Ziel dieser Arbeit ist es, den kulturhistorischen Weg der Schlachtung nachzuzeichnen und Methoden zu untersuchen, die gute Alternativen zur industriellen Schlachtung sein können. Die Fallbeispiele sind überwiegend Beispiele österreichischer Projekte. Die rechtlichen Grundlagen, auf die in dieser Arbeit verwiesen wird, betreffen die Rechtslage in Österreich, Deutschland bzw. die EU-Judikatur.
Unser Umgang mit Nahrungsmitteln ist einem radikalen Wandel ausgesetzt. Gerade der Fleischkonsum war immer schon ein gesellschaftlich und politisch hochrelevantes Thema mit hohem Konfliktpotential und gesellschaftlichen Entwicklungschancen gleichermaßen. Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Grundvoraussetzung unseres Fleischkonsums: der Schlachtung von Nutztieren und ihrer Entwicklung.
Die Geschichte des Schlachtens und des Verarbeitens von Tieren ist älter als die Geschichte der Metzgerei. Anfangs übernahmen die Nutztierhalter die Aufgabe des Tötens und Zerlegens noch selbst. Erst mit zunehmender Bedeutung der Städte entwickelte sich der Berufsstand der Metzger, der die Aufgabe hatte, die Städte mit Fleisch zu versorgen. Zuerst gehörten die Tiere, vor allem Ziegen, Schafe und Schweine, aber auch Rinder, noch zum Stadtbild, und das Handwerk des Metzgers genoss hohes Ansehen. Doch die Reputation erwies sich als brüchig. Seit der Schlachtvorgang aus dem Blickfeld der Konsumenten und Konsumentinnen verbannt und in von der Außenwelt abgeschlossene „Schlachtanstalten“ verlegt worden ist, liegt zwischen dem „Schlachter“ und der Gesellschaft ein unüberbrückbarer Graben.“ Das im Verlauf des Prozesses der Zivilisation „peinlich gewordene“, nämlich das Töten und Zerlegen von Tieren, wird hinter die Kulissen des gesellschaftlichen Lebens gelegt. In Schlachthöfe an den Rändern der Stadt. Sprichwörtlich an den Rand der Gesellschaft und noch weit darüber hinaus.
2 Inhaltsverzeichnis
1 Vorwort
2 Inhaltsverzeichnis
3 Einleitung
4 Der Anfang – von der neolithischen Revolution zur Bronzezeit
4.1 Die Grabung und der Kontext
4.1.1 Exkurs – der Übergang vom Opfer- zum Nutztier
5 Der goldene Boden – Das Metzgerhandwerk im Mittelalter
5.1 Übergänge. Von der späten Antike zum Frühmittelalter
5.2 Exkurs in die Moderne: Hofschlachtung und Sautanz als Rückbesinnung
5.3 Zunft und Handwerk im Mittelalter
5.3.1 Der Metzger – Etymologie des Begriffs und Entwicklung des Berufs
5.3.2 Zusammenfassung: Vorindustrielles Schlachten
6 Der Scheideweg – Die Industrialisierung
6.1 Urbanisierung und Industrialisierung
6.1.1 Wien – Schlachthof St. Marx und seine Vorläufer
6.1.2 Der Prozess der Schlachtung
6.1.3 Der Vorläufer des Bolzenschuss-Apparates
6.2 Die Entwicklung der Schlachthöfe in den USA
7 Moderne Methoden
7.1 Allgemeines
7.2 Betäubungsvarianten
7.2.1 Schlachten mit dem Schlachtschussapparat
7.2.1.1 Allgemeines und Bauweise
7.2.1.2 Individuelle Ansatzpunkte
7.2.1.3 Zusammenfassung
7.2.2 Weitere Betäubungsmethoden
7.2.2.1 Elektrozange
7.2.2.2 Kohlendioxid
7.2.2.3 Kritik aus der Perspektive des Tierschutzes
7.2.3 Exkurs: Erlaubt & verboten: das halāl-Urteil des EuGH
8 Alternativen und neue Entwicklungen
8.1 Kugelschuss auf der Weide
8.1.1 Praxisbeispiele und Erfahrungen in Österreich
8.1.1.1 Betrieb A (Galloway-Rinder, Niederösterreich)
8.1.1.2 Betrieb B (Bison, Rumänien)
8.2 Mobile Schlachteinrichtungen
8.2.1 Weideschlachthaus
8.2.2 Die Mobile Schlachtbox
8.2.3 Der Mobile Schlachthof
9 Conclusio & Ausblick
10 Abstract
10.1 Deutsch
10.2 Englisch
11 Internet-Quellenverzeichnis
12 Tabellenverzeichnis
13 Abbildungsverzeichis
14 Literaturverzeichnis
3 Einleitung
Unser Umgang mit Nahrungsmitteln ist einem radikalen Wandel ausgesetzt. Gerade der Fleischkonsum war immer schon ein gesellschaftlich und politisch hochrelevantes Thema mit hohem Konfliktpotential und gesellschaftlichen Entwicklungschancen gleichermaßen. Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Grundvoraussetzung unseres Fleischkonsums. Der Schlachtung von Nutztieren und ihrer Entwicklung.
Kulturgeschichtlich lässt sich der Beginn des Neolithikums als jener Zeitraum festmachen, in dem die Viehzucht (und damit das Schlachten) begann. Die Veränderung vom wildbeuterischen, nomadischen Leben der ausklingenden Altsteinzeit zum sesshaften, von Ackerbau und Viehzucht geprägten Leben in der jungen Neusteinzeit war so massiv, dass dabei von der neolithischen Revolution gesprochen wird. Mit dem Übergang zu dieser Wirtschaftsform beginnt der nacheiszeitliche Mensch zum ersten Mal Pflanzen und Tiere zu domestizieren. Rückschlüsse auf Schlachtmethoden im engeren Sinn sind schwierig und spekulativ. Es kann aber angenommen werden, dass die Tötung der Tiere ähnlich erfolgte wie das Erlegen von Wildtieren.
Die Geschichte des Schlachtens und des Verarbeitens von Tieren ist älter als die Geschichte der Metzgerei. Anfangs übernahmen die Nutztierhalter die Aufgabe des Tötens und Zerlegens noch selbst. Erst mit zunehmender Bedeutung der Städte entwickelte sich der Berufsstand der Metzger, der die Aufgabe hatte, die Städte mit Fleisch zu versorgen. Zuerst gehörten die Tiere, vor allem Ziegen, Schafe und Schweine, aber auch Rinder, noch zum Stadtbild, und das Handwerk des Metzgers genoss hohes Ansehen. Doch die Reputation erwies sich als brüchig. Seit der Schlachtvorgang aus dem Blickfeld der Konsumenten und Konsumentinnen verbannt und in von der Außenwelt abgeschlossene „Schlachtanstalten“ verlegt worden ist, liegt zwischen dem „Schlachter“ und der Gesellschaft ein unüberbrückbarer Graben.“1 Das im Verlauf des Prozesses der Zivilisation „peinlich gewordene“, nämlich das Töten und Zerlegen von Tieren, wird hinter die Kulissen des gesellschaftlichen Lebens gelegt. In Schlachthöfe an den Rändern der Stadt. Sprichwörtlich an den Rand der Gesellschaft und noch weit darüber hinaus.
Grundsätzlich unterscheidet das Gesetz bei der Schlachtung zwischen Bio- und konventionellem Fleisch nicht. Die einzige Anforderung: der Schlachthof, in dem Bio-Schweine, Bio-Kühe, Bio-Lämmer und andere Tiere aus kontrolliert biologischer/ökologischer Haltung geschlachtet werden, braucht ein Bio-Zertifikat. Das einzige, worauf dabei geachtet wird, ist die penible Trennung zwischen den beiden, um Verwechslungen oder „Kontamination“ zu vermeiden.
Der größte Unterschied ergibt sich aus der Struktur der Industrie. Im Schweinebereich (der „Markt“ umfasst 2017 etwa 58 Millionen Schlachtungen/Jahr) sind 50 % des Volumens auf 3 Schlachtbetriebe aufgeteilt.2 Bei einem Bio-Anteil von unter 2 % ist das Bio-Segment für diese Betriebe völlig uninteressant. Daraus ergibt sich für Bio-Betriebe der Vorteil kleinerer Strukturen, sprich kleinerer Schlachthöfe.
Die gesetzlichen Grundlagen der Schlachtung gelten jedenfalls für beide gleichermaßen und sind in der „Verordnung zum Schutz von Tieren im Zusammenhang mit der Schlachtung oder Tötung und zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 des Rates“, kurz Tierschutz-Schlachtverordnung geregelt. Die Verordnung regelt sehr klar die Ausstattung des Schlachthofs, den Sachkundenachweis und klarerweise das Betäuben und Schlachten der Tiere selbst.
Die Regelungen sind auch für die Bio-Verbände bindend, sodass die Richtlinien für die Verarbeitung von Fleisch und Fleischerzeugnissen stärker auf den Transport und das Behandeln der Tiere vor dem Transport und vor der Schlachtung fokussieren, als auf die Schlachtung selbst. Biokreis, Bioland und Biopark sind sich dabei zum Beispiel einig über die Bedeutung des Transports zum Schlachthof. Elektrotreiber oder Schlaginstrumente sind ebenso verboten wie die Fütterung (von Schweinen) kurz vor dem Transport. Für das Transportmittel gibt es klare Vorgaben die Neigung der Ladefläche und den Freiraum über den Köpfen betreffend und Biokreis schreibt eine maximale Distanz von 200 Kilometern vor. Bei der Betäubung halten sich die Verbände an den Geist der TierSchlV). Bei Schweinen hat die Betäubung per Bolzenschussgerät nur in begründeten Ausnahmefällen zu geschehen, sonst gilt Elektrobetäubung als Methode der Wahl. Rinder werden – mit gut fixiertem Kopf per Bolzenschuss betäubt, sollte eine Einwilligung/Genehmigung der Behörde vorliegen, ist auch die Methode des Kugelschusses erlaubt. Die kulturgeschichtliche Betrachtung der Schlachtung von Nutztieren spannt einen Bogen von der neolithischen Revolution in der Jungsteinzeit hin zur aktuellen (und hochbrisanten) Diskussion über Hausschlachtung und Weideschuss. Am Anfang dieses Weges war das Verhältnis zwischen Menschen und ihren Nutztieren ein sehr enges. Durch den Prozess der Zivilisation und die damit einhergehende Arbeitsteilung wurde die Distanz größer. Es kam zu einer Entfremdung, die ihren Höhepunkt in der Industrialisierung hatte. Erst in den letzten Jahren mehren sich die Stimmen (und Projekte) die die ursprüngliche Nähe und Natürlichkeit des Schlachtens wiederherstellen wollen. Der Widerstand der Fleischindustrie und ihrer Lobby ist dabei enorm.
Ziel dieser Arbeit ist es, den kulturhistorischen Weg der Schlachtung nachzuzeichnen und Methoden zu untersuchen, die gute Alternativen zur industriellen Schlachtung sein können.
Die Fallbeispiele sind überwiegend Beispiele österreichischer Projekte. Die rechtlichen Grundlagen, auf die in dieser Arbeit verwiesen wird, betreffen die Rechtslage in Österreich, Deutschland, bzw. die EU-Judikatur. Die Verweise mögen sprunghaft wirken, sind aber klar gekennzeichnet.
4 Der Anfang – von der neolithischen Revolution zur Bronzezeit
4.1 Die Grabung und der Kontext
Das im oberösterreichischen Teil des Salzkammerguts liegende Hallstatt ist einer der bedeutendsten prähistorischen Fundorte weltweit. Der Ort liegt – verkehrsmäßig höchst benachteiligt am Westufer des Hallstätter Sees und schmiegt sich eng an die Hänge des Salzbergs. Heute wird der Ort regelmäßig von Touristen überrannt, aber auch in der hier relevanten Bronzezeit dürfte der Ort von überregionaler Bedeutung gewesen sein.3
Für die vorliegende Arbeit ist ein besonderer Fund von großer Bedeutung:
„Im Zuge der Neuverlegung des Abwasserkanals und einer Turbinen- und Trinkwasserleitung wurde parallel zum alten Weg durch das Salzbergtal, zwischen Rudolfsturm und Bergschmiede eine Künette gegraben, die nahe dem Talausgang, knapp nordwestlich des berühmten Gräberfeldes, mächtige Kulturschichten anschnitt.“4
Durch Ausweitung des Grabungsradius stießen die Archäologen auf eine Stelle mit massenhaft angesammelten Tierknochen. Die Fundkonzentration an dieser Stelle war überdurchschnittlich hoch. Darüber hinaus deutet archäologischer Beifund (Messer- und Werkzeug-Bruchstücke, Keramik und Bronzenadeln) darauf hin, dass es sich bei dieser Fläche von etwa 200 m2 um einen prähistorischen Schlachthof handelt.5
Interessant ist der Hallstätter Fund in mehrerer Hinsicht. Zum einen ist davon auszugehen, dass die Schlachtung und Fleischverarbeitung im bronzezeitlichen Hallstatt nicht mehr der Selbstversorgung dienten, wie am Beginn der neolithischen Revolution. Vielmehr wurden die Schlachtung und Verarbeitung als Logistik- und Versorgungsleistung betrieben. Somit könnte es sich um einen der ersten gewerblich intendierten Schlacht- und Verarbeitungsbetriebe handeln. Für diese These spricht auch, dass an den gefundenen Tierknochen kaum nennenswerte Zerlegspuren gefunden werden konnten. Während an anderen Fundorten in Zentraleuropa die Knochenreste übersäht von Schnitt- und Hackspuren sind, fehlen sie an den Knochen des Hallstattfundes komplett. Dafür gibt es nur zwei möglich Erklärungen. Einerseits eine entwickelte Zerlegtechnik, andererseits ein hohes Maß an (gewerblicher) Fertigkeit. Beide Annahmen stützen die These, dass es sich um einen Schlachtbetrieb gehandelt haben muss, der als sehr fortschrittlich betrachtet werden muss.6
Der Fund ist auch ein erster Hinweis auf arbeitsteilige Schlachtung und Fleischverarbeitung im zentraleuropäischen Raum. Aufgrund der speziellen Lage und Topographie Hallstatts ist davon auszugehen, dass hier keine autochthonen Tiere geschlachtet und verarbeitet wurden. Der Fund offenbart also durchaus moderne Strukturen. Regelmäßig Anlieferung von Schlachtkörpern, Konzentration auf einen kleinen Raum, handwerkliche Geschicklichkeit beim Zerlegen der Schlachtkörper, die weit über das durchschnittliche Maß hinausgeht. Auch, wenn nichts darauf hindeutet, dass in Hallstatt auch selbst geschlachtet wurde, kann doch davon ausgegangen werden, dass der Fund den ersten professionellen und arbeitsteilig organisierten Zerlegebetrieb markiert. Die Entfremdung von Mensch und Nutztier könnte hier einen prominenten Ausgangspunkt haben.
4.1.1 Exkurs – der Übergang vom Opfer- zum Nutztier
Bezüglich der Klassifizierung von manchen Tieren als rein bzw. unrein ist unter anderem die Hypothese aufgestellt worden, dass bestimmt Tiere aus hygienischen Gründen heraus nicht gegessen werden. Dabei ist jedoch festzuhalten, dass bei einer Gliederung nicht zwingend biologische Gründe im Vordergrund standen, sondern dass das Tier auch unter symbolischen Gesichtspunkten beurteilt wurde. Alle menschlichen Kulturen haben Tabus, welche auch Tiere einschließen und das Judentum hat seinen Tabus die göttliche Autorität der Bibel zu Grunde gelegt, welche zuerst nicht bestimmte Tiere als unrein darstellt, sondern ein Ordnungssystem der Tierwelt anbietet, je nach Lebensraum der betreffenden Tierart. Erst danach werden in Leviticus bestimmte Land- und Wassertiere als essbar deklariert, dies aus-gehend von den Charakteristiken bekannter und als Fleischlieferant akzeptierter Tiere wie Schaf, Ziege und Rind. Jene Tierarten, welche der Mensch gegessen hat, waren es auch, die geopfert wurden, womit eine Verbindung von verzehrbarem Fleisch und Tieropfer hergestellt werden kann. In traditionellen Kulturen war es selten, dass Fleisch unabhängig von einer Opferzeremonie gegessen wurde, wie weiter unten erläutert wird. Das Schwein stellt dabei im Gegensatz zu den anderen Paarhufern Schaf, Ziege und Rind einen Sonderfall dar, denn es wurde von den meisten Kulturen im Ursprungsgebiet des Christentums kaum genutzt, wie sich an der Absenz von Schweineknochen bei archäologischen Ausgrabungen feststellen lässt. Ein Grund mag die Dürre des Landes gewesen sein, da Schweine ausreichend Wasser zum Suhlen benötigen. Die Tatsache, dass Schweine wie auch Hunde Allesfresser sind, sich also vom Abfall ernährten, scheint ein zweiter Grund zu sein, dass die Menschen sie nicht auf ihren Speiseplan stellten, was sie denn auch zu unreinen Tieren degradierte. Denn unreine Kreaturen waren für den Gottesdienst ungeeignet und somit auch als Nahrung des gläubigen Menschen. Geändert hat sich diese Tatsache mit dem Aufkommen der hellenistischen Kultur und ihrer Symbolik, sonst wäre das Schwein wohl heute nicht einer der Hauptfleischlieferanten unserer westlichen Kultur. Das Schlachten von Tieren war in dieser Übergangszeit ausschließlich christlichen Würdenträgern vorbehalten.
5 Der goldene Boden – Das Metzgerhandwerk im Mittelalter
5.1 Übergänge. Von der späten Antike zum Frühmittelalter
Um sich heute ein Bild von der Ernährungssituation im frühen Mittelalter, also in der Zeit zwischen 500 n. Chr. und etwa 1050 n. Chr., machen zu können, stehen sowohl archäologische Funde wie auch eine Reihe von Schriftquellen zur Verfügung. Zu diesen Schriftquellen zählen die Aufzeichnungen von Georg von Tours, die des griechischen Arztes Anthimus sowie eine Gesetzessammlung, die unter dem Namen Lex Salica bekannt wurde, zur Verfügung.7 Die Quellen zeichnen etwa folgendes Bild:
„Fleisch stand im Zentrum der Ernährung. Wegen des Futtermangels musste ein großer Teil des Viehbestandes zu Beginn des Winters geschlachtet werden. Das frische Fleisch wurde meistens gekocht. Wenn man es räucherte oder pökelte, war es haltbarer und konnte auch im Winter und im Frühjahr als Fleischvorrat dienen.“8
Es kann davon ausgegangen werden, dass – auch aus heutiger Perspektive – die Qualität des Schweinefleisches ausgezeichnet war. Die Tiere wurden zur Mast in den Wald getrieben, fanden dort ausgewogenes Futter, entwickelten eine gute Muskulatur. Beides gute Voraussetzungen für guten Geschmack. Dem stand allerdings ein hohes Risiko gegenüber, da ein überwiegender Teil der Schweine parasitär verseucht war, sodass der Verzehr eine ernste Gefahr darstellte.
Die fleischreiche Ernährung sowie die hohe Bedeutung der Schweine mag für das Frühmittelalter gelten. Im Hoch- und Spätmittelalter nimmt sie allerdings wieder deutlich ab. Das hängt damit zusammen, dass die städtische Lebensweise am Beginn des Frühmittelalters im Gegensatz zur Spätantike wesentlich zurückging. Als Wirtschaftsweise dominierte die Hauswirtschaft. Arbeitsteilung war noch weitgehend unbekannt.9
Schubert stellt die Situation des Fleischkonsums und die Bedeutung der Nutztiere demnach auch gänzlich anders dar:
„Fleischarmut. Vor allem Frischfleisch ist selten. Die Küche, insbesondere die des gemeinen Mannes, ist nicht nur fleischarm, sondern mehr noch arm an Frischfleisch. Dieses gibt es nur zu bestimmten Zeiten, im Früh- und Hochmittelalter nur in den Schlachtmonaten November und Dezember, wobei vor allem im Dezember, der auch „Schweinemonat“ heissen kann, geschlachtet wurde. Das in diesen Wochen gedörrte oder eingepökelte Fleisch mußte mindestens bis Ostern ausreichen.“10
Wichtig ist an dieser Stelle die Tatsache, dass die hauswirtschaftliche Wirtschaftsweise dazu führte, dass Schlachtungen hauptsächlich auf den Höfen stattfanden. Das Mästen der Tiere über den Sommer, bzw. das Schlachten im frühen Winter gehörte zum natürlichen Kreislauf der Hofwirtschaft. Wunderlin schrieb dazu:
„Das häusliche Schweineschlachten erfolgte aus praktischen Gründen meist nur in der kalten Jahreszeit und diente – ganz wichtig – der Reduktion des Tierbestands, der nicht ausnahmslos durch den Winter gefüttert werden konnte. Wo der Martinstag (11. November) im bäuerlichen Jahr den Abschluss des landwirtschaftlichen Arbeitens markierte und Zinstag war und im katholischen Kirchenjahr der Vorabend der adventlichen, sechswöchigen Fastenzeit war, kannte man das „Martinsschlachten“ am Vorabend des Heiligenfests. Das Fleisch des dann geschlachteten Schweines diente vor allem zum Sofortverzehr an Martini und wurde ins Kamin gehängt. Wer es sich leisten konnte, schlachtete zum Nikolaustag, wobei das hier gewonnene Fleisch weitestgehend eingepökelt wurde, da dieser Termin in die Fastenzeit fiel.“11
Hausschlachtungen, vor allem aber die traditionellen Schlachtfeste, egal, ob sie „Metzgete“, wie in der Schweiz oder „Sautanz“ wie in Österreich genannt wurden, waren immer tief in der bäuerlichen Tradition verwurzelt12 und in den natürlichen Ablauf des Wirtschaftsjahrs eingebettet.
5.2 Exkurs in die Moderne: Hofschlachtung und Sautanz als Rückbesinnung
Nördlich von Wien liegt das Weinviertel. Im südlichen Weinviertel die Gemeinde Hollabrunn und in der Nähe von Hollabrunn liegt Wischathal. Wischathal hat 50 Einwohner, allerdings ist der Kreis da schon recht großzügig um den Ortskern gezogen. Hier lebt die Familie Wiesner und ihre Tiere. Vorwiegend sind das Mangalitzaschweine. Rote, blonde und schwalbenbäuchige. Also die mit schwarzem Rücken und blondem Bauch. Die Wiesners lieben ihre Tiere. Und ihr Fleisch. Sie haben quasi ihr Leben dieser alten Rasse verschrieben und liegen – weil sie erstens ihre Schweine lieben und zweitens Qualitätsfanatiker sind, was Fett und Fleisch betrifft – im Clinch mit den Behörden. Amtstierarzt, Lebensmittelbehörde, Neider und die Polizei machen der Familie das Leben schwer. Auf der Suche nach Lösungen sind sie auf eine Möglichkeit gestoßen, ihr fundamentales Wissen über Hofschlachtung, Zerlegung und Verarbeitung zu Geld zu machen. Außerdem halten sie damit altes Wissen lebendig. In Schlacht- und Verarbeitungskursen für verantwortungsbewusste Konsumenten und Köche. In Österreich und in Amerika.
Beginnen wir beim Lebensentwurf von Isabell und Christoph Wiesner, den Bauern. Was die Beiden sich und ihren vier Kindern in Wischathal geschaffen haben, ist für viele urban people schlicht unvorstellbar und vielleicht gerade deshalb so faszinierend. Die Familie lebt in einem Refugium für alte Nutztierrassen, baut deren Futter selbst an und verarbeitet auch das Fleisch der eigenen Tiere. Für den Eigenbedarf natürlich. Aber darauf komme ich noch. Doch trotz aller Bodenständigkeit und Rustikalität, die an diesem Archehof zu spüren ist, stehen die sechs mit beiden Beinen im 21. Jahrhundert. Aktive facebookaccounts, ein Dolby-Surround-Multimedia-Homekino sind für die Kids genauso selbstverständlich wie ihre Verantwortung für die Gänse, Pferde, Puten und Hendln.
Mittlerweile gelten die Wiesners als Kapazitäten für Mangalitza-Schweine. Nicht nur in Österreich. Sie exportieren rote, blonde und schwalbenbäuchige Zuchtschweine sowie das Wissen, was mit den Tieren anzufangen ist, und die Liste der Länder ist lang. Von den USA bis in die Ukraine stehen die Nachkommen aus ihrer Herde und schlachten und verarbeiten Züchter, Bauern und Köche nach gründlichem Training mit Isabell und Christoph.
Für die „Safaris“ in Österreich hat sich mittlerweile ein ganz bestimmter Ablauf etabliert, wobei die allererste dieser Veranstaltungen schon ein besonderes Erlebnis für alle Beteiligten war. Eintrudeln der Teilnehmer zwischen 8 und halb 9. Und noch vor dem Start die ersten Abenteuer. In Wien angebliches Schneechaos. Tatsächlich lagen ungefähr 30 cm Schnee in Wischathal. So viel wie schon knapp 20 Jahre nicht mehr. Keine Chance, die Hofauffahrt aufrechten Ganges hinaufzugehen. Vom Hinauffahren mit dem Auto ganz zu schweigen. Erster Programmpunkt: Vorstellung der Familie und des Betriebs. Dann eine kurze Vorstellrunde der Besucher. Es ist saukalt, die Runde ist aber unvermeidlich. Nichts fürchten die Wiesners im Moment mehr als „Schläfer“ in den Reihen der Teilnehmer. Schlachten dürfen sie nämlich daheim. Allerdings nur für ihren eigenen Bedarf. Für Christoph Wiesner ist klar, dass seine Tiere qualitativ um Kategorien besser sind, als die begutachteten Schweine im AMA-System. Seine Tiere leben im Wald. Wenn nicht gerade eine Safari oder eine ähnliche Veranstaltung stattfindet, schlachtet Christoph die Schweine in der Nähe der Herde. Der Transportweg zum Schlachthaus (und der damit verbundene Stress der Tiere) fällt dadurch komplett weg. Das Paradoxe an dieser Situation ist, dass die amtlichen Tierärzte und Lebensmittelkontrolleure das natürlich auch wissen, aufgrund der entsprechenden Regelungen aber oft gegen ihre Überzeugung handeln müssen. Zurück zur Safari. Die Wiesners lassen sich von den Teilnehmern unterschreiben, dass sie zwar beim Schlachten, Zerlegen und Zubereiten zuschauen dürfen. Essen darf aber niemand was. Alle unterschreiben schmunzelnd.
Christoph erklärt die Funktion des Schlachtschussapparates, zeigt es einmal an einem Stück Eichenholz und lässt dann ein paar Teilnehmer zum Schuss kommen. Am Holz natürlich. Die Sau schießt er lieber selber. Mit dem Bolzen wird das Schwein erst einmal betäubt. Das eigentliche Schlachten erfolgt durch einen gezielten Stich in ein Blutgefäß. Das Tier – heute ein rotes Mangalitza – zuckt noch ein wenig während Christoph auf ihm kniet und mit dem Vorderlauf das letzte Blut aus dem Körper pumpt. Blitzschnell ist Isabell an seiner Seite. Das frische Blut wird in einer Schüssel aufgefangen und muss sofort mit der Hand aufgerührt werden. Passiert das nicht, stockt das Blut und ist für die Blutwurst unbrauchbar. Danach wird die Sau recht flott enthaart, gewaschen, geputzt und schließlich zum Ausnehmen und Grobzerteilen aufgehängt. Hier ist Wiesner wieder in seinem Element. Mit beeindruckender Präzision schneidet er den Schlachtkörper auf und beginnt zu erklären. Fett, Gebärmutter, Nieren, Milz (sieht aus wie eine große Zunge, ist es aber nicht!), wieder Fett. Manchmal verstummt er. Dann hat er das Messer im Mund und arbeitet mit beiden Händen im Schwein. „Andere würden das Messer während dessen irgendwo in den Schweinekörper stecken. Dafür ist mir aber der Muskel zu schade.“, bringt er seine Philosophie auf den Punkt. HACCP hin oder her.
Im Anschluss daran geht es in die Küche. Die bietet erstaunlicherweise 20 Leuten locker Platz und der Reigen beginnt. Gebackenes Hirn, Milzschnitten, kurz gebratene Nierndln, sensationelles Beuschel, süße Schmerstangerl und als Krönung geschmorte Schulter und letztlich den Schlußbraten. 5.608 Kilometer (Luftlinie) weiter westlich und ein knappes Jahr später. Es ist ein eiskalter Oktobermorgen. Irgendeine Farm, irgendwo in New Jersey. Nein, nicht irgendeine Farm. Es ist die Møsefund Farm, Residenz eines reichen Dänen und mittlerweile die größte Mangalitza-Zucht der USA. Hinter dieser Farm, gleich neben dem Freigehege, in dem die Wollschweine leben, haben sich ein paar Männer eingefunden. Sie sehen unausgeschlafen aus. Unsicher. Und unrasiert. Etwas abseits steht ein Trailer, und an der Hauswand dampft heißes Wasser aus in einer alten Badewanne. Im Moment ist noch alles ruhig. Einige der Männer wärmen sich mit heißem Kaffee, andere mit Rum. Unter ihnen auch Tomas, der Held unserer Geschichte.
Es wäre übertrieben zu sagen, dass Mangalitza-Schweine in Amerika der große Renner sind. In einem Land, in dem Konsumenten Fett meiden, wie der Teufel das Weihwasser, haben es Wollschweinzüchter nicht leicht. Die Møsefund-Farmer haben sich für eine Strategie entschieden, in der sie mit den Top-Leuten der New Yorker Dining-Szene zusammenarbeiten. Genau das ist die Heimat von Tomas Curi, dem Chefkoch vom trendigen „corsino“. und Finalist im „Hottest Chef in New York“ - Bewerb. Erfolgsverwöhnt und immer am Puls der Zeit. Es versteht sich fast von selbst, dass Tomas dafür zu haben war, als die Møsefund-Leute auf ihn zukamen und ihm einen Seminarplatz anboten. Tomas ist drei Tage lang dabei und lernt den gesamten Prozess kennen. Vom Schuss bis zum Schluss. Isabell und Christoph Wiesner waren die Lehrmeister für diese drei Tage, in denen der Koch aus New York zum Schlächter von New Jersey wird.
Bevor Tomas zum Schuss kommt, erklärt Christoph noch die Funktionsweise des Schlachtschussapparates - und lässt die Schüler üben. Tomas ist einer, der es immer ganz genau wissen will. Konzentriert studiert er die Captive Bolt Gun, so lange, bis er verstanden hat, wie sie funktioniert. Sein Übungsschuss in den Holzscheit ist nahezu perfekt. 4 Schweine werden an diesem Tag geschlachtet. In Tomas siegt der Perfektionist (Erst den anderen zusehen und daraus lernen) über den Draufgänger (Just do it). Das wird ihm zum Verhängnis. Zum Schluss ist nur noch Tomas‘ Tier im Trailer, und es ist ein Monster. Es ist älter und fast doppelt so schwer, wie die anderen. Außerdem scheint es ganz genau zu wissen, was sich hier abspielt, lässt sich nicht in eine Ecke drängen, bzw. bricht immer wieder aus der gewählten Ecke aus. Keine Chance - Routinier Wiesner muss in den Trailer und dem Schwein die Betäubung ins Hirn bolzen.
Dass das nicht das Non plus Ultra fürs (männliche) Ego ist, liegt auf der Hand. „Das passiert immer wieder“, meint Isabell Wiesner, „und eigentlich brauchen die Herren der Schöpfung dann ganz besondere Zuwendung“. Nicht Tomas Curi. Der ist zwar eine Spur ruhiger als vorher, dafür aber mit 120% Eifer bei der Sache. Er sticht, kniet am Tier, pumpt, wie er es gelernt hat, das Blut in eine Wanne und beginnt sofort mit einer Hand darin zu rühren. Wenn es stockt (und das tut es ziemlich schnell), gibt es keine black sausage, keine Blutwurst. Auch beim nächsten Schritt ist der Koch mit Enthusiasmus und Körpereinsatz dabei. Es gilt, das Wollschwein von seiner Wolle zu befreien. Jetzt kommt die alte Wanne, mit dem heißen Wasser zum Einsatz. Die Sau wird mit Schweinspech, einem mehlähnlichen Pulver eingerieben und mit 2 schweren Ketten in den Trog gelegt. Diese Ketten reiben dann - einer Sägebewegung nicht unähnlich - die gröbsten Borsten von der Haut.
In der Folge lernt Curi, dass Schlachten und Zerlegen auch präzise Feinarbeit ist. In einer Lehrstunde schweinischer Anatomie wird der Schlachtkörper aufgeschnitten. Tomas ist ein Typ, der „Begreifen“ wörtlich nimmt. Er begreift nur, wenn er die Dinge auch tatsächlich angegriffen hat. Also versenkt er seinen Arm für ein paar Minuten bis zum Anschlag im Schwein und tastet sich von Organ zu Organ. Später nimmt er ein scharfes Messer, schneidet kleine Fetzen aus der warmen Leber und reicht sie zum Verkosten weiter. Es ist atemberaubend, wie hervorragend und klar rohe Leber schmecken kann. Wenn man sich der Lebensweise und Fütterung der Tiere sicher sein kann. Was hier geschieht, entspricht der „nose-to-tail“-Philosophie bis ins letzte Detail. Aus der Milz werden frische, würzige Milzschnitten gemacht, aus Herz und Lunge ein sagenhaftes Beuschel, die Wangen landen am Grill. Für die meisten Teilnehmer ist das kulinarisches Neuland. Genau, wie am letzten Tag der Schinken und der Lardo. Tomas lernt die „cuts“, und nach millimetergenauem Schneiden am Knochen und einer kräfteraubenden Session präsentiert Tomas Curi stolz seinen ersten Schinken.
Das eben geschilderte ist hat seinen Ursprung in den Erlebnissen des Autors mit der Mangalitza-Züchterfamilie Wiesner. Abgesehen von ihrem Engagement für seltene Rassen stehen diese Menschen für das Handwerk des Schlachtens, der Selbstversorgung und für die Rückbesinnung auf kleinstrukturierte, saisonangepasste Landwirtschaft.
5.3 Zunft und Handwerk im Mittelalter
Salvetti/Bührer weisen darauf hin, dass bereits in der Antike Strukturen der beruflichen Hierarchie bestanden haben und geben als Beleg die collegia oder corpus genannten Organisationen an, die in den Berichten von Plinius und Plutarch auftauchen.13
Später, mit der Entwicklung und dem ständigen Wachstum der Städte kam es im Laufe des 12. Und 13. Jahrhunderts zur Entstehung der Handwerkszünfte. Diese Vereinigungen waren als Schutzbündnisse des Handwerks zur Wahrung gemeinschaftlicher Interessen.14
Diese Interessen wollten die Vertreter des Metzgerhandwerks durchaus sowohl gegen die Kunden, die Konkurrenz, aber auch gegen die Obrigkeit vertreten wissen. Die Bedeutung – vor allem des Schweins – bereitete den mittelalterlichen Stadträten Alltagssorgen:
„Die Schweinehaltung war für wohlbetuchtere Bürger so selbstverständlich, dass der Dreck auf den Straßen, auf denen die Tiere frei herumliefen, zum allgemeinen Ärgernis wurde. Der Rat musste festlegen, wie viele Schweine ein jeder halten durfte.“15
Es ist davon auszugehen, dass die Zünfte derartige politische Entscheidungen bereits maßgeblich beeinflussten. Das älteste Dokument, das von einem Zusammenschluss der Metzger spricht, stammt – zumindest, was den deutschen Sprachraum betrifft – aus Augsburg und ist mit 1104 datiert.16
Die Aufnahme eines selbständigen Metzgers als ordentliches Mitglied der Zunft war an mehrere Bedingungen gebunden. Die Ausübung des Gewerbes, was wiederum nur ausgeübt werden konnte, wenn der Metzger im Besitz einer eigenen Fleischbank war.
Die Dörfer wuchsen zu Städten, je mehr die Bevölkerung zunahm. Mit der Urbanisierung musste auch eine höherer Versorgungsgrad in den Städten erreicht werden. Die eigene Viehhaltung war nur sehr beschränkt möglich, die Menschen in den Städten mussten über andere Wege versorgt werden. Anfang des 13. Jahrhunderts fanden die ersten Metzger im Tiroler Raum Erwähnung. Diese stellten die städtische Frischfleischversorgung sicher. Hier muss aber angemerkt werden, dass die Bandbreite bei der damaligen Fleischqualität so groß war, wie die Transport- und Konservierungsmethoden schlecht waren. Der allgemeine Fleischkonsum war bis ins 14. Jahrhundert hinein recht hoch. Erst die nachfolgenden Kriege, Seuchen und Missernten dezimierten den Viehbestand und die daraus folgenden Hungersnöte rafften viele Menschen dahin.
In den Städten des Hochmittelalters bildeten die Fleischhauer und Metzger ein stark reglementiertes Zunftwesen und waren - wie alle Zünfte - in bestimmten Stadtvierteln konzentriert. Um bessere Hygiene und Qualität zu gewährleisten, wurden die im städtischen Schlachthof geschlachteten Tiere in direkt nebeneinanderliegenden Verkaufsstätten, den sog. "Fleischbänken" (lat. mensae carnificium), die meist zentral in der Nähe des Marktplatzes lagen, zerlegt und verkauft.
Zunächst wurden für den Verkauf einfache, mobile Wagen benutzt. Diese wichen mit der Zeit festen Verkaufsständen, die durch Bogengänge vor der Sonne geschützt und häufig unterkellert waren, um die schnell verderbliche Ware vor Licht und Wärme zu schützen. Mit zunehmendem Wohlstand bauten die Fleischer über den Verkaufsständen mehrstöckige Häuser für ihre Familien, ihre Gesellen und die Dienerschaft. Tierisches Blut und Abwässer wurden über einen Rinnstein in der Mitte der Gasse abgeführt.
Die Schlachthöfe selbst lagen meist außerhalb der Stadtmauer, da die mit der Entsorgung der Schlachtabfälle verbundenen Gewerbe oft zu den "unehrlichen Handwerken" gehörten und deshalb nicht in der Stadt selbst ansässig sein durften. In Breslau (Wrocław, im heutigen Polen) war die Fleischerzunft in der kleinen Gasse "Stare Jatki" (Alte Fleischbänke) zusammengefasst. Die Fleischerzunft geht in Breslau auf das Jahr 1175 zurück. Die Schlachtung von Tieren, die Lagerung und der Verkauf von Fleisch wurden vom Breslauer Magistrats streng geregelt. So war zum Beispiel im Sommer der Fleischverkauf nur vom Tag der Schlachtung an bis 3 Uhr des darauffolgenden Tages erlaubt. Restbestände, die nicht verkauft wurden, mussten entsorgt werden. Der Fleischhandel war für die Stadt so bedeutend, dass sie dafür das "Meilenrecht" einführte. Ohne die Genehmigung der Stadt durfte niemand im Umkreis von einer Meile (etwa 7 Kilometer) um die Stadt das Fleischergewerbe betreiben. Das Meilenrecht sollte nicht nur unliebsame Konkurrenz fernhalten, sondern hatte auch den Vorteil, dass Auswärtige, die zum Fleischeinkauf in die Stadt kamen, hier noch mehr Geld zurückließen: Sie nutzten die Gelegenheit, um weitere Besorgungen zu machen, in den städtischen Wirtshäusern zu speisen und nächtigen. Die alten Fleischbänke wurden in Breslau noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts gemäß ihrer ursprünglichen Bestimmung genutzt.17
Als „Fleischbank“ wurde die Verkaufsstätte des Metzgers bezeichnet, dort wurden die Fleischteile feilgeboten, allerdings vorwiegend Frischfleisch, teilweise noch Würste. Sind die Fleischbänke zuerst vorwiegend an den großen Handelsplätzen angesiedelt – Trient, Bozen, Innsbruck, Augsburg – entwickeln sich mit dem Bevölkerungszuwachs auch an den regionalen
Marktorten Fleischbänke. In Brixen in Südtirol gab es 1469 vier Fleischbänke, in Bozen erwähnen die Chroniken bereits 1237 einen Metzger.
Mit den Metzgern, Fleischhackern, Fleischhauern und wie sie genannt wurden, kamen auch die Metzgerordnungen. Damit unterstanden die Metzger der städtischen Verwaltung und mussten ihren Zins an die Stadt zahlen. Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die Metzgerordnungen im Raum Tirol:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Metzgerordnungen im Raum Tirol, Klackl-Salletmaier (2014)
Die Führung der Zünfte kontrollierte die Preise, aber auch die Qualität und Güte der angebotenen Fleischwaren in der Stadt. Darüber hinaus hatte die Zunft auch sozialpolitische Aufgaben, wie etwa die Sorge um Kranke oder Hinterbliebene, das Lehrlings- und Gesellenwesen.
Die Bedeutung und der Einfluß der Zünfte stiegt bis etwa ins 15. Jahrhundert. In der Folge lockerten die Landesfürsten und Stadtverwaltungen den Zugang durch die Freigabe des Fleischverkaufs und die Errichtung von Freibänken, wodurch die Zünfte stetig an Bedeutung verloren.
5.3.1 Der Metzger – Etymologie des Begriffs und Entwicklung des Berufs
Das Wort Metzger18 lässt sich vom lateinischen Wort marcellus oder macellarius ableiten. Allerdings war auch der Begriff carnifex durchaus gebräuchlich. Im Mittelalter war man dahingehend noch detaillierter. Zu den Aufgaben der suarii (Schweineschlachter) gehörte der Einkauf der Schweine in den Provinzen oder auf großen Märkten, deren Tötung und fachgerechte Zerlegung. Als Lohn erhielten die suarii Naturalien wie Wein sowie ein Fünftel des Fleisches. Gleichsam gab es auch boarii (Rinderschlachter) und pecuarii (Schaf- und Ziegenschlachter).19 Weitere Namen, die für den Berufsstand auftauchten, waren Fleischer, Schlachter, Knochenhauer, Fleischmanger, Fleischhauer, Fleischhacker. Einige dieser Bezeichnungen hielten sich bis in die Neuzeit.
Die Schlachtung selbst erfolgte nach gleichem Muster, wie in der Antike und wie in weiterer Folge auch in der Neuzeit geschlachtet wird. Zuerst wird das Tier mit einem kräftigen Schlag betäubt, dann ein Entblutungsschnitt durchgeführt, der schließlich zum Tod des Tieres führt.
In zeitgenössischen Darstellungen werden Metzger stets mit erhobener – zum Schlag ausholenden - Axt abgebildet. Auch in der Heraldik des Berufsstands spielte die Axt eine bedeutende Rolle. Dabei wurden in der Regel Beile verwendet, die auf einer Seite stumpf waren, und der Betäubungsschlag wurde stets mit der stumpfen Seite durchgeführt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Menschen, Berufe, Metzger, circa 1575, Farbdruck, Zigarette Karte, Tengelmann, Mühlheim/Ruhr, 1934;
Internetquelle 1: https://www.alamy.de/stockfoto-menschen-berufe-metzger-circa-1575-farbdruck-zigarette-karte-tengelmann-muhlheimruhr-1934-additional-rights-clearences-na-33382642.html (aufgerufen am 29.12. 2019)
Der (wie in Abbildung 1 abgebildete) mit erhobenem Beil vor dem Rind stehende Metzger ist seit dem 15. Jahrhundert ein sehr häufig vorkommendes Bildmotiv.20 Von Doll21 liegt ein umfassendes Verzeichnis bildlicher Quellen vor, aus dem sich auch Rückschlüsse über die Schlachtung selbst ziehen lassen.
Abbildung 1 kann dabei als überaus typisch angesehen werden. In den meisten Bildern ist der beilschwingende Metzger zwar das zentrale Motiv, er wird in der Regel aber nicht alleine dargestellt:
„Von Anfang an ist dem Mann mit dem Beil, dem Metzger, oft ein weiterer Mann zugestellt, der das Rind am Kopf, am Hals oder an den Hörnern festhält. Auf einem Uhrblatt aus dem 15. Jahrhundert geht den beiden Männern sogar ein Dritter zur Hand, der das Rind zusätzlich an der Kruppe sichert.“22
In einigen Fällen wird das Rind durch Bein- oder Halsfesseln gehalten, und auf der Zunftlade der Schweinfurther Metzger (1759) wird das Rind mit um die Hörner geschlungene Fesseln zum Senken des Kopfes gezwungen. So war ein gezielter (und damit effizienter) Schlag wesentlich einfacher durchzuführen.
Wie bereits erwähnt, wurde der Betäubungsschlag mit der stumpfen Seite des Beils durchgeführt. Dies lässt sich aus dem umfangreichen Bildmaterial eindeutig ableiten. Auf einfach zu deutenden Bildern, auf denen der Metzger frontal zum Rind steht, zeigt stets der stumpfe Rücken des Beils zur Stirn des Tieres. Bei anderen – perspektivisch schwieriger zu beurteilenden – Bildern, muss man von einer wahrscheinlichen Schlagrichtung ausgehen. Aber auch da zeigt sich, dass der Schlag mit großer Wahrscheinlichkeit immer mit der stumpfen Beilseite durchgeführt wurde. Verwendet wurden also stets einseitige Schlagbeile. Mit einer Ausnahme:
„Einzige Ausnahme, in der nicht das einseitige Schlagbeil, sondern ein zweiseitiger Hammer geschwungen wird, ist der Kupferstich von Marcus Geeraerts (1516/21-1604). Allerdings fehlt das einseitige Schlagbeil auch in diesem Bild nicht, es steht im Hintergrund an die Wand gelehnt.“23
Das Bild unterscheidet sich allerdings auch in anderer Hinsicht von dem meisten Schlacht-Bildern. Interessant sind vor allem die Position des Metzgers hinter dem Rind, sowie die Tatsache, dass er alleine zugange ist. Es ist anzunehmen, dass aus zweiterem ersteres folgt.
Offenbar wurden also die Rinder mit einem gezielten Schlag auf den Kopf betäubt. Damit dieser Schlag genau traf, musste der Gehilfe (meist der Geselle) den Kopf des Rindes ruhighalten. Auf einigen Darstellungen ist zu sehen, dass der Gehilfe dem Rind mit einer Hand die Augen zuhält.24
Im Anschluss wurden die Tiere – in der Regel liegend – mittels eines Kehlschnitts entblutet und damit getötet. Zeitgenössische Darstellungen dieser Tätigkeit sind vorhanden, aber selten.
Nachfolgend werden die Rinder an den Hinterbeinen aufgehängt, enthäutet und ausgeweidet. Während von der Tätigkeit des Häutens und Ausnehmens keine Bildquellen vorliegen, ist das Bild des bereits ausgenommenen Schlachtkörpers ein relativ häufiges Motiv. Dabei zeigt sich ein recht einheitliches Bild. Kopf und Gliedmaßen sind meist bereits entfernt, die Aufhängung erfolgt üblicherweise auf einem von der Decke hängenden Holzbalken oder einer eigens dafür gezimmerten Rahmenkonstruktion. Aufgehängt wird das Tier an der Achillessehne, die das Schienbein mit der Ferse verbindet. Zur Reifung und Trocknung des Fleisches wurde auf Brusthöhe ein Stock zwischen die Rippenbögen gespannt, über den in vielen Fällen ein weisses Tuch gebreitet ist. Das kann natürlich auch ästhetische Gründe haben. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass damit tropfendes Fett abgefangen werden soll. Diese Vermutung wird auch durch das Bild „Folge der ‚Tugenden‘, Die Klugheit“ von Pieter Bruegel d. Ä. (1561/1562) bestärkt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Pieter Bruegel d.Ä.: Folge der „Tugenden“, Klugheit (1561-1561)
Internetquelle 2: http://www.zeno.org/Kunstwerke/B/Bruegel+d.+%C3%84.,+Pieter%3A+Folge+der+%C2%BBTugenden%C2%AB+%5B5%5D?hl=bruegel+tugenden (aufgerufen am 29.12. 2019)
Viel häufiger als geschlachtete Ochsen oder Kühe finden sich Motive des Schweineschlachtens. Das korrespondiert auch mit der höheren Bedeutung des Schweins in der mittelalterlichen Diät. Die Bildkompositionen sind jenen der Rinderschlachtung sehr ähnlich. Die wesentlichen Unterschiede sind in der Position des Schlachters (der sich auf diesen Bildern oft hinter dem zu schlachtenden Tier befindet), bzw. in der regelhaften Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau:
Bei diesem sehr häufigen Bildthema zur Darstellung des Schweineschlachtens findet man eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau. Der Mann, meist auf dem Schwein kniend oder sich von hintern über das Tier beugend, sticht das Tier ab, die Frau fängt das herausfließende Blut in einer langstieligen Kasserolle auf.25
[...]
1 Haenger, Peter: Das Fleisch und die Metzger. Fleischkonsum und Metzgerhandwerk in Basel seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Chronos-Verlag, Zürich 2001. S. 45
2 Frühschütz, Leo: Schlachtet BIO besser?, in Schrot & Korn: https://schrotundkorn.de/lebenumwelt/lesen/schlachtet-bio-besser.html#page:3 (abgerufen am 28. Feber 2019)
3 Vgl. Pucher et. al. (2013), S. 9
4 Ebenda, S. 9
5 Für diese These spricht auch, dass der sich seit dem 15. Jhdt. gut entwickelnde untertägige Salzabbau so große Ausmaße annahm, dass diese Entwicklung ohne leistungsfähige und zuverlässige Versorgungslogistik nicht möglich gewesen wäre.
6 vgl. ebenda. S. 40 ff.
7 Vgl. Hirschfelder (2005), S. 99
8 Ebenda, S. 99
9 Vgl. Salvetti et. al. (1988), S. 72
10 Schubert (2006), S. 97
11 Wunderlin (2017), S. 159
12 Vor allem das Schwein erlangte im Lauf des Mittelalters eine zunehmende Bedeutung. Beuren als Ortsname oder solche die auf „-beuren“ enden, wie etwa Mecklebeuren, Moosbeuren oder Bernbeuren weisen auf die buria, die Weidehütte der Schweine im Wald hin.
13 Vgl. Salvetti/Bührer (1988), S. 92
14 Vgl. Doll (2003), S. 169
15 Schubert (2006), S. 100
16 Vgl. Doll (2003), S. 169
17 Bei einem Artilleriebeschuss im Zweiten Weltkrieg wurde die Gasse so stark beschädigt, sodass man in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts überlegte, die Häuser gänzlich abzureißen. Zum Glück besann man sich doch noch auf die Einzigartigkeit der historisch wertvollen Gebäude und führte ausführliche Restaurierungsarbeiten durch, bei denen jedoch leider so manches Ornament und architektonische Detail der alten Häuschen unwiederbringlich verloren ging. Heute gehört Stare Jatki zu den zauberhaftesten Gassen der Breslauer Altstadt, und in die Häuser der ehemaligen Fleischer zogen Kunstgalerien, Ateliers, Schmuckstände, Lädchen mit Künstlerbedarf und urige Kneipen ein. Zu den größten Attraktionen von Stare Jatki – insbesondere für die Kinder – gehört eine Bronzeplastik, die mehrere Nutztiere in ihrer natürlichen Größe darstellt. Die Plastik von Piotr Wieczorek soll der traditionellen Rolle und der Geschichte der Straße gedenken. Die Inschrift der kleinen Tafel am Fuße des Denkmals lautet: "Den Schlachttieren zur Ehre – die Konsumenten".
18 Auf die weibliche Form muss hier ganz bewusst verzichtet werden. Obwohl auf Höfen die Tätigkeit des Schlachtens von Schweinen, Rindern oder Schafen und Ziegen von Frauen übernommen wurden, wenn die Männer, etwa kriegsbedingt, nicht am Hof waren, war der Beruf des Metzgers ausschließlich Männern vorbehalten. Im Regelbetrieb auf Höfen war es hingegen Aufgabe der Frauen, Kleintier und Geflügel zu schlachten.
19 Vgl. Salvetti/Bührer (1988), S. 92 ff.
20 Vgl. Doll (2003), S. 197 ff.
21 Ibid. S. 200 ff.
22 Doll (2003), S. 197
23 Doll (2003), S. 197
24 Das Zuhalten der Augen ist eine Geste, die sich auch bei Hofschlachtungen im 19. und 20. Jahrhundert immer wieder beobachten lässt. Sie führt unmittelbar zur Beruhigung des Tieres.
25 Doll (2003), S. 203 ff.
- Quote paper
- Jürgen Schmücking (Author), 2020, Schlachtung mit Achtung. Eine kulturgeschichtliche Betrachtung und neue Wege der Nutztierschlachtung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/949718
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