Ziel ist es, einen potentiellen Zusammenhang zwischen berufsspezifischen Persönlichkeitsmerkmalen, Handlungskompetenzen und der Gesundheit bei Lehrkräften aufzuzeigen und Persönlichkeitsprofile, die sich als besonders stör- und belastungsanfällig erweisen, zu identifizieren.
Grundlage der hier angeführten Ausführungen und Erläuterungen bildet zudem ein salutogenetischer und ressourcenorientierter Ansatz bzw. ein ganzheitliches Verständnis von Gesundheit (im Sinne von psychosozialen Wohlbefinden). So werden – aus den gewonnenen Erkenntnissen über fundamentale, persönlichkeitsinterne Prozesse des Denkens, Fühlens und Handelns – Maßnahmen zur bewussten Gesundheitsförderung und Stärkung psychosozialer Grundkompetenzen abgeleitet. Denn eine professionelle Selbst-, Handlungs- und Unterrichtskompetenz sowie ein angemessenes Stressmanagement erweisen sich gerade in berufsspezifischen Krisensituationen explizit als Resilienzfaktoren, die Pädagogen helfen, im Beruf zu bestehen, Konflikte inhaltlicher und/oder personeller Natur zu bewältigen, qualitativ hochwertiges Leistungsvermögen an den Tag zu legen, auf dieser Basis Berufszufriedenheit als Lehrer zu bewahren und gesund das Pensionierungsalter zu erreichen. Die interdisziplinäre Annäherung an den Kern der Thematik soll somit nicht nur eine Art Situationsbeschreibung von Lehrkräften an deutschen Schulen ermöglichen, sondern bietet gleichzeitig Lehramtsinteressenten, -Studierenden, aber auch Lehrern mit Praxiserfahrung unter anderem die Möglichkeit, ihr eigenes (domänenspezifisches) Selbst aus einer kritisch-konstruktiven Perspektive zu beleuchten, zu reflektieren und gegebenenfalls positiv zu verändern.
INHALTSVERZEICHNIS
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
1. Psychische Gesundheit und Beanspruchung im Lehrerberuf
1.1 Modelle und Konzepte psychischer Gesundheit
1.2 Aktuelle, empirische Ergebnisse zur gesundheitlichen Situation von Lehrkräften
1.3 Berufsbedingte und sozial-gesellschaftliche Beanspruchungsursachen
2. Aspekte der Lehrerpersönlichkeit
2.1 Persönlichkeitsparadigma
2.2 Prozess-Produkt-Paradigma
2.3 Expertenparadigma
2.4 Belastungs-Beanspruchungs-Paradigma
2.5 Zusammenfassung der konzeptionellen Überlegungen
3. Zum Zusammenhang von Lehrerpersönlichkeit und Lehrergesundheit
3.1 Personale Dimension - Persönlichkeitsspezifische Merkmale und Wohlbefinden
3.1.1 Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster
3.1.2 Berufsinteresse und Berufswahlmotivation
3.1.3 Extraversion, Neurotizismus und Gewissenhaftigkeit
3.1.4 Optimismus und Selbstwirksamkeitserwartung
3.2 Fachliche Dimension - Zur Relevanz professionellen Wissens und Könnens
3.2.1 Kompetenzen und Standards im Lehrerberuf
3.2.2 Theoretisches Modell professioneller Kompetenz
3.2.3 Erkenntnisse aus dem Experten-Novizen-Vergleich
3.3 Soziale Dimension - Auswirkungen des Lehrerhandeln im sozialen Wirkungsgeflecht
3.3.1 Durch erfolgreiches Klassenmanagement zu einer positiven Lehrer-Schüler Beziehung
3.3.2 Sozial-kommunikative Kompetenzen als Schlüssel zum Erfolg
3.3.3 Soziale Unterstützung als bedeutende Ressource im Lehrerberuf
3.4 Fazit: Selbstmanagement zum Schutz der Gesundheit
4. Konklusion
5. Möglichkeiten der Gesundheitsprävention und Ausblick
6. Literatur- und Quellenverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Hinweis im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes:
Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird im Folgenden auf eine geschlechterspezifische Differenzierung, wie z. B. Lehrer/in sowie Schüler/innen, verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung für beide Geschlechter.
Einleitung
„Erschöpft, deprimiert, krankgeschrieben“ (Greiner, 2014): Unter dieser und ähnlichen Schlagzeilen ist in Tageszeitungen und Online-Magazinen seit Jahren wiederholend von Frust, Schulmüdigkeit und Resignation deutscher Lehrkräfte die Rede1. In einigen Fällen wird sogar vom „Pädagogen-Burnout“ gesprochen (ebd.). Feststellen lässt sich, dass der Blick auf heutige Lehrer, welcher nicht zuletzt durch derartige Publikationen beeinflusst wird, innerhalb unserer Gesellschaft zwiegespalten ist. Bestimmt wird das gegenwärtige Lehrerbild durch die scheinbare Diskrepanz zwischen ihrem Popularitätsindex in der Gesellschaft und ihrem empirisch nachgewiesenen, aber für die breite Masse der Bevölkerung scheinbar unerklärlichen, vulnerablen Gesundheitszustand.
Laut einer deutschlandweiten, repräsentativen Bevölkerungsumfrage (n = 1.570) des Instituts für Demoskopie Allensbach aus dem Jahr 2013 belegen Lehrer mit 41 % (hinter Ärzten mit 76 %, Krankenschwestern mit 63 % und Polizisten mit 49 %) den vierten Platz auf der Rangliste der achtungsvollsten Berufe2. Ein ähnlich positives Ergebnis zeigte sich in der zweijährlich wiederholenden Erhebung zum Vertrauens-Index ausgewählter Berufe der Firma Growth from Knowledge (2015). Demnach haben 79 % (n = 2.039) der Befragten unterschiedlicher Altersgruppen in Deutschland Vertrauen in die Berufsgruppe der Lehrer.3 Andererseits wird die diagnostizierte „Mittelmäßigkeit“ deutscher Schüler via internationaler Vergleichsstudien, wie TIMSS4 und PISA5, zuweilen auf mangelnde Lehrerleistung zurückgeführt (Schaarschmidt, 2005, S. 11). Immer wieder sehen sich Lehrer in der Öffentlichkeit mit ironischen Äußerungen über ihre Lehrertätigkeit konfrontiert. Lange Schulferien, eine „Halbtagsbeschäftigung bei voller Bezahlung“ (Schaarschmidt, 2011, S. 105) sowie eine beneidenswerte, freie Arbeitszeiteinteilung (Schultz, 2010) sind unterstellte As- pekte, die einerseits zu einem negativ konnotierten Berufsbild des Lehrers beitragen, andererseits mangelnde Wertschätzung gegenüber der Leistung von Lehrern zum Ausdruck bringen und gegebenenfalls eine respektvolle Lehrer-Schüler-Beziehung gefährden können.
Diesem zugeschriebenen Berufsbild, das ein eher kommodes Berufsfeld unterstellt, steht der Nachweis eines überdurchschnittlich hohen Beanspruchungsverhältnisses im Lehrberuf entgegen (Schaarschmidt, 2005, S. 41 ff.). So kamen aktuelle Befragungen und Studien im Bereich der Lehrerforschung zu dem Ergebnis, dass eine besorgniserregend hohe Anzahl von Lehrerinnen und Lehrern innerhalb unserer deutschen Bildungslandschaft einem hohen Belastungspotential und -Erleben ausgesetzt ist (ebd.; Lincke, Vomstein, Haug & Nübling, 2013).
Der zumeist in einem staatlich kontrollierten und organisierten System ausgeübte Lehrerberuf stellt zweifellos eine komplexe und anspruchsvolle Tätigkeit dar. Denn durch den Bildungsauftrag unserer Gesellschaft zählen Lehrer zu einer einflussreichen und bedeutenden Berufsgruppe. Als Hauptakteure innerhalb unseres Bildungssystems üben sie eine verantwortungsvolle, berufliche Beschäftigung aus und tragen zur kulturellen, wirtschaftlichen sowie wissenschaftlichen Entwicklung unserer Industriegesellschaft bei. „Unter den aufmerksamen Augen der Öffentlichkeit und Bildungspolitik“ (Kunter & Pohlmann, 2009, S. 262) wird ihnen „[...] the core profession, the key agent of change in today's knowledge society” (Hargreaves, 2003, S. 160) zugesprochen, sodass es kaum verwundert, dass eine Fülle von Erwartungen und Anforderungen an das pädagogische Handlungsfeld eines Lehrers gestellt wird. Weiterhin beklagt eine Vielzahl von Lehrern schulische und berufsimmanente Rahmenbedingen, wie schwierige und verhaltensauffällige Schüler, permanente Disziplinschwierigkeiten und Unterrichtsstörungen (Schaarschmidt, Kieschke, & Fischer, 1999; Abel & Sewell, 1999; Krause & Dorsemagen, 2007), ein hohes Arbeitspensum inklusive eines enormen Zeitdrucks (Abel & Sewell, 1999; Schaarschmidt, 2005), Konflikte mit Eltern, Kollegen und der Schulleitung (Nübling, Wirtz, Neuner, & Krause, 2008) sowie fehlende Anerkennung und Wertschätzung ihrer Arbeitsleistungen im schulischen sowie öffentlichen Bereich (Siegrist, 1996).
In Anbetracht dieser Befunde stellt sich die Frage, wie es einige Lehrer schaffen, trotz der vielen Herausforderungen, die der Schulalltag an sie stellt, über Jahrzehnte hinweg engagiert zu sein und zu bleiben, eine enge emotionale Bindung und positive Grundhaltung ihren Schülern gegenüber zum Ausdruck zu bringen und sich ihrer Aufgabe als Lehrer berufen zu fühlen?
Seit den Anfängen der Lehrerforschung in den 50er und 60 Jahren beschäftigen sich Psychologen, Mediziner und Schulforscher mit der Frage, ob die Qualität der Arbeit eines erfolgreichen Lehrers, sein Erlebens- und Verhaltensmuster durch „angeborene“ oder eher persönlichkeitsrelevante Faktoren determiniert sind. Auch das Denken von Schülern, Lehrern und Lehramtsstudierenden ist bis heute von der Idee des „geborenen“ Lehrers sowie der Überzeugung geleitet, dass der Unterrichtserfolg auf das Talent und den Habitus der jeweiligen Lehrkraft zurückzuführen ist (Kunter & Pohlmann, 2009, S. 262; Hermann & Her- tramph, 1997). In der einschlägigen pädagogisch-psychologischen Forschung sind Themen wie Lehrerpersönlichkeit, Lehrerprofessionalität und Lehrergesundheit - insbesondere seit der kognitiven Wende in den 1980er Jahren und dem einhergehenden veränderten Blick auf den Lehrerberuf (ebd.) - vermehrt zum Gegenstand theoriegeleiteter und empirischer Studien geworden. Neben der Untersuchung allgemeiner Persönlichkeitsmerkmale von Lehrkräften (Mayr & Neuweg 2006; Fortmüller & Wenderits, 2011) und der Analyse von Auswirkungen des jeweiligen Lehrerhabitus auf das Verhalten und Leistungen der Schüler, wenden sich Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen der Erforschung kognitiver, emotional-affektiver und motivationaler Merkmale von Lehrkräften sowie diverser Formen des Expertenwissens zu, um potenzielle Indikatoren für das Belastungserleben und die Berufszufriedenheit von Lehrern abzuleiten. Zudem gelten die oben genannten Komponenten des Lehrerhandelns - insbesondere in der ersten Phase der Lehrerausbildung, aber auch bis zu einem gewissen Grade in der späteren Berufspraxis - als entwickelbar, trainierbar und (ver-)formbar (Klieme & Leutner, 2006).
Zielsetzung
Beitrag der vorliegenden Arbeit soll demnach sein, im Sinne einer Synopse einen transdisziplinären Zugang zum Thema Lehrerpersönlichkeit und Lehrergesundheit mittels vorhandener Erkenntnisse aus den Teilbereichen Allgemeine Psychologie, Sozialpsychologie, Differentielle und Persönlichkeitspsychologie und ihren Anwendungsgebieten Medizinische -, Pädagogische - sowie Arbeits- und Gesundheitspsychologie zu finden und empirische Ergebnisse aus quantitativen Studien der psychologischen Lehrerforschung zusammenzutragen, metaanalytisch zu reflektieren und zu bewerten. Ziel ist es, einen potentiellen Zusammenhang zwischen berufsspezifischen Persönlichkeitsmerkmalen, Handlungskompetenzen und der Gesundheit bei Lehrkräften aufzuzeigen und Persönlichkeitsprofile, die sich als besonders stör- und belastungsanfällig erweisen, zu identifizieren.
Grundlage der hier angeführten Ausführungen und Erläuterungen bildet zudem ein sa- lutogenetischer und ressourcenorientierter Ansatz bzw. ein ganzheitliches Verständnis von Gesundheit (im Sinne von psychosozialen Wohlbefinden). So werden - aus den gewonnenen Erkenntnissen über fundamentale, persönlichkeitsinterne Prozesse des Denkens, Fühlens und Handelns - Maßnahmen zur bewussten Gesundheitsförderung und Stärkung psychosozialer Grundkompetenzen abgeleitet. Denn eine professionelle Selbst-, Handlungs- und Unterrichtskompetenz sowie ein angemessenes Stressmanagement erweisen sich gerade in berufsspezifischen Krisensituationen explizit als Resilienzfaktoren, die Pädagogen helfen, im Beruf zu bestehen, Konflikte inhaltlicher und/oder personeller Natur zu bewältigen, qualitativ hochwertiges Leistungsvermögen an den Tag zu legen, auf dieser Basis Berufszufriedenheit als Lehrer zu bewahren und gesund das Pensionierungsalter zu erreichen. Die interdisziplinäre Annäherung an den Kern der Thematik soll somit nicht nur eine Art Situationsbeschreibung von Lehrkräften an deutschen Schulen ermöglichen, sondern bietet gleichzeitig Lehramtsinteressenten, -Studierenden, aber auch Lehrern mit Praxiserfahrung unter anderem die Möglichkeit, ihr eigenes (domänenspezifisches) Selbst aus einer kritisch-konstruktiven Perspektive zu beleuchten, zu reflektieren und gegebenenfalls positiv zu verändern.
Aufbau
Als Einstieg in die Thematik bzw. um die Bedeutung von Zufriedenheit und beruflichen Erfolg im Lehrerberuf aufzuzeigen, werden im ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit einschlägige Modelle und Konzepte psychischer Gesundheit vorgestellt, empirische Ergebnisse zur aktuellen Gesundheitssituation von Lehrern im deutschen Sprachraum zusammengetragen und häufig erwähnte, berufsbedingte Belastungs- und Beanspruchungsfaktoren skizziert.
Um herausfinden zu können, welche personenspezifischen Merkmale von Lehrkräften (a) zur Arbeitszufriedenheit und damit psychischen Gesundheit sowie (b) zu dessen Ausbildung und Professionalisierung beitragen, wird im zweiten Kapitel der Terminus Lehrerpersönlichkeit multiperspektivisch vorgestellt und auf unterschiedliche Forschungsparadigmen aus den vergangenen Jahrzehnten innerhalb der Unterrichts- und Expertiseforschung eingegangen.
Das dritte Kapitel beschäftigt sich folglich mit persönlichkeitsinternen Merkmalen bzw. Aspekten der Lehrerpersönlichkeit, die sowohl einen direkten als auch indirekten Einfluss auf die Berufszufriedenheit, das Belastungsempfinden und Wohlbefinden einer Lehrkraft nehmen können. Hierbei werden vor allem persönlichkeitsimmanente Eigenschaften sowie kognitive, motivationale, als auch emotionale Merkmale (inklusive belastungsbezogener Reaktionsmuster) unterschiedlicher Lehrertypen beleuchtet und ein Zusammenhang zur Lehrergesundheit aufgezeigt.
Den Abschluss der vorliegenden Arbeit bilden eine Zusammenfassung der konzeptionell-theoretischen und empirischen Erkenntnisse (viertes Kapitel) sowie mögliche präventive Maßnahmen zur Gesundheitsförderung in der ersten Phase der Lehrerausbildung (fünftes Kapitel).
1. Psychische Gesundheit und Beanspruchung im Lehrerberuf
„Reichtum ist viel. Zufriedenheit ist mehr. Gesundheit ist alles. “ (unbekannter Autor) Psychische Gesundheit, ein positives Lebensgefühl und Freude an der Berufsausübung von Lehrkräften stellen nicht nur grundlegende Voraussetzungen für deren Berufs- und Lebenszufriedenheit dar, sondern können als entscheidende Kriterien für einen erfolgreichen Unterricht sowie die Qualität einer Schule angesehen werden.
Als Bildungsbeauftragte innerhalb unserer Gesellschaft sind Lehrer für die Vermittlung von staatlich vorgeschriebenen Lehrplaninhalten und sinnstiftendem Wissen verantwortlich und leisten durch die Tradierung gesellschaftlicher Normen und Werte einen maßgeblichen Beitrag an der Persönlichkeitsentwicklung der Heranwachsenden (KMK 2004, S. 10). Gemäß staatlich vorgeschriebenen und in der Kultusministerkonferenz 2004 beschlossenen Standards für die Lehrerbildung stehen Lehrer innerhalb ihres Erziehungs- und Bildungsauftrages in der Pflicht, ihre Schüler zu geistiger und praktischer Handlungsfähigkeit sowie Selbstständigkeit zu befähigen und ihnen einen gesundheitsbewussten Lebensstil zu vermitteln (ebd.). Die Schaffung eines positiven Gesundheitsbewusstseins kann allerdings nur durch die eigene Freude am Gesundsein garantiert werden, sodass der Gesundheit und dem Wohlbefinden von Lehrkräften im Bildungskontext eine zentrale Bedeutung zukommt. Zudem kann angenommen werden, dass der psychische Gesundheitszustand eines Lehrers einen zuverlässigen Indikator für dessen Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit darstellt: Denn nur wer seinen Beruf zufrieden ausübt; eine Balance zwischen Erholung und Belastung sowie zwischen Privat- und Berufsleben findet; wer über ausreichend Ressourcen verfügt, dem hohen Belastungs- und Beanspruchungspotential im Schulalltag standzuhalten, vermag einen guten Unterricht zu gestalten und ein gutes Vorbild für seine Schüler zu sein.
Ein hohes Maß an Belastbarkeit, Ausdauer, Engagement und Freude an der Berufsausübung sowie am Umgang mit Kindern und Jugendlichen bilden dabei Basiskomponenten für eine erfolgreiche Interaktion und Kommunikation mit einer Vielzahl von Schülern und können sich, wie beispielsweise in der aktuellen Studie von Klusmann, Kunter et al. (2006) nachgewiesen wurde, positiv auf das Lernverhalten der Schüler auswirken.
Auch im Rahmen zahlreicher Studien zum Zusammenhang von Arbeit und Gesundheit bei Lehrern konnte belegt werden, dass ein positiver Gesundheitszustand (als integraler Faktor von Wohlbefinden) einen maßgeblichen Einfluss auf die Lebens- und Berufszufriedenheit eines Lehrers ausübt und einen wesentlichen Indikator für dessen unterrichtlichen und erzieherischen Erfolg darstellt6 (Klusmann, Kunter, & Trautwein, 2008; Hattie, 2009; Kunter, Klusmann, & Baumert, 2013).
Positive Gefühlslagen wie Freude, Erfüllung und Ausgeglichenheit bilden jedoch laut einer Vielzahl an publizierten Studien7, keine selbstverständliche Arbeitsgrundlage bei Lehrkräften. Ferner ziehen alarmierende Zahlen über Krankenstand, Dienstunfähigkeit und Frühpensionierungen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich (Schaarschmidt, 2005; Lehr, 2011; Scheuch, Haufe, & Seibt, 2015; Weber, Weltle, & Lederer, 2004).
Während die empirische Forschung zum Lehrerberuf in den vergangenen Jahrzehnten zu einer eher pathogenetischen Betrachtungsweise auf die Entstehung und Entwicklung von Stress, Burnout, Unzufriedenheit und berufliche Belastung und Beanspruchung tendierte (Krause, Dorsemagen, & Alexander, 2011, S. 790 ff.), widmen8 sich aktuelle Forschungsarbeiten jedoch immer öfter der Frage, was zur Gesundheit, der beruflichen Zufriedenheit und dem Erfolgserleben bei Lehrkräften beiträgt und wie Widerstandskräfte im Umgang mit potentiellen Belastungsfaktoren gefördert werden können (Schaarschmidt & Kieschke, 2007; Frick, 2015). Denn physische und psychische Krankheit sowie Unzufriedenheit sollten nicht als unvermeidlicher Zustand erachtet, sondern als Chance aufgegriffen werden, um gesundheitsfördernde Ressourcen zu mobilisieren und Veränderungen im Belastungserleben angehender und bereits erprobter Lehrkräfte herbeizuführen.
Um Aspekte der Gesundheit9 aus einer ganzheitlichen, ressourcenorientierten Perspektive beleuchten zu können, werden im Nachfolgenden das Salutogenese-Modell Antono- vskys (1997) vorgestellt und weitere, darauf aufbauende Gesundheitsmodelle (z.B. nach Becker, Hobfoll) und Theorien zur Entstehung von Stress und Belastung (Lazarus & Folkman, 1984; Selye, 1983; Siegrist, 1996) skizziert. Anschließend folgen die Betrachtung aktueller, statistischer Werte zur Gesundheitssituation von Lehrkräften innerhalb der deutschen Bildungslandschaft sowie die Beschreibung schulischer sowie gesellschaftlicher Faktoren10, die mögliche berufsbedingte Belastungsursachen und Stressoren im Berufsalltag von Lehrern darstellen können.
1.1 Modelle und Konzepte psychischer Gesundheit
Gemäß der Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO (WorldHealth Organisation) von 1948 wird Gesundheit als ein „Zustand des völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen“ (WHO, 1948) definiert, wodurch sowohl die subjektive Dimension des Wohlbefindens als auch der objektive Aspekt, nämlich die Abwesenheit krankhafter Symptome, betont werden. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass Gesundheit eine „komplexe Qualität menschlichen Lebens“ (Lorenz, 2005, S. 8) und eine „wesentliche Bedingung für [die] soziale, ökonomische und persönliche Entwicklung“ eines Menschen darstellt (WHO, 1986).
In Abgrenzung zur pathogenetischen Auffassung von Gesundheit, entwickelte der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky 1979 ein salutogenetisches Gesundheitsmodell, welches Gesundheit nicht als ein dichotomes Konzept und einen antithetischen Zustand in Bezug zu Krankheit definiert, sondern Gesundheit als ein dynamisches psychosoziales System versteht, in dem Gesundheit als auch Krankheit gleichermaßen Berücksichtigung finden (Antonovsky, 1997). Jenes Modell wurde auf Grundlage gewonnener Daten zur Anpassungsfähigkeit von Frauen, welche sich 1939 im nationalsozialistischen Konzentrationslager befanden, konzipiert und bietet eine Erklärung für das Entstehen und die Aufrechterhaltung von Gesundheit beim Menschen - selbst in prekären Lebenslagen und Krisensituationen (ebd., S. 72 ff.). Da Lehrkräfte11 innerhalb ihres Berufes einem hohen Anforderungs- und Belastungspotential sowie Stressoren, die sich negativ auf die Gesundheit auswirken können, ausgesetzt sind, ist das Salutogenese-Modell Antonovskys im Setting Schule von höchster Relevanz und bildet das theoretische Rahmenmodell der vorliegenden Arbeit.
Gemäß der Gesundheitstheorie Antonovskys sind die Dimensionen Gesundheit und Krankheit als prozessuale Geschehen im gesamten Lebenslauf zu erfassen, was bedeutet, dass der Mensch - innerhalb seiner ontogenetischen Entwicklung - einer ständigen und allgegenwärtigen Konfrontation von physikalischen, biochemischen12 sowie psychosozialen13 Stressoren (aus der inneren und äußeren Umwelt) ausgesetzt ist (Antonovsky, 1997).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Schematische Darstellung des Salutogenese-Konzepts nach Antonovsky (eigene Darstellung; adaptiert nach Becker, 1982, S. 11; Antonovsky, 1997, S. 201)
Bei den von Antonovsky angeführten Stressoren handelt es sich um Reize, die einen Spannungszustand im menschlichen Organismus verursachen und das Individuum zu einer Anpassungsreaktion sowie Spannungsbewältigung veranlassen (ebd., S. 125 f.). Um seine eigene Gesundheit und Widerstandsfähigkeit in Auseinandersetzung mit potentiellen Stresso- ren erhalten und Belastungssituationen14 bewältigen zu können, benötigt der Mensch eine Reihe protektiver, gesundheitserhaltender Ressourcen und Widerstandskräfte (siehe Abb. 1). Die Ausprägung jener Widerstandskräfte bzw. generalisierten Widerstandsressourcen ist jedoch, so Antonovsky, vom soziokulturellen und historischen Kontext bestimmt und kann je nach Lebenserfahrung (z.B. Erfolg, Misserfolg, Bindungserfahrungen, Sozialisation) eines Individuums unterschiedlich ausfallen (ebd., S. 200). Protektive Ressourcen zur Stressbewältigung und Verbesserung der Widerstandsfähigkeit können zum einen organisch-konstitutionelle Bedingungen eines Menschen (z.B. Körperbau, Funktionstüchtigkeit lebenswichtiger Organe etc.), als auch genetische (z.B. Intelligenz, Persönlichkeitsmerkmale) und psychosoziale Faktoren darstellen (ebd., S. 201). Unter psychosozialen Widerstandsfaktoren werden zum einen soziale (soziale Eingebundenheit und Unterstützung) , materielle (materieller Wohlstand) sowie personale15 Ressourcen, wie die Bereitschaft zum Engagement sowie Selbstwirksamkeitserwartung und Introspektionsfähigkeit etc., verstanden (ebd., S. 200). Den personalen16 sowie sozialen Ressourcen kommt innerhalb des Salutogenese-Mo- dells eine besondere Bedeutung zu, da sie das Potential besitzen, auch in prekären Lebenslagen und widrigen Situationen schützend und stützend zu wirken, ohne dass ein Mensch von Beginn an in einen Stresszustand gerät. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit stehen sie daher auch im Mittelpunkt der theoretischen Auseinandersetzung.
Sieht sich ein Individuum über einen längeren Zeitraum einer Reihe negativer Stres- soren ausgesetzt, werden verfügbare Ressourcen - gemäß der Ressourcenverlustspirale Hobfolls (1994) sowie dem Systematischen Anforderungs-Ressourcen-Modell der Gesundheit (SAR-Modell) von Becker - aufgebraucht und können lediglich durch neu entstandene Ressourcen17 kompensiert werden (Becker, 2006, S. 103-186; Hobfoll & deVries, 1994). Ist ein Mensch jedoch nicht in der Lage, negativ empfundene Stressoren durch protektive Ressourcen auszugleichen, gerät er in einen Stresszustand, der mit negativen Belastungserscheinungen, wie Gefühlen der Angst, Überforderung oder Verzweiflung, bis hin zur Einschränkung der allgemeinen körperlichen sowie kognitiven Leistungsfähigkeit einhergehen kann (Frick, 2015, S. 81-85; Lorenz, 2005, S. 63-65).
Übertragen auf den Lehrer-Kontext bedeutet dies, dass Anforderungen bzw. negative Stressoren - z.B. schwierige Schüler, ein hohes Arbeitspensum, Konflikte mit Kollegen und Eltern - gemäß den zur Verfügung stehenden personalen und situativen Ressourcen bewältigt werden können. Situative Ressourcen, welche sowohl für die Gesundheit als auch für die Berufszufriedenheit bei Lehrkräften eine wesentliche Rolle spielen, stellen beispiels- weise ein freudiger Umgang mit den Kindern und Jugendlichen, Anerkennung und Wertschätzung von Schülern, Eltern und der Schulleitung, Freiräume und Abwechslung in der Unterrichtsgestaltung, als auch gute Kontakte zu den Kollegen dar (Krause, Dorsemagen, & Alexander, 2011, S. 792).
Um seine generalisierten Widerstandsressourcen innerhalb einer Stresssituation mobilisieren zu können, bedarf es eines stark ausgeprägten Kohärenzgefühls bzw. -Sinns18 (SOC). Das Gefühl bzw. der Sinn nach Kohärenz steht dabei im Fokus des Salutogenese- Modells Antonovskys und wird als eine „globale Orientierung [definiert], die ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat“ (Antonovsky, 1997, S. 36). Das Kohärenzgefühl19 fußt dabei nach seiner Sicht auf drei wesentlichen Variablen, die für ein starkes oder schwaches Kohärenzgefühl maßgebend sind (ebd., S. 34-39):
- Verstehbarkeit: die subjektive Wahrnehmung der Art und des Ausmaßes interner und externer Stimuli, d.h. die kognitive Einordnung (vorhersehbar vs. unerklärlich) und Ursachenzuschreibung (Willkür vs. Zufall) von Stressoren;
- Handhabbarkeit/Bewältigbarkeit: das Vertrauen in die eigene und generelle Lösbarkeit des Problems, in Abhängigkeit der zur Verfügung stehenden Ressourcen;
- Sinnhaftigkeit: die allgemeine Lebenseinstellung, mit vorhandenen Problemen und Anforderungen im Leben umzugehen und sie mit Sinn zu erfüllen, d.h. schwierige Lebenssituationen als Gefahr oder eher als Herausforderung zu interpretieren;
Ist ein Individuum beispielsweise in der Lage, sich seine gegenwärtige Situation aus den Gegebenheiten der Vergangenheit zu erklären (Verstehbarkeit), lebt es darüber hinaus in einem ausgewogenen Verhältnis von Anspannung und Entspannung (Handhabbarkeit) und hat das Gefühl, eigene Entscheidungsgewalt über sozial anerkannte Entscheidungsprozesse zu besitzen (Sinnhaftigkeit), wird es sein eigenes Tun als bedeutsam bzw. kohärent erleben (Lorenz, 2005, S. 49 ff.).
Übertragen auf den Lehrerberuf bedeutet dies, dass ein starkes Kohärenzgefühl erreicht werden kann, wenn die zu erledigenden Aufgaben verständlich und Entscheidungen transparent sind (Verstehbarkeit); wenn ein Lehrer einen Sinn in seiner Arbeit sieht und Ziele verfolgt, für die es sich anzustrengen lohnt (Sinnhaftigkeit); und wenn er mittels der in der Ausbildung erworbenen Kompetenzen Aufgaben und Anforderungen bewältigen kann (Handhabbarkeit).
Gemäß dem Salutogenese-Modell Antonovskys (siehe Abb. 1) und weiteren darauf basierenden Forschungsergebnissen steht das Kohärenzgefühl in einer starken Wechselbeziehung zur „seelische[n] Gesundheit und weist eine große Nähe zu Konzepten wie Selbstwertgefühl, Optimismus, psychische Gesundheit [sowie] Kontrollüberzeugung auf“ (Franke, 1997, S. 172). Zahlreiche empirische Studien im Bereich der Medizin und Stressforschung konnten eine signifikante Korrelation (zwischen Werten r = .71 und .94) zwischen dem SOC und Aspekten psychischer Gesundheit bestätigen (Franke, 1997; Udris & Rimann, 2006). Zudem wurde in repräsentativen Längsschnittstudien herausgefunden, dass Personen mit einem niedrig ausgeprägten SOC ein 3,5-fach höheres Risiko besitzen, an psychischen Erkrankungen (z.B. Depression, Angststörungen etc.) zu erkranken als Personen mit einem mittleren bis starken Kohärenzgefühl (Franke, 1997, S. 173; Schiepe, 2008, S. 15).
Kohärenzerleben und Stressbewältigung stehen ursächlich in einem reziproken Wirkungsverhältnis zueinander (Franke, 1997, S. 184):
„Je stärker das Kohärenzgefühl, desto mehr werde die Person dazu neigen, den Stressor und die von ihm gestellten Aufgaben genauestens zu untersuchen, Ressourcen zu seiner Bewältigung auszumachen und zu aktivieren und für Rückmeldungen, Zwischenbewertung und gegebenenfalls Neuorientierung offen zu sein. Je stärker ausgeprägt somit das Kohärenzgefühl, desto flexibler handle eine Person. Je niedriger das Kohärenzgefühl, desto wahrscheinlicher reagiere sie ohne Berücksichtigung der situativen Bedingungen ihren Persönlichkeitszügen entsprechend starr.“
Analog zu den Ausführungen Frankes (ebd.) kann so angenommen werden, dass ein Individuum, welches über ein starkes Kohärenzgefühl verfügt, eher dazu in der Lage, Ressourcen wie ein stabiles, soziales Netzwerk (Freunde, Familie, Partner etc.) zu aktivieren, sich aktiv Feedbacks einzuholen, nach weiteren Handlungsmöglichkeiten zu suchen sowie sich flexibel und verantwortungsbewusst mit einem möglichen Spannungszustand auseinanderzusetzen, wodurch es zwangsläufig weniger Stressgefühle erfährt (Lorenz, 2005, S. 65).
Die Ausprägung des Kohärenzgefühls ist hingegen nicht nur von objektiv bewertbaren, situativen Faktoren abhängig, sondern wird durch individuell unterschiedliche Wahr- nehmungs- und Interpretationsprozesse des jeweiligen Subjektes beeinflusst (Lazarus & Folkman, 1984). Ein bedeutsames Modell, welches das Kohärenz-Konzept Antonovskys ergänzt bzw. erweitert, stellt die Transaktionale Stresstheorie nach Lazarus und Folkman dar (ebd.). Jenes Modell basiert im Kern auf der Annahme, dass eine potentielle Stressreaktion von den subjektiven Gedanken, Bewertungen und Beurteilungen einer Person in einer spezifischen Situation bestimmt werden (Lazarus & Folkman, 1984). Externe Ereignisse werden so je nach der Einschätzung eigener Möglichkeiten und Ressourcen zur Bewältigung sowie vor dem Hintergrund bereits durchlebter Erfahrungen von Erfolgs- und Misserfolgssituationen, als positiv/förderlich, irrelevant oder aber bedrohlich/gefährlich/negativ wahrgenommen (ebd.). Ein hohes Belastungs- bzw. Stressempfinden entsteht beispielsweise dann, wenn eine Person bei der Bewertung und Einschätzung einer Situation zu dem Ergebnis kommt, dass das zu erwartende oder eingetretene Ereignis eher eine Bedrohung als Herausforderung darstellt und mithilfe der zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht beeinfluss-, vermeid- oder bewältigbar sei (Selye, 1983; Antonovsky, 1997; Lazarus & Folkman, 1984).
Dabei ist allerdings zu betonen, dass nicht jede Art der Belastung bzw. Anspannung eine gesundheitsbedrohliche Stressreaktion und Beanspruchung zur Folge hat. Laut der Definition Seyles ist Stress „eine unspezifische Reaktion des Körpers auf jede Anforderung, die an ihn gestellt wird“ und besitzt eine lebenserhaltende und leistungssteigernde Funktion (Selye, 1983, S. 30). Im Gegensatz zu positivem, beherrschbar erlebten Stress, der zu Befriedigung und Zufriedenheit führt (z.B. bei Lampenfieber), ist negativer Stress20 die Folge von als unüberwindbar wahrgenommenen Anforderungen, die die adaptiven Ressourcen übersteigen (Frick, 2015, S. 81; Selye, 1983). Die Stressreaktion eines Individuums spiegelt sich auf unterschiedlichen Ebenen - der affektiven (angenehmes vs. unangenehmes Erleben), kognitiven (Gedanken an Erfolg vs. Versagen), expressiven (verbale vs. nonverbale Kommunikationsmittel), motivationalen (Annäherungs- vs. Fluchtverhalten) sowie physiologischer Ebene mit Auswirkungen auf das endokrine- und Zentralnervensystem - wider (Frenzel, Götz, & Pekrun, 2009, S. 207). Hält der als negativ und belastend wahrgenommene Stresseinfluss über eine längere Zeit an und kann nicht mittels selbstregulativer Maßnahmen und Bewältigungsstrategien vermieden oder beseitigt werden, können mehr oder weniger schwerwiegende psychische, physische und gesundheitsschädliche Veränderungen und Beeinträchtigungen die Folge sein (Kretschmann, 2006, S. 22 ff.).
Neben psychischen Reaktionen, wie dem Empfinden gesteigerter innerer Unruhe, Nervosität, Unzufriedenheit, Gereiztheit bis hin zu depressiven Verstimmungen und Burnout21, können massive körperlich-physiologische Veränderungen und Beschwerden (z.B. chronische Kopf- und Rückenschmerzen, somatoforme Störungen des Magen-Darm-Traktes, Atem- und Herz-Kreislauf-Systems, Schwächung des Immunsystems etc.) Konsequenzen lang andauernder und als unangenehm empfundener Belastungssituationen sein (Selye, 1983; Lorenz, 2005; Kretschmann, 2006).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Gesundheit nach einem ressourcen- und salutogenetischen Ansatz als ein Gleichgewicht zwischen den psychischen und physischen Schutz- und Abwehrmechanismen und den potenziell krankmachenden Einflüssen der physikalischen, biologischen und soziokulturellen Umwelt verstanden wird und „das Ergebnis einer aktiven Auseinandersetzung des Individuums mit den inneren Bedürfnissen und den äußeren Anforderungen“ darstellt (Lorenz, 2005, S. 31). Gemäß dem Sence of coherence- Konzept (Antonovsky, 1997) und der transaktionalen Stresstheorie (Lazarus & Folkman, 1984) handelt es sich bei der Stressbewältigung um einen multidimensionalen Prozess auf der Ebene des Denkens, Fühlens und Verhaltens, welcher vor allem von der subjektiven Bewertung und Einschätzung (hinsichtlich seiner zur Verfügung stehenden personalen, sozialen und materiellen Ressourcen) sowie den bisherigen Lebenserfahrungen einer Person abhängig ist (Antonovsky, 1997; Franke, 1997; Lorenz, 2005). Innerhalb des Salutogenese- Modells wird der Mensch so als Gestalter seines Lebens verstanden, da der Gesundheitsoder Krankheitszustand neben der individuellen Lebensgeschichte vor allem von der „subjektiv erlebte[n] und bewertete[n] und zugleich external wahrnehmbare[n] und bewertende^], genuine[n] Qualität der Lebensprozesse im Entwicklungsgeschehen des Leib-Subjektes und seiner Lebenswelt“ beeinflusst wird (Petzold & Steffan, 2001, S. 80). Das physische und psychische Gesundheitsempfinden unterliegt einem ständig neu zu organisierenden Prozess, bei dem das Individuum selbst für die Anpassung an die gegebenen und wandelbaren Umweltbedingungen sowie die Organisation seiner gesundheitsfördernden Ressourcen verantwortlich ist (Lorenz, 2005, S. 31-32).
Gemäß Noack und Weiss (1993) sind folgende Indikatoren für die Entstehung und Aufrechterhaltung psychisch und physisch positiver Gesundheit von Bedeutung: ein wahrgenommenes körperliches und psychisches Wohlbefinden oder Gleichgewicht; soziales Wohlbefinden, Arbeitsfähigkeit und soziale Integration; körperliche und geistige Leistungsfähigkeit (Fitness); die Fähigkeit zu erfolgreicher Auseinandersetzung mit der physischen und sozialen Umwelt (Coping-Fähigkeit); das Potenzial zur Aufrechterhaltung des Wohlbefindens und der Leistungsfähigkeit bzw. der Wiederherstellung beeinträchtigten Wohlbefindens oder reduzierter Leistungsfähigkeit; sowie die Fähigkeit zur vollen Entfaltung körperlicher, geistiger und sozialer Potenziale“ (ebd., S. 87-99).
All die hier angeführten Konzepte zur Gesundheit und Theorien zur Entstehung von Stress dienen als Grundlage der weiteren Ausführungen zum Thema Lehrergesundheit, - belastung und -beanspruchung.
1.2 Aktuelle, empirische Ergebnisse zur gesundheitlichen Situation von Lehrkräften
Wie die Anzahl an empirischen Untersuchungen und Forschungsprojekten bestätigt, hat die Frage nach der gesundheitlichen Situation von Lehrpersonen seit den 1990er Jahren interdisziplinär an Bedeutung gewonnen22. Zwar lässt sich - aufgrund fehlender Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Schulsysteme innerhalb des föderalistischen deutschen Bundesstaates, fehlender Objektivität der erhobenen Daten im Sinne von ärztlicher Diagnostik, da Selbstberichte und Fragebögen zur Gesundheit überwiegen, und diverser Datenschutzbestimmungen - keine explizite Situationsbeschreibung zur Lehrergesundheit in Deutschland ermitteln. Dennoch können mithilfe gewonnener Forschungsergebnisse aus empirischen Belastungsstudien und Angaben der gesetzlichen Krankenversicherungen zu Arbeitsunfähigkeit, Langzeiterkrankungen und Dienstunfähigkeit Rückschlüsse auf die aktuelle Gesundheitssituation von Lehrkräften gezogen werden.
Laut des Deutschen Ärzteblattes (2015) konnte innerhalb von Vorsorgeuntersuchungen aufgezeigt werden, dass sich Lehrkräfte gegenüber der Allgemeinbevölkerung durch eine geringere Ausprägung von Risikofaktoren kardiovaskulärer Erkrankungen, wie Übergewicht, Fettstoffwechselstörungen oder Rauchen, und ein gesundheitsbewussteres Verhalten, insbesondere durch Sport- und Bewegungsaktivitäten, auszeichnen (Scheuch, Haufe, & Seibt, 2015, S. 349).
Nichtsdestotrotz ist der Anteil der Frühpensionierungen im pädagogischen Berufsfeld bei verbeamteten Lehrkräften, verglichen zu anderen Berufsgruppen, besonders hoch (Weber, Weltle, & Lederer, 2004; Hundeloh, 2012). Wie die statistischen Werte der folgenden Grafik zur Dienstunfähigkeit belegen, erreichten in den 1990er Jahren lediglich 5-7% der Lehrkräfte arbeitsfähig die gesetzliche Regelaltersgrenze (Scheuch, Haufe, & Seibt, 2015, S. 354). Rund 51-62 % schieden krankheitsbedingt wegen Dienstunfähigkeit aus, 32 % gingen vorzeitig in Rente, weil sie eine Antragsaltersgrenze erreicht hatten (ebd.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Vorzeitige Dienstunfähigkeit und (arbeitsfähiges) Erreichen der Regelaltersgrenze bei verbeamteten Lehrern in Deutschland zwischen 1993 und 2011 (Scheuch, Haufe, & Seibt, 2015, S. 353)
Erst nach Einführung von Versorgungsabschlägen bei vorzeitiger Pensionierung im Jahr 2001 ist der Anteil krankheitsbedingter Frühpensionierungen stetig rückläufig23 und betrug im Jahr 2012 bei einem Durchschnittsalter von 58 Jahren für verbeamtete Lehrkräfte nur noch 15 % (Statistisches Bundesamt, 2015). Die Analyse krankheitsbedingter Frühpensionierungen ergibt ein eindeutiges Überwiegen psychischer und psychosomatische Erkrankungen, die in 32-52 % aller Fälle als Grund angeführt werden, wobei im geschlechterspezifi- schen Vergleich weibliche Lehrpersonen wesentlich häufiger an psychischen, männliche Lehrpersonen häufiger an psychosomatischen Erkrankungen, wie Herz-/Kreislauferkran- kungen, leiden (Weber, Weltle, & Lederer, 2004; Scheuch, Haufe, & Seibt, 2015). Ursachen für einen krankheitsbedingten, frühzeitigen Berufsausstieg verbeamteter Lehrkräfte stellen so in überwiegender Zahl Depressionen (36 %), das Erschöpfungssyndrom bzw. Burnout (16 %), gefolgt von diversen Belastungs- und Anpassungsstörungen (10 %), somatoformen (7 %) und affektiven Störungen (6 %) dar (Weber, Weltle, & Lederer, 2004). Jeweils 4 % verteilen sich auf diagnostizierte Panik- und Angststörungen sowie Alkoholerkrankung (ebd.).
Neben der statistisch gewonnenen und besorgniserregend hohen Prävalenzrate psychischer und psychosomatischer Erkrankungen bei Lehrkräften, lassen sich via zahlreicher empirischer Studien eine Reihe unspezifischer Beschwerden (wie Erschöpfung, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Angespanntheit, Antriebslosigkeit, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, innere Unruhe oder erhöhte Reizbarkeit) infolge einer hohen psychosozialen Beanspruchung im Lehrerberuf konstatieren (Schaarschmidt, 2005; Bundes-anstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2005; Scheuch, Seibt, & al., 2010; Lehr, 2011). Auch im Rahmen der Potsdamer Lehrerstudie, der bislang umfangreichsten, empirischen Untersuchung zur Lehrergesundheit (n = ca. 16.000), konnten im Vergleich mit anderen Berufsgruppen bundesweit ungünstige, gesundheitliche Musterkonstellationen in der Lehrerschaft herausgestellt werden. So wird bei zwei Drittel der Lehrkräfte über eine hohe emotionale Beanspruchung (Typ- A - 33 %), bis hin zu burnout-ähnlichen Symptomen, wie Resignation und Erschöpfung, berichtet (Typ-B - 29,3 %)24 (Schaarschmidt, 2005). Bauer (2004) diagnostiziert in seiner Freiburger Schulstudie ebenso bei 35 % (n = 468) der befragten Lehrpersonen burnout-spe- zifische Reaktionsmuster (Bauer, 2004). Eine altersspezifische Betrachtungsweise lässt zudem erkennen, dass eine progressive Verschlechterung der Beanspruchungssituation über die Berufsjahre stattfindet, wovon auch hier Frauen mehr als Männer betroffen sind (Schaarschmidt, Kieschke, & Fischer, 1999; Schaarschmidt & Kieschke, 2007).
Im medizinisch-klinischen Fachbereich existiert jedoch bislang keine einheitliche Definition zum Burnout, dafür aber eine Vielzahl unterschiedlicher Messinstrumente25. Da die meisten Angaben auf subjektiven Einschätzungen beruhen und je nach Untersuchung unterschiedliche Symptome als Burnout klassifiziert werden, liegen hoch divergierende Befunde zur Beanspruchungssituation sowie zur Prävalenzrate von Lehrern vor (Scheuch, Haufe, & Seibt, 2015). Diese reicht in der empirischen Forschung von 1 bis 33 %, je nachdem welches Messinstrument zur Analyse herangezogen wurde (Schaarschmidt, 2005; Schaufeli, Maslach, & Jackson, 1996; Scheuch, Haufe, & Seibt, 2015). Die dargelegten Zahlen sollten daher lediglich unter Vorbehalt betrachtet werden. Eine hohe Beanspruchungs- und Belastungsrate innerhalb der Lehrerschaft lässt sich dennoch nicht leugnen.
Besonders besorgniserregend erscheint zudem die Zahl der bereits unter Erschöpfungssymptomen leidenden Lehramtsstudierenden und Referendare. Im Rahmen einer aktuellen Belastungsstudie der Friedrich-Schiller-Universität Jena gaben ca. 72 % der befragten Studierenden (n = 379) an, „sich in starkem Maße insgesamt belastet zu fühlen“ (Samu, 2015). Bereits 39 % der Lehramtsstudierenden haben das Gefühl, „im Studium an ihre persönliche Belastungsgrenze angelangt zu sein“ (ebd.). Auch innerhalb der Schaarschmidt- Studien wurde bei 25 % der befragten Lehramtsstudierenden und Referendare ein Leiden an burnoutspezifischen Erschöpfungssymptomen ermittelt (Schaarschmidt, 2005/2007), wodurch sich bereits vor Berufseintritt ungünstige Voraussetzungen aufzeigen.
Vor dem Hintergrund der hier dargelegten Zahlen lässt sich ein akuter Handlungsbedarf erkennen. Um Möglichkeiten zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation deutscher Lehrkräfte aufzeigen zu können, werden im Nachfolgenden zunächst sozial-gesellschaftliche sowie schulische Belastungsursachen vorgestellt.
1.3 Berufsbedingte und sozial-gesellschaftliche Beanspruchungsursachen
Anlässlich der hohen Burnoutgefährdung und Frühpensionierung bei Lehrpersonen beschäftigten sich in den vergangenen Jahrzehnten eine Reihe empirischer Studien im Bereich der Lehrerbelastungsforschung und Burnoutforschung intensiv mit berufsimmanenten, situativen Belastungsursachen (Krause & Dorsemagen, 2007, S. 52). Im Rahmen einschlägiger Forschungsprojekte im deutschsprachigen Raum konnte empirisch bestätigt werden, dass die Lehrerprofession ein Beruf mit erhöhter psychosozialer Beanspruchung darstellt und der Arbeitsplatz eine Reihe potentiell veränderungswürdiger Faktoren verbirgt26 (Bauer, 2004; Schaarschmidt, 2005; Albisser, Kirchhoff, Meier, & Grob, 2006; Hillert, 2012). Darüber hinaus lassen sich in der Literatur zu Themen wie Lehrergesundheit und Lehrerbeanspruchung eine Vielzahl theoretischer Auseinandersetzungen mit sozial-gesellschaftlichen sowie schulischen Rahmenbedingungen vorfinden (Kretschmann, 2006; Bründel & Bründel, 2010; Frick, 2015 etc.).
Vor allem in psychologischen Anwendungsgebieten, wie der Arbeits- und Organisationspsychologie, sowie im betrieblichen Gesundheitsmanagement existieren bereits eine Vielzahl an Konzepten, die sich mit der Auswirkung von Stress und Beanspruchung am Arbeitsplatz widmen (Ulich, 2011). Gemäß Maslach und Leiter (2011) lassen sich folgende zentrale Dimensionen für die Erhaltung seelischer Gesundheit am Arbeitsplatz anführen (Maslach & Leiter, 2011; zitiert nach Frick, 2015, S. 86):
- Arbeitsmenge
- Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Arbeitsabläufe (Kontrolle)
- Belohnung und Anerkennung
- Arbeitsklima und Kollegialität
- Transparenz und Gerechtigkeit
- die mit der Berufstätigkeit verbundene Sinnhaftigkeit und Wertehaltungen
All jene Rahmenbedingungen spielen im Beruf eine wesentliche Rolle, da sie (je nach Ausprägung) sowohl potentielle Stressfaktoren als auch kraftspendende Ressourcen am Arbeitsplatz darstellen können und - wie in einer Reihe repräsentativer Studien und Befragungen von Erwerbstätigen bewiesen werden konnte - einen entscheidenden Einfluss auf das Wohlbefinden, die Berufszufriedenheit und psychische Gesundheit nehmen (Lohmann-Haislah, 2012). Zwar ermöglicht eine Arbeitsplatzanalyse aufgrund der Vielzahl an biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren keine Identifikation genauer Risikofaktoren vorliegender Erkrankungen und Belastungszustände, allerdings kann durch eine metaanalytische Zusammenfassung von Erkenntnissen verschiedener prospektiver Kohortenstudien, der Zusammenhang von Stress am Arbeitsplatz und depressiven Erkrankungen festgestellt werden (Siegrist, 1996; Lohmann-Haislah, 2012).
Analog zum Kohärenz-Konzept Antonovskys (1997) - im Sinne von Verstehbar-, Handhabbar- und Sinnhaftigkeit - lassen sich so folgende gesundheitsfördernde Aspekte am Arbeitsplatz ableiten: eine Balance zwischen Erholung und Belastung; die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Arbeitsabläufe (Kontrolle, Kompetenzerleben und Selbstentfaltung); eine angemessene Entlohnung und soziale Belohnung durch positive Rückmeldungen und Anerkennung von Kollegen und Vorgesetzten; ein wertschätzendes und kollegiales Arbeitsklima; Transparenz und Gerechtigkeit in Bezug auf die Arbeitsverteilung und Lohn; Angemessenheit und Vertretbarkeit der Arbeit (keine Über- oder Unterforderung) (Hillert, 2012, S. 176-177; Bauer, 2013, S. 112).
Werden diese Aspekte allerdings vor dem Hintergrund des Bildungssystems und in Bezug auf den Lehrerberuf betrachtet, fällt auf, dass bereits berufsbedingte sowie sozialgesellschaftliche, defizitäre Rahmenbedingungen vorliegen, die zum einen die Ausprägung des Kohärenzgefühls negativ beeinflussen, zum anderen eine wesentliche Quelle der Beanspruchung und Überforderung im Lehrerberuf darstellen können. Denn das Berufsfeld heutiger Lehrer ist durch Komplexität, Pluralität der Aufgaben und Variabilität der Anforderungen gekennzeichnet.
Wie Isler (2011) und von Felten (2011) konstatieren, befindet sich der Lehrerberuf innerhalb unserer schnelllebigen, postmodernen Gesellschaft seit den vergangenen Jahrzehnten in einem ständigen Wandel (Isler, 2011, S. 43; von Felten, 2011, S. 129). Reformen im Bildungssystem (wie das Ganztagsschulprogramm und weitere Strukturreformen), die Konzeptionierung der Bildungsstandards durch die Kultusministerkonferenz 2004 und weitere Normierungs- und Standardisierungsversuche (u.a. durch die Einführung internationaler Vergleichstests wie PISA und TIMSS; Lehrplanänderungen), aber auch der Umgang mit Heterogenität und Inklusion verlangen von den Schulen permanente Flexibilität und Offenheit für Veränderungen. Auch der gesellschaftliche Wandel im Zuge der Globalisierung, Multikulturalität, Akzeleration, Fragmentierung von Arbeitsprozessen und Entwicklungen der Informationstechnologie erfordern eine ständige Transformation im Aufgabenbereich des Lehrers (Berner & Isler, 2011, S. 10) - was nicht selten bedeutet, dass Lehrpersonen „gewohnte Routinen aufgeben und in neue pädagogisch-didaktische Kulturen eintauchen müssen“ (von Felten, 2011, S. 129). Die aktuelle Lehrerrolle befindet sich somit in einem Spannungsfeld zwischen Traditions- und Innovationsausrichtung, verlangt eine hohe Lern- und Umorientierungsbereitschaft seitens der Lehrpersonen ab und erhöht den Druck, neuen Anforderungskriterien und bildungspolitischen Umwälzungen gerecht werden zu müssen. Des Weiteren besteht in Folge vergangener und aktueller Standardisierungs- und Normierungsprozessen die Gefahr, dass Selbstbestimmung und individuelle Freiräume des Lehrerhandelns und gleichsam Möglichkeiten der Einflussnahme auf Arbeitsabläufe beschränkt werden. Wie innerhalb der ARBEL -Längsschnittstudie herausgefunden wurde, werden berufsspezifische Anforderungen durch Reformen und Neuerungen im Schulsystem sowie außerunterrichtliche Pflichten durch die Lehrpersonen als besonders belastend erachtet (Albisser, Kirchhoff, Meier, & Grob, 2006, S. 11).
Gemäß den staatlich vorgeschriebenen und in der Kultusministerkonferenz 2004 beschlossenen Standards für die Lehrerbildung stehen Lehrkräfte zudem einem komplexen Aufgaben- und Anforderungsfeld gegenüber. Fähig-, Fertigkeiten sowie Kompetenzen aus dem Bereich Unterrichten, Erziehen, Beraten, Beurteilen und Organisieren werden als Basisvoraussetzungen für professionelles Lehrerhandeln angesehen (KMK, 2004). Hinzukommen eine Reihe komplexer sozial-kommunikativer, emotionaler und motivationaler Anforderungen, die eine jede Lehrkraft zu bewältigen hat, denen allerdings besonders ein Großteil der Berufseinsteiger (aufgrund des mangelnden Praxisbezugs an deutschen Hochschulen und Defiziten an der gegenwärtigen Lehrerausbildung) mit zunehmender Frustration gegenübersteht (Müller-Fohrbrodt, Cloetta & Dann, 1978; Berner, 2011; Schaarschmidt, 2005/2007/2011).
Neben dem eigentlichen Unterrichten zählen das Planen, die Gestaltung und Durchführung von schülerorientierten Lehr-Lern-Prozessen und deren Reflexion zu den Hauptaufgaben eines Lehrers (Herzog, Professionalität im Beruf von Lehrerinnen und Lehrern, 2011, S. 49). Als Experten für das Lehren und Lernen stehen Lehrer vor der Herausforderung, Schüler mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen (Vorwissen, Intelligenz, Fähig- und Fertigkeiten etc.) sowie unterschiedlichen sozialen Hintergründen dazu zu motivieren, sich mit staatlich vorgegebenen Unterrichtsthemen auseinanderzusetzen, sich am Unterricht zu beteiligen und sich Inhalte - in Form von Wissen, Fertigkeiten, Fähigkeiten und Haltungen - in kooperativen Formen oder/und in eigener Aktivität anzueignen (Isler, 2011, S. 44). Dabei stehen der berufsimmanente gesellschaftliche Auftrag, Schüler hinsichtlich ihrer Leistungen zu selektieren, und die pädagogische Aufgabe der individuellen Förderung (je nach Alter, Vorwissen, Stärken und Schwächen), Beratung und Wissensbegleitung eines jeden Schülers innerhalb einer heterogenen Klassengemeinschaft in einem unübersehbaren Widerspruch zueinander.
Zudem handelt es sich beim Unterrichten um die Herstellung eines hochkomplexen, psychosozialen Interaktionssystems, welches eine ununterbrochen hohe Konzentration und Aufmerksamkeit seitens der Lehrkraft erfordert (Schaarschmidt, 2005, S. 15). Sie ist zwar aktiv am Geschehen beteiligt und muss „in einer Unterrichtsstunde bis zu 200 Entscheidungen [...] treffen“ und „im Durchschnitt 15 erzieherische Konfliktsituationen meistern“ (Kretschmann, 2006, S. 21), allerdings unterliegt die soziale Interaktion im Unterricht (wie auch in anderen Tätigkeiten, bei denen die Zusammenarbeit mit einer Vielzahl unterschiedlicher Individuen im Vordergrund steht) einer Eigendynamik, die eine weitere Herausforderung im Berufsalltag eines Lehrers darstellt.
Im didaktischen Kontext lassen sich zwar detaillierte Unterrichtsstundenentwürfe konzipieren, allerdings präsentiert der Unterricht innerhalb eines sozialen Wirkungsgefüges einen lebendigen Schauplatz, bei dem es hin und wieder zu Störungen und Unterbrechungen der Lern- und Lehrprozesse kommen kann.
Innerhalb eines bereits „konstituierten Sozialsystems“ zwischen den Schülern und der Lehrkraft (Herzog, Professionalität im Beruf von Lehrerinnen und Lehrern, 2011, S. 62) muss der Lehrer mehrere Aufgaben gleichzeitig verfolgen (Vermittlung des Lernstoffes, auf Disziplin, Aufmerksamkeit und Zeitfaktor achten etc.) und wird dabei durch eine Vielzahl an Ereignissen und Schülererwartungen konfrontiert. Die allgegenwärtige Koordination organisatorischer, administrativer, pädagogischer und evaluierender Tätigkeiten erfordert gleichzeitig ein schnelles Reaktionsvermögen, ununterbrochene Aufmerksamkeit sowie hohe Flexibilität seitens der Lehrkraft (Helmke, 2012, S. 172 ff.). Zudem kann das eigene, oftmals sehr schnelle und spontane Lehrerhandeln unter Umständen unabsehbare und vielfältige Konsequenzen mit sich ziehen. Selten besteht die Möglichkeit, das eigene Handeln genau zu überdenken und Entscheidungen abzuwägen.
Eigene Bemühungen in der Unterrichtsgestaltung und die eigene, berufliche Aufopferungsbereitschaft treffen zudem - wie ein Großteil subjektiver Einschätzungen von Lehrern belegen (Siegrist, 1996; Unterbrink, Seibt, & Bauer, 2007; Bauer, 2013) - nur singulär auf soziale Anerkennung und Wertschätzung seitens der Schüler, Eltern und der Schulleitung. Aus arbeitspsychologischer Sicht bedenklich kann hier ebenso angeführt werden, dass ein erhöhtes berufliches Engagement sowie Anstrengungsbereitschaft im Lehrerberuf nicht zwangsläufig zu einer materiellen Belohnung, in Form eines höheren Gehaltes, führen. Diese problematische Unausgewogenheit zwischen dem eigenen, aufgebrachten Engagement gekoppelt mit einer hohen Verausgabungsbereitschaft und einer nicht erhaltenden Belohnung (in Form von Anerkennung, Wertschätzung, Gehalt) wird von Siegrist (1996) als berufliche Gratifikationskrise27 beschrieben. Sie kann ein negatives Kohärenzgefühl bewirken, wenn das Ausmaß der zu erwarteten oder als erforderlich wahrgenommen Anerkennung nicht realisiert wird und stellt einen empirisch gesicherten Burnout-Faktor im Lehrerberuf dar (Schaarschmidt, Kieschke, & Fischer, 1999; Schaarschmidt, 2005; Bauer, 2004).
Mangelnde Wertschätzung und Anerkennung, permanente Zeitknappheit, der ständige Druck des Unerledigten, zu große Klassen, Lärmbelastungen, fehlende Motivation und ein problematisches Schülerverhalten (Schaarschmidt & Kieschke, 2007, S. 36; Kunter & Pohlmann, 2009, S. 263) stehen dabei an der Spitze der erfragten Belastungsfaktoren und können Gefühle der Überforderung und Inkohärenz (durch eine geringe Einflussnahme auf die jeweiligen Arbeitsabläufe) hervorrufen.
Weiterhin steht das Lehrerhandeln zwar unter einem relativ hohen Autonomiespielraum, da innerhalb des Unterrichts kaum strukturelle Vorgaben eingehalten werden müssen und die außerunterrichtliche Arbeitszeit der freien Zeiteinteilung unterliegt, allerdings wird der Lehrerberuf durch ein ungleiches Entlastungs-Belastungs-Verhältnis geprägt. Aus Untersuchungen zur zeitlichen Arbeitsbelastung von Lehrpersonen (z.B. Bauer, 2006; Krause, Dorsemagen, Lacroix, 2011) konnte so herausgefunden werden, dass die eigentliche Unterrichtszeit lediglich 30-40% der Gesamtarbeitszeit von Lehrkräften einnimmt. Nach Auswertung subjektiver Angaben von Lehrpersonen weisen Unterrichtspausen kaum einen Erholungswert auf, weil sie zumeist für weitere organisatorische Angelegenheiten in der Schule, wie z.B. das Führen von Telefonaten, das Anfertigen von Kopien, wichtige Absprachen im Lehrerkollegium oder die Vorbereitung des nachfolgenden Unterrichts, genutzt werden (ebd.). Die Planung, Vor- und Nachbereitung von Unterrichtsstunden, das Konzipieren und Korrigieren von Leistungserhebungstests, das Organisieren von Schulausflügen und Elternabenden sowie eine Reihe weiterer schulorganisatorischer Aufgaben (Teilnahme an Konferenzen, Beratungsgespräche von Schülern und Eltern) werden zudem häufig im häuslichen Bereich (zumeist am Abend oder an den Wochenenden) erledigt oder weitergeführt, sodass eine Trennung zwischen beruflicher und privater Sphäre im Lehrerberuf kaum möglich scheint und eine psychische Distanzierung und Erholung vom Berufsalltag erschwert werden (ebd.). Der dauerhafte Stress sowie das Gefühl, den Anforderungen des Schulalltags nicht gewappnet zu sein, stellen häufig genannte Gründe dar, weshalb Lehrkräfte resignieren oder frühzeitig aus dem Lehrerberuf aussteigen (Hillert, 2012; Schaarschmidt & Kieschke, 2007).
All die erwähnten Belastungsfaktoren im Lehrerberuf können bei fortdauernder Langzeiteinwirkung zu Defiziten in den Widerstandsressourcen führen und sich in Form wird dabei durch die Dauer der Gratifikationskrise beeinflusst, d.h. je länger eine Person einer Gratifikationskrise ausgesetzt ist, desto höher ist ihr Gesundheitsrisiko (Siegrist, 1996, S. 102 ff.). mangelnder Distanzierungsfähigkeit, innerer Ruhe und Ausgeglichenheit sowie einem erhöhten Belastungserleben und Berufsunzufriedenheit bemerkbar machen (Schaarschmidt, 2011; Siegrist, 1996). Dabei sei allerdings zu betonen, dass Lehrer nicht als „Opfer belastender Umstände [gesehen]“ (Schaarschmidt & Kieschke, 2007, S. 38-39) werden dürfen und dass das Belastungsempfinden von Lehrkraft zu Lehrkraft unterschiedlich ausfällt (ebd.).
Die Beschreibung jener externen, schul- und gesellschaftsbezogenen Einflüsse auf die psychische Gesundheit von Lehrkräften ist insofern von hoher Relevanz, da sie - wie die Metaanalyse von über 65 Querschnittsstudien zu Ursachen von Stress und Burnout im Lehrerberuf von Montgomery und Rupp belegte - eine hohe Evidenz auf psychische Störungen und koronare Herzerkrankungen aufweisen (Montgomery & Rupp, 2005). Dennoch müssen personale Variablen der Lehrpersonen ebenso Berücksichtigung finden und bei der Analyse von Beanspruchungsursachen hinzugezogen werden. Eine detaillierte Betrachtung interner bzw. personaler Einflussgrößen erfolgt in Kapitel 3.
2. Aspekte der Lehrerpersönlichkeit
Auf die Frage, welcher Indikator für die Professionalität, Arbeitszufriedenheit und den Berufserfolg eines Lehrers ausschlaggebend sei, wird im außerwissenschaftlichen Bereich gelegentlich mit dem Begriff „Lehrerpersönlichkeit“ - im Sinne der Gesamtheit positiver Eigenschaften von Lehrpersonen - geantwortet (Hermann & Hertramph, 1997; zitiert nach Bromme & Haag, 2008, S. 803). Charaktereigenschaften des Lehrers und die Art und Weise des Lehrerhandelns, wie beispielweise der individuelle Umgang mit den Schülern, die Unterbindung von Disziplinstörungen sowie die Vermittlung des Unterrichtsstoffes, sind - neben fachlichen und erlernbaren Fähigkeiten - Komponenten, denen erfahrene Lehrer eine hohe Bedeutung für den Berufserfolg und die Berufszufriedenheit beimessen (Bromme & Haag, 2008, S. 803). Wie Helmke und Wisniewski konstatieren, wird die Lehrerpersönlichkeit wie in keiner anderen Profession als ein entscheidendes Qualitätskriterium für dessen Arbeitsleistung angesehen und scheint gleichzeitig ein bedeutender Indikator für die jeweilige Berufszufriedenheit und Gesundheit im Lehrerberuf zu sein (Helmke, 2012, S. 107 ff.; Wisniewski, 2013, S. 24).
Aus einer sorgfältigen Literaturrecherche zum Thema Lehrerpersönlichkeit geht hervor, dass innerhalb der Lehrerforschung bereits seit den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Versuche unternommen wurden, jene Begrifflichkeit zu determinieren (Bromme & Rheinberg, 2006). So lässt sich feststellen, dass die Frage nach Merkmalen und Aspekten einer ,guten‘ bzw. professionellen Lehrkraft seit jeher im Fokus des Erkenntnisinteresses steht (Weidemann & Krapp, 2006, S. 296; Herzog & Makarova, 2011, S. 69; Helmke, 2012, S. 107). Dennoch haben allgemein-gesellschaftliche Veränderungen sowie die unentwegte Modifizierung im Anforderungsbereich von Lehrkräften in den letzten Jahrzehnten zu Veränderungen in der theoretischen Sichtweise auf das Thema geführt (Bromme & Rheinberg, 2006, S. 299). Je nach Forschungsschwerpunkt werden unterschiedliche Aspekte und Merkmale des Lehrer-Subjektes sowie deren Auswirkungen auf den Unterricht analysiert.
Parallel zu den Paradigmen der Lehr-Lernforschung werden in der Lehrerpersönlichkeitsforschung grundsätzlich drei Paradigmen unterschieden, die in der pädagogisch-psychologischen Forschung zeitlich aufeinanderfolgend betrachtet werden können: das Persönlichkeitsparadigma, das Prozess-Produkt-Paradigma sowie das bis heute gängige ExpertenParadigma (Mayr J. , 2011, S. 127; Bromme & Rheinberg, 2006, S. 299). Da die Untersuchung des personenspezifischen Belastungserlebens unterschiedlicher Lehrerpersönlichkei- ten innerhalb der letzten zwanzig Jahre eine zunehmende Bedeutung im Bereich der Lehrerforschung gewonnen hat (Terhart, Bennewitz, & Rothland, 2011), wird in der vorliegenden Arbeit ein weiteres Forschungs-Paradigma hinzugezogen, das im Folgenden als Belastungs- Beanspruchungs-Paradigma2 bezeichnet werden soll.
Intention der nachfolgenden Ausführungen ist es, einen zusammenfassenden Überblick zu den jeweiligen Forschungsparadigmen innerhalb der Lehrerforschung zu bieten, um einerseits Aspekte der Lehrerpersönlichkeit multidimensional zu beleuchten und andererseits eine Grundlage für die nachfolgende Auseinandersetzung zu der eingangs erwähnten Fragestellung zu schaffen.
2.1 Persönlichkeitsparadigma
Die Suche bzw. Frage nach Kriterien und wesentlichen Merkmalen eines guten/erfolgrei- chen bzw. schlechten/weniger erfolgreichen Lehrers ist ein immer wiederkehrendes Thema im Bereich der pädagogisch-psychologischen Lehrerforschung der letzten Jahrzehnte gewesen (Bromme 1997; Bromme, Rheinberg, Minsel, Winteler & Weidemann 2006) und hat ihren Ursprung in der geisteswissenschaftlichen Pädagogik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Mayr, 2011, S. 125).
Ohne Einbezug einer systematischen Beobachtung von Lehr-Lern-Situationen formulierten Autoren anfangs Tugendkataloge, an denen sich Lehrkräfte orientieren sollten (vgl. Schuh, 1962, Hilbig 1963, Döring 1970, Brunner 2001). Allerdings stellten sich Charaktereigenschaften, wie Strenge vs. partnerschaftliche Einstellung gegenüber den Schülern; Empathie und soziale Sensibilität vs. Distanzierungsfähigkeit; Gewissenhaftigkeit vs. Gelassenheit bei der Erfüllung von Aufgaben, als widersprüchlich und realitätsfern heraus, sodass in den 50er und 60er Jahren (Bromme & Rheinberg, 2006, S. 299) vermehrt wissenschaftliche Analysen und Versuche unternommen wurden, bestimmte Wesens- und Verhaltensmerkmale eines ,guten‘ Lehrers empirisch zu belegen.
Unter dem Forschungsschwerpunkt des Persönlichkeitsparadigmas wurden zunächst allgemeine Persönlichkeitsmerkmale, wie z.B. die Intelligenz, der Humor und die Einstellungen des Lehrers gegenüber seinen Schülern, aber auch Merkmale des Sozialverhaltens (z.B. Führungsstil, Umgang mit Schülerantworten etc.) und unterrichtsrelevante Fähig- und Fertigkeiten von Lehrern untersucht (Bromme & Rheinberg, 2006, S. 299). Ziel war es, ei- 28 Die Benennung dieses Paradigmas zur Lehrerpersönlichkeit entstammt den eigenen Überlegungen und der eigenen Recherche. In der Fachliteratur ist der Name bislang nicht existent. nen Zusammenhang zwischen allgemeinen und berufsspezifischen Persönlichkeitsmerkmalen von Lehrkräften und den schulischen Leistungen von Schülern sowie weiteren motivational-affektiven Lernfaktoren (z.B. Schulangst, Selbstbild) herauszustellen (Seidel & Reiss, 2014, S. 263).28
Jene Versuche kristallisierten sich ebenso als wenig gewinnbringend heraus, da sich Kriterien einer erfolgreichen Lehrperson objektiv schwer messen lassen und Lehrer auf unterschiedliche Art und Weise einen ,guten‘ Lehrer darstellen können. Nicht vorhandene Kompetenzen können beispielweise durch andere Fähigkeiten kompensiert werden, sodass kein allgemein umsetzbares Patent- bzw. Erfolgsrezept eines ,guten‘ Lehrers aufstellbar ist (Bromme & Rheinberg, 2006, S. 297).
2.2 Prozess-Produkt-Paradigma
Mittels der Erkenntnisse dieses Persönlichkeitsparadigmas und unter dem Einfluss des Behaviorismus29 verlagerte sich der Schwerpunkt der Unterrichtsforschung auf die Analyse konkret beobachtbarer Verhaltensmuster30 von Lehrern auf das Schülerverhalten (ebd., S. 299). So wird unter jenem Forschungsansatz davon ausgegangen, dass die Art und Weise wie ein Lehrer sich seinen Schülern gegenüber verhält (Prozess), bestimmte Schülerverhaltensweisen und damit den Unterrichtserfolg (Produkt) vorhersagen kann. Daher ist in der Forschungsliteratur von dem sogenannten Prozess-Produkt-Paradigma die Rede (Seidel & Reiss, 2014, S. 264).
[...]
1 Beispielhafte Artikel wurden von folgenden Zeitungsverlagen online publiziert: SPIEGEL (ebd.), DIE ZEIT (Deutsche Presseagentur, 2015), DIE WELT (Siems, 2014) und FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (Wagner, 2008). Die entsprechenden Quellenangaben können dem Literaturverzeichnis entnommen werden.
2 Weitere in der Umfrage genannte Berufe waren z.B. Handwerker, Pfarrer/Geistlicher, Hochschulprofessor, Ingenieur, Rechtsanwalt etc. (Institut für Demoskopie Allensbach, 2013).
3 Laut der Studie wird das meiste Vertrauen Feuerwehrleuten (97 %), Sanitätern (96 %), Piloten (91 %) und Ärzten (88 %) entgegengebracht (GfK, 2015). Weitere Informationen zur Erhebung können auf der Homepage der GfK nachgelesen werden: http://www.gfk-verein.org/compact/fokusthemen/berufe-im-vertrau- ens-check (letzter Zugriff am 05. November 2015).
4 TIMSS erfasst alle vier Jahre mathematische und naturwissenschaftliche Kenntnisse von Schülerinnen und Schülern am Ende der 4. Jahrgangsstufe.
5 PISA misst alltags- und berufsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten von Schülern der Jahrgangsstufe 9.
6 Eine Übersicht zu einschlägigen Studien und berufsunspezifischen Modellen, bei denen der Zusammenhang von Arbeit und Gesundheit untersucht wurde, wird bei Krause, Dorsemagen & Alexander (2011) im Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf (S. 791) vorgestellt (Terhart, Bennewitz, & Rothland, Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf, 2011).
7 Zu einschlägigen pädagogisch-psychologischen Studien zählen die Potsdamer Lehrer- (2005) und Freiburger Schulstudie (2004), die Studie zu den Anforderungen und Ressourcen im Berufszyklus von Lehrpersonen (ARBEL, 2006) sowie das Priener Lehrerprojekts (2002).
8 Diese Tendenz ist seit der Entwicklung des Salutogenese-Modells von Aaron Antonovsky (1979) zu beobachten (siehe Kapitel 1.1).
9 hier: Lehrergesundheit
10 Personale bzw. persönlichkeitsinterne Faktoren, die einen ebenso starken Einfluss auf das Belastungserleben im Lehrerberuf haben, werden in Kapitel 2 ausführlich analysiert (siehe S. 22). wie im Nachfolgenden aufgezeigt wird (siehe Kapitel 1.3)
11 Einfluss auf das Belastungserleben im Lehrerberuf haben, werden in Kapitel 2 ausführlich analysiert (siehe S. 22). wie im Nachfolgenden aufgezeigt wird (siehe Kapitel 1.3)
12 Zu physikalischen und biochemischen Stressoren zählen beispielsweise Hunger, Lärm, Gifte oder Krankheitserreger (Antonovsky, 1997, S. 43).
13 Unter psychosozialen Stressfaktoren zählt Antonovsky etwa anhaltende Konflikte in sozialen Beziehungen (z.B. Partnerschaftskonflikte, schlechte Beziehungen unter Kollegen), innerfamiliäre Differenzen, die Erfahrung von Krankheit, Tod, Scheidung oder auch intrapsychische Konflikte sowie Lebenskrisen (Antonovsky, 1997, S. 44/201).
14 Die Begriffe „Belastung“ und „Spannung“ werden hier synonym gebraucht.
15 Udris und Rimann definieren sie gefolgt als „(mehr oder weniger) habitualisierte, d. h. situationskonstante, aber zugleich flexible gesundheitserhaltende und Gesundheit wiederherstellende Handlungsmuster sowie kognitive Überzeugungssysteme der Person“ (Udris & Rimann, 2006, S. 132).
16 Weitere synonym verwendete Adjektive sind interne/r, innere/r und personenbezogene/r.
17 z.B. infolge einer erlebten Erfolgssituation, durch selbstwertsteigernde Situationen, Anerkennung und Belohnung etc.
18 Im einschlägigen Fachdiskurs wird häufig der englische Terminus sence of coherence gebraucht (Antonovsky, 1997; Lorenz, 2005 etc.)
19 Zu dem von Antonovsky beschriebenen Kohärenzgefühl entwickelten unteranderen Singer und Brähler einen Fragebogen zur Lebensorientierung mit 29 Items, der explizite Fragen zur Ausprägung von Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit beinhaltet (Singer & Brähler, 2007).
20 In der psychologischen Fachliteratur etablierten sich folgende Fachtermini: Distress für langanhaltenden, als negativ empfundenen Stress und Eustress für positiv erlebten Stress ohne negative Belastungsfolgen (Selye, 1983; Kretschmann, 2006; Frick, 2015).
21 Der Begriff „Burnout“ wird vor allem in Verbindung mit Berufen mit hoher psychosozialer Beanspruchung gebraucht. Allerdings existiert bis heute weder eine einheitliche Definition, noch stellt Burnout (im Gegensatz zur Depression) eine medizinisch-wissenschaftlich anerkannte sowie diagnostizierte Erkrankung im Manual der International Classification of Diseases (ICD-10) dar (Scheuch, Haufe, & Seibt, 2015; Lehr, 2011). Je nach angewandtem Messinstrument können Diagnosekriterien geringfügig variieren. Konsens besteht allerdings darüber, dass sich Burnout in Symptomen wie emotionale, psychische und physische Erschöpfung, Depersonalisierung und ein Gefühl verminderter Leistungsfähigkeit niederschlägt (Schaufeli, Maslach, & Jackson, 1996; Scheuch, Haufe, & Seibt, 2015).
22 In ihrer Metaanalyse zur arbeitsplatz- und bedingungsbezogenen Forschung zum Gesundheits- und Belastungsbefinden im Lehrerberuf kamen Krause, Dorsemagen & Alexander (2011) zu der Erkenntnis, dass bereits vor 100 Jahren auf objektive Belastungs- und Stressfaktoren hingewiesen wurde (Krause, Dorsemagen, & Alexander, 2011, S. 790). In den 1950er sowie 1960er Jahren begannen Forscher schließlich, die Belastungen von Lehrkräften systematisch - damals noch mithilfe von Arbeitszeitstudien (Rutenfranz & Graf, 1963) - zu untersuchen. Erst seit den 1980ern lässt sich eine qualitativ sowie quantitativ differenzierte Untersuchung zur Gesundheits- bzw. Belastungssituation von Lehrkräften im deutschen Sprachraum konstatieren.
23 Dennoch wurde 2012 vom Statistischen Bundesamt (seit Beginn der statistischen Erfassung im Jahr 1993) die bislang höchste Pensionierungsrate von Lehrkräften (n = 24.400) ermittelt. Als Hauptursache werden die zahlreichen Einstellungen von Lehrpersonal in den 1970er Jahren angesehen (Statistisches Bundesamt, 2015).
24 Auf die nach dem AVEM-Inventar (Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebnismuster) von Schaarschmidt, Kieschke & Fischer (2005) aufgestellte Typologien wird im Nachfolgenden (siehe Kapitel 3.1.2) noch einmal näher eingegangen.
25 Beispiele für etablierte Diagnoseinstrumente stellen zum einen das Maslach Burnout Inventory (MBI), das Copenhagen Burnout Inventory (CBI) sowie das Trier Inventar zum chronischen Stress dar. wie der Potsdamer Lehrer- (2005) und Freiburger Schulstudie (2004), der Studie zu den Anforderungen und Ressourcen im Berufszyklus von Lehrpersonen (ARBEL, 2006) sowie im Rahmen des Priener Lehrerprojekts (2002)
26 In wird dabei durch die Dauer der Gratifikationskrise beeinflusst, d.h. je länger eine Person einer Gratifikationskrise ausgesetzt ist, desto höher ist ihr Gesundheitsrisiko (Siegrist, 1996, S. 102 ff.).
27 In der psychologischen Fachliteratur ist die Gratifikationskrise unter dem Fachbegriff efford-reward imbalance model zu finden und kann sich in Arbeitsunzufriedenheit, negativen Emotionen und zunehmenden Stresssymptomen - wie Überforderung, Ermüdung, Gereiztheit und Anspannung bis hin zu Erschöpfung, Zynismus, innere Distanzierung und Resignation - niederschlagen. Die Stärke der gesundheitlichen Folgen
28 Die Benennung dieses Paradigmas zur Lehrerpersönlichkeit entstammt den eigenen Überlegungen und der eigenen Recherche. In der Fachliteratur ist der Name bislang nicht existent.
29 Der Behaviorismus ist ein konkretes wissenschafts-theoretisches Konzept in der Psychologie, das u.a. beobachtbare Verhaltensweisen von Menschen sowie deren Auswirkungen empirisch untersucht.
30 z.B. Anzahl der Fragen, positive Rückmeldungen zu Schüleräußerungen, Klarheit, Verständlichkeit etc.
- Quote paper
- Anika Lühe (Author), 2016, Lehrerpersönlichkeit und Lehrergesundheit. Zwischen Berufung und Belastung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/936807
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.