Was hat die Menschen der jüngeren Steinzeit ab Mitte des 5. Jahrtausends v.Chr. bewogen, tonnenschwere und bis zu 21 Meter hohe Steinmale, die Menhire oder „Hinkelsteine“, zu errichten? Wie schaffte man es, diese Kolosse zu transportieren und aufzustellen? Welchen Zweck hatten die meistens freistehend, einzeln, in Kreisen oder manchmal sogar zu Tausenden in Reihen angeordneten Kolosse? Mit solchen Fragen befasst sich der Mainzer Archäologe Dr. Detert Zylmann in seinem Buch „Das Rätsel der Menhire“.
Obwohl Wissenschaftler sie sorgfältig untersuchten und mancherlei Fantasten glaubten, das Rätsel um diese Steine gelöst zu haben, blieben die Menhire bis heute von Geheimnissen umwittert. Unbestritten ist nur, dass sie eine kultisch-religiöse Funktion hatten. Vielleicht dienten diese eindrucksvollen Steinmale einst als Götteridole, phallische Kultdenkmäler, Opferpfähle, Gerichtsstätten, Ahnenkultmale, Ruhesitze für umherschwebende Seelen oder als „Ersatzleiber“ Verstorbener, an denen die Hinterbliebenen Abschied nehmen konnten.
Über Jahrtausende hinweg – von der Steinzeit bis in die Gegenwart – zogen Menhire immer wieder Menschen in ihren Bann. Einige der mysteriösen Steinmale konnten sich angeblich zu hohen Feiertagen drehen oder sie gaben Weh- und Klagelaute von sich, wenn jemand sein Ohr an sie legte. Von anderen erhofften sich Abergläubische durch ihre Berührung einen segensreichen Einfluss auf die Liebe und den Kindersegen oder die Heilung von Krankheiten.
Menhire hat man zu unterschiedlichen Zeiten in Europa, Asien, Afrika und Amerika aufgestellt. Besonders eindrucksvoll wirken die Menhir-Alleen von Ménec, Kermario und Kerlescan im französischen Departement Morbihan auf Betrachter. In Deutschland können die letzten steinernen Zeugen eines unbekannten prähistorischen Kultes in Baden-Württemberg, im Saarland, in Rheinland-Pfalz, Hessen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern bewundert werden.
Der Archäologe Detert Zylmann wurde 1944 in Hamburg geboren. Nach dem Studium der Vor- und Frühgeschichte, Ethnologie und Anthropologie in Hamburg und Mainz promovierte er 1980 in Mainz. Nach zweijähriger Tätigkeit am Institut für Denkmalpflege in Hannover, Dezernat Inventarisation, übernahm er 1983 die Stelle eines wissenschaftlichen Mitarbeiters bei der Archäologischen Denkmalpflege Mainz. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Inhalt
1. Vorbemerkungen
2. Was ist ein Menhir?
3. Das archäologische Umfeld
4. Megalithische Steinmonumente
5. Die Gewinnung des Baumaterials
6. Der Transport der Steine
7. Das Aufrichten der Steine
8. Deutungsversuche
9. Menhire in Glauben und Brauchtum
10. Menhire in Legenden, Märchen und Sagen
11. Menhire als Orte der Kraft?
12. Menhire und Comic
13. Megalithe und Menhire in der Bildenden Kunst
14. Datierung der Menhire
15. Glossar
16. Katalog der Menhire
17. Literaturverzeichnis
18. Abbildungsnachweise
19. Anmerkungen
20. Der Autor
Abb. 1: Faszinierendes Steinmonument aus der Vorzeit: ein Menhir
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Eindrucksvolles Großsteingrab von Bunsoh in Schleswig-Holstein
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Vorbemerkungen
Große, markante Steinmonumente fanden schon immer die Auf- merksamkeit des Menschen (Abb. 1, 2). Auch heute kann man sich ihrer Faszination nur schwer entziehen. Sie gehören zu den eindrucksvollsten Überresten vorgeschichtlicher Kulturen. Bis in unsere Zeit haben sie wie kaum eine andere Denkmälergruppe unsere Neugier auf sich gezogen und unsere Fantasie angeregt. Archäologen und Altertumsforscher versuchten zu allen Zeiten, ihr Alter zu bestimmen und ihre Funktion und ihre Bedeutung zu ergründen. Es gab und gibt eine Vielfalt von Vermutungen über den Sinn und Zweck der Steine; sie werden mit Brauchtum und Glauben in Verbindung gebracht, um sie ranken sich Le- genden, Mythen und Sagen.
Die zahlreichen Bücher, die in den letzten Jahren über megalithische Steinmonumente veröffentlicht wurden, belegen eindrucksvoll das historische Interesse an ihnen.
Viele Bemühungen, das Rätsel der Steinmale zu entschleiern, sind jedoch wenig überzeugend. Das mag unter anderem daran liegen, dass Archäologen, die ausschließlich gut deutbare Fak- ten auswerten - wenngleich auch diese Fakten häufig einen ge- wissen Interpretationsspielraum zulassen - sich nur sehr zö- gerlich einem Denkmaltypus zuwenden, der hinsichtlich Funk- tion und Deutung eine sehr begrenzte Aussagemöglichkeit er- laubt. So bleibt das Feld vielfach Esoterikern und Spekulanten überlassen. Nur zu leicht rückt das Mystische in den Vorder- grund und gewinnen Fantasie und Wunschdenken die Oberhand. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde sich dieses Themas mit besonderer Intensität angenommen. Ein übertriebenes National- gefühl und die damit verbundene Weltanschauung, insbesonde- re die germanische Kultur über andere Kulturen zu stellen, prägte die Sichtweise und Auseinandersetzung mit diesen Steinmo- numenten im Dritten Reich. Die Vorgeschichte wurde in den Dienst der Politik gestellt, die Wissenschaft der Archäologie und ihre Quellen für politische Ziele missbraucht. Es ging nicht um ein exaktes wissenschaftliches Arbeiten, sondern es wurde der Versuch unternommen, ideologische Vorgaben mit Rekonstruk- tionen zu bestätigen. Nach 1945 war die wissenschaftliche Ar- chäologie zunächst bemüht, weiterführende Deutungen aufzu- geben. Man suchte die Materialbasis zu vergrößern, vermied überzogene, einseitige Auslegungen und war um Ausdeutungen frei von Vorurteilen und ideologischen Ausrichtungen bemüht. Übervorsichtig wagte man sich an die Deutung der nüchternen wissenschaftlichen Fakten. Dies war die Stunde der Laien- forscher und Hobbyarchäologen. Abenteuerliche Spekulationen wurden zu Fakten, Glauben zu Wissen.
Die Grenzen einer historischen Ausdeutung sind eng gesteckt. Viele Monumente bleiben uns verschlossen. Es gibt zahlreiche Vermutungen, aber wenige schlüssige Beweise. Dennoch wollen wir versuchen, möglichst sachlich die verschiedenen Blickrichtungen zu beleuchten und den geschichtlichen Informationswert dieser Kulturdenkmäler aufzuzeigen.
Nach dem Gesetz verstehen wir unter Kulturdenkmälern „Ge- genstände aus vergangener Zeit“, die Zeugnis ablegen vom geis- tigen, künstlerischen, handwerklichen oder technischen Wirken des Menschen und an deren Erhaltung und Pflege aus wissen- schaftlichen Gründen ein öffentliches Interesse besteht. Hierzu zählen neben den Menhiren beispielsweise auch Burghügel, Wallanlagen, Grabhügel und Ruinen römischer Bauten. Die Mehrzahl der archäologischen Denkmäler liegt jedoch im Erd- reich verborgen. Es sind Überreste vor- und frühgeschichtlicher Siedlungen und Bestattungsplätze, die häufig erst zufällig bei Eingriffen in den Boden zutage gefördert werden. Aber auch Einzelfunde sind, da sie Hinweise auf die Anwesenheit des da- maligen Menschen geben können, als „Kulturdenkmäler“ ein- zustufen.
Dr. Ronald Knöchlein (Mainz), der Korrektur las, habe ich für seine stete Hilfsbereitschaft zu danken. Ferner gilt mein Dank dem Kunsthistoriker Karl Janke (Hamburg) für die zahlreichen Gespräche und Hinweise zur kunstgeschichtlichen Betrachtung megalithischer Denkmäler.
Unterstützt wurde ich dankenswerter Weise auch von dem Theo- logen Prof. Dr. Ludger Schenke (Klein-Winternheim). Nicht zuletzt schulde ich Dank dem Verleger Ernst Probst, der die Idee zu dieser Arbeit hatte und mir die Drucklegung ermöglichte.
Abb. 3: Megalithgrab aus der jüngeren Steinzeit in Niedersachsen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2. Was ist ein Menhir?
Der Ausdruck „Menhir“ ist eine bretonische Bezeichnung kelti- schen Ursprungs für ein hochkantig aufgerichtetes Steinmal. Er bedeutet „Langer Stein“ (men = Stein, hir = lang) und fand be- reits Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts als wis- senschaftlicher Begriff Eingang in die archäologische Fachlite- ratur Frankreichs. Schon sehr bald wurde diese Bezeichnung auch für ganz Europa übernommen.1 Der volkstümliche Name, der insbesondere im westdeutschen Raum gebräuchlich ist, lau- tet „Hinkelstein“. Bereits im Mittelalter findet sich der Name „Hinkelstein“, eine missverstandene Ableitung des Wortes „Hünenstein“ (= Riesenstein) über „Hühnerstein“ zum mund- artlichen „Hinkelstein“.2 Daneben kennen wir Bezeichnungen wie „Langer“, „Breiter“, „Hoher“, „Spitzer“ oder „Dicker Stein“, um nur die häufigsten zu nennen.
Menhire sind meist freistehend, einzeln, in Kreisen oder in Rei- hen angeordnet. Sie können künstlich in Form gebracht oder unbearbeitet sein. Einige sind verziert mit Mustern und Spira- len, menschlichen Darstellungen und Gerätschaften, die, wie noch zu zeigen ist, eine zeitliche Einordnung erleichtern. Von den Findlingen - während der Eiszeit verschleppte Felsbrocken - unterscheiden sich die Menhire dadurch, dass sie bewusst ver- tikal in der Erde verankert wurden. Sie sind in der Regel höher als breit. Auch ihre Lage im Gelände weicht von der der Find- linge ab. Menhire sind bevorzugt an Orte wie Berghänge, natür- liche Anhöhen, Wegesränder oder an Wasserstellen und Bach- läufen verbracht worden, immer in freier Flur und von weither sichtbar.
Abb. 4: 12 Meter hoch und mehr als 150 Tonnen schwer ist der Menhir von Kerloas in der Bretagne.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Es sind Steinmale unterschiedlicher Größe. Der größte heute noch aufrechtstehende Stein mit einer Höhe von 12 m und mehr als 150 t Gewicht ist der Menhir von Kerloas bei Plouarzel, westlich von Brest in der Bretagne (Abb. 4). Auch der längste überhaupt bekannte Menhir befindet sich in der Bretagne. Es ist der umgestürzte „Grand Menhir Brisé“ auf der Halbinsel Loc- mariaquer im Departement Morbihan (Abb. 5). Er ist in vier Teile zerbrochen. Ursprünglich etwa 21 m hoch wird sein Ge- wicht auf 350 t geschätzt. Niemand weiß, ob der Stein jemals aufrecht gestanden hat. Ihn mögen Fanatiker umgestürzt haben, oder er bestand schon immer aus mehreren Teilen, die bei der Aufstellung aufeinander getürmt werden sollten, Fragen, die sich heute nicht mehr beantworten lassen. Auch glaubte man An- haltspunkte dafür gefunden zu haben, dass er aufrecht gestan- den hat und erst in geschichtlicher Zeit umstürzte.3 Faszinie- rend bleibt die technische Leistung, die mit dem Transport und einer eventuellen Aufrichtung verbunden gewesen sein muss. Die meisten steinernen Monumente weisen Höhen von 1 bis 3
Abb. 5: Als längster bekannter Menhir gilt der umgestürzte „Grand Menhir Brisé“ auf der Halbinsel Locmariaquer im Departement Morbihan (Bretagne) mit ursprünglich 21 Metern Höhe.
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m auf. Auch in ihrer Form variieren sie. Neben spitzen, obe- liskenartigen Steinsäulen finden sich gedrungene, pyramiden- ähnliche Gebilde. Überwiegend wurden Gesteinsarten wie Quar- zite, Granit-, Kalk- und Sandsteine verwendet, Materialien, die meist in der Nähe des Aufstellungsortes anstehen. Menhire sind weit verbreitet in den unterschiedlichsten Land- schaften mehrerer Kontinente.4 Der Schwerpunkt ihrer Verbrei- tung liegt in Westeuropa, von Südengland, Frankreich über Rheinland-Pfalz und Hessen bis nach Mitteldeutschland. Die Mehrzahl der in Frankreich registrierten Menhire befindet sich in der Bretagne; ihre Zahl in Carnac wird allein auf etwa 4000 geschätzt.5
Flurnamen sind oft ein guter Indikator für vor- und früh- geschichtliche Fundstellen, sie bilden eine wichtige Quelle für die Rekonstruktion früh- und hochmittelalterlicher Besiedlungs- vorgänge und sie liefern häufig den letzten Hinweis auf ein aus- gegangenes Kulturdenkmal. Wie Flurnamen auf erhaltene oder inzwischen eingeebnete Grabhügel verweisen können, wie sich
Abb. 6:„Langer Stein“ von Einselthum, Donnersbergkreis/Pfalz
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
durch sie auch römische Siedlungen oder frühmittelalterliche Friedhöfe erschließen lassen, so sind auch ausgegangene Menhire gelegentlich in Flurnamen überliefert. Namen wie „Hüneroder Hinkelstein“, „Langer“ oder „Dicker Stein“ können die einstige Existenz dieser Steinmale bezeugen.
Flurnamen dienten oder dienen vor allem dazu, dörflichen Be- wohnern eine räumliche Orientierungshilfe zu geben. Da sie auch Besitzverhältnisse aufzeigen, ist ein Großteil der Namen in Ur- kunden, Archiven und Katastern dokumentiert und folglich sehr alt.
Ein schönes Beispiel für eine alte Flurnamenbezeichnung ist der „Lange Stein“ von Einselthum, Donnersbergkreis/Pfalz. Sie stammt aus dem Jahre 1071 und dürfte eine der ältesten urkund- lich erwähnten Nennungen eines Menhirs sein (Abb. 6).6
3. Das archäologische Umfeld
Menhire oder „Hinkelsteine“, wie die volkstümliche Bezeich- nung für diese Denkmäler lautet, sind keine isolierte Erschei- nung, sondern sie stehen, trotz häufiger räumlicher Trennung, in engem kulturellen Zusammenhang mit den zahlreichen Megalithbauten, wie sie in großen Teilen der Alten Welt vom mediterranen Raum bis nach West-, Mittel- und Nordeuropa verbreitet sind.7 Zu nennen sind hier vor allem die Groß- steingräber (Megalithgräber), die sicherlich vielen archäologisch Interessierten aus eigener Anschauung bekannt sind. Und wer kennt nicht die mehrere Kilometer langen Steinreihen im Ge- biet von Carnac (Bretagne) oder das britische Nationalheiligtum Stonehenge? Sie alle sind Denkmäler des megalithischen Typs. Wie Grabhügel, Wallanlagen und Befestigungen jeglicher Art, um nur einige zu nennen, gehören sie zu den eindrucksvollsten archäologischen Kulturdenkmälern. Es handelt sich um Denk- mäler, worunter wir alle Dinge verstehen, die Menschen geschaf- fen haben, an denen Spuren der Geschichte deutlich und ab- lesbar werden, wie einmal treffend formuliert wurde. Es sind einzigartige und unersetzbare Zeugnisse menschlicher Aktivi- täten.8
Aber kehren wir zurück zu den Menhiren. Sie sind, wie die be- reits erwähnten Großsteinbauten, Gegenstand der so genannten Megalithkultur, ein Sammelbegriff für verschiedene archäolo- gische und ethnologische Kulturgruppen9, die dadurch gekenn- zeichnet sind, dass sie für ihre Grab- und Kultbauten mächtige Steine verwandten. Mit dem Begriff „megalithisch“ werden im archäologischen Sprachgebrauch allgemein monumentale Bau- ten umschrieben, die aus großen, gar nicht oder nur geringfügig bearbeiteten Felssteinen bestehen.
Überall auf der Welt fanden Archäologen und Forscher auf ihren Reisen Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts derartige Monumentalbauten. Und so war es nicht weiter verwunderlich, dass ihre weltweite Verbreitung zu der irreführenden Vorstellung führte, es müsse einen inneren Zusammenhang, eine entwicklungsgeschichtliche Beziehung zwischen ihnen geben. Ja, man glaubte sogar an die Werke eines einzigen Megalithvolkes mit gleicher Tradition und gemeinsamer Kultur.
Heute ist man von dieser Auffassung jedoch längst abgekom- men; lediglich ein geschlossenes religiöses System glaubt man hinter den Gemeinsamkeiten erkennen zu können. Auch vertrat noch bis vor wenigen Jahrzehnten die Wissenschaft die Meinung, der Ursprung des Megalithgedankens läge im öst- lichen Mittelmeerraum, im Umfeld mittelmeerischer Hochkul- turen. Neuere architektonische und chronologische Untersuchun- gen belegen jedoch, dass wir mit mehreren eigenständigen, von- einander unabhängigen Entstehungszentren rechnen müssen.10 Und so scheint es, dass in Frankreich die ältesten Megalithbauten ins frühe 5. Jahrtausend v. Chr., in Irland, Schottland und Mit- telengland an den Beginn des 4. Jahrtausends zu datieren sind, während sie in Südskandinavien, Norddeutschland, Südengland und den Niederlanden erst etwa ab der Mitte des 4. Jahrtau- sends auftreten.11 Mit dem Ende des 3. Jahrtausends und dem Aufkommen des ersten Metalls erlischt die Welt der Megali- then. Diesen Zeitraum bezeichnen die Archäologen als Jungsteinzeit oder Neolithikum, eine der einschneidendsten Phasen in der frü- hen Menschheitsgeschichte. Einige wenige typische kulturelle Aspekte mögen diese neue Zeit veranschaulichen. In fast allen menschlichen Bereichen sind grundlegende Ände- rungen festzustellen. Der Jäger und Sammler vorausgegange- ner Epochen wird zum sesshaften Ackerbauern und Viehzüchter, der tierische und pflanzliche Nahrungsmittel produziert und eine Vorratswirtschaft betreibt. Man ist nun nicht mehr bedingungslos von der Natur abhängig.
Diese Umstellung bringt gleichzeitig neue Techniken mit sich. Die tierische und pflanzliche Kost wird in Gefäßen aus Ton zu- bereitet, die hergestellt werden müssen. In gerodeten Wäldern entstehen feste Häuser, die den Menschen von jahreszeitlichen Klimaschwankungen unabhängig machen. Um den Boden be- arbeiten und dauerhafte Behausungen errichten zu können, ist es notwendig, neuartige Werkzeuge zu entwickeln. Es entsteht die Axt. Sie ist aus Fels- oder Feuerstein und nicht selten sorg- fältig geschliffen und poliert. Der Bedarf an Feuerstein ist so groß, dass er bergmännisch abgebaut werden muss. Neben klei- nen Abbaustätten in Süddeutschland ist uns jungsteinzeitlicher Feuersteinbergbau vor allem aus England, Belgien, Frankreich, Dänemark und Polen überliefert. Damit auch dem vorgeschicht- lichen Menschen unserer Breiten das Rohmaterial ausreichend zur Verfügung stand, musste ein Handel organisiert werden. Auch in den religiösen Vorstellungen der Bevölkerung trat eine Veränderung ein. Die sorgfältigere Bestattung der Toten und der damit verbundene Glaube an ein Weiterleben nach dem Tode standen offenbar im Mittelpunkt des kultischen Lebens. Erst- mals wurden größere Friedhöfe angelegt. Diese Summe der technischen, wirtschaftlichen und geistigen Veränderungen bezeichnet man als „Neolithische Revolution“, ein Begriff der 1936 von dem englischen Prähistoriker V. Gordon Childe (1892-1957) in Anlehnung an die industrielle Revolution der Neuzeit geprägt wurde. Bis heute ist jedoch unklar, wie es zu dieser relativ plötzlich veränderten kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Ordnung kommen konnte.
Abb. 7: Ölgemälde „Hünengrab im Winter“ (1824/25) von Johan Christian Dahl
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
4. Megalithische Steinmonumente
Neben den Einzelmenhiren gehören zur Megalithkultur, wie bereits angedeutet, Großsteingräber, Steinreihen oder -setzungen und Megalithtempel. Ein kurzer Überblick soll die Vielfalt dieser von unterschiedlicher Herkunft und Verbreitung geprägten Kulturerscheinungen streifen.
Die bekannteste Gruppe von Steinbauten im vorgeschichtlichen Europa bilden die Großstein- oder Megalithgräber, im Volks- mund auch Hünengräber oder Hünenbetten genannt. Es sind oberirdisch aus großen Steinen errichtete und durch eine Viel- falt baulicher Varianten gekennzeichnete Grabkammern (Abb. 3). Sie gehören insbesondere in Nord- und Westeuropa zu den charakteristischen, heute noch obertägig sichtbaren archäologischen Denkmälern.
Das gemeinsame Konstruktionsprinzip der Großsteingräber sind zwei aufrechte Träger- und ein Deckstein. Glaubte man noch im 19. Jahrhundert, alle heute freistehenden Anlagen hätten einst unter einer Erd- oder Steinaufschüttung gelegen, so wird heute die Ansicht vertreten, dass nur ein Teil von ihnen überhügelt war.12
Schätzungsweise 40000 bis 50000 von ihnen sind noch erhal- ten. Ursprünglich mögen es einmal doppelt so viele gewesen sein. Die meisten von ihnen befinden sich in Portugal, Spanien, Großbritannien, Frankreich, Irland, Skandinavien und Nord- deutschland.13
Agrarreformen, intensivierte Landwirtschaft sowie verstärkte Straßenbautätigkeit führten zu einer systematischen Zerstörung insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert. Großsteingräber wa- ren billige Rohstofflieferanten, sie mussten als Steinbruch her- halten oder aber sie störten bei der Feldbestellung und mussten deshalb verschwinden. Nachweislich sind in Norddeutschland viele Steine in Kirchenfundamente oder anderen Gebäuden ver- baut worden.14 Ein Beispiel mag die Vernichtung dieser Monu- mente innerhalb einer verhältnismäßig kurzen historischen Zeit- spanne verdeutlichen.
Von den in der Gegend um Uelzen im Jahre 1846 gezählten 219 Megalithgräbern sind heute nur noch 16, durchweg beschädigte Gräber erhalten. Der Rest wurde zerstört, beseitigt und gesprengt, weil er zumeist der Landwirtschaft im Wege war.15 Gräber enthalten in der Regel Beigaben, die aufgrund religiöser Vorstellungen oder der gesellschaftlichen Position des Verstor- benen mitgegeben wurden und an denen die Zeitstellung einer Bestattung abzulesen ist. Bei einem Grab ist allgemein davon auszugehen, dass alle Funde gleichzeitig in die Erde gelangt sind und somit eine einheitliche zeitliche Einordnung erfolgen kann.
Problematisch hingegen ist die Zeitansprache der Großstein- gräber. Ihre Grabkammern waren häufig über einen längeren Zeitraum zugänglich, so dass weitere Bestattungen eingebracht werden konnten. Dies hatte zwangsläufig Störungen und Ver- änderungen des Befundes zur Folge.16 Wir kennen Groß- steingräber mit über 200 innerhalb eines längeren Zeitraumes beigesetzten Bestattungen. Hier gestaltet sich die Altersbe- stimmung naturgemäß sehr schwierig, da oft nicht zu entschei- den ist, welche Beigaben zu welcher Bestattung gehören. Allgemein lässt sich sagen, dass Großsteingräber verschiede- nen jungsteinzeitlichen Kulturen angehören. Die meisten stam- men aus dem 4. und 3. Jahrtausend. In Skandinavien, Nord- deutschland, den Niederlanden und Polen sind die Megalith- gräber mit der so genannten Trichterbecherkultur verbunden, ein Begriff, unter dem die Wissenschaft mehrere Kulturen zusammenfasst und deren Name sich von einer für jene Gruppen und jene Zeit typischen Gefäßform herleitet. Es waren sesshafte Ackerbauern und Viehzüchter, die schon z.T. in befestigten Siedlungen lebten. Erst mit der Trichterbecherkultur fand der Getreideanbau von Weizen, Gerste, Einkorn und Emmer Eingang in die Agrarwirtschaft Norddeutschlands. Unter den Haustieren herrschten Rind und Schwein vor.
Jeder Tote bekam Beigaben mit ins Grab. Vor allem Keramikgefäße gehören zum Inventar.
Neben der Tonware, die etwa 90 % des Fundgutes ausmacht, stellte man Beile, Bohrer und andere Werkzeuge aus Feuer- oder Felsgestein her. Die wichtigste Waffe war die Streitaxt. Einen bedeutenden Anteil am Grabinventar haben Schmuck- gegenstände. Durchlochte Tierzähne, Bernstein- und Gagat- perlen dienten als Schmuck. Manche Rohstoffe mussten von weither herangeschafft werden. Für die Tauschgeschäfte mit den Handelspartnern in entfernten Gebieten mussten Handelswege aufgebaut werden. In dieser Zeit finden sich schon vereinzelt Objekte aus Metall, fast ausschließlich aus Kupfer. Dies weist auf einen Fernhandel hin. Wie dieser allerdings genau organi- siert war, lässt sich nur vermuten. Mit Einbäumen oder auf be- festigten Moorwegen erfolgte der Transport der Waren und mit ihnen wurden Ideen, religiöse Anschauungen und technisches Wissen vermittelt.
Großsteingräber waren nicht nur Bestattungsplätze sondern auch kultische Zentren. Gefäßbruchstücke und Tierknochen im Eingangsbereich und in den Vorkammern sowie Brandspuren an Opferbeigaben belegen, dass hier Feiern zu Ehren der Verstorbenen abgehalten wurden. Es waren heilige Bezirke, Erinnerungsstätten für die Toten.
Monolithische Anlagen, die aus vielen Steinen bestehen, wer- den als Steinsetzungen bezeichnet. Sie sind entweder in Reihen oder Alleen, Kreisen, Ellipsen oder in Vierecken angeordnet und
Abb. 8: Die Steinallee von Carnac umfasste einst etwa 10000 Menhire.
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Abb. 9: Stonehenge (Bild Mitte und unten): Britisches Nationalheiligtum
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zählen neben den Großsteingräbern zu den beeindruckendsten Zeugnissen früherer Baumeister. Die Bretagne ist das klassische Land der Menhire und Stein- alleen (Alignements). Zu den wohl am meisten beachteten me- galithischen Denkmälern in der Umgebung von Carnac gehö- ren ohne Zweifel die komplexen Steinalleen. Nach neueren Schätzungen dürften es einmal um die 10000 aufrechten Steine gewesen sein (Abb. 8).17 Bevor geeignete Schutzmaßnahmen getroffen werden konnten, wurden viele Steine in handlichere Stücke zerlegt und in die bäuerlichen Häuser vermauert, wie sich heute noch erkennen lässt. Besonders hervorzuheben sind die Steinalleen von Ménec, Kermario, Kerlescan und Petit Ménec, die sich auf einer Länge von knapp vier Kilometern er- strecken. Man vermutet, dass das gesamte Steinensemble ein- mal doppelt so groß war.
Allein das Feld von Ménec umfasst eine Gesamtlänge von 1167 m mit insgesamt 1099 Steinmalen, verteilt auf 11 parallel ver- laufende Steinreihen.18 Es sind allesamt unbearbeitete Felsblö- cke. Im westlichen Ende der Allee erreichen die Steine teilwei- se eine Höhe von 4 m, nehmen dann zur Mitte mehr oder weni- ger stetig an Höhe ab, um dann gegen das Ostende wieder bis auf 2 m Höhe anzusteigen.19 Den Abschluss beider Enden bil- den halbkreisförmige Steinsetzungen (Cromlechs).
Die wohl bekannteste Megalithanlage ist Stonehenge, nicht weit von der südenglischen Stadt Salisbury gelegen (Abb. 9). Schon im 12. Jahrhundert wird die Anlage schriftlich erwähnt; seit dem 14. Jahrhundert gibt es davon bildliche Darstellungen.20 Ohne Zweifel stellt Stonehenge das populärste vorgeschichtliche Bau- werk Europas dar. Über Stonehenge wurde mehr geschrieben als über jeden anderen archäologisch bedeutsamen Ort. Das Besondere dieser Anlage ist die Bautechnik. Kreisförmige und ellipsoide Steinsetzungen sowie Wall und Graben umzie- hen die Anlage, die aufgrund der Ausgrabungsergebnisse in mehreren Phasen vom späten Neolithikum bis zur Späten Bron- zezeit errichtet wurde. Decksteine, mit einer Art Nut und Feder verbunden, wurden mit senkrecht stehenden Tragsteinen ver- zapft. Bis auf eine Stele außerhalb der Anlage sind sämtliche Steine nicht naturbelassen, sondern in ihre Form gehauen wor- den, eine wegen des harten Gesteins recht langwierige Arbeit. Auf eine weitere architektonische Besonderheit sei noch ver- wiesen. Die Erbauer hatten, in Anlehnung an die aus der grie- chischen Architektur bekannte „Entasis“, die Steinpfeiler nach oben verjüngen lassen, vielleicht der Versuch, die scheinbare Höhe der Steine durch eine optische Illusion zu steigern. Damit wurde ihnen gleichzeitig die Starrheit genommen.21
Als letzte Gruppe der megalithischen Monumente wollen wir einen kurzen Blick auf die Megalithtempel werfen. Die meisten von ihnen finden sich im Mittelmeerraum, auf den Inseln Malta und Gozo. Es sind gigantische Bauten, deren Mauern aus riesi- gen Steinblöcken bestehen, die wahrscheinlich einen Dachstuhl aus Holzbalken mit Strohmatten trugen. Charakteristikum die- ser Bauten ist ein vielgliedriger Grundriss mit mehreren Apsi- den (Abb. 10).
Es waren weder Wohnräume noch Bauten für die Grabstätten. Sie dienten als Heiligtum, da man in ihnen Skulpturen weibli- cher Figuren fand, offensichtlich personifizierte Gottheiten. Daneben bezeugen auch spiralverzierte oder mit Tierfriesen or- namentierte Altäre den kultischen Charakter dieser Anlagen. Tieropfer und Funde von rituell zerschlagenen Gefäßen unter- streichen weiter die sakrale Funktion dieser aus dem vierten vor- christlichen Jahrtausend stammenden Monumentalbauten.22
Abb. 10: Megalithtempel auf der Insel Malta
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Abb. 11: Findlinge dienten oft als Material für megalithische Denkmäler.
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5. Die Gewinnung des Baumaterials
Petrographische und geologische Analysen können Hinweise über die Herkunft des Steinmaterials geben, aus dem die Monumentalbauten bestehen. So fand man heraus, dass für eine Reihe der megalithischen Denkmäler Material von weither herangeschafft werden musste.
Im Allgemeinen spiegelt jedoch das Gesteinsmaterial die örtli- che Gegebenheit wider. Untersuchungen an rheinhessischen Monolithen beispielsweise ergaben, dass diese fast ausnahms- los aus Gestein vom Umfeld ihrer heutigen Standorte beste- hen.23 Häufig wählte der prähistorische Mensch erratische Blöcke, die sich nahe des Aufstellungsortes fanden. Für Norddeutschland ist die Frage nach der Herkunft des Baumaterials leicht zu be- antworten. Bevorzugtes Material sind hier Findlinge, die die Gletscher der letzten Eiszeit aus Skandinavien herantransportiert hatten (Abb. 11).
Mussten die Blöcke aus dem anstehenden Stein gelöst werden, so geschah dies durch das Zusammenwirken von Feuer und Wasser. Möglicherweise wurde auch die bis in die Neuzeit übliche Methode der Steinsprengung angewandt. Man trieb in die Steinspalten Holzkeile, brachte sie mit Wasser zum Quellen, so dass der Stein auseinander brach.
Im Rahmen gesteinskundlicher Untersuchungen entdeckte man Steinbrüche aus prähistorischer Zeit, aus denen große Felsblö- cke herausgebrochen waren. Von Arbeitern zurückgelassene Werkzeuge geben Aufschluss über die Techniken der Stein- gewinnung. Spitzhacken aus Hirschgeweih und Schaufeln aus den Schulterblättern von Rindern sind die gebräuchlichsten Gerätschaften.
In dieser Zeit, in der das Metall noch nicht bekannt war, konnte natürlich nur sehr weiches Gestein geschnitten werden. Dennoch hat man Hinweise für die Bearbeitung härteren Gesteins mit Steinhämmern und -fäusteln gefunden.24 Viele unvollendete Säulen lassen diese Technik erkennen.
Um Aufschlüsse über bestimmte Aspekte der Vergangenheit, insbesondere der Lebens- und Arbeitsbedingungen prähistori- scher Menschen zu erhalten, hat sich schon früh ein Forschungs- zweig entwickelt, die so genannte „Experimentelle Archäolo- gie“.
Mit Hilfe experimentell-archäologischer und ethnologischer Vergleichsdaten wird versucht, Theorien und Überlegungen zu bestimmten technischen Problemen vor- und frühgeschichtlicher Kulturen zu überprüfen, sie zu analysieren, um auf diese Weise entweder vorhandene Kenntnisse zu bestätigen oder um zu neuen Fragestellungen bzw. Forschungsansätzen zu gelangen. „Mit Hilfe der experimentellen Archäologie wird die Vorstellung über die Leistung des früheren Menschen auf eine reale Basis ge- stellt und das Feld für freie Spekulationen eingeengt.“25
Ein frühes Beispiel für experimentelle Archäologie sind Versu- che und Beobachtungen des englischen Generals und Vaters der britischen Archäologie A. H. Pitt-Rivers (1827-1900) aus dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. Er berichtet als einer der ersten Archäologen - heute würden wir sagen in einem „Lang- zeitversuch“ - über die Erosion von Gräben und Wällen. Sein Ziel war es, den Zeitraum zu ermitteln, der erforderlich war, um die Gräben zuschwemmen und versanden, die Wälle erodieren und verfallen zu lassen, um gleichzeitig die Zeit zu messen, die verstrichen war, seit die Gräben ausgehoben und die Wälle auf- geschüttet worden waren.26
Ende des Zweiten Weltkrieges waren es dann besonders For- scher in Großbritannien und Dänemark, die auf experimentel- lem Wege versuchten, unter ähnlichen Bedingungen, wie man sie für die Vorzeit annahm, die vorgeschichtliche Welt zu re- konstruieren. Ihre Experimente galten vor allem dem Transport und der Aufrichtung steinerner Monumente. Hier bot sich na- türlich die bretonische Megalithkultur und vor allem Stonehenge an, das Ausgangspunkt für zahlreiche Versuche werden sollte. Zwei Beispiele mögen die gewaltigen Leistungen der Mega- lith-Erbauer verdeutlichen: Man hat berechnet, dass das Behau- en und Polieren eines großen ägyptischen Obelisken vierhun- dert Menschen etwa 15 Monate beschäftigt haben muss. Als Arbeitsgeräte dienten 5 kg schwere Steinkugeln, die man mit beiden Händen als Steinfäustel benutzte.27
Welche Mühen die Herausformung von hartem Gestein gekostet haben muss, lässt sich auch am Beispiel von Stonehenge demonstrieren. Experimente ergaben, dass 50 Steinmetze, bei einer täglichen Arbeitszeit von 10 Stunden fast drei Jahre gebraucht hätten, um die Steinkreise in der Mitte der Anlage in die endgültige Form zu bringen.28
Abb. 12: Transport einer großen steinernen Statue im Alten Ägypten
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6. Der Transport der Steine
Wie der Name schon sagt, sind Megalithe sehr große und schwere Steinmonumente, deren Transport unter vorgeschichtlichen Be- dingungen mit einfachen technischen Hilfsmitteln die Archäo- logen lange Zeit vor erhebliche Probleme stellte und Anlass zu vielerlei Spekulationen gab. Es wurden die ausgefallendsten Hypothesen über die verwendeten Techniken aufgestellt. Man brachte die gewaltigen Steine mit übernatürlichen Wesen in Verbindung. So soll nach einem Manuskript aus dem 14. Jahr- hundert der Riese Merlin, Zauberer und Prophet der Artussage, der legendäre Erbauer von Stonehenge gewesen sein.29 Bis weit in das 18. Jahrhundert hinein wurde die Auffassung vertreten, nur Riesen seien imstande gewesen, derartige Steine zu bewe- gen.30
Die verfügbaren Energiequellen in der Vorgeschichte waren im Vergleich mit unseren heutigen sehr begrenzt. Im wesentlichen wurde alle Arbeit vom Menschen oder vom Tier verrichtet. Wie zahlreiche Experimente zeigen, hat es verschiedene Mög- lichkeiten gegeben, schwere Steine ohne komplizierte Maschi- nen zu bewegen. Besonders eindrucksvoll ist eine Darstellung aus dem Alten Ägypten (Abb. 12). Dort wird über den Trans- port einer 7 m hohen Alabasterstatue des Prinzen Djehutihetep berichtet. 90 Personen ziehen die Statue, deren Gewicht mit 60 Tonnen angenommen wird, auf einem hölzernen Schlitten. Auf den Knien der Statue steht ein Mann, der mit den Händen den Arbeitstakt schlägt. Die Laute werden von einem Mann mit ei- ner Klapper verstärkt. Um die Gleitfähigkeit zu erhöhen, gießt ein anderer Wasser vor den Schlitten. Dieses Wasser wird von drei Trägern angeliefert. Drei weitere Männer tragen Hebebalken, um den Schlitten über Unebenheiten hinwegzuhelfen. Hinter ihnen gehen Ersatzleute sowie drei Aufseher, kenntlich an den mitgeführten Stöcken. Schließlich sorgen sechs Gruppen von je zehn Kriegern mit Peitschen und Keulen für den reibungslosen Ablauf des Unternehmens.
Von den 174 dargestellten Männern sind somit nur 99 aktiv an der Arbeit beteiligt, der Rest überwacht die Arbeiter und treibt sie an. Gehen wir davon aus, dass die Zahl der dargestellten Arbeitskräfte der Zahl der Arbeiter entspricht, die zur Beförde- rung der Statue erforderlich waren, so konnten 99 Männer 60 Tonnen bewegen, eine für diese extrem schwere Last erstaun- lich geringe Zahl von Männern. Das Relief zeigt weiter, welche organisatorischen Vorkehrungen nötig waren, um mit relativ geringem technischen Aufwand derartige Leistungen zu voll- bringen. Auch zeigt der Ablauf des Dargestellten, dass die Or- ganisatoren solcher Unternehmen gewisse physikalische Grund- kenntnisse besaßen.31
Zumeist wurde Gestein ausgesucht, welches sich in unmittelba- rer Nähe befand. War dies nicht der Fall, so musste das Gesteins- material oft über weite Strecken herangeholt werden. Der heute noch aufrecht stehende Menhir von Kerloas in der Bretagne mit mehr als 150 Tonnen Eigengewicht wurde nach- weislich bei einem Höhenunterschied von ungefähr 100 m 2,5 km weit zu seinem Bestimmungsort transportiert (Abb. 4).32 Am Beispiel Stonehenge, dessen Kern aus verschiedenen Stein- arten besteht, lässt sich wiederum recht anschaulich zeigen, welche gigantischen Leistungen vollbracht werden mussten, um das nicht am Ort vorhandene Gestein heranzuschaffen. Die Er- richtung von Stonehenge gehört zu den bemerkenswertesten technischen Leistungen vorgeschichtlicher Baukunst.
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- Arbeit zitieren
- Detert Zylmann (Autor:in), 2003, Das Rätsel der Menhire, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92304
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