„Das Wort Ehre machte mich verzweifeln; ich dachte an Kaspers Ehre, an Annerls Ehre und sagte: die vermaledeite Ehre …“1 – Mit diesen Worten begegnet der Erzähler in Clemens Brentanos Novelle „Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl“, ohne es zu diesem Zeitpunkt zu wissen, dem ehrlosen Verführer der schönen Annerl. Er verzweifelt über den Sinn und Wert der Ehre für den Menschen und die verschiedenen Ausprägungen des Ehrbegriffes seiner Zeit.
Die unterschiedlichen Ehrauffassungen der Gesellschaft stehen im Werk im Kontext seiner Zeit und führen zum Untergang der Hauptfiguren.
Wie wird die Ehre im Hinblick auf die Geschlechter in der Geschichte dargestellt?
Diese Frage zu untersuchen, ist Inhalt dieser Arbeit, dabei wird im zweiten Kapitel das Werk betrachtet. Anschließend an einen kurzen Ausblick auf den Begriff der Ehre im Zeitzusammenhang wird seine Darstellung in der vorliegenden Novelle behandelt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Inhalt der Novelle in erzähltextkategorischer Betrachtung
3. Darstellung von männlicher und weiblicher Ehre im Werk
3.1. Begriff der Ehre im Kontext der Gesellschaft nach 1800
3.2. Hauptfiguren in Brentanos Werk im Hinblick auf deren Ehrbegriff
4. Schluss: Das Monument der Ehrenopfer
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Das Wort Ehre machte mich verzweifeln; ich dachte an Kaspers Ehre, an Annerls Ehre und sagte: die vermaledeite Ehre …“[1] – Mit diesen Worten begegnet der Erzähler in Clemens Brentanos Novelle „Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl“, ohne es zu diesem Zeitpunkt zu wissen, dem ehrlosen Verführer der schönen Annerl. Er verzweifelt über den Sinn und Wert der Ehre für den Menschen und die verschiedenen Ausprägungen des Ehrbegriffes seiner Zeit.
Die unterschiedlichen Ehrauffassungen der Gesellschaft stehen im Werk im Kontext seiner Zeit und führen zum Untergang der Hauptfiguren.
Wie wird die Ehre im Hinblick auf die Geschlechter in der Geschichte dargestellt?
Diese Frage zu untersuchen, ist Inhalt dieser Arbeit, dabei wird im zweiten Kapitel das Werk betrachtet. Anschließend an einen kurzen Ausblick auf den Begriff der Ehre im Zeitzusammenhang wird seine Darstellung in der vorliegenden Novelle behandelt.
2. Inhalt der Novelle in erzähltextkategorischer Betrachtung
Die vorliegende Novelle wurde von dem romantischen Schriftsteller Clemens Brentano 1817 verfasst. Die Geschichte entstand vor dem Hintergrund der Auswirkungen der Napoleonischen Kriege und des Wiener Kongresses. Der Erstdruck des Werkes wurde in der Sammelpublikation „Gaben der Milde“ von Friedrich Wilhelm Gubitz herausgegeben.[2] Diese wurden zu wohltätigen Zwecken zugunsten Versehrter der Befreiungskriege von 1813-1815 veräußert. Inhaltlich ist die historische Situation für das Werk relevant, da zum Beispiel die Hauptfigur Kaspers Militärdienst in Frankreich leistet.[3]
Neben dem Ulanen[4] gibt es drei weitere Hauptfiguren, allen voran die Alte. Sie nimmt die wichtigste Stellung im Werk ein, da sie als einzige alle Hauptfiguren und somit die drei Erzählstränge der Novelle verbindet. So ist sie Großmutter von Kasper und die Patentante der Magd Annerl, zudem diejenige, welche dem Erzähler die beiden Binnengeschichten über deren Schicksale erzählt. Sie ist gemeinsam mit dem Erzähler direkt in die Rahmenhandlung der Novelle integriert und als intradiegetisch-homodiegetische Erzählerin Bestandteil der von ihr erzählten Binnengeschichten. Neben den genannten Figuren kommt auch dem extradiegetisch-homodiegetischen Erzähler eine besondere Funktion zu, er fungiert als Bindeglied zwischen dem narrativen Adressat und der Geschichte, die wie häufig in Novellen, in den Binnenerzählungen entscheidend vorangetrieben wird. Die narrative Instanz ist ein männlicher Schriftsteller, der am Anfang des Werkes auf die Alte trifft.
Durch eine intradiegetische Sprechsituation der beiden erfährt der narrative Adressat, gemeinsam mit der narrativen Instanz, von den Ereignissen um Kasper und Annerl.
Bereits in der ersten Erzählung der Alten über ihren Enkel und dessen Streit mit Vater und Stiefbruder kommt das entscheidende Leitmotiv auf – das Motiv der Ehre. Im Streit taucht auch die Anekdote über den französischen Unteroffizier auf, die Kasper im dramatischen Modus auf der Meta-Ebene erzählt. Generell fällt jedoch die unübliche Interpunktion auf, so entschied sich Brentano für die Auslassung sämtlicher Kennzeichnung der direkten Rede, was dazu führt, dass narrativer und dramatischer Modus wechseln, ohne dass dies vom Leser bewusst wahrgenommen wird. Die variable interne Fokalisierung, sowie die Unterschiede in der Distanz erlauben dabei die Verbindung der Ereignisse aller drei Handlungsstränge. So kehrt die Geschichte beispielsweise mit der Frage nach dem Beruf der narrativen Instanz durch die Alte zur Rahmenhandlung zurück. Nach anfänglichem Zögern und der Umschreibung seiner Arbeit als Schreiber ersucht ihn die Großmutter um eine Bittschrift. Auf die Nachfrage wofür beginnt sie dem Schriftsteller weiter von Annerl und Kasper zu berichten.
In einer späten Erzählung erfahren narrative Instanz und narrativer Adressat von der Alten die tragische Geschichte ihres Enkels, des braven Soldaten Kasper. Dieser kehrt zum Urlaub in die Heimat zurück. Bei der Einkehr beim Müller wird er unsanft aus einem schlimmen Traum, welcher Vorausdeutungen auf seinen Tod am Folgetag enthält, geweckt. Am Beispiel des Traums ist zu erkennen, dass es nicht konstant bei der multiperspektivischen internen Fokalisierung bleibt, die Schilderung des Traums ist ein eindeutiges Indiz für eine Nullfokalisierung, da die Tatsache, dass Kasper seiner Großmutter später in aller Eile ausführlich davon berichtet, nahezu ausgeschlossen ist.
Kasper erwacht durch den Überfall auf die Mühle. Nachdem er beim Richter der Stadt vorgesprochen und kurz die Alte besucht hat, überführt er Vater und Stiefbruder als die Räuber. Die Schande dieser Enthüllung treibt Kasper zum Selbstmord, er hinterlässt für die geliebte Annerl und für seine Großmutter letzte Worte.
Anschließend erzählt die Patentante homodiegetisch, in einem freien Motiv aus Annerls Kindheit und den Fluch der auf Annerl lastet. Dieses Ereignis mit statischer Funktion deutet bereits auf die tragische Geschichte der Magd hin, die im Folgenden berichtet wird: Nachdem sie Kasper in Frankreich tot glaubt, lässt sie sich durch Täuschung von einem Edelmann verführen. Das uneheliche Kind, welches sie empfängt, tötet sie aufgrund ihres Ehrgefühls und zeigt sich für den Kindsmord an. Da sie den Namen des Vaters nicht nennen will, wird sie zum Tode verurteilt. Die narrative Instanz erfährt, dass Annerl auf die Vollstreckung am nächsten Tag wartet und begreift die Bedeutung der von ihm geforderten Bittschrift – er soll für ein ehrenhaftes Grab der beiden ersuchen, was beiden aufgrund der geltenden Rechtssituation nicht zustehen würde.
[...]
[1] Clemens Brentano: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Stuttgart: Reclam 2007. S. 32.
[2] Ebd. S. 53f.
[3] Vgl. ebd. S. 17.
[4] Ebd. S. 48: „Truppe leichter Reiter, von Friedrich dem Großen im preußischen Heer eingeführt.“
- Quote paper
- Raúl Gaston Krüger (Author), 2008, Clemens Brentanos "Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl" - Darstellung männlicher und weiblicher Ehre, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92542
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