Wer schläft im Kyffhäuser? Wir alle wissen es: Es ist Barbarossa (,,Rotbart"). Viele wissen weiterhin, dass es sich dabei um einen Spitznamen für den Stauferkaiser Friedrich I. handelt. Warum aber gerade dieser Kaiser (die Staufer sind Süddeutsche) nun in einem Thüringischen Bergrücken am Rande des Harzes sitzen soll, wo er auf den Tag wartet, an dem er Deutschland zur Einheit und zum Sieg führen soll, ist nur wenigen Zeitgenossen bekannt und soll Thema dieser Hausarbeit sein. Besonders berücksichtigt wird die Hochblüte der Stauferdichtung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, unter dem Blickwinkel eines Beispiels für Mittelalterrezeption im wilhelminischen Deutschland (im zwanzigsten Jahrhundert wird die Zeit bis 1915 mit einbezogen).
Neben den historischen Grundlagen wird auf die Entstehung der regionalen und gesamtdeutschen Sage vom wiedergekehrten Erretterkaiser ,,Friedrich" Bezug genommen, um den nachhaltigen Erfolg des Sagenstoffes im Deutschen Reich des 19. Jahrhunderts zu erklären, der unter anderem die Errichtung eines nationalen Monumentes auf den Resten der alten Kyffhäuserburg zur Folge hatte1.
Abschließend wird die bereits 1844 einsetzende Gegenbewegung (Heine u. a.) betrachtet, deren Autoren, von ihrem eher fortschrittlichen und weniger restaurativ-antidemokratischen Weltbild geleitet, dem Babarossa-Mythos vor allem mit ironisch-kritischen Beiträgen und Darstellungen Aufmerksamkeit zollten.
Gliederung
Kapitel
1 Einleitung
2 Die Friedrichssage und ihre historische Entstehung
2.1 Friedrich I.
2.2 Friedrich II.
2.3 Die Sehnsucht nach einem Friedenskaiser
3 Die Kyffhäusersage im 19. Jahrhundert
3.1 Verbindung der Barbarossasage mit der Kyffhäusersage
3.2 Die Entwicklung zur deutschen Volkssage
3.3 Die Jahre nach 1871
3.4 Die Gegenbewegung
Anhang
4 Verzeichnis der benutzten Quellen und Hilfsmittel
Man hat längst bemerkt: Je undeutlicher die Begriffe sind, die man von der Größe eines Mannes hat, desto mehr wirken sie auf das Blut und desto enthusiastischer wird die Bewunderung.
Georg Christoph Lichtenberg
1 Einleitung
Wer schläft im Kyffhäuser? Wir alle wissen es: Es ist Barbarossa (,,Rotbart"). Viele wissen weiterhin, dass es sich dabei um einen Spitznamen für den Stauferkaiser Friedrich I. handelt. Warum aber gerade dieser Kaiser (die Staufer sind Süddeutsche) nun in einem Thüringischen Bergrücken am Rande des Harzes sitzen soll, wo er auf den Tag wartet, an dem er Deutschland zur Einheit und zum Sieg führen soll, ist nur wenigen Zeitgenossen bekannt und soll Thema dieser Hausarbeit sein. Besonders berücksichtigt wird die Hochblüte der Stauferdichtung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, unter dem Blickwinkel eines Beispiels für Mittelalterrezeption im wilhelminischen Deutschland (im zwanzigsten Jahrhundert wird die Zeit bis 1915 mit einbezogen).
Neben den historischen Grundlagen wird auf die Entstehung der regionalen und gesamtdeutschen Sage vom wiedergekehrten Erretterkaiser ,,Friedrich" Bezug genommen, um den nachhaltigen Erfolg des Sagenstoffes im Deutschen Reich des 19. Jahrhunderts zu erklären, der unter anderem die Errichtung eines nationalen Monumentes auf den Resten der alten Kyffhäuserburg zur Folge hatte1.
Abschließend wird die bereits 1844 einsetzende Gegenbewegung (Heine u. a.) betrachtet, deren Autoren, von ihrem eher fortschrittlichen und weniger restaurativ-antidemokratischen Weltbild geleitet, dem Babarossa-Mythos vor allem mit ironisch-kritischen Beiträgen und Darstellungen Aufmerksamkeit zollten.
Die - zweifellos interessante - Rezeption der Kyffhäuserlegende im Dritten Reich ist nicht Gegenstand dieser Hausarbeit.
2 Die Friedrichssage und ihre historische Entstehung
Und ihm ward gegeben, zu streiten mit den Heiligen und sie zu überwinden; und ihm ward gegeben Macht über alle Geschlechter und Sprachen und Heiden.
Die Offenbarung des Johannes 13, Vers 7
2.1 Friedrich I.
Im Jahre 1189 brechen 350.000 Mann auf, um Jerusalem von der Herrschaft Sultan Saldins zu befreien. Nur 280.000 erreichen das Heilige Land.
Neben Philipp II. August von Frankreich und Richard von England (Beiname: Löwenherz) einer der Anführer, erlebt der 68-jährige deutsche Kaiser, Friedrich I., genannt ,, Barbarossa"
(Rotbart), den Ausgang des dritten Kreuzzuges nicht mehr, der 1192 mit dem Ergebnis der vertraglichen Zusicherung eines freien Zugangs zur Heiligen Stadt endet. Er ertrinkt am 10. Juni 1190 nach einer Mahlzeit beim Schwimmen im anatolischen Fluss Kalykadnus (Saleph). Sein Sohn, Herzog Friedrich von Schwaben, führt einen Teil des Heeres noch bis vor Akkon, wo auch er 1191 stirbt.
Friedrich I., dessen Machtgrundlage im Wesentlichen auf seinen staufischen Hausgütern, seinem Reichsgut und dem Umstand beruhte, dass er 1156 Beatrix, die Erbin von Hochburgund (Arelat) heiratete, hatte in sechs Italienzügen zwischen 1154 und 1186 zuletzt eher unglücklich agiert. Im fünften Italienzug (1174-78) verweigert ihm Heinrich der Löwe die Gefolgschaft, wofür dieser 1180 geächtet wird.
Durch ein Schisma regieren zeitweilig zwei Päpste (Alexander III. und Viktor IV.) nebeneinander. Friedrich I. gelingt es 1177, sich mit Alexander III. auszusöhnen. Im Jahr 1186 verbündet sich Papst Urban III. (1185-87) mit der norddeutschen Fürstenopposition, 1187 schließen Friedrich und Philipp II. August von Frankreich ein Bündnis; fortan stehen die Staufer und Capetinger den Welfen und Anjous gegenüber. Auf dem Reichstag zu Worms 1188 nimmt Friedrich dann das Kreuz.
Bis zu diesem Zeitpunkt deutet noch nichts darauf hin, dass eine Legendenbildung um den auf dem Kreuzzug verstorbenen Kaiser einsetzen könnte, in deren Folge er in ein einem thüringischen Berg auf die Einheit des Reiches warten würde. Dafür bedurfte es noch eines weiteren Kaisers Friedrich, von dem das nächste Kapitel handelt.
2.2 Friedrich II.
Auch die Geschichte Friedrichs II. (1194-1250) beginnt mit einem Kreuzzug, dem fünften (1228-29), auf dem sich der König von Sizilien und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches zum König von Jerusalem krönt und durch den er seine volle Macht trotz päpstlichen Bannes wiedergewinnt. Am 10. April 1229 kehrt Friedrich II. ins Reich zurück und landet in Brindisi. Seit dem Tode Friedrichs I. auf dem 3. Kreuzzug sind fast vierzig Jahre vergangen. Im Gegensatz zu seinem Großvater, der sich in einer unglücklichen Italienpolitik verzettelte, gilt Friedrich II. der Nachwelt als ,,strahlend-geniale Persönlichkeit" (Graus 1975, S. 339) und als ,,der erste moderne Mensch auf dem Throne" (Jacob Burckhardt2 ).
Schon als Zweijähriger war Friedrich im Dezember 1196 in Frankfurt am Main von deutschen Fürsten zum König gewählt worden. Das verwaiste Kind von Heinrich VI. wächst am sizilianischen Hof in einer arabisch-jüdisch-byzantinisch-normannischen Mischkultur auf.
Der minderjährige König verzichtet in Deutschland zunächst auf wichtige Königsrechte; sprachgelehrt diskutiert er an seinem Hof mit arabischen und jüdischen Gelehrten in ihren Muttersprachen, er interessiert sich für Architektur und erschafft eine jahrhundertelang vorbildliche Staatsverwaltung. Friedrich II. entwirft im Laufe seines Lebens eigenhändig ,,an die zweihundert Kastelle, Lustschlösser und Jagdhäuser auf Sizilien, in Kalabrien, im Elsaß und den Triumphbogen von Capua"3. Seinem Wissensdurst scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein: Er legt einen Zoo mit exotischen Tieren an, in dem er ihr Verhalten studieren kann, züchtet Falken und schreibt darüber ein Buch, das er selbst illustriert. Neben einer Korrespondenz mit Wissenschaftlern, Philosophen, Sultanen und Emiren führt er - aus heutiger Sicht unethische - Experimente durch, die noch von mittelalterlichen Exzessen Zeugnis ablegen:
¬ Um eine vermutete ,,Ursprache" der Menschen - der Kaiser vermutet Hebräisch, Arabisch oder Griechisch - zu entdecken, müssen Kleinkinder, die ihren Müttern weggenommen werden, sterben (am so genannten Hospitalismus, wie wir heute wissen).
¬ Ein Mann wird lebend in ein Fass eingeschlossen, um zu erfahren, ob seine Seele beim Tod entweichen würde.
¬ Um die unterschiedliche Verdauung nach Ruhe und Bewegung zu erforschen, müssen zwei Männer ihr Leben lassen, denen der Bauch aufgeschnitten wird.
Der Kaiser bricht im August 1227 zum 5. Kreuzzug auf, kehrt wegen einer Krankheit jedoch um und wird daraufhin von Papst Gregor IX. gebannt, der ihn als ,,König der Pestilenz" bezeichnet 4. Im Juni 1228 macht sich Friedrich II. mit 70.000 Männern trotz Bannes erneut auf den Weg nach Jerusalem - diesmal erfolgreich. Der Kaiser finanziert das Kreuzzugsheer und trägt die alleinige Verantwortung. Im Jahr 1230 söhnt er sich zunächst mit dem Papst aus - die Eintracht währt 15 Jahre, bis Friedrich II., auf dem Gipfel der politischen Machtprobe zwischen Reich und Kirchenstaat, mit Papst Innozenz IV., Nachfolger Gregors IX., in Streit gerät, der ihn am 12. Juli 1245 auf dem Konzil von Lyon für abgesetzt erklärt. Friedrich ist überzeugt, lediglich einen politischen - keinen religiösen - Kampf verloren zu haben und beteuert immer wieder seine Rechtgläubigkeit.
Als eine solchermaßen umstrittene Persönlichkeit wurde der Kaiser von Anhängern und Gegnern schon zu Lebzeiten in eschatologische Zusammenhänge eingereiht5.
Der süditalienische Abt Joachim von Fiore teilte die Geschichte in drei Perioden ein, in der drei Reiche herrschen:
¬ Erstes Reich (des Gottvaters und Alten Testaments),
¬ Zweites Reich (des Sohnes und des Evangeliums) und das
¬ Drittes Reich (des Heiligen Geistes, eine Art Paradies, in dem Friede, Gerchtigkeit, Freiheit und Liebe herrschen würden, das ,,Goldene Zeitalter"6 ).
Das Dritte Reich wurde für die Zeit zwischen 1200 und 1260 vorausgesagt, Joachim selbst starb 1202. Für ihn hatte kein Zweifel bestanden, dass Friedrich II. der Antichrist war. Dieser blieb bis zu seinem Tod im Fieber am 13.12.1250 unbesiegt, die Joachimiten verschoben den Beginn des Goldenen Zeitalters auf das Jahr 1260 (wobei sie alsbald die Erben Friedrichs als ,,satanische Verfolgerkaiser" werteten), und als sich auch in der Folgezeit die Prophezeiung Joachims nicht erfüllte, verloren sie nach und nach an Bedeutung. Joachims geschichtsutopische Visionen waren zwar eher poetisch als politisch präzise gewesen, hatten aber die Dominikaner und Franziskaner, die um 1220 spontan als Bettelorden entstanden waren, nachhaltig beeinflusst.
Mit dem Tod Friedrichs II. hatte in Deutschland eine Zeit der Rechtlosigkeit begonnen, die erst mit der Wahl Rudolfs von Habsburg 1273 ein Ende fand. Der desolate Zustand des Reiches schürte die Sehnsucht nach einem übermächtigen, gerechten Herrscher, der die Gesellschaftsordnung umstürzen und ein Zeitalter des Friedens einläuten würde.
2.3 Die Sehnsucht nach einem Friedenskaiser
Obgleich Friedrich II. in der unmittelbaren Geschichtsauffassung zunächst negativ gewertet wurde, veränderte sich sein Bild schon bald zu dem eines Friedens- und Erlöserkaisers, von dem seine Anhänger annahmen, er halte sich nur versteckt, um bei Gelegenheit wieder zu erscheinen. Zunächst hatte die Vorstellung vom toten Friedrich als ,,Gottesleugner", ,,Ketzerkaiser", ja gar Antichristen7, überwogen. Dies war aber nicht unbedingt etwas Neues, auch andere Herrscher waren bereits so tituliert worden, z. B. zur Zeit des ersten Kreuzzuges Kaiser Heinrich IV., manche betrachteten sich auch selbst als Endzeitherrscher und initiierten Massaker, meistens an Juden, z. B. Graf Emicho von Leiningen (1096)8.
Auch Feindschaft gegenüber dem Klerus war im Mittelalter keine Seltenheit und findet sich sowohl in den Unterschichten9 wie auch in den Kreisen der intellektuellen und politischen Eliten. Das Verlangen nach Eintracht und Stabilität bei gleichzeitiger Unzufriedenheit über den Reichtum des Klerus sowie die Pfründenmisswirtschaft und Geldgier der Kirche bewirkte eine andere - dauerhaft positive - Wertung Friedrichs. Der Kaiser ,,durfte" folglich nicht gestorben sein, sondern musste verborgen weiterleben. Sein ungeliebter Nachfolger, Rudolf von Habsburg, wurde schon zu Lebzeiten als ,,Pfaffenkönig"10 geschmäht. Aus einem Orakel, das der Erythräischen Sibylle zugeschrieben wird und besagt, der Kaiser lebe und lebe doch gleichzeitig nicht (,,Vivit et non vivit")11, leitete sich die ursprüngliche Vorstellung ab, der Kaiser sei nicht gestorben, sondern wandere als Pilger umher (in Varianten hieß es, er sei in den Ätna hinabgestiegen oder übers Meer gefahren). Sinngemäß soll es im Orakel allerdings geheißen haben, Friedrich sei zwar tot, doch lebe er in seinen Söhnen und Enkeln fort.
In der Folgezeit finden sich zahlreiche Beispiele von Hochstaplern und Scharlatanen, die sich als wiedergekehrte Friedriche ausgeben. Aker (1990, S. 37 f.) und Graus (1975, S. 340) nennen das Beispiel eines 1261 in Sizilien und 1284/85 im Reich auftretenden falschen Friedrichs (Dietrich Holzschuh alias Tile Kolup), der zeitweilig in Neuß regelrecht Hof hielt und regen Zustrom von Anhängern hatte. Er endete am 7. Juli 1285 auf dem Scheiterhaufen12.
Zum hundertsten Todestag Friedrichs 1350 belebten sich die Gerüchte um eine Wiederkehr des Kaisers erneut, wie der Minorit Johannes von Winterthur zu berichten wusste, der erklärter Gegner des ,,Ketzerkaisers" gewesen war und die Gerüchte allesamt für Aberglauben hielt13.
Eine weitere Sibylle, die ,,Tiburtinische", übte einen starken Einfluss auf das öffentliche Denken aus. Um 1320 kündigte ein vierstrophiges Sibyllenlied von einem großen Unglück und der Rückeroberung des Heiligen Landes durch einen Erretterkaiser ,,F", der ein Reich des Friedens schaffen werde.14
In jener Zeit wurde Europa auf das furchtbarste von der Pest heimgesucht, der jeder dritte Mensch zum Opfer fiel. Erd- und Seebeben taten ein Übriges, um die messianische Prophetie und den Glauben an den nahen Untergang der Welt zu beleben. Nicht selten wurden die Endzeitpropheten selbst mit dem ersehnten Friedenskaiser identifiziert, so z. B. der Führer der Geißlerbewegung in Thüringen, Konrad Schmid, oder über hundert Jahre nach ihm (1476) der ,,Pfeifer von Niklashausen", Hans Beheim. Beide wurden gleichfalls auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Auf jeden neuen Herrscher wurde die Erwartung gerichtet, er möge der Friedenskaiser sein, besonders, wenn er Friedrich hieß (z. B. Friedrich III.) - nicht zuletzt wegen der volksetymologischen Verbindung des Namens Friedrich mit ,,Frieden"15 -, und von beinahe allen Herrschern wandte man sich enttäuscht ihren Erben zu. So ging es über Jahrhunderte.
Die Vorstellung vom Friedenskaiser namen Friedrich findet sich sogar noch im 18. Jahrhundert in Preußen, trägt allerdings schon leicht groteske Züge.
Ein Dokumentenfund im säkularisierten brandenburgischen Zisterzienserkloster Lehnin Ende des 17. Jahrhunderts kündete von einem kommenden Friedrich von Preußen in der Tradition
Friedrichs II., der den französischen König Ludovicus für immer schlagen werde. Die Prophezeihungen wurden zunächst auf das Kind Friedrichs I. von Preußen angewandt, das aber 1708 schon nach wenigen Monaten starb, später dann auf Friedrich den Großen - einen aufgeklärten Herrscher, der bekanntermaßen das Französische so sehr schätzte, dass an seinem Hof Deutsch zu sprechen als unfein empfunden wurde.
3 Die Kyffhäusersage im 19. Jahrhundert
Und es mag am deutschen Wesen Einmal noch die Welt genesen. Emanuel Geibel, Heroldsrufe
3.1 Verbindung der Barbarossasage mit der Kyffhäusersage
Das Kyffhäusergebirge befindet sich südlich des Unterharzes zwischen den Ortschaften Nordhausen, Sondershausen, Sangershausen, Tilleda und Bad Frankenhausen. Landkarten künden heute von vier Sehenswürdigkeiten: dem Panoramabild16 des Bauernaufstandes von 1525, der Burg Kyffhausen, der Rothenburg (Abb. 1), der Barbarossahöhle (Abb. 2) und dem Kyffhäuserdenkmal (Abb. 3). Der Name Kyffhäuser leitet sich von ,,Kouf house" ab (etwa mit ,,Handelshausen" übersetzbar), und nicht, wie stellenweise fälschlich behauptet, vom lateinischen ,,mons confusionis" (,,Berg der Verwirrung").
Dass die Walpurgisnacht auf dem Harz-Brocken stattfindet, ist bekannt. Weshalb dem Kyffhäusergebirge ein ähnlicher, von Mythen geprägter Ruf anhängt, erschließt sich über die nähere Betrachtung einer regionalen Sage, die mit den Legenden von der Rückkehr eines Kaiser Friedrichs verknüpft wurde.
Schon in der ,,Thüringischen Chronik" des Johann Rothe aus dem ersten Drittel des fünfzehnten Jahrhunderts ist davon im Nachtrag zur Erzählung vom ,,falschen Friedrich" des Jahres 1261 die Rede, dass der Kaiser neben anderen ,,wüsten Orten" im Reich vor allem in der verfallenen Kyffhäuserburg gesichtet werde17. Dort wandere ,,der Ketzer" herum ,,zu Kyffhusen yn Doringen uf dem wusten slosse unde ouch uf anderen wusten burgen die zu dem reiche gehoren, unde rede mit den lewten und lasse sich zu gezeiten sehin". Nachdem er neben anderen Orten vor allem auf dem Berg zu finden sein soll, wird Friedrich dann von einer Flugschrift des Jahres 1537 in ihn hineinversetzt.
Abb. 1: Die Rothenburg im Kyffhäuser (links). Eigene Aufnahme von 1991. Bei den Adlerplastiken handelt es sich um nachträgliche Ausschmückungen.
Abb. 2: Die Barbarossahöhle im Kyffhäuser (rechts, Postkarte).
Ein Bauernaufstand ,,verband sich (...) mit dem Glauben an den guten und gerechten König"18, als sich 1525 aufständische Bauern am Fuße des Kyffhäusers sammelten.
Dass eine feste Lokalisierung der Sage allmählich stattgefunden hatte, zeigt sich beispielweise daran, dass ein 1546 in den Ruinen des Kyffhäusers aufgestöberter ,,wahnsinniger Schneider" vom Volk prompt für den Kaiser gehalten wurde.
Im 16. Jahrhundert finden zwei Vorgänge statt, die die weitere Entwicklung der Sage entscheidend beeinflussen:
1. Die Erzählung vom König im Berge wird zur ,,typisierten Sagenform".
2. Als historische Figur, auf die in der Sage Bezug genommen wird, weicht Friedrich II. (,,der Ketzer") seinem Großvater, Friedrich I. (,,Barbarossa").
Auch Karl der Große wurde zeitweise in Bergen des deutschsprachigen Raumes angesiedelt (er lebt im Unterberg bei Salzburg), konnte sich aber nicht als überdauernde Sagengestalt durchsetzen. Es kann vermutet werden, dass nur die unglaublich wirkungsvolle Ausstrahlung des Namens Friedrich (mit ihrem Anklang an das Wort ,,Frieden") dies bewirken konnte. Nun konnten Ausschmückungen der Sage sowie die Verklärung und Glorifizierung ihrer zentralen Figur einsetzen, da drei wesentliche Bedingungen erfüllt waren:
1. Ein kurioses Detail - ein roter Bart - macht die Sagengestalt für den Rezipienten lebendig und einprägsam.
2. Der Name der Figur ist zugleich Name eines Programms bzw. einer Utopie (,,Frieden").
3. Die Umgebung, in der die Sagengestalt agiert, beflügelt die Fantasie.
Letztere Bedingung wird durch die Geschichten des Harzes und die außergewöhnlich umfangreiche Burganlage der Kyffhäuserburg geradezu ,,übererfüllt":
Die über der Pfalz Tilleda gelegene alte Reichsburg war 1118 - noch vor Barbarossas Geburt - von Herzog Lothar von Süpplingenburg zerstört worden. Sie wurde in der Folgezeit zu einer aus Mittel-, Ober- und Unterburg bestehenden, 600 m langen (!) Anlage ausgebaut. Später herrschten dort die Grafen von Rothenburg und im frühen 13. Jahrhundert die Grafen von Beichlingen.
Das Lexikon des Mittelalters19 führt die außerordentlichen Dimensionen der Burganlage als Grund dafür an, dass sich die ,,Wunschvorstellungen im Volke nach der Wiederkehr Friedrichs II." an dieser Stelle lokalisierten.
3.2 Die Entwicklung zur deutschen Volkssage
Zu Anfang des 19. Jahrhunderts, noch bevor sich die Friedrichslegende zur deutschen Volkssage entwickeln konnte, erschuf Clemens Brentano eine - fiktive - Gestalt, die auch heute noch mit einem Berg bzw. Felsen in Verbindung gebracht wird: die Loreley. Im Gegensatz zum Barabarossamythos basiert die Erzählung Brentanos nicht auf einer historischen Gestalt, an deren tatsächlicher Sagenquelle heute jedoch kaum jemand zweifelt. Der Heidelberger Professor und spätere Herausgeber des antinapoleonischen ,,Rheinischen Merkur", Joseph Görres, verehrte offensichtlich den Schöpfer dieser Fabelgestalt, an den er sich in einer Vorrede seines 1807 erschienenen Bandes von den ,,teutschen Volksbüchern" wendet und ihm darlegt, wie er auf die Lesestoffe und Lebensweisheiten vergangener Zeiten gestoßen sei. Verirrt in der Natur, sei der Autor von einem Mönch in eine unterirdische Höhle geführt worden, wo er im Dämmerlicht der dortigen Kapelle Friedrich Barbarossa erblickt habe, dem sein Bart durch den Tisch gewachsen sei.
Der Staufer wird umgeben von geschichtlichen wie sagenhaften Gestalten: Hagen von Tronje, Siegfried, Karl der Große und Heinrich der Löwe.
Der Kaiser habe nun das Wort an den Schreiber gerichtet und ihn gemahnt, die oberirdische Welt habe mit dem Leben übel gehaushaltet und müsse nun ,,aus ihren Taten von neuem Lebensgeist" ihn ziehen lassen20. Es folgt eine Aufforderung, die ,,teutschen Volksbücher" zu lesen.
Der Effekt einer Popularisierung des Sagenstoffes, in deren Folge sich die Barbarossasage von einer thüringischen Regionalsage zum Nationalmythos des ganzen deutschen Volkes entwickelte, setzte dann wenige Jahre später ein - mit dem Erscheinen der Sammlung deutscher Sagen der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm (1816) sowie der Veröffentlichung eines Gedichtes von Friedrich Rückert (1817), das man leicht auswendig lernen konnte21. Die Brüder Grimm führen als Quelle die ,,Alectrynomantia des J. Prätorius von 1681" an. Beide Texte sind ausgesprochen kurz (der grimmsche Text umfasst neun Sätze) und eröffneten so die Möglichkeit einer schnellen Verbreitung, etwa im Deutschunterricht. Rückerts Gedicht bringt Barbarossa mit der politischen Situation in Verbindung, indem er den Wunsch nach Einheit des Reiches zum erlösenden Moment des verzauberten Kaisers deutet:
,,Er hat hinab genommen
Des Reiches Herrlichkeit,
Und wird einst wiederkommen, Mit ihr, zu seiner Zeit."
Die Historiografie kam der Entwicklung entgegen: Die ,,Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit" (1823/25) des Berliner Historikers Friedrich von Raumer wurde mehrfach aufgelegt (5. Auflage 1878), zum zweiten Male bereits 1828/29 - und das bei immerhin sechs Geschichtsbänden!
Im Jahre 1840 veröffentlicht Emanuel Geibel 22 sein Gedicht ,,Friedrich Rotbart", das, in trochaischer Romanzenstrophe abgefasst, die Rückertsche Fassung durch ausschmückende Details noch übertrifft.
In den beiden letzten Strophen vertreibt ein Adler (das Wappentier der Hohenzollern) die um den Kyffhäuser kreisenden Raben:
,,Bis der Adler stolzen Fluges
Um des Berges Gipfel zieht,
Daß vor seines Fittichs Rauschen Dort der Rabenschwarm entflieht."
Derselbe Autor macht sich drei Jahre später in seinem Gedicht ,,Barbarossas Erwachen" das Motiv zunutze, um seine konservativ-restaurativen politischen Auffassungen und seine Kritik an den Regungen der Vormärz-Bewegung zu artikulieren:
,,Die schelten und meistern mit kecken Zungen;
Nichts ist ihnen recht,
Alles soll anders werden
Im Himmel und auf Erden,
Und wer nicht mitschreit heißt ein Knecht.
Sie möchten das Höchste zu unterst kehren,
Um selbst zu herrschen nach eignem Begehren;
Der Glaub' ist ihnen ein Fastnachtsscherz,
Eine Torheit das Herz."
Der Lübecker Dichter (1815-1884) wurde in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg nicht selten neben Goethe gestellt23, eine Sammlung seiner Gedichte war bis zu diesem Zeitpunkt 132 mal (!) aufgelegt worden. Die Werke künden vor allem vom patriotischen Sinn und restaurativen Selbstbewusstsein ihres Autors. Geibel sakralisiert politische Funktionen geradezu und propagiert ein feudal-antidemokratisches Weltbild; in seinen literarischen Produktionen wimmelt es von sprachlichen Archaismen wie ,,Mark", ,,Panier", ,,Herold" oder ,,Siegspanier", mit denen er allerdings auch das Vokabular seiner Zeit erfolgreich zu prägen verstand (Auf einigen Ritualgegenständen der später gegründeten Turnerschaft ,,Hohenstaufia" ist z. B. zu lesen: ,,Hohenstaufia sei's Panier"). Aus heutiger Sicht wird er von vielen Autoren eher als epigonal belächelt24, doch führte seine Trivialisierungsstrategie unter anderem dazu, dass viele seiner Zeitgenossen und Dichterkollegen ebenfalls zu literarischem Schaffen ermuntert wurden und in der Folgezeit eine Unmenge an Stauferdramen schrieben, so Ernst Raupsch, der allein 16 solcher Stücke fabrizierte, oder Wilhelm Waiblinger, der genausoviele ,,im Sinne hatte"25.
Auch in der Revolution von 1848 bemüht man das Bild von ,,Barbarossas Erwachen": Bei einer Feier patriotischer Thüringer wird und ein gleichnamiges Gedicht vorgetragen, in dem der Kaiser die Revolution bejubelt, und die schwarz-rot-goldenen Flagge gehisst. Es ist bemerkenswert, dass auch in diesem Gedicht die Kyffhäuser-Raben von einem ,,Aar" (gehoben für ,,Adler") abgelöst werden:
,,Schon bin ich bei dem Flügelschlagen
Des jungen Sänger-Aars erwacht;
Um meinen Thron beginnt's zu tagen,
Frisch auf! vorüber ist die Nacht"26
Der Kyffhäuser war endgültig ein ,,Hort des deutschen Wesens"27 geworden und Barbarossa ein Symbol, das aus dem Zeitgeschehen nicht mehr wegzudenken war. Als der preußische König die ihm angebotene Kaiserkrone ausschlug, entstanden umgehend Barbarossa- Karikaturen, in denen der Staufer die Hände über dem geschmähten Herrscher zusammenschlägt. Kommentierende Lyrik, wie beispielsweise der folgende Reim, drückte die Verzweiflung vieler Zeitgenossen aus:
,,Nein! und nein! und aber nein!
Nein! Kyffhäusers Fels wird springen,
Durch die Lande wird es klingen:
Frankfurt holt den Kaiser ein."28
Die Verbitterung der deutschen Demokraten spiegelt sich auch in den Strophen des heimatlosen Exilschwaben Georg Herwegh wider, der schreibt:
,,Wie kommt's, daß man zu Königsgrätz
Dich Kaiser nicht zu Roß sah?
Von Moltke hört' ich und von Rheetz,
Doch nichts von Barbarossa."
Herwegh kommt zum dem Schluß:
,,Ich will mir einen neuen Herrn
Statt meines alten kaufen;
Zum Kaiser hab' ich grad so gern
Die Zollern wie die Staufen."29
3.3 Die Jahre nach 1871
Nach der Reichsgründung 1871 scheint es in Deutschland nur ein Ziel zu geben: die ,,Empordichtung" zu einem neuen Heldenmythos durch eine Unzahl von ,,Kyffhäuserdeutschen", wie sie Heinrich von Treitschke Jahre zuvor verächtlich getauft hatte30.
- Felix Dahn setzt Wilhelm I. ein dichterisches Denkmal als ,,Barbablanca"31 (,,Weißbart") und stellt den Kaiser so mit Friedrich I. auf eine Stufe (in seinem ,,Lied der Ghibellinen" hatte derselbe Autor noch den kirchenpolitischen Kampf Friedrichs II. wieder aufgenommen: ,,Wir schließen keinen Frieden nicht/Mit Pfaff' und Pfaffenknechten"32 ).
- Ein Karl Jacobi kabelt ans Hauptquartier in Versailles die folgende Strophe:
,,Der Weltkreis staunt; nun wird es endlich Tag
in Deutschlands Gau'n die Raben
Kyffhäusers schrei'n und haben
Gewecket Friedrich Barbarossa auf,
Zu schau'n des Zollernkaisers Siegeslauf.
(Vorzutragen von einem Frauenchor)"33
- Von einem ähnlichen Stil geprägt ist das Stück eines Karl Malzachers zur Kaiserproklamation, in dem sich nach den letzten Worten der Kyffhäuser öffnet. Barbarossa betritt die Szene über eine Felsentreppe und setzt Kaiser Wilhelm seine Krone auf:
,,Die Musik intoniert: Heil unserm Kaiser, Heil!"
Für einfachere Bühnenverhältnisse empfiehlt der Dichter, einen Lorbeerkranz über eine Büste zu halten.
Auch für Feiertage wie Kaisers Geburtstag oder Sedanstag waren Stauferdramen gut zu gebrauchen und so pflegen u. a. von Reichert (,,Der deutsche Krieg", 1870) oder Devrient (,,Kaiser Rothbart. Phantastisches Volksschauspiel in zwei Abtheilungen", 1889)34 die Tradition, Hohenzollern und Hohenstaufen nebeneinander zu stellen. Bei von Reichert heißt es beispielsweise:
,,Der Hohenzoller sieggekrönet steigt,
Und jubelnd jeder Stamm des deutschen Volkes
Sein Schlachtenbanner vor dem Heldenkönig,
Dem würd'gen Erben Barbarossa's neigt!"
1881/82 wird auf dem Kyffhäuser der Verband der Vereine deutscher Studenten gegründet; Corps, Burschen- und Landsmannschaften geben sich staufische Namen, wie z. B. die Tübinger Turnerschaft Hohenstaufia (1878), die ein Verbindungshaus im neoromanischen Stil baute, um es wie die ,,Burg einer wehrhaften deutschen Verbrüderung" wirken zu lassen35. Zur Einweihung 1902 wird ein Lied gesungen, das den Imperialismus des wilhelminischen Kaiserreiches in eine Linie mit den ,,Rittern zu des Rotbarts Zeiten" stellt. Das Lied steht in der Tradition Geibels, was die Wahl des Vokabulars (,,So stehn wir für die Ehre/Mit unsrer blanken Wehre") als auch der Metaphern betrifft:
,,Der Staufer Aar nahm einst mit stolzen Schwingen
Den Wolkenflug zum hochgesteckten Ziel (...)"
Abermals wird so das Wappentier der Hohenzollern zum Symbol des Hohenstaufen (Vgl. Abb. 3).
Abb. 3: Das Kyffhäuserdenkmal. Sammelpostkarte des Deutschen Kriegerbundes.
Am 9. März 1888 stirbt der Kaiser des geeinten Reiches, Wilhelm I., der ,,Barbablanca". Nun war endgültig die Zeit reif für ein Monument auf dem Kyffhäuser, durch das man der Erfüllung des alten Traumes von der Einheit und Größe des Reiches gedenken konnte. Auf Initiative eines Geheimrats Westphal rief der Deutsche Kriegerbund alle ehemaligen deutschen Soldaten auf, dem toten Imperator auf dem Kyffhäuser ein Denkmal zu errichten, denn ,,durch die Gründung des neuen Reiches sei Barbarossa erlöst worden"36. Am 10. Mai 1892 erfolgte die Grundsteinlegung, vier Jahre später, am 18. Juni 1896 feierte man in Gegenwart Kaiser Wilhelms II. die Einweihung des durch seine Verbindung zum politisch rechts stehenden ,,Kyffhäuserbund der Deutschen Landes-Kriegsverbände", seit 1898 Dachorganisation der Kriegervereine, militant-konservativen Symbols.
Der Mythos des toten Friedrichs Barbarossa hatte auch Wilhelm II. erreicht. Der junge Kaiser sah sich in der Tradition des Staufen, auf seiner Palästinareise im Jahre 1898 legte er, als ein Liebhaber theatralische Effekte, sogar die Strecke Haifa-Jerusalem in Kreuzfahrermanier zu Pferde zurück.
3.4 Die Gegenbewegung
Auf beinahe jede geschichtliche Bewegung erfolgte früher oder später eine Gegenbewegung, so auch im Falle des Kultes um Barbarossa und den Kyffhäuser. Satire und politsche Karrikatur greifen das Thema auf und üben milde bis harsche Kritik an der neuen Identifikationsgestalt Barbarossa.
So finden sich in der Zeitschrift Kladderadatsch Zeichnungen, in denen Napoleon III. in den Kyffhäuser gebracht wird, wo sein Bart durch den Tisch wächst (1870), oder wir erleben einen telefonierenden Barbarossa (1897), und zu guter Letzt sieht man den Kaiser gar mit seinen Raben unter dem Arm in Rente gehen (1871).
Von Karl Biltz stammt das Stück ,,Der alte Barbarossa. Politische Posse mit Gesang und Tanz", in dem der Kaiser seinen Kyffhäuser verlässt und durch Berlin schlendert. Dort trifft er auf Anhänger und einen Dichter ,,Jambifex", der ihm den 12. Teil seiner Hohenstaufentragödien überreicht37.
Auch muss sich der Kaiser Kritik an seiner Italienpolitik und seinem Kreuzzugsunternehmen gefallen lassen: ,,Wie konnten sie sich mit weit aussehenden Plänen auf Neapel tragen (...) Und zuletzt ihre Vernunft mit einem so unsinnigen Unternehmen wie immerhin ein Kreuzzug ist, durchgehen lassen."38
Ironisierende Texte finden sich auch bei Wilhelm Raabe (,,Der Dräumling") oder Willibald Alexis, der selbst ein Konradins39 -Drama geschrieben hatte und dies in seinen Lebenserinnerungen wie folgt kommentiert: ,,Es gab eine Zeit, wo unter 10 aspirierenden Dichtern wenigstens 7 den Untergang des letzten Hohenstaufen dramatisierten (...) Auch ich habe natürlich meinen Konradin geschrieben. Es geht oder ging wunderbar darin zu. Jeder Aktschluß voller Ahnungen und Vorbedeutungen. Die ganze Geschichte der Hohenstaufen war mir gelungen, auf gewisse Schicksalstage zu reduzieren. Alles was die großen Kaiser getan und gelitten, hing an einem fatalistischen Schnürchen, obgleich ich mich nicht mehr entsinne, ob es eine Zigeunerin war, die dem ersten Hohenstaufen des Hauses Glück oder Unglück vorherverkündete, weil er ihr einen Scherf abschlug!"40
Heinrich Heine, der sich noch 1834 von der ,,lieblichen und entzückenden Sage" angetan gezeigt hatte, verliert ein Jahrzehnt später seine ,,heilige Sehnsucht und geheimnisvolle Hoffnung" und macht sich über Barbarossa lustig. Der im Kyffhäuser schlafende Kaiser ist neben dem unvollendeten Kölner Dom für Heine ein Sinnbild der deutschen Vergangenheit, gegen deren reaktionäre Nachwirkungen sich sein literarischer Kampf in ,,Deutschland. Ein Wintermärchen" (1844) richtet. In der Kutsche eingenickt, erscheint ihm der Kaiser, mit dem er über die französische Revolution in Streit gerät. Der Dichter ruft ihm entgegen:
,,Herr Rotbart - rief ich laut - du bist
Ein altes Fabelwesen,
Geh, leg dich schlafen, wir werden uns
Auch ohne dich erlösen."41
Heine stellt die Errungenschaften der französischen Revolution dem ,,eigefrorenen" Zustand Deutschlands gegenüber. Man habe sich von der Obrigkeit dazu bewegen lassen, dem rückwärts gewandten Kult des Mittelalters und der germanischen Vorzeit zu huldigen. Er parodiert und kritisiert zugleich das Wunschbild seiner Zeitgenossen, indem er zu dem Schluss kommt,
,,Das Mittelalter, immerhin,
Das wahre, wie es gewesen,
Ich will es ertragen - erlöse uns nur
Von jenem Zwitterwesen,
Von jenem Kamaschenrittertum,
Das ekelhaft ein Gemisch ist
Von gotischem Wahn und modernem Lug,
Das weder Fleisch noch Fisch ist."42
1915 sehnt sich nicht nur Julius Hart den literargeschichtlichen Augenblick herbei, ,,wo auf der Bühne der letzte Staufe das letzte Mal vor Gott kniet."43
Die Kyffhäusersage des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die auf dem Höhepunkt ihrer Bekanntheit sogar die Errichtung eines nationalen Monumentes und die Gründung eines Kriegerbundes zur Folge hatte, basiert also letztlich auf zwei historische Figuren des Mittelalters, einer Regionalsage und einem Volksmärchen, das durch die Brüder Grimm popularisiert wurde, und zeigt so, welch großen Einfluss Legenden und ihre Tradierung auf Politik und Gesinnung der Bevölkerung ausüben können.
Gewöhnlich wird man dazu neigen, literarische Entwicklungen und Strömungen, wie sie in dieser Hausarbeit untersucht wurden, dem vielbeschworenen ,,Zeitgeist" zuzuschreiben. Ich denke behaupten zu können, dass am Ende der Arbeit klar ist, wie sehr Goethe in seinem ,,Faust I." Recht behält, wo es heißt:
,,Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln."
4 Anhang
4.1 Jacob und Wilhelm Grimm: Friedrich Rotbart auf dem Kyffhäuser
Von diesem Kaiser gehen viele Sagen im Schwange. Er soll noch nicht tot sein, sondern bis zum jüngsten Tage leben, auch kein rechter Kaiser nach ihm mehr aufgekommen. Bis dahin sitzt er verhohlen in dem Berg Kyffhausen und wann er hervorkommt, wird er seinen Schild hängen an einen dürren Baum, davon wird der Baum grünen und eine beßre Zeit werden. Zuweilen redet er mit den Leuten, die in den Berg kommen, zuweilen läßt er sich auswärts sehen. Gewöhnlich sitzt er auf der Bank an dem runden, steinernen Tisch, hält den Kopf in der Hand und schläft, mit dem Haupt nickt er stetig und zwinkert mit den Augen. Der Bart ist ihm groß gewachsen, nach einigen durch den steinernen Tisch, nach anderen um den Tisch herum, dergestalt daß er dreimal um die Rundung reichen muß, bis zu seinem Aufwachen, jetzt aber geht er erst zweimal darum.
Ein Bauer, der 1669 aus dem Dorf Reblingen Korn nach Nordhausen fahren wollte, wurde von einem kleinen Männchen in den Berg geführt, mußte sein Korn ausschütten und sich dafür die Säcke mit Gold füllen. Dieser sah nun den Kaiser sitzen, aber ganz unbeweglich. Auch einen Schäfer führte ein Zwerg hinein, da stand der Kaiser auf und fragte: fliegen die Raben noch um den Berg?
Und auf die Bejahung des Schäfers rief er: nun muß ich noch hundert Jahre länger schlafen.
4.2 Friedrich Rückert: Barbarossa
Der alte Barbarossa,
Der Kaiser Friederich,
Im unterirdischen Schlosse
Hält er verzaubert sich.
Er ist niemals gestorben,
Er lebt darin noch jetzt;
Er hat im Schloß verborgen
zum Schlaf sich hingesetzt.
Er hat hinab genommen
Des Reiches Herrlichkeit,
Und wird einst wiederkommen,
Mit ihr, zu seiner Zeit.
Der Stuhl ist elfenbeinern,
Darauf der Kaiser sitzt:
Der Tisch ist marmelsteinern,
Worauf sein Haupt er stützt.
Sein Bart ist nicht von Flachse,
Er ist von Feuersglut,
Ist durch den Tisch gewachsen,
Worauf sein Haupt ausruht.
Er nickt als wie im Traume,
Sein Aug' halb offen zwinkt;
Und je nach langem Raume
Er einem Knaben winkt.
Er spricht im Schlaf zum Knaben:
Geh hin vors Schloß, o Zwerg,
Und sieh, ob noch die Raben
Herfliegen um den Berg.
Und wenn die alten Raben
Noch fliegen immerdar,
So muß ich auch noch schlafen
Verzaubert hundert Jahr.
5 Verzeichnis der benutzten Quellen und Hilfsmittel
Aker, G.: Narrenschiff. Sebastian Brant und seine Zeit. Stuttgart 1990. S. 35-50
Alker, E.: Die deutsche Literatur im 19. Jahrhundert. Stuttgart 1962.
Bauer, L.: Kaiser Barbarossa. Dichtergabe zum Kölner Dombau. Stuttgart, Tübingen 1842.
Dahn, F.: Gesammelte Werke. 2. Serie, Band 7. Leipzig o. Jahresangabe.
Devrient, O.: Kaiser Rothbart. Phantastisches Volksschauspiel in zwei Abtheilungen. Vielfach veränderte Textausgabe. Leipzig 1889. S. V. In Sauer, Werth (1971), S. 73 ff.
Die Zeit der Staufer. Ausstellungskatalog. Stuttgart 1977.
Diez, G.: Das Bild Friedrich Barbarossas in der Hohenstaufendichtung des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Nationalbewegung. Diss. Freiburg 1943.
Druvius, U.: Propreußische Propaganda. Zu Emanuel Geibels Herrscherlob ,,An König Wilhelm". In: Häntzschel 1983, S. 346-356.
Eberhard, H.: Die Kyffhäuserburgen in Geschichte und Sage. BDLG 96 (1960). S. 66-103.
Geibel, E.: Ausgewählte Werke. Hrsg. von M. Mendheim. Band I: Gedichte. Leipzig o. Jahresangabe.
Geibel, E.: Gedichte. 47. Auflage. Stuttgart 1874. S. 156 f.
Geibel, E.: Gesammelte Werke. Stuttgart 1888. Bd. 1, S. 204-207.
Graus, F.: Lebendige Vergangenheit. Überlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen vom Mittelalter. Köln Wien 1975. S. 338-367.
Häntzschel, G. (Hrsg.): Gedichte und Interpretationen. Bd. 4. Stuttgart 1983.
Heine, H.: Gesammelte Werke. Hrsg. v. G. Karpeter. Leipzig o. J., Bd. 2. S. 190-192 (Deutschland, ein Wintermärchen) und 210-217.
Hinck, W.: Epigonendichtung und Nationalidee. Zur Lyrik Emanuel Geibels. ZfdPh 85, 1966.
Jansen, J. und W. Welmer: Entpolitisierung der Lyrik. Verklärung: Geibel. In: Jansen, J. et al.: Einführung in die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts. Bd. 2, Opladen 1984. S. 116- 131.
Kinder, H. und W. Hilgemann: Atlas zur Weltgeschichte. München, Zürich 1982.
Lexikon des Mittelalters. Hrsg. von Bautier. Bd. 5, München, Zürich 1991, S. 1595.
Mittelalterrezeption. Ein Symposium. Hrsg. von P. Wapnewski. Stuttgart 1986.
Rückert, F.: Gesammelte Poetische Werke. Frankfurt/Main 1843. Neue Ausgabe 1882. S. 108 f., 261 f.
Sauer, K. und G. Werth: Lorbeer und Palme. Patriotismus in deutschen Festspielen. München 1971.
Schneider, W.: Die Sieger: Wodurch Genies, Phantasten und Verbrecher berühmt geworden sind. Hamburg 1992.
Von Reichert, O.: Der deutsche Krieg 1870. Melodram. Amberg 1871. S. 13. In: Sauer/Werth (1971).
Weigend, F., B. M. Baumuk und T. Brune: Keine Ruhe im Kyffhäuser. Das Nachleben der Staufer. Ein Lesebuch zur deutschen Geschichte. Stuttgart/Aalen 1978.
[...]
1 Das Kyffhäuserdenkmal konnte ich auf einer Exkursion im Jahre 1991 selbst besichtigen.
2 In: Schneider 1992, S. 200.
3 Schneider 1992, S. 199.
4 Ebenda, S. 200.
5 Graus (1975), S. 339.
6 Weigend et al. 1978, S. 37 ff., Aker 1990, S. 35.
7 Graus 1975, S 340, Aker 1990, S. 35 u. 38.
8 Aker 1990, S. 34.
9 Ebenda, S. 39.
10 Graus 1975, S. 340.
11 Aker 1990, S. 37.
12 Weitere Beispiele für vermeintlich zurückgekehrte Friedriche sind ein elsässischer Eremit namens Heinrich sowie ein ,,Esslinger Falschmünzer".
13 Aker 1990, S. 38.
14 Ebenda, S. 42.
15 Graus 1975, 342.
16 Einheimische erzählen, das Blut der Bauern sei in Bächen den Berg heruntergelaufen. Hierbei handelt es sich um ein gutes Beispiel für - moderne - Legendenbildung, deren Wurzeln vor allem in den zu DDR-Zeiten schlecht ausgebauten Wegen zum Panorama liegen dürften. Das Panorama erschloß sich noch 1991 vor allem über ausgetretene Pfade, die den Berg hinaufführten und so an ausgetrocknete Rinnsale erinnerten. Lediglich für den zur Einweihung erschienenen DDR-Ministerpräsidenten Stoph war seinerzeit ein Weg angelegt worden - zwischen dem Panorama und der Hubschrauber-Landestelle.
17 Graus 1975, S. 341, Aker 1990, S. 41.
18 Graus 1975, S. 343.
19 Bd. 5, 1991, S. 1595.
20 Weigend et al. 1978, S. 38.
21 Beide Texte befinden sich im Anhang dieser Hausarbeit.
22 Geibel (1874), S. 156 f.
23 Alker 1962, S. 418.
24 Vgl. Hinck (1966). Alker (1962), S. 420, spricht von ,,gelegentlich altjüngferlich" sich gebenden Gedichten.
25 Weigend et al. 1978, S. 47.
26 Ebenda, S. 55.
27 Graus 1975, S. 349.
28 Weigend et al. 1978, S. 58.
29 Ebenda, S. 62 f.
30 Ebenda, S. 63.
31 Dahn o. J., S. 648.
32 Weigend et al. 1978, S. 60 f.
33 Ebenda., S. 63.
34 In: Sauer, Werth 1971, S. 70 ff.
35 Weigend et al. 1978, S. 50.
36 Graus 1975, S. 348 f.
37 Weigend et al. 1978, S. 47.
38 Ebenda, S. 60.
39 Letzter Stauferkönig, von den Anjous der päpstlich-französischen Partei 1268 in Neapel hingerichtet. Die Auslöschung des Staufergeschlechts wurde in unzähligen KonradinsStücken literarisch verarbeitet.
40 Weigend et al. 1978, S. 47 f.
41 Graus 1975, S. 346.
42 Weigend et al. 1978, S. 52 f.
43 Ebenda, S. 48.
- Quote paper
- Reinhard Schinka (Author), 1993, Die Kyffhäusersage - Ein Beispiel für die Mittelalterrezeption im wilhelminischen Deutschland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95639
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