GLIEDERUNG
A) Einführung in die Handlung
B) Nathan der Weise - ein Erziehungsdrama? Gründe für die These:
I. Begriff der Erziehung zur Zeit der Aufklärung
II. Nathan als Erzogener
III. Nathan als Erzieher
1) des Tempelherrn
2) von Sultan Saladin
IV. Anregung des Lesers zum Nachdenken
V. Vergleich mit „Die Erziehung des Menschengeschlechts“
VI. Kritische Auseinandersetzung Lessings mit der Kirche
C) Lessing als Gegenspieler Gottscheds
AUSFÜHRUNG:
A) Das in Blankversen verfasste dramatische Gedicht „Nathan der Weise“, welches 1779 von
Gotthold Ephraim Lessing (1729 - 1781) geschrieben wurde, spielt im spätmittelalterlichen
Jerusalem des 12. Jh. und führt in das Haus des reichen Juden Nathan, der Recha, eine Christin, als Tochter angenommen hat. Im folgenden Text soll nun erörtert werden, ob „Nathan der Weise“ ein Drama über Erziehung darstellt.
B) I. Zur Zeit der Aufklärung (ca. 1700 - 1785) war der Begriff der Erziehung von wesentlicher Bedeutung. Lessing schrieb in „Die Erziehung des Menschengeschlechts“ (1780) in den Paragraphen 1-5 über seine Ansichten zur Erziehung. Besonders der Paragraph 4 gibt die Denkweise der aufgeklärten Philosophen gut wieder. „Erziehung gibt dem Menschen nichts, was er nicht auch aus sich selbst haben könnte: sie gibt ihm das was er aus sich selber haben könnte, nur geschwinder und leichter.“ Durch die Anerziehung von Toleranz sollten die Konfessionsprobleme der damaligen Zeit behoben werden. (vgl. VIII) II. Eine besondere Bedeutung besitzt Nathan, ein reicher jüdischer Geschäftsmann, der die Hauptfigur in Lessings Werk darstellt. Als erstes soll betrachtet werden, warum dieser Nathan ein Erzogener ist. Schon zu Beginn lässt sich feststellen, dass Nathan ein äußerst aufgeschlossener und toleranter Mensch ist. Als er erfährt, dass seine Ziehtochter Recha von einem Tempelherrn gerettet worden ist, will er „diesen edlen Mann“ (I/1 Z.92) sehen und beschenken, obwohl er christlichen Glaubens ist. Insbesondere die Toleranz gegenüber den drei Religionen zieht sich durch das ganze Stück. Am deutlichsten ist dies jedoch in der Ringparabel zu erkennen (III/7; 1912-2054). Die Person, die zu dieser Zeit fähig ist, eine solche Aussage vor dem mächtigen Sultan Saladin zu machen, und es zudem noch schafft denselbigen von der Argumentation zu überzeugen (vgl. Argument III. 2.), ist an Weisheit und Intelligenz kaum zu übertreffen. Als letztes Argument zugunsten der Rolle Nathans als Erzogener ist sicherlich die Hilfsbereitschaft gegenüber seinen Mitmenschen zu erwähnen. Diese ist sowohl im materiellen Sinn sowie auf ethischer Basis vorhanden. So lässt Nathan dem Sultan in II/9 Beutel voll Geld bringen, obwohl ihn Al-Hafi, der ehemalige Derwisch, warnt: „ ...wie er Euch von Tag zu Tag, aushöhlen wird bis auf die Zehen.“ (II/9; 1447/8)
Daraus kann man schließen, dass Nathan sein Reichtum kaum etwas bedeutet. Auf ethischer Basis ist meiner Meinung nach vor allem die Aufnahme der Christin Recha als Säugling der entscheidende Akt der Hilfsbereitschaft, in der auch die Toleranz zugunsten der Konfessionen wieder starken Einfluss hat.
III. Nathan als Erzieher. In Lessings dramatischen Gedicht gibt es zwei Personen, die Nathan in positiver Weise (um)erzieht.
1) Einmal den Tempelherrn, der eigentlich Curd von Stauffen, bzw. Leu von Filnek heißt. Dieser ist zu Beginn äußerst überheblich und vor allem antisemitisch eingestellt. „... Auch laßt den Vater mir vom Hals. Jud‘ ist Jude.“ (I/6; 776) und „ ... und wenn’s auch nur das Leben einer Jüdin war“ (II/5; 1218/9) sind zwei sehr gute Beispiele, die die Intoleranz diese jungen Christen beschreiben. Im Verlauf des Gesprächs mit Nathan (II/5) ändert er seine Meinung immer mehr ins positive, da es Nathan perfekt versteht, ihn durch geschickte Wortwahl und Formulierungen zum Nachdenken zu bringen und er überraschend einsieht, wie recht Nathan mit seinen Beispielen hat. „Bald aber fängt der Jud‘ an mich zu verwirren“ (II/5; 1254/5).
Am Ende schämt er sich, „ihn einen Augenblick verkannt zu haben“ (II/5;1316/7) und schlägt vor, „Freunde zu werden“ (Z.1318). So hat es Nathan geschafft, Christen- und Judentum, zumindest in diesem Fall glücklich zu vereinen, und bestehende Vorurteile zu vernichten. 2) Obwohl der Sultan Saladin im Vergleich zu anderen Herrschern zur Zeit der Kreuzzüge eine durchaus fortschrittliche und friedliche Politik betreibt (II/1; 845), ist seine geistige Aufklärung noch lange nicht beendet. Das wesentlichste Detail der Erziehung ist die Ringparabel (III/7; S.71-75) mit der Kernaussage „der echte Ring vermutlich ging verloren...so glaube jeder sicher seinen Ring den echten“, die Nathan Saladin auf die Frage „was für ein Glaube, was für ein Gesetz hat dir am meisten eingeleuchtet?“ (III/5. 1840/1) antwortet. Diese Allegorie zeigt an einem ebenso simplen wie genialen Beispiel auf, dass es die wahre Religion nicht gibt. Saladin ist stark beeindruckt „Bei dem lebendigen! Der Mann hat recht. Ich muss verstummen.“ (S.74/1991) und begeistert „Herrlich ! Herrlich !“ (S.75/2028). Auf die Frage, ob er sich für den Richter über die drei Religionen halte, verneint der Sultan heftig (III/7;S.76). Damit wird klar, dass Saladin einsieht, nicht über andere Religionen richten zu dürfen und Menschen nicht wegen ihrer Konfession zu verachten. Somit war die Erziehung durch Nathan ein voller Erfolg, und man kann den Sultan nun als aufgeklärten Herrscher bezeichnen, der sich aus seiner „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ befreit hat, indem er von Rationalismus, Empirismus, Humanität und Toleranz Gebrauch macht.
IV. Ein weiterer, für mich sehr wichtiger Punkt, Nathan der Weise als ein Drama über Erziehung zu betrachten, ist, dass Lessing es schafft, die Leser zum Nachdenken anregt. Durch die Handlungsweise der einzelnen Charaktere, bekommt der Leser einen gewissen Bezug zur „Realität“ und setzt sich damit auseinander. Außerdem ist es verblüffend, wie viel Antisemitismus es bereits zu dieser Zeit gab. Am einprägsamsten ist hierbei sicherlich der Patriarch und vor allem der Satz „Tut nichts! Der Jude wird verbrannt“(IV/2; 2546) der sieben mal wiederholt wird. Kaum zu glauben, wie wenig sich in diesen 850 Jahren verändert hat (vgl. Joseph Goebbels Ausspruch von 1937: „ ...Diese Judenpest muss ausradiert werden. Ganz und gar. Davon darf nichts übrig bleiben !“), und wie wenig die Menschheit aus der Aufklärung gelernt hat. Respekt, Toleranz und vor allem dass man seinen eigenen Verstand benutzen soll, waren in der Zeit zwischen 1933 - 1945 und auch danach Fremdwörter und werden es wahrscheinlich auch in Zukunft für einige bleiben. Dadurch, dass der Leser beginnt darüber nachzudenken, dass die Geschichte zeitlos ist, und man aus ihr einiges an Toleranz lernen kann, versucht Lessing auch diesen positiv zu beeinflussen/ zu erziehen.
V. Kurz vor seinem Tod im Jahr 1781 schrieb Lessing die programmatische Schrift „Die
Erziehung des Menschengeschlechts“, in der er davon ausgeht, dass die offenbarten Religionen nur Übergangsstadien zu einer weltumfassenden Vernunftreligion sind (S.31/T7). Außerdem geht er wie im Nathan davon aus, dass es die wahre Religion nicht gibt. In den ersten fünf Paragraphen beschreibt er die Erziehung (vgl. Argument B.I), und kommt zu dem Ergebnis, dass jeder intelligente Mensch sich selbst erziehen könnte, es jedoch schneller und einfacher geht, wenn ihm jemand dabei hilft. So geschieht es auch beim Weisen Nathan. Nathan ist hierbei den schwereren Weg gegangen, in dem er sich seine Toleranz höchstwahrscheinlich selbst anerzogen hat, und durch seine Weisheit nun die Erziehung anderer einleitet bzw. beschleunigt (siehe II und III 1,2).
VI. Ein weiteres Indiz, Nathan der Weise als aufgeklärtes Erziehungsdrama zu bezeichnen ist in der Person des Autors, G.E. Lessing zu suchen. Bereits in seiner Studienzeit kam er mit den Gedanken der Aufklärung in Berührung und nahm sich ihrer an. Er veröffentlichte diverse religionskritische Texte, unter ihnen die Wolfenbüttler Fragmente des Reimarus (1774 - 1778), die zu einem dauerhaften Streit mit dem Hamburger Hauptpastor Goeze führten. Am Ende stand das Verbot, welches Lessing die Veröffentlichung religiöser bzw. religionskritischer Texte verbat. Doch Lessing schwieg nicht. Er wandte sich zwar tatsächlich von der Publizistik religiöser Schriften ab, setzte seine Gedanken nun jedoch in literarischer Form um. „Ich muss versuchen, ob man mich auf meiner alten Kanzel, dem Theater, wenigstens noch ungestört will predigen lassen“ hat er dazu einmal gesagt. Kurze Zeit später schuf er sein letztes dramatisches Werk, Nathan der Weise, und brachte so seine religiösen Gedanken unter das Volk. So ist die Ringparabel ein Gleichnis, dass erziehen soll, indem man die Bildhälfte entschlüsselt und so wieder auf Gott und die drei Offenbarungsreligionen kommt. Bei der Kernaussage „der echte Ring vermutlich ging verloren ... so glaube jeder seinen Ring den echten“ hat er die beiden Hälften in Abständen gesetzt, damit es nicht all zu offensichtlich ist, dass auch hier Religionskritik beinhaltet ist.
C) Obwohl auch Johann Christoph Gottsched (1700 - 1766) ein wichtiger Vertreter der deutschen Aufklärung ist, ist der Unterschied zu Lessing doch gewaltig. Während Gottsched weiter an der Ständeklausel in der Literatur festhielt, wonach in der Tragödie und im Staatsroman nur Adelige als Handelnde auftreten sollten, war Lessing der Begründer des bürgerlichen Trauerspiels (Miss Sara Sampson(1755) und Emila Galotti(1772)), in der Nichtadelige die Hauptrolle spielen. Somit war Lessing von tragender Bedeutung für die Literatur des frühen Sturm und Drang, in der u.a. Friedrich Schillers Meisterwerk „Kabale und Liebe“ (1782), das bürgerliche Trauerspiel überhaupt, entstand.
- Quote paper
- Alex Schmidt (Author), 1999, Lessing, G. E. - Nathan der Weise - ein Erziehungsdrama?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95704
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