Das Buch definiert zunächst wichtige stereoskopische Grundbegriffe und liefert einen groben Überblick über die historische Entwicklung des optischen Verfahrens. In einem weiteren Kapitel gelangen allgemeine Methoden der Stereoskopie in der Lichtmikroskopie zur detaillierten Darstellung, wobei eine Differenzierung zwischen auflicht- und durchlichtmikroskopischen Techniken der dreidimensionalen Bildgebung vorgenommen wird. Im Hauptteil der Monografie wird das Augenmerk auf zahlreiche Bildbeispiele aus unterschiedlichen Bereichen der Naturwissenschaften gelenkt. Neben etlichen Untersuchungsobjekten aus Entomologie, Malakologie, Zellbiologie und Mikropaläontologie werden auch verschiedene kristallografische Strukturen im 3D-Bild präsentiert. Abschließend wird noch der Frage nachgegangen, inwieweit stereoskopische Verfahren einen Gewinn für die Lichtmikroskopie darstellen und welche Nachteile im Zusammenhang mit ihrer Anwendung auftreten können. Das Buch wendet sich nicht nur an Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, sondern auch an jenen Leserkreis, welcher erhöhtes Interesse an der Lichtmikroskopie und ihren vielfältigen Methoden zeigt.
INHALT
1 Grundlagen
1.1 Einige Grundbegriffe
1.2 Kurze Geschichte der Stereoskopie
1.3 Kenngrößen der stereoskoischen Methode
2 Methoden
2.1 Grundsätzliche Methoden der Erzeugung von stereoskopischen Bildern
2.2 Stereoskopische Bildgebung in Auf- und Durchlichtmikroskopie
2.3 Betrachtung von stereoskopischen Bildpaaren
3 Anwendungen
3.1 Einige einleitende Bemerkungen
3.2 Stereoskopische Bildbeispiele aus der Auflichtmikroskopie (Tafeln 1-25)
3.3 Stereoskopische Bildbeispiele aus der Durchlichtmikroskopie (Tafeln 26-50)
4 Schlussfolgerungen
Literatur
Bildquellen
Raumbild erzeugt wird, hat in den vergangenen Jahren seinen vermehrten Eingang in die Mikroskopie gefunden. Sowohl in der Licht- als auch in der Elektronenmikroskopie gilt die dreidimensionale Bildgebungstechnik mittlerweile als recht häufig zum Einsatz gelangende Standardmethode. Wie bereits in einer früheren Monografie zur Stereofotografie in der Elektronenmikroskopie erörtert werden konnte, vermag das Stereobildpaar bei der wissenschaftlichen Studie kleinster Objekte und Strukturen eine wichtige Hilfestellung abzugeben, wobei sich vor allem naturwissenschaftliche Forschungsdisziplinen wie die Mikropaläontologie, Entomologie und Kristallographie dieses einfach zu handhabenden Verfahrens bedienen. Auch in der Humanmedizin gewinnt das elektronenmikroskopische Raumbild zunehmend an Bedeutung.
Die Lichtmikroskopie eröffnet der dreidimensionalen Bildgebung ein ähnlich breites Anwendungsfeld wie die Elektronenmikroskopie. Dieser Sachverhalt lässt sich unter anderem dadurch nachvollziehen, dass die Anzahl an lichtmikroskopischen Studien mit Bezug zur Stereoskopie gerade in den vergangenen Jahren signifikant angestiegen ist und in naher Zukunft wohl auch noch eine weitere Steigerung erfahren wird. Eine derartige Entwicklung ist im Wesentlichen auf drei Punkte zurückzuführen. Die Stereofotografie kann aufgrund der einfachen dahinter stehenden Methodik bereits an einem günstigen Amateurmikroskop durchgeführt werden und benötigt keine viele tausend Euro teure Profiausrüstung. Für die Anwendung des stereoskopischen Verfahrens ist in der Regel kein großartiger materieller beziehungsweise finanzieller Mehraufwand notwendig, wodurch sich die Methode einem noch größeren Kreis an Nutzern und Nutzerinnen eröffnen kann. Als letzter maßgeblicher Punkt ist in diesem Zusammenhang noch die Tatsache anzuführen, dass die Erstellung des Raumbildes in zahlreichen Fällen unter Zuhilfenahme einfach zu bedienender Software erfolgt. Dadurch wird insbesondere jenem Interessentenkreis, welcher mit der Stereoskopie bislang weniger zu tun hatte, der erleichterte Zugang zu diesem faszinierenden optischen Verfahren eröffnet.
Das hier vorliegende Buch gliedert sich in drei wesentliche Abschnitte. Der erste Teil beschäftigt sich mit der Vermittlung jener theoretischen Grundlagen, welche als unverzichtbar für das Verständnis der stereoskopischen Bildgebung gelten. Zudem wird in diesem Abschnitt ein kurzer historischer Überblick über die Stereoskopie im Allgemeinen und die Stereofotografie im Speziellen geliefert. Dieser soll unter anderem aufzeigen, dass das Raumbild schon in der Renaissance bekannt war und die entsprechenden Halbbilder in Form von Tuschezeichnungen angefertigt wurden. Der zweite Abschnitt des Buches setzt sich im Detail mit jener Methodik auseinander, welche hinter der Stereofotografie in der Lichtmikroskopie steht. Hier gelangen einige simple Grundtechniken zur Beschreibung, die in der Regel mit einfachsten Hilfsmitteln in die Realität umgesetzt werden können. An dieser Stelle darf bereits erwähnt werden, dass Auf- und Durchlichtmikroskopie über einen zum Teil sehr individuellen methodischen Zugang zur dreidimensionalen Bildgebung verfügen. Der dritte Teil des Buches widmet sich der Präsentation und Beschreibung zahlreicher Bildbeispiele zur Stereofotografie in der Auf- und Durchlichtmikroskopie. Hier wird auch auf die Bedeutung der optischen Methode in verschiedenen wissenschaftlichen Forschungsdisziplinen wie Entomologie, Malakologie, Mikropaläontologie oder Kristallografie eingegangen.
Insgesamt soll die Monografie einen kurzgefassten Überblick zur Stereofotografie in der Lichtmikroskopie liefern. Dabei wird natürlich auch die Intention einer Steigerung des Interesses der Leserschaft am betreffenden optischen Verfahren verfolgt.
GRUNDLAGEN
1.1 Einige Grundbegriffe
Die Stereoskopie (griechisch stereos = hart, starr, fest; grie chisch skopein = prüfen, untersuchen) stellt im Allgemeinen ein optisches Verfahren zur räumlichen Visualisierung eines bildlich festgehaltenen Gegenstandes dar. Zu diesem Zweck wird das betreffende Objekt anhand von Zeichnungen oder Fotografien aus zwei unterschiedlichen Perspektiven abgebildet, was die Entstehung zweier sogenannter Halbbilder zur Folge hat. Zur Erzeugung des dreidimensionalen Effektes ist es nun wichtig, dass jedem menschlichen Auge lediglich das ihm zugewiesene Halbbild zur Betrachtung vorgeführt wird. Dies bedeutet nichts anderes, als dass beispielsweise das linke Auge ausschließlich das linke Halbbild erblickt, während das rechte Auge auf das rechte Halbbild ausgerichtet ist. Dieser Zustand wird entweder durch Anordnung der Halbbilder zu einem Stereogramm beziehungsweise Stereobildpaar oder durch Überlagerung selbiger zu einer Anaglyphe hervorgerufen. Sobald es den optischen Sinnesorganen gelungen ist, ihre Blicke ausschließlich auf die ihnen zugedachten Halbbilder zu richten, kommt es im Gehirn zu einem Bildfusionsprozess und zur Entwicklung der gewünschten dreidimensionalen Wahrnehmung Abb. 1) [1-22].
Bei der Herstellung eines Stereobildpaares ist im Wesentlichen darauf zu achten, dass die Größe und der horizontale Abstand der beiden Halbbilder mit dem Augenabstand, welcher sich je nach Alter und Geschlecht auf 60 bis 65 mm bemisst, korrespondieren. Idealerweise verfügen die Halbbilder jeweils über eine Breite von 65 mm, wodurch sich für das Stereobildpaar eine Gesamtbreite von 130 mm ergibt. Diese Dimensionierung der Abbildungen hat nämlich zur Folge, dass die Distanz zweier kor- renspondierender Bildpunkte ungefähr dem oben angeführten Augenabstand entspricht und damit eine entspannte Betrachtung der Bilder ermöglicht wird. Unter korrespondierenden Bildpunkten versteht man zwei
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1. - Flussdiagramm zur Veranschaulichung jenes im Zusammenhang mit dem optischen Verfahren der Stereoskopie stehenden Grundkonzeptes.
Punkte, welche im linken und rechten Halbbild an exakt derselben Stelle des abgebildeten Objektes positioniert sind. Gelangt zum Beispiel ein einfacher geometrischer Körper (Würfel, Oktaeder, Tetraeder usw.) zur bildlichen Darstellung, so entspricht ein korrespondierendes Bildpunktepaar unter anderem einem bestimmten Eckpunkt in der linken und rechten Abbildung [4-6, 17, 18].
Die Erzeugung einer Anaglyphe (griechisch ana = auf, darauf; griechisch glyphein = meißeln, einschneiden) beruht nicht etwa auf einer Nebeneinanderstellung, sondern auf einer Überlagerung der beiden Halbbilder. Zu diesem Zweck ist es notwendig, die Halbbilder für das menschliche Auge voneinander unterscheidbar zu machen. Dies kann beispielsweise durch Codierung der Abbildungen mit komplementären Farben (Rot-Cyan, RotGrün, Rot-Blau) erfolgen. Alternativ besteht auch noch die Möglichkeit, jedem Halbbild eine bestimmte Schwingungsrichtung des Lichtes zuzuordnen. Im Gegensatz zum klassischen Stereobildpaar unterliegt die Anaglyphe keinerlei Größenbeschränkung, welche auf den Augenabstand Rücksicht zu nehmen hat, so dass sie für zahlreiche Fragestellungen das bevorzugte Konzept zur Herstellung von Raumbildern repräsentiert 18. Während die Betrachtung von Stereobildpaaren in der Regel ohne optische Hilfsmittel und unter Anwendung sogenannter autostereoskopischer Blicktechniken (siehe Kap. 2.3) erfolgen kann, zwingt das Studium von Anaglyphen zur Heranziehung eines entsprechenden Betrachtungsgerätes. Dabei handelt es sich entweder um eine passende Farbbrille im Falle von farbcodierten Halbbildern oder um eine Polarisationsbrille bei Anwendung unterschiedlicher Schwingungsrichtungen des Lichtes auf die einzelnen Abbildungen. Das Konzept der Rot-Cyan- oder Rot-Grün- Anaglyphe erfreut sich seit mehreren Jahren großer Beliebtheit, wodurch jene mit ihr in unmittelbarer Verbindung stehenden Gebrauchsgegenstände unter geringem Kostenaufwand im Fachhandel oder Internet bezogen werden können. Das Polarisationsverfahren hingegen bedarf eines wesentlich höheren finanziellen Aufwandes und spielt gegenwärtig vor allem bei 3D-Fernsehen und 3D-Kino eine etwas bedeutendere Rolle 18. Wenn man sich die physikalischen und physiologischen Prozesse, welche hinter der Betrachtung von Stereobildpaar oder Anaglyphe stehen, etwas näher vor Augen führen möchte, so kann man das optische Verfahren der Stereoskopie ganz allgemein als Simulation des natürlichen Raumsehens (Stereopsis) begreifen. Die räumliche Wahrnehmung des Menschen kommt in erster Linie dadurch zustande, dass beide Augen getrennte, perspektivisch leicht unterschiedliche Bilder eines bestimmten Objektes aufnehmen. Die vom beobachteten Gegenstand reflektierten Lichtstrahlen treffen in den zwei optischen Sinnesorganen innerhalb unterschiedlicher Bereiche, welche sich insgesamt im sogenannten Panum-Areal befinden, auf die Retina (Netzhaut). Die in der Netzhaut durch entsprechende intrazelluläre Signalkaskaden entstehenden Bildinformationen werden vom jeweiligen Auge in Form von neuronalen Impulsen an das Gehirn weitergeleitet, wo die Weiterverarbeitung der Signale im Sinne eines Fusionsprozesses zur Generierung einer Gesamtinformation erfolgt. Werden den Augen getrennt zwei Bilder des Objektes, die ebenfalls aus zwei leicht unterschiedlichen Blickwinkeln zur Aufnahme gelangten, vorgeführt, so kommt es im visuellen Kortex ebenfalls zu dem oben beschriebenen Verschmelzungsprozess. Es macht also für die optischen Sinnesorgane des Menschen letztendlich keinen wesentlichen Unterschied, ob sie den Untersuchungsgegenstand selbst oder zwei stereoskopische Halbbilder desselben betrachten. Dieser Umstand hat manche Forscher auch dazu bewogen, das durch die stereoskopische Methode erzeugte Raumbild als optische Täuschung darzustellen [23-34].
Für die räumliche Wahrnehmung eines Objektes werden neben den perspektivischen Informationen auch noch andere mit dem Gegenstand direkt oder indirekt in Zusammenhang stehende Tiefenhinweise im Gehirn ausgewertet. Hier ist zunächst die Bildgröße auf der Netzhaut zu nennen, welche mit der Entfernung des Objektes vom Beobachter kontinuierlich abnimmt. So gelingt es umgekehrt bei bekannter Gegenstandsgröße (z. B. Gebäudehöhe und -breite) recht gut, den Abstand zwischen Betrachter und betreffender räumlicher Struktur abzuschätzen. Als weiterer die Stereopsis unterstützender Tiefenhinweis gilt das Phänomen der Überlappung. Schiebt sich ein Objekt vor ein anderes, wird dem vorderen Gegenstand automatisch eine geringere Entfernung, dem hinteren hingegen eine größere Entfernung zugeordnet. Auch atmosphärische Erscheinungsformen wie Nebel oder Dunst leisten ihren Beitrag zur räumlichen Wahrnehmung einer Struktur. Weiter entfernte Objekte sind aufgrund dieser Luftphänomene oftmals nur anhand ihrer Umrisse erkennbar. Je mehr man sich ihnen jedoch nähert, desto detailliertere Information erhält man von ihrer Oberfläche und Struktur. Auch Licht und Schatten stellen im Allgemeinen recht bedeutende Tiefenhinweise dar, weil sie Hinweise auf die Plastizität eines in Augenschein genommenen Objektes geben. Komplex gestaltete Strukturen zeichnen sich je nach Lichteinfall durch einen Schattenwurf aus, welcher signifikante Unterschiede zu jenem einfacher Strukturen aufweist. Diese Information erfährt im Gehirn ebenfalls ihre umfangreiche Verarbeitung. Ein sehr bedeutender Hinweis zur räumlichen Aus- dehnung eines Gegenstandes wird durch die sogenannte Bewegungsparallaxe geboten. Bewegt sich nämlich der Betrachter an in der Tiefe gestaffelten Objekten vorbei, so verändern nahegelegene Objekte ihre relative Position zum Beobachter schneller als weiter entfernt gelegene Objekte. Zuletzt sei noch auf die Scharfstellung (Akkommodation) des Auges als unterstützenden Prozess für die Stereopsis hingewiesen. Um einen Gegenstand scharf auf der Netzhaut abbilden zu können, muss je nach dessen Entfernung die Brechkraft der Linse adjustiert werden. Eine weiter entfernte Struktur benötigt eine geringere Brechkraft, was eine Abflachung der Linse zur Folge hat. Befindet sich die Struktur hingegen in geringer Entfernung vom Betrachter, so wird eine höhere Brechkraft der Linse benötigt, was durch deren zunehmende Abkugelung zustande- kommt. Die Akkommodation repräsentiert einen direkt mit der Augenanatomie assoziierten Tiefenhinweis und ist ein angeborener Reflex. Je nach Form der Linse, welche durch Zonulafasern auf der einen Seite und Ziliarmuskel auf der anderen reguliert wird, liefert sie wichtige Information in Bezug auf die Entfernung des betrachteten Gegenstandes [35-38].
1.2 Kurze Geschichte der Stereoskopie
Das im vorigen Kapitel erläuterte Grundprinzip des stereoskopischen Verfahrens blickt bereits auf eine über 400-jährige Geschichte zurück. Schon am Ende des 16. Jh. bestand unter italienischen Anatomen und Medizinern das Bestreben nach einer möglichst exakten zeichnerischen Darstellung einzelner Organe und Körperteile des Menschen. Zu diesem Zweck wurde erstmals der Wunsch nach einer räumlichen und dadurch mehr ins Detail gehenden Bildgebung geäußert. Die erste stereoskopische Tuschezeichnung entstand an der Wende vom 16. zum 17. Jh. durch den italienischen Künstler Jacopo Chimenti da Empoli und zeigt einen sitzenden jungen Mann, welcher vermutlich mit der Anfertigung eines Bildes beschäftigt ist, aus zwei geringfügig versetzten Blickwinkeln (^ Abb. 2). Bei Betrachtung der beiden Halbbilder unter Zuhilfenahme autostereoskopischer Blicktechniken (Kreuzblick, Parallelblick; Kap. 2.3) kann in der Tat ein sehr guter räumlicher Eindruck gewonnen werden, welcher auf ein erhöhtes Verständnis des Künstlers in Bezug auf die Dreidimensionalität von Objekten rückschließen lässt [18, 35, 36, 39-43].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2. - Stereoskopische Tuschezeichnungen des Jacopo Chimenti da Em- poli mit der Darstellung eines jungen sitzenden Mannes bei seiner künstlerischen Tätigkeit.
Bis in die Mitte des 19. Jh. gelangte das stereoskopische Verfahren ausschließlich anhand von gezeichneten und gemalten Bildern zur Präsentation. Mit der Erfindung der Fotografie erfuhr die optische Methode eine signifikante Aufwertung, da es von nun an möglich war, eine größere Anzahl an Stereobildern zu präsentieren und diese einem wesentlich breiteren Publikum zu präsentieren. Im Jahre 1838 veröffentlichte der Brite Charles Wheatstone eine revolutionäre Schrift zur Stereoskopie, in welcher er auch das von ihm entwickelte Spiegelstereoskop zur einfachen und unkomplizierten Betrachtung von Stereobildpaaren zur Vorstellung brachte. Die Apparatur erwies sich zwar als äußerst effizient beim Stu- dium von Raumbildern, besaß jedoch den Nachteil, dass sie aufgrund ihrer überdimensionierten Größe nur schwer transportabel und damit für Reisen kaum einsetzbar war. In den 1860er Jahren entwickelte Oliver Wendell Holmes ein wesentlich handlicheres Stereoskop, das sich unter Heranziehung sogenannter Fresnel-Prismen das physikalische Phänomen der Lichtbrechung zunutze machte (Kap. 2.3). Dieser technische Fortschritt galt gemeinsam mit der Konzeption erster Stereokameras als Startschuss für den Aufstieg der Stereofotografie zu einem breitenwirksamen Massenmedium [44-53].
An der Wende vom 19. zum 20. Jh. verfolgte man im technischen Bereich insbesondere zwei Ziele. Zum einen ging man an die Entwicklung immer kleinerer und besser zu handhabender Stereokameras heran, zum anderen ersetzte man das aus Holz gefertigte Holmes-Stereoskop durch wesentlich kleinere Stereobrillen. Insgesamt fand der in der Mitte des 19. Jh. losgetretene Hype der Stereofotografie durch die Eröffnung zahlreicher Stereosalons, in welchen interessierten Menschen gegen ein kleines Eintrittsgeld Raumbilder mit Sehenswürdigkeiten aus aller Welt vorgeführt wurden, seine uneingeschränkte Fortsetzung. In den Stereosalons saßen mehrere Personen zumeist an einem großen zylinderförmigen Stereoskop, welches Einblick in eine zentral positionierte Bildsequenz bot und von einem Präsentator gesteuert werden konnte [18, 35, 54, 55].
Zu Beginn des 20. Jh. erweckte die Stereoskopie auch vermehrt das Interesse der Wissenschaft, wobei sich zunächst vor allem die Topografie, Archäologie und Meteorologie dieser zum damaligen Zeitpunkt noch recht neuen dreidimensionalen Aufnahmetechnik bedienten. Zur Erstellung von Raumbildern verschiedener Landschaften und Wolkenformationen wurden eigens Flugzeuge und Luftschiffe mit Stereokameras ausgerüstet. Durch die etwa zeitgleiche Entwicklung von Messstereoskopen (z. B. Pulf- rich-Stereoskop) gelang es zudem, die in den Steregrammen gespeicherte dreidimensionale Information für allerlei vermessungstechnische Zwecke zu nutzen (z. B. exakte Ausmessung von Landschaftsstrukturen und Wolkenformationen). Die räumliche Bildgebung hielt in weiterer Folge auch in andere wissenschaftliche Bereiche wie Architektur und Technik Einzug [56-60].
In der Zwischenkriegszeit schritt die Entwicklung der zweilinsigen Stereokamera kontinuierlich voran, obwohl das Interesse an der Stereoskopie infolge der wirtschaftlichen Depression längst nicht mehr so groß wie zu Beginn des Jahrhunderts war. Neben der herkömmlichen, mittlerweile auf Film gebannten Fotografie nutzte ab den 1930er Jahren auch das Kino das stereoskopische Verfahren, wobei eine aus unterschiedlichen Perspektiven aufgenommene Filmsequenz in Form eines Stereofilmes auf einer Leinwand zur Präsentation gelangte und die mit Stereobrillen ausgerüsteten Zuseher die in den jeweiligen Stereobildpaaren gespeicherte Rauminformation mehr oder weniger deutlich wahrzunehmen vermochten. Dieses experimentelle Cinemascope galt ohne Zweifel als Vorläufer des modernen 3D-Films und stereoskopischen Fernsehens [61-64].
Nach dem Zweiten Weltkrieg ebbte in Europa das Interesse an der Stereofotografie kurzfristig ab, wohingegen das optische Verfahren in Amerika einen ungeahnten Aufschwung erlebte. Mehrere amerikanische Firmen wie etwa Kodak entwickelten günstige Stereokameras und dazugehörige Betrachtungsgeräte, welche den Fotografiemarkt in großer Auflage überschwemmten. In den 1970er Jahren wurde der Anaglyphen-ba- sierte Stereofilm an ein breiteres Publikum herangetragen, wodurch die Rot-Grün-Brille letztendlich zu einer Art Kultobjekt avancierte. Dieser neuerliche, auch in Europa deutlich spürbare Boom des stereoskopischen Bildgebungsverfahrens hatte letztendlich zur Folge, dass sich ab den frühen 2000er Jahren auch die Fernsehtechnik für das Raumbild zu interessieren begann und 3D-Geräte auf den Markt brachte, deren Verkaufszahlen jedoch mittlerweile wieder stark rückläufig sind [18, 35, 65-68].
Seit einigen Jahrzehnten setzt die Stereofotografie jenen zu Beginn des 20. Jh. initiierten Erfolgslauf in der Wissenschaft fort, wobei sich immer mehr Forschungsdisziplinen die Vorzüge dieser optischen Methode zueigen machen. Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang sicherlich der Eingang der dreidimensionalen Bildgebung in die Naturwis- senschaften mit ihren umfangreichen Forschungsfeldern. Das Raumbild vermochte in jüngerer Zeit gleichermaßen in Materialwissenschaften, Physik, Chemie und Biologie Fuß zu fassen. In der zuletzt genannten Disziplin sind es wiederum vor allem die Mikrobiologie, Entomologie, Mala- kologie und Botanik, welche der Stereoskopie eine Vielzahl an Anwendungsbereichen bieten können. Auch die mit den Naturwissenschaften in enger Verbindung stehende Mathematik hat in der Zwischenzeit das Raumbild für sich entdeckt. Dreidimensionale geometrische Gebilde unterschiedlicher Komplexität gelangen hier ebenso zur räumlichen Darstellung wie fraktale Strukturen und der Chaostheorie entlehnte Gebilde. Abschließend darf die Feststellung getätigt werden, dass die Stereofotografie in den verschiedenen Wissenschaften noch lange nicht ihren Höhepunkt erreicht hat, jedoch zunehmend als brauchbares Mittel zur Visualisierung unterschiedlichster Objekte angesehen wird [35, 69-89].
1.3 Kenngrößen der stereoskopischen Methode
Zur Beschreibung des stereoskopischen Effektes bedient man sich in der Regel einiger Grundparameter, welche allesamt auf einfachen mathematischen Formeln basieren und im Rahmen dieses Buch nur zusammenfassend dargestellt werden sollen. Grundsätzlich lässt sich das Stereobild in mehrere Bereiche untergliedern. Die vordere Bildebene umfasst all jene Punkte eines Objektes, die am nähesten beim Betrachter liegen, wohingegen die hintere Bildebene die vom Betrachter am weitesten entfernten Punkte beinhaltet. Nimmt man etwa jenen Würfel aus Abb. 3 als Beispiel, so würde die vordere Bildebene die Frontalfläche des abgebildeten Würfels mit ihren vier Eckpunkten beinhalten, die hintere Bildebene hingegen jene vom Betrachter abgewandte Vertikalfläche mit ihren entsprechenden Eckpunkten. Das dargestellte Objekt wird zur Gänze durch ein mit schwarzem Rahmen gekennzeichnetes „Scheinfenster" betrachtet, welches als Bezugsgröße für die dreidimensionale Wahrnehmung herangezogen werden kann. Der mithilfe des stereoskopischen Verfahrens erzielte Raumeffekt kann sich dem Betrachter im Allgemeinen auf zweierlei Art und Weise präsentieren. Zum einen kann das abgebildete Objekt eine Ausdehnung in die Tiefe erfahren, zum anderen kann es aber auch aus dem „Scheinfenster" heraustreten und damit gleichsam in Richtung des Betrachters expandieren. Zur mathematischen Darstellung des räumlichen Effektes und zur Unterscheidung der Ausdehnungsrichtung gelangt die sogenannte Deviation zur Verwendung. Für diesen Parameter gibt es mehrere in verschiedensten Monografien publizierte Definitionen. Die einfachste mathematische Beschreibung betrachtet zwei in der hinteren Bildebene (Fernebene) liegende korrespondierende Bildpunkte und ihre jeweiligen Abstände vom rechten Bildrand, welche mit xl und xr bezeichnet werden. Die Deviation (d) repräsentiert nun schlicht und einfach die Differenz zwischen linkem und rechtem Abstand (d = xl — xr; Abb. 3). Aus dieser sehr simplen Formel geht hervor, dass die Deviation sowohl positive als auch negative Werte anzunehmen vermag. Eine positive Deviation bewirkt jene zuvor geschilderte Ausdehnung des Objektes in die Tiefe, wohingegen eine negative Deviation für den umgekehrten Effekt, nämlich eine Expansion des Gegenstandes in Richtung Betrachter sorgt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3. - Bildbeispiel zur Definition wichtiger Kenngrößen der Stereoskopie. Eine positive Deviation (xr < xl) hat bei Anwendung des Parallelblicks eine Ausdehnung des Objektes in die Tiefe zur Folge. Eine negative Deviation (xr > x) hingegen lässt das Objekt aus dem „Scheinfenster" heraustreten.
Über die Deviation lässt sich auch die Intensität des stereoskopischen Effektes festlegen. Grundsätzlich gilt in diesem Fall, dass niedrige Beträge des Parameters eine schwache räumliche Wahrnehmung des abgebildeten Objektes zur Folge haben, wohingegen hohe Betragswerte der Kenngröße Hand in Hand mit einer starken dreidimensionalen Auffassung des Gegenstandes gehen (^ Abb. 4). Geht man beispielsweise von einer positiven Deviation mit entsprechender rückwärtiger Ausdehnung des Objektes aus, so führt eine kontinuierliche Steigerung dieses Parameters zu einem permanenten Anwachsen jener in die Tiefe orientierten Dimension des Gegenstandes. Ab einem gewissen Deviationsbetrag tritt hier freilich eine übermäßige Tiefenwahrnehmung ein, so dass jener in der nachstehenden Abbildung dargestellte Würfel letztendlich eine Verzerrung zu einem Quader erfährt. Überschreitet die Deviation einen gewissen Grenzbetrag, verliert das Gehirn die Fähigkeit zu jener in Kap. 1.1 beschriebenen Verschmelzung der Halbbilder [18, 35, 36].
Zur Definition des Grenzwertes, welcher zwischen räumlicher Wahrnehmung und lediglicher Erkennung von Doppelbildern trennt, bedient man sich der relativen Deviation (= absolute Deviation / Länge der waagrechten Bildkante x 100 %). Diese sollte laut Regelwerk der Deutschen Stereoskopischen Gesellschaft (DSG) zu keiner Zeit der fotografischen Objektaufnahme einen Wert von 3 % überschreiten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4. - Bildbeispiel zur Verdeutlichung des Zusammenhangs zwischen Deviationshöhe und Intensität der räumlichen Wahrnehmung eines abgebildeten Objektes.
Wie bereits in Kap. 1.1 erläutert wurde, erhält man ein stereoskopisches Bildpaar in der Regel durch Fotografie eines Objektes aus zwei leicht unterschiedlichen Perspektiven. Grundsätzlich kann die Verschiebung der beiden Standpunkte des Betrachters beziehungsweise der Kamera entlang einer horizontalen Linie oder entlang eines Kreisbogensegmentes erfolgen. Bei der ersten klassischen Technik, welche von der Deutschen Stereoskopischen Gesellschaft gemeinhin auch als vorzuziehende Methode der Stereofotografie angegeben wird, ist die Kamera zwischen den Einzelaufnahmen in der Waagrechten um eine Streckenlänge von exakt 65 mm (= Augenabstand) zu verschieben. Dies hat zur Folge, dass auch alle korrespondierenden Punkte auf den beiden Halbbildern über einen horizontalen Versatz verfügen und dadurch eine auf reiner Translation beruhende Deviation zustandekommt Abb. 5) [17, 18, 35-39].
Als etwas neueres Verfahren kann die Verschiebung des Standpunktes entlang eines Kreisbogensegmentes erachtet werden, welche sich durch hohe Effizienz hinsichtlich des stereoskopischen Effektes auszeichnet. Wenn man den Mittelpunkt des Kreisbogens zur exakten Überdeckung mit dem Objektmittelpunkt bringt, sollte sich entsprechender Kameraversatz auf einen Winkel zwischen 2° und 5° belaufen. Dabei kann für weiter entfernte Gegenstände oder Strukturen ein größerer Verschiebungswinkel gewählt werden, wohingegen nähere Objekte unter Anwendung kleinerer Verschiebungswinkel zur fotografischen Aufnahme gelangen sollten. Bei Betrachtung der stereoskopischen Halbbilder fällt sofort auf, dass die korrespondieren Bildpunkte mit Ausnahme von entsprechenden Fixpunkten einen bogenförmigen Versatz erfahren haben und demzufolge eine Art Rotationsdeviation vorliegt Abb. 5) [35, 69-75].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 5. - Bildbeispiel zur Verdeutlichung der stereoskopischen Halbbilderzeugung durch waagrechte Verschiebung der Position des Betrachters und durch Versatz des Standpunktes entlang eines Kreisbogens. Im ersten Fall entsteht eine Translationsdeviation, im zweiten hingegen eine Rotationsdeviation.
Bei kleineren Objekten kann anstelle der Verschiebung der Betrachterposition auch der entsprechende Versatz des Gegenstandes selbst erfolgen. Diese Strategie spielt vor allem bei der mikroskopischen Foto- grafie eine bedeutende Rolle und soll deshalb im nachfolgenden Abschnitt im Detail erläutert werden. An dieser Stelle sei ergänzend angemerkt, dass die oben beschriebenen stereoskopischen Aufnahmemethoden makroskopischer Objekte bei Verwendung einer zweilinsigen Stereokamera als hinfällig zu betrachten sind, da dieses Gerät den betreffenden Gegenstand automatisch aus zwei verschiedenen Perspektiven festzuhalten vermag und bereits intern eine Transformation der erstellten Halbbilder zu Rot-Cyan-Anaglyphen anbietet [69-75].
Sowohl im makroskopischen als auch im mikroskopischen Bereich sind einige Grundregeln bei der Erzeugung der stereoskopischen Halbbilder einzuhalten, um letztendlich möglichst optimale Resultate bei der räumlichen Bildwahrnehmung zu erhalten. Wie bereits in Kap. 1.3 erwähnt wurde, sollte die relative Deviation einen gewissen Grenzwert nicht überschreiten, um nicht eine unerwünschte Außerkraftsetzung der Bildfusion herbeizuführen. Darüber hinaus sind für beide Halbbilder identische Schärfe- und Belichtungseinstellungen zu wählen. Eine bedeutende Größe in Bezug auf die Güte des Stereobildpaares stellt auch die sogenannte Vertikalparallaxe dar. Dieser Parameter beschreibt ganz allgemein eine zwischen den beiden Aufnahmen eintretende Vertikalverschiebung des Objektes, welche etwa dadurch zustandekommt, dass der Positionswechsel des Betrachters auf unebenem Gelände stattfindet. Auch eine unbeabsichtigte Höhenverstellung der Kamera kann eine signifikante Vertikalparallaxe zur Folge haben. Nach Empfehlung der Deutschen Stereoskopischen Gesellschaft sollte der Vertikalversatz 0,3 % der Gesamtbildhöhe (= 0,3 mm bei 100 mm Bildhöhe) nicht überschreiten, da ansonsten erhebliche Störungen bei der Bildbetrachtung entstehen können. Ein zuletzt noch anzuführender Punkt betrifft die generelle Vermeidung von Trapezfehlern, die insbesondere bei der horizontalen Kameraverschiebung auftreten können und als Ergebnis einer leichten Schrägstellung der optischen Achse des Aufnahmegerätes anzusehen sind. Dies bedeutet, dass die Kamera nicht parallel zum Verschiebungsvektor ausgerichtet ist, sondern mit diesem einen spitzen Winkel bildet. Als Resultat der Fehlstellung kommt es auch zu einer geringfügig schrägen Abbildung des Objektes, sodass beispielsweise ein Quadrat bei entsprechender Projektion auf Film- oder Fotosensorenfläche zu einem Trapez transformiert wird. Der Trapezfehler kann sich in der Stereoskopie als äußerst störend erweisen, weil er Einfluss auf die Deviation korrespondierender Bildpunkte nimmt [35-39]].
2.2 Stereoskopische Bildgebung in Auf- und Durchlichtmikroskopie
Wenn man sein Hauptaugenmerk zunächst auf die Erzeugung von Stereofotografien in der Auflichtmikroskopie lenkt, so kann man sich dort recht simpler und effizienter Verfahren bedienen. Zu Beginn ist die Frage zu stellen, ob für die mikroskopischen Untersuchungen ein hochqualitatives Stereomikroskop mit Doppelobjektiv oder ein einfacheres Auflichtmikroskop zur Anwendung gelangt. Im ersten Fall gestaltet sich die Herstellung der stereoskopischen Halbbilder bei Verwendung eines Handys mit hochauflösender Kamera auf der Rückseite sehr unkompliziert. Hier ist es nämlich lediglich notwendig, das unter dem Mikroskop platzierte Untersuchungsobjekt durch beide Okulare hindurch abzulichten. Dies geschieht am besten, indem man das Handy exakt über dem jeweiligen Okular ausrichtet, wobei nach Möglichkeit kein störender Lichteinfall von der Seite stattfinden sollte. Neben der manuellen Fixierung der Telefonkamera auf dem Okular besteht noch die Möglichkeit der Verwendung einer speziellen Haltevorrichtung, welche im Spezialhandel erworben werden kann und zur Vermeidung eventueller Bildverwackelungen führt (-> Abb. 6) [84-87, 89].
Für die stereoskopische Bilderzeugung am Stereomikroskop sind natürlich jene im vorangegangenen Abschnitt erläuterten Grundregeln möglichst exakt einzuhalten. Dies bedeutet, dass die Fotografie durch die beiden Okulare bei identischer Vergrößerung, Schärfeeinstellung und Beleuchtung des zu untersuchenden Objektes stattzufinden hat. Darüber hinaus ist zu beachten, dass der mikroskopisch dokumentierte Gegenstand zwischen den beiden fotografischen Aufnahmen keine Bewegung in horizontaler oder vertikaler Richtung erfährt, da dadurch eine teilweise Kompensation des dreidimensionalen Effektes eintreten kann [84-87]. Wird von der Verwendung eines Stereomikroskopes abgesehen und für die Studien ein einfacheres Gerät mit einzelnem Objektiv und Okular verwendet, ist zwischen den Aufnahmen mit der Handykamera oder einer im Mikroskop integrierten fotografischen Einrichtung eine Veränderung der Objektposition im Sinne jener in Kap. 2.1 geschilderten Rotation vorzunehmen. Dies kann am besten dadurch geschehen, dass man den zu untersuchenden Gegenstand auf einer beweglichen Unterlage platziert, welche man nach Erzeugung des ersten Halbbildes an einer Seite leicht anhebt. Dieser Vorgang hat die Bildung einer geringfügigen Schieflage des Objektes zur Folge, welche jedoch für die Entwicklung des stereoskopischen Effektes sehr gut ausgenutzt werden kann. Durch die Kippung kann es zu leichten Veränderungen von Bildschärfe und -beleuchtung kommen. Die Werte dieser beiden Parameter sind bei Aufnahme des zweiten Halbbildes möglichst gut an jene des ersten Halbbildes anzunähern.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 6. - Schema zur Verdeutlichung der stereoskopischen Halbbilderzeugung bei einem im Auflichtmodus betriebenen Stereomikroskop. Das Handy kann unter Zuhilfenahme einer speziellen Haltevorrichtung an den jeweiligen Okulartuben fixiert werden.
Die Durchlichtmikroskopie, welche sich im Allgemeinen mit der Untersuchung transparenter Objekte und Strukturen beschäftigt, eröffnet grundsätzlich ebenfalls die Möglichkeit zur Herstellung stereoskopischer Bildpaare. Als am besten geeignete Methode der 3D-Fotografie gilt hier zweifelsohne das bereits bei der Auflichtmikroskopie angesprochene Rotationsverfahren. Dazu ist es notwendig, die auf einem Glasobjektträger in Harz eingebettete und mit einem Deckglas abgeschlossene Probe auf einer kippbaren Vorrichtung aufzubringen. Bei modernen Durchlichtmikroskopen wird für gewöhnlich eine Kippung des Probentisches gestattet. Alternativ lässt sich die gewünschte Neigung des Präparates auch dadurch erzeugen, dass man an einem Ende einen dünnen, den Lichtgang nicht beeinflussenden Gegenstand (z. B. Deckglas) als Unterlage verwendet. Das erste Halbbild wird nun bei entsprechender Ausgangslage (waagrechte Position) der Probe aufgenommen, wohingegen das zweite Halbbild bei gekippter Position des Präparates zur Herstellung gelangt. Wichtig ist dabei, dass der Kipp- oder Rotationswinkel (a) je nach verwendeter Vergrößerung zwischen 2 und 10° variiert (^ Abb. 7a) [84-87]. Eine Veränderung der Position des Untersuchungsobjektes relativ zum Lichtstrahl des Mikroskopes geht natürlich Hand in Hand mit Modifikationen von Schärfe und Beleuchtung der betreffenden Struktur. Hier ist nach besten Möglichkeiten dafür Sorge zu tragen, dass beide Halbbilder bei nahezu identischen Schärfe- und Beleuchtungseinstellungen fotografiert werden [18, 35, 36, 84-87].
Als weiteres Verfahren zur Herstellung stereoskopischer Bildpaare gilt die sogenannte Bildstapelmethode (image stacking). Dabei wird das auf dem Glasobjektträger montierte Untersuchungsobjekt wiederum in gewohnter Art und Weise in seiner horizontalen Ausgangslage fotografiert. Die Fokussierung sollte dabei zunächst auf die Frontalebene der Struktur erfolgen. Der nächste Arbeitsschritt dieses Verfahrens besteht nun darin, die Fokussierungsebene in konstanten Abständen (d) nach unter zu verschieben, wobei nach jedem getätigtem Versatz eine weitere fotografische Aufnahme zu erfolgen hat. Die Versatzstrecke ist an die verwendete Vergrößerung anzupassen, beläuft sich jedoch in der Regel zwischen 1 und 10 pm. Der Prozess wird solange fortgeführt, bis man über einen aus 10 bis 20 Einzelaufnahmen bestehenden Bildstapel verfügt Abb. 7b). Für die Konvertierung des erzeugten Bildstapels zu einem Stereobildpaar ist man auf die Unterstützung des Computers und spezieller bildverarbeitender Software angewiesen. Als besonders effizient und zielführend erweist sich hier das frei erhältliche Computerprogramm PICOLAY, in welches die einzelnen Teilbilder importiert werden können. Nach automatischer Verarbeitung des Bildstapels unter Generierung einer sogenannten Objekttiefenkarte (ODM; siehe unten) kann man wahlweise ein Stereobildpaar oder eine Rot-Cyan-Anaglyphe erstellen lassen Abb. 8).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 7. - Methoden zur Erzeugung von stereoskopischen Halbbildern in der Durchlichtmikroskopie. Bei der Rotationstechnik (a) wird die Probe zwischen den beiden fotografischen Aufnahmen um den Winkel a gekippt, bei der vertikalen Verschiebungstechnik (b) wird durch sukzessiven Versatz des Fokuspunktes um den Betrag d ein stereoskopischer Bildstapel erzeugt.
Die Erstellung einer Objekttiefenkarte kann freilich nicht nur auf Basis jenes oben erläuterten Bildstapels, sondern auch unter Verwendung einer einzelnen fotografischen Aufnahme des Untersuchungsobjektes erfolgen. Hierbei wird das entsprechende Bild wiederum in das Computerprogramm PICOLAY geladen und in Bezug auf einen von der vorderen zur hinteren Bildebene verlaufenden Helligkeitsgradienten analysiert. Idealerweise tritt vom Bildvordergrund in Richtung Hintergrund eine sukzessive Abnahme der Helligkeit auf. Dieses optische Phänomen kann nun dazu genutzt werden, einzelne Bildpunkte je nach Helligkeit bestimmten Tiefenbereichen zuzuordnen, wodurch letztendlich dreidimensionale Information zum Objekt generiert wird. Diese räumlichen Daten dienen in weiterer Folge zur Extrapolation von Objektflächen und -strukturen unter Zuhilfenahme spezieller Renderverfahren. Hier gelingt es, teilweise sichtbare Flächen in ihrer Raumausdehnung zu simulieren, wodurch sich in letzter Konsequenz der Blickwinkel auf den Untersuchungsgegenstand künstlich verändern lässt. Dieser Umstand stellt seinerseits die Grundlage für die computerunterstützte Erzeugung der stereoskopischen Halbbilder dar, wobei der perspektivische Winkel zwischen den beiden Einzelbildern theoretisch beliebig variiert werden kann [89-91].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 8. - Erzeugung eines stereoskopischen Bildpaares unter Zuhilfenahme des Bildstapelverfahrens. Die Generierung des 3D-Bildes erfolgt hier mit entsprechender Computerunterstützung.
2.3 Betrachtung von stereoskopischen Bildpaaren
Zur Inspektion und wissenschaftlichen Untersuchung stereoskopischer Bildpaare, welche zu einem Stereogramm montiert wurden, gibt es mehrere Möglichkeiten, von denen die wichtigsten hier kurz ihre Erläuterung finden sollen. Grundsätzlich kann für die Betrachtung stereoskopischer Bilder entweder ein optisches Hilfsmittel oder eine sogenannte autostereoskopische Blicktechnik zur Verwendung gelangen. Als Hilfsgeräte für die räumliche Visualisierung von auf entsprechenden Halbbildern aufgezeichneten Objekten dienen in der Regel Stereoskope oder Stereobrillen. Die beiden optischen Apparaturen zielen im Wesentlichen darauf ab, das jedes Auge unter Verwendung einfachster physikalischer Prinzipien auf das ihm zugewiesene Halbbild gelenkt wird. Hier ist vorauszuschicken, dass die optischen Achsen beider Augen von Natur aus eine leicht konvergente Ausrichtung besitzen, sich also in einem gewissen Abstand vom Betrachter kreuzen. Dieses konvergente Sehen spielt insbesondere bei der Fixierung einzelner Punkte im Raum eine übergeordnete Rolle, wobei sich dessen Intensität je nach Entfernung eines Punktes signifikant verändert. Mithilfe der oben genannten optischen Geräte werden die normalerweise in bestimmtem Winkel zueinander stehenden Sehachsen parallel ausgerichtet, so dass es letztendlich gelingt, den Blick des linken Auges auf das linke Halbbild und jenen des rechten Auges auf das rechte Halbbild zu lenken (Parallelblick) [18, 35, 36].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 9. - Funktionsweise eines Spiegelstereoskops zur Erzeugung eines Parallelblicks, bei dem das linke Auge lediglich das linke Halbbild, das rechte Auge hingegen lediglich das rechte Halbbild zu sehen bekommt.
Das bereits von Charles Wheatstone in den 1830er Jahren konzipierte Spiegelstereoskop basiert im Wesentlichen auf dem optischen Phänomen der Lichtreflexion an ebenen Oberflächen. Die von zwei korrespondierenden Bildpunkten (Pl und Pr) ausgehenden Lichtstrahlen werden so an einem zwischen den optischen Achsen der Augen positionierten Doppelspiegel reflektiert, dass sie in die entspannten und dadurch leicht konvergent gestellten Augen einzudringen vermögen. Dort treffen sie in weiterer Folge an jeweils unterschiedlichen Stellen auf die Retina, wodurch in letzter Konsequenz die räumliche Wahrnehmung des abgebildeten Objektes induziert wird Abb. 9).
Im historischen Überblick zur Stereoskopie (Kap. 1.2) wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Spiegelstereoskop zwar zu sehr guten, auch für eine breitere Öffentlichkeit tauglichen Ergebnissen zu führen vermochte, sich jedoch durch eine der Bauart geschuldete überdurchschnittliche Größe auszeichnete. Dies hatte desen relativ frühes Verschwinden aus der Stereoskopieszene zur Folge. Für den passionierten Hobbyste- reoskopiker besitzt dieses traditionsreiche Gerät den großen Vorteil, dass es unter Aufwendung eines minimalen Sach- beziehungsweise Geldaufwandes nachgebaut werden kann. Man benötigt lediglich eine Blickvorrichtung mit zwischen den optischen Achsen eingesetztem Spiegelapparat. Die Spiegel sollten dabei über eine Grundfläche von mindestens 5 x 5 cm verfügen und absolut baugleich sein.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 10. - Funktionsweise eines Prismenstereoskops zur Herstellung eines Parallelblicks, bei dem das linke Auge lediglich auf das linke Halbbild, das rechte Auge hingegen lediglich auf das rechte Halbbild gelenkt wird.
Sowohl das bereits in Kap. 1.2 erwähnte Holmes-Stereoskop als auch modernere Stereobrillen bedienen sich zur Erzeugung des gewünschten Parallelblicks des physikalischen Phänomens der Lichtbrechung an einem Doppelprisma. Hierbei werden die von den korrespondieren Bildpunkten (Pl und Pr) ausgehenden Lichtstrahlen bei Eintritt in das Prisma zum Lot, bei ihrem Austritt aus dem betreffenden optischen Element hingegen vom Lot gebrochen. Dies hat schlussendlich zur Folge, dass die Lichtstrahlen die erforderliche Parallelausrichtung erlangen und jedes Auge auf das ihm zugewiesene Halbbild blicken kann (^ Abb. 10) [18, 35, 36]. Die zumeist aus Kunststoff gefertigte Stereobrille besitzt die Größe einer normalen Lesebrille und wird heute manchen Stereobüchern zur ungestörten Betrachtung der Fotografien beigefügt. Im Gegensatz zum Spie gelstereoskop lässt sich das Prismenstereoskop nicht so einfach selbst herstellen, da hierfür die Verwendung von speziellen Fresnel-Prismen notwendig ist, welche jedoch im Spezialhandel bestellt werden können. Alternativ eignet sich für diesen Fall auch die Nutzung von spezifischen Kunststofffolien, die annähernd die gleichen Brechungseigenschaften wie Fresnel-Prismen besitzen und beispielsweise für den Experimentalunterricht an Schulen zum Einsatz gelangen.
Neben der Verwendung von optischen Hilfsmitteln können bei der Betrachtung von Stereobildern auch sogenannte autostereoskopische Blicktechniken zur Anwendung gelangen. Dabei handelt es sich ganz allgemein um relativ einfach erlernbare Methoden der Bildinspektion mit blo ßem Auge, welche zu verblüffenden Ergebnissen führen können und deshalb hier kurz vorgestellt werden sollen. Der schon mehrmals genannte Parallelblick soll das linke Auge auf das linke Halbbild, das rechte Auge dagegen auf das rechte Halbbild ausrichten. Dieser Prozess wird durch den Umstand, dass die optischen Achsen der Augen von Natur aus eine leicht konvergente Stellung einnehmen (siehe oben), ein wenig erschwert. Dem kann man Abhilfe leisten, indem man zwischen den Sehachsen eine undurchsichtige Trennwand platziert, welche parallel zur Blickrichtung orientiert ist. Dies hat letztendlich zur Folge, dass die optischen Sinnesorgane ihre Konvergenzstellung aufgeben und ihre Sehachsen parallel zueinander ausrichten Abb. 11) [17, 18, 35-40].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 11. - Die autostereoskopische Betrachtungstechnik des Parallelblicks und ihre einfache Handhabung mithilfe einer zwischen den optischen Achsen der Augen eingefügten Trennwand (z. B. Handfläche).
Bei der praktischen Anwendung der autostereoskopischen Technik hat man das Stereobildpaar vor sich auf dem Tisch liegen und blickt darauf im Abstand von 20 bis 30 cm. Als Trennwand kann man entweder einen zurechtgeschnittenen Karton oder auch die offene Handfläche verwenden. Man blickt nun möglichst entspannt auf die beiden Halbbilder, bis sich diese zu einem mittleren Raumbild zu verschmelzen beginnen. Bei geübten Stereoskopikern erfolgt dieser alles entscheidende Prozess innerhalb weniger Sekunden. Sollte sich der Fusionsvorgang nicht durchführen lassen, muss der Abstand zwischen Stereobild und Betrachter vergrößert werden. Der Parallelblick besitzt generell den Vorteil, dass die Bildbetrachtung bei relativ entspanntem Zustand der Augen stattfinden kann, wodurch ein längeres Studium der Stereogramme ermöglicht wird. Möchte man einen festgelegten Wert für die Distanz zwischen Bild und Betrachter verwenden, sind die in Kap. 1.1 erwähnten Standardmaße des Stereobildpaares (Gesamtbreite: 130 mm) heranzuziehen.
[...]
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.