Die Arbeit beschäftigt sich gemäß dem Titel mit dem Belastungsempfinden, dem Unterstützungsbedarf und den Ressourcen von Eltern hörgeschädigter Kinder. Dabei werden Forschungsergebnisse unterschiedlicher Studien vorgestellt und Konsequenzen für die Elternarbeit daraus abgeleitet. Der Forschungsbedarf auf dem Gebiet des Belastungsempfindens von Eltern hörgeschädigter Kinder wurde vor etwa 20 Jahren erkannt. Bis dahin stand in den 1970er und 1980er Jahren eher das elterliche Erziehungsverhalten im Fokus der Forschung. Es wurde vielfach untersucht, wie Eltern nach der Diagnose „Hörschädigung“ auf die Nachricht und insbesondere auf das Kind reagieren. In unterschiedlichen Veröffentlichungen wurde immer wieder auf die besondere Herausforderung für Eltern hörgeschädigter Kinder hingewiesen: „Die neue Mutter- und Vaterrolle verlangen vor allem die Übernahme ungewohnter Verantwortung für ein sehr abhängiges Familienmitglied.“ Es konnte belegt werden, dass elterliche Auseinandersetzungs- und Verarbeitungsprozesse in Bezug auf die Hörschädigung des Kindes in Wechselwirkung mit der Entwicklung und Sozialisation des betroffenen Kindes stehen .
Hintermair legte bereits 1981 seine Dissertation zu elterlichen Erziehungsstilen und der Genese des kindlichen Selbstkonzepts vor . Die wichtigste Erkenntnis lag in dem Beleg, dass ein signifikanter Zusammenhang von positiven Erziehungsstilen und der Familienatmosphäre besteht. Es konnte weiterhin belegt werden, dass der Erziehungsstil Einfluss auf das Selbstkonzept des Kindes nimmt und es somit folglich in Abhängigkeit vom Erziehungsverhalten der Eltern zu Problemen in der Eltern-Kind-Beziehung kommen kann. Es wurde versucht das (damals noch recht defizitorientiert als „falsch“ beurteilte) Erziehungsverhalten der Eltern zu kategorisieren. Seifert legte 1982 dazu beispielhaft drei Reaktionsformen von betroffenen Eltern vor. Er unterscheidet das Erziehungsverhalten in Überbehütung, Ablehnung und Akzeptanz.
Inhaltsverzeichnis
1. Zur Geschichte und Bedeutung des Forschungsgebietes
2. Forschungsergebnisse
2.1 Zur Gesamtbelastung von Eltern hörgeschädigter Kinder
2.2 Belastungsempfinden in Abhängigkeit von der individuellen Entwicklung des Kindes
2.3 Zum unterschiedlichen Belastungsempfinden von Mütter und Vätern
2.4 Zum Stellenwert der Eltern-Kind-Kommunikation
2.5 Zur besonderen Situation von betroffenen Eltern mit Migrationshintergrund
3. Konsequenzen für die Elternarbeit
3.1 Unterstützungsbedarf von betroffenen Eltern
3.2 Resilienzforschung und ressourcenorientierte Ansätze
4. Fazit
5. Literatur:
1. Zur Geschichte und Bedeutung des Forschungsgebietes
Der Forschungsbedarf auf dem Gebiet des Belastungsempfindens von Eltern hörgeschädigter Kinder wurde vor etwa 20 Jahren erkannt. Bis dahin stand in den 1970er und 1980er Jahren eher das elterliche Erziehungsverhalten im Fokus der Forschung. Es wurde vielfach untersucht, wie Eltern nach der Diagnose „Hörschädigung“ auf die Nachricht und insbesondere auf das Kind reagieren. In unterschiedlichen Veröffentlichungen wurde immer wieder auf die besondere Herausforderung für Eltern hörgeschädigter Kinder hingewiesen: „Die neue Mutter- und Vaterrolle verlangen vor allem die Übernahme ungewohnter Verantwortung für ein sehr abhängiges Familienmitglied.“[1] Es konnte belegt werden, dass elterliche Auseinandersetzungs- und Verarbeitungsprozesse in Bezug auf die Hörschädigung des Kindes in Wechselwirkung mit der Entwicklung und Sozialisation des betroffenen Kindes stehen[2].
Hintermair legte bereits 1981 seine Dissertation zu elterlichen Erziehungsstilen und der Genese des kindlichen Selbstkonzepts vor[3]. Die wichtigste Erkenntnis lag in dem Beleg, dass ein signifikanter Zusammenhang von positiven Erziehungsstilen und der Familienatmosphäre besteht. Es konnte weiterhin belegt werden, dass der Erziehungsstil Einfluss auf das Selbstkonzept des Kindes nimmt und es somit folglich in Abhängigkeit vom Erziehungsverhalten der Eltern zu Problemen in der Eltern-Kind-Beziehung kommen kann. Es wurde versucht das (damals noch recht defizitorientiert als „falsch“ beurteilte) Erziehungsverhalten der Eltern zu kategorisieren. Seifert legte 1982 dazu beispielhaft drei Reaktionsformen von betroffenen Eltern vor. Er unterscheidet das Erziehungsverhalten in Überbehütung, Ablehnung und Akzeptanz[4].
Im Zusammenhang mit dem Erziehungsverhalten rückte das Thema elterliche Belastung zunehmend ins Blickfeld der hörgeschädigtenpädagogischen Forschung. Ossowski weist diesbezüglich auf drei wesentliche Faktoren elterlicher Belastung hin, die miteinander korrespondieren:
1. Belastung durch die Geburt des hörbehinderten Kindes, die sich beispielsweise durch Ungewissheit, Unsicherheit, Trauer, Aggression, Abwehr, Verleugnung oder soziale Isolation äußern kann.
2. Belastung durch die Erziehungs- und Förderungsanforderungen („parenting stress“), die sich beispielsweise durch Verunsicherung, Hilflosigkeit, Ärzte-Hopping oder Überforderungsgefühle zeigen kann.
3. Belastung durch „(…) die profunde Veränderung sozial eingeübter, habituierter und bezogen auf ein gesundes Kind antizipierter auditiver Wahrnehmungsausrichtung und lautsprachlicher Kommunikationsweisen mit dem Kind bzw. die Armut lautsprachlichen Austausches miteinander.“[5]
Das Ziel dieser Forschungsrichtung war es zunächst, Ursachen für das Erziehungsverhalten der Eltern zu finden. Man erkannte, dass insbesondere bei hörenden Eltern ein großer Beratungs- und Informationsbedarf besteht, da sie sich in der Regel mit dem Thema Hörschädigung noch nicht auseinandergesetzt haben und nach der Diagnosestellung einen regelrechten Schock erleiden. Die Diagnose kommt häufig für die Eltern völlig unerwartet und so fallen sie zunächst umgangssprachlich ausgedrückt, in ein tiefes Loch.
Man entwickelte zunächst methodenorientierte Beratungsansätze in denen die Eltern je nach Auffassung des betreuenden Hörgeschädigtenpädagogen bezüglich Erziehungsfragen, Kommunikationsformen und Behandlungs- sowie Fördermöglichkeiten beraten und in die Förderung mehr oder weniger stark integriert wurden.
Die neuere Belastungs- und Bewältigungsforschung der letzten Jahre hat sich zum Ziel gesetzt, sowohl die Probleme als auch die Ressourcen der Eltern zu erforschen und Hörgeschädigtenpädagogen somit Fakten an die Hand zu geben, die dazu beitragen sollen, Bedürfnisse und Wünsche sowie Möglichkeiten der betroffenen Familien frühzeitig zu erkennen und somit das Familienleben zu entlasten und eine bestmögliche Förderung der hörgeschädigten Kinder zu erreichen.
2. Forschungsergebnisse
In den folgenden Teilkapiteln werden hörgeschädigtenpädagogische Forschungsergebnisse der Jahre 1993-2006 vorgestellt, die aus dem Bereich Belastung und Bewältigung betroffener Eltern sowie aus dem Bereich Elternarbeit stammen.
2.1 Zur Gesamtbelastung von Eltern hörgeschädigter Kinder
Die Diagnose „Hörschädigung“ ist für viele Eltern ein Schock. Obwohl der medizinische, technische und pädagogische Fortschritt der letzten Jahrzehnte sowie die Anerkennung der deutschen Gebärdensprache als vollwertige Sprache im Jahr 2002 viel zur Verbesserung der Lebenssituation hörgeschädigter Menschen beigetragen haben, sind betroffene Eltern heute (verständlicherweise) immer noch um die Zukunft ihres hörgeschädigten Kindes besorgt und fühlen sich durch die Erziehung von und Kommunikation mit ihrem Kind oft belastet. „Die Eltern eines hörgeschädigten Kindes sind z.B. mit der Frage konfrontiert, welche Auswirkungen auf die sprachliche, emotionale, interaktive und personale Entwicklung aufgrund der Hörschädigung zu erwarten sind und welche Konsequenzen sich aus dem tatsächlichen Entwicklungsverlauf für die schulische und soziale Integration des Kindes ergeben.“[6]
In den unterschiedlichen Untersuchungen wurde erforscht, welche Eltern in welchen Bereichen besonders stark belastet sind. Dabei zeigt sich generell, dass sich Eltern in unterschiedlichen Phasen der Entwicklung ihres Kindes unterschiedlich stark belastet fühlen und ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben.
Das häufigste Messinstrument, das zur Erhebung des elterlichen Belastungsempfindens genutzt wurde, stellt der Parenting-Stress-Index, kurz PSI (Abidin, 1990), dar. Dieses umfasst 101 Items mit 6 Subskalen zur interaktionsbezogenen Belastung mit dem Kind und 7 Subskalen zum emotionalen Wohlbefinden der Eltern. Abgefragt wird die Anpassungsfähigkeit, Akzeptanz für Verhaltensweisen, forderndes Verhalten, Stimmung/Temperament und Ablenkbarkeit/Überaktivität des Kindes.
Weitere Fragen umfassen die Depressivität, emotionale Bindung an das Kind, rollenbedingte Einschränkungen, Kompetenzgefühle, soziale Isolation, Beziehung zum Partner und körperliche Gesundheit, jeweils im Bezug auf die Eltern. Horsch/Weber[7] ermittelten in ihren Untersuchungen aus den frühen 1990er Jahren mittels des PSI und ausgewählten qualitativen Interviews eine Gesamtbelastung für die Elterngruppe gehörloser Kinder im deutlich kritischen Bereich. Untersucht wurden 33 Eltern gehörloser Kinder, 27 Eltern hörender Kinder und 88 Eltern cochlear-implantierter Kinder. Dabei zeigte sich, dass sich das Stressempfinden von Eltern gehörloser Kinder vor allem im Bereich der Interaktion äußert. Anders fielen hingegen die Ergebnisse für die Eltern cochlear-implantierter Kinder aus: „ Sowohl in den qualitativ problemzentrierten Interviews als auch in den mittels des PSI ermittelten Ergebnissen stellt sich die Situation von Eltern cochlear- implantierter Kinder nach anfänglichen Hürden und akzeptierten Einschränkungen (…) als relativ stressarm und reich an positiv erlebten und gelebten Beziehungen vor.“[8]
Besondere Beachtung muss laut Hintermair[9] der Gruppe von Eltern hörgeschädigter Kinder mit Mehrfachbehinderung gelten. Diese weisen in unterschiedlichen Untersuchungen die mit Abstand höchsten Belastungswerte auf, insbesondere wenn es sich dabei um für Außenstehende sichtbare Behinderungen handelt (z.B. Fehlen/ Deformation der Ohrmuschel oder ein Kind, das im Rollstuhl sitzt)[10]. Hier lässt sich vermuten, dass sich die Eltern besonders durch negative Reaktionen der Umwelt belastet fühlen könnten.
Ebenso konnte festgestellt werden, „(…), dass sich Eltern, deren Kinder einen Regelkindergarten oder eine Regelschule besuchen, als deutlich weniger beeinträchtigt einschätzen als jene Eltern, deren Kinder eine Sondereinrichtung besuchen.“[11] Auch hier liegt die Vermutung nahe, dass sich die Eltern, deren Kinder eine heilpädagogische Einrichtung besuchen, weniger integriert und eher stigmatisiert fühlen, als solche, deren Kinder Regeleinrichtungen besuchen.
Zum Einfluss des Hörstatus der Eltern liegen in der Fachliteratur unterschiedliche Ergebnisse vor. Mehrheitlich wird jedoch festgestellt, dass dieser kaum Einfluss auf das Belastungserleben der Eltern nimmt.
Ein weiterer Faktor, der jedoch nur am Rande erwähnt wurde, ist die finanzielle Belastung der betroffenen Eltern. In den verschiedenen soziodemographischen Fragebögen gibt die Mehrheit der Eltern an, durch die Hörschädigung ihres Kindes in erheblichem Maße auch finanziell belastet zu sein. Es liegt auf der Hand, dass finanzielle Probleme das Familienklima und weiterführende soziale Beziehungen belasten können.
2.2 Belastungsempfinden in Abhängigkeit von der individuellen Entwicklung des Kindes
Rund um das Belastungsempfinden der Eltern und den Zusammenhang mit der individuellen Entwicklung des Kindes, lassen sich eine ganze Reihe von Untersuchungen mit recht vielen bedeutsamen Erkenntnissen finden.
So weist Hintermair darauf hin, „(…) dass die Prävalenzrate für Auffälligkeiten im Bereich des sozial-emotionalen Verhaltens bei dieser Gruppe [hörgeschädigte Kinder] deutlich erhöht ist.“[12] Er belegt dies anhand einer Studie mit 238 Eltern hörgeschädigter Kinder, die mit der Child Behaviour Checklist befragt wurden. Bezugnehmend auf ältere Studien von Crnic, Pressman, Warren/Hasenstab und Weinraub/Wolf belegt er, dass Eltern mit hohen Belastungswerten weniger sensibel und responsiv für das Verhalten ihres Kindes sind und dies in der Folge zu kindlichen Verhaltensauffälligkeiten führt. So konnte auch gezeigt werden, dass die Belastung der Eltern negativ mit der Effektivität von Fördermaßnahmen in der Früherziehung korreliert.[13]
Ebenso konnte herausgefunden werden, dass cochlear- implantierte Kinder signifikant geringere Werte im Bereich Hyperaktivität aufweisen, als Kinder mit Hörgeräten.[14] Außerdem konnte Hintermair bereits in einer älteren Untersuchung aus dem Jahr 1998[15] Ergebnisse aus dem anglo-amerikanischen Raum bestätigen, wonach stark hörgeschädigte Kinder eine Reihe von Verhaltensauffälligkeiten aufweisen, die deren Eltern in ihrer erzieherischen Verantwortung weitaus stärker fordern, als Eltern von leicht bis mittelgradig hörgeschädigten Kindern.
Dies konnten auch die betroffenen Eltern bestätigen, denn aus einer weiteren Untersuchung Hintermairs aus dem Jahr 1998 geht hervor, dass die Eltern stark hörgeschädigter Kinder ihre Kinder als stärker fordernd erleben im Vergleich zu Eltern von leicht- bis mittelgradig schwerhörigen Kindern.
Hintermair sieht darin die Ursache für ältere Befunde, die belegen, dass die Belastung der Eltern mit der Stärke des Hörverlusts zunimmt. Es zeigt sich also ein gewisser Teufelskreis, nach dem auffällige Verhaltensweisen der Kinder zu einem stärkerem Belastungsempfinden der Eltern führen. Dieses Belastungsempfinden wirkt sich wiederum negativ auf das Erziehungsverhalten der Eltern aus, was wiederum das auffällige Verhalten der Kinder hervorruft.
[...]
[1] Gloger-Tippelt, 1991, zitiert nach Ossowski, 1994, S. 311
[2] Vgl. Ossowski, 1994, S. 299ff.
[3] Vgl. Ossowski, 1994, S. 308f.
[4] Vgl. Ossowski, 1994, S. 304f.
Anmerkung: aufgrund der Kürze der Hausarbeit von 20 Seiten wird an dieser Stelle darauf verzichtet Seiferts Ansatz ausführlich darzulegen
[5] Ossowski, 1994, S. 302
[6] Maddalena/Arold 2001, S. 21
[7] Horsch/Weber, 1996, S. 40
[8] Horsch/Weber, 1996, S. 52
[9] vgl. Hintermair, 2006, S. 34
[10] vgl. Hintermair 1998, S.84
[11] Maddalena/Arold 2001, S. 27
[12] Hintermair 2006, S. 25
[13] Ossowski 1994, S. 301
[14] Hintermair 2006, S.36
[15] Hintermair 1998, S. 84
- Quote paper
- Melanie Klawitter (Author), 2008, Belastungserleben, Unterstützungsbedarf und Ressourcen von Eltern hörgeschädigter Kinder, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93695
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