Die Arbeit beschäftigt sich mit Strategien der Missionierung in Mexiko. Im ersten Teil der Arbeit soll deshalb in einem ersten Schritt ein Überblick über die missionarischen Bestrebungen mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts gegeben werden, wobei vor allem der Fokus auf den Neuerungen gegenüber der Missionierung im Rahmen der Kolonialisierung gelegt werden soll. Dabei gehen wir auch auf die Professionalisierung und Standardisierung der Missionsaufgabe ein.
Im zweiten Teil der Arbeit werden wir anhand eines konkreten Beispiels aufzeigen, wie sich die Missionsarbeit in Mexiko hin zu einer dialogischen Missionsarbeit, in der die Gesprächspartner auf Augenhöhe agieren, gewandelt hat. Außerdem wird durch die Auswertung eines Interviews Einblicke in überkommene und neue Missionsstrategien gegeben. Die Schlussbetrachtungen nehmen Stellung zu der Frage, wie diese Emanzipierung von veralteten Missionsstrategien zu bewerten ist. Außerdem machen wir einen eigenen Vorschlag.
Im NT und den Paulusbriefen gibt es immer wieder die Aufforderung bzw. den Missionsbefehl, die Frohe Botschaft vom Anbruch des Reiches Gottes allen Menschen zu verkünden. Gottes Wort braucht Verkünder, wenn es allen mitgeteilt werden soll. Von dieser friedlichen Missionierung ist jedoch die im Zuge Kolonialisierung ab 1492 deutlich abzusetzen, weil in dieser Phase Politik und Religion eine unglückliche Verbindung eingegangen sind. Ab 1815 bis 1965 spricht man vom langen Missionsjahrhundert, wobei hier neue Strategien Anwendung finden, z.B. der Dialog und die Akzeptanz der Teilkirchen. Die Arbeit schlägt die Brücke und zeigt diese Entwicklungen anhand von Mexiko.
Am Ende wertet sie noch ein Interview auf, in dem neben den überkommenden Missionsformen auch die neuesten Entwicklungen referiert werden. Fazit dabei ist, Mission gehört nach wie vor zum Wesenskern des Christentums, auch wenn sie sich im Kontext der Zeit modifiziert hat. So wie sich Gott der Welt mitgeteilt hat, so muss die Frohe Botschaft - im Sinne einer Mimesis - weitergegeben werden.
Einleitung
Während das Judentum nicht missionarisch auftritt,1 gehört das Missionieren von Beginn an zum Kernbestand des Christentums.2 Dies hängt einerseits mit dem Anspruch nach Universalität der „Frohen Botschaft“ zusammen, dass Jesus Christus für ausnahmslos alle Menschen gestorben sei,3 andererseits mit dem Auftrag an die ersten 12 Apostel, insbesondere an Paulus, das Christentum im römischen Reich zu verbreiten.4 Dort wurde es nach drei Jahrhunderten und einer anfänglichen Verfolgung durch Kaiser wie Nero zur Staatsreligion, und zwar beginnend durch Konstantin dem Großen und letztlich unter Kaiser Theodosius im Edikt „Cunctos populos“ aus dem Jahre 3 80.5 Nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches 496 unter dem letzten Kaiser Romulus Augustulus6 war das verbindende Netz an christlichen Glaubensbrüdern und -schwestern das entscheidende Band für den Zusammenhalt des „Abendlandes“.7 Ab dem 9. Jahrhundert kamen immer mehr Klöster hinzu, hinter deren Mauern die antiken Schriften sowie die christlichen Autoren kopiert und tradiert wurden.8 Ab dem Wendejahr 1492 und im Zuge des Siglo de Oro in Spanien9 wurde aus einer ca. 700-jährigen Reconquista mit der Entdeckung der Neuen Welt10 eine Conquista der neuentdeckten Völker,11 die zugleich mit einer Christianisierung und Missionierung einherging.12 Ein Beispiel für das Zusammenspiel von Politik und einer auf Gewalt basierenden Missionierung ist sicherlich Mexiko bzw. die Azteken. Damit erhob das Christentum zunächst katholischer, nach der Reformation auch evangelischer Prägung den Anspruch einer weltweiten Ausbreitung, zu dem sich heute über 2 Mrd. Menschen bekennen, womit sie (noch) die größte Glaubensgemeinschaft der Welt ausmacht. „Ohne missionarische Ausbreitung in den Kulturen der Welt wäre es nicht zu einer Weltreligion geworden“.13 Missionierung ist damit nicht nur ein Zeichen von der Lebendigkeit des Christentums, sondern ein „wesentliches und unaufgebbares Merkmal“ des Christentums. Es hat seinen Ausgangspunkt mit dem „Missionsbefehl“ im NT, d.h. die Jünger Jesu werden aufgefordert, in die Welt zu gehen, um seine Botschaft vom Reich Gottes, seinen Kreuztod und die Auferstehung, allen zu verkünden.14
Freilich muss die Missionierung im Rahmen der kolonialistischen Bestrebungen deutlich von der Missionierung zwischen 1815 bis 1965 unterschieden werden. Während erste Phase - sehr verkürzt gesagt - immer mit einer Gewaltanwendung einherging, sieht sich das Christentum ab 1815 eher als Dialogpartner und beruht auf Inkulturation. Heute spricht man sogar von verschiedenen „Typen neuzeitlicher Mission“, weil die zeitgenössische Entwicklung in den verschiedenen Ländern noch viel komplexer ist als in der recht überschaubaren Welt im missionarischen (langen) Jahrhundert.15 Zu berücksichtigen ist auch, dass es zwar allgemeine Richtlinien, aber eben keine Generalstrategie für alle Länder zugleich gab, sondern jedes Land, ja vielleicht sogar jede Region für sich betrachtet werden muss.16
Im I. TEIL soll deshalb in einem ersten Schritt ein Überblick über die missionarischen Bestrebungen mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts gegeben werden, wobei vor allem der Fokus auf den Neuerungen gegenüber der Missionierung im Rahmen der Kolonialisierung gelegt werden soll.17 Dabei gehen wir auch auf die Professionalisierung und Standardisierung der Missionsaufgabe ein. Im II. TEIL werden wir anhand eines konkreten Beispiels aufzeigen, wie sich die Missionsarbeit in Mexiko hin zu einer dialogischen Missionsarbeit, in der die Gesprächspartner auf Augenhöhe agieren, gewandelt hat. Außerdem wird durch die Auswertung eines Interviews Einblicke in überkommene und neue Missionsstrategien gegeben. Die Schlussbetrachtungen nehmen Stellung zu der Frage, wie diese Emanzipierung von veralteten Missionsstrategien zu bewerten ist. Außerdem machen wir einen eigenen Vorschlag.
I. TEIL
1. Mission im Zeitalter des abendländischen Imperialismus (1815 - 1965)
Das 16. bis 18. Jahrhundert sind durch einen deutlichen Rückgang des missionarischen Eifers sowohl bei den Protestanten wie bei den Katholiken gekennzeichnet.18 Die Gründe sind vielfältig, aber lassen sich grob wie folgt zusammenfassen: (i) die säkularen Auswirkungen der Aufklärung sowie (ii) der französischen Revolution in Europa sowie (iii) die Unabhängigkeitsbestrebungen der kolonialisierten Völker. Damit endet die sogenannte „Patronatsmission“, in welcher in einer mit Vor- wie Nachteilen behafteten Vermischung von Politik und Religion die Mission mehr oder minder gewaltätig voranschritt. Auch der Jesuitenorden, bisher Missionsgarant gerade in Südamerika, wird vorübergehend aufgelöst.19 Im Jahre 1815 gibt es von katholischer Seite gerade mal noch 300 Missionare in ganz Asien und Afrika, ein Tiefpunkt in der Missionsgeschichte. Erst mit dem vereinten Sieg gegen Napoleon und der Neuordnung Europas durch den Wiener Kongress (1814/15) kommt es zu einer „Geisteswende“, die ein „religionsfreundliches Klima“ sowie ein „neues europäisches Selbstbewusstsein“ mich sich bringt. Im Zuge dessen kommt es zu einer erneuten Missionstätigkeit, die sich allerdings deutlich von der auf der Folie des Kolonialismus ausbreitenden unterscheidet. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem „langen Missionsjahrhundert“, das hier seinen Ausgangspunkt nimmt und mit dem II. Vatikanischen Konzil endet.20
Es kommt zu vielfältigen Neugründungen mit missionarischem Ziel. Neben der Wiedereinrichtung des Jesuiten-Ordens sind hier zahlreiche „Missionsseminare, - gesellschaften, -orden“ für beiderlei Geschlecht zu nennen. Dennoch kann sich diese breite Front an missionarischen Bestrebungen noch nicht gänzlich aus dem Schatten der Kolonialismus befreien, wenn auch Bestrebungen in diese Richtung immer wieder deutlich werden.21 Nach wie vor hängen in dieser langen Phase „Europäisierung“ und Missionierung eng zusammen, so auch in Mexiko. Nicht nur das Christentum wird gepredigt, sondern auch der europäische Lebensstil gilt als der anstrebenswerte. Die eurozentrische Perspektive wird in vielen Diskursen noch längt nicht hinterfragt oder gar in Frage gestellt. Da im Zuge des Fortschrittsglaubens, der Industrialisierung, Militarisierung und der sprunghaften Entwicklung der Naturwissenschaften ein Überlegenheitsgefühl der europäischen Kulturen wie selbstverständlich angenommen wird, ist die Verbindung beider noch enger als zu Zeiten der Conquistadoren.22 Besonderer Unterschied liegt darin, dass die Missionierung anders als die androzentrische Phase vorher nun vor allem von Frauen getragen wird, die vor allem in Schulen und Krankenhäusern in ganz verschiedenen Aufgabenbereichen wirken.23 Auch erleichtern die neuen Kommunikationsmittel die interkontinentale Informationsweitergabe, vor allem im globalisierten Zeitalter. Eine wichtige Folge war die Entstehung der Missionswissenschaft als einer theologischen Teildisziplin, welche das ganze Spektrum der Missionstätigkeit systematisch zum Gegenstand reflektierter Überlegungen macht.24 Auf diese Weise kommt es neben verschiedenen Missionsansätzen bzw. -theorien25 auch zu einer Professionalisierung der Missionstätigkeit auf die wir einen Blick werfen möchten.
2. Die Professionalisierung der Missionstätigkeit
Es lassen sich drei Typen von Mission unterscheiden:
1.) Der soziokulturelle Typ: danach ist die religiöse Sozialisation im Primärbereich auf dem Rückgang. Deshalb sind einheimische missionierende Laien, die in diese Bereiche hineinwirken, von zentraler Bedeutung. So war es laut Jedin besonders in China und Japan,26 aber auch in Mexiko.
2.) Der professionelle Typ zeigt sich bei der Ordensgründung und christlichen Institutionen jedweder Art, also Schulen etc. „Niemals in der zweitausendjährigen Missionsgeschichte wurden so viele professionelle Missionare und Missionarinnen ausgesandt wie in dieser Epoche.“27 Die Missionierung wird mit dem Einschluss Ozeaniens auch global wirksam. Außerdem ist die Tendenz hin zu einer Zentralisierung durch Rom erkennbar. Besonders hervorzuheben sind hier die Jesuiten.28
3.) Der imperiale Typ ist noch längst nicht ad acta gelegt, aber es wird die Basis für eine Eigenständigkeit der entstehenden jungen Kirchen gelegt.
Die Weltmissionskonferenz in 1910 in Edinburgh bringt hier das vorerstige Ende aller Bestrebungen der Weltmission.29 In der Folge kommt es zur Gründung der „International Review of Mission“ und der Missionswissenschaft ab 1911. Den Hintergrund bildet hier die repressive deutsche Kolonialpolitik, die immer noch versucht, die kolonialisierten Länder bis in den Lebensalltag hinein zu europäisieren.30 Für dieses Vorhaben bedarf aber die deutsche Regierung spezifische soziologische, religiöse, kulturelle etc. Kenntnisse von den zu missionierenden Völkern, was zur Folge hat, dass „die deutsche Regierung die Gründung missionswissenschaftlicher Lehrstühle in beiden Konfessionen“ begünstigt. Kenntnisse über die Völker und deren Kulturen stehen also in dieser Phase unter einer eurozentristischen, utilitaristischen Perspektive. Zunächst fruchten diese Bestrebungen eher im dem Staat näher stehenden Protestantismus, denn bereits 1874 gründet der „Vater der modernen Missionswissenschaft“, Gustav Warneck (1834 - 1910) mit anderen zusammen die „Allgemeine MissionsZeitschrift“ und in der Folge entsteht in Halle 1886 die erste Professur für Missionswissenschaft. Auf katholischer Seite kommt es 1910 zu einer ersten Professur in Münster in Kombination mit Kirchengeschichte etc. durch J. Schmidlin.31 Weitere Zeitschriften und Vereine zur Förderung des Missionsgedanken werden gegründet. Eine Folge ist eine Differenzierung der missionarischen Ansätze:
1.) J. Schmidlin (1876 - 1944) und die „Münsteraner Schule“ vertreten die sogenannte Konversionstheorie,32 wonach sich die Menschen in anderen Kulturen letztlich zum christlichen Glauben bekehren sollen.33 Die Kirche wird zur Verkünderin und einzigen Vermittlerin christlicher Wahrheiten.
2.) Daneben gibt es durch P. Charles, E. Loffeld und die „Löwener Schule“ die Plantationstheorie, wonach der bestehende kulturelle Rahmen Bestand haben soll und die Missionstätigkeit abgegrenzt wird von anderen kirchlichen Teildisziplinen. Nicht Verkündigung oder gar Bekehrung sind das primäre Ziel, „sondern die dauerhafte Errichtung der Kirche als Institution amtlicher Heilsvermittlung“.
3.) Das II. Vatikanische Konzil gibt beiden Richtungen ein Stück weit Raum, wodurch es zu einem Kompromiss bis in die Definition Mission gibt. Diese besteht danach darin, Boten in die Welt zu den Völkern zu entsenden, „die noch nicht an Christus glauben, das Evangelium zu predigen und die Kirche selbst einzupflanzen“.34
Werfen wir in der Folge einen Blick auf ein konkretes Beispiel, in welchem gezeigt wird, auf welche Weise sich die neue Art der Missionierung von der alten emanzipieren kann.
TEIL
1. Der I. Weltkrieg und seine Folgen auf Mexiko
Nach dem 1. Weltkrieg (1914 - 1918) ist ein deutlicher Rückgang35 der Missionstätigkeit zu konstatieren. In der Folge kam es zu einer „Entpolitisierung der missionarischen Arbeit“, die einherging mit dem Selbstständigwerden der jungen Kirchen überall auf der Welt. Wenn auch dann noch nicht die Folgen des Kolonialismus schlagartig verschwanden, so lässt sich doch von einem neuen missionarischen Leitbild sprechen. Zunächst nahmen aber die finanziellen Mittel aus den europäischen Staaten deutlich ab, was automatisch zu neuen Strategien führen musste. Der I. Weltkrieg hatte also auch diesbezüglich weltweite Folgen, nicht nur bei den betroffenen Kolonien und deren Stammländer, z.B. zogen alle europäischen Mächte ihre Missionare weltweit ab. Hin und wieder wurden gerade deutsche Missionare vertrieben oder interniert oder sie verloren deutlich an Glaubwürdigkeit. Die „geistigen Schäden“ des Krieges waren also nachhaltiger als die materiellen. Überhaupt verloren die „Weißen“ ihren Nimbus bei der indigenen Bevölkerung, was sich deutlich an der Entwicklung in Mexiko ablesen lässt.
Nach Kriegsende kehrten viele Missionare in ihre Gemeinden zurück, aber mit neuen Strategien im Gepäck.36 Jedenfalls gab es ab 1945 ein Fanal, um endlich „die zu engen Bindungen zwischen nationalen und missionarischen Interessen zu lösen“ - freilich war und ist der Kolonialismus für die missionarischen Ziele eine schwere Hypothek. Wegweisendes leistete deshalb der „Missionspapst“ Benedikt XV., weil er mit der Schrift „Maximum illud“, der „Magna Charta der modernen Missionen“ noch vor dem Zweiten Vatikanum eine Wende einleitete. In der Folge war deshalb nicht mehr die Rede von „der“ Kirche, sondern man verwendete den Plural „ecclesiae“. Es geht nun also nun nicht mehr um paternalistisch-westliche Vermittlung, sondern um die Bildung gleichberechtigter Teilkirchen in den verschiedenen Ländern. Außerdem wird damit der einseitige Nationalismus von einigen Missionaren nicht mehr unterstützt. Es gehe nicht um das irdische Vaterland, sondern um das allen gemeinsame „himmlische Vaterland“, was Jesu Botschaft vom Reich Gottes, das nicht von dieser Welt sei (Joh. 18, 36), ernst nimmt. Folglich sei ein Missionar auch ausschließlich Jesu und dessen Botschaft verpflichtet. Daher sollten die Missionare nun „das Heil aller Bewohner ohne Ausnahme anstreben“37, was freilich eine neue Radikalität in sich birgt. Bekehrung soll nun mit Kirchengründungen einhergehen, wozu es jeweils des heimischen Klerus bedurfte. Dieser müsste freilich hinreichend ausgebildet und eingebunden sein. Damit nimmt der Papst völlig neu die Perspektive der Missionsländer ein. Es wird zu prüfen sein, ob diese Leitlinien in Mexiko umgesetzt wurden.
2. Mexiko - durch Verfolgung eine neue Einheit
In der Mitte des 20. Jahrhunderts lebten in Mexiko ca. 47 Mio. Menschen, wovon 97 % katholisch waren. Viele, gerade unter der indigenen Bevölkerung, lebten im gesellschaftlichen Abseits. 1910 gab es eine Revolution bzw. einen Bürgerkrieg, bei der ein indigener Kollektivismus mit marxistischem Einschlag eine entscheidende Rolle spielte.38 Damit wird ein Grundgedanke der Befreiungstheologie antizipiert: die arme Bevölkerung müsse sich bereits im Diesseits gegen diktatorische und imperialistische Auswüchse zur Wehr setzen.39 Es verwundert daher nicht, dass die 1917 entstandene Verfassung ein Sammelbecken vielfältiger Gedanken und „Volkswünsche“ darstellt. Im Vorfeld dessen gab es eine Kirchenverfolgung: Viele Bischöfe wurden verhaftet oder emigrierten, Ordensschwestern wurden vertrieben, Gottesdienste wurden verboten, katholische Schulen mussten schließen und die Kirchen wurden enteignet. In der Verfassung von 1917 wurde dieses Vorgehehen gegen die katholische Kirche weiter fortgeschrieben, was als Gegenreaktion die Gründung der „Nationalen Liga zur Verteidigung der religiösen Freiheit“ von katholischer Seite aus hatte. Auf diese Weise organisierte sich ein vielfältiger Boykott, der die Gläubigen zusammenwachsen ließ, was den Kampf noch verschärfte, wobei 78 Ordensleute und Laien den Märtyrertod starben. Verschiedene Formen des aktiven und passiven Widerstands waren die Folge. Zu nennen sind vor allem die „Cristeros“, der bis zu 20.000 Mexikaner angehörten, die aus allen Schichten kamen. In der Folge wurde zumindest ab 1929 das Verbot von Gottesdiensten aufgehoben. Dennoch wurde ein Großteil der „Cristeros“ in der Folge von der Regierung weiterhin verfolgt und sogar ermordet. „Die Kirche, bedrückt durch die Verfolgung, mußte weiterhin unfähig zusehen“.40 Als die Regierung in den folgenden Jahren immer weiter in den Alltag und das Schulwesen durch atheistisch-sozialistischen Unterricht und Sexualkunde eingriff, gab es eine neue Stufe des Protestes seitens der Katholiken. Papst Pius XI. empfahl den Mexikanern, sich stillschweigend weiter friedlich zu organisieren. Außerdem wurden mit Hilfe der amerikanischen Katholiken Seminare in den USA eröffnet, in denen angehende Priester aus Mexiko ausgebildet wurden. Aufs Ganze gesehen wuchs die mexikanische Kirche zusammen und man kam in der Rekapitulation zu der Erkenntnis, „daß die christlichen und evangelischen Prinzipien für eine lebendige, im Kampf stehende Kirche festverankert sein müßten.“41
Dennoch kann nicht geleugnet werden, dass der christliche Glaube der Mexikaner mit Atavismen durchsetzt ist, wobei diese sich besonders im ländlichen Raum gehalten haben. Auch christliche Rituale und Sakramente, beginnend bei der Taufe bis zur Heirat, sind durchsetzt mit nicht genuin überkommenen Vorstellungen und Konventionen.42 Deshalb wurden ab den 70er Jahren die Bemühungen um Studientage etc. angestrengt. Ziel ist dabei die individuelle Metanoia des Lebens, das man sich also nicht von ungerechten Verhältnissen leiten lassen soll, sondern Leitstern soll ausschließlich die Botschaft Jesu sein. Dabei soll die Kirche „Gemeinschaft von Menschen sein, die sich bei der Veränderung der Gesellschaft engagiert haben, denn dieses Zeichen der Veränderung ist Zeichen des Gottesgeistes und führt Menschen und Völker zu ihrer Berufung“.43 In der Folge entstanden daher unter Beihilfe der katholischen Kirche viele Projekte, die zusammengefasst unter dem Titel „sozialistisches Projekt“ firmierten, weil diese sich von den imperialistischen Einflüssen befreien wollten und eine Wende zum Evangelium bewirken wollten. Im Zentrum standen dabei die „Armenpriester“, die auf die „Freiheit der Söhne Gottes“ hinarbeiteten. Die Emanzipation von der kolonialen Missionierung innerhalb der mexikanischen Kirche ist also - um es zusammenzufassen - aufgrund der äußeren Umstände sowie der Reaktionen einerseits der römischen Kirche, des Papstes und andererseits der Zusammenarbeit der mexikanischen Gläubigen geschehen. Dabei konnten die europäischen Priester zunächst auf den mexikanischen Klerus zählen, um aber - mit steigendem Widerstand - immer mehr Gläubige für sich zu gewinnen. Damit konnte sich die katholische (= allgemeine) Kirche tatsächlich nicht nur von dem nationalstaatlich geprägten Denken lösen, sondern konnte auch die mexikanische Kirche als besondere Teilkirche in den Kreis der Gesamtkirche aufnehmen. Zum Abschluss wollen wir uns über das bisher Gesagte hinaus mit der modernen Missionierung beschäftigen.
3. Wie kann moderne Missionierung aussehen?
Bereits B. de las Casas stellte einen Gegenentwurf zur menschenverachtenden Praxis der Kolonialherren vor, indem er sich ein Leben lang für die indigene Bevölkerung einsetzte. Ein wesentlicher Charakterzug seiner Mission war, mittels einer induktiv-deduktiv komparatistischen Methode der indigenen Bevölkerung das Menschsein zuzuschreiben.44 Heute, nach über 500 Jahren Licht und Schatten der Evangelisierung,45 ist die Kirche an einem reflektierten Missionsbegriff angelangt, indem sie, was das Beispiel Mexiko zeigt, verschiedene Strategiewechsel eingeläutet hat, indem sie sich verschiedene Selbstverpflichtungen auferlegte, und zwar mit Blick (1) auf die Ländereien der indigenen Menschen, (2) auf die sozialpolitische Gesamtlage, (3) auf die Kultur in all ihren Ausdifferenzierungen und schließlich (4) auf die weiter fortzuführende Missionierung.46 Dabei muss grundsätzlich von autochthonen, also selbstständigen Kirchen wie im Fall von Mexiko ausgegangen werden, da „jedes Volk ein Recht auf eigene Ausdrucksformen seiner religiösen, religiös-christlichen Erfahrung“47 hat. Deshalb spricht man heute von Inkulturation und im Zuge dessen von Adaption als den entscheidenden Mitteln der „Kontaktgewinnung“.
[...]
1 Jude wird man vielmehr durch Geburt. Dabei erfolgt die Linie „matrilinear“, also (vorwiegend) über die Mutter. Vgl. H.-J. Gamm, 1990, S. 36 ff. https://de.wikipedia.org/wiki/Matrilinearität.
2 Laut H. Küng, 2005, S. 53 ff. gehört es zu den „zentralen Strukturelementen“. Er trennt daher auch zwischen verschiedenen Paradigmen in der Geschichte des Christentums.
3 Vgl. dazu K. Berger, 2008, S. 58 ff., 184 ff. u.ö. Zu Paulus siehe ebd., S. 202 ff.
4 Vgl. dazu M. Sievernich, 2009, S. 17 - 23. Er spricht von einer „doppelten Sendung“ Jesu.
5 Vgl. dazu W. Beinert, 2007, S. 71 f.
6 https://de.wikipedia.org/wiki/Romulus_Augustulus (entnommen am 10.08.2020).
7 Vgl. R. Rémond, 2000, S. 31 ff.
8 Vgl. dazu W. Beinert, 2007, S. 72 ff.
9 I. Simson, 2001, S. 12 ff.
10 F Gewecke, Stuttgart 1986 kann zeigen, wie die „neue“ Welt und deren Bewohner durch die literarische Brille der alten Welt gesehen und interpretiert wurde. Neben Paradiesvorstellungen kommen daher der sogenannte Alexanderroman zur Geltung, der im Mittelalter allseits bekannt war. https://de.wikipedia.org/wiki/Alexanderroman (entnommen am 20.8.2020).
11 Siehe die Hintergründe bei L. Pelizaeus, 2011, S. 43 ff. Pelizaeus unterscheidet nicht nur zwischen Epochen der Kolonisation, sondern auch zwischen 6 Typen von Kolonien (S. 17 ff.)
12 Siehe z.B. S. Rinke, 2019. Hier wird ein völlig neues Licht auf die Eroberung der Azteken geworfen. Dabei wird Cortés als jemand vorgestellt, der permanent die Auseinandersetzung suchte, von Feinden wie Freunden permanent angegriffen wurde, stets mit dem Rücken zur Wand stand und dennoch - oder gerade deshalb? - seinem Ziel, Montezuma zu unterwerfen, keine Sekunde aus dem Blick ließ.
13 Vgl. dazu M. Sievernich, 2009, S. 7. Folgendes Zitat siehe dort.
14 Vgl. P. Beyerhaus, 1996, S. 645 ff. und H. Rzepkowski, 1992, S. 299 f. Es gibt nicht einfach einen „klassischen Text“, sondern die ganze biblische Offenbarung ist die Basis. Entscheidend für diese universale Ausrichtung ist freilich das Apostelkonzil in der Urkirche in Antiochia.
15 Siehe dazu im Handbuch der Kirchengeschichte von H. Jedin, Band VI/2, 1973, S. 549 - 597.
16 Dies kann H. Jedin, Band VI/2, 1973, S. 549 - 597 zeigen.
17 Zum Kolonialismus siehe K. Müller / T. Sundermeier, 1987, S. 214 ff. und L. Pelizaeus, 2008.
18 Siehe dazu im folgenden M. Delgado, Aufbaukurs, Heft 14, S. 56 ff. Zum Ganzen auch H.-W. Gensichen, 1961, S. 26 - 62. Alle Zitate stammen von Delgado.
19 Vgl. dazu M. Friedrich, 2018, S. 538 ff., wo die Auflösung und ab S. 559 ff., der Neubeginn geschildert wird.
20 Die zeitgenössischen Missionsbestrebungen bespricht H. Wrogemann (1915) in drei Bänden.
21 Vgl. dazu H. Jedin, Bd. VI/2, 1973, S. 549 ff.
22 „Eine von den Missionaren selbst vielfach begrüßte militärische Drohkulisse unterstützt die Ausbreitung des Christentums in Übersee.“ (M. Delgado, 2015, Heft 14, S. 57).
23 Der Roman das „Grüne Haus“ von V. M. Llosa gibt einen Einblick in deren Handeln und Wirken, wobei auch die Schattenseiten deutlich thematisiert werden.
24 Vgl. H. Bürkle, 1979. Nach K. Müller, 1985, S. 2 stammt der Begriff erst aus dem Jahre 1832.
25 Die prägenden Missionstheorien der Gegenwart bespricht M. Sievernich, 2009, S. 139 ff. und H. Rzepkowski, 1992, S. 305 ff.
26 Vgl. H. Jedin, Bd. VI/2, 1973, S. 556 - 562.
27 M. Sievernich, 2009, S. 103.
28 Vgl. dazu das Buch M. Friedrich, 2018.
29 Vgl. H. Wrogemann, Bd. 2, S. 71 ff., der über alle Weltkonferenzen referiert.
30 Vgl. dazu V Ullrich, 2013, S. 92 ff., wo die Anfänge der dt. Kolonialpolitik geschildert werden, die dann unter Wilhelm II. in das Fiasko des Ersten Weltkrieges führen.
31 Vgl. dazu K. Müller, 1985, S. 28 ff. und 145 ff.
32 Vgl. dazu J. Pfammatter (Hrsg.), 1996, S. 85 ff. Siehe dort folgendes Zitat.
33 Es geht um die “Bekehrung der Einzelmenschen” (ebd., S. 85), also letztlich um „Belehrung und Unterweisung der Heiden in den religiösen Wahrheiten“.
34 So M. Delgado, 2015, Arbeitsheft Nr. 14, S. 65 f.
35 H. Jedin, Bd. VI/2, spricht von einer „deutlichen Zäsur“. (S. 579) Dort auch folgendes.
36 Aufgrund des Artikels 438 des Versailler wurde den dt. Missionaren die Rückkehr erschwert.
37 Siehe H. Jedin, Bd. VI/2, S. 583.
38 https://de.wikipedia.org/wiki/Mexikanische_Revolution (entnommen am 20.8.2020).
39 https://de.wikipedia.org/wiki/Befreiungstheologie (entnommen am 20.8.2020). Zentrale Gedanken sowie die Namensgebung stammen vom Mexikaner Gustavo Gutiérrez in seinem Werk Teologia de la liberation. Vgl. dazu zusammenfassend H. Wrogemann, Bd. I, S. 169 ff.
40 Vgl. H. Jedin, Bd. VII, S. 760.
41 Ebd., S. 762.
42 “Der Mexikaner begnügt sich oft mit einer symbolischen Frömmigkeit, sofern diese gewisse fundamentale Notwendigkeiten erfüllt.” (Ebd., S. 765).
43 Ebd., S. 767.
44 Vgl. dazu M. Delgado, 2011, S. 99 ff.
45 C. Pastro (Hrsg.), 1995, schildert „Licht und Schatten“ einer 500-jährigen Evangelisierung.
46 Vgl. dazu H. Goldstein, 1991, S. 79 ff.
47 K. Müller, 1985, S. 140. Vgl. folgendes dort, S. 141.
- Quote paper
- Dr. Detlef Thiel (Author), 2020, Christliche Missionierung. Strategien der Missionierung in Mexiko, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/923559
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