Die vorliegende Arbeit soll sich mit den Revolutionsereignissen des Jahres 1848/49 und deren Folgeerscheinungen während der Reaktionsära in den 1850er Jahren beschäftigen. Neben der Schilderung der Ereignisse und deren Einordnung in den historischen Kontext werden die Geschehnisse der neuen alten Zeit nach der „gescheiterten“ Revolution vor dem Hintergrund August Ludwig von Rochaus Werk „Grundzüge der Realpolitik“ näher beleuchtet und mit anderen ideengeschichtlichen Ansätzen, insbesondere denen Karl August Varnhagen von Enses, verglichen. Da beide Publizisten und Politiker zur Zeit der hier zu behandelnden Ereignisse in Berlin wirkten und überdies hinaus Preußen die treibende Kraft der Reaktionszeit war, werden die Revolutionsereignisse außerhalb Preußens nicht näher behandelt. Der eigentlichen Revolution im März 1848 ging eine schwere Zeit voraus. 1846 kam es zu Mißernten, worauf ein erbarmungsloser Hungerwinter folgte, der überall in Zentraleuropa Teuerungsraten und damit Hungersnöte vor allem in den ländlichen Gebieten verursachte. Ebenso der vorindustrielle Pauperismus in den Arbeiterschichten führte zu einer Radikalisierung weiter Teile der Bevölkerung, da es den Regierungen nicht gelungen war, den sozialen Mißständen mit durchgreifenden Reformprogrammen zu begegnen.
Das Fortschreiten der industriellen Revolution und ein sprunghaft ansteigender Bevölkerungszuwachs führten zu Massenarbeitslosigkeit und Massenverelendung bei den sozial benachteiligten Menschen, die mit den sich rasch ändernden Lebens- und Arbeitsbedingungen nicht mithalten konnten. Aus dieser Notlage heraus entwickelte sich ein Unmut, der schon in den Jahren vor den Märzereignissen den Keim für eine gewaltsame Erhebung in sich barg. Neben der neuen sozialen Schicht, dem Proletariat, deren einziger Besitz, wie der Name schon sagt, aus Kinderreichtum bestand, mußte auch das wohlhabende Bürgertum am Anfang des 19. Jahrhunderts zunehmend mit wirtschaftlichen Einbußen zurechtkommen, da die restriktive Zollpolitik der Duodezfürsten den freien Handel und somit ausreichende Gewinne der Unternehmer behinderte. Mit der Gründung des Deutschen Zollvereins 1833 wurde dieser wirtschaftshemmende Zustand jedoch behoben, und das gewerbetreibende
Bürgertum erlebte wieder bessere Zeiten.
Inhalt
1. Vorbemerkung
2. Die Revolution 1848/49
2.1. Später Vormärz
2.2. Soziale Zersplitterung
2.3. Die Anfänge der Revolution – Frankreich und Österreich
2.4. Die Anfänge der Revolution in Preußen
2.5. Die Patentverlesung des Königs
2.6. Der Ausbruch der Kampfhandlungen
2.7. Der König knickt ein
2.8. Das doppelte Spiel des Königs
2.9. In Preußen nichts Neues
2.10. Erneute Unruhen
2.11. Der Gegenschlag der alten Eliten
2.12. Das Frankfurter Parlament
2.13. Demokratie in den Kinderschuhen
2.14. Der gescheiterte kleindeutsche Verfassungsentwurf
2.15. Das Ende der Revolution
3. Die 1850er Jahre als Reaktionszeit
3.1. Restauration und Rangstreitigkeiten
3.2. Die preußisch-österreichische Krise
3.3. Der Bundesreaktionsbeschluß
3.4. Maßnahmen des Bundesreaktionsbeschlusses
3.5. Die Auswirkungen des Bundesreaktionsbeschlusses
3.6. Die Verbote durch das Bundespresse- und Vereinsgesetz
3.7. Der Polizeiverein
3.8. Der Deutsche Bund als Zentralstaat
3.9. Preußen und Österreich – Zwei unterschiedliche Reaktionen
3.10. Das Ende der Reaktionsära
4. August Ludwig von Rochaus Realpolitik im Spiegel der Zeit
4.1. Vom Radikaldemokraten zum Realliberalen
4.2. Rochau im Zentrum der deutschen Bewegung
4.3. Ein gemäßigter, aber kritischer Liberaler
4.4. Das ganze Deutschland soll es sein
4.5. Rochaus Erwartungen an die kommende Regierungsform
4.6. Verfassungsstaat und Staatsgewalt
4.7. Rochaus Ratlosigkeit nach dem gescheiterten Verfassungsentwurf
4.8. Rochaus Wandlung zum Realpolitiker
4.9. Politik und reale Macht
4.10. Rochau und Preußen – Zwischen Resignation und Hoffen
4.11. Der Erfolg als Maß aller Moral
4.12. Rochaus Realpolitik 1853
4.13. Preußischer Dualismus in Rochaus Politik
4.14. Rochaus Angst vor Gespenstern
4.15. Das Scheitern der Revolution und Rochaus Hinwendung zur Erfolgspolitik
4.16. Rochaus Zweiter Teil der Realpolitik
5. Karl August Varnhagen von Enses Kommentare zum Zeitgeschehen
5.1. Ein anderer Lebensweg eines Liberalen
5.2. Varnhagen während der Revolution
5.3. Varnhagen immer noch ein Königstreuer
5.4. Resignation macht sich breit
5.5. Varnhagens Absage an Preußens Staatswesen
5.6. Der „rote“ Varnhagen während der Reaktionszeit
5.7. Der resignierte Varnhagen am Ende der Reaktion und seines Lebens
6. Resümee
Bibliographie/Abbildungsverzeichnis
Anhang
1. Vorbemerkung
Die vorliegende Arbeit soll sich mit den Revolutionsereignissen des Jahres 1848/49 und deren Folgeerscheinungen während der Reaktionsära in den 1850er Jahren beschäftigen. Neben der Schilderung der Ereignisse und deren Einordnung in den historischen Kontext werden die Geschehnisse der neuen alten Zeit nach der „gescheiterten“ Revolution vor dem Hintergrund August Ludwig von Rochaus Werk „Grundzüge der Realpolitik“ näher beleuchtet und mit anderen ideengeschichtlichen Ansätzen, insbesondere denen Karl August Varnhagen von Enses, verglichen. Da beide Publizisten und Politiker zur Zeit der hier zu behandelnden Ereignisse in Berlin wirkten und überdies hinaus Preußen die treibende Kraft der Reaktionszeit war, werden die Revolutionsereignisse außerhalb Preußens nicht näher behandelt.
2. Die Revolution 1848/49
2.1. Später Vormärz
Der eigentlichen Revolution im März 1848 ging eine schwere Zeit voraus. 1846 kam es zu Mißernten, worauf ein erbarmungsloser Hungerwinter folgte, der überall in Zentraleuropa Teuerungsraten und damit Hungersnöte vor allem in den ländlichen Gebieten verursachte. Ebenso der vorindustrielle Pauperismus in den Arbeiterschichten führte zu einer Radikalisierung weiter Teile der Bevölkerung, da es den Regierungen nicht gelungen war, den sozialen Mißständen mit durchgreifenden Reformprogrammen zu begegnen.[1]
Das Fortschreiten der industriellen Revolution und ein sprunghaft ansteigender Bevölkerungszuwachs führten zu Massenarbeitslosigkeit und Massenverelendung bei den sozial benachteiligten Menschen, die mit den sich rasch ändernden Lebens- und Arbeitsbedingungen nicht mithalten konnten. Aus dieser Notlage heraus entwickelte sich ein Unmut, der schon in den Jahren vor den Märzereignissen den Keim für eine gewaltsame Erhebung in sich barg.[2]
2.2. Soziale Zersplitterung
Neben der neuen sozialen Schicht, dem Proletariat, deren einziger Besitz, wie der Name schon sagt, aus Kinderreichtum bestand, mußte auch das wohlhabende Bürgertum am Anfang des 19. Jahrhunderts zunehmend mit wirtschaftlichen Einbußen zurechtkommen, da die restriktive Zollpolitik der Duodezfürsten den freien Handel und somit ausreichende Gewinne der Unternehmer behinderte. Mit der Gründung des Deutschen Zollvereins 1833 wurde dieser wirtschaftshemmende Zustand jedoch behoben, und das gewerbetreibende Bürgertum erlebte wieder bessere Zeiten.
Dem Arbeiter nützte die Liberalisierung des Handels allerdings wenig, wodurch sich die Kluft zwischen Proletariat und Bürgertum vergrößerte.[3] Dies mag unter anderem einer der Gründe gewesen sein, weshalb die Revolution in Deutschland „scheiterte.“ Die deutsche Bevölkerung fühlte sich aufgrund der Interessensunterschiede der mittleren und niederen Stände nicht als „ein Volk,“ sondern lediglich als Masse, die in ihren unterschiedlichen Strömungen nicht kontrolliert in eine Richtung geschlossen vorgehen konnte.[4]
2.3. Die Anfänge der Revolution – Frankreich und Österreich
In Frankreich fiel mit der Volkserhebung im Februar der Startschuß für eine Revolutionswelle, die weite Teile Europas erfassen sollte und auch das deutsche Volk veranlaßte, für den Traum der „freien Republik“ gegen die Monarchie zu den Waffen zu greifen.[5]
Zunächst brodelte der Volkszorn Anfang März 1848 in den ländlichen Regionen Süd- und Südwestdeutschlands, vor allem in Baden, breitete sich aber schnell auf viele andere Gebiete des Deutschen Bundes aus. In den Städten erhoben sich ebenfalls die Massen und machten auf Großdemonstrationen ihrem Unmut gegen die stetig schlechter werdenden Lebensbedingungen und die scheinbare Unfähigkeit der regierenden Fürsten Luft.[6]
Zwischen dem 13. und 15. März des Revolutionsjahres zwangen bewaffnete Untertanen, die nun Bürger geheißen werden wollten, im Zentrum des restaurativen Wien, dem Sitz der Bundespräsidialmacht, die graue Eminenz der habsburgischen Restaurationspolitik unter wüsten Verwünschungen – „Metternich, Metternich! Unser Fluch kommt über dich!“ – wie auch die Franzosen „ihren“ Louis Philippe ins englische Exil.[7]
2.4. Die Anfänge der Revolution in Preußen
In Preußen gärte es ebenfalls bedrohlich. Zu der aufständischen Landbevölkerung gesellten sich zunehmend liberale und demokratische Kräfte aus dem Bürgertum, was die Regierungen auf deutschem Boden vor große Herausforderungen stellte. Schon seit dem 6. März kam es in Berlin vor der Gaststätte „Zu den Zelten“ zu Volksaufläufen, wo revolutionäre Kräfte die Zustände im Land scharf kritisierten und die Bevölkerung zu einer allgemeinen Verbrüderung aufriefen. Arbeiter, Handwerksgesellen, Klein- und freiheitlich gesonnene Bürger waren nun aufgefordert, gemeinsam für ein rechtstaatliches und demokratisches Vaterland auf der Grundlage einer bürgerlichen Verfassung den Kampf aufzunehmen.[8]
Die preußische Obrigkeit begegnete dem Aufbegehren mit Gewalt und ging am 13. März militärisch gegen die Aufständischen vor. Das Brandenburger Tor wurde von berittenen Einheiten besetzt, in der Stadt Kanonen in Stellung gebracht und Zeughaus und Schloß mit verstärkter Wachmannschaft gesichert.
Doch am Abend des 13. März versammelten sich erneut zehntausend aufgebrachte Berliner vor den „Zelten“ im Tiergarten und bewiesen damit der Regierung, daß sie nicht gewillt waren, sich durch die erhöhte Militärpräsenz und die aufgefahrene Drohkulisse einschüchtern zu lassen.[9]
Unbeirrt setzten die Berliner Bürger in den folgenden Tagen ihre Proteste fort, bis endlich am 17. März eine Abordnung auf Beschluß der Bürgerversammlung dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. eine Protestnote mit deutlichen Forderungen zugunsten der Erhebung überbrachte. Dem Inhalt der Forderung zufolge bedrängten sie den Monarchen, das Militär wieder abzuziehen, einer bewaffneten Bürgergarde zuzustimmen, endlich für die Gewährung der unbedingten Pressefreiheit Sorge zu tragen und schließlich einen vereinigten Landtag einzuberufen.[10]
2.5. Die Patentverlesung des Königs
Nachdem bekannt wurde, daß man dem König eine solche Forderung überbracht hatte, sammelten sich neugierige Berliner zu Tausenden in den frühen Morgenstunden des Folgetages auf dem Schloßplatz, um der erwarteten Huldigung des Souveräns an sein Volk beizuwohnen. Der Preußenkönig war alles andere als geneigt, sich dem Druck des Pöbels zu beugen, mußte angesichts der aufgebrachten Masse jedoch vorerst seine Zustimmung zu den Forderungen erteilen.
An jenem 18. März 1848 verlas der Preußenkönig ein Patent, in dem er vorerst klein bei gab und versprach, die Forderungen der Untertanen erfüllen zu wollen. Direkt im Anschluß an die Verlesung lösten sich zwei Schüsse, allem Anschein nach unbeabsichtigt, die dennoch zu panischen Tumulten auf dem Schloßplatz führten. Die Situation geriet außer Kontrolle.[11]
2.6. Der Ausbruch der Kampfhandlungen
Nun reagierte Friedrich Wilhelm IV. auf die neue Situation mit grollendem Kanonendonner und gefällten, haßblitzenden Bajonetten seiner Soldaten. Damit zwang er seine Untertanen in die verlustreichen und bis zuletzt erbittert geführten Barrikadenkämpfe.
2.7. Der König knickt ein
Doch alles Blutvergießen konnte den Wagemut der Verzweifelten nicht brechen. Wie einst der große Varus am einigen Volkswillen in Heinrich von Kleists Herrmannschlacht scheiterte,[12] so mußte nun auch der Preuße erkennen, daß sein Thron ins Wanken geriet. Die Berliner brachen „den Widerstand von Adel und Krone. (…) Der preußische König mußte am 19. März sein Haupt vor den gefallenen Barrikadenkämpfern beugen.“[13]
Friedrich Wilhelm IV. zog seine Truppen an diesem Tag aus Berlin ab und hinterließ mehrere Hundert Tote und weit über Tausend Verletzte, die auf beiden Seiten zu beklagen waren. Der König war gezwungen, vor den Märzgefallenen seinen Hut zu ziehen und öffentlich seine Sympathie für die Revolutionäre zu bekunden.
Die alten Lützower Farben, Schwarz-Rot-Gold, die mit Pulver, Blut und Hoffnung von teurem und jungem Heldenblut vor einer Generation tapfer im Namen der Freiheit erkämpft wurden, zierten nun den Monarchen und das Volk in gleicher Weise. Mit schwarz-rot-goldenem Ärmelband erwies der Preuße den Gefallenen am 22. März die letzte Ehre.[14] Vorläufig schien der Kampf um ein menschenwürdigeres Dasein in Preußen gewonnen, doch sollten die Bürger, die so freimütig ihr Leben für die Republik hingegeben hatten, sich bald um ihr Opfer betrogen sehen.
2.8. Das doppelte Spiel des Königs
Am Folgetag offenbarte der König seinem Bruder Prinz Wilhelm sein wahres Gesicht. In einem Geheimschreiben kokettierte er mit seiner Doppelzüngigkeit den gefallenen Landeskindern zum Hohn: „Die Reichsfarben mußte ich gestern freiwillig aufstecken, um Alles zu retten. Ist der Wurf gelungen (...), so lege ich sie wieder ab!“
Vorher versprach der Monarch seinen Untertanen in seinem Aufruf „An mein Volk und die deutsche Nation“[15] vom 21. März für die Zukunft bessere Zeiten, schließlich habe er sich „im Vertrauen auf Euren heldenmütigen Beistand und Eure geistige Wiedergeburt, zur Rettung Deutschlands an die Spitze des Gesammt-Vaterlandes gestellt.“[16]
Der Preußenkönig trieb ein doppeltes Spiel mit seinen Landeskindern, die es ihm jedoch in zahlreichen Satireschriften der damaligen Zeit mit ätzendem Spott heimzahlten. Am deutlichsten hat das Revolutionsblatt „Leuchtturm“ aus dem Jahre 1849 auf einem Beiblatt, welches mit „Deutsche Reichsbremse“ titelte, das Verhalten des Monarchen in einem Bild wiedergegeben.
Dort findet sich auf der linken Bildhälfte ein ehrfürchtig das Haupt neigender und den Hut vor den jubelnden Revolutionären ziehender Friedrich Wilhelm IV. auf dem Balkon seines Berliner Schlosses. Die Bildunterschrift kommentiert: „Am 22. März 1848. Hut ab!“ Auf der rechten Hälfte blickt ein stolzer Souverän über die Häupter der demütig dreinblickenden Stützen des Systems, der alten Eliten, zuversichtlich seiner neuen Zeit entgegen. „Am 26. Februar 1849. Hüte ab!“ lautet der trockene Kommentar.[17]
2.9. In Preußen nichts Neues
Obwohl der Preuße in dem pathetischen „Aufruf“ seinem Volk eine bessere Zukunft verheißen hatte und schon am 29. März das liberale Märzministerium eingesetzt wurde, änderte sich an der Gesamtsituation nicht viel. Bereits am 20. Juni 1848 hatte man das Ministerium wieder abgeschafft, weil Adel und Militär ein Bollwerk gegen jeglichen Fortschritt bildeten, welches die liberalen und demokratischen Kräfte nicht zu überwinden vermochten. Der König konnte getrost abwarten, bis sich die erhitzten Gemüter etwas abgekühlt hatten, um dann Ende Mai zur alten Politik zurückzukehren. Die Verhandlungen der preußischen Nationalversammlung seit dem 22. Mai über eine Verfassung, die nach dem Ende des Wiener Kongresses aus dem Jahre 1815 den Völkern der deutschen Fürsten verbindlich zugesichert wurden, verliefen im Sande.[18]
2.10. Erneute Unruhen
Einen solchen Rückschritt wollte das Volk aber zu dieser Zeit noch nicht kampflos hinnehmen und stürmte am 14. Juni das Berliner Zeughaus. Mit den dort erbeuteten Waffen flammte das glühende Feuer der Revolution wieder auf. Die folgenden Wochen und Monate waren von Unruhen geprägt, und die Angst vor einem Gegenschlag der Reaktion bedrückte die Hoffenden. Am 9. November 1848, einem der vielen für das deutsche Volk schicksalsschweren Jahrestage, marschierten die königlichen Truppen wieder in Berlin ein, und die Konterrevolution blies zum Sturmangriff auf die Errungenschaften der Freiheitlichen.[19]
2.11. Der Gegenschlag der alten Eliten
Mit dieser Welle der Reaktion betrat nun auch der kommende Ministerpräsident von Preußen und spätere „Eiserne“ Reichskanzler des Deutschen Reiches, Otto von Bismarck-Schönhausen, die Bühne der hohen Politik. Der Elbjunker setzte sich an die Spitze der reaktionären Kräfte und blockierte alle erfolgversprechenden Reformbewegungen.[20]
So war der im Juli 1848 vorgelegte Verfassungsentwurf des Abgeordneten von Waldeck, der liberaldemokratische Verbesserungen versprach, schon im Ansatz durch den Widerstand von König und Konservativen zum Scheitern verurteilt.[21]
Am 15. November wurde auf Geheiß des Preußenkönigs die Nationalversammlung aufgelöst und am 5. Dezember 1848 eine selbstgefertigte Verfassung, die aus Sicht der Märzgefallenen kaum würdig war, diesen Namen zu tragen, dem Volk oktroyiert.
Der König blieb unantastbarer Souverän mit Vetorecht gegen alle Beschlüsse des preußischen Landtages, darüber hinaus verfügte er über die Macht, jederzeit ein ihm nicht genehmes Parlament nach Gutdünken aufzulösen.
Das Staatsministerium entzog sich nach dieser Verfassung jedweder parlamentarischen Kontrolle und war allein dem König Rechenschaft schuldig. Vereinzelt vorhandene liberale Zugeständnisse wurden mit diesen auf den König zugeschnittenen Parlamentsverhältnissen Schritt für Schritt in den Folgemonaten relativiert.[22]
2.12. Das Frankfurter Parlament
Ursprünglich sollte die Frankfurter Nationalversammlung eine gesamtdeutsche Reichsverfassung ausarbeiten und die deutsche Einheit einleiten. Die Nationalversammlung, die auch als Burschen- oder Professorenparlament bezeichnet wurde, bestand zum größten Teil aus den Honoratioren der bürgerlichen Gesellschaft, welche sich bald in verschiedene Fraktionen und Gruppierungen teilte, die dann nach den Lokalen benannt wurden, wo man in den Sitzungspausen unter sich debattierte.
Hierbei bildeten sich drei wesentliche parlamentarische Strömungen heraus. Zum einen scharten sich um die „Ganzen,“ die demokratische Linke, die Fraktion Donnersberg, der Deutsche Hof, der Nürnberger Hof und Westendhall. Gegen Ende des Jahres 1848 einten sich diese Fraktionen unter dem Dachverband des Centralmärzvereins.
Die zweite Gruppe bildeten die „Halben,“ nicht rechts, nicht links, sondern der liberalen Mitte zugetan. Hier sammelten sich der Augsburger und Württemberger Hof, Landsberg, Pariser Hof und Casino. Den rechten Flügel besetzte der konservativ protestantische Block des Café Milani.[23]
2.13. Demokratie in den Kinderschuhen
Dieser wildzusammengewürfelte Haufen sollte nun den Grundstein für ein besseres und politisch stabiles Deutschland legen. Dabei differierten die Lösungsansätze der einzelnen Fraktionen derart heftig, daß das Parlament in einer Art Selbstlähmung verharrte. Die Radikaldemokraten träumten von einer parlamentarischen gesamtdeutschen demokratischen Republik, die Liberalen hielten eine konstitutionelle Monarchie mit Erbkaisertum auf kleindeutscher Grundlage für durchführbar, und die Altkonservativen klammerten sich an den Status quo.
Mit dieser Konstellation stand das Parlament von Anfang an auf tönernen Füßen. Woran es letztlich zerbrach, war das Fehlen einer handlungsfähigen Exekutive. Die Parlamentsbeschlüsse verhallten im Nichts und lieferten vor allem Preußen und Österreich die Rechtfertigung für Alleingänge. Die deutsche Demokratie stecke eben noch in den Kinderschuhen.
2.14. Der gescheiterte kleindeutsche Verfassungsentwurf
Dennoch gelang es der Nationalversammlung am 28. März 1849 einen kleindeutschen, preußisch geführten Verfassungsentwurf zu verabschieden, mit dem Preußenkönig als Kaiser an der Spitze. Der Widerstand von Preußen, Österreich, Sachsen, Bayern und Hannover ließ jedoch schon erahnen, daß dieser Vorstoß zum Scheitern verurteilt sein werde. Als dann der Preuße am 3. April auf die Kaiserwürde verzichtete, war der Frankfurter Traum von einem freien und geeinten Deutschland zerplatzt.
Die Nationalversammlung unter Leitung Heinrich von Gagerns wurde Ende Mai 1849 durch das preußische Abgeordnetenhaus, die zweite Kammer, ersetzt und das Dreiklassenwahlrecht eingeführt. Dieser Streich der Reaktion und die Ablehnung des preußischen Königs, die deutsche Kaiserkrone aus den Händen des Parlaments, bzw. Pöbels entgegenzunehmen, setzten der Revolution ein Ende.
Daher kam es vor allem in Sachsen und Baden zu einem letzten Aufbäumen der liberal-demokratischen Kräfte, um zu retten, was noch zu retten war. Dennoch konnte dieser Versuch die Gegenrevolution nicht mehr aufhalten.[24]
[...]
[1] vgl. Schmidt, Georg: Agrarunruhen in Thüringen, in: Hahn, Hans-Werner/Greiling, Werner (Hrsg.): Die Revolution von 1848/49 in Thüringen. Aktionsräume. Handlungsebenen. Wirkungen, Rudolstadt/Jena, 1998, S.23f.
[2] vgl. Hahn, Hans-Werner: Die Revolution von 1848/49 in Thüringen und die Wurzeln unserer Demokratie, in: Greiling, Werner (Hrsg.): Revolte und Revolution. Sozialer Protest und Fundamentalpolitisierung 1848/49 in Thüringen, Rudolstadt/Jena 1998, S. 145ff.
[3] vgl. Langewiesche, Dieter: Europa zwischen Restauration und Revolution 1815-1849 (OGG), München 2004, S. 156ff.
[4] vgl. Langewiesche: Europa zwischen Restauration und Revolution, S. 138ff.
[5] vgl. Dipper, Christof / Speck, Ulrich (Hrsg.): 1848, Revolutionen in Deutschland. Frankfurt/M. 1998, S. 155f.
[6] vgl. Greiling, Werner: Varnhagen von Ense – Lebensweg eines Liberalen. Politisches Wirken zwischen Diplomatie und Revolution, Köln/Weimar/Wien 1993, S. 161ff.
[7] Engelbert, Ernst: Deutschland von 1849 bis 1871. Von der Niederlage der bürgerlich-demokratischen Revolution bis zur Reichsgründung (Lehrbuch der deutschen Geschichte), 2. Aufl., Berlin 1965, S. 66.
[8] vgl. Greiling: Varnhagen, S. 162ff.
[9] Ebenda.
[10] Ebenda.
[11] vgl. Siemann, Wolfram: Die deutsche Revolution von 1848/49. Neue Historische Bibliothek Bd. 266. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1985.
[12] Da sinkt die große Weltherrschaft von Rom / Vor eines Wilden Witz zusammen, / Und kommt, die Wahrheit zu gestehn, / Mir wie ein dummer Streich der Knaben vor! (V. Akt, 21. Szene, Z.1–5.).
[13] vgl. Greiling: Varnhagen, S. 163.
[14] vgl. Koch, Rainer: Deutsche Geschichte 1815-1848. Restauration oder Vormärz?, Stuttgart 1985.
[15] s. Anhang, Abb. 1.
[16] vgl. Anhang, Abb. 1.
[17] s. Anhang, Abb. 2.
[18] vgl. Fehrenbach, Elisabeth: Vom Ancien Régime zum Wiener Kongreß (Oldenbourg Grundriß der Geschichte, Bd. 12), 4. Aufl., München 2001.
[19] vgl. Greiling: Varnhagen, S. 198.
[20] vgl. Studt, Bernhard: Bismarck als Mitarbeiter der „Kreuzzeitung“ in den Jahren 1848 und 1849, Blankenese 1903.
[21] vgl. Möller: Einführung, S. 20.
[22] vgl. Siemann, Wolfram: Gesellschaft im Aufbruch Deutschland 1848-1871, Frankfurt 1990, S.122.
[23] vgl. Mick, Günter: Die Paulskirche. Streiten für Einigkeit und Recht und Freiheit, Frankfurt/Main 1997.
[24] vgl. Langewiesche: Zwischen Restauration und Revolution, S. 99ff.
- Arbeit zitieren
- Sven Lachhein (Autor:in), 2008, Von der Revolution 1848 zur Reaktionsära der 1850er Jahre, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92302
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