INHALTSVERZEICHNIS
1. Kurzdarstellung
2. Aufbau des Stückes
3. Historischer Hintergrund
4. Die Literarische Epoche Die Literatur wird politisiert (1961 - 68)
5. Das Dokumentartheater
6. Das Personengefüge
7. Schwerpunktaussagen des Stückes
8. Vergleich der Physikerdramen In der Sache J. Robert Oppenheimer" und Das Leben des Galilei" von Berthold Brecht"
Bibliographie
Anhang
1. Kurzdarstellung
Es soll geklärt werden, ob dem Physiker J. Robert Oppenheimer, wie schon in den Jahren 1943 und 1947, die Sicherheitsgarantie-Erlaubnis, an geheimen Projekten der Regierung mitzuarbeiten, erteilt werden kann. Daher treffen sich die Mitglieder des Untersuchungsausschusses, die Anwälte der Atomenergiekommission, sowie J. R. Oppenheimer und seine Anwälte in einem elektronisch gesicherten Raum der Atomenergiekommission.
Es wird Oppenheimer vorgeworfen, dass er seit über zwölf Jahren intensive Kontakte zu den Kommunisten pflegt. Seine diesbezügliche Einstellung wurde ihm bei den Ermittlungen in den vergangenen Jahren nie zum Vorwurf gemacht.
Durch Oppenheimer wurde die Herstellung der Wasserstoffbombe mit dem Codenamen ,,Super" um 18 Monate verzögert. Es soll nun geklärt werden, ob er sich illoyal gegenüber dem Staat verhalten habe, um so den Russen einen Vorteil zu verschaffen, oder ob moralische Beweggründe ihm zu seinem Handeln veranlassten. Im Laufe der Verhandlung wird von sechs ehemaligen Kollegen aus Los Alamos und Freunden Oppenheimers zu dessen Taten und Überzeugungen Stellung genommen. Die Mehrzahl dieser sagt unter Eid aus, dass der beste Beweis für Oppenheimers Loyalität gegenüber der amerikanischen Regierung der wäre, dass ohne ihn wahrscheinlich nie eine Atombombe hätte gebaut werden können, und man Oppenheimer nur als Fellow-Traveller (Mitreisenden) der kommunistischen Bewegung ansehen dürfe.
Die Aussage des Vaters der Wasserstoffbombe, Edward Teller, scheint für die Anwälte der Atomenergiekommission am überzeugendsten zu sein. Dieser behauptet, dass der Einfluss Oppenheimers auf andere Wissenschaftler so groß sei, dass durch seine ablehnende Haltung gegenüber dem ,,Super" - Programm viele davon abgehalten würden, daran mitzuarbeiten. Definitiv habe Oppenheimer einen falschen Ratschlag erteilt, wodurch Amerika die Monopolstellung bei den nuklearen Waffen verloren habe. Aus diesem Grund sei Oppenheimer nicht mehr in führender Position geeignet.
Im folgenden Plädoyer wird von den Anwälten ausgeführt:
,,[...]daß Oppenheimer keinen Anspruch mehr auf das bedingungslose Vertrauen der Regierung und der Atomenergiekommission hat, das sich in der Erteilung der Sicherheitsgarantie ausdrücken würde, weil ihm grundsätzliche charakterliche Mängel nachzuweisen sind."1
Die Verteidigung Oppenheimers ist von seiner Loyalität überzeugt, da der Schwerpunkt seiner kommunistischen Aktivitäten in der Zeit vor der Atombombe liegt, die Amerika große Verdienste gebracht habe. Diese habe er nie geleugnet, so dass die Belastungen auch schon im Jahre 1947, als die Sicherheitsgarantie erteilt wurde, bekannt waren.
Trotzdem wird Oppenheimer die Sicherheitsgarantie nicht erteilt.
Oppenheimer kritisiert in einer abschliessenden Stellungnahme nicht das Ergebnis der Verhandlungen, sondern den Verrat am Geist der Wissenschaft zu dem Zeitpunkt, an dem die Wissenschaftler den Militärs ihre Forschungsarbeiten überließen, ohne an die Folgen zu denken. Die Wissenschaft habe die ,,Arbeit des Teufels"2 getan und müsse sich nun wieder der eigentlichen Forschung widmen.
2. Aufbau des Stückes
Das Werk Kipphardts läßt sich in zwei Teile gliedern. Im ersten Teil, der aus sechs Szenen besteht, geht es vorrangig um Oppenheimers Motive und im zweiten Teil um seine Auffassungen zum Thema Atom- und Wasserstoffbombe.
Kipphardt schrieb das Stück in Form einer Gerichtsverhandlung. Im Anschluß an die Zeugenaussagen wird das Urteil gesprochen, dem Oppenheimer ein Schlußwort anfügt.
In der ersten Szene wird die Verhandlung eröffnet. Die Personen werden vorgestellt und der Untersuchungsgegenstand wird bekanntgegeben. Auf diese Szene folgt eine Zwischenszene, in der Robb (Anwalt der Atomenergiekommission) seine Vorgehensweise bekannt gibt.
In den Szenen zwei bis fünf wird Oppenheimers Beziehung zu den Kommunisten nachgegangen, um die Loyalität des Angeklagten in Zweifel zu ziehen. Die Anwälte Oppenheimers, Marks und Garrison, können die Behauptungen jedoch argumentativ zurückweisen.
Die Zwischenszenen werden von Kipphardt verwendet, um die Einstellungen und Charaktere der an der Verhandlung Beteiligten darzustellen. So drückt zum Beispiel in der zweiten Zwischenszene Evans sein Unbehagen über das Verfahren aus. In der dritten Zwischenszene erkennt Marks, dass sich das Verfahren gar nicht um seinen Mandanten dreht, sondern um die Unterwerfung der Wissenschaft unter das Militär. Rolander, ein Vertreter der Atomenergiekommission, stellt in der vierten Zwischenszene klar, dass es nicht um Gerechtigkeit und Moral geht, sondern um den ,,politisch-pragmatischen Charakter von Sicherheitsentscheidungen."3
In den ersten sechs Szenen werden Zeugen befragt, die - in bezug auf die kommunistische Vergangenheit - Aussagen über Oppenheimers Loyalität gegenüber dem Staat machen. Unter ihnen sind Mitglieder des Geheimdienstes (Pash und Landsdale). Außerdem werden Oppenheimers Kontakte zu Angehörigen der kommunistischen Partei deutlich gemacht (Seine Verlobte - zweite Szene; seine Schüler, Bekannte und Freunde - 3. Szene; sein Bruder - 4. Szene).
Im zweiten Teil sollen die Gründe für Oppenheimers kritisches Handeln gefunden werden. Als Zeugen werden Forscher befragt, die mit Oppenheimer befreundet sind oder mit ihm zusammengearbeitet haben. Sie alle sind Naturwissenschaftler (Teller, Bethe, Griggs und Rabi).
In der achten Szene fordert der Anklagevertreter Robb, Oppenheimer die Sicherheitsgarantie zu entziehen. Oppenheimers Anwalt, Marks, ist jedoch nicht dieser Meinung. Nach seiner Überzeugung fehlen handfeste Beweise, die die Illoyalität seines Mandanten bestätigen.
Die Verhandlung endet mit dem Urteil und dem Schlußwort Oppenheimers in der neunten Szene.
3. Historischer Hintergrund
Japan und Deutschland vereinbarten 1936 ein Abkommen zur Abwehr der kommunistischen Internationale. Es richtete sich insbesondere gegen die UdSSR. In einem geheimen Zusatzabkommen beschlossen die Mitgliedsstaaten des Antikominternpaktes Neutralität im Falle eines Krieges. Italien, Spanien, Ungarn, Rumänien und viele andere Staaten schlossen sich diesem Pakt an. Alle Bündnispartner Deutschlands bezeichnete man im 2. Weltkrieg als ,,Achsenmächte".
Die USA, Großbritannien und die UdSSR schlossen sich daraufhin als Gegeninitiative zur Anti-Hitler-Koalition zusammen. Ihr Ziel war die Überwindung der Nazi - Tyrannei.
Seit 1941 wurde in den USA mit Forschungen zur Herstellung einer Bombe begonnen, die zur Zerstörung freiwerdende Kernspaltungsenergie benutzen sollte. Da 1938 Otto Hahn in Deutschland das erste Mal die Kernspaltung gelungen war, unterlagen die Wissenschaftler in den USA dem Glauben, dass sie im Wettlauf mit Nazi - Deutschland stünden. Das traf jedoch nicht zu. Die erste Bombe wurde von den USA erst nach der bedingungslosen Kapitulation am 7./8. Mai 1945 Deutschlands gegen Japan eingesetzt. Einige Physiker, die am Bau der Atombombe beteiligt waren, versuchten vergeblich ihren Einsatz zu verhindern.
Das NS - Regime war mit Kriegsende in Europa beseitigt worden. Erst vier Monate später fand auch der Krieg gegen Japan ein Ende. Die Amerikaner standen vor einer Invasion Japans, nachdem sie jahrelang erbittert und verlustreich um die Pazifischen Inseln gekämpft hatten.
Am 6. August 1945 wurde die erste Atombombe über Hiroshima gezündet. Der Stadtkern wurde mit einer riesigen Druck- und Feuerwelle vernichtet und das Umland radioaktiv verseucht. Von 320.000 Einwohnern kamen mehr als 200.000 ums Leben. Andere starben an den Wirkungen der radioaktiven Verseuchung. Erst nachdem die zweite Atombombe auf Nagasaki fiel - und 130.000 Tote forderte - kapitulierte auch Japan bedingungslos.
In der Gestaltung der Nachkriegspolitik gab es zwischen den USA und der UdSSR Spannungen, insbesondere gegenüber Deutschland und Ländern in Mittelosteuropa.
Durch die unterschiedlichen Vorstellungen des politischen Aufbaus eines Staates - parlamentarische Demokratie auf der einen und Kommunismus auf der anderen Seite - spitzten sich die Verhältnisse zwischen den USA und der UdSSR zu. Die Spannungen zwischen den beiden Großmächten wurden mit dem Begriff ,,Kalter Krieg" bezeichnet. Ein Hauptbestandteil dieses passiven Krieges war ein Wettrüsten mit Atomwaffen (der UdSSR gelang im Jahre 1949 der Bau einer Atombombe). Die Angst vor dem Kommunismus war groß. In den USA brach eine Panik aus, während der Spitzel der Kommunisten überall und in jedem gesehen wurden (McCarthyism - benannt nach dem Vorsitzenden des Senatsausschusses zur Untersuchung unamerikanischer Umtriebe: McCarthy). Erst mit seiner Ablösung als Vorsitzender im Jahre 1954 und einer Rüge durch den Senat fand der McCarthyism ein Ende.
4. Die Literarische Epoche - Die Literatur wird politisiert (1961 - 68)
Das erfolgreichste Werk Kipphardts ,,In der Sache J. R. Oppenheimer" entstand 1964.
In den 60er Jahren litt die Bundesrepublik Deutschland unter einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Krise. Durch innen- und außenpolitische Faktoren: - die ,,deutsche Bildungskatastrophe; die sozialen Kämpfe in der Dritten Welt; der Vietnam Krieg; die ökonomische Krise von 1966/67; die hohe Arbeitslosigkeit; die weltweite Studentenrevolte ... - die Ausdruck dieser sozialen und politischen Krise waren, wurden u.a. unter der jungen Generation Selbstzweifel geweckt.
Für die Literatur hatten diese Entwicklungsmomente Konsequenzen. Vor allem die Kulturproduzenten hatten erfasst, dass die Auffassung nur ein Trugbild war, welche die Intellektuellen als Menschen darstellt, die fern von Auseinandersetzungen nur den ,,eigenen schöpferischen Impulsen" folgen. Die Literatur wurde in den 60er Jahren politisiert, insbesondere das Theater wurde von den gesellschaftlichen Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland eingeschlossen. Die Folge war die Entstehung zahlreicher Bühnenstücke mit politischer Thematik, gesellschaftlichem Engagement und eigenständiger Formgebung.
5. Das Dokumentartheater
Mit dem Dokumentenbericht ,,In der Sache J. Robert Oppenheimer" schrieb Heinar Kipphardt 1964 nach Dürrenmatts ,,Die Physiker" und Brechts ,,Das Leben des Galilei" ein weiteres Physikerdrama. Kipphards Werk distanziert sich sowohl von Brechts epischen Theater als auch vom Welttheater Dürrenmatts. Es handelt sich um eine völlig neue Theaterkonzeption: das Dokumentartheater.
Das Dokumentartheater stellt unter der Vorgabe größtmöglicher historischer Authentizität fiktive Momente in den Hintergrund und greift auf dokumentarisches Material (Akten, Tonbänder, Photos, Protokolle, Aufzeichnungen, Filme) zurück. Es ist ein Theater der Berichterstattung, dessen Grundlage alle Zeugnisse der Gegenwart sein können.
Um ,,In der Sache J. Robert Oppenheimer" wahrheitsgetreu zu gestalten, benutzte Kipphardt zum Beispiel Protokolle, Akten und Interviews. Das Dokumentarstück Kipphardts ist hauptsächlich ein Konzentrat des 3000 Seiten langen Oppenheimer- Protokolls des Untersuchungsausschusses für ,,unamerikanische Umtriebe". Dokumentartheater ist zumeist politisches Theater mit dem Hauptziel der politischen Beeinflussung des Publikums.
Die geschickte Auswahl des Materials macht die Kunst des Dokumentartheaters aus. Obwohl der Autor sich streng an Tatsachen hält, handelt es sich nicht um eine schlichte Montage von dokumentarischem Material. Alles muß nachweisbar sein, daher darf es noch nicht einmal die Übergänge erfinden.
Das Ziel dieser ,,authentischen Dramen" ist deutlich: Da das unvorstellbare Phänomen der ersten Atombombe bildlich auf der Bühne kaum dargestellt werden kann, wollte Kipphardt die Person des ,,Vaters der Atombombe" so real wie möglich in Szene setzen. Durch das Festhalten der bloßen Tatsachen wird die Unheimlichkeit der Handlung erst deutlich. Die schlichte Wirklichkeit ist bereits so unheimlich, dass sie gar nicht erst verfremdet werden muß.
6. Das Personengefüge
Wichtige Personen in Kipphardts Stück sind die drei Angehörigen des Sicherheitsausschusses, und zwar deshalb, weil sie diejenigen sind, die für das Urteil verantwortlich sein werden.
Der Chemiker Ward V. Evans ist das einzige Auschußmitglied, das Naturwissenschaftler ist. Er ermöglicht es durch gespielte Unwissenheit und geschickt eingesetztem Humor, wichtige Sachaspekte und Verdeutlichungen herauszuarbeiten. Im Minderheitsurteil kommt seine sehr starke Individualisierung noch mehr zum Ausdruck. Thomas A. Morgen stellt den Gegenpol zu Evans dar. Er bildet mit Gordan Gray, dem Vorsitzenden des Ausschusses, das Mehrheitsvotum. Gray ist von sehr formeller Korrektheit und verweist mehrmals auf die formelle Grundlage des Verfahrens. Bis auf diese Eigenschaften kommen unter den Mitgliedern des Ausschusses nicht sehr viele Unterschiede zum Vorschein.
Kipphardt wählte die befragten Personen unter vielen aus, die den Konflikt zwischen Naturwissenschaftlern und Geheimdienst am besten verkörpern, so dass die unterschiedlichen Einstellungen beider Gruppen gut herausgearbeitet sind. In wissenschaftlicher und politischer Hinsicht ist Edward Teller der Kontrahent Oppenheimers. Er gilt als ,,Vater der Wasserstoffbombe" und ist der Ansicht, dass die USA - wenn Oppenheimer sich nicht gesträubt hätte - die Wasserstoffbombe schon zu Zeiten hätten haben können, als die Russen noch keine Atombombe hatten. Er hat keine Gewissensbisse, die H - Bombe entwickelt zu haben und scheint seine Verantwortung gegenüber den Folgen, die diese Erfindung haben kann, kaum ernstzunehmen. Er hält Oppenheimer subjektiv für loyal gegenüber dem Staat und nicht für ein Sicherheitsrisiko. Da dieser jedoch Ratschläge gegeben habe, die dem Land schadeten, würde er sich ,,persönlich sicherer fühlen, wenn die vitalen Interessen des Landes nicht in seinen [Oppenheimers] Händen lägen."4 Dennoch würde er ihm aber die Sicherheitsgarantie erteilen.
Isadore Isaac Rabi verteidigt seinen Freund Oppenheimer. Er ist der Meinung, daß er an der gleichen Stelle sitzen könnte, denn er sei viel entschiedener als Oppenheimer gegen ,,das Dringlichkeitsprogramm"5 gewesen. Er hält Oppenheimer nicht für ein Sicherheitsrisiko. ,,Ich halte ihn für den loyalsten Menschen, den ich kenne, mich eingeschlossen."6
Auch Hans Bethe verteidigt Oppenheimer, lässt aber auch einige kritische Töne zu. Weil er am Bau der H-Bombe beteiligt war, hat auch er moralische Skrupel. Wie Rabi hält er Oppenheimer für loyal und damit nicht für ein Sicherheitsrisiko.
Die Geheimdienstler Pash und Lansdale nehmen Bezug auf den Vergangenheitsaspekt Oppenheimers. Sie stellen seine Verbindungen von 1943 zu Mitgliedern der kommunistischen Partei dar. Dieser Vergangenheitsaspekt zeigt deutlich den vorhandenen Widerspruch zwischen der trotz kommunistischer Verbindungen gegebenen Sicherheitsgarantie in den Jahren zuvor und dem jetzigen Verfahren. Pash hält Oppenheimer für kommunistisch und den Verdacht auf Illoyalität für gerechtfertigt. Die Aufgabe der Wissenschaft besteht für ihn darin, den Militärs und der Politik dienlich zu sein. Pash würde die Sicherheitsgarantie Oppenheimers nicht verlängern. Er verfügt über exakte Aktenkenntnis im Fall Oppenheimer. Als Beweismaterial führt er eine Bildkassette vor, die die kommunistischen Sympathien Oppenheimers verdeutlichen soll. Um eine Sicherheit im Staat zu gewährleisten, muß seiner Meinung nach auf Freiheit verzichtet werden.
Landsdale hingegen vertritt die Meinung, daß Oppenheimer sehr liberale Auffassungen hat und sieht keine Bedenken in Bezug auf das Erteilen der Sicherheitsgarantie. Für ihn besteht ein natürlicher Gegensatz zwischen Wissenschaft und Sicherheit. ,,Der Geist der Wissenschaft und die militärischen Sicherheitserfordernisse, das ist ein bißchen, als wenn Vögel und Nashörner miteinander Ball spielen. Jeder findet den anderen unmöglich und jeder hat recht."7 Landsdale verfügt über hervorragende Menschenkenntnis und benötigt keine Tonbänder, Bildkassetten oder Aktendetails, um differenzierter zu urteilen. Für ihn wird ,,Sicherheit durch beste Ideen und die beste Art zu leben gewährleistet."8 Er durchschaut die Funktion, die das Verfahren hat und bezeichnet es als Resultat einer hysterischen Politik. Die Tatsache, dass die Sachverhalte anders beurteilt werden als früher, hält er für demokratiegefährdend.
Mit ihren unterschiedlichen Meinungen zu Oppenheimer stellen Bethe und Teller den Höhepunkt der Zeugenbefragung dar. Für Teller verlangt die Entwicklung der H- Bombe Mut und diene dem Fortschritt. Neue Entdeckungen führten durch Leid zur Vernunft und verhinderten Kriege. Nach Bethes Einstellung hingegen ist die Entwicklung der Wasserstoffbombe Unsinn. Er ist der Ansicht, dass Vernunft durch Abrüstung herbeigeführt werden muß.
Rabi und Griggs zeigen das hysterische Klima auf, das sich durch die emotionalen Aussagen entwickelt, in dem das Verfahren stattfindet.
Mit Oppenheimer stellt Kipphardt die Probleme des modernen Wissenschaftlers dar, welche aus Widersprüchen, Konflikten und geistigen Handlungen bestehen. Er versucht die Unterschiede zwischen Loyalität gegenüber dem Staat und gegenüber der Menschheit herauszuarbeiten. Dabei stellt er Oppenheimer als positiven Helden dar. Es soll deutlich werden, dass Oppenheimer kein Einzelfall ist, sondern dass ein jeder Wissenschaftler sich mit dieser Problematik auseinandersetzen muß.
Das Widersprüchliche, das durch Oppenheimer verkörpert wird, wird von den Zeugen bestätigt. Teller hält Oppenheimers Handlungen für ,,wirr und kompliziert" und dessen Philosophie für ,,widerspruchsvoll".9 Bethe kritisiert Oppenheimer als ,,unentschlossen"10 und ,,zu regierungstreu".11
Das unverständliche Verhalten ist am deutlichsten im Chevalier - Fall herauszuarbeiten. Oppenheimer informiert die Sicherheitsbehörden falsch und verspätet über den Verdacht eines Sicherheitsrisikos, damit er und sein Freund nicht in Schwierigkeiten gelangen. Diese Handlung ließ jedoch einen Verdacht erst aufkommen und bewirkte das Gegenteil für seinen Freund, der aus dem Dienst entlassen wurde.
Die gedankliche Überlegenheit Oppenheimers läßt ihn arrogant und gefühlsarm wirken und sein Verhalten unentschlossen und berechnend erscheinen. Durch sein taktisches Verhalten löst er keine Probleme, sondern er verschiebt sie lediglich. Die Erfahrungen, die er mit der A-Bombe gemacht hat - und die bei ihm Entsetzen hervorriefen - bestimmen konsequent sein Verhalten.
7. Schwerpunktaussagen des Stückes
Der Abwurf der Atombombe über Hiroshima am 6. August 1945 hat die Menschen unseres Jahrhunderts mehr bewegt als nahezu alle anderen Ereignisse der jüngeren Geschichte. Diese ungeheure Wirkung erklärt sich daher, dass zum ersten Male in der Geschichte der Menschheit der Glaube an den Nutzen des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts nachhaltig erschüttert wurde. Sein grenzenloser Forscherdrang hatte dem Menschen die Möglichkeit des kollektiven Selbstmords gegeben. Die Hunderttausenden von getöteten Menschen und die Vernichtung der Städte Hiroshima und Nagasaki sind ein Symbol für das Umschlagen von wissenschaftlichem Triumph in das Grauen vor verbrecherischem Missbrauch.
Heinar Kipphardt thematisiert in seinem Werk ,,In der Sache J. Robert Oppenheimer", welches 1964 veröffentlicht wurde, die selbsterlebte Wirklichkeit und versucht so die Ursachen und Bedingungen zu bekämpfen, die zu einer Wiederholung führen könnten. Er selber hat Krieg und Gewalt aus erster Hand miterlebt. Sein Vater war ein KZ- Häftling und Kipphardt mußte an der Ostfront dienen. Diese Ereignisse prägten ihn tief. Seine eigene Nähe zum Kommunismus kann hier unberücksichtigt bleiben.
Großes Interesse hat er an der kritischen Betrachtung des Zusammenhangs zwischen dem Verhalten eines Menschen und seinen Folgen. Die Aspekte, die er dabei konkret berücksichtigt, sind Anpassung, Gehorsam und Loyalität, die zu Schuld oder Mitschuld führen.
Diese Aspekte werden im Fall Oppenheimer im ganzen Verfahren deutlich.
Zunächst wird Oppenheimer als ,,Vater der Atombombe" gefeiert, da er die Erwartungen von Politik und Militärs erfüllt. Als sich sein Verhalten jedoch auf Grund moralischer Skrupel und Gewissensbissen ändert, wird er zum Sicherheitsrisiko. Der Gedankenverrat wird vom Staat als ein neuer Tatbestand erfunden, um Oppenheimer als unbequemen Kritiker in ein schlechtes Licht zu rücken.
Kipphardt stellt im Oppenheimer - Drama hauptsächlich die Zwangslage der modernen Naturwissenschaften angesichts der Existenz von Massenvernichtungswaffen dar. Im Hintergrund berücksichtigt er aber in der Thematik auch deutlich den zweiten Weltkrieg und die Vertreibung der jüdischen Forscher während der NS-Zeit.
Heinar Kipphardt teilt die Menschen nach ihrem Verhalten in zwei gegenteilige Typen auf: in die Konformisten, die gehorsam sind und unkritische Loyalität zeigen und in die Nonkonformisten, die widerspenstig und kritisch sind.
Oppenheimer entwickelt sich vom Konformisten zum Nonkonformisten. Einerseits erfüllt er den Auftrag der Regierung voller Hingabe als es um die Atombombe geht, andererseits erschrecken ihn die Auswirkungen der Atombombe so sehr, daß er sich gegen die Entwicklung der Wasserstoffbombe stellt. Robb: ,,Warum ich in dieser alten Hiroshima-Sache herumfische, ich möchte herausfinden, warum Sie sich damals in so konsequenter Weise auf Ihre Aufgaben beschränkten, hundertprozentig loyal würde ich sagen, und warum Sie sich später in der Wasserstoffbombenfrage ganz anders verhielten?"12
Als Kernproblem des Stückes stellt sich die Frage, ob Wissenschaftler die Verantwortung für die aus ihren Erfindungen erwachsenden sozialen und politischen Folgen haben oder nicht.
Da Teller nicht die geringsten Gewissensbisse hinsichtlich der H-Bombe hat, und die Auswirkungen seiner Erfindungen nicht als sein Problem sieht, kann man daraus schließen, dass die Verantwortung des Wissenschaftlers für ihn bei seinen Forschungsergebnissen endet.
Im Gegensatz dazu macht Kipphardt bei Oppenheimer deutlich, dass für diesen und für viele andere Wissenschaftler sich die Verantwortung auch auf den Bereich der praktischen Anwendung erstreckt.13 Leider hat der Wissenschaftler nicht die Macht, den Mißbrauch seiner Ergebnisse zu verhindern. Der von Oppenheimer in seinem Schlußwort geäußerte Rückzug auf die ,,reine Forschung" ist jedoch auch keine Lösung des Problems.
8. Vergleich der Physikerdramen ,,In der Sache J. Robert Oppenheimer" und ,,Das Leben des Galilei" von Berthold Brecht
Heinar Kipphardt war nicht der einzige, der sich mit dem Verantwortungsproblem der Wissenschaftler auseinandergesetzt hat. Von Berthold Brecht wurde mit ,,Das Leben des Galilei" ein weiteres Physikderdrama verfaßt.
Brechts Theaterkonzeption unterscheidet sich jedoch von der Kipphardts.
In einem klassischen Drama wird das Gefühl einer geschlossenen Bühnenwelt vermittelt. Alle Teile der Handlung stehen in einem räumlichen und zeitlichen Bezug zueinander. Es weist eine typische Spannungskurve auf, bei der die Spannung kontinuierlich ansteigt und sich erst am Ende des Dramas auflöst.
Brecht ersetzt jedoch diese ,,geschlossene" Dramaturgie. Bei ,,Das Leben des Galilei" wird die Handlung durch ,,Reflexionsdialoge" verfremdet. Durch diese langen Dialoge wird das Urteilsvermögen des Zuschauers geschärft. ,,Die mörderische Analyse" ist einem Kommentar des Stückes ähnlicher als einer Selbstverurteilung Galileis. Zudem legt Brecht keinen Wert auf Einheit von Raum, Zeit und Handlung. Die gesamte Handlung erstreckt sich über 28 Jahre und der Zuschauer unterzieht sich einer Italienrundreise (von Padua nach Venedig, wieder nach Padua, von dort nach Florenz, dann nach Rom ...). Das Ziel ist dem Zuschauer schon bekannt, da ihm die Handlung vor dem jeweiligen Bild nahegebracht wird. Der Zuschauer soll sich nicht mit dem Bühnengeschehen identifizieren, sondern soll eine kritische Distanz entwickeln.
Diese Theaterkonzeption, das epische Theater, unterscheidet sich stark vom Dokumentartheater Kipphardts.
Im Schlußwort Oppenheimers bezieht sich Kipphardt auf die Selbstverurteilung Galileis im vierzehnten Bild von Brechts Werk. Oppenheimer äußert sich in seiner Schlußbetrachtung wie folgt: ,,...frage ich mich, ob wir den Geist der Wissenschaft nicht wirklich verraten haben, als wir unsere Forschungsarbeiten den Militärs überließen, ohne an die Folgen zu denken. So finden wir uns in einer Welt, in der die Menschen die Entdeckungen der Gelehrten mit Schrecken studieren, und neue Entdeckungen rufen neue Todesängste bei ihnen hervor."14
Brecht läßt Galilei sagen: ,,Wenn Wissenschaftler, eingeschüchtert durch selbstsüchtige Machthaber, sich damit begnügen, Wissen um des Wissens willen aufzuhäufen, kann die Wissenschaft zum Krüppel gemacht werden, und eure neuen Maschinen mögen nur neue Drangsale bedeuten Ich habe meinen Beruf verraten."15
Das Schlußwort Oppenheimers ist das einzige, was an Kipphardts Werk nicht authentisch ist. Daran, dass Kipphardt sich, wenn er vom dokumentarischen abweicht, auf Brecht bezieht, kann man erkennen, dass er große Sympatien für Brecht hegte. ,,In der Sache J. Robert Oppenheimer" kann als aktuelle Paraphrase des Galilei angesehen werden. Trotz der unterschiedlichen Form beider Werke, sind beides Physikerdramen, die das gleiche Kernproblem behandeln.
Auch Oppenheimers Lösung, der Rückzug auf die ,,reine Forschung" löst das aufgeworfene Problem nicht. Die Verantwortung des Wissenschaftlers erstreckt sich auf den Bereich der praktischen Anwendung und endet nicht bei den Ergebnissen seiner Forschung. Die Macht, Mißbrauch zu verhindern, hat er leider nicht. Er kann nur versuchen, diesen einzudämmen, indem er sich als Mensch mit folgender Fragestellung während der Forschung auseinandersetzt:
Was wäre wenn ...?" und
welche Auswirkungen hat die Entwicklung?"
Bibliographie
1. Primärliteratur
Kipphardt, Heinar In der Sache J. Robert Oppenheimer, edition suhrkamp 64 Frankfurt am Main, Erste Auflage 1964
2. Sekundärliteratur
Brecht, Berthold Leben des Galilei, edition suhrkamp 1, Frankfurt am Main, Erste Auflage 1963
Grobe, Horst Erläuterungen zu Heinar Kipphardt, In der Sache J. Robert Oppenheimer, in: Bahners, Klaus; Eversberg, Gerd und Poppe, Reiner (Hrsg.), Königs Erläuterungen und Materialien, Band 160, 1. Auflage, Hollfeld 1997
Harenbergs Lexikon der Weltliteratur Autoren - Werke - Begriffe, Band 3, Harenberg Lexikon Verlag Dortmund, 2. Auflage 1989
Schüler Duden Die Geschichte, Dudenverlag Mannheim, Wien, Zürich, 2. Auflage 1988
[...]
1 Kipphardt, Heinar: In der Sache J. Robert Oppenheimer, edition suhrkamp 64, Frankfurt am Main, Erste Auflage 1964, S. 143
2 Kipphardt, Heinar: In der Sache J. Robert Oppenheimer, a.a.<o., S. 147
3 Bahners, Klaus, Eversberg, Gerd und Poppe, Reiner (Hrsg.), Grobe, Horst: Erläuterungen zu Heinar Kipphardt ,In der Sache J. Robert Oppenheimer, Königs Erläuterungen und Materialien, Band 160, 1. Auflage, Hollfeld 1997, S. 35
4 Kipphardt, Heinar: In der Sache J. Robert Oppenheimer, a.a.O., S. 105
5 Kipphardt, Heinar: In der Sache J. Robert Oppenheimer, a.a.O., S. 125
6 Kipphardt, Heinar: In der Sache J. Robert Oppenheimer, a.a.O., S. 128
7 Kipphardt, Heinar: In der Sache J. Robert Oppenheimer, a.a.O., S. 68
8 Grobe, Horst: Erläuterungen zu Heinar Kipphardt ,In der Sache J. Robert Oppenheimer, a.a.O., S. 45
9 Kipphardt, Heinar: In der Sache J. Robert Oppenheimer, a.a.O., S. 105 f.
10 Kipphardt, Heinar: In der Sache J. Robert Oppenheimer, a.a.O., S. 115
11 Kipphardt, Heinar: In der Sache J. Robert Oppenheimer, a.a.O., S. 117
12 Kipphardt, Heinar: In der Sache J. Robert Oppenheimer, a.a.O., S. 17
13 vgl. aber auch die sich windenden Aussagen Oppenheimers zum Einsatz der ersten Atombombe, Kipphardt, Heinar: In der Sache J. Robert Oppenheimer, a.a.O., S. 11 ff.
14 Kipphardt, Heinar: In der Sache J. Robert Oppenheimer, a.a.O., S. 146
15 Berthold Brecht: Leben des Galilei, edition suhrkamp 1, Frankfurt am Main, Erste Auflage 1963, S. 125f.
- Quote paper
- Annika Vieten (Author), 1998, Kipphardt, Heinar - In der Sache J. Robert Oppenheimer, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/95490
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