"Freies Geleit" und "Schöpfungsgeschichte" im Vergleich
Anna Peterka
Liest man die beiden Gedichte zum ersten Male, so fallen dem Leser gleich zu Beginn die unterschiedlichen Standpunkte der Autoren auf. Beide der Gedichte handeln von dem Problem der Umweltverschmutzung und beide Gedichte erzielen beim Leser weitere Überlegungen bezüglich dieser Problematik, jeweils mit unterschiedlichen Denkansätzen. Rein formal betrachtet, stellt man bei Ingeborg Bachmanns Poem, im Gegensatz zu Wilfried Kluts Werk, klassische Strophen fest, jedoch sind in keinem der beiden Gedichte Reime enthalten. Klut hat in seiner "Schöpfungsgeschichte" die Strophenform aufgegeben; es sei dahingestellt ob er damit den literarischen Fortschritt beweisen - zwischen den beiden Texten liegen mehr als 20 Jahre, oder lediglich den Eindruck eines schnell dahin gemalten Bildes erwecken wollte. Dieses 20jährige Zeitabstand, das zwischen der beiden Werke liegt, mag auch für die so differenten Betrachtungsweisen der beiden Schriftsteller verantwortlich sein. Hat man nach dem Lesen von Bachmanns Gedicht doch noch die Hoffnung, daß sich alles zum Guten wenden würde, beziehungsweise daß dies überhaupt noch möglich sei, so hat man bei Kluts Text doch eher das Gefühl, daß die Umwelt verloren sei, daß sie schon längst den Kampf gegen die Menschheit verloren hätte.
Genauso wie in Bachmanns Text, so verwendete auch Klut eine Reihe von Sprachbildern und bemerkenswert, oder zumindest einige Überlegungen wert, war auch stets seine Wortwahl. Gleich am Beginn seines Gedichtes schrieb er von geschwefeltem Boden. Schwefel trägt - für mich zumindest - immer den Beigeschmack von Hölle mit sich, ist es doch der Geruch des Teufels. Betrachtenswert wäre ebenso die Abteilung des Wortes Schaum-Krone, die den Bächen - gemeint ist hierbei wohl die Verseuchung der Flüsse durch chemische Abwässer - aufgesetzt werden würden. Für mich war hierbei ein unmerklicher Hinweis, daß der Mensch die Krone, wenn nicht sogar die Hoheit, das Höchste, auf der Welt sei. Der Ausdruck der "chemischen Keule" hingegen ist eine klassische Redewendung, auch in der Medizin. Nur haben viele Medikamente negative Auswirkungen auf den menschlichen Organismus, genauso wie das menschliche Handeln auf die Natur.
Auch die Auswahl der im Gedicht verwendeten Wörter scheint mir einige Überlegungen wert. Es stellt sich nun mal die Frage, warum Wilfried Klut den Duft der Kamille, und nicht den der Rose - die meiner Meinung nach einen um vieles lieblicheren Geruch besitzt, beseitigt sah. Vielleicht da der Duft der Kamille die reine Natur vermuten läßt, etwas beruhigendes und reinigendes an sich hat. Die Verwendung des Nachtigalls in seinem Gedicht kann ich mir nur so erklären, da der Nachtigall das Symbol des markelosen Klangs und Gesangs darstellt - vielleicht aus diesem Grunde der Krähe vorzuziehen.
Im letzten Teil seines Gedichtes führt Klut ein Bibelzitat aus dem ersten Buch Moses an1, und stellt es jedem Leser frei, inwieweit die Konzeption korrigiert wurde. Er wollte damit wohl lediglich zum Ausdruck bringen, daß man die Erde nur so weit Untertan machen hätten sollen, wie es ihr gut tun. Denn quantitative Änderungen schlagen in Qualität um, und irgendwann wird der Punkt der Übertreibung erreicht. Nun sollte man einen gedanklichen Strich ziehen, ein Ende der Konzeption herbeiführen, denn man kann die Erde nicht mehr in dem Maße untertan machen wie es uns vor Jahr Tausenden von Gott vorgeschlagen wurde, da sich seit damals viel geändert hat.
Ebenso wie ihr Kollege Wilfried Klut, so führt auch Ingeborg Bachmann Schaum im Sinne von schäumenden Bechern an. Diese Darstellung läßt nun zwei Betrachtungsweisen offen: einerseits natürlich die Anspielung auf die unberührte Natur, die eröffnet ein archaisches Bild, nämlich das des Meeres, indem durch den Wind schäumende Wellen entstehen. Andererseits eröffnet dieses Sprachbild auch den Weg zu einem etwas unschöneren Gedanken, dem der chemischen Verunreinigung. Bachmann verwendete in ihren Gedicht abstraktere Sprachbilder, wie z.B. von den schäumenden Bechern. Lassen Kluts Umschreibungen meist klare und einprägsame Bilder entstehen, wie z.B. das des Landes der Hasen, so läßt sich bei Bachmann doch ein anderer Sprachgebrauch ohne direkte Symbolik erkennen.
In der zweiten Strophe des "Freien Geleits" läßt sich ein einwandfreies Bild, nämlich, daß die Flüsse im großen Wasser münden, schlußendlich doch noch dorthin gelangen, wo sie eigentlich hingehören, ersehen. In der darauffolgenden Strophe wird der Leser mit Hilfe des Rauchpilzes auf die Gefahr die hinter den Atombomben stecke hingewiesen, und weiters noch darauf aufmerksam gemacht, das die Erde diesen nicht tragen wolle. Bachmanns Verwendung des Begriffs "Geschöpf" - als literarisches Motiv nämlich - ist auch äußert interessant. Ob sie dabei bezug auf den Golem, oder vielmehr den Zauberkönig nehmen möchte, ist für mich nicht erkennbar, auf jeden Fall wollte sie den Leser - auch mit Hilfe des Rauchpilzes - darauf aufmerksam machen, daß viele Dinge sich selbständig gemacht haben - wie z.B. die Atombombe - und somit nicht mehr unter der Kontrolle des Schöpfers stehen.
In der dritten Zeile derselben Strophe fiel mir eine gewisse Unklarheit auf, die vielleicht auch absichtlich herbeigeführt wurde. Vielleicht wollte Ingeborg Bachmann damit aufzeigen, daß der Regen die Natur zwar reinwaschen, jedoch aber auch verseuchen - z.B. saurer Regen - kann.
In der darauffolgenden Strophe nimmt Ingeborg Bachmann mit einigen Tieren noch bezug auf die 4 Elemente - nämlich Erde, Wasser, Luft und Feuer. Bachmann bekleidet diese Lebewesen auch mit hohen Ämtern (König Fisch, Hoheit Nachtigall, Feuerfürst Salamander), womit sie wahrscheinlich zeigen wollte, daß der Mensch nicht zwangsläufige als die Krone der Schöpfung angesehen werden muß.
In den letzten vier Strophen führt Bachmann dem Leser vor Augen, was die Erde alles nicht möchte, was ihr mißfällt. Wir werden darauf aufmerksam gemacht, was die Erde alles für uns tut - so pflanzt sie Koralle, etc. - daß die versucht die menschlichen Bedürfnisse zu stillen, mit all dem Schönen, das sie uns gibt. Gleichzeitig keimt in uns die Frage auf, was wir den nun für die Erde tun. Bachmann nimmt auch auf die menschlichen Werte wie Schönheit, Reichtum aber auch Stille - der Wald, den sie als Rifugium anführt, hat neben all der Stille und Ruhe, die er zweifellos in sich trägt, aber auch etwas dunkles, wenn nicht sogar gefährliches - Rücksicht. In der letzten Strophe wird die Erde nun als geschlossenes System von außen - vom Weltall aus - betrachtet. Nun fallen die gewaltigen Dimensionen auf: auf der einen Seite die Molekülzusammensetzungen von Lebewesen, auf der anderen jedoch, die Erde im All. Spätestens zu diesem Zeitpunkt muß dem Leser nun auffallen, daß auch er mitverantwortlich für das ist, was auf der Erde nun geschieht, und daß man nicht bis in alle Ewigkeiten mit der Erde das tun kann, was man will. Während Bachmann noch eine Warnung ausruft, hat das Gedicht von Klut etwas Abgeschlossenes an sich, zeigt bereits beschlosse Tatsachen auf und läßt der Leserschaft keine Hoffnung mehr. Vor allem dadurch da Ingeborg Bachmann in der letzten Strophen fast einen Reim zusammen gebracht hat, strahlt ihr Gedicht Zuversicht aus, daß die Erde doch noch tausend schöne Morgen genießen kann.
Anna Peterka
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in dem Vergleich der Gedichte "Freies Geleit" und "Schöpfungsgeschichte"?
Der Text vergleicht die Gedichte "Freies Geleit" von Ingeborg Bachmann und "Schöpfungsgeschichte" von Wilfried Klut hinsichtlich ihrer thematischen Auseinandersetzung mit der Umweltverschmutzung. Dabei werden formale Aspekte, wie Strophenform und Reimschema, sowie inhaltliche Unterschiede in Bezug auf Hoffnung und Pessimismus analysiert.
Welche formalen Unterschiede werden zwischen den Gedichten hervorgehoben?
Der Text hebt hervor, dass Bachmanns Gedicht klassische Strophen aufweist, während Kluts Gedicht die Strophenform aufgibt. Beide Gedichte enthalten jedoch keine Reime. Der zeitliche Abstand von über 20 Jahren zwischen den Gedichten wird als möglicher Grund für die unterschiedlichen formalen Gestaltungen diskutiert.
Wie unterscheiden sich die Gedichte in ihrer thematischen Betrachtungsweise der Umweltproblematik?
Bachmanns Gedicht wird als hoffnungsvoller dargestellt, wobei angedeutet wird, dass eine positive Wendung noch möglich sei. Im Gegensatz dazu vermittelt Kluts Gedicht eher das Gefühl, dass die Umwelt bereits verloren ist und den Kampf gegen die Menschheit verloren hat.
Welche Sprachbilder und Motive werden in Kluts "Schöpfungsgeschichte" analysiert?
Der Text analysiert die Verwendung von Sprachbildern wie "geschwefeltem Boden" (Assoziation mit Hölle), "Schaum-Krone" (Verseuchung der Flüsse), "chemische Keule" (negative Auswirkungen des menschlichen Handelns auf die Natur) und die Auswahl von Kamille (Symbol für reine Natur) anstelle von Rose. Auch die Verwendung der Nachtigall als Symbol des reinen Gesangs wird betrachtet. Des Weiteren wird Kluts Bibelzitat aus dem ersten Buch Moses analysiert und seine mögliche Intention, die Erde nicht so weit Untertan zu machen, dass es ihr schadet.
Welche Sprachbilder und Motive werden in Bachmanns "Freies Geleit" analysiert?
Es wird die Verwendung von "schäumenden Bechern" analysiert, die sowohl auf unberührte Natur (Meer) als auch auf chemische Verunreinigung hindeuten können. Der Rauchpilz wird als Warnung vor der Gefahr von Atombomben interpretiert. Das Motiv des "Geschöpfs" wird diskutiert und ob es sich auf den Golem oder den Zauberkönig bezieht, um darauf aufmerksam zu machen, dass sich viele Dinge verselbstständigt haben. Die Verwendung der vier Elemente durch die erwähnten Tiere wird analysiert.
Wie wird die Rolle des Menschen in Bezug auf die Erde in den Gedichten dargestellt?
Bachmann stellt die Frage, was der Mensch für die Erde tut, die ihm so viel gibt, und betont die Wichtigkeit von Werten wie Schönheit, Reichtum und Stille (Wald). Sie betrachtet die Erde als geschlossenes System aus dem Weltall und verdeutlicht die Verantwortung des Einzelnen für das, was auf der Erde geschieht. Klut hingegen vermittelt den Eindruck abgeschlossener Tatsachen und lässt der Leserschaft keine Hoffnung.
Welche Schlüsse zieht die Autorin aus dem Vergleich der Gedichte?
Die Autorin kommt zu dem Schluss, dass Bachmanns Gedicht trotz der Warnungen Zuversicht ausstrahlt, dass die Erde noch eine positive Zukunft haben kann, während Kluts Gedicht eher pessimistisch und abgeschlossen wirkt.
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- Anna Peterka (Author), 1998, Klut, Wilfried - Schöpfungsgeschichte im Vergleich zu Ingeborg Bachmann - Freies Geleit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95627