Die Arbeit thematisiert Seefahrtsmetaphern und ihre Funktion in Andreas Gryphius' „Leo Armenius", "Carolus Stuardus" und "Papinian“, unter besonderer Berücksichtigung von Hans Blumenbergs "Schiffbruch mit Zuschauer".
Dem Philosophen Hans Blumenberg dient die Eröffnung des zweiten Buchs Lukrez’ „De rerum natura“ als Initialbild für die 1979 publizierte Schrift „Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher.“ Anhand einer Vielzahl von Beispielen aus Philosophie und Literatur von der Antike bis ins 20. Jahrhundert untersucht er den Wandel der Bedeutung von Schiffbruch Metaphern.
Seefahrt und Souveränität in Trauerspielen von Andreas Gryphius
Wonnevoll ist's bei wogender See, wenn der Sturm die Gewässer Aufwühlt, ruhig vom Lande zu sehn, wie ein andrer sich abmüht, Nicht als ob es uns freute, wenn jemand Leiden erduldet, Sondern aus Wonnegefühl, daß man selber vom Leiden befreit ist.1
Diese Szenerie eröffnet das zweite Buch von Lukrez’ De rerum natura. Dem Philosophen Hans Blumenberg, der dieser Tage anlässlich seines 100. Geburtstags flächendeckend in den Feuilletons geehrt wird, dient sie als Initialbild für die 1979 publizierte Schrift Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher.2 Anhand einer Vielzahl von Beispielen aus Philosophie und Literatur von der Antike bis ins 20. Jahrhundert untersucht er den Wandel der Bedeutung von Schiffbruchsmetaphern. Der Mensch, so Blumenberg, „führt sein Leben und errichtet seine Institutionen auf dem festen Lande. Die Bewegung seines Daseins im ganzen jedoch sucht er bevorzugt unter der Metaphorik der gewagten Seefahrt zu begreifen. Das Repertoire dieser nautischen Daseinsmetaphorik ist reichhaltig. Es gibt Küsten und Inseln, Hafen und hohes Meer, Riffe und Stürme, Untiefen und Windstillen, Segel und Steuerruder [.]. Oft dient die Vorstellung der Gefährdungen auf der hohen See nur dazu, die Behaglichkeit und Ruhe, die Sicherheit und Heiterkeit des Hafens vorzustellen, in dem die Seefahrt ihr Ende finden soll.“3 Voraussetzung für jene „Bedeutungslast“ sei nicht nur das Meer als „naturgegebene Grenze des Raumes menschlicher Unternehmungen“, sondern auch als „Sphäre der Unberechenbarkeit, Gesetzlosigkeit, Orientierungswidrigkeit“.4 In Blumenbergs Interpretation der oben zitierten Lukrez’schen Konstellation steht weniger das Verhältnis von „leidenden und nicht-leidenden“ Menschen, also Schiffbrüchigem und Zuschauer, im Vordergrund, nicht das Vergnügen am Unglück des Anderen, als vielmehr der „Genuß des eigenen unbetroffenen Standorts“.5 Lukrez wirbt für den auf Epikur zurückgehenden Atomismus mit dem Versprechen, durch ebendiesen „einen unbetreffbaren festen Grund der Weltansicht“ zu haben.6 Jener feste Grund gerät wiederum ins Wanken und ermöglicht gleichzeitig eine neue Festigkeit der Weltbetrachtung, wenn Blaise Pascal in seinen Pensées formuliert, was Schiffbruch mit Zuschauer als Motto vorangestellt ist: vous etes embarqué.“7 Leben bedeute demnach immer „schon auf dem hohen Meer zu sein, wo es außer Heil oder Untergang keine Lösungen, keine Vorenthaltung gebe.“8 Hier verdeutlicht sich am besten die Vieldeutigkeit von Blumenbergs Titel: Schiffbruch mit Zuschauer kann eben auch bedeuten, von erhöhter, sicherer Position dem eigenen Schiffbruch zuzuschauen und ihn dadurch erst zu überwinden oder zumindest erträglich zu machen. Blumenberg kommt nun, nach einem Weg über Schiffbruchsmetaphern in griechischer und römischer Antike, bei den Franzosen Montaigne, Pascal und Descartes sowie einer kurzen anachronistischen Abzweigung zu Nietzsche, der Pascals Formel aphoristisch weiterspinnt,9 zu einer bemerkenswerten Verortung: Der früheste deutsche Reflex der Schiffbruch-Zuschauer-Konfiguration scheint ein ,Sinn-Gedicht‘ von Johann Joachim Ewald aus dem Jahre 1755 zu sein, betitelt ,Der Sturm‘:
Es wird auf einmal Nacht, die Winde heulen laut, Und Himmel, Meer und Grund wird wie vermengt geschaut. Das Schiff fliegt Sternen zu, stürzt wieder tief herab. Läuft unter Wellen fort, sieht um sich nichts als Grab. Hier blitzt, dort donnert es, der ganze Äther stürmt, Die Fluten sind auf Flut, und Wolk auf Wolk getürmt, Das Schiff zerscheitert itzt, und mir ist nichts geschehn, Weil ich dem Sturme nur vom Ufer zugesehen.10
Zwar bietet Ewalds Gedicht eine pointierte Interpretation der Schiffbruch-Zuschauer-Konfiguration, man möchte Blumenberg jedoch darin widersprechen, hier ihren „früheste[n] deutsche[n] Reflex“ zu sehen. Es findet sich in der deutschsprachigen Literatur schließlich schon rund einhundert Jahre früher eine reichhaltige Schiffbruchsmetaphorik, namentlich in den Trauerspielen von Andreas Gryphius. Sie geht häufig über bloßes Ornat hinaus und kann als paradigmatisch fürs barocke Weltbild gelesen werden. Richard Alewyn schreibt dem barocken Theater in seiner unvollendeten Epochengeschichte Das große Welttheater zwei Kernbotschaften zu. Sie lauten zum einen:
Kein Ding hat Bestand. Wer heute noch steht, kann morgen stürzen. Fortuna auf ihrem Rad regiert die Welt. In diesem ständigen Wechsel ist der Mensch nichts als ein willenloser Spielball, wehrlos wie ein Schiff auf den Wellen. [...] Wer dies aber weiß, der ist der Held, der dem Wechsel des Schicksals seine Tugend entgegenstemmt, der Weise, der im Sturm der Leidenschaften das Steuer in der Hand behält, der Heilige, der das schwankende Element ganz verläßt, um sich auf ewigem Grund anzusiedeln.11
Und zum anderen:
Alles ist nur Schein. Aller Glanz ist falsch, aller Reiz ist Trug.12
Alewyn bedient sich in seiner Paradigmenbestimmung selbst einer derartigen Fülle nautischer Bilder (Schiff auf den Wellen, Sturm der Leidenschaften, Steuer in der Hand, schwankendes Element, auf ewigem Grund ansiedeln), dass ein Kommentar des Zusammenhangs von barockem Weltbild und Schifffahrtsmetapher sich beinahe erübrigt. Wenn einer der Grundzüge der barocken Daseinsform also die Erfahrung von Unbeständigkeit ist, die Blumenberg dem Meer als „Sphäre der Unberechenbarkeit, Gesetzlosigkeit, Orientierungswidrigkeit“ zuordnet und ihr gegenüber das Ideal der constantia steht, wie Lipsius es in seiner Programmschrift proklamiert,13 als Fähigkeit „dem Wechsel des Schicksals seine Tugend“ entgegenzustemmen, dann scheinen die Seefahrtsmetaphern der barocken Trauerspiele in besonderem Maße geeignet, die in ihnen handelnden Figuren hinsichtlich ihrer constantia zu prüfen. Sie sind, mit Gryphius’ Zeitgenossen Pascal gesprochen, immer schon embarqué und betrachten gleichzeitig ihre eigene turbulente Schifffahrt vom Ufer aus.
Gryphius’ erstes Trauerspiel Leo Armenius, Ende 1646 vollendet und 1650 erstmals gedruckt, behandelt den historisch verbürgten Tod des byzantinischen Kaisers Leo V. im Jahr 820 durch eine Verschwörung, angeleitet von dem Heerführer Michael Balbus, der nach Leos Tod selbst den Kaiserthron besteigt.14 Leo war nur sieben Jahr zuvor selbst durch einen Putsch an die Macht gekommen. Der Name seines Vorgängers wie der seines Nachfolgers: Michael. Dieses Wechselspiel ist historischer Zufall, passt aber zu der programmatischen „vergänglichkeit menschlicher sachen“, die Gryphius in seiner Vorrede an den Leser verspricht.15 Michael und seine Mitverschwörer blicken in der Eröffnungsszene der Ersten Abhandlung auf diese Vorgeschichte zurück und erinnern sich, wie es dem früheren Michael ergangen ist: „Er must auf Proten zu der dieses grosse Landt / In sein gebiette schloß / den schloß ein enger Sandt / Den jeden augenblick / die wüßte See abspület!“16 Michael I. Rhangabe wird ins Exil verbannt und ist der permanenten Bedrohung der die Insel Prote umgebenden See ausgeliefert. Es ist in seiner Umkehrlogik konsequent, dass diese Bedrohung durchs Wasser sich gleich in der darauffolgenden Szene, in welcher Exabolius Leo von seinen Erkundungen über Michael Balbus berichtet, sich nun gegen den Kaiser selbst wendet: „[...] Vermahnen / Bitt und drewen wird verlacht. Er laufft [...] / Wie eine strenge bach / wenn sich die ström ergiessen Und Häuser / Bäum und Vieh hin führen in die See, / Sein muth wächst mehr und mehr [...]“.17 Eines solchen Angriffs, so erwägen Leo und seine Vertrauten Exabolius und Nicander, ließe sich nur durch entschlossene Abschreckung beikommen: „Man lernt die Klippen meiden / An der ein fremder Mast hat müssen schiffbruch leiden.18, mahnt Exabolius, doch Leo zögert: „Er hat den knopf deß schwerdts / wir leider nur die scheid.“19 Schließlich lässt er sich doch zu einer Entscheidung drängen und bemerkenswerterweise ist es gerade Michaels constantia, also jene Qualität, die ihn dem barocken Herrschaftsdenken gemäß zum Souverän qualifiziert, die den Ausschlag geben soll für Leos Haftbefehl: „Wo er zu ändern ist / wo / (wie wir kaum vermeinen) Er seine schuld erkennt' / und den / den er verletzt / Mit ernster demuth ehrt / wird hier kein schwerd gewetzt. Wo fern er / (wie gewohnt) das alte lied wil singen. / Nicander / Mach jhn fest. der stoltze Kopff mag springen. Der sich nicht beugen kann.“ Ein General, der sich als unbeständig erweist, müsste für Leo jedoch ebenso verurteilungswürdig sein. In diesem Paradox öffnet sich der Blick auf den Tyrannen-Vorwurf, der Leo im Stück anhaftet und den Gryphius schillernd unaufgelöst belässt. Michael erweist sich jedoch als in seinem Widerstand beständig, wird verhaftet und kurz darauf zum Tod durch Verbrennen verurteilt (vgl. II, Eingang 1-3). Hier scheint sich der zuvor unsichere Herrscher durch Entschlussfestigkeit zu bewähren.
[...]
1 Lukrez: De rerum natura. Von der Natur. Hrsg. und übersetzt von Hermann Diels. Berlin 2013. Buch 2. V. 1-4, S. 95.
2 Hans Blumenberg: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Frankfurt am Main 1997.
3 Blumenberg 1997, S. 9.
4 ebd., S. 10.
5 ebd., S. 31.
6 ebd.
7 zit. nach: Blumenberg 1997, S. 23.
8 ebd.
9 „Wir haben das Land verlassen und sind zu Schiff gegangen! Wir haben die Brücke hinter uns, — mehr noch, wir haben das Land hinter uns abgebrochen! Nun, Schifflein! sieh' dich vor! Neben dir liegt der Ozean, es ist wahr, er brüllt nicht immer, und mitunter liegt er da, wie Seide und Gold und Träumerei der Güte. Aber es kommen Stunden, wo du erkennen wirst, dass er unendlich ist und dass es nichts Furchtbareres gibt als Unendlichkeit. Oh des armen Vogels, der sich frei gefühlt hat und nun an die Wände dieses Käfigs stößt! Wehe, wenn das Land-Heimweh dich befällt, als ob dort mehr Freiheit gewesen wäre, — und es gibt kein "Land" mehr!“ - Friedrich Nietzsche: Im Horizont des Unendlichen. In: Die fröhliche Wissenschaft. https://www. textlog.de/21290.html Zugriff am 19. Juli 2020.
10 Blumenberg 1979, S. 46.
11 Richard Alewyn: Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste. München 1989, S. 61.
12 ebd., S. 61.
13 vgl. Lipsius: De Constantia. https://www.lipsius-constantia.de/
14 vgl. Albrecht Koschorke: Leo Armenius. In: Gryphius-Handbuch. Hrsg. von Nicola Kaminski und Robert Schütze. Berlin/Boston 2016. S. 185-202, S. 185.
15 Andreas Gryphius: Leo Armenius. Stuttgart 1971, S. 4.
16 Gryphius: Leo Armenius, I 61-63, S. 11.
17 Gryphius: Leo Armenius, I 134-138, S. 14.
18 ebd., I. 187f., S. 16.
19 ebd., I. 188, S. 16.
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- Anonymous,, 2020, Seefahrt und Souveränität in Trauerspielen von Andreas Gryphius, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/948936
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