Gliederung
1 Einleitung
2 Autor und Rezipienten
2.1 Wertmaßstäbe und Intentionen Brants
2.2 Wertmaßstäbe und Weltbild der Rezipienten
3 Didaktik
3.1 Der Text
3.1.1 Entstehung
3.1.2 Zur Didaktik des Textes
3.2 Die Holzschnitte
3.2.1 Entstehung
3.2.2 Die didaktische Funktion der Holzschnitte
3.3 Das Gewicht der Brantschen Didaktik
4 Verwendete Literatur
1 Einleitung
Ziel dieser Hausarbeit ist es, die neuen Ideen und Besonderheiten der Didaktik, die dem "Narrenschiff" Sebastian Brants zugrunde liegen, darzustellen, um so den Erfolg dieses Werkes zu seiner Zeit plausibel zu machen, den es in erster Linie dem Gewicht der Brantschen Didaktik verdankt. Das "Narrenschiff" ist als Synthese zweier Darstellungsformen anzusehen, die jeweils für sich einer Betrachtung zu unterziehen sind. Dies sind - neben dem eigentlichen Text inklusive der Mottoverse - die, vermutlich nicht von Brant stammenden, Holzschnitte. Eine Analyse des Gesamtwerkes muß also sowohl werk- wie auch autorenimmanente Aspekte berücksichtigen, die biographischen Daten Brants werden allerdings als bekannt vorausgesetzt. Auf sie soll im folgenden nicht weiter eingegangen werden.
2 Autor und Rezipienten
2.1 Wertmaßstäbe und Intentionen Brants
Sebastian Brants Denkweise blieb nach Manfred Lemmer1 "stets wesenhaft mittelalterlich2 ", obgleich er "in einer Zeit lebte, in der sich große geistige und soziale Umbrüche anbahnten3 ". So findet sich beispielsweise ein Holzschnitt, der "von erfarung aller land4 " (von der Erforschung der Welt) heißt, und in dem heftige Kritik an denjenigen geübt wird, die "mit Hilfe des menschlichen Verstandes nach Erkenntnis suchen, was Brant als Torheit hinstellt. Er empfiehlt diesen Menschen, sich selbst zu erforschen und [statt des als Kreis auf den Boden gezeichneten Bildes der Welt] zu messen, wieviel Raum ihnen künftig im Grabe zur Verfügung stehen werde. Mit dieser Wissenschaftsfeindlichkeit verrät der Autor, daß in ihm noch ein gut Teil Mittelalter lebendig ist5 ". Brant war ein christlich-religiöser Mensch, der die Macht der Kirche als universal kompetente Institution betrachtete, und der immer versuchte, ihre Macht zu stützen.
Im Streit zwischen der Kirche in Rom und dem kritischen Dominikaner Andreas von Krain, der in den 1480er Jahren auf das Schärfste gegen das römische Mißregiment zu Felde zog, stand Sebastian Brant fest "auf der Seite des Papstes und verteidigte seine Autorität als Führer der Christenheit. Trotz seiner Kritik an Pfründenhäufung, Ämtermißbrauch und mangelndem Pflichtbewußtsein der Geistlichen, der Geldgier der Klöster und Orden und dem Reliquienunwesen der Zeit, hielt er unerschütterlich am Dogma der Kirche und ihren hierarchichischen Strukturen fest6 ".
Die Weltanschauung Sebastian Brants unterscheidet sich nur geringfügig von der der übrigen spätmittelalterlichen Gesellschaft. Der Erfolg des "Narrenschiffs" dürfte also auch darin begründet sein, daß die Rezipienten dort vor allem eine Bestätigungihrer eigenen Werte erfahren konnten.
2.2 Wertmaßstäbe und Weltbild der Rezipienten
Auch Brants Rezipienten waren in ihren alltäglichen Handlungen sehr stark von der Religion geprägt. Durch den mächtigen Einfluß der Kirche auf jede gesellschaftliche Entwicklung hatte die Religion großen Anteil am Leben der Menschen. "Die Kirchenglocken begleiteten sie von der Geburt bis zum Tod, markierten die Stationen ihres Lebens und unterteilten ihre Tage. Alle ihre sozialen Beziehungen, ihre Arbeit und ihre Feste waren in irgendeiner Weise mit religiösen Vorstellungen verbunden7." Heiligen-, Reliquienkult und Aberglaube prägten das Weltbild der Menschen an der Wende zur Neuzeit.
Zugleich waren Mißstände in der Kirchenpolitik offensichtlich und wurden auch kritisiert. Geradezu prophetisch sagt Brant der Kirche, der er ansonsten treu ergeben war, einen "Sturm", die spätere Bewegung der Reformation, voraus:
Sant Peters schyfflin ist jm schwangk Ich sorg gar vast den vndergangk Die waellen schlagen all sytt dran Es würt vil sturm vnd plagen han8
Neben der kirchlichen Misere gab es zugleich eine politische, denn das Reich war wirtschaftlich und militärisch schwach, eine Wiederkehr des starken Kaisers Friedrich "Barbarossa" wurde allgemein herbeigesehnt, der Ertrunkene mehrfach - auch zu betrügerischen Zwecken - lebendiggesagt. Jeder neue Kaiser sah sich dieser gesellschaftlichen Erwartung und sehnlichen Hoffnung gegenüber, doch jeder enttäuschte sie aufs Neue. Da eine hohe Sterblichkeit auch lange nach schweren Heimsuchungen wie der Pest(1348/49) für die Menschen des späten Mittelalters nach wie vor zum Alltag gehörte, kannte diese Gesellschaft kein Todestabu.
Die Zeit der gesellschaftlichen und geistlichen Instabilität stellt möglicherweise einen Grund für den Erfolg Brants "Narrenschiffs" dar; hier werden sehr unterschiedliche Bereiche der spätmittelalterlichen Gesellschaft in ihren Problematiken thematisiert, was einen breiten Zugang der Rezipienten sichert, zugleich mögen schwere Zeiten das Bedürfnis nach einem "moralischen Rundumschlag" wie dem "Narrenschiff" geweckt haben.
Auch die großen Unterschiede in der Bildung der Bevölkerung stellten erstaunlicherweise für den Erfolg des Werkes kein Hindernis dar, denn große Teile der Bevölkerung waren ungebildet und des Lesens gar nicht mächtig, andere, wie Erasmus von Rotterdam oder Brant selbst, hochgebildete Humanisten.
Das geschilderte Weltbild der Rezipienten läßt darauf schließen, daß deren Zugang zu dem Werk Brants vor allem über die christliche Religion erfolgt, biblische Inhalte wie Schöpfungsgeschichte und Sündenfall sind bereits Grundlage moralischer Ansichten und Verhaltensweisen der mittelalterlichen Gesellschaft und werden als solche sehr ernst genommen und zum Gegenstand didaktischer Konzeption gemacht. Immer wieder - auch bei Brant - findet sich das zentrale Motiv der Schuld, abgeleitet aus dem biblischen Sündenfall des Menschen (siehe auch Kapitel 3.1.2 Zur Didaktik des Textes).
Den Rezipienten des "Narrenschiffs" wird, ans kirchliche Dogma anknüpfend, die Fehlbarkeit des Menschen und der Verlust der Gnade Gottes, die allein durch rechtes moralisches und gesellschaftliches Verhalten verdient werden kann, vor Augen geführt. Der Mensch kann nur durch Reue und Buße Vezeihung bei Gott finden, auf daß sein Leib an der Unsterblichkeit der Seele teilhabe.
3 Didaktik
Das "Narrenschiff" ist, didaktisch gesehen, ein Medium und besteht aus zwei Darstellungsformen, den Textpassagen in Vers- oder Mottoform und den Holzschnitten. Eine didaktische Analyse des "Narrenschiffs" muß sich neben einer Betrachtung des Textes auch mit den Holzschnitten beschäftigen, sebst wenn deren Autor - was mit großer Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt werden kann - nicht mit Sebastian Brant identisch ist.
3.1 Der Text
3.1.1 Entstehung
Das "Narrenschiff" erscheint, thematisch passend, zur Fastnacht 1494 bei Bergmann von Olpe in Basel und wird noch im Erscheinungsjahr in Augsburg, Reutlingen und Nürnberg nachgedruckt. Ab 1499 erscheinen diverse Raubdrucke. Den Gelehrten Europas wird das Werk durch eine lateinische Übersetzung bekannt, die Brants Schüler Jakob Locher anfertigt (1497). Bis heute sind etwa sechshundert Übersetzungen nachweisbar, bis zur Jahrhundertwende (1500) existierten bereits neben der lateinischen eine niederdeutsche, eine französische und eine niederländische.
Das "Narrenschiff" wurde zu "einem der größten Bucherfolge der europäischen Kulturgeschichte9 " und machte Sebastian Brant "schlagartig zum berühmtesten Dichter seiner Zeit10 ".
3.1.2 Zur Didaktik des Textes
Der gebildete Humanist Brant bedient sich unterschiedlicher Quellen, deren höchsten Rang jedoch klar die Bibel einnimmt. Mindestens eine, meistens aber gleich mehrere Bibelstellen - diese vor allem aus den Büchern des alten Testaments - werden zu den einzelnen Kapiteln angeführt. Die humanistische Rezeption der Antike tritt durch klassische römische Autoren wie Ovid, Juvenal oder Vergil zu Tage, biblische Könige und Propheten erscheinen neben Feldherrren und Kaisern des Altertums und den Helden der antiken Mythologie, z.B. im Kapitel "Von vnbesinten narren11 "(Von unbesonnenen Narren):
Der ist mit Narheyt wol vereynt
Wer spricht, das hett jch nit gemeint
Dann wer bedenckt all dyng by zyt
Der satlet wol, ee dann er rytt
Wer sich bedenckt noch der gedat
Des anslag gmeynklich kumbt zuo spat,
Wer jnn der gdat guot ansleg kan
Der muoß syn ein erfarner mann
Oder hat das von frowen gelert
Die synt sollchs rates hochgeert,
Het sich Adam bedocht vor baß
Ee dann er von dem appfel aß
Er wer nit von eym kleynen biß
Gestossen vß dem Paradiß,
Hett Jonathas sich recht bedacht,
Er hett die goben wol veracht
Die jm Tryphon in falscheit bot
Vnd jn erschluog dar noch zuo dot,
Guot anschleg kund zuo aller zyt
Julius der keiser, jn dem strit,
Aber do er hat frid vnd glück
Sumbt er sich an eym kleynen stuck
Das er die brieff nit laß zuo hant
Die jm in warnung worent gsant,
Nycanor vberschluog geryng
Verkoufft das wyltpret, ee ers fyng
Sin anschlag doch so groeplich faelt
Zung, handt, und grynt man jm abstraelt
Guot anschlaeg die sint allzyt guot
Wol dem, der sy by zyten duot
Mancher ylt, vnd kumbt doch zuo spot
Der stoßt sich bald, wem ist zuo not,
Wer Asahel nit schnell gesyn
Abner hett nit erstochen jn
In diesem 12. Kapitel des "Narrenschiffs" werden biblische und antike Beispiele Seite an Seite angeführt: Julius Caesar, römischer Kaiser, der 44 v. Chr. ermordet wurde, Adam, der erste Mensch, der schnelle Asahel, der im Bruderkrieg zwischen Israel und Juda zu Davis Zeiten aufgrund seiner ständigen Verfolgung Abners von diesem erschlagen wurde. Zwei weiter Beispiele entstammen aus den Makkabäerbüchern, die Brant und seinen Zeitgenossen geläufg waren: Zum ersten der von Tryphon überlistete und ermordete Hohepriester Jonathan und zum zweiten Nikanor, der Juden, die er nicht besaß, verkaufen wollte. Brant nutzt das Anführen all dieser Quellen, um unter Ausnutzung des damaligen Autoritätenglaubens seine Lehren als übezeugend und richtig darzustellen12.
Als gelehrter Jurist fügt Brant auch Zitate aus den Dekretalen des kanonischen Rechts ein, ferner bemüht er die spätmittelalterliche Lehrdichtung und diverse volkstümliche Sprichwörter.
Das "Narrenschiff" ist "Zu nutz vnd heylsamer ler" gedacht. "Damit rückt es in die Nähe der Sittenpredigt, deren Absicht es teilt. Die angestrebte Besserung des Menschen schien nötig, denn seit dem Sündenfall schien er den Einflüsterungen des Teufels ausgesetzt13 ". Aus diesem Grunde spielte die didaktische Literatur "bei der Normierung und Festigung von Verhaltensformen14 " eine wichtige Rolle. Gudrun Aker bezeichnet sie als ein "Medium der sozialen Ordnungssuche15 ".
Wer das Christentum ablehnt, ist Sünder und Narr zugleich. Als Narren werden daher von Brant auch alle Völker bezeichnet, die nicht den "rechten" Glauben haben, z.B. "Juden, Türken, Sarazenen oder die Hussiten in Böhmen16 ":
Als Saracenen, Türcken, Heyden All die vom glouben sint gescheyden Den glich ich ouch, die kaetzer schuol Die haltt zuo Prag, den narren stuol Vnd hat gespreit vß jren standt Das sie ouch hat yetz Maerrhern landt Die wuest jnn die narren kappen trette Glich wie all die anders an betten Dann dry person, eyn woren gott Den vnser glooub ist wie eyn spott17
Das "Narrenschiff" weist aber neben der geistlich-moralischen Seite auch noch eine weltlichpolitische auf.
"Weil Fürsten, Herren und Städte ihre Pflichetn gegenüber dem Reich vernachlässigten und seinen Feinden [den Türken, Ungarn und Franzosen, Anm.] nicht entschieden genug gegenüberträten, könnten die Türken immer weiter vordringen und eines Tages mit Rom die Hauptstadt der Christenheit bedrohen18 ".
Jetz sint die Türcken also starck Das sie nit hant das mer alleyn Sunder die Tuonow ist jr gemeyn Vnd duont eyn jnnbruch, wann sie went Vil bystum, kyrchen sint geschent Jetz grifft er an Apuliam Dar noch gar bald Siciliam Italia die stoßt dar an So würt es dann an Rom ouch gan19
3.2 Die Holzschnitte
3.2.1 Entstehung
Folgende Reihenfolge der Entstehung wird vermutet:
- Schaffung der Kapitelverse durch Brant
- Schaffung der Holzschnitte durch mehrere Künstler, der Brant kommentierend beiwohnte
- Nachträgliche Verbindung zwischen Text und Holzschnitt: Schaffung der Mottoverse durch Brant
Die Forschung ist sich ziemlich sicher, daß mehrere Reißer an der Schaffung der Bilder beteilgt waren, darunter ein dominierender Hauptmeister und dann noch drei oder vier andere Reißer, die sich -"nach Grad und Können unterschiedlich - der Art des Hauptmeisters anzunähern versuchten20 ". Da die Beschäftigung mehrerer Mitarbeiter zur Illustration eines Buches damals zumindest ungewöhnlich war, wird angenommen, daß der Hauptmeister nicht bis zur Fertigstellung des Buches zur Verfügung stand. Es gilt als wahrscheinlich, daß es sich bei diesem um Albrecht Dürer aus Nürnberg (21.5.1471 - 6.4.1528) handelte, denn dieser hielt sich zwei Jahre seiner vierjährigen Wanderschaft in oberrheinischen Städten (Kolmar, Basel und Straßburg) auf. Die Schellenreihe auf der Narrenkappe ist eine unauffällige Signatur des Hauptmeisters.
"Die Reißer standen vor der Aufgabe, einen Text in Bild umzusetzen, der inhaltlich nicht immer einheitlich war und aus einer Vielzahl von zitierten Beispielen in kasuistischer Reihenfolge bestand21 ". So geben einzelne Holzschnitte sehr genau den Inhalt wieder, andere knüpfen nur an eine Redewendung (Sprichwörter, sprichwörtliche Redensarten) oder an eine textliche Wendung an.
3.2.2 Die didaktische Funktion der Holzschnitte
"Vil narren / doren kumen dryn" "Der bildniß jch hab har gemacht Wer yeman der die gschrifft veracht Oder villicht die nit künd lesen Der siecht jm molen wol syn wesen Vnd fyndet dar jnn / wer er ist."22
Die Holzschnitte zum Narrenschiff dienen sowohl als Blickfang für jeden, im besonderen aber zur Darstellung des Textes in Bilderform, namentlich für den ungelehrtenBetrachter. In den Holzschnitten werden vier Formen menschlicher Gier thematisiert:
- Die Gier nach materiellem Besitz (5 Holzschnitte)
- Das Verlangen nach körperlicher Befriedigung und Lust (2 Holzschnitte) · Die Gier nach Ansehen und
- Die Gier des Menschen nach mehr Wissen (je 1 Holzschnitt)
Die unter dem ersten Punkt genannten Hozschnitte handeln von Geld- und Habgier23, vom Finden fremden Eigentums24, von den Spielern25, wie von nutzlosem Reichtum26. Kritisiert werden hier zum einen diejenigen, die bereits Reichtümer angehäuft haben, und die sich weigern, anderen davon etwas zuteil werden zu lassen; auf der anderen Seite aber auch solche, die nichts haben, aber alles besitzen wollen. So ist beispielsweise in dem mit "vongytikeit" überschriebenen Holzschnitt27 nicht nur der habgierige Reiche mit den Insignien des Narren ausgestattet, sondern auch einer der zwei Bettler. In den das menschliche Verlangen nach Befriedigung körperlicher Triebe betreffenden Holzschnitten "von buolschafft28 " (von der Buhlerei) und "von fullen und prassen29 " (von Völlerei und Prassen) tadelt Brant die menschliche Anhänglichkeit an die vergängliche "Weltlust" sowie falsches Maßhalten beim Essen und Trinken als eine Narrheit, die Körper und Geist verdirbt.
Brants Sprache ist bildreich, was eine Darstellung abstrakter Begriffe wie "Wollust", "Geldheirat", "Selbstvergessenheit" und "Gottesverachtung" natürlich sehr erleichtert. Vielfach wurde die Verbindung zwischen Bild und Text erst nachträglich durch die Mottoverse hergestellt.
Einige Holzschnitte beziehen sich zwar auf antike Mythen, setzen aber deren Kenntnis zum Verstehen der Aussage nicht zwingend voraus. So knüpft beispielsweise der Holzschnitt, dessen Motto "nitt wellen eyn nar syn30 " (Ein Narr sein, aber es nicht wahrhaben wollen) lautet, an die antike Geschichte von Marsyas, dem phrygischen Silen, an, der sich vermessen in einen musikalischen Wettstreit mit Apollon eingelassen hatte, dabei besiegt und zur Strafe gehäutet worden war.
Ein gebildeter Betrachter wird diese Beziehung erkennen, ein wenig Gelehrter vermag die Aussage des Holzschnittes aber gleichfalls zu verstehen, da hier, auch durch den Mottovers "nitt wellen eyn nar syn" verdeutlicht, klar erkennbar ist, für welche Torheit der Narr bestraft wird.
3.3 Das Gewicht der Brantschen Didaktik
Folgende fünf Punkte machen im wesentlichen das Gewicht der Brantschen Didaktik im "Narrenschiff" aus:
1. Bestätigung der Werte und des Weltbildes des Publikums
2. Lieferung eines Erklärungsmusters für den als instabil empfundenen Zustand der Gesellschaft
3. Allgemeine Verständlichkeit des Narrentypus
4. Abmilderung rhetorischer Schärfe und weitgehender Verzicht auf düstere Visionen von Strafen (Hölle, Unglück, etc.) für menschliche Unzulänglichkeiten
5. Erreichung breiter Schichten der Bevölkerung durch Einsetzen von Text- (Verse, Motto) und Bilddarstellungsform
Gero von Wilpert räumt Brant im "Sachwörterbuch der Literaturwissenschaft31 " eine besondere Bedeutung der "Einleitung der Hochblüte" der Narrenliteratur ein. Erst der Brantsche Narr konnte, im Gegensatz zu dem nur regional begreifbaren, meist abstoßenden Narren der Fastnächte durch inhaltliche Beschreibung eine allgemeine Zustimmung über den deutschen Sprachraum hinaus erzielen. Diese Ansicht wird allgemein geteilt. Der universalen didaktischen Zielsetztung wird ein formales Konzept hinzugefügt, das es einem breiten Publikum, d.h. sowohl Gelehrten als auch weniger Gebildeten und selbst jenen noch, die des Lesens nicht kundig sind, ermöglicht, die wesentlichen Aussagen und das zugrunde liegende didaktische Prinzip zu verstehen. Das Verständnis der Narrenfigur des "Narrenschiffs" ist nicht regionengebunden, da es sich nicht um einen "Lokal"-Narren, sondern um einen "Universal"-Narren handelt, der überall verstanden wird, und der nachBrant als Typus literarisch weitergeführt wurde.
Die Zusammenfassung menschlichen Versagens und Fehlverhaltens unter dem Begriff der Narrheitund das konsequente Verweisen auf den Narren als Symbolgestalt für das Abweichen von den durch göttliche Offenbarung und Vernunft gesetzten Normen der mittelalterlichen Gesellschaft geschieht erstmals bei Sebastian Brant, vorher bekannte Narrengestalten können als Randerscheinungen bezeichnet werden, die in ihrer außerliterarischen Tradierung deutliche Züge einer tiefen Verwurzelung im Brauchtum des Volkslebens zeigen32.
Im Gegensatz dazu hat sich der Brantsche Narr von der überlieferten "sozialen und literarischen Randfigur zu einem Erklärungsmuster für das Chaos in der Welt33 " entwickelt, er ist ein "Prototyp34 " der Menschen seiner Epoche.
Was aber macht den eigentlichen didaktischen Wert des "Narrenschiffs" aus? Zunächst einmal liefert Brant, wie bereits angedeutet, ein alle Menschen umfassendes "existentielles Phänomen", die Allgemeinheit der Narrheit. Daraus resultiert zugleich die allgemeine Verständlichkeit der Narrengestalt mit großer Breitenwirkung.
"Der neue literarische Typus des Narren verdankte der Tatsache, daß er organisch aus dem Fundus weit verbreiteten Brauchtums erwachsen konnte, seine allgemeine Verständlichkeit35 ". Der Narr ist Symbolfigur zur Kennzeichnung menschlicher Unvollkommenheit und sündigen Fehlverhaltens und somit eine Negativ-Figur; er wird zum "religions-pädagogischen Typus [...] mit der didaktischen Funktion, die Menschen zu lehren, zu bessern und den Sinn des Daseins zu deuten36 ". An dieser Stelle ist dem Narrenthema erstmals eine komplexe weltanschauliche Bedeutung zugewiesen worden, "in der Möglichkeiten philosophischer Daseinsdeutung und instrumental-lehrhafte Tendenzen angelegt waren37 ". Tatsächlich machte ja der Prediger des Straßburger Münsters, Geiler von Kaisersberg, über ein Jahr hinweg, beginnend mit der Fastenzeit 1498 bis Ostern 1499, die "nutzlich ler"38 der Kapitel von Brants Werk zur Grundlage seiner Predigten. Sucht man nach "Überschneidungen" didaktischer Zielsetzungen der christlichen, universalen, Lehre bzw. Ethik und Brants "Narrenlehre", so stößt man auf das gleiche Ziel innerhalb zweier Größenordnungen: In der christlichen Lehre - wie auch im "Narrenschiff" - geht es um die zentrale Frage des Menschen, wie er sich moralisch (und zugleich gesellschaftlich) richtig verhalten soll. Menschen versuchen seit jeher, formulierte Kriterien für ihr Handeln und eine "angemessene Haltung gegenüber den Herausforderungen des Alltags39 " zu suchen und über diese nachzudenken. Brant liefert mit dem "Narrenschiff" in origineller und unterhaltend- witziger Form diese formulierten Handlungskriterien, er verzichtet dabei jedoch auf düstere Visionen von Strafen (Hölle, Unglück, etc.) und mildert rhetorisch-didaktische Schärfe ab. "Was den Autor des >Narrenschiffs< von den Moralpredigern vor ihm vorteilhaft unterscheidet, ist seine mildere Sicht menschlicher Unzulänglichkeit; er brandmarkt sie nicht in scharfem Ton als Laster, er huldigt auch nicht einer düsteren Schreckensmoral mit Ausmalung ewiger Höllenstrafen, sondern nennt die moralischen Schwächen Torheiten; er beurteilt sie als Folge mangelnder Verstandesbildung40 ".
Obwohl der Autor des "Narrenschiffs" statt vorbildlichem Verhalten durchgehend Negativ- Beispiele menschlichen Tuns zeigt, sieht Manfred Lemmer Brant von "einem herzerfrischenden Erziehungsoptimismus durchdrungen". Wichtigstes erzieherisches Ziel müsse es sein, die Narrheit abzuschütteln. "Verderblich ist ihm weniger das Narrsein als das Narrbleiben, das heißt, die hartnäckige Verstocktheit des Menschen und sein Beharren bei der Narrheit41 ".
4 Verwendete Literatur
Quellen:
Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Nach der Erstausgabe (Basel 1494) mit den Zusätzen der Ausgabe von 1495 und 1499 sowie den Holzschnitten der deutschen Originalausgabe. Hrsg. von Manfred Lemmer. Tübingen 1986.
Darstellungen:
Aker, Gudrun: Narrenschiff. Sebastian Brant und seine Zeit. Stuttgart 1990.
Baschnagel, Georg: "Narrenschiff" und "Lob der Torheit". Zusammenhänge und Beziehungen. Frankfurt a.M.1979.
Lemmer, Manfred (Hrsg.): Die Holzschnitte zu Sebastian Brants Narrenschiff. Leipzig 1964. Weddige, Hilkert: Einführung in die germanistische Mediävistik. München 1987. Wilpert, Gero von: Sachwörterbuch der Literatur. 6.Auflage. Stuttgart 1979.
[...]
1 Lemmer, Manfred (Hrsg.): Die Holzschnitte zu Sebastian Brants Narrenschiff. Leipzig 1964.
2 Ebenda, S. 149.
3 Ebenda.
4 Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Kap. 66
5 Lemmer, S. 149.
6 Aker, Gudrun: Narrenschiff. Sebastian Brant und seine Zeit. S. 71
7 Aker, S. 22
8 Narrenschiff, Kap. 103, V. 63 ff.
9 Aker, S. 82
10 Ebenda.
11 Narrenschiff, Kap. 12
12 Nach heutigen Maßstäben etwa vergleichbar mit dem Berufen auf bekannte Sekundärliteratur in Form von Fußnoten, also sogenanntem "wissenschaftlichen" Arbeiten etwa nach Weddige, Hilkert: Einführung in die germanistische Mediävistik. München 1987. S. 318 - 320.
13 Aker, S. 92
14 Aker, S. 92
15 Ebenda.
16 Ebenda, S. 86
17 Narrenschiff, Kap. 98, V. 9ff.
18 Aker, S. 107
19 Narrenschiff, Kap. 99, V. 50ff.
20 Lemmer, S. 127
21 Ebenda, S. 128
22 Narrenschiff, 'ein vorred' (V.24 ff.)
23 Lemmer, S. 3, 83
24 Ebenda, S. 20
25 Ebenda, S. 77
26 Ebenda, S. 17
27 Ebenda, S. 3
28 Narrenschiff, Kap. 13
29 Ebenda, Kap. 16
30 Narrenschiff, Kap. 67
31 Wilpert, Gero von: Sachwörterbuch der Literatur. 6.Auflage. Stutgart 1979. S. 538 f.
32 Nach Baschnagel, Georg: `Narrenschiff' und `Lob der Torheit`. Zusammenhänge und Beziehungen. Frankfurt a.M. 1979.
33 Aker, S. 82
34 Ebenda.
35 Baschnagel, S. 18
36 Ebenda, S. 18
37 Ebenda, S. 18
38 Narrenschiff, 'ein vorred' (V. 81)
39 Baschnagel, S. 19
40 Lemmer, S. 124
41 Ebenda, S. 125
- Arbeit zitieren
- Reinhard Schinka (Autor:in), 1992, Didaktik in Wort und Bild des "Narrenschiffs" von Sebastian Brant, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95641
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