auf dem Obst ausliegt. Die ausgebreitete Ware weist keinerlei Farbigkeit auf – sie erscheint in einem monochrom weiß-grauen Ton.
In der Literatur sind diese anaturalistischen Farben häufig als Ausdruck von Wahrnehmungsstörungen der psychisch labilen Giuliana interpretiert worden.
So schreibt Lenssen zu der Sequenz mit dem Obstverkäufer:
„Vor dem Laden sieht sie [Giuliana] einen Obstverkäufer, seine Waren und die Straße in eisigem Grau.“[117]
Die Wahrnehmung der Außenwelt in Deserto – so heißt es an anderer Stelle – werde „meist aus der Sicht der Hauptperson gesehen. Auf sie hin ist auch die Farbstruktur des Films abgestellt“[118]. Giuliana aber leide unter einer „seelischen Krankheit“[119].
Diese Einschätzungen deutet den Anaturalismus der Farbgebung in Deserto als die subjektive Wahrnehmung einer psychisch Kranken. Damit wird die Irritation, die die „falschen“ Farben beim Rezipienten des Films auslösen mögen, gewissermaßen entkräftet. Sicherlich wird der Figur Giuliana eine Form von Sensibilität beigegeben, für die die Bezeichnung „neurotisch“ durchaus zutreffend ist.[120] Ebensowenig bestreite ich, daß Giuliana die anaturalistischen Farben tatsächlich wahrnimmt. So sagt sie in der Sequenz mit Corrado in dessen Hotelzimmer, daß sie mit allem nicht mehr fertig werde. Und auf seine Nachfrage, was dieses „alles“ denn sei, antwortet sie: „Die Straßen, die Fabriken, die Farben [...]“.
Dennoch messe ich der Farbgebung in Deserto eine höhere Autonomie zu.
Zur Verdeutlichung meiner Argumentation habe ich zu der Sequenz mit dem Obstverkäufer ein Protokoll erstellt: Nahaufnahme: Giuliana und Corrado stehen nebeneinander, er öffnet seine Autotür. Giuliana wendet sich von ihm ab und überquert die Gasse. Die Kamera schwenkt mit. Giuliana setzt sich auf einen Stuhl, der neben einem Obstwagen steht. (Einstellungsgröße jetzt halbtotal). Die ausgelegte Ware des Verkäufers ist weiß-grau. Corrado tritt von rechts ins Bild. / Großaufnahme Giulianas. / Amerikanische Einstellung des Obstwagens. Im Vordergrund die farblosen Früchte, im Hintergrund der Verkäufer. / Nahaufnahme von Giulianas Hinterkopf. Dahinter der Wagen und der Verkäufer. / Großaufnahme des Verkäufers. Sein Blick scheint Giulianas Blick zu erwidern. / Amerikanische Einstellung Giulianas (Wagen und Verkäufer im Hintergrund). Sie wendet den Kopf, schaut in Richtung Kamera. / Totale der Gasse. / Amerikanische Einstellung Giulianas. Die Kamera befindet sich hinter ihr. Corrado im Bildhintergrund./
Nur eine einzige Einstellung innerhalb dieses Filmabschnitts gibt eindeutig Giulianas Blick wieder. Es ist diejenige, die die Gasse in einer Totalen zeigt, nachdem Giuliana sich ruckartig umgewendet hat. Alle anderen Kameraperspektiven sind „objektiver“ Natur. Sie zeigen Giuliana und Corrado oder Giuliana und den Obstwagen, Giuliana, Corrado und die farblose Gasse usw. Pointiert gesagt: Die Kamera postiert sich – bis auf obige Ausnahme - hinter oder vor, aber nicht in ihrem Kopf.
Die „Gültigkeit“ der anaturalistischen Farbgebung in dieser Sequenz betrifft also nicht Giuliana allein. Auch der Rezipient „sieht“ das Obst in „falschen“ Farben.
In mehreren Sequenzen dieses Films setzt Antonioni das Gestaltelement „anaturalistische Farbgebung“ noch in anderer Form ein. Auf diese noch zu beschreibenden Phänomene werde ich im Kapitel „Traum-Visionen bei Antonioni“ (vgl. S.60) näher eingehen.
Die Farbe spielt auch in Identificazione als Ausdrucksmittel eine wichtige Rolle. Über weite Strecken des Films setzt Antonioni dabei die Farbgestaltung in einer übersteigernden Form ein, d.h. er verstärkt häufig natürliche Farbkontraste. Dies gilt für nahezu alle Innenraumsequenzen. In ihnen wird helles Tageslicht mit dem Kunstlicht von Innenräumen konfrontiert und dadurch entstehen intensive blaue Farbflächen vor allem auf den Wänden. Eine ähnliche Verstärkung wird in einigen Nachtsequenzen realisiert, in denen z.B. beleuchtete Gebäude eine überproportional starke Farbigkeit erhalten. Zur Farbwirkung in Identificazione schreibt Lenssen:
„Die Farbe dieses Films ist Blau. In subtiler Übersteigerung dringt in fast alle Szenen der helle Blau-Effekt ungefilterten Tageslichts, und er wiederholt sich changierend im Kunstlicht nächtlicher Straßenbeleuchtung, in Dekors und Kleidung, – das Blau gibt eine Tiefe ohne Konturen, das Reale wird zur Szenerie der Begegnung mit dem Unbekannten.“[121]
Eine erhebliche Steigerung dieses die natürlichen Farben nur pointiert verstärkenden Ausdrucksmittels findet sich in der Nebelsequenz. In dieser Sequenz wechselt der Wagen, mit dem Niccolò und Mavi unterwegs sind, mehrfach die Farbe:
Niccolò verläßt durch den Keller sein Haus und kann sich so von dem anonymen Verfolger ungesehen in seinen Wagen setzen. In der Einstellung, die das Fahrzeug mit quietschenden Reifen davonfahren zeigt, ist dessen Farbe eindeutig als blau-grau zu identifizieren. Diese Farbgebung wird auch im ersten Teil der Nebelsequenz beibehalten.
Erstmals in dem Moment, als Niccolò an der blinkenden Ampel gehalten hat und ausgestiegen ist, erscheint das Fahrzeug in einem Rot-Ton. Es handelt sich dabei aber keineswegs um Reflexe der Ampel auf dem Blech: die rote Farbe ist in gleicher Intensität auf der ganzen Fläche des Wagens zu erkennen. Außerdem behält das Auto auch dann diese Farbe, wenn es aus Kameraperspektiven gezeigt wird, die einen bloßen Reflex der Ampel ausschließen.
Nach Mavis Angstanfall verläßt sie zornig den Wagen. Niccolòs Auto wird nun ebenfalls wieder in einem Rot-Ton gezeigt[122]. Dies gilt auch für den Abschnitt in der Nebelsequenz, in dem Mavi aus dem Nebel wieder zurückgekommen ist: Eine Totale zeigt das Auto von hinten. Es ist rot. Während beide im Wagen sitzen und Niccolò sich mit ihr zu versöhnen versucht, zeigt eine Einstellung Niccolò im Profil. Hinter ihm ist der Rückspiegel zu erkennen. Er reflektiert eine diffuse Rotfläche. Unmittelbar danach sieht man Niccolò aus dem Seitenfensters blicken. Das Blech erscheint nun wieder grau-blau.
Ob Antonioni den beschriebenen Effekt durch spezielle Beleuchtungstechniken oder durch die Verwendung unterschiedlich lackierter Fahrzeuge gleichen Typs erzielt hat, kann ich hier nicht entscheiden. Festzuhalten ist, daß der Farb wechsel des Objektes „Auto“ als weiterer Beleg für die anaturalistischen Tendenz in Antonionis Filmwerk angesehen werden muß.
Einen anderen Weg der farblichen Veränderung der Wirklichkeit geht Antonioni in Mistero. Dieser Film stellt eine Ausnahmeerscheinung in Antonionis Werk dar. Erstmals „adaptierte er ein Theaterstück und wählte eine melodramatische Vorlage, ein historisches Kostümstück Jean Cocteaus, das Trivialität mit einer erlesenen Camp-Attitüde präsentiert“[123]. Mistero ist „das perfekte Melodrama, die bessere Ausführung von aktuellen Nostalgie-Fernsehspielen und illustrierten Adels-Kolportagen“[124].
In diesem Film werden Farbeffekte mit Hilfe elektronischer Kameras erzielt.[125] Antonioni nutzt dabei die Möglichkeiten moderner Fernsehtechnik. Vorwiegend setzt er monochrome Einfärbungen des ganzen Bildes ein oder arrangiert Farbflächen um einzelne Personen.
„Das Prinzip der Farbdramaturgie war, die Innenräume in warmen naturalistischen Tönen zu halten und äußere atmosphärische Einbrüche und Strömungen zu verfremden.“[126]
Diese Farbverfremdungen stehen in einem starken Kontrast zu dem konventionellen Drama der Handlung, das – mit Ausnahme der Farbgebung – auch filmisch im Vergleich zu anderen Antonioni-Filmen sehr traditionell inszeniert wurde.
Zweifellos fallen die Kolorierungen in den Bereich des „Anaturalismus“ und können als „magische“ Verfremdung der Außenwelt interpretiert werden.
Dennoch zögere ich, die Farbverfremdungen in Mistero vorbehaltlos als Beleg für den wenigstens teilweisen manieristischen Charakter dieses Films anzunehmen. Die experimentellen Versuche wirken gegenüber dem in seinem melodramatischen Gehalt nahezu unangetastetem Sujet wie aufgesetzt, wie ein unpassender Fremdkörper.
Ein Grund dafür mag darin liegen, daß zahlreiche Sequenzen, in denen Kolorierungen eingesetzt werden, nur die natürlichen Farben verstärken. Dies ist zum Beispiel der Fall, als die Königin Sebastian vom gewaltsamen Tod ihres Mannes berichtet und die Kamera auf einen Strauß mit roten Blumen schwenkt, die sich dann sukzessive tiefrot färben. Denselben Effekt setzt Antonioni auch bei den morgendlichen Szenen auf dem Schloßhof ein, in denen die Bediensteten beim Schlachten von Wild und Geflügel gezeigt werden. Sie hängen die toten Tiere auf ein Holzstück, um das Blut abtropfen zu lassen. Die Kamera schwenkt auf die Blutlache, die sich dann tiefrot färbt.
Lediglich eine Verstärkung natürlicher Farben findet auch bei einigen Außenaufnahmen statt, so zum Beispiel bei dem Spaziergang der Königin mit Sebastian, bei dem sich die natürlichen Grüntöne von Wiesen und Wald in ein künstliches Giftgrün verändern. Ähnlich naheliegend ist die Zuordnung einer bestimmten Farbe zu einzelnen Personen. So erscheint der Polizeichef, der als nüchtern kalkulierender Machtmensch charakterisiert ist, stets von blau-violetten Farbflächen umgeben. Die Wahl des kühlen Blautones erscheint in diesem Kontext geradezu klischeehaft naheliegend.
Die Beispiele belegen meines Erachtens hinlänglich die Konventionalität der eingesetzten Farb-Metaphern. Antonioni betont „die klar herausdestillierten Gefühle atmosphärisch mit monochromen Einfärbungen“[127]. Einer der Grundsätze der manieristischen Kunst besteht aber darin, „das Entfernteste miteinander zu verbinden“ und aus dieser Korrespondenz nicht-naheliegender Elemente neue Ausdrucksmöglichkeiten von ästhetischer Sprengkraft zu entwickeln.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Hockes Definition von „Manieriertheit“. Sie trete auf, wenn „Artifizialität [...] zu einer nur noch gekünstelten Gebärde, zum Spiel mit dem nur noch Artifiziellen“[128] werde. Dies scheint mir auf Mistero zuzutreffen.
Zusammenfassend für diesen Abschnitt halte ich fest: Bei der Gestaltung der äußeren Wirklichkeit greift Antonioni einerseits auf „athmosphärische“ Mittel zurück, die seine Filmfiguren in einen „Behaustheit“ versagenden Natur-Kontext stellen. Darüber hinaus ist die Natur aber auch Schauplatz „magischer“ Ereignisse. Im Kapitel, das den Einsatz der Farbe bei Antonioni reflektiert, konnte ein deutlicher „Anaturalismus“ festgestellt werden.
2.2 Sprengkraft des Bildes
2.2.1 <Figura Serpentinata>
Bereits in den „lexikalischen“ Definitionen des Manierismus zu Beginn des ersten Teils meiner Arbeit wurde als ästhetisches Grundelement die „Neigung zu übersteigertem Ausdruck, der sich formal in überlängten Figuren, stark gedrehten Bewegungen [...], komplizierter Raumordnung [...] äußert“[129], genannt. Für diese Darstellungsweise ist der Begriff „Figura Serpentinata“ geprägt worden.
Hocke beginnt sein Werk mit einer Bildbeschreibung des italienischen Malers Parmigianino (eigentlich Francesco Mazzola), der 1523 ein „Selbstbildnis im Konvexspiegel“ gemalt hat. Dieses „verblüffende“ Gemälde stellt nach Hocke ein frühes Zeugnis des Manierismus dar, in dem die „Figura Serpentinata“ als Gestaltelement eingesetzt wird[130]:
„Das maskenhaft schöne Jünglingsgesicht Mazzalas ist glatt, undurchdringlich, rätselhaft; fast abstrakt wirkt es durch die Aufgelöstheit der Flächen. In der perspektivischen Verzerrung des Konvexspiegels wird der Vordergrund von einer riesigen, anatomisch allerdings abstrusen Hand beherrscht. Der Raum dreht sich in einer schwindelerregenden konvulsivischen Bewegung. Nur ein schmaler, ebenfalls verzerrter Teil des Fensters wird sichtbar, er bildet ein verbogenes langschenkliges Dreieck [...].“[131]
Bereits dieses frühe Zeugnis des Manierismus enthalte „inhaltliche und formale Bestimmungen [...], die man zwischen 1520 und 1650 in der Kunst wie in der Literatur des damaligen Europa beachten mußte, um modern zu sein“[132].
„Die <Riesenhand> im Selbstportrait Parmigianinos entspricht einem ersten [...] Wunsch, im Raum jeden Gegenstand hinsichtlich seiner Bewegungsverhältnisse zu relativieren, d.h. von seinen normalen Dimensionen zu befreien [...].“[133]
Weitere Beispiele für das Stilelement „Deformation als ästhetisches Mittel“[134] fände man ebenso „auf der ersten Stufe des Manierismus von Florenz vor allem im Werke Rosso Fiorentinos (1494-1540)“[135]. Die Gemälde dieses Künstlers wirkten durch ihre „Sprengtechnik“:
„Dehnung, Abstraktion (breite, hellbeleuchtete Flächen), Deformation und eine michelangeleske <Technik des Wirbels> [...].“[136]
Diese Wirkung werde nicht allein durch verzerrte Menschendarstellung erzielt, sondern auch durch eine antiklassische Auflösung der Gesamtkomposition. Beachtenswert seien beispielsweise in dem Gemälde „Moses verteidigt die Töchter der Jethro“ (um 1523) die „an den Bildrändern abgeschnittenen Glieder, Gewänder und Bauten“[137]
Die „Längung, Windung und Streckung der Gestalten“ im Werk der frühen Manieristen seien – so Hocke – bereits lange vor dem Herausbilden der „Idea-Lehre“ Ergebnis der Technik „des <inneren Blickpunktes>“[138]. Sie führe zu einer „Transponierung des Realen ins Irreale mit intellektuellen Mitteln“[139].
Die „Deformation“ als ästhetisches Mittel war dabei nicht allein auf die die Bildende Kunst beschränkt. Ihren Niederschlag habe sie ebenso auch im Kunsthandwerk der manieristischen Epoche gefunden:
„Die klassische Standardisierung galt als rückschrittlich. Sie bot dem individuellen Geschmack nicht genügend Raum. Vasen mußten verdreht, Broschen aufgeblasen, Uhren schief sein. Gebrauchs- und Schmuckgegenstände galten als schön, wenn sie kaum noch mit der Natur vergleichbar waren.“[140]
Die „Figura Serpentinata“ ist also Ausdruck einer antinaturalistischen und antiklassischen Haltung, sie „sprengt“ die konventionellen Darstellungsregeln des „Goldenen Schnitts“, der für die „Klassik“ der Renaissance eine so eminent wichtige ästhetische Formel darstellte. Mit ihr gab der Manierismus nach 1520 der Zerrissenheit seiner Epoche durch „Kontraste“ und „Paradoxien“[141] kongenialen Ausdruck. Sie findet – nach Hocke – ihre Fortsetzung nach 1880 im Manierismus der Kunst u.a. Max Ernsts, Oskar Schlemmers, Giorgio de Chiricos, Oskar Kokoschkas und Pablo Picassos.
2.2.2 <Figura Serpentinata> bei Antonioni
Die Suche nach Entsprechungen für die „Figura Serpentinata“ des Manierismus lenkt die Aufmerksamkeit in diesem Kapitel auf Aspekte der Bildkomposition bei Antonioni. Dabei handelt es sich um ein so weites Feld, daß hier eine Auswahl getroffen werden muß. Ich werde mich daher auf einige besonders augenfällige Merkmale beschränken. Die ausgewählten Beispiele betreffen ausnahmslos die Darstellung des Menschen.
Ein in einzelnen Einstellungen von Antonioni häufig eingesetztes Stilmittel der Bildkomposition betrifft die Plazierung eines (oder mehrerer) Protagonisten stark außerhalb der Bildmitte. Die Verschiebung des Bildschwerpunktes führt zu einer betont „offenen“ Bildwirkung. Zur Verdeutlichung habe ich aus den Filmen Antonionis eine Anzahl Standbilder ausgewählt, in denen das beschriebene Kompositionsmerkmal ersichtlich wird (vgl. Abb. 1-8[142], S. 48).Die nun folgende Analyse wird explizit anhand der ausgewählten Abbildungen vorgenommen. Bei dieser Vorgehensweise besteht prinzipiell die Gefahr, daß die aus der Analyse von Einzelbildern des Films gewonnenen Ergebnisse in unstatthafter Weise auf die Wirkung einer Einstellung übertragen werden, d.h. die Wirkung der zweidimensionalen „geometrischen“ würde mit der „kinetisch-dynamischen Bildgestaltung“[143] gleichgesetzt.
Dennoch halte ich dieses Verfahren in diesem Fall für angemessen, weil die Abbildungen 1 bis 8 durchweg Einstellungen von statischem Charakter repräsentieren, es handelt sich also nicht um „eingefrorene“ Bilder aus einem schnellen Bewegungsablauf der Protagonisten oder der Kamera.
Das bildgestaltende Element „Dezentralisierung“ handhabt Antonioni dabei durchaus auf unterschiedliche Weise.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 und 2 zeigen die Protagonistinnen Vittoria bzw. Claudia jeweils am rechten äußeren Bildrand. Der überwiegende Teil der Bildfläche wird dabei von monochromen Farbflächen bestimmt. Das Bildzentrum ist leer. In Abb. 2 wird die „Exzentrik“ des Bildaufbaus darüber hinaus durch das teilweise abgeschnittene Gesicht Claudias betont.
Abb. 3 und 4 repräsentieren zwei Außenaufnahmen. Auch hier sind die Hauptdarsteller des Films weit außerhalb der Bildmitte plaziert. In Abb. 3 dominiert als scharfer Trennstrich die Kante eines Gebäudes. Die Personen erscheinen nur als Schattenriß vor hellem Hintergrund.
Ein Extremfall stellt Abb. 6 dar, in der die beiden Hauptfiguren des Films sehr nahe dem linken bzw. rechten Bildrand zugeordnet sind und die Bildmitte von der grauen Fläche einer breiten Säule dominiert wird. In dieser Einstellung findet sich wiederum das Element der „abgeschnittenen“ Gestalt wieder, ebenso wie in Abb. 7, in der nur ein Teil des Hinterkopfes von Giuliana sichtbar ist.
Auffällig häufig stellt Antonioni der dezentralen menschlichen Gestalt einen ebenso dezentral angeordneten optischen Kontrapunkt gegenüber: In Abb. 1 ist es ein heller Pfeiler vor dunklem Hintergrund, in Abb. 2 eine dunkle Fläche im Raum und in Abb. 5 ist es ein Wasserturm vor dem Fenster von Vittorias Wohnung. Die Gegenüberstellung dieser bildbestimmenden Elemente „zerreißt“ die Komposition förmlich, der Blick des Betrachters wechselt zwischen ihnen hin und her. Dabei muß die Bildmitte jedes Mal übersprungen werden. Diese optischen „Kontraste“ (Wasserturm, helle und dunkle Linien) wirken um so stärker als irritierende Bildelemente, weil sie keinerlei dramaturgische Funktion innerhalb der Filmerzählung einnehmen. Die ihnen durch die Komposition zugemessene „Bedeutung“ erscheint „paradox“.
Die „Sprengwirkung“ der Komposition in Abb. 8 ist demgegenüber gemildert. Zwar ist auch hier die Protagonistin am äußerst rechten Bildrand plaziert, das Bild hat aber in ihrer Blickrichtung einen zentralen Schwerpunkt: das dunkle Tor des Polizeigebäudes in Noto. Da in dieser Einstellung dem Bildzentrum durchaus eine dramaturgische Funktion zugemessen werden kann (Claudia erwartet Sandro ungeduldig aus dem Tor kommend, weil sie von den Männern auf dem Platz bedrängt wird), ist die „zentrale“ Anordnung nur folgerichtig.
Als letztes auffälliges Merkmal unter den ausgewählten Einstellungen ist Antonionis Vorliebe zu nennen, seine Protagonisten mit dem Hinterkopf oder dem Rücken zur Kamera – häufig sogar in Nahaufnahmen – zu plazieren (Abb. 3, 4, 5, 7 und 8). Diese Darstellungsweise verstärkt das Aus-dem-Zentrum-rücken der Hauptdarsteller, indem das Bild trotz minimaler Kameradistanz keinerlei Informationen über die Emotionen, Reaktionen usw. der Protagonisten vermittelt.
Obwohl alle ausgewählten Beispiele betont statischen Charakter haben, läßt sich als Zwischenergebnis für diesen Analyseabschnitt eine gewisse „Sprengwirkung“ der Komposition konstatieren. Das Merkmal „Auflösung der Gesamtkomposition“ trifft ebenso zu wie das Aufeinandertreffen von „Kontrasten“ und „Paradoxien“.
Ein zweites augenfälliges Merkmal für den Serpentinata-Stil in Bildkompositionen Antonionis findet sich häufig in Sequenzen, die das Miteinander von zweien oder mehreren Personen schildern. Entgegen den ersten Beispielen handelt es sich hierbei nicht um statische Einstellungen, sondern um solche, in denen sich sowohl die dargestellten Protagonisten als z.T. auch die Kamera bewegen.
Auch hier habe ich zur Erläuterung Standbilder aus verschiedenen Filmen ausgewählt (vgl. Abb. 9-16[144], S. 52).
Aufgrund des dynamischen Charakters der einzelnen Einstellungen haben diese Standbilder keinen Referenzcharakter. Der Moment des „Einfrierens“ wurde aber so gewählt, daß der Charakter der Sequenz bzw. der Einstellung möglichst präzise zum Ausdruck gebracht wird. Sie können daher durchaus zur Illustration der Argumentation herangezogen werden.
Allen ausgewählten Beispielen ist gemeinsam, daß die Kamera aus einer deutlichen Aufsicht heraus die Personen abbildet. Die Folge ist eine stark perspektivische Wirkung des die Protagonisten umgebenden Raums. Insbesondere in Abb. 9, 13 und 14 kommt diese Wirkung deutlich zum Ausdruck. Durch die Wahl des Kamerastandortes (möglicherweise unterstützt durch eine Weitwinkeloptik) ergibt sich darüber hinaus eine verzerrte Darstellung der Personen: Die jeweils im Vordergrund agierenden Protagonisten erscheinen überdimensional groß (vgl. Abb. 9, 11 und 14). Durch den erhöhten Standpunkt Guidos gegenüber Paola (Abb. 9 und 11) und Lidias gegenüber der alten Frau (Abb. 14) verstärkt sich dieser Effekt noch.
Die perspektivische Dynamik, die die Einstellungen durch die Wahl der technischen Mittel sowie durch die Anordnung der Personen erhalten, führt auch in diesen für Antonioni sehr typischen Beispielen zu einer „Sprengwirkung“ der Komposition. Sie entfaltet sich hauptsächlich durch die divergierende Linienführung der Bildgestaltung. In den Abbildungen 17 bis 22 (vgl.S.54) habe ich die bildbestimmenden Linien graphisch hervorgehoben.
In Abb. 17 laufen die Diagonalen der Sitzreihen des Stadions nach rechts aus dem Bild, während Paola und Guido einen nach links geneigten Bildschwerpunkt setzen. Eine ähnliche Gegenläufigkeit erreicht in Abb. 18 die Linie, die die beiden Darsteller bilden und die quer dazu angeordneten Kabeltrommeln. In dieser Einstellung ist ebenfalls die dezentrale Anordnung der Protagonisten bildwirksam.
In Abb. 19 dominiert in erster Linie die „Verzerrung“ der dargestellten Personen. Dazu kommt ein weiteres Gestaltelement: die gegenläufige Blickrichtung der Protagonisten. Auch sie bilden divergierende Linien, was besonders in Abb. 20 deutlich wird: Die Blicke der beiden Darsteller führen jeweils aus dem Bild heraus, während der Bildmittelpunkt von den einander abgewandten Körpern und einer diffusen Fläche im Hintergrund bestimmt wird.
In Abb. 21 und 22 wirken wiederum die gleichen Effekte, wie ich sie bereits weiter oben beschrieben haben, wobei der Blick Lidias auf die alte Frau (Abb. 22) die Divergenz zusätzlich unterstreicht.
Schließlich bleibt noch die Sequenz zu untersuchen, in der Rosina (die Tochter Aldos aus Il grido) einer Gruppe von Männern begegnet. Bei diesem Beispiel geben die beiden ausgewählten Standbilder (Abb. 15 und 16) nur einen annähernden Eindruck von dem ästhetischen Charakter der Sequenz. Ich greife daher auf das Mittel der Beschreibung zurück:
Rosina läuft entlang einer Landstraße Aldo davon (er hat sie kurz zuvor geschlagen). Eine Totale zeigt Rosina, wie sie die Straße verläßt und auf einem parallel verlaufenden Feldweg weiterläuft. In der Ferne sind im Nebel verschwommene Gestalten zu erkennen. Rosina läuft auf sie zu. Die nächste Einstellung zeigt, wie Rosina in eine Gruppe von bewegungslosen Männern hineinläuft. Die Männer stehen eng beieinander. Ihre Körperhaltungen sind voneinander abgewandt. Jeder hat eine andere Blickrichtung. Einer scheint mit sich selbst zu sprechen und skandiert seine unhörbaren Worte mit begleitenden Handbewegungen, ein anderer liest in einer Zeitung, zwei stehen sich mit erhobenen Armen gegenüber, als wären sie in ein gestenreiches Gespräch verwickelt. Aber sie stehen vollkommen starr, und sie schauen aneinander vorbei (vgl. Abb. 15). Ein alter Mann blickt mit gefalteten Händen auf den Boden. Ein weiterer streichelt mit einer innigen Bewegung etwas auf seinem Arm (vgl. Abb. 16). Die Erstarrung der Personen wird erst aufgehoben, als letzterer Rosinas verwunderten Blick bemerkt und sich irritiert abwendet. Diese Sequenz ist als Plansequenz ausgeführt, die Kamera vollführt von einer erhöhten Position aus eine langsame Fahrt und verfolgt so Rosinas „Eindringen“ in die Männergruppe. Rosina wendet sich dem alten Mann mit den gefalteten Händen zu, es folgt ein Schnitt, und der Mann versucht, ihr Gesicht zu streicheln, Rosina beginnt zu weinen.
Aldo nähert sich der Gruppe und ruft nach seiner Tochter, die Männer wenden sich nun einander zu, einer von ihnen fordert sie auf, nach Hause zu gehen. Sie entfernen sich aus dem Bild.
Auch in dieser Einstellung wirken die weiter oben beschriebenen Gestaltungselemente: erhöhte Kameraposition, dadurch eine verzerrte Darstellung des menschlichen Körpers sowie divergierende Blickrichtungen, die die Geschlossenheit der „Gruppe“ vollkommen auflösen.
Zusammenfassend halte ich fest: In den ausgewählten Beispielen fanden eine Fülle von bildgestalterischen Mitteln eine Entsprechung, die Hocke als für den Manierismus typisch bezeichnet. Die „Figura serpentinata“ findet sich dabei sowohl in der „Sprengwirkung“ des dezentralen Bildschwerpunktes als auch in den divergierenden Bildlinien wieder. Aus den Bildkompositionen resultieren des weiteren „Kontraste“ und „Paradoxien“. Ein „übersteigerter Ausdruck“ durch das Mittel der Verzerrung läßt sich ebenfalls konstatieren. Alle festgestellten Bildwirkungen stehen dabei in einem antagonistischen Verhältnis zu einer „geschlossenen“ Komposition. Sie sind Ausdruck einer „manieristischen“ Bildauffassung.
2.3 <Landschaft des Traums>
2.3.1 Traum und Vision
Manieristische Kunst ist in hohem Maße „visionäre“ Kunst. Von dem „Disegno Interno“, der „inneren Vision“ des Künstlers war bereits in dem Kapitel „<Idea>-Lehre und Anaturalismus“ (S.15) die Rede. Ebenso von den „Untergangsvisionen“ der Manieristen, die ihren Niederschlag z.B. in Werken wie Raffaels „Die Sintflut“, Michelangelo Buonarrottis „Jüngstes Gericht“ oder Albrecht Dürers „Traumvision“ fanden.[145]
In dem Kapitel „Die Welt des Traums“ geht Hocke bei der Darstellung dieses Aspekts des Manierismus insbesondere auf die französischen Surrealisten ein, die „die Welt <schlafend> im Traum erfahren“ wollten, „weil sie nur so <wahre> Bilder des Absoluten finden zu können glaubten [...]“[146]. Sie verfolgten damit die Absicht, „die <Idea>, den <Disegno Interno> nun nicht mehr wach, sondern schlafend [...]“ aufzunehmen. Ziel war es, das rationale Bewußtsein auszuschalten und so in den Träumen die „<ungeheuren> Landschaften von Chiffren, von Signaturen, von Emblemen für Geheimnisse“[147] aufzuspüren. Vorbilder fänden sich bereits in den „Traumbildern“ des Malers Desiderio Monsù, dessen Gemälde Hocke als „Abbilder von halluzinatorischen Traumkatastrophen“[148] charakterisiert. Monsù sei Manierist „in jeder Hinsicht“. Zentrale Elemente seiner Bilder seien „hieroglyphische Landschaft, magische Räume, Traumvisionen“[149]. Monsù schildere in seinen Gemälden „Träume <schlechthin>, in ihrer puren Alogizität“[150]. Unverwechselbar seien bei ihm die „Hypnose-Landschaft des Traums, die Wahrnehmung der Welt im (erschrockenen) Schlaf“[151].
2.3.2 Traum-Visionen bei Antonioni
In Antonionis Filmen finden sich in signifikanter Häufigkeit „alogische“ (Traum-)Visionen, die nun einer genaueren Betrachtung unterzogen werden sollen.
Das erste Beispiel betrifft die Sequenz in Deserto, in der Giuliana Corrado in seinem Hotelzimmer aufsucht:
Giuliana sitzt auf dem Bett, schaut Corrado an und fragt ihn, wann er nach Patagonien fahre. Während er antwortet, wird ihr Blick starr, sie schaut auf die Wand hinter ihm, die einen intensiven rosa-violetten Farbton annimmt. Corrado wendet sich um, mit suchenden Kopfbewegungen, blickt wieder zu Giuliana und fragt: „Wohin schaust Du?“. Sie antwortet: „Dorthin“. Dann erfolgt ein Perspektivwechsel der Kamera. Im Bildvordergrund ist nun Corrados Hinterkopf und Rücken erkennbar, der Violett-Ton verblaßt langsam im Hintergrund, während die Kamera über Giulianas Körper streift. Giuliana liegt auf dem Bett ausgestreckt, dann – eindeutig ihren Blickwinkel darstellend, weil aus starker Untersicht gefilmt – ist Corrado stehend über ihr zu sehen. Wieder dominieren in dieser Einstellung Rottöne.
Nach einem kurzen Zwischenschnitt auf Giulianas Gesicht, zeigt die Kamera nun während eines langsamen Schwenks eine fast vollkommen abstrakte Einstellung: Am unteren Bildrand bildet die Matratze eine weiße Horizontale, darüber ist Giulianas rotschimmerndes Haar zu erkennen, während der Hintergrund des Bildes unscharf von der Hotelzimmerwand ausgefüllt wird. Die Einstellung ist erneut in Rot-Violett-Tönen gehalten. Die Wand des Raums erscheint nun aber nicht mehr monochrom eingefärbt, sondern ist in den Tonwerten sehr unruhig: die Fläche erinnert an einen „dramatischen“ Abendhimmel mit hell angestrahlten Wolken. Als wenn Giuliana den Anblick nicht mehr ertragen könnte, wickelt sie sich mit einer fahrigen Bewegung in ein Bettuch ein.
Diesen Farb-Effekt setzt Antonioni in der Sequenz noch mehrfach ein. Als letztes Bild dieser Art ist (nach dem Liebesakt mit Corrado) eine Totale des Hotelzimmers zu sehen, in dem beide auf dem Bett liegen.
Die Irrealität und Künstlichkeit der „Farb-Vision“ in dieser Sequenz betont die akustische Untermalung. Jede Farb-Erscheinung wird auf der Tonspur mit einem vibrierenden, elektronisch erzeugten Klang unterlegt.
Bei der Interpretation dieser Sequenz stellt sich das gleiche Problem wie bei den anaturalistischen Farbgebungen von Gegenständen, die ich im Kapitel „Farbgestaltung bei Antonioni“ (vgl. S.35ff.) bereits behandelt habe.
Meiner Auffasung nach ist auch in dieser Sequenz die Farb-Vision nicht eindeutig der gestörten Wahrnehmung der Protagonistin zuzuordnen.
Dies gilt m. E. auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß Giulianas „Krise“ in dieser Sequenz einem Höhepunkt zusteuert: Gegenüber Corrado sagt sie: „Ich bin sicher verrückt. [...] Ich bin nicht geheilt. Und ich werde es nie werden.“
Zweifellos nimmt Giuliana diese Farbvisionen wahr. Für diese Annahme spricht z.B. die oben näher beschriebene Einstellung aus der Froschperspektive. Gleichzeitig gibt es aber auch zahlreiche Kameraperspektiven, die die Zuordnung der „Vision“ zu Giulianas Wahrnehmung relativiert. Dies betrifft zum Beispiel die „abstrakte“ Einstellung, bei der die Kamera hinter der Protagonistin plaziert ist. Auch die Schlußtotale der Sequenz stellt die eindeutige Zuordnung der Farbvisionen zur Protagonistin in Frage. Die Erzählposition der Kamera ist in diesen Einstellungen nicht: „Giuliana sieht das Zimmer rot“, sondern: „Das Zimmer mit den beiden Körpern auf dem Bett ist rot.“
Auch in dieser Sequenz nimmt die „Vision“ also eine gewisse Autonomie in Anspruch. Dafür spricht auch die Tatsache, daß bei den Einstellungen, die Corrados Blickwinkel illustrieren, die Einfärbung des Raums nicht schlagartig verschwunden ist, sondern weiter zu sehen bleibt. Im Verlauf der Sequenz scheint auch Corrado die Farbvision wahrzunehmen. Bei deren ersten Auftreten hatte er noch verwundert auf die Wand des Hotelzimmers geschaut und Giuliana gefragt, wo sie hinschaue. In einer späteren Einstellung wird das Paar auf dem Bett liegend gezeigt, wieder kündigt sich durch die elektronischen Klänge eine „Vision“ an, aber diesmal heben beide gleichzeitig die Köpfe und starren in Richtung Fenster.
Es bleibt festzuhalten, daß die Farbvisionen in Deserto mehr darstellen als nur die filmische Realisierung psychischer Wahnvorstellungen Giulianas. Durch die Art der Montage und die Wahl der Kameraeinstellungen bekommen sie einen autonomen Charakter: Der „antinaturalistische“ Charakter dieser Visionen tritt dabei gleichberechtigt neben die „naturalistischen“ Phasen dieser Sequenz.[152]
Eine noch stärkere, selbstverständlichere Einbettung einer „Vision“ in die „Realität“ der Filmerzählung ist bei der Love-in-Sequenz in Zabriskie Point festzustellen. Die Sequenz beginnt mit einer Liebesszene zwischen den beiden Protagonisten, die von einem langsamen Gitarrenspiel musikalisch untermalt wird. Ohne daß sich Musik oder die (naturalistische) Farbgebung der Szenerie verändern, montiert Antonioni im weiteren Verlauf der Sequenz Liebesszenen weiterer Paare oder Gruppen von Liebenden dazu.
Die ganze Sequenz besteht aus der wechselweisen Montage von Einstellungen, in denen das „wirklich“ existierende Liebespaar und die „imaginierten“ Liebespaare und -gruppen zu sehen sind. Zum Höhepunkt der Sequenz zeigt die Kamera in einer Totalen mit einem langsamen Schwenk das Tal, in dem überall verstreut die einzelnen Gruppen im Wüstensand liegen. Die Schlußbilder dieser 5-Minuten-Sequenz zeigen Darias Gesicht in einer Großaufnahme, die mit einem Lächeln die Szene zu betrachten scheint. In der nächsten Einstellung ist das Tal leer.
Diese „Vision“ unterscheidet sich erheblich von den Farbvisionen in Deserto, die aufgrund der Art der Darstellung und der Qualität von Giulianas Reaktionen einen „angstvollen“ Charakter hat. Das „Love-in“ in Zabriskie Point ist friedlich, hat einen – sehr ungewöhnlich für Antonioni – fast positiv-utopischen Gehalt.
Es gibt noch ein weiteres Unterscheidungsmerkmal: Während die Farbvision in Deserto durch die Unterlegung der entsprechenden Einstellungen mit dem „künstlichen“, elektronischen Klang gewissermaßen angekündigt wird und dadurch eine irreale Konnotation erhält, gibt Antonioni in der Sequenz von Zabriskie Point keine „Unterscheidungshilfe“ zwischen Realität und Irrealität. Die Einstellungen des „realen“ Liebesakts zwischen Daria und Mark vermengen sich auch hier gleichberechtigt mit solchen, die der Ebene des „Wahrscheinlichen“, also des „Realistischen“ nicht angehören.
Erst die beiden letzten Einstellungen (Darias Lächeln und das leere Wüstental) am Ende der Sequenz gestatten dem Zuschauer im Nachhinein, das Nebeneinander von Realem und Irrealem zu relativieren. Der „Ausflug“ in eine Welt, in der Irreales und Reales gleichzeitig existieren können, ist zunächst beendet.
Im Manierismus, schreibt Hocke, „wird das <Wahrscheinliche>, das unmittelbar Verständliche [...] kein bindendes Kriterium mehr. Es gibt nicht nur zwei Wahrheiten [...], es gibt mehrere, ja zahllose [...]“[153].
Gregor hat die „Love-in-Sequenz“ in Zabriskie Point als den „Höhepunkt der Irrealität“[154] des Films bezeichnet, und nicht – wie man aufgrund ihres spektakulären Charakters annehmen könnte – die Gewaltphantasie der Schlußsequenz. Wie mir scheint: aus gutem Grund. Denn im Gegensatz zu der „Selbstverständlichkeit“ der Vision in der Wüstensequenz, sind die Explosionsbilder eindeutig als eine Visualisierung von Darias Phantasie zu erkennen.
Die Montage dieser Sequenz ordnet die Wahrnehmung der Explosion ausschließlich Darias Blickwinkel zu: sie verläßt die Villa der Geschäftsleute, schaut zurück, anschließend finden die Explosionen statt. Es gibt keine Einstellung, die Daria und das explodierende Gebäude in einem einzigen Bild zusammenfaßt. Am Schluß der Sequenz ist Daria erneut in einer Naheinstellung zu sehen. Sie steht in der gleichen Haltung wie zu Beginn da (also mit Blickrichtung auf das Gebäude) wendet sich dann ab, steigt in ihren Wagen und fährt davon. „Realität“ und „Vision“ (hier besser: Phantasie) bleiben getrennt.
Durch die Vielzahl der Wiederholungen der Explosion, durch die Zweiteilung der Sequenz in zwei entgegengesetzte Farbdominanzen (das Rot des Feuers, das Blau des Himmels mit den davor schwebenden Trümmerstücken), der Zeitlupe im zweiten Teil der Explosion und nicht zuletzt auch durch die Dauer der Sequenz (ca. 5,5 Minuten) erhält auch die Schlußsequenz von Zabriskie Point eine höchst artifizielle Qualität. Ich werde im Kapitel „Abstraktion und Fragmentarisierung bei Antonioni“ (S.67) auf sie noch einmal zu sprechen kommen.
2.3.2.1 „Halluzinierende“ Gesichter
Unter die Kapitelüberschrift „Visionen“ möchte ich außerdem einen Aspekt aus Antonionis Filmen integrieren, der aus dem Bereich der Rollendarstellung kommt. Es betrifft insbesondere das Spiel der Vitti. In zahlreichen Sequenzen der Filme L'avventura, L’eclisse, und Deserto vollzieht sich in der Darstellung der jeweiligen Protagonistin ein abrupter Stimmungswechsel. Einen Moment zuvor war sie vielleicht noch vergnügt, albern, mit irgend etwas „aktiv“ beschäftigt, so wird sie plötzlich, ohne Vorwarnung und ohne erkennbaren Anlaß ernst, bekommt einen starren und leeren Gesichtsausdruck (häufig in Großeinstellungen gezeigt), unterbricht ihr Spiel und zerbricht damit auch die jeweils herrschende „Stimmung“ einer Sequenz.
Beispiele hierzu finden sich mehrfach in L'eclisse: z.B. in der Sequenz, in der Vittoria den Hund von Martha gefunden hat, oder bei ihren Begegnungen mit Piero in dessen Wohnung bzw. Büro. Auch in der Sequenz, in der Claudia (La Notte) gegen Ende des Films mit Sandro ein Hotelzimmer bezieht, zeigt die Protagonistin diesen Ausdruck.
Antonioni liefert für diese „Stimmungswechsel“ keinerlei Motiv. Weder der Zuschauer noch der jeweilige Spielpartner von Monica Vitti erfährt auch nur das geringste über Gründe oder Ursachen (innere wie äußere) für ihre Mimik. Nicht allein der Bruch mit traditionellen Dramaturgieregeln (im konventionellen Film müßte ein derartiger Ausdruck unbedingt erklärt werden), ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert. Die „pure Alogizität“ oder „Akausalität“ im Spiel der Vitti lädt auch zu Spekulationen darüber ein, ob die Protagonistin in diesen Momenten nicht unter dem Eindruck einer „inneren Vision“ steht, eine, deren spezifische Qualität sie gegenüber dem Filmpartner nicht preisgibt und die auch dem Rezipienten vorenthalten wird.
Das mag etwas spekulativ erscheinen. Festzuhalten aber bleibt, daß die von der Vitti dargestellten Charaktere mit einer Sensibilität ausgestattet sind, die sie nicht ganz und gar im „Hier und Jetzt“ aufgehen läßt und bei denen die „Seinsgewißheit“ eines Moments (z.B. die heitere Verliebtheit Vittorias in Pieros Büro) sich – ohne äußeren Anlaß – vollkommen auflösen kann.
Hocke hat bei einer Bildbeschreibung des Malers Rosso Fiorentinos[155] den Ausdruck „halluziniertes“ Gesicht verwendet. Für die Beschreibung von Monica Vittis Gesichtsausdruck in den oben genannten Momenten erscheint mir der Ausdruck „halluzinierend“ zutreffend. Er könnte äußeres Zeichen sein für eine momentane „Wahrnehmung der Welt im (erschrockenen) Schlaf[156] “.
Zusammenfassend stelle ich fest, daß sich in Antonionis Filmen einige wenige, dafür aber sehr spektakuläre (und lange) Sequenzen finden, für die die Bezeichnung „Vision“ im manieristischen Sinne vollkommen zutreffend ist. Darüber hinaus habe ich nachzuweisen versucht, daß es sich bei ihnen keineswegs lediglich um „Bebilderungen“ psychischer Zustände der Protagonisten handelt. Es sind selbstverständliche Bestandteile von Antonionis ästhetischem Ausdrucks-Kanon.
2.4 Bruchstücke der Wirklichkeit
2.4.1 Abstraktion und Fragmentarisierung
Abstrakte, gegenstandslose[157] Kunst ist nach Hocke keineswegs erst eine Erscheinung des 20. Jahrhunderts. Vielmehr gehöre die „<gegenstandlose> Malerei“ zu den „<Konstanten> der Menschheit“, die auch in früheren manieristischen Epochen aufgetreten seien. Diese „abstrakte“ Kunst beschränke sich keineswegs auf das rein Ornamentale. So gäbe es auch in der Spätrenaissance bereits gegenstandslose Kunst, „die etwas bedeuten will, die Teil einer Chiffre-Sprache sein möchte [...]“[158]. Allerdings seien abstrakte Werke – oder „Farb-Klecks-Metaphern“, wie Hocke sie bezeichnet – „in den <Manierismen> der Vergangenheit als für sich geltende <ganze> Kunstwerke“ nicht zu finden, wohl aber „gegenstandlose <Kompositionen> innerhalb eines <umfassenden> Kunstwerkes, vor allem als Teile des Bildhintergrundes bzw. als „ eingeordnete Fragmente“[159].
Die von „Farbe und Komposition“ bestimmte abstrakte Kunst verfügt – so Hocke – über „evokative Macht“. Sie „[...] löst im Betrachter mit rein ästhetischen Mitteln Empfindungen aus, Gefühle und gedankliche Assoziationen. Die Malerei will hier mit den Mitteln der Musik oder der Lyrik wirken.“[160]
Im Manierismus der Spätrenaissance werde „<die anaturalistische Abstraktion> [...] Ziel des Zeitalters. Anstatt der Naturnachahmung entwickelt sich eine <Phantasiekunst>. Sie stellt die psychischen Erlebnisse und Emotionen höher als die Übereinstimmung mit der sinnlichen Wahrnehmung.“[161]
Hocke unterscheidet zwischen der „verschleiert“ gegenstandslosen Kunst, die sich noch auf „Urstrukturen der Natur zurückführen“[162] ließe - die also ihre Gegenstandslosigkeit aus einem fragmentierenden Blick auf die Gegenständlichkeit der Objekte bezieht - und der absoluten „Art zeitgenössisch-moderner gegenstandloser Kunst, nämlich diejenige der <Farbfleck>-Kompositionen [...], ohne irgendeinen Bezug auf erkennbare <Urformen> der Natur“[163]. Aber beide Tendenzen sieht er als Ergebnis des gleichen manieristischen „Ausdruckszwangs“.
Zusammenfassend stellt Hocke fest:
„[...] der <Fragmentarismus> in Kunst und Dichtung unserer Zeit erscheint vielfach, besonders in unserer <modernen> gegenstandlosen Kunst, als eine Art von Spiegelung von Fragmenten aus der damaligen manieristischen Zeit, d.h. der Zeit von 1550 bis 1650 [...].“[164]
2.4.2 Abstraktion und Fragmentarisierung bei Antonioni
Angesichts der überwiegend „naturnahen“ Darstellung von Menschen, Gegenständen, Landschaften und Stadtbildern in Antonionis Filmen erscheint es zunächst wenig sinnvoll, von einem „abstrakten Ausdruckszwang“ bei Antonioni zu sprechen. Dennoch lassen sich bei näherem Hinsehen durchaus signifikante Elemente, also Filmabschnitte, einzelne Einstellungen usw., entdecken, deren Qualität als „abstrakt“ oder – gleichsam als Vorstufe zur Abstraktion – als „fragmentarisch“ beschrieben werden kann. Diese Elemente erscheinen im Rahmen „erkennbarer Naturbilder“, die zum Teil allerdings beträchtlich „stilisiert und deformiert“[165] werden.
Es handelt sich dabei häufig um Nahaufnahmen einzelner Gegenstände beziehungsweise von Körperfragmenten. Diese Einstellungen stehen nicht in einem dramaturgischen Kontext, zeigen das gefilmte Objekt nicht bloß etwas „näher“ – also besser erkennbar. Vielmehr wird die Kameradistanz so stark vermindert bzw. die Gestaltung des Bildes so ausgerichtet, daß die Gegenständlichkeit des Gezeigten zurücktritt. Linien und Flächen treten in den Vordergrund und geben einer abstrakten Formensprache Raum.
Signifikant häufig setzt Antonioni diese bildsprachlichen Elemente in L’eclisse ein – insbesondere in der Schlußsequenz. Darin ist die Ebene des Handelns der Protagonisten (Vittoria und Piero) gänzlich ausgeklammert, nur der Spielort ist als mögliche Fortsetzung der Handlung bereits „angekündigt“ (Vittoria und Piero verabredeten sich an „ihrer“ Ecke[166] ). Menschen erscheinen nur noch als Illustration einer Topographie oder als graphisches Element, z.B. als ein dunkel gekleideter Mann, der über einen Zebrastreifen geht. Aus der Aufsicht gefilmt, wird sein Körper zu einer schwarzen Diagonale reduziert.
Ehe ich die Schlußsequenz von L'eclisse weiter auf ihren „abstrakten“ Gehalt untersuche, weise ich auf das detaillierte Sequenzprotokoll im Anhang dieser Arbeit hin (siehe Seite 111f.). Es kann vergleichend zu den Betrachtungen in diesem Abschnitt herangezogen werden.
Nah-, Groß- und Detailaufnahmen finden sich in dieser Sequenz häufig. Aus der Fülle der möglichen Beispiele möchte ich zunächst solche herausgreifen, deren Qualität als Einzelbild einer abstrakter Kompositionen sehr nahe kommen (Abb. 23-25, S.67):
Dazu gehört die Einstellung, die bildfüllend eine Regentonne zeigt (Abb. 23): Nur ein Aststück, das auf dem leicht bewegten Wasser schwimmt, ist „gegenständlich“ erkennbar, ansonsten ist der Bildinhalt geprägt vom unbestimmten Dunkel des Wassers und vom Lichtspiel der Reflexe auf der Wasseroberfläche (Vittoria hat diese Komposition in gewisser Weise selbst „gemacht“, bei einem früheren Treffen mit Piero hat sie das Aststück in die Tonne geworfen).
Etwas später verfolgt die Kamera minutiös das ausfließende Wasser aus der Tonne. Feuchtes Geröll, kleine Steine, das Hell und Dunkel des Wassers bestimmen hier den Bildinhalt. Sekundenlang verharrt die Kamera über einer Stelle, an der das fließende Wasser einen kleinen Haufen Erde sukzessiv wegschwemmt. Die Einstellung erscheint wie ein abstraktes Aquarell, das in seiner „Gegenstandslosigkeit“ mit den „Farb-Klecks-Metaphern“ moderner abstrakter Kunst durchaus vergleichbar ist[167] (vgl. Abb. 24).
In dem Kapitel „Die Welt als Labyrinth“ erinnert Hocke seine Leser daran, daß
„[...] Leonardo seinen Schülern empfohlen hat, Farbflecken und Figuren auf alten Mauern, in Bruchstücken von Steinen, Dingfragmente aller Art zu beobachten, weil sie ihnen eine neue Wirklichkeit offenbaren könnten. Die Inspiration sollte dadurch angeregt, die Phantasie beflügelt, die Welt in ihren überwirklichen Bezügen realistisch erfaßt werden.“[168]
Es scheint, als wenn Antonioni bei der Gestaltung dieser Einstellungen den Ratschlag da Vincis auf das genaueste befolgt und die Ergebnisse in die Schlußsequenz eingearbeitet hätte.[169]
Einen anderen Weg der „Fragmentarisierung“ schlägt Antonioni bei der Darstellung der „Balkone“ und des „alten Mannes“ (siehe Protokoll, S. 111f. bzw. Abb. 26a-d und 28a-d, vgl. S.69) ein.
Im ersteren Fall zeigt Antonioni zunächst ein Haus moderner Architektur mit vorspringenden Balkonen in einer Totalen. Es ist ein „realistisches“ Abbild der dinglichen Wirklichkeit (Abb. 26a). Die nächsten Einstellungen zeigen das Haus gegen den Himmel mit stark eingeengtem Bildausschnitt, der zunächst drei (Ab. 26b), dann nur noch zwei Balkone umfaßt (Abb. 26c). Das Bild besteht nun fast ausschließlich aus Flächen: der graue Himmel und die Betonfassade. Dazwischen verlaufen scharf und kantig die Linien, die die vorspringenden Balkone zeichnen. Diese Schnittfolge wird unterbrochen von einer Einstellung, die den grauen Himmel bildfüllend zeigt. Er wird von dem weißen Kondensstreifen eines Düsenflugzeugs durchschnitten (keine Abb.). Als letzte Einstellung (Abb. 26d) dieser Bildfolge zeigt die Kamera die Dachterrasse desselben Gebäudes. Zwei Personen sind am äußerst rechten Bildrand zu erkennen.
Im Gegensatz zu den statischen Einzelbildern der ersten Beispiele, deren abstrakter Charakter zu beschreiben versucht wurde, macht Antonioni in dieser Bildfolge gewissermaßen den Prozeß der zunehmenden Abstrahierung deutlich. Durch die rhythmische Annäherung der Kamera an das „Objekt“ und durch die Eliminierung des räumlichen Kontexts (in der Totalen war das Gebäude einfach nur Teil einer Straße) löst er die „Dinglichkeit“ des Dargestellten zunehmend zugunsten einer abstrakten Liniensprache auf – man könnte von einer „dynamischen Fragmentarisierung“ sprechen.
Im folgenden Beispiel geht Antonioni den umgekehrten Weg: den der „De-Fragmentarisierung“:
Gegenstand ist hier kein unbelebtes Objekt, sondern ein Mensch (Abb. 27a-d). Die erste Einstellung zeigt die „Großaufnahme von etwas Undeutlichem, das man dann als den Unterkiefer eines alten Mannes erkennt“[170] (Abb. 27a), in der zweiten ist die Augenpartie desselben Mannes in einem etwas größeren Bildausschnitt zu sehen (Abb. 27b), dann folgt eine Aufnahme des ganzen Kopfes (Abb. 27c), schließlich der „ganze“ Mensch in einer amerikanischen Einstellung (Abb. 27d).
Aus insgesamt 38(!)Einstellungen besteht die Schlußsequenz von L'eclisse. Sie ist zusammengesetzt aus „Fragmenten der Wirklichkeit“[171]: abstrakte oder halbabstrakte Bildkompositionen, aber auch Handlungsminiaturen, also „Bruch“-Stücke des Alltags (Menschen verlassen einen Bus, eine Frau wartet an der Ecke usw.). Durch die Montage dieser verschiedenen Elemente entstehen freie Assoziationsmetaphern, die die Fragmente und Miniaturen zu einem neuen Bild zusammensetzen und damit die „Idea“ eines Ortes schaffen.[172] Das Verfahren ist vergleichbar mit dem der Dadaisten und Surrealisten, die Ihre „Ready-made-Kunstwerke“ aus zufällig gefundenen Fundstücken und „Fragmenten“ der Realität zusammensetzen und daraus einen neuen „Traumgegenstand“[173] entwickeln. Friedrich Luft hat die Sequenz wie folgt beschrieben:
„Die Kamera verläßt die Menschen ganz. Sie staffelt nur noch magische Ansichten der verlockenden Entleertheit. Jetzt wird es ganz abstrakt. Kein Wort mehr. Kein Lachen. Kein Mensch. Nur eine wundersam bewegende Bildfolge der Unbewegtheit. Die Kamera schwelgt ganz kühl und mit kunstvoller Gesetzmäßigkeit in Ansichten der schönen Vakanz. Der Film löst sich auf. Er endet nicht.“[174]
Ich habe der Darstellung des „Fragmentarismus“ in dieser Sequenz deshalb besonders viel Raum gegeben, weil sich in ihr in einem unmittelbaren Zusammenhang eine Vielzahl charakteristischer Beispiele finden lassen. In anderen Filmen Antonionis finden sich weitere, so z.B. in La Notte: Nachdem Lidia den Empfang zu Ehren ihres Mannes verlassen hat, macht sie einen langen Spaziergang durch Mailand. In einem Hinterhof entdeckt sie ein weinendes Kind und versucht es zu trösten. Die nächsten zwei Einstellungen zeigen zunächst eine zerbrochene Uhr, die auf dem Boden liegt[175] (starke Aufsicht, links im Bild ist noch Lidias Körper zu erkennen), und dann in einer Detailaufnahme ein Stück Mauer mit bröckeligem Putz (Abb. 25, S. 67). Bei dieser Einstellung hat Antonioni mit starkem Seitenlicht gearbeitet, so daß die Struktur der Mauer betont wird. Lidias Hand versucht, den Putz von der Mauer zu brechen, einzelne Stücke lösen sich. Trotz der erkennbaren „Gegenständlichkeit“ der Mauer und Lidias Hand wird die Wirkung auch dieser Einstellung überwiegend von der graphischen Komposition bestimmt.
Ebenfalls in La Notte findet sich ein Beispiel für eine nahezu vollkommen abstrakte Bildkomposition (auch während Lidias Spaziergang): Sie zeigt aus der Vogelperspektive fast gänzlich bildfüllend eine fensterlose Häuserfassade in „monochromem Grau“ (keine Abb.). Nur oben und an den Seiten der Wand umrahmen schmale Streifen dunkler „Umgebung“ das Gebäude. In der linken unteren Ecke ist ein Stück Gehweg zu erkennen, auf dem – winzig klein – Lidia vorbeigeht.
Einstellungen von ähnlichem Abstraktionsgrad bietet auch Deserto. Neben den „konstruktivistischen“ Aufnahmen der Fabrik mit vielen Kompositionen, in denen die farbigen Rohre der Anlage das bildbestimmende Element darstellen, zeigt Antonionis Kamera auch mehrfach Detailaufnahmen von Schutt- und Abfallhalden. Bei diesen Bildern ist die „Gegenständlichkeit“ der gezeigten Objekte im wörtlichen Sinne „zerbrochen“, der Bildinhalt formt sich aus komponierten Fragmenten. Eine völlig abstrakte Bildkomposition „malerischen“ Charakters hat Antonioni auch in der Sequenz geschaffen, in der Corrado Giuliana in ihrem Geschäft besucht. Auf die rohen Kalkwände hat die Protagonistin versuchsweise Farbflächen aufgetragen, um die Wirkung der Farbe auszuprobieren. In diese Sequenz sind mehrfach Einstellungen montiert, die Ansichten der Wände zeigen und in denen die abstrakten Farbflächen den gesamten Bildinhalt darstellen. Eine ganz ähnliche Wirkung entfaltet sich auch bei der Nahaufnahme einer Häuserwand in der Gasse in Ravenna, in der Giuliana ihr Geschäft eröffnen will. Hier bestimmt die glatte Fläche und das abstrakte Muster von bröckelndem Putz das Bild.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf die Standbilder auf Seite 48 zurückkommen. Insbesondere die Abbildungen 1 und2 zeigen Einstellungen, in denen die „gegenständlichen“ Gesichter der Protagonistinnen von abstrakten Flächen eingefaßt werden.
Als besonders spektakuläres Beispiel für das Phänomen „dynamische Fragmentarisierung“ möchte ich die Schlußsequenz von Zabriskie Point etwas genauer untersuchen. In der Untergangsvision dieser Sequenz läßt Daria die Villa der Geschäftsleute in ihrer Vorstellung explodieren. Diese Sequenz hat Antonioni sehr aufwendig von 17verschiedenen Kamerapositionen aus filmen lassen.[176]
Die „dynamische Fragmentarisierung“ bezieht sich dabei natürlich nicht auf die Zerstörung der Villa selbst, sondern auf die Art, wie Antonioni diese Sequenz gestaltet hat. Hätte Antonioni sie „naturalistisch“ inszeniert, wäre sie als Argument für die These dieses Kapitels kaum verwertbar, sondern böte allenfalls Material für eine psychologische Analyse von Darias Wunschphantasien. Aber Antonioni stilisiert und übersteigert die Explosion in hohem Maße, indem er sie immer wieder von neuem ablaufen läßt und dabei den Ausschnitt des gezeigten Bildes immer weiter einengt. Sah der Zuschauer am Anfang noch ein Gebäude an einem Berghang, das das Opfer einer Sprengladung wird, füllen einige Schnitte später nur noch das Feuer selbst und Trümmerstücke den Bildausschnitt (Abb. 28a-c, S.69). Antonioni benutzt dabei die gleiche Technik wie in der Schlußsequenz von L'eclisse: Durch das rhythmische Näherrücken der Kamera und der daraus resultierenden Ausschnittsverengung isoliert er das Objekt aus seinem „realistischen“ Kontext und verwandelt es in eine abstrakte Komposition. In L'eclisse bildete die Fassade eines Gebäudes das Material für diesen Effekt, in Zabriskie Point wird aus dem Abbild eines explodierenden Hauses eine gegenstandslose Farbkomposition, die mit reiner Energie gemalt zu sein scheint.[177]
Die „dynamische Fragmentarisierung“ in der Schlußsequenz von Zabriskie Point gewinnt eine zusätzliche Steigerung dadurch, daß die Sequenz auch in sich selbst in zwei klar voneinander abgrenzbare Teile zerfällt.
Während der erste Teil farblich von den Rottönen der Explosion und des Feuers bestimmt ist, dominiert im zweiten Teil – den Übergang markiert ein sehr schneller Kameraschwenk – das kalte Blau des Himmels, vor dessen Hintergrund Trümmerstücke in langsamer Zeitlupe schweben. Auch hier bilden die in ihrer Gegenständlichkeit nicht oder kaum mehr erkennbaren Trümmer vor dem monochromen blauen Hintergrund abstrakte Kompositionen, die sich in einem langsamen Rhythmus verändern, zerfließen und neuen Bildern Platz machen.
„Die optische Wirkung von Tele-Aufnahmen und slowmotion nimmt den Splittern die Dinglichkeit von Trümmern [...]“[178], stellt auch Lenssen fest. Die „hypnotische“[179] Traumsequenz ist fast ausschließlich aus Splittern, Fragmenten und „Fetzen“ einer nicht mehr „dingfest“ zu machenden Gegenständlichkeit zusammengesetzt.
Auch in der langen Sequenz in Blow up, in der der Photograph Thomas die im Park gemachten Aufnahmen vergrößert, macht Antonioni das Phänomen der „dynamischen Fragmentarisierung“ zum Thema einer langen Sequenz. Die Sequenz dauert – die Unterbrechung durch das Erscheinen der beiden Teenager nicht mitgerechnet – insgesamt 13,5 Minuten! Dabei vergrößert Thomas in mehreren Arbeitsgängen einzelne Negative und befestigt die Abzüge an den Holzbalken seines Studios. Die ersten Vergrößerungen stellen noch den gesamten Negativinhalt dar, später geht er dazu über, immer stärkere Ausschnittsvergrößerungen herzustellen. Aber er gewinnt trotz aller Bemühungen keine Gewißheit über das, was ihn an seinen Photos irritiert. In den mittleren Vergrößerungen scheint zwar im Gebüsch des Parks eine Hand zu erkennen sein, die einen Revolver hält bzw. scheint eine liegende Person (ein Leichnam?) halb unter Buschwerk verborgen erkennbar zu sein. Durch das zunehmende Vergrößern dringt Thomas immer stärker in die Mikrostruktur des einzelnen Bildes ein, isoliert den Ausschnitt zunehmend von dem Gesamtzusammenhang. Analog dazu zeigt Antonionis Kamera die Vergrößerungen, indem sie mehrfach zwischen den einzelnen Bildern hin- und herschwenkt und dabei immer weiter ein Stück heranzoomt.
Alle diese Bemühungen bringen Thomas keine Gewißheit. Als letzten Versuch, die Bilder zum „Sprechen“ zu bringen, reproduziert er einen kleinen Bereich eines Positivs mit Hilfe einer Großformatkamera und fertigt davon wieder Vergrößerungen an: Das Ergebnis ist eine abstrakte Ansammlung schwarzer und weißer Punkte, in der nichts Gegenständliches mehr erkennbar ist.
Als Thomas später in sein Studio zurückkehrt und feststellt, daß ihm fast alle Vergrößerungen und Negative gestohlen wurden, behält er nur diesen letzten Abzug zurück, der aufgrund seiner maximalen Vergrößerung die geringste „Beweiskraft“ hat. Die hinzugekommene Nachbarin, deren Lebensgefährte (Will) ein abstrakterMaler ist, sagt zu dem Photo: „Es sieht aus, als ob Will es gemalt hätte.“
Diese Sequenz ist zweifellos eine der Schlüsselmomente in Blow up – nicht umsonst hat der Vorgang des „Vergrößerns“ dem Film seinen Namen gegeben.[180]
In ihr beschäftigt sich Antonioni mit dem Phänomen „dynamische Fragmentarisierung“ auf eine andere, gewissermaßen intellektuelle Weise. Während in den anderen Beispielen dieses Kapitels das Phänomen selbstverständlicher Bestandteil von Antonionis Bildsprache war, macht Antonioni in Blow Up die Auflösung in Fragmente gewissermaßen zum Thema einer Sequenz. In ihr ist „Fragmentarisierung“ nicht nur Ausdruck des Künstlers Antonioni, sondern vor allem Methode des Photographen Thomas. Und dessen Ziel hat „klassischen“ Charakter: er sucht den „Kern“ der Wahrheit: „He must know that he has seen what he has seen.“[181] Je näher er dem verborgenen „Kern“ durch die immer stärkeren Vergrößerungen zu rücken glaubt, desto aussageloser (im Sinn seiner Fragestellung) wird das Ergebnis. So wird diese Sequenz zu einer Studie über das Versagen empirischer Methoden bei der Suche nach dem „Verborgenen“. Das Ergebnis, das Thomas trotz großen technischen Aufwands erzielt, ist gleich Null:
„So wie [photographische Bilder] im Film produziert, reproduziert und angesehen werden, verlieren sie den Mythos der Abbildlichkeit, funktionieren nicht als Beweis für Realität, nur als Indiz.“[182]
Man kann Blow up also als das Aufeinandertreffen zweier Welten interpretieren: das mysteriöse, „magische“ Rätsel einerseits, dessen einzige greifbare Manifestation sich in einer abstrakten photographischen Vergrößerung wiederfindet, und die empirisch-technische Methode der „Wahrheitsfindung“ andererseits, die der Protagonist des Films aus einer „seinsgewissen“[183] Haltung heraus anwendet und damit scheitert.
Unter diesem Gesichtspunkt stellt Blow up eine Art Versuchsanordnung dar, in der Antonioni die Gegensätze „Geheimnis“ und „Logos“ aufeinanderprallen läßt (vgl. die Gegensatzbegriffe auf Seite 22). Und es scheint, als ob er das „Magische“ und „Irreale“, also das „Manieristische“, triumphieren läßt. Das „Geheimnis“ kann Thomas mit seinen Wahnehmungsmöglichkeiten nicht lösen:
„Um die Tatsachen zu ergründen, müßte der Fotograf eine andere Art von Aufmerksamkeit, einen anderen Habitus von Realitäts-Orientierung aufbringen.“[184]
Zusammenfassend stelle ich fest: In Antonionis Filmen finden sich eine Vielzahl „abstrakter“ und „fragmentarischer“ Bildkompositionen, Einstellungen. Sie sind eingebettet in ein „gegenständliches“ Ganzes. Sie werden mit den „gegenstandlosen <Kompositionen> innerhalb eines <umfassenden> Kunstwerkes“[185] vergleichbar, die Hocke in der Malerei der Spätrenaissance ausmacht. So wie dort abstrakte Elemente einen nur kleinen Teil der Fläche eines Bildes belegen, nehmen die bei Antonioni auftretenden abstrakten Sequenzen oder Einstellungen einen entsprechend kleinen Teil der gesamten (Film-) Zeit in Anspruch. Dennoch prägen sie den Charakter des Gesamtwerks nachhaltig.
Ich möchte am Schluß dieses Kapitels noch einmal auf die „lyrische“ und „musikalische“ Wirkung zurückkommen, die Hocke der abstrakten Kunst attestiert, und sie einer Aussage von Antonioni gegenüberstellen:
„Ich halte es heutzutage für wichtig, daß sich das Kino dieser inneren Form zuwendet, diesen absolut freien Ausdrucksweisen, so wie die Literatur frei ist, so wie die Malerei frei ist, die zur Abstraktion gelangt. Vielleicht gelangt auch das Kino eines Tages zur Abstraktion; vielleicht kommt das Kino dahin, auch eine Poesie zu schaffen, das kinematographische Gedicht in Reimen.“[186]
Meine obigen Ausführungen haben – so meine ich – anschaulich gezeigt, daß Antonioni dieses Kino der Zukunft, das Kino der Abstraktion, bereits in Ansätzen verwirklicht hat.
2.5 <Korrespondenzen des Entlegenen>
2.5.1 Metaphorik
Die Metapher ist nach Hocke in allen manieristischen Epochen ein Stilmittel, das ihren „Ausdruckszwang“ eine vollkommene Entsprechung darstellt – und zwar in der Bildenden Kunst ebenso wie in der Literatur. Das „Erlebnis des Seinsverlustes jeder Art in weltgeschichtlichen Krisen“ verstärke bei den Manieristen – den „Problematikern“ und „Melancholikern“ unter den Künstlern – das „Gefühl der Verwandelbarkeit und Verwandlungsfähigkeit aller Dinge“[187].
Die Metapher, von Hocke als „die Übertragung eines Dinges auf ein anderes“ definiert, erhalte im Manierismus daher „den Charakter eines [für eine strukturlose Welt] höchst angemessenen Mitteilungsmittels, ja, eines Zaubermittels“[188].
„Das unendliche Verwandlungsspiel, das die Metapher erlaubt [...] erreicht im Hochmanierismus geradezu die Bedeutung eines Spiegels der Welt. In ihm erscheint das Chaotische der Phänomene durch ein ingeniöses Metaphern-Ballett artifiziell geordnet.“[189]
Die Metaphorik trage außerdem dazu bei, „gewohnte Bilder einer zu optimistischen Ordnungswelt zu zerstören“. Metaphern als „Paradoxien höchster Künstlichkeit“ erhielten eine „magische“, eine „dämonische Macht“[190].
Der Metaphorismus wolle „in jeder [manieristischen] Epoche [...] durch Übertragungen [...] in Bildern letzte, unergründliche Dinge vermitteln“[191].
„Die Metapher ist [...] für den manieristischen Dichter, wie es schon im 17. Jahrhundert heißt, die <Königin der Wort-Figuren>, die <geistvollste> und <scharfsinnigste>, die <wunderbarste> und <fruchtbarste>[192]. Sie ist die geistvollste, weil sie das Entfernteste miteinander verknüpft, Korrespondenzen des Entlegenen bildet.“[193]
Die Metapher würdigt Hocke – Baltasar Gracián zitierend – außerdem als „scharfsinnig“, „weil sie das <Abstruse paart>“ und damit das „<Wunderbare>“[194] erzeuge.
„Tatsache ist, daß Metaphern einer <Abstraktionsnot> entsprechen. Es beweist dies, daß jede Form von Weltangst in <Krisen>-Situationen einen Überfluß, eine Inflation von Metaphern erzeugt. Gefährliche Übergangszeiten führen zu einer Zwangs-Metaphorik. In der Angst spürt man <Ähnlichkeiten verborgenster Art zwischen umgebenden Erscheinungen auf>.“[195]
Die Metapher wird so zu einem Mittel der „Vereinigung des Gegensätzlichen“, dabei dürften „die Gegensätze [...] in ihrer Eigenart zugunsten einer harmonisierenden Idealvorstellung im klassischen Sinne nicht verschwinden“[196].
Hocke zitiert in diesem Zusammenhang häufig den manieristischen Traktatisten Tesauro (1591-1667), der den Dichtern seiner Zeit bei der Ausübung ihrer Kunst ein „irres“ Vorgehen empfiehlt. Die Irren seien
„[...] besonders dazu befähigt, in ihrer Phantasie schillernde Metaphern und scharfsinnige Symbole zu schaffen: genaugenommen ist der Wahnsinn nichts anderes als die Fähigkeit, eine Sache in eine andere zu verwandeln. Die subtilsten Genien, die Dichter und Mathematiker neigen am stärksten zum Irresein.<“[197]
In der manieristischen Metapher begegne man „also wieder einem der wichtigsten manieristischen Grundsätze: <Das Entfernteste miteinander [zu] verbinden>“[198]: „Alles kann mit allem verglichen werden, alles kann sich in alles verwandeln.“[199]
Aus der Vielzahl der von Hocke genannten Beispiele aus der Malerei kann ich hier nur einen kleinen Ausschnitt nennen. So etwa die Bilder des Malers Giuseppe Arcimboldo, der „Menschenköpfe aus Blumen, aus Tieren, Werkzeugen usw.“ zusammensetze, also eine Übertragung von „Belebtem auf Belebtes, von Leblosem auf Belebtes, von Belebtem auf Lebloses“[200] vornehme. Die gleiche „Methode des Zusammenfügens“[201] fände sich in Werken Sirio Mussos, Max Ernsts, Pablo Picassos u.v.a. wieder.[202] Für die Dichtung nennt Hocke Tasso, Petrarca, Dante, Góngora, John Donne, André Breton u.v.a. als Vertreter einer manieristischen Metaphorik.[203]
Die Verbindung zwischen dem literarischen Manierismus der Spätrenaissance und dem der modernen Dichtung belegt Hocke u.a. mit einem Zitat von Breton. Dieser definiere das „höchste Ziel der Poesie“[204] genauso wie Tesauro es getan habe:
„Zwei Dinge miteinander vergleichen, die voneinander so weit entfernt sind wie möglich oder – ganz andere Methode – sie in überraschender Manier gegenüberstellen.“[205]
Durch die „Vereinheitlichung des Unvereinbaren“[206] werde – so Tesauro – Verblüffung, Überraschung („Stupore“) erzeugt. „Die gesuchte, paralogische Metapher“ spreche auf „>dunkle Weise klar<“ und zwinge den Leser „>zu eigener Interpretations-Kunst<“. Auf diese Weise „genießt er“[207].
2.5.2 Metaphern im Werk Antonionis
2.5.2.1 Filmische Metaphern
Bei dem Versuch, den Metaphorismus auch in Antonionis Filmwerk als signifikantes Ausdrucksmittel zu isolieren, bin ich auf eine besondere Schwierigkeit gestoßen. In einer literarischen Metapher, die aus inhaltlich „entlegenen“ Bestandteilen der Sprache gebildet werden, sind die einzelnen Elemente problemlos festzumachen: es sind einfach verschiedene „Worte“, die in einen überraschenden Kontext gestellt werden. Ähnlich verhält es sich bei den Bildern Arcimboldos. Die „Verwandlungskraft“ der Metapher drückt sich bei ihm durch das Aufeinanderprallen der Elemente „Menschenkopf“ und „Blumen, Tiere, Werkzeuge“ etc. aus, aus denen der Kopf gebildet ist.
Ungleich schwieriger ist es, die „Einheit“ einer filmischen Metapher festzulegen.
Im folgenden werde ich einige Beispiele aus Antonionis Filmen beschreiben, die mir als Beleg für den Metaphorismus in seinem Werk überzeugend erscheinen. Einige dieser Beispiele werden dabei eine „Korrespondenz des Entlegenen“ zwischen Einstellungen aufzeigen, die unmittelbar aufeinanderfolgen. In diesen Fällen bilden diese Einstellungen die Elemente, aus denen die Metapher gebildet ist, so wie einzelne Worte in einer literarischen Metaphern die jeweiligen Elemente bilden.
Um Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich darauf hinweisen, daß ich mit dieser Auswahl keinen „groben Vergleich von Film und geschriebener/gesprochener Sprache“[208] beabsichtige.
Daß die Einstellung gewissermaßen als das „Wort“, die Szene als „Satz“, die Sequenz als „Abschnitt“ des Film-“Textes“ zu betrachten sei, ist ein filmtheoretischer Ansatz, der sich als unzureichend erwiesen hat. Die Filmsemiotik hat zur Strukturierung der Film„sprache“ inzwischen wesentlich präzisere Begriffe entwickelt.[209]
Dies kann hier nicht weiter vertieft werden. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß ich im folgenden bei der Isolierung einzelner „Elemente“ einer Metapher damit nicht gleichzeitig auch Grundelemente der Filmsyntax zu beschreiben beabsichtige. Die Bestandteile der Metapher können bei Antonioni innerhalb einer Einstellung vorhanden sein, sie können in unmittelbar aufeinanderfolgenden Einstellungen bestehen oder auch (zeitlich voneinander getrennte) Sequenzen betreffen.
Wichtig im Sinne Hockes ist, daß die einzelnen Elemente der (manieristischen) Metapher eine „Korrespondenz“ zueinander haben. Sie müssen gewissermaßen aus einer „inneren Logik“ heraus miteinander in Beziehung stehen – so „entlegen“ die einzelnen Elemente auch seien.
Belege für eine „metaphorische“ Schnittfolge finden sich u.a. in L'eclisse. Ich möchte zunächst zwei Beispiele herausgreifen, in denen jeweils Einstellungen, in denen Vittoria mit einem „halluzinierenden“ Gesichtsausdruck gezeigt wird (vgl. das Kapitel „Traum-Visionen bei Antonioni“, Seite 60), einen Bestandteil der Metapher bilden.
Das erste Beispiel bezieht sich auf die Sequenz nach Vittorias Weggang aus Pieros Büro (Abb. 29a-c, S. 82) . Zunächst sieht man Vittorias Gesicht halbnah hinter einem Gitter. Sie wendet sich um, hebt den Kopf, die Kamera schwenkt nach oben. Es folgt ein Schnitt. Die Kamera zeigt in einem langsamen Schwenk aus der Froschperspektive die Baumkronen über Vittoria bildfüllend. Dann erfaßt sie Vittorias Hinterkopf. Sie wendet sich der Kamera zu (mit einem „halluzinierenden“ Gesichtsausdruck, wie auch schon in der ersten Einstellung). Diese Sequenz gleicht in ihrem Aufbau übrigens fast vollkommen der bereits beschriebenen, in der Thomas in Blow up das „Flüstern der Bäume“ wahrnimmt (vgl. Kapitel „Quasi-natürliche Chiffren“, S. 33ff. und Abb. 31a-c)
Das zweite Beispiel einer Kombination „entlegener“ Bildinhalte – aber diesmal in einer komplexeren Montage – findet sich in der Sequenz, in der Vittoria den Pudel ihrer Freundin Martha gefunden hat (Abb. 30a-c). Der Ablauf dieser Nachtsequenz stellt sich wie folgt dar:
Amerikanische Einstellung von Vittoria („halluzinierender“ Gesichtsausdruck) vor schwarzem Nachthimmel mit Straßenlaternen als Lichtpunkte im Hintergrund. Vittoria geht nach links, die Kamera schwenkt mit. Vittoria geht aus dem Bild. / Totale einer Reihe von Fahnenstangen, die im Wind schwanken und deren lose hängenden Stahlseile gegen die Stangen schlagen. Die Bewegung erzeugt ein rhythmisches metallisches Geräusch. Vittoria tritt von rechts ins Bild, geht auf die Kamera zu, wendet sich rasch um und blickt auf die Fahnenstangen. Sie geht mit dem Rücken zur Kamera nach links aus dem Bild. / Nahaufnahme von Vittoria („halluzinierender Gesichtsausdruck“). / Halbtotale der Fahnenstangen gegen den Nachthimmel, aus der Froschperspektive gefilmt. / Halbtotale von Vittoria, die unter einem Denkmal steht (Vogelperspektive). / Nahaufnahme Vittoria („halluzinierender Gesichtsausdruck“). /
Beiden geschilderten Sequenzen ist gemeinsam, daß in ihnen ein bestimmter „menschlicher“ Ausdruck mit einem Aspekt der äußeren Wirklichkeit wechselweise kontrastiert wird. Die „Korrespondenz“ der jeweiligen Einstellungen wird in beiden Fällen durch Gestik bzw. Bewegung der Protagonistin hergestellt. Beide Sequenzen haben außerdem gemeinsam, daß die „Handlung“ des Films jeweils vollkommen zum Stillstand gekommen ist. Im ersten Beispiel hat Vittoria Pieros Büro verlassen (es ist die letzte Sequenz im Film, in der eine der Protagonisten zu sehen ist), im zweiten ist die Suche nach dem Hund abgeschlossen. Der Hund bzw. Martha treten gar nicht mehr in Erscheinung, obwohl letztere kurz zuvor noch in Rufweite gewesen ist. Die Gegenüberstellung der Einstellungen Vittoria/Baumkronen bzw. Vittoria/Fahnenstangen hat also keinerlei narrativen Zweck – sie verdeutlicht keinen Erzählzusammenhang. Es sind „pure“ Bilder, die – gemessen an den Maßstäben des konventionellen Erzählkinos – vollkommen überflüssig scheinen und denen auch kein eindeutig symbolischer Gehalt zugeordnet werden kann. Dennoch mißt Antonioni ihnen offensichtlich „Bedeutung“ zu: Obwohl die erste Sequenz nur aus zwei Einstellungen besteht, dauert sie immerhin 43 Sekunden, die zweite Sequenz sogar knapp eineinhalb Minuten.
Die „Korrespondenz des Entlegenen“ und damit die Qualifizierung der beiden Sequenzen als manieristische Metaphern dürfte mit dieser Darstellung hinreichend belegt sein.
Im Sinne Hockes besteht zwischen den jeweiligen Elementen solch „dunkel klarer“ Metaphern eine „verborgene Ähnlichkeit“. Ihr Aufeinanderprallen verwandele sie in etwas neues. Hierfür eine allgemeingültige Deutung zu finden, ist nicht möglich. Jeder Betrachter des Films ist aufgefordert zu „eigener Interpretations-Kunst“.
Über die metaphorische Kombination einzelner – vergleichsweise statischer – Einstellungen hinaus finden sich Metaphern bei Antonioni auch in anderen Zusammenhängen. Die folgenden Beispiele nennen solche, die sich aus der Kombination verschiedener Handlungsabschnitte zusammensetzen. Ihre Wirkungen ergeben sich außer über die Montage auch über die Organisation der Mis-en-scène.
Ein Beispiel findet sich erneut in L'eclisse. Es handelt sich dabei um zwei Sequenzen, die beide an der „Ecke“ in Vittorias Wohnviertel spielen, an der Piero und Vittoria sich zu treffen pflegen.
Die erste Sequenz: Nachdem Piero Vittoria zum ersten Mal geküßt hat, sagt sie unvermittelt zu ihm: „Ich gehe“. Sie entfernt sich einige Schritte, die Kamera zeigt ihren Weggang in einer Totalen. Ruckartig dreht Vittoria sich um und schaut zurück. Die nächste Einstellung zeigt die Straßenecke, an der Piero kurz vorher noch gestanden hat. Er ist verschwunden. Ein Fahrradfahrer biegt in zügiger Fahrt in die Straße ein, in die Piero gegangen sein muß.
Die zweite Sequenz (wenig später): Vittoria ist als erste am Treffpunkt (wieder an „ihrer Ecke“) erschienen. Sie sieht ein Rennpferd mit einem Sulky die Straße entlangkommen, folgt ihm mit den Augen, die Kamera schwenkt mit. Der Fahrer biegt in die gleiche Straße ein wie zuvor der Fahrradfahrer. Piero steht plötzlich an der Ecke und geht langsam auf sie zu.
Rhythmus und Timing dieser beiden Sequenzen, die Ähnlichkeit der gezeigten Vorgänge sowie das zeitnahe Aufeinanderfolgen im Filmverlauf, lassen es in meinen Augen unzweifelhaft erscheinen, daß die beiden Sequenzen unmittelbar aufeinander bezogen sind. Sie stehen in einem „metaphorischen Kontext“.
Ich erinnere an dieser Stelle an obiges Zitat, das sich auf das manieristische Empfinden von der „Verwandlungsfähigkeit aller Dinge“ bezieht, das in der Metapher eine stilistische Entsprechung fände.
Das kann bei diesen Sequenzen durchaus wörtlich genommen werden. In der ersten Sequenz „verwandelt“ sich Piero in einen vorüberfahrenden Fahrradfahrer, in der zweiten wird aus der seltsamen Erscheinung eines Sulky-Gefährts der sich langsam nähernde Piero. Natürlich „geschieht“ diese Verwandlung nicht wirklich, auch nicht auf der Ebene der filmischen Realität: Das Sulky fährt aus dem Bild, während Piero auf Vittoria zugeht. Erst durch die dynamische Vorwärtsbewegung des Fahrradfahrers wird aus dem „Nicht-mehr-da-sein“ Pieros ein „Verschwinden“, umgekehrt „verwandelt“ die Bewegung des Sulkys das langsame „Sich-nähern“ Pieros in eine „Erscheinung“.
Im Gegensatz zu den ersten Beispielen aus L'eclisse, die in einem völlig handlungsfreien Zusammenhang angesiedelt sind, steht bei diesem Beispiel die „Korrespondenz des Entlegenen“ Piero/Fahrrad und Sulky/Piero, die Metapher also, in einen mehr handlungsorientierten Kontext. Sie verleiht den Handlungselementen „Trennung“ und „Wiedersehen“ eine zusätzliche, artifiziell übersteigerte Dimension.
Bei meinem dritten Beispiel für die Metaphorik bei Antonioni komme ich auf die Nebelsequenz aus Identificazione zurück, die bereits im Kapitel „<Magische> Natur“ (vgl. S.29) ausführlich beschrieben wurde. Ich beziehe mich dabei auf die Einstellung, in der hinter einer Buschreihe die Bewegung eines Menschen zu erkennen ist. Die Kamera folgt dieser Bewegung in einem langsamen Schwenk und erfaßt dabei einen zweiten Mann, der von der anderen Seite mit suchenden Bewegungen an die Büsche herangetreten ist. Der Schwenk setzt sich fort, und die Kamera erfaßt nun Niccolò in einer amerikanischen Einstellungsgröße.
Auch in dieser (in einer einzigen Einstellung realisierten) Erzähleinheit wird die „Verwandlungskraft“ der Metapher deutlich. Sie bezieht sich insbesondere auf die Identität der drei Gestalten. Während bei der unbestimmten Bewegung eines Menschen hinter den Büschen die Assoziation nahe liegt, daß es sich dabei vielleicht um den unbekannten Verfolger handelt (zuvor waren Schritte zu hören, die aber nicht von Niccolò stammen), so drängt sich bei der zweiten Erscheinung die Vermutung auf, daß es Niccolò sein müßte, der nachschauen will, wer hinter der Buschreihe vorbeigeht. Aufgrund der Entfernung zur Kamera und des Nebels ist er aber nicht erkennbar. In der Fortsetzung des Kameraschwenks kann der Betrachter dann den „dritten Mann“ als Niccolò identifizieren.
Die Mis-en-scène und die Kameraarbeit schließen aus, daß die drei Gestalten identisch sind, sie stellen also „Entlegenheiten“ dar, die sich – wie in einer Metamorphose – von einer unbestimmten Bewegung in einen undeutlich erkennbaren Mann und schließlich in den Protagonisten „verwandeln“.
2.5.2.2 Sprachliche Metaphern
Im thematischen Zusammenhang dieses Kapitels ist auch der Filmtitel Deserto rosso erwähnenswert. Auch wenn die Kombination der Worte „Wüste“ und „rot“ nicht ganz die Artifizialität und Alogik der „absurden“[210] Metaphern eines John Donne: wie „Schneeweißer Purpur oder roter Schnee“[211] erreicht, sind die beiden Worte doch vergleichsweise weiter voneinander entfernt als Wortkombinationen wie „die leere Wüste“, die „trockene Wüste“ usw. Auch die Wortkombination Deserto rosso bildet eine „Korrespondenz des Entlegenen“. Die „Verblüffung“ über diesen metaphorischen Titel ergibt sich beim Rezipienten aus der Tatsache, daß in diesem Film eine Wüste im Sinne des Naturphänomens gar nicht vorkommt: Die Betitelung „rote Wüste“ erweist sich so als eine literarische Metapher, die die Industrielandschaft Norditaliens bildhaft beschreibt. Eine andere – ebenso denkbare – Lesart bestünde darin daß sich Deserto rosso auf die „rot“ getönten Visionen der Protogonistin bezieht.
Ein interessantes Spiel mit einer sprachlichen Metapher findet sich außerdem in L’avventura. Während der Fahrt der Ausflugsgesellschaft zur Insel sagt Anna zu dem Bootsführer: „Die See ist so ruhig wie Öl“. Zweifellos ist das ein metaphorischer Vergleich, aber kein besonders „manieristischer“, weil die Verbindung von See/Meer zu Öl noch relativ nahe liegt und es sich dabei außerdem um einen gängigen Vergleich handelt. Hinzu kommt, daß diese beiläufige Bemerkung Annas auch eine ganz einfach dramaturgische Funktion hat, nämlich die Friedlichkeit dieser Sequenz zu unterstreichen. Um so bedrohlicher wird dann die Wendung zur Verschlechterung des Wetters wahrgenommen, die kurze Zeit später erfolgt.
Wirklich verblüffend ist aber die Replik des Bootsführers. Er sagt: „Ich weiß nicht warum, aber ich hasse Vergleiche, die mit Öl zu tun haben.“ Das ist in diesem Kontext ein wahrhaft „manieristischer“ Satz. Der „verblüffende“ Kontrast erfolgt bei diesem Dialog nicht durch die Metapher selbst, sondern durch die Kontrastierung einer bereits in der Alltagssprache fest verankerten metaphorischen Redewendung mit der vollkommen „sinn“-los erscheinenden Äußerung des Bootsführers. „Stupore“ (Verblüffung) ist auch ein Ziel des Manierismus! Aber darüber hinaus, hat Antonioni in diesem kurzen Dialog „auf dunkle Weise klar“ die törichte Banalität der Ausflügler charakterisiert.
Ich habe mich in diesem Kapitel auf die Analyse von Metaphern beschränkt, deren einzelne Bestandteile in einer unmittelbaren optisch/zeitlichen bzw. sprachlichen Nähe zueinander stehen (also einzelne Einstellungen bzw. Bildinhalte und Worte, die eine „Korrespondenz des Entlegenen“ bilden). In den Filmen Antonionis ließen sich aber auch komplexere „Entlegenheiten“ wie beispielsweise die „Visionen“ als Metaphern charakterisieren. So korrespondiert etwa Darias und Marks „wirklicher“ Liebesakt mit dem imaginierten, vervielfältigten Liebesakt der Vision.[212]
Auch das Aufeinandertreffen „magischer“ Natur mit der „Realität“ könnte man als eine metaphorische Opposition auffassen. Gleiches gilt auch für den „Farbwechsel“ des Wagens in der Nebelsequenz oder für die „Kontraste“ und „Paradoxien“, die in einigen Bildkompositionen festgestellt wurden.
In den Kapiteln, in denen ich oben bezeichneten Phänomene abhandle, habe ich auf deren metaphorischen Charakter hinzuweisen verzichtet, weil mir andere Bezüge zum Manierismus wichtiger erschienen. Dies sei hiermit nachgetragen. Es stützt die These von der metaphorischen Qualität des Filmwerks Antonioni zusätzlich.
2.6 <Die Welt als Labyrinth>
2.6.1 Labyrinth-Motive
Das Labyrinth stellt nach Hocke ein „zentrales Motiv der manieristischen Kunst und Literatur gestern und heute“ dar. Dieses „uralte Motiv“ sei bereits bei den „ältesten Kulturen“ gefunden worden, in denen es für „eine <vereinigende> Metapher für das berechenbare und unberechenbare Element in der Welt“ gestanden hätte. Im Mittelalter seien Labyrinth-Darstellungen in den Kathedralen Chiffren für das „Urbild eines Erlösungswegs“, in dem die „Stadt Jerusalem (= Himmel)“ den „mühsam zugänglichen Kernraum“ bildete. Leonardo da Vinci habe „abstrakte Flechtwerkkonstruktionen“ geschaffen, die zu „einer Landkarte des Mysteriums“[213] würden. Die „ineinander verschlungenen Linien“ dieser Zeichnungen enthielten „wie echte mythische Labyrinthe“ einen „Kernraum“, eine „<erlösende> Urzelle“[214]. Auch die „sagenhafte, achteckige Spiegelkammer“, die Leonardo bauen wollte, faßt Hocke als eine „labyrinthische“ Konstruktion auf: er bezeichnet diese Kammer als „die Vorläuferin des abstrakten Labyrinths, der totalen Irrealität“[215]. Sie wolle das „denkbar vollkommene Labyrinth in der Spiegelung“ herstellen und folge der manieristischen Tendenz, „das <Rätsel> Mensch und seine widerspruchsvolle Welt in einer anaturalistischen Perspektive geradezu einzufangen“[216].
In der Hochzeit des Manierismus sei in Spanien „die bisher größte Sammlung von Flechtwerk- und Labyrinthzeichnungen Europas entstanden: die „Nueva Arte de Escrivir“ von Pedro Diaz Morantes (entstanden von 1616 bis 1631). In den Zeichnungen dieser Sammlung spiele insbesondere die „Spirale“ als Labyrinth-Chiffre eine große Rolle.[217]
Der Manierismus, „dessen Vorliebe für schwere Zugänglichkeit, Unverständlichkeit, für paradoxe Metaphern und <Verdrehtheit> so auffallend ist“, stelle die „Welt als Labyrinth“[218] dar, in dem der Mensch „ruhelos“[219] herumwandere. Aber während in den alten Kulturen (z.B. der minoischen) und im Mittelalter der Kernraum mühsam oder „auf Umwegen“[220] noch zugänglich erscheine, werde er im Hochmanierismus als unerreichbar empfunden:
„Man empfand die Welt zwar als poetisches Labyrinth Gottes, suchte aber nicht mehr nach dem Eingang oder auch nur nach dem Ausgang. Man blieb im Unentwirrbaren stecken. An der Verlorenheit fand man Gefallen [...].“[221]
Auch im Zeitraum zwischen 1880 und 1950 tauche das Labyrinth-Motiv „wiederum <explosionsartig>“[222] auf. Hocke verweist auf eine Gedichtsammlung des spanischen Dichters Juán Ramón Jimenez aus dem Jahre 1910, die den Titel „Labirinto“ trage. Labyrinthische Motive findet er auch bei Garcia Lorca, ebenso bei Paul Éluard u.v.a. Nicht zuletzt stellten auch die Romane Franz Kafkas „[...] unergründliche und letztlich nie <klar und deutlich> zu <definierende> Epen des Labyrinthischen“[223] dar.
Aus dem oben Dargestellten ergibt sich zusammenfassend, daß das „Labyrinth“ im Manierismus als eine Chiffre für eine „rätselhafte“ Welt stehe, in der der Mensch „verloren“ und „ruhelos“ herumwandere. Es ist gewissermaßen Ausdruck des „Lebensgefühls“ des manieristischen Menschen. Das Ziel seiner Suche ist der „Kernraum“, der Aus- oder der Eingang des Labyrinths. Er kann in seiner „Verlorenheit“ aber auch bereits so weit gefangen sein, daß er im „Unentwirrbaren“ steckenbleibt und sich rettungslos im Labyrinth verfangen sieht.
2.6.2 Das Motiv „Labyrinth“ bei Antonioni
In diesem letzten Kapitel meines Analyseteils schließt sich ein Kreis. Ausgegangen war ich von der „Unbehaustheit“ des Menschen in einer „magischen“ und z.T. anaturalistischen gezeichneten äußeren Wirklichkeit, mit der „Labyrinth“-Motivik kehre ich nun wieder zum Menschen zurück – zu dessen „manieristischem Lebensgefühl“.
Das Motiv des in einem Labyrinth „herumirrenden Menschen“ findet in nahezu allen Filmen Antonionis eine Entsprechung: Seine Protagonisten befinden sich auf einer inneren oder äußeren Suche nach etwas oder nach jemandem. Das Objekt oder Subjekt dieser Suche hat häufig einen „absoluten“ Charakter, dem die Protagonisten sich zu nähern versuchen oder deren Verlust ihr Handeln bestimmt.
So findet sich bereits in den frühen Filmen Antonionis das Motiv der „Welt-Verlorenheit“ als „Lebensgefühl“ wieder: so etwa bei den Protagonisten von Ivinti, deren „sinnlose“ Verbrechen Ausdruck ihrer Entwurzelung sind. Genauso findet das „Herumirren“ auch in der Figur Clara in Signora eine Entsprechung. Ihre „Suche“ drückt sich in dem Bemühen aus, in der unbekannten Welt des Showbusiness einen Platz als „richtige Schauspielerin“ zu finden. Der Versuch mißlingt. Auch bei den Selbstmördern in der filmischen Reportage Tentato und bei der Figur Rosetta in Le amiche ist die „Weltverlorenheit“ der Personen ein grundlegendes Motiv.[224]
In Il grido ist Aldos „Herumirren“ in der Welt das Element, das den Film in seiner Gesamtheit bestimmt. Seine Irrfahrt löst der Verlust seiner Lebensmitte aus: Aldos Geliebte, Irma, hat ihn verlassen. Schaub konstatiert, daß Aldo „der erste reine Antonionische Held“ sei, der „seines Lebenssinns beraubt“ die „Welt nicht mehr versteht“[225]. Aldos „Kernraum“ seiner Existenz war die Beziehung zu Irma. Sein Verlustgefühl ist so existentiell, „daß er nicht mehr fähig ist, irgendeine Beziehung zur Welt und zu neuen Menschen aufzunehmen“[226]. Seine „Suche“ endet mit Selbstmord.
L’eclisse setzt ebenfalls mit dem Verlust eines „Kernraums“ ein. Der Film beginnt mit Vittorias Trennung von ihrem langjährigen Lebensgefährten Riccardo. Der weitere Verlauf beschreibt die Protagonistin „[...] im Niemandsland zwischen dem Verlust der Welt und einer neuen Welteroberung“[227]. Ob diese aber gelingt, läßt der Film zumindest als sehr fraglich erscheinen.
In Deserto markiert die Krise der Protagonistin Giuliana die Stationen ihres „Herumirrens“. Ihr Grundgefühl ist existentielle Angst, die mit der „Vision“ in Corrados Hotelzimmer einen Höhepunkt findet.
In Blow up ist der „Kernraum“ ein Abstraktum: Thomas sucht nach der in seinen Photographien verborgenen „Wahrheit“. Die Suche endet im „Niemandsland“ aufgelöster photographischer Strukturen.
Von diesem Muster des „manieristischen“ Menschen weichen die Protagonisten in Zabriskie Point ab. Ihre Reise durch die Wüste ist bei Daria von einem konkreten, sachlichen Ziel bestimmt: Sie ist auf dem Weg zu ihrem gegenwärtigen Arbeitsplatz. Marks Ausflug mit dem entwendeten Flugzeug und dann die Weiterfahrt mit Daria hat etwas Heiteres, Zwangloses. Hier findet sich m.E. keine Entsprechung zum „Labyrinth“-Motiv.[228]
Identificazione wird von einer Dialektik aus Verfolgung und Suche bestimmt. Der erste Teil des Films ist geprägt von dem Motiv des unbekannten Beobachters, dessen Existenz Niccolò und Mavi zu Nachforschungen bzw. zu Fluchtbewegungen anregt. Im zweiten Teil des Films dominiert das Motiv von Niccolòs Suche nach der verschwundenen Mavi. Die Suche endet im „labyrinthischen“ Spiralraum eines Treppenhauses.
In Nuages schließlich – Antonionis letztem Film – drückt sich die Verlorenheit im „Labyrinth“ in einer Reihe von „unmöglichen“ Liebesepisoden aus.
Fast allen bisher erwähnten Filmen ist gemeinsam, daß die in ihnen erzählten Geschichten zu keinem Schlußpunkt führen: Eine Lösung der Problematik, eine Überwindung des Niemandslandes, ein Ende des „Herumirrens“ ist nicht abzusehen. Der „Kernraum“ (oder der Ausgang) des Labyrinths wird nicht entdeckt.
Über die oben skizzierte allgemeine Motivik hinaus finden sich in einigen Filmen Antonionis Sequenzen, die das „Herumirren“ der Protagonisten in einem „räumlichen“ Kontext fast hermetischen Charakters verdichtet darstellen. Das „Labyrinth“ tritt in diesen Sequenzen als natürlicher oder künstlicher Raum in Erscheinung.
Ein erstes Beispiel findet sich in Cronaca: Die narrativen Eckpunkte dieses Films sind zwei Todesfälle: Der tödliche Unfall von Guidos Verlobter in einem Fahrstuhlschacht, den Paola und Guido nicht verhindert haben, ist in der Vergangenheit angesiedelt. Der geplante Mord an Paolas Ehemann ist der zweite Versuch der Protagonisten, ihren persönlichen „Kernraum“ (ihre Liebe zueinander) zu erobern. Bei beiden Todesfällen handelt es sich „[...] um phantasierte Verbrechen mit umgekehrten Vorzeichen: das erste Mal gewünscht, aber nicht geplant, das zweite Mal geplant, aber nicht ausgeführt.“[229]
Obwohl beide Ereignisse der faktischen Logik nach das „Glück“ von Guido und Paola ermöglichen könnten, führen sie jeweils in Trennung und Isolation: Beim ersten Mal heiratete Paola einen reichen Industriellen (Fontana), beim zweiten Mal verläßt Guido die Stadt.
In diesem doppelten Scheitern schwingt ein Hauptaspekt des „Labyrinths“ mit, nämlich das Sich-in-ihm-Verlaufen. Zweimal sind die beiden Protagonisten angetreten, den „Kernraum“ zu erobern. Und zweimal scheitern sie an der gleichen Weggabelung: Nur scheint es, als ob sie beim zweiten Mal von einer anderen Seite als zuvor gekommen sind.
Sinnfällig illustriert dieses „Herumirren im Labyrinth“ die Sequenz, in der Paola und Guido in ein Wohnhaus geflüchtet sind, weil Paola den Wagen ihres Mannes in der Nähe des Treffpunkts der beiden gesehen hat. Gemeinsam steigen sie die Treppe hinauf. Paola berichtet Guido, daß sie nun wüßte, wer die Nachforschungen über ihre Vergangenheit in Gang gesetzt hat: ihr Ehemann. Während dieses Berichts steigen beide immer weiter das Treppenhaus empor. Immer wieder bleibt Paola auf einem Absatz stehen, wendet sich um und schaut auf Guido herab. Als sie erwähnt, daß sie ihren Mann in der vergangenen Nacht habe „ertragen“ müssen, geht Guido an ihr vorbei. Nun ist er es, der auf sie herabschaut (vgl. Abb. 11, Seite 52). Der Fahrstuhl schwebt an ihnen vorbei, erinnert an ihre gemeinsame Vergangenheit. Paola bittet ihn, sie zu küssen. Er wendet sich um und läuft eilig die Treppe hinunter. Paola bleibt allein auf einem Treppenabsatz zurück.
Die Episode zeigt das „Herumirren“ des Paares in einer Kreisbewegung im Treppenhaus, die mit dem Spiral-Motiv[230] bei Hocke korrespondiert. Aber soweit sie auch gehen, sie entfernen sich keinen Schritt von dem im Inneren des Treppenhauses auf- und abfahrenden Fahrstuhl, dessen Aufzugkorb „wechselnde Gittermuster wie Trennstriche über das Paar legt“[231]: Er ist ein Symbol der Erinnerung an ihr gemeinsam phantasiertes und nicht verhindertes Verbrechen, das sie schon einmal getrennt hat und dessen Wiederauflage mit umgekehrten Vorzeichen sie wieder voneinander trennen wird.
Ein weiteres Beispiel für ein „hermetisches Labyrinth“ in den Filmen Antonionis stellt die Suchsequenz auf der Insel in L'avventura dar. Hier werden die „Mauern“ des Labyrinths durch die Topographie der Insel und das sie eingrenzende Wasser bestimmt. Das Motiv für die „Suche“ ist konkret: Anna, die Lebensgefährtin Sandros, ist nach einer Auseinandersetzung zwischen den beiden verschwunden.
In der langen Sequenz, die sich nun anschließt, verfolgt die Kamera die divergierenden Bewegungslinien der einzelnen Personen auf ihrer Suche nach Anna. Sie werden jede für sich in kleinen Episoden gezeigt: Sandro, wie er einen steilen Felshang emporsteigt, Corrado, der im Geröll eine zerbrochene Vase gefunden hat, Claudia, die das Ufer absucht. Immer wieder rufen die Ausflügler einander die Frage zu, ob Anna gefunden worden wäre, und erhalten stets eine verneinende Antwort. Die Suche endet mit dem Entschluß, die Carabinieri zu holen. Aber auch sie haben keinen Erfolg. Vage Hinweise wie das Motorengeräusch eines Bootes, das mehrfach zu hören ist, erweisen sich als irreführend.
Das unerklärliche Verschwinden Annas löst eine „Suche“ aus, die den gesamten Film hindurch anhält. Nachdem sich die Reisegesellschaft aufgelöst hat, unternehmen Sandro und Claudia weitere Anstrengungen. Sie folgen nach der Inselepisode zunächst getrennt, später gemeinsam, vagen Hinweisen. Episodische Einschübe in die Handlung lassen sie mit einem Zeugen sprechen, der Anna gesehen haben will, führen sie in einen von Menschen verlassenen Ort, lassen Sandro in Noto bei der Polizei nachfragen.
„Die beiden Liebenden sind ständig auf der Suche, obwohl die Wegzeichen mehr als zweifelhaft sind.“[232]
Die „zweifelhaften Wegzeichen“ führen zu keinem Erfolg, und schließlich mündet die Suche nach Anna in einer Liebesbeziehung der beiden Protagonisten. Lenssen zieht aus dem Handlungsablauf in L'avventura folgenden Schluß:
„Die offene Erzählform irritiert dramaturgische Konventionen, d.h. die klaren hierarchischen Prinzipien von Kausalzusammenhängen und beschreibt Abweichung von der eingeschlagenen Richtung, Ablenkung vom Gewicht der Fakten, Verkehrung im Maßstab der Gefühle und Sinne als die Verirrung, die notwendig der Weg durch ein Labyrinth ist.“[233]
Auf den „magischen“ Charakter der Insel habe ich bereits hingewiesen. (vgl. das Kapitel <Magische> Natur“, S. 29ff.). Hier wird aus dem „Labyrinth“-Raum der Insel ein irrealer Ort. Annas zuvor gegenüber Sandro geäußerter Wunsch nach einer zeitweiligen Trennung erfährt in ihrem „spurlosen“ Verschwinden im „Labyrinth“ eine mystische Übersteigerung. Einen Ariadne-Faden hinterläßt sie nicht.
In La Notte ist die äußere Handlung noch weiter reduziert als in L'avventura. Das Motiv einer „Suche“, die von einem konkreten Ziel bestimmt ist, tritt deutlich zurück. Der Film setzt sich nur aus einigen wenigen Episoden zusammen. Geschildert wird ein Tag und eine Nacht, der Wechsel von einer Episode zu nächsten hat etwas Zufälliges und entspricht keiner dramaturgischen Stringenz.
Sinnfällige Entsprechungen für das „ruhelose Wandern“ der Protagonisten finden sich bei Lidias Spaziergang durch das Stadtviertel in Mailand, in dem sie und Giovanni zu Beginn ihrer Ehe gewohnt haben, und in der langen Sequenz in der Villa der Gherardinis.
In der erstgenannten Sequenz verfolgt die Kamera Lidia, nachdem sie den Verlagsempfang verlassen hat. Die Stationen ihres Spaziergangs in die Vergangenheit markieren Ereignisse und Gegenstände, die Antonioni als plötzliche, „erstaunliche“, Kontraste inszeniert:
Ein weinendes Kind im Hinterhof eines Abrißhauses mit einer überdimensional großen zerbrochnen Wanduhr, die Geräusche von Düsenflugzeugen, die die „Siesta-Stille“[234] der Sequenz unterbrechen. Dann folgt die Einstellung, in der Lidia aus einer starken Aufsicht heraus einen Gehweg entlanggeht, der von Betonpollern begrenzt wird (vgl. Abb. 14 auf S. 52). Eine alte Frau am Wegrand nimmt eine hastige Mahlzeit ein. Lidia beobachtet sie intensiv. Die Frau reagiert nicht. Lidias Gang führt an Mietskasernen vorbei, jäh unterbricht eine Fabriksirene die Stille. Auf einem Abbruchgelände geht sie bei einer Schlägerei von Jugendlichen dazwischen. Fasziniert beobachtet sie, wie Männer auf einer Wiese Raketen steigen lassen.
Die Sequenz wird von zwei Einschüben unterbrochen, die Giovanni zu Hause schildern. Analog zu Lidias ziellosem Herumstreifen wandert er durch die gemeinsame Wohnung, berührt flüchtig einen Papierstapel, führt eine beiläufige Unterhaltung mit einer Nachbarin von Balkon zu Balkon, beobachtet einen Mann im Fenster eines gegenüberliegenden Gebäudes, sichtet oberflächlich seine Post.
Wahrend dieser Spaziergang Lidias durch ihr altes Stadtviertel noch einem heiteren, fast gelösten „Wandern“ durch „die Wunder der Welt“[235] gleicht, findet ihre (und Giovannis) „Ruhelosigkeit“ in der langen Sequenz in der Villa der Gherardinis seine Fortsetzung und Steigerung.
In dieser Sequenz dominiert als „Bewegung“ das langsame, fast gelangweilte Schlendern beider Protagonisten durch das Haus des Industriellen und durch dessen Garten. Lidia und Giovanni begegnen flüchtigen Bekannten, trennen sich, finden sich unversehens an einer Getränkebar wieder, trennen sich erneut, als „[...] ob sie einander suchten und zugleich einander doch auswichen.“[236]
Treppenaufgänge, Wandelhallen, einzelne Räume markieren die „Gänge“ und „Kammern“ des „Labyrinths“, auf einem Treppenabsatz sitzt eine junge Frau (Valentina). Sie liest in einem Buch, das den Titel „Die Schlafwandler“ trägt.
Die Kreisbewegungen der Protagonisten bekommen im Verlauf des Festes einen immer „exzentrischeren“ Verlauf. Lidia erfährt per Telefon vom Tod des Freundes Tommaso, währenddessen stellt Giovanni der Tochter des Hausherren nach (Valentina), wird dabei von Lidia beobachtet. Wieder begegnen sich die Protagonisten flüchtig an einem leeren Gartentisch auf einer Terrasse, aber es kommt kein Gespräch mehr zustande, er entfernt sich von ihr, Lidia mischt sich unter die Tanzenden. Ein heftiges Unwetter bricht herein, der Strom fällt aus. Lidia macht mit einem Gast (Umberto) eine kurze Autofahrt im Regen, kehrt aber kurz darauf wieder zurück. Giovanni führt eine lange Unterhaltung mit Valentina, wirbt um sie. Als das Licht wieder angeht, begegnen sich Giovanni/Valentina und Lidia/Umberto, wenden sich aber wie beiläufig voneinander ab.
In diesem Bild eines Paares, dessen Kreisbewegungen sich um kaum noch vorhandene und unterschiedlich angeordnete „Mittelpunkte“ vollzieht, dessen Kreisbahnen sich nur selten treffen und deren Begegnungen fast wortlos vonstatten gehen, ist nicht mehr wie in L'avventura ein „Motiv“ enthalten, das ihrem „Herumirren“ im Labyrinth Antrieb verleiht. Antonioni beschreibt „einen Zustand der Agonie in Bewegung“[237]. Die beiden Protagonisten lassen sich treiben. Sie haben den „Kernraum“ des Labyrinths, in dem sie sich bewegen, längst aus den Augen verloren.
In Professione schließlich ist das Moment der „Suche“ und des „Herumirrens“ vollends jeglichen „Sinns“ entkleidet. Während in den bisher genannten Filmen die „Wegzeichen“ im „Labyrinth“ – so „zweifelhaft“ sie auch seien – noch solche waren, die dem eigenen Leben der jeweiligen Protagonisten entstammen, werden sie in Professione von einer anderen Existenz festgelegt: derjenigen seines verstorbenen Zimmernachbarn Robertson, dessen Identität David Locke zu Beginn des Films in einem Hotel einer afrikanischen Kleinstadt angenommen hat.
David folgt den kryptischen Zeichen in dessen Kalender: Daten, Namen und Ortsangaben: Seine „Irrfahrt“ führt ihn nach London, München und Barcelona und „zuletzt durch ein Spanien, das Afrika immer ähnlicher wird“[238]. Davids Reise ist „nie zweckbestimmte Erkundung und Aufklärung“, sondern zerfällt in „Momente [...], in denen Locke beobachtet wird und beobachtet“[239].
Davids „Irrfahrt“ ist nur vage durch einen möglichen „Lebenssinn“ in der Existenz Robertsons motiviert: Dieser stand auf der „guten“ Seite und unterstützte mit seiner Tätigkeit als Waffenhändler Rebellen, die gegen ein verbrecherisches Regime kämpfen. So unbestimmt die Verbindung zwischen David und der angenommenen Identität ist, so unbestimmt ist auch seine Beziehung zu den Menschen. In Barcelona hat er eine junge Frau kennengelernt, die ihn seitdem begleitet. Sie hat nicht einmal einen Namen.[240]
Davids „Herumirren“ endet in einem Hotel in Spanien. Seine Spurensuche hat zu keinerlei Ergebnissen geführt.
Zu Beginn der Schlußsequenz des Films liegt er auf dem Bett des Hotelzimmers, läßt sich von seiner Begleiterin nur noch aus zweiter Hand berichten, was vor dem vergitterten Fenster in einem weiten Hof vor sich geht („Was siehst Du jetzt?“ – „Ich sehe einen Mann, der sich am Rücken kratzt.“). David weiß, daß sein Leben in Gefahr ist, aber er unternimmt keinerlei Anstrengung, der Bedrohung zu entkommen. Er schickt lediglich das Mädchen fort. Die letzten Minuten des Films beschreibt Lenssen wie folgt:
„Die Kamera schwebt langsam über das Bett hinweg zum Fenster und weiter hinaus auf den Platz. Man vergißt das Gitter über der Bildbewegung, die eine Totale des Platzes aus der Fensterhöhe zeigt. Ein Kind, ein alter Mann, zwei Autos, die nacheinander vorfahren. Man hört dumpfe Geräusche, das Klappern von Autotüren, später einen trockenen Laut wie aus einer schallgedämpften Pistole. Aus einem der Autos stiegen ein Afrikaner und ein Weißer, – das kurze Gespräch zwischen dem Mädchen und einem der Männer ist nicht zu verstehen. Die Kamera schwebt langsam auf die Mitte des Platzes zu, das Mädchen spricht weit entfernt einen alten Mann an der Mauer der Arena an, ein Auto fährt weg, Polizeisirenen kommen näher, die Kamera schwenkt hoch, so daß für kurze Zeit ein Stück Himmel über dem Rund der Arena zu sehen ist, und dreht zurück zur Fassade des Hotels. Polizisten steigen aus, das Mädchen nähert sich erschreckt und erstaunt wieder dem Haus, Kinder umringen das Polizeiauto, aus dem Rachel [Davids Ehefrau] aussteigt. Die Kamera nimmt den gleichen Weg zurück, bleibt in der Schwebe vor dem Fenster. Durch das Gitter ist Locke auf dem Bett zu sehen, er ist erschossen [...].[241]
In diesem Bild des statisch abwartenden David, der dem Eindringling keinerlei Widerstand entgegensetzt (es gibt keine Flucht- oder Kampfgeräusche) findet sich der manieristischer Menschentyp wieder, der nicht nur den Versuch aufgegeben hat, den „Kernraum“ des „Labyrinths“ zu finden, sondern der sogar jede „Bewegung“ im physischen Sinn eingestellt hat. Er ist der „saturnische Melancholiker“ und „problematische Mensch“[242], der - jenseits von „Unruhe, Angst, Verlassenheit, <Unbehaustheit>“ angelangt - „im Unentwirrbaren“[243] steckengeblieben ist und nun in irgendeiner Kammer des „Labyrinths“ bewegungslos verharrt und das Ende seiner Existenz erwartet.
3 Schlußbemerkung
Faßt man die Ergebnisse der nun abgeschlossenen Untersuchung zusammen, ist zunächst festzuhalten, daß sich im Werk Antonionis eine Fülle von Parallelen und Entsprechungen gefunden haben, die meine These vom manieristischen Charakter seiner Filme (im Sinn Hockes) belegen.
Zu Beginn des Analyseteils habe ich den „Idea“-Charakter der Naturdarstellung bei Antonioni nachgewiesen, der sich in der „Unbehaustheit“ der Menschen und den „magischen“ Aspekten der Natur niederschlägt. Ebenso findet die typisch manieristische Tendenz zum Anaturalismus insbesondere bei der Farbauffassung Antonionis eine Entsprechung. Das gleiche gilt für die „Alogik“ in den „Traum-Visionen“. Parallelen zur ästhetischen „Sprengkraft“ der „Figura Serpentinata“ konnten ebenfalls nachgewiesen werden; desweiteren erhalten die „abstrakten“ und die „metaphorischen“ Qualitäten des Manierismus bei Antonioni ebenso Ausdruck wie das „Labyrinth-Motiv“.
Der „Manierismus“ bei Antonioni drückt sich im Gesamtwerk in unterschiedlichen „Phasen“ aus. Manieristische Stilphänomene sind bereits in den frühen Filmen (bis Il grido) nachzuweisen, allerdings sind sie recht selten. Hier liegen Entsprechungen hauptsächlich im Bereich Bildkomposition und Labyrinth-Motivik.
Ab L'avventura beginnt die „Hochphase“ des Manierismus bei Antonioni. Hier bestimmen insbesondere die Elemente „Magische Natur“, „Metaphorik“, „Abstraktion und Fragmentarismus“ sowie die „Figura Serpentinata“ die Ästhetik. Mit dem Film Deserto kommen die Elemente der anaturalistischen Farbverfremdung der äußeren Wirklichkeit sowie die „Traum-Visionen“ hinzu.
Ab Blow up finden sich Entsprechungen zur manieristischen Stilistik wiederum seltener, dafür treten sie in um so spektakulärerer Form auf. Dies gilt insbesondere für die „Traum-Visionen“. In Professione dominiert meines Erachtens das Motiv vom im „Labyrinth“ gefangenen „manieristischen Menschen“. In Mistero können lediglich die Farbexperimente als Beleg für den Manierismus dieses Filmes herangezogen werden. Meinem Empfinden nach trifft hier aber eher die Bezeichnung „Manieriertheit“ zu. In Identificazione nimmt Antonioni die verfremdende Farbgestaltung der äußeren Wirklichkeit in einem „manieristischen“ Sinn wieder auf. In der ausgedehnten Nebelsequenz gestaltet er erneut eine „magisch“ inszenierte Natur. In Antononionis letztem Film, Nuages, habe ich außer einem Anklang an das „Labyrinth“-Motiv keinerlei Verbindung zur Ästhetik und zum Wesen des Manierismus entdecken können.
Über diese Einschränkungen hinaus muß gesagt werden, daß sich nicht alle von Hocke als typisch für den Manierismus bezeichneten Stil-Phänomene in Antonionis Werk nachweisen ließen. Dies betrifft insbesondere die Darstellung der Sexualität. Nach Hocke seien die Manieristen in allen Epochen von der Darstellung „halluzinatorischer sexueller Sujets“[244] geradezu „besessen“ gewesen:
„Da aber die Liebe das Gegensätzliche in einem [...] höchsten, vitalsten und urtümlichsten Sinne vereinen soll, muß sie für alle Manieristen das Urerlebnis sein und bleiben. Das gilt für die Zeit nach Leonardo bis zu Marino, für die französische und englische Romantik und für die Zeit von Baudelaire bis James Joyce. Diese Epochen stellen sich als <Time of Sex> dar. Nicht das <Heilige>, das <Heldische>, die <absolute Wahrheit>, die <Güte>, das in sich einheitlich <Schöne> werden erstrebt, nicht der <Eros>, sondern das im ganzen Leben, ja im gesamten Kosmos wirkende Gegensätzliche, die antinomische Schönheit in allen, besonders in ihren sexuellen Erscheinungsformen.“[245]
Dieser „manieristische Pansexualismus“[246] äußere sich in „erotischen Anschauungsbildern“, könne einen „phantastischen“, „schlüpfrigen“, „perversen“, „verspielten“, „vieldeutigen“, „autistischen“ und „homoerotischen“ Charakter annehmen und sich sogar in einer „merkwürdigen Neigung für pornographische Vulgarismen“[247] äußern. Die Erotik werde Gegenstand einer „antinaturalistischen [...]<Imaginazione fantastica>“[248]. Die „Gebrochenheit“ des Manierismus äußere sich in diesem Themenzusammenhang darin, „in der sexuellen Libido [und in der Darstellung erotischer Motive] nicht nur in und durch die Natur Erfüllung zu finden, sondern oft auch außerhalb von ihr und sogar gegen sie.“[249]
Natürlich spielt die Anziehungskraft zwischen den Geschlechtern in fast allen Antonioni-Filmen eine zentrale Rolle. In den meisten Filmen Antonionis wird der Liebesakt selbst nicht dargestellt. Allerdings gibt es zahlreiche Sequenzen, in denen Elemente der Verführung, des sexuellen Begehrens, des „Davor“ und „Danach“ eine Rolle spielen. In ihnen aber eine Entsprechung zu dem oben skizzierten Aspekt anzunehmen, wäre absurd.
Selbst in den Filmen, in denen Antonioni eine direkte Darstellung des Liebesaktes realisiert hat (Zabriskie Point, Identificazione und Nuages), sind zwar sehr freizügig gestaltete Liebesszenen enthalten, aber dennoch sehe ich – selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, daß bei der Figur Mavi in Identificazione eine bisexuelle Veranlagung angedeutet wird – in ihnen keine Analogien zu „halluzinatorischen sexuellen Sujets“.
Die „Ausdrucksgebärde“ Manierismus kann sich in vielen ästhetischen Formen entfalten. Daß nicht alle in Antonionis Werk erscheinen, stellt die grundsätzliche Richtigkeit meiner These nicht in Frage.
Als weitere Einschränkung ist zu nennen, daß die im Verlauf dieser Arbeit als Beleg für den Manierismus in Antonionis Werk isolierten Beispiele nicht mit dem ganzen Werk gleichgesetzt werden können. Dies betrifft einerseits die verschiedenen Phasen, in denen manieristische Stilmerkmale uneinheitlich häufig enthalten sind, zum anderen betrifft es auch die Inhomogenität der Filme selbst.
So ergibt sich aus meiner Untersuchung, daß Antonionis Manierismus insbesondere in den Filmpassagen zu Tage tritt, in denen die „Handlung“ eines Filmes ganz oder teilweise zum Stillstand gekommen ist. Dies wird insbesondere in den „Traum-Visionen“, in den Sequenzen des „Herumirrens“, in der Schlußsequenz von L'eclisse, in der Nebelsequenz in Identificazione und in den „metaphorischen“ und „abstrakten“ Schnittfolgen deutlich. Die Beobachtung trifft weiterhin auch für einzelne Einstellungen zu, in denen die „Figura Serpentinata“ als ästhetisches Mittel wirksam wird.
Diese Momente stehen außerhalb des „Zwangs zur Narration“. Sie stellen die „manieristischen Konzentrate“ innerhalb Antonionis Filmwerks dar. Hier wird der manieristische „Ausdruckszwang“ in größter Intensität und freiester Expressivität verdichtet. In diesen häufig wortlosen Sequenzen unternimmt Antonioni eine konsequente Demontage der „Seinsgewißheit“, splittert die „Wirklichkeit“ in irritierende Fragmente auf, verfremdet sie, destilliert abstrakte Kompositionen und schafft aus seiner eigenen subjektiven „Idea“ heraus eine Welt, die nicht mehr „realistisch“ genannt werden kann.
Literatur und Kritik haben sich zu den narrativen Elementen in Antonionis Werk und zur Psychologie seiner Protagonisten vielfach geäußert. Die ästhetische Eigenständigkeit der „manieristischen“ Elemente wurde hingegen weniger beachtet oder sogar abgelehnt. Wenn meine Arbeit dazu beiträgt, dieser Seite von Antonionis Werk mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, ist ihr Ziel erreicht.
4 Anhang
4.1 Quellen
4.1.1 Sekundärliteratur
Antonioni, Michelangelo: Die Krankheit der Gefühle, in: Kotulla, Theodor (Hrsg.): Der Film, Manifeste, Gespräche, Dokumente, Bd. 2: 1945 bis heute, München, 1964.
Antonioni, Michelangelo: Gespräch, Cahiers du Cinéma, Oktober 1960, Auszug in: Leprohon, Pierre: Michelangelo Antonioni. Der Regisseur und seine Filme, Frankfurt/ Hamburg 1964.
Antonioni, Michelangelo: Godard interviewt Antonioni, Film 7/1965.
Cameron, Ian und Robin Wood: Antonioni, London 1968.
Gregor, Ulrich: Geschichte des Films ab 1960, München 1978.
Patalas, Enno: Notiz zu L'avventura, in: Filmkritik 3/1961.
Hauser, Arnold: Der Manierismus, Die Krise der Renaissance und der Ursprung der modernen Kunst, München 1964
Hocke, Gustav René: Die Welt als Labyrinth, Manier und Manie in der europäischen Kunst, Reinbek 1987.
Hocke, Gustav René: Verzweiflung und Zuversicht, München 1974.
Calvino, Italo: Offener Brief an Antonioni über LE AMICHE und Pavese, in: Leprohon, Pierre: Michelangelo Antonioni. Der Regisseur und seine Filme, Frankfurt/Hamburg 1964.
Kirst, Hans Hellmut: Il Grido, Münchner Merkur vom 31. 1. 1962, in: Leprohon, Pierre: Michelangelo Antonioni. Der Regisseur und seine Filme, Frankfurt/Hamburg 1964.
Kranen, Marion: Frauendarstellung im Filmwerk von Michelangelo Antonioni. Hausarbeit zur Magisterprüfung, Institut für Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft, Universität zu Köln, Köln 1984.
Jansen, P.W. und W. Schütte (Hrsg.): Michelangelo Antonioni, München/Wien 1984.
Lenssen, Claudia: Kommentierte Filmographie, in: Jansen/Schütte (Hrsg.): Michelangelo Antonioni, München/Wien 1984.
Leprohon, Pierre: Michelangelo Antonioni. Der Regisseur und seine Filme, Frankfurt/Hamburg 1964.
Luft, Friedrich: L’Eclipse, „Die Welt“ vom 26. 5. 1962, in: Leprohon, Pierre: Michelangelo Antonioni. Der Regisseur und seine Filme, Frankfurt/Hamburg 1964.
Monaco, James: Film verstehen, Reinbek 1980.
Mehnert, Hilmar: Das Bild in Film und Fernsehen, Leipzig 1986.
Moravia, Alberto: Auch die Kunst Antonionis ist explodiert, in: Antonioni, Michelangelo: Zabriskie Point, Frankfurt am Main 1985.
Rohrbach, Günther: L’Avventura, in: Patalas, Enno (Hrsg.): L’Avventura, Cinemathek 5, Ausgewählte Filmtexte, Hamburg 1963.
Schlappner, Martin: Von Rossellini zu Fellini, Das Menschenbild im italienischen Neo-Realismus, Zürich 1958.
Schlappner, Martin: Die Erosion der Gefühle, in: ders.: Filme und ihre Regisseure, Bern/Stuttgart, ohne Jahres- angabe.
Schaub, Martin: Sisyphus, in: Jansen/Schütte (Hrsg.): Michelangelo Antonioni, München/Wien 1984.
Schöler, Franz: Krankheit der Gesellschaft, Film 1/1965.
Tschechne, Wolfgang: Die Einsamkeit der mittleren Einkommensschichten, in: Film 7/1965.
4.1.2 Lexika
Hill, Ann (Hrsg.): DuMont’S Bild-Lexikon der Kunst, Köln 1976.
Lexikon der Kunst, Freiburg 1987, Band 4.
4.1.3 Drehbücher
Patalas, Enno (Hrsg.): Spectaculum No. II, Texte moderner Filme, Frankfurt/Main 1964.
4.1.4 Dokumentarfilme
Mosca, Fabrizio und Thomas Balmès: Caro Antonioni, 1996
Wenders, Wim: Chambre 666 (N’importe quand...), 1982
4.2 Materialien
4.2.1 Verzeichnis der berücksichtigten Filme
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten [250] 251
4.2.2 Protokoll zur Schlußsequenz von L'eclisse
Totale: ein Kindermädchen schiebt einen Kinderwagen. Schwenk auf Ziegelhaufen an dem Bauplatz[252]. Die Ziegel sind zum großen Teil zerbrochen. / Der Lattenzaun, der ein Haus umgibt. / Wassertonne in Nahaufnahme. Kameraschwenk bis auf den Baum in der Ecke / Die Strohmatten (die das Baugerüst abdecken) und das Stahlgerüst. / Detailaufnahme des Stahlgerüsts vor dem Himmel. / Schwenk auf vorbeitrabendes Rennpferd mit Sulky. Im Hintergrund geht das Mädchen mit dem Kinderwagen vorbei. / Die Zebrastreifen auf der Straße vor dem Baugerüst. Man hört Schritte: ein Unbekannter geht vorbei. / Der Lattenzaun des Bauplatzes. Der Unbekannte verschwindet im Hintergrund. / Großaufnahme: Blätter der Bäume, vom Winde bewegt. / Totale einer Straße, die zur Kreuzung des Treffpunkts führen: die Stelle ist leer. / Totale des Baugerüsts. Die Sonne ist verschwunden. / Nahaufnahme: Die Tonne voller Wasser mit einem Stück Holz [...]. Aus einem Leck der Tonne spritzt ein Wasserstrahl. / Nahaufnahme: Der Wasserstrahl, von der Seite aufgenommen. Kamerafahrt (Großaufnahme) auf das Wasser, das auf dem Gully zufließt. / Nahaufnahme: Eine Frau wartet an der Haltestelle unter den Bäumen auf den Autobus. / Halbnah: ein Mädchen, das auf jemand wartet. / Totale der Straßenecke, wo das Mädchen wartet. Ein Autobus [sic!] kommt um die Kurve. / Ein Rad des Autobus, das in der Kurve quietscht. / Der Autobus hält. Eine Frau steigt aus und ein Mann, der >L’Espresso< liest. Der Titel auf der ersten Seite heißt: >Der atomare Wettlauf<. / Die Innenseite, die der Mann gerade liest, hat als Schlagzeile: >Der Frieden ist schwach<. Der Mann entfernt sich. Die Kamera schwenkt mit und erfaßt im Hintergrund eine Gruppe spielender Kinder. / Zwei oder drei dieser Kinder nähern sich der Pumpenanlage, die die Wiese besprengt. / Im Vordergrund die Pumpe. Im Hintergrund ein Arbeiter, der das Wasser abstellt. / Der Strahl fällt in sich zusammen. / Tropfen, die auf Zweige fallen. / Ein weißes Haus mit vorspringenden Balkonen. / Detailaufnahme von drei Balkonen. / Detailaufnahme von zwei Balkonen. / Ein Stützpfeiler des Stadions vor dem Himmel, in dem sich der Kondensstreifen eines Düsenflugzeuges abzeichnet. / Detailaufnahme der Dachterrasse. Jetzt beugen sich zwei Personen über die Brüstung. Die eine deutet mit ausgestrecktem Arm nach vorn. / Detailaufnahme der Wassertonne mit dem Stück Holz und der Streichholzschachtel. / Detailaufnahme des Bordsteins über dem Gully. Das Wasser fließt hinein. / Großaufnahme des Bordsteins über dem Gully. Das Wasser fließt hinein. / Großaufnahme des Bordsteins, wie ein abstraktes Bild komponiert. Das Wasser führt den Straßendreck mit sich weg. / Großaufnahme von etwas Undeutlichem, das man als den Unterkiefer eines alten Mannes erkennt. / Großaufnahme eines Auges mit der Brille desselben Mannes. / Der Kopf des Mannes. / Der Mann entfernt sich halbnah. Die Kamera erfaßt den Bauzaun. / Die Stützpfeiler des Stadions vor dem Himmel, der nur mehr schwach erhellt wird von den Strahlen der schon untergegangenen Sonne. / Das Gesicht einer Frau, die durch ein Eisengitter blickt. / Eine Straßenlampe geht an. / Eine der Straßen der Kreuzung mit brennenden Straßenlampen. / Eine andere Straße der Kreuzung mit brennenden Lampen. Rechts das Baugerüst mit den Stahlstangen, die in die Höhe ragen. / Eine andere Straße der Kreuzung. Ein Autobus kommt an, der vor dem Baugerüst einbiegt. / Der Autobus steht. Mehrere Personen steigen aus. Weder Vittoria noch Piero sind darunter. Die Leute entfernen sich. / Das Baugerüst, dessen eine Ecke von einer nackten Birne beleuchtet wird, jetzt im Dunkel des Abends. Schwenk auf das Stadion. Die Lampen heben sich vom dunklen Hintergrund ab. / Großaufnahme einer der Lampen, von einem sehr starken Lichthof umgeben.
Erklärung
Hiermit versichere ich, daß ich diese Magisterarbeit selbständig verfaßt und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Die Stellen meiner Arbeit, die dem Wortlaut oder dem Sinn nach anderen Werken entnommen sind, habe ich in jedem Fall unter Angabe der Quelle als Entlehnung kenntlich gemacht. Dasselbe gilt sinngemäß für Tabellen, Karten und Abbildungen.
Köln, 04.08.96, Christian Ahrens
[...]
[1] Hocke, Gustav René: Die Welt als Labyrinth, Manierismus in der europäischen Kunst und Literatur, Reinbek 1987.
Bei weiteren Fußnoten wie folgt verkürzt genannt: „Ho>
[2] Ho>
[3] Rohrbach, Günther: L’Avventura, in: Patalas, Enno (Hrsg.): L’Avventura, Cinemathek 5, Ausgewählte Filmtexte, Hamburg 1963, S.141.
Verkürzt: Rohrbach: L’Avventura.
[4] Rohrbach: L’Avventura, S.141.
[5] Gregor, Ulrich: Geschichte des Films ab 1960, München 1978, S.79.
Verkürzt: Gregor: Geschichte.
[6] Schlappner, Martin: Von Rossellini zu Fellini, Das Menschenbild im italienischen Neo-Realismus, Zürich 1958, S.232.
Verkürzt: Schlappner: Von Rossellini.
[7] Schaub, Martin: Sisyphus, in: Jansen/Schütte (Hrsg.): Michelangelo Antonioni, München/Wien 1984, S.25.
Verkürzt: Schaub: Sisyphus.
[8] Calvino, Italo: Offener Brief an Antonioni über LE AMICHE und Pavese, in: Leprohon, Pierre: Michelangelo Antonioni. Der Regisseur und seine Filme, Frankfurt/Hamburg 1964, S.131.
[9] vgl. Schlappner, Martin: Die Erosion der Gefühle, in: ders.: Filme und ihre Regisseure, Bern/Stuttgart, ohne Jahresangabe, S.55.
Verkürzt: Schlappner: Erosion.
[10] Schlappner: Von Rossellini, S.232.
[11] Rohrbach, Günther: Die mit der Liebe spielen, Filmkritik 3/61, S. 156.
Verkürzt: Rohrbach: Die mit der Liebe.
[12] Rohrbach: L’Avventura, S.139.
[13] Rohrbach: L’Avventura, S.139.
[14] Die Titel der Originalausgaben lauten: „Die Welt als Labyrinth – Manier und Manie in der europäischen Kunst“ und „Manierismus in der Literatur – Sprach-Alchimie und esoterische Kombinationskunst“, Reinbek 1957 und 1959.
[15] Ho>
[16] Nach Angaben von Jansen/Schütte ist kein Antonioni-Film vor Cronaca di un amore (1950) in der BRD in den Verleih gekommen.
Vgl. Jansen/Schütte (Hrsg.): Michelangelo Antonioni, München/Wien 1984, S. 238ff.
Verkürzt: Jansen/Schütte: Antonioni.
[17] Vgl. Jansen/Schütte: Antonioni, S.249.
[18] Der Film besteht aus mehreren Episoden, für die Antonioni verantwortlich zeichnet. Sie sind eingebettet in einen erzählerischen Rahmen, den Wenders geschaffen hat. Diese Angaben beruhen auf Aussagen von Wenders in dem Dokumentarfilm von Mosca , Fabrizio und Thomas Balmès: Caro Antonioni, 1996.
[19] Es handelt sich dabei um die erste Episode des „gefilmten Magazins“L’Amore in città, Sujet und Buch: Michelangelo Antonioni und Cesare Zavattini, Erscheinungsjahr 1953.
[20] Die Antonioni-Filme liegen mir zum größten Teil nur als Kopie von Video-Aufzeichnungen vor. Daraus erklärt sich die nicht immer optimale technische Qualität der Abbildungen. Trotz dieses Nachteils habe ich mich zu diesem Verfahren entschlossen, weil es aussagekräftigere Ergebnisse gebracht hat, als wenn ich nur auf das in der Literatur zugängliche Bildmaterial zurückgegriffen hätte.
[21] Lexikon der Kunst, Freiburg 1987, Band 4, S. 15ff.
Verkürzt: Lexikon der Kunst.
[22] Lexikon der Kunst, S. 15ff.
[23] Hill (Hrsg.), DuMont’s Bild-Lexikon der Kunst, Köln 1976, S.389.
Verkürzt: DuMont’s Bild-Lexikon.
[24] Hocke, Gustav René: Verzweiflung und Zuversicht, München 1974, S.22.
[25] Einschätzung von Curt Grützmacher im Nachwort der Hocke-Ausgabe von 1987. Vgl. Ho>
[26] Ho>
[27] Ho>
[28] Ho>
[29] Ho>
[30] Ho>
[31] Ho>
[32] Ho>
[33] Ho>
[34] Einschätzung von Curt Grützmacher im Nachwort der Hocke-Ausgabe von 1987. Ho>
[35] Ho>
[36] Ho>
[37] vgl. Ho>
[38] Ho>
[39] Vgl. Ho>
[40] Ho>
[41] Ho>
[42] Ho>
[43] Ho>
[44] Ho>
[45] Ho>
[46] Ho>
[47] Ho>
[48] Ho>
[49] Ho>
[50] Ho>
[51] Ho>
[52] Armenini, G.B.: Dé veri Precetti della Pittura, Ravenna 1587. zit. n. Ho>
[53] Ho>
[54] Wortbedeutung „Concetto“: Bildbegriff oder Begriffsbild.
[55] Zuccari, F.: L’Idea de‘Pittori, Scultori e Architetti, ursprünglich erschienen im Jahre 1607. Hocke benutzt die Ausgabe von 1768, erschienen in Rom.
Verkürzt: Zuccari: Scultori.
[56] Zuccari: Scultori, zit. n. Ho>
[57] Ho>
[58] Ho>
[59] Ho>
[60] Ho>
[61] Ho>
[62] Marc, F. und W. Kandinsky: Manifest und Bekenntnis, München 1954.
Zit. n. Ho>
[63] Ho>
[64]. Hocke beruft sich hier auf eine Veröffentlichung von E. R. Curtius,
vgl. Curtius, E. R.: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern 1954. Ho>
[65] Ho>
[66] Ho>
[67] Ho>
[68] Ho>
[69] Ho>
[70] Ho>
[71] Ho>
[72] Ho>
[73] Ho>
[74] Ho>
[75] Ho>
[76] Im Originaltext steht dieses Wortpaar in umgekehrter Reihenfolge. Dabei handelt es sich aber m.E. um einen satztechnischen Fehler.
[77] Ho>
[78] Hauser, Manierismus, Die Krise der Renaissance und der Ursprung der modernen Kunst, München 1964.
Verkürzt: Hauser: Manierismus.
[79] Hauser: Manierismus, S.37.
[80] Hauser: Manierismus, S.38.
[81] Hauser: Manierismus, S.38.
[82] Hauser: Manierismus, S.11.
[83] Hauser: Manierismus, S.38.
[84] Hauser: Manierismus, S.38.
[85] Hauser: Manierismus, S.39.
[86] Ho>
[87] Ho>
[88] Ho>
[89] Wortbedeutung von „meraviglia“ = „Wundersamkeit“.
[90] Ho>
[91] Ho>
[92] Ho>
[93] Nach Hocke wahrscheinlich der Florentiner Bartolomeo Ammanati, kurz nach 1560 entstanden, vgl. Ho>
[94] Ho>
[95] Ho>
[96] Ho>
[97] Ho>
[98] Der Film ist in Deutschland nicht in den Verleih gekommen. Angabe nach Jansen/Schütte: Antonioni, S.239.
[99] Lenssen, Claudia: Kommentierte Filmographie, in: Jansen/Schütte (Hrsg.): Michelangelo Antonioni, München/Wien 1984, S.84.
[100] Kranen, Marion: Frauendarstellung im Filmwerk von Michelangelo Antonioni. Hausarbeit zur Magisterprüfung, Institut für Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft, Universität zu Köln, Köln 1984, S.68.
Verkürzt: Kranen: Frauendarstellung.
[101] Leprohon, Pierre: Michelangelo Antonioni. Der Regisseur und seine Filme, Frankfurt/Hamburg 1964, S.13.
Verkürzt: Leprohon: Antonioni.
[102] Kirst, Hans Hellmut: Il Grido, Münchner Merkur vom 31. 1. 1962, in: Leprohon: Antonioni, S.144.
[103] Kranen: Frauendarstellung, S.67.
[104] Ortsangabe nach Lenssen: Filmographie, S. 125.
[105] Antonioni mißt der Tonspur generell eine große Bedeutung zu. So spekuliert er über den „idealen Ton“ wie folgt: „Es wäre ideal, einen unerhörten Tonstreifen aus Geräuschen zusammenzustellen und einen Dirigenten kommen zu lassen, um ihn zu dirigieren... Aber wäre dann nicht der Regisseur der einzige befähigte Dirigent?“.
Antonioni, Michelangelo: Gespräch, Cahiers du Cinéma, Oktober 1960, Auszug in: Leprohon, Pierre: Michelangelo Antonioni. Der Regisseur und seine Filme, Frankfurt/Hamburg 1964, S.85.
[106] Lenssen: Filmographie, S. 134.
[107] Patalas, Enno: Notiz zu L'avventura, in: Filmkritik 3/1961, S. 156.
Patalas berichtet außerdem, daß der Gloria-Filmverleih unter dem Eindruck der Premiere in Cannes den Film in Deutschland in einer um 43 Minuten gekürzten Fassung brachte.
[108] Der Wortlaut ist abgedruckt in Leprohon: Antonioni, S.157.
[109] Lenssen: Filmographie, S. 230.
[110] Ich werde solche Protokolle im Verlauf dieser Arbeit noch mehrmals zur Unterstützung der Argumentation einsetzen. Für alle Protokolle gilt: Jeweils ein Absatz beschreibt eine Einstellung. Der Schrägstrich markiert den Schnitt.
[111] Diese Konnotation wird von anderen Autoren bestätigt. So schreibt Lenssen zu der Sequenz, in der Thomas den Leichnam im Park entdeckt (Blow up): „Blätterrauschen und die blauschwarze Umgebung unterstreichen das Unheimliche.“ Lenssen: Filmographie, S. 179.
[112] Ho>
[113] Ho>
[114] Tschechne, Wolfgang: Die Einsamkeit der mittleren Einkommensschichten, in: Film 7/1965, S. 38.
[115] Lenssen: Filmographie, S. 168.
[116] Angaben nach Gregor: Geschichte, S.80.
[117] Lenssen: Filmographie, S. 160. Hervorhebung von mir.
[118] Schöler, Franz: Krankheit der Gesellschaft, Film 1/1965, S. 36.
Verkürzt: Schöler: Krankheit.
[119] Schöler: Krankheit, S. 36.
[120] Antonioni hat in einem Interview bestätigt, daß seine Hauptfigur eine Persönlichkeitskrise habe und unter einer Neurose leide. Vgl. Antonioni, Michelangelo: Godard interviewt Antonioni, Film 7/1965, S. 40.
[121] Lenssen: Filmographie, S. 222.
[122] Die orange-blinkende Ampel ist in diesem Abschnitt der Nebelsequenz nicht mehr zu sehen. Sie kann also als „Lichtquelle“ für den Farbeffekt ausgeschlossen werden.
[123] Lenssen: Filmographie, S. 211
[124] Lenssen: Filmographie, S. 212
[125] Der Film wurde vom italienischen Fernsehen RAI produziert und auf Video-Material gedreht. Später erfolgte eine Umsetzung auf 35mm-Kinofilm. Angaben nach Lenssen: Filmographie, S.216.
[126] Lenssen: Filmographie, S. 215.
[127] Lenssen: Filmographie, S. 214.
[128] Ho>
[129] DuMont’s Bild-Lexikon, S.389.
[130] vgl. Ho>
[131] Ho>
[132] Ho>
[133] Ho>
[134] Ho>
[135] Ho>
[136] Ho>
[137] Ho>
[138] Ho>
[139] Ho>
[140] Ho>
[141] vgl. Ho>
[142] Die Standbilder entstammen folgenden Sequenzen:
Abb. 1: Vittoria in der Anfangssequenz von L'eclisse;
Abb. 2: Claudia in L'avventura. Sie und Sandro haben gerade das Hotelzimmer bezogen
Abb. 3: Claudia und Sandro in der Schlußeinstellung von La Notte;
Abb. 4: Claudia in L'avventura, vor der Nacht in der Fischerhütte;
Abb. 5: Vittoria in L'eclisse. Anfangssequenz;
Abb. 6: Vittoria und Piero in L'eclisse. Börsensequenz;
Abb. 7: Giuliana (im Vordergrund) in Deserto. Dahinter der Obstwagen mit den farblosen Früchten und der Händler;
Abb. 8: Claudia in L'avventura. Sie erwartet Sandros Rückkehr aus dem Polizeigebäude.
[143] vgl. Mehnert, Hilmar: Das Bild in Film und Fernsehen, Leipzig 1986, S. 23.Verkürzt: Mehnert: Das Bild.
[144] Die Standbilder entstammen folgenden Sequenzen:
Abb. 9: Paola und Guido bei ihrem Treffen auf einem Sportplatz (Cronaca);
Abb. 10: Aldo und die Tankstellenpächterin in Il grido;
Abb. 11: Paola und Guido im Treppenhaus eines Gebäudes, in das sie geflüchtet sind, weil Paola in der Straße den Wagen ihres Mannes gesehen hat (Cronaca);
Abb. 12: Sandro und Anna auf der Insel. Dies ist eine der letzten Einstellungen, in der Anna zu sehen ist (L'avventura);
Abb. 13: Piero und Vittoria in L'eclisse;
Abb. 14: Lidia bei ihrem einsamen Spaziergang durch ihr altes Viertel. Links im Bild eine alte Frau (La Notte);
Abb. 15/16: Rosina und die Gruppe alter Männer in Il grido.
[145] Reproduktionen dieser Gemälde bzw. Zeichnungen findet sich bei Ho>
[146] Ho>
[147] Ho>
[148] Ho>
[149] Ho>
[150] Ho>
[151] Ho>
[152] In Deserto erscheinen ähnliche „Visionen“ noch mehrfach. Beispielsweise in der Sequenz, in der Giuliana nachts aus einem Alptraum aufschreckt und im Zimmer ihres Sohnes ein Roboterspielzeug entdeckt, das von einem Mechanismus gesteuert zwischen Wand und Bett des Kindes hin- und herrollt. Nachdem sie das Spielzeug zum Stehen gebracht hat, setzt sie sich in einem Dielenraum der Wohnung auf einen Stuhl. Ihr Mann kommt hinzu. Während des nun stattfindenden Gesprächs wird eine Wand des Raums kurzzeitig rot.
[153] Ho>
[154] Gregor: Geschichte, S.81.
[155] Es handelt sich dabei um das Gemälde „Moses verteidigt die Töchter der Jethro“, um 1523. Vgl. Ho>
[156] Ho>
[157] Hocke benutzt das Wort in unüblicher Form: „gegenstandlos“. In den
Hocke-Zitaten habe ich diese Schreibweise belassen, in meinen Textteilen verwende ich die heute übliche Schreibweise: „gegenstandslos“.
[158] Ho>
[159] Ho>
[160] Ho>
[161] Ho>
[162] Ho>
[163] Ho>
[164] Ho>
[165] Ho>
[166] Es handelt sich dabei um eine „Baustelle im modernen Weltausstellungsgelände E.U.R. in Rom, wo Vittoria wohnt“, Kranen: Frauendarstellung,
S. 65. Diese Angabe wird von Schaub bestätigt. Vgl. Schaub: Sisyphus,
S. 35.
[167] Aus der Beschreibung dieser Einstellung im Drehbuch zu L'eclisse läßt sich entnehmen, daß Antonioni diesen Eindruck bewußt erzielen wollte. Dort heißt es: „Großaufnahme des Bordsteins, wie ein abstraktes Bild komponiert.“ Vgl. Patalas, Enno: Spectaculum No. II, Texte moderner Filme, Frankfurt/Main 1964, S. 297.
Verkürzt: Patalas: Drehbuch zu L’eclisse.
[168] Ho>
[169] In dieser Sequenz lassen sich zahlreiche weitere Beispiele finden, die ähnlich gestaltet sind, so z.B. die Detailaufnahme des Stahlgerüsts vor dem Himmel oder die Großaufnahme der Straßenlaterne in der letzten Einstellung: eine helle elliptische Fläche vor einem schwarzen Hintergrund.
[170] Patalas: Drehbuch zu L’eclisse, S. 297.
[171] Ausdruck von Curt Grützmacher im Nachwort der Hocke-Ausgabe von 1987. Die Formulierung ist einem Absatz entnommen der sich mit der modernen (manieristischen) Literatur beschäftigt, Ho>
[172] Folgende Äußerung Antonionis bezieht sich zwar auf sein Dokumentarfilm Nettezza urbana, ist in diesem Zusammenhang aber dennoch interessant:
„So kam es [...] daß ich eine vollkommen freie Montage zu machen versuchte [...], eine poetisch freie Montage, auf der Suche nach bestimmten Ausdruckswerten nicht so sehr durch eine Montage-Ordnung, die mit einem Anfang und einem Ende den Szenen Sicherheit gäbe, sondern in Form von Lichtblitzen, in losgelösten, isolierten Einstellungen, in Szenen, die keine Verbindung miteinander hatten, die jedoch eine mittelbare Vorstellung von dem geben sollten, was ich ausdrücken wollte [...].“ Vgl. Antonioni , Michelangelo: Die Krankheit der Gefühle, in: Kotulla, Theodor (Hrsg.): Der Film, Manifeste, Gespräche, Dokumente, Bd. 2: 1945 bis heute, München, 1964, S.86.
Verkürzt: Antonioni: Krankheit der Gefühle.
[173] Ein Ausdruck von Hocke, der den Dadaismus und Surrealismus zu den Vertretern des Manierismus im 20. Jahrhundert zählt. Vgl. Ho>
[174] Luft, Friedrich: L’Eclipse, Die Welt vom 26. 5. 1962, in: Leprohon, Pierre: Michelangelo Antonioni. Der Regisseur und seine Filme, Frankfurt/Hamburg 1964, S.148.
[175] Zur Bedeutung des Motivs „Uhr“ und „Auge“ (vgl. Abb. 27b, S. 69) in der manieristischen Kunst folgendes Hocke-Zitat:
„Während unserer Forschungen fiel es uns immer wieder auf, welche Rolle das Auge, und zwar das einzelne Auge, sowie die Zeit bzw. die Uhr in der manieristischen Kunst damals und heute spielen. Wie der Raum faszinierte, so die Zeit. [...] Nicht die Augen, sondern der Blick, symbolisiert durch das Auge, richtet sich als Symbol des <inneren> Blickpunkts fasziniert auf eine labil gewordene Welt der Vergänglichkeit, Wandelbarkeit, die ihrerseits im Bilde der Uhr, der zahllosen abstrusen, manieristischen Uhren dieser Zeit gesehen wird. Für das <isolierte>, das einzelne Auge findet man in der Kunstgeschichte viele Beispiele [...], erst recht aber in der manieristischen Zeit und in der gegenwärtigen Kunst.“
Vgl. Ho>
[176] Angabe nach Lenssen: Filmographie, S. 191.
[177] Interessant ist, daß diese Explosion in der Literatur häufig als atomar bezeichnet wird. So z.B. von Moravia , Alberto: Auch die Kunst Antonionis ist explodiert, in: Antonioni, Michelangelo: Zabriskie Point, Frankfurt am Main 1985. S.86.
Verkürzt: Moravia: Auch die Kunst.
Vgl. dazu auch das Kapitel „Manierismus als Ausdruck einer Krise“.
[178] Lenssen: Filmographie, S. 191.
[179] Lenssen: Filmographie, S. 191.
[180] „Blow up“ ist im Englischen ein terminus technicus für „Vergrößern“, also der Herstellung eines Positivabzugs vom Negativ. Es hat aber auch die Wortbedeutung „explodieren“.
[181] Cameron , Ian und Robin Wood: Antonioni, London 1968, S.138.
Verkürzt: Cameron/Wood: Antonioni.
[182] Lenssen: Filmographie, S. 171.
[183] Lenssen beschreibt sein Wesen wie folgt:
„Subjektive Sphären, Nischen und Fallen für überkommene Emotionen existieren für ihn nicht, er hat keine persönliche Geschichte, weder Ungleichzeitigkeiten noch Leiden belasten ihn. Arbeit und Lebensgefühl sind eins.Thomas nimmt Dinge wie die Menschen objektiv wahr – gleichsam wie durch das Auge oder Objektiv seiner Kamera.“ Lenssen: Filmographie, S. 171.
[184] Lenssen: Filmographie, S. 171.
[185] Ho>
[186] Antonioni: Krankheit der Gefühle, S.90.
[187] Ho>
[188] Ho>
[189] Ho>
[190] Ho>
[191] Ho>
[192] Hocke zitiert hier Gracián, Baltasar: Agudeza y arte de Ingenio. Benutzte Ausgabe: Buenos Aires 1945 (Ursprünglich erschienen 1642). Zit. n. Ho>
[193] Ho>
[194] Ho>
[195] Ho>
[196] Ho>
[197] Tesauro, E.: Il Cannochiale Aristotelico, Genua 1654 (auch Venedig 1682), zit. n. Ho>
[198] Ho>
[199] Ho>
[200] Ho>
[201] Ho>
[202] vgl. Ho>
[203] vgl. Ho>
[204] Ho>
[205] Breton, André: L’amour fou, Paris 1937, zit. n. Ho>
[206] Ho>
[207] Tesauro: Il Cannochiale, zit. n. Ho>
[208] Monaco, James: Film verstehen, Reinbek 1980, S. 142.
[209] Vgl. z.B. Metz, Christian: Semiologie des Films, München 1972.
[210] Ho>
[211] Hocke nennt diese Wortkombinationen als Beispiel für eine „absurde“ Metapher. Vgl. Ho>
[212] Auch Gregor bezeichnet das „theatralische Love-in vieler Paare im Wüstenstaub“ als Metapher, die allerdings „verunglückt“ sei.
Vgl. Gregor: Geschichte, S. 81.
[213] Ho>
[214] Ho>
[215] Ho>
[216] Ho>
[217] Vgl. Ho>
[218] Ho>
[219] vgl. das Hocke-Kapitel „Ruheloses Wandern in den Wundern der Welt“, Ho>
[220] Ho>
[221] Ho>
[222] Ho>
[223] Ho>
[224] Die Protagonistin des Films, Clelia, stellt in diesem Kontext eine Ausnahme dar. Sie ist eine „seinsgewisse“ Figur, der am Ende des Films eine hoffnungsvolle Option für die Zukunft offeriert wird: Die Fortsetzung ihrer Karriere in Rom.
[225] Schaub: Sisyphus, S.18.
[226] Schaub: Sisyphus, S. 19.
[227] Dieses Zitat hat Schaub auf alle Filme bis L'eclisse bezogen, vgl. Schaub: Sisyphus, S.14.
[228] Alberto Moravia hat zu diesem Aspekt geschrieben:
„Das Leben, das Spiel, das Vergnügen [in Zabriskie Point ] sind Betätigungen zum Selbstzweck, sie haben kein anderes Ziel als eben gerade das des Lebens, des Spiels, des Vergnügens. So erklärt sich, warum Mark, der protestierende junge Mann selbst gegen die Protestbewegung protestiert [...], warum er dann das Flugzeug stiehlt, aus Lust, Kapriolen in der Luft zu schlagen; und darauf Daria den Hof macht, nur deshalb, weil es lustig ist, einer Frau, die im Auto fährt, mit dem Flugzeug den Hof zu machen [...].“
Moravia: Auch die Kunst, S. 88.
[229] Lenssen: Filmographie, S. 89.
[230] Vgl. auch die „Spirale“ in Il grido (der Turm zu Beginn und Ende des Films) und Identificazione (die bereits erwähnte Szene im Treppenhaus Mavis).
[231] Lenssen: Filmographie, S. 90.
[232] Rohrbach: L’Avventura, S.143.
[233] Lenssen: Filmographie, S. 126.
[234] Lenssen: Filmographie, S.138.
[235] Vgl. die Hocke-Formulierung „Ruheloses Wandern in den Wundern der Welt“, Ho>
[236] Lenssen: Filmographie, S.139
[237] Lenssen: Filmographie, S.142
[238] Lenssen: Filmographie, S.199.
[239] Lenssen: Filmographie, S.200.
[240] In der Besetzungsliste zu dem Film steht nur „Mädchen“ als Bezeichnung für die von Maria Schneider verkörperte Rolle. Vgl. Jansen/Schütte: Antonioni, S. 246.
[241] Lenssen: Filmographie, S.209.
[242] Vgl. das Kapitel „Saturnische Melancholie“ bei Hocke, Ho>
[243] Ho>
[244] Ho>
[245] Ho>
[246] Ho>
[247] Ho>
[248] Ho>
[249] Ho>
[250] Alle filmographischen Angaben nach Jansen/Schütte: Antonioni, S.138ff.
[251] Es handelt sich dabei um die erste Episode des „gefilmten Magazins“L’Amore in città, Sujet und Buch: Michelangelo Antonioni und Cesare Zavattini, Erscheinungsjahr 1953.
[252] Die Darstellung der Schnittfolge basiert auf dem Drehbuch von L’eclisse. Abweichungen zwischen Drehbuch und Film habe ich zugunsten der Schnittfassung des Filmes korrigiert (im Drehbuch werden eine Reihe von Einstellungen erwähnt, die Antonioni dann nicht berücksichtigt hat). Einige Angaben zum Kameraausschnitt (Totale, Nahaufnahme etc.) habe ich hinzugefügt. Der besseren Lesbarkeit wegen habe ich in diesem Fall ausnahmsweise auf die Kennzeichnung der wörtlich übernommenen Passagen verzichtet. Vgl. Patalas: Drehbuch zu L’eclisse, S. 264ff.
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- Christian Ahrens (Author), 1996, Michelangelo Antonionis Filme und der Manierismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96008
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