Die vorliegende Arbeit wurde im Rahmen eines Seminars an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich im Frühjahr 2006 verfasst und im Hinblick auf die Publikation im Internet im Sommer 2008 aktualisiert. Inhalt:
Die am 26. März 1931 gegründete Swissair entwickelte sich zur international angesehenen Fluggesellschaft. Unter der Leitung von Philippe Bruggisser ab 1996 verschlechterte sich jedoch die finanzielle Situation des Konzerns u.a. aufgrund der Hunter-Strategie. Beim Grounding der gesamten Flugflotte Anfangs Oktober 2001 präsentierte sich die inzwischen als Konzern ausgestaltete Airline als eine komplex verschachtelte und kaum zu überblickende Anhäufung von rund 260 Einzelgesellschaften im In- und Ausland. Mario A. Corti hatte die Leitung im März 2001 nach einigen bedeutenden Postenwechseln an der Konzernspitze übernommen und schon bald eine gravierende Überschuldung festgestellt. M.E. hätte der Verwaltungsrat schon Anfangs 2001 den Insolvenzantrag an den Richter stellen müssen – ich lege in der Arbeit dar, wie dies aufgrund einer kritischen Einstellung von Exponenten in der Privatwirtschaft dem Justizwesen gegenüber unterlassen wurde.
Im Fall Swissair ermöglichten die weniger rigiden Verwertungsvorschriften des Nachlassverfahrens eine Weiterführung des (reduzierten) Flugbetriebs zu Beginn der Liquidation, bis etwa im Frühjahr 2002 – nicht zuletzt mit Hilfe von Bundesmitteln. Die frühere Tochtergesellschaft Crossair AG (heutige Swiss International Airlines AG) übernahm anschliessend den (reduzierten) Flugbetrieb der Swissair.
In allen Fällen konnten dank der Einigung des Sachwalters und Liquidators Karl Wüthrich mit den Arbeitnehmern die Masseverbindlichkeiten (sprich: v.a. die Kosten für das Nachlassverfahren) und die privilegierten Forderungen (in erster Linie Lohn- und Pensionskassengelder) durch die Aktiven der Massen gedeckt werden.
Es wurden Forderungen im Umfang von 18.8 Mia. Franken angemeldet, wovon jedoch 13.4 Mia. Franken definitiv abgewiesen wurden, da die Inhaber der Forderungen auf Anfechtung der Abweisung ihrer Forderungen mittels Kollokationsklage verzichteten.
In einem letzten Teil der Arbeit wird auf die Betriebsübernahme der Tochtergesellschaften Cargologic AG und Swisscargo AG eingegangen, insbesondere auf die Rechte der Arbeitnehmer im Rahmen von derartigen Verfahren.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Quellenverzeichnis
A. Einleitung
I. Geschichtlicher Überblick
II. Die Konzernstruktur der Swissair-Gruppe
1. Definition eines Konzerns
2. Der Swissairkonzern im Oktober 2001
2.1. SAirGroup AG
2.2. SAirLines AG
2.3. Swissair Schweizerische Luftverkehr AG
2.4. Flightlease AG
2.5. Swisscargo AG und Cargologic AG
B. Insolvenzverfahren nach SchKG
I. Konkurs als Hauptfall der Generalexekution
1. Voraussetzungen des Konkurses
2. Rechtswirkungen des Konkurses
3. Besonderheit der Insolvenz eines Konzerns
II. Das Nachlassverfahren als Alternative zum Konkurs
1. Zweck und Einleitung des Nachlassverfahrens
2. Voraussetzungen für die Bewilligung der Nachlassstundung
C. Das Liquidationsverfahren des Swissairkonzerns
I. Der Entscheid, um Nachlassstundung zu ersuchen
1. Feststellung der Insolvenz
2. Abwägung der Handlungsmöglichkeiten
3. Kombination von Nachlassverfahren und Auffanggesellschaft
4. Provisorische Nachlassstundung
II. Mängel am geltenden Sanierungsrecht?
1. Zu späte Einleitung des Nachlassverfahrens
2. Rechtmässiges Zuwarten mit dem Insolvenzantrag?
3. Fazit
III. Der Weg zur definitiven Nachlassstundung
1. Ausgangslage
1.1. SAirGroup AG
1.2. SAirLines AG
1.3. Swissair Schweizerische Luftverkehr AG
1.4. Flightlease AG
2. Überbrückungskredite und deren rechtliche Ein- und Rangordnung
3. Tätigkeit des provisorischen Sachwalters und der Nachlassgerichte
3.1. Veräusserung von Anlagevermögen
3.2. Darstellung der finanziellen Verhältnisse des Konzerns
3.3. Weisungen an die Schuldner
3.4. Ausarbeitung der definitiven Stundungsgesuche
3.5. Würdigung der Gesuche durch die Gerichte
IV. Ausarbeitung und Bestätigung der Nachlassverträge
1. Inventar, Schuldenruf und Prüfung der angemeldeten Forderungen
2. Verkauf weiterer Konzerngesellschaften
3. Verlängerung der Nachlassstundungen
4. Ergänzung des Nachlassvertragsentwurfs
4.1. Ordentlicher Nachlassvertrag
4.2. Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung
5. Die Gläubigerverlsammlungen
5.1. Vorbereitung und Einberufung
5.2. Die Rechte der Gläubiger
a) Wahl der Liquidatoren durch die Gläubigerversammlung
b) Wahl der Gläubigerausschüsse und Anfechtung derselben
c) Abstimmung über die Entwürfe der Nachlassverträge
6. Genehmigungen der Nachlassverträge durch die Richter
6.1. Erlass der Verfügungen
6.2. Begründungen und Rechtswirkungen der Entscheide
a) Zustimmung der Gläubiger
b) Besseres Ergebnis als im Konkurs
c) Sicherstellung des Vollzugs
d) Angemessenheit
V. Weiterer Ablauf der Nachlassliquidation
1. Kollokationsverfahren
2. Verwertung der Aktiven
3. Verantwortlichkeitsklagen
4. Paulianische Anfechtungen
4.1. KPMG-Gesellschaften
4.2. Unique Flughafen Zürich AG
D. Das Vorgehen im Frachtbereich
I. Cargologic AG
1. Verkauf an die Crossair AG
2. Gesuche um Aufhebung der Nachlassstundung
3. Würdigung der Gesuche durch das Nachlassgericht
II. Swisscargo AG
1. Übernahme des Frachtgeschäfts durch die Crossair AG
2. Rechte der Arbeitnehmer bei Betriebsübergängen
2.1. Solidarhaftung des Erwerbers i.S.v. Art. 333 Abs. 3 OR?
a) Arbeitnehmer, denen gekündigt wurde
b) Arbeitnehmer, die eine neue Anstellung erhalten
c) Stellungnahme des Bundesamtes für Justiz
2.2. Informations- und Konsultationsrechte
a) Massenentlassung
b) Betriebsübertragung
c) Sanktionen
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Literaturverzeichnis
Die nachstehenden Werke wurden mit Angabe des Autors und der Seitenzahl zitiert.
AMONN Kurt / WALTHER Fridolin, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 7. Aufl., Bern 2003
BERTI Stephen V. / GIRSBERGER Daniel, "nur, aber immerhin", Festgabe für Anton K. Schnyder zum 50. Geburtstag, Zürich 2002, 19 ff.
BÖCKLI Peter, Schweizer Aktienrecht, 3. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2004
DANNECKER Regula / SCHWARZENBACH René, Fallbeispiel Swissair zum Aktienrecht und SchKG, ST 2002, Heft 5, 519 ff.
GANAHL Ernst / Entscheidungskriterien für die Wahl und die Bestätigung eines Nachlassvertrages gemäss SchKG, Diss. Zürich 1978
HARSCH Sebastian, Die einheitliche Leitung im Konzern, Diss. Bern/Stuttgart/Wien 2005
HONSELL Heinrich / VOGT Peter Nedim / WATTER Rolf, Basler Kommentar zum Obligationenrecht II, 2. Aufl., Basel/Genf/München, 2002 (Zit.: BSK-OR II-BEARBEITER)
HUNKELER Daniel / Das Nachlassverfahren nach revidiertem SchKG, Diss. Freiburg 1996
JAEGER Carl / WALDER Hans Ulrich / KULL Thomas M. / KOTTMANN Martin, Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 4. Aufl., Zürich 2001 (Zit.: BEARBEITER, in: Komm-SchKG)
LÜCHINGER René, Swissair, Zürich 2006
MEIER Isaak, Helvetischer Weg zum Chapter 11, ST 2005, Heft 9, 688 ff.
MEIER Isaak / EXNER Christian, Informations- und Konsultationsrechte der Arbeitnehmer bei Sanierungen, ARV 2004, 213 ff.
MOSER Sepp, Bruchlandung, Zürich 2001
RIEMER Hans Michael / KUHN Moritz / VOCK Dominik / GEHRI Myriam A., Schweizerisches und Internationales Zwangsvollstreckungsrecht, Festschrift für Karl Spühler, Zürich/Basel/Genf 2005
SCHNEIDER Uwe H., Konzern - Corporate Governance, in: Wirtschaftsrecht zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Festschrift für Peter Nobel, Bern 2005, 337 ff.
SPRECHER Thomas, Der Gläubigerausschuss im schweizerischen Konkursverfahren und im Nachlassverfahren mit Vermögensabtretung, Diss. Zürich 2003
SPÜHLER Karl, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht II, 3. Aufl. Zürich/Basel/Genf 2003
STAEHELIN Adrian / BAUER Thomas / STAEHELIN Daniel, Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Basel/Genf/München 1998 (Zit.: SchKG-BEARBEITER)
STÄUBLI Christoph, Konkursaufschub / Nachlassvertrag / Einvernehmliche private Schuldenbereinigung, in: MEIER Isaak, Aktuelle Fragen des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts nach revidiertem Recht, Basel 1996, 133 ff.
STÖCKLI Kurt, Konsequenzen eines Betriebsübergangs, ST 2005, Heft 6, 485 ff.
VON BÜREN Roland , Der Konzern, in: MEIER-HAYOZ Arthur, Schweizerisches Privatrecht, Band VII: Handelsrecht, Halbband 6, Basel/Frankfurt am Main 1997
WÜTHRICH Karl, Corporate Governance - Theorie und Praxis, ST 2003, Heft 9, 711 ff.
Quellenverzeichnis
Einige der hier genannten Dokumente sind u.a. im Internet abrufbar. Die „Liquidationsseite im Internet“ ist unter http://www.liquidator-swissair.ch (zuletzt besucht am 24. April 2006) zu erreichen. Die „Internetseite der Transliq AG“ lautet http://www.transliq.ch (zuletzt besucht am 24. April 2006).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
A. Einleitung
I. Geschichtlicher Überblick
Die am 26. März 1931 gegründete Swissair erlebte in den drei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Leitung von Walter Berchtold und Rudolf Heberlein einen eigentlichen Höhenflug1. Sie entwickelte sich zur international angesehenen Fluggesellschaft mit einem Streckennetz von ca. 130 Bestimmungsorten in über 70 Ländern2.
In den 1980er Jahren trat, von Publikum und Eigentümer ganz unbemerkt, die Trendwende zu Ungunsten des Finanzhaushaltes der Swissair ein. In den USA hat sich schon ab 1978 die staatliche Aufsicht über die Fluggesellschaften auf sicherheitsrelevante Aspekte beschränkt, worauf der dadurch entstandene freie Wettbewerb mit verschärfter Konkurrenz die Flugpreise nach unten drückte. Dieser eisige Wind sollte bald auch auf dem Alten Kontinent wehen, was im Juni 1984 mit der Liberalisierung des Luftverkehrs zwischen Grossbritannien und den Niederlanden zaghaft seinen Anfang nahm3.
Anstatt sich einer Schlankheitskur zu unterziehen, steuerte der ab Januar 1996 zunächst noch unter dem damaligen Konzernleiter Otto Loepfe tonangebende Philippe Bruggisser die nationale Fluggesellschaft der Schweiz in Richtung Expansionskurs. Im Zuge der sog. Hunter-Strategie wurden in der Regel massiv verschuldete Airlines wie die belgische Sabena im Mai 1995, die deutsche Ferienfluggesellschaft LTU oder die Air Littoral im Jahr 1999 mit dem Ziel der einverleibenden Sanierung aufgekauft. Der hochkarätige Verwaltungsrat beschränkte seine Meinungsäusserung zu den Vorhaben Bruggissers oftmals auf blosses Kopfnicken. Die Übernahme der Air Littoral beispielsweise, bei der es sich immerhin um ein Geschäft im Umfang von rund 250 Mio. Franken handelte, wurde durch den Verwaltungsrat in einer Zeitspanne von etwa zehn Minuten diskutiert und beschlossen4.
Am 23. Januar 2001 setzte der Verwaltungsratspräsident der SAirGroup AG, Eric Honegger, den mittlerweile zum Konzernleiter gewordene Philippe Bruggisser ab. Er übernahm daraufhin die Führungsrolle zusammen mit Wolfgang Werlé (bis anhin u.a. Leiter von Gate Gourmet) als Stellvertreter und dem Crossairchef Moritz Suter als Leiter der Konzerngesellschaft SAirLines AG. Letztgenannter trat am 7. März 2001, knapp eineinhalb Monate nach seinem Antritt, wegen Differenzen mit dem „Swissair“ CEO Beat Schär im Zusammenhang mit den Pilotengehältern wieder vom Amt zurück – womit er den Ratschlag seines Rechtsberaters Peter Böckli befolgte und Haftpflichtklagen vorbeugte5. Honegger gab am 16. März 2001 seinen Posten auf Betreiben des langjährigen einflussreichen Mitglieds des Verwaltungsrats Rainer E. Gut an den damaligen Finanzchef des Nestlé-Konzerns Mario A. Corti ab6.
II. Die Konzernstruktur der Swissair-Gruppe
1. Definition eines Konzerns
Ein Konzern ist eine Gesamtheit von einzelnen Unternehmen, die hierarchisch bzw. stufenweise strukturiert sein können7. Im Sinne von Art. 663e OR und nach der herrschenden Lehre8 sind zwei Kriterien erforderlich, damit ein Konzern vorliegt:
- Mehrere, juristisch selbständige Gesellschaften,
- welche unter einer einheitlichen Leitung zusammengefasst sind.
Der Konzern an sich ist keine juristische Person und hat entsprechend auch keine eigenen Organe und keine eigene Willensbildung – rechtsgeschäftlich tätig und verantwortlich sind die Organe der einzelnen Konzernunternehmen.
Die Swissair-Gruppe präsentierte sich im Oktober 2001 als eine komplex verschachtelte und kaum zu überblickende Anhäufung von rund 260 Einzelgesellschaften im In- und Ausland9.
Da die SAirGroup AG im Wesentlichen die einheitliche Leitung dieser Einzelgesellschaften bezweckte, liegen beide genannten Kriterien vor10.
2. Der Swissairkonzern im Oktober 2001
Bei der Umstrukturierung der Swissair in einen Konzern im Frühjahr 1997 wurden mehrheitlich unklare rechtliche Verhältnisse geschaffen. Es folgt eine kurze Beschreibung der wichtigsten Gesellschaften des Swissairkonzerns.
2.1. SAirGroup AG
Im Frühjahr 1997 änderte die „alte Swissair“ ihre Firma in SAirGroup AG. Die Aktiven und Passiven der so entstandenen SAirGroup AG sind buchhalterisch weitgehend an die zur gleichen Zeit gegründete abhängige Gesellschaft Swissair Schweizerische Luftverkehr-AG, nachstehend „Swissair“, übertragen worden. Dabei entstanden mangels schriftliche Verträge unklare Rechtsverhältnisse11.
2.2. SAirLines AG
Die SAirLines AG als Subholdinggesellschaft hielt die Airlinebeteiligungen der Fluggesellschaften wie der Crossair AG und der Balair AG und war Holdinggesellschaft für diverse andere Konzernunternehmen. Sie war zu 100% eine Tochtergesellschaft der SAirGroup AG12. Aufgrund der erwähnten unklaren Rechtsverhältnissen war die Zu-ordnung der einzelnen Aktivpositionen, insbesondere der Verkaufserlös der Konzerne Swissport, Restorama, RailGourmet, Gate Gourmet und Nuance schwierig. Es kamen dafür nämlich die SAirLines AG, die SAirGroup AG, die eigentliche „Swissair“ oder die SAirGroup Finance (NL) BV in Frage13.
2.3. Swissair Schweizerische Luftverkehr AG
Die Swissair Schweizerische Luftverkehr AG war die operative Kerngesellschaft der Gruppe und in Besitz (jedoch nicht Eigentümerin) der Flugzeuge und der Streckenkonzession des Bundes14. Sie war Arbeitgeberin für die meisten Angestellten des Konzerns.
2.4. Flightlease AG
Die Flightlease AG stellte dem Konzern die Flugzeuge zur Verfügung. Zwecks Mittelbeschaffung und Steueroptimierung sind etliche komplexe Sale-, Leaseback- und Hypothekartransaktionen mit anderen Konzerngesellschaften und Finanzinstitutionen durchgeführt worden15. Die Flightlease AG hielt aus diesem Grund z.B. eine 100%ige Beteiligung an der Flightlease Holdings (Guernsey) Ltd16.
2.5. Swisscargo AG und Cargologic AG
Die Swisscargo AG und die Cargologic AG waren logistisch tätig. Sie erbrachten Dienstleistungen im Bereich Luftfracht, wozu der Vertrieb von Frachtraum mittels eines internationalen Netzwerks gehörte. Das Frachtgeschäft übernahm nach dem Grounding die Crossair AG17.
B. Insolvenzverfahren nach SchKG
I. Konkurs als Hauptfall der Generalexekution
1. Voraussetzungen des Konkurses
Das SchKG kennt zwei verschiedene Betreibungssysteme, die Spezial- und die Generalexekution, wobei die Konkursbetreibung den Hauptfall der Generalexekution darstellt. Die Konkurseröffnung kann in aller Regel auf Begehren eines einzelnen Gläubigers erwirkt werden, sofern ein Einleitungsverfahren stattgefunden hat und der Schuldner in einer der Eigenschaften des Art. 39 Abs. 1 SchKG im Handelsregister eingetragen ist.
Sämtliche Gesellschaften der Swissair-Gruppe mit Sitz in der Schweiz waren als Aktiengesellschaften i.S.d. Art. 620 ff. OR i.V.m. Art. 39 Abs. 1 Ziff. 8 SchKG im Handelsregister eingetragen. Vor dem 5. Oktober 200118 wären sie folglich bei Zahlungsunfähigkeit gegenüber einem Gläubiger einzeln und selbständig19 in Konkurs gefallen, sofern dieser ein Einleitungsverfahren durchgeführt hätte. Das Einleitungsverfahren setzt sich aus folgenden Schritten zusammen: Das Betreibungsbegehren eines Gläubigers mit darauf folgendem Zahlungsbefehl durch das zuständige Betreibungsamt, der Rechtsvorschlag des betriebenen Konzernunternehmens und dessen richterliche Beseitigung und schliesslich das Fortsetzungsbegehren des betreibenden Gläubigers.
Der Schuldner kann den Konkurs jederzeit abwenden, indem er seine Forderung gegenüber dem ihn betreibenden Gläubiger begleicht.
2. Rechtswirkungen des Konkurses
In der Generalexekution, also nach der rechtsgültigen Eröffnung des Konkurses, greifen alle bekannten Gläubiger auf das gesamte unbeschränkt pfändbare Vermögen des Schuldners zu. Dieses fällt unter sog. Konkursbeschlag und bildet die Konkursmasse20. Die Masse dient der Befriedigung der Gesamtheit der Gläubiger, welche daran ein dingliches, pfandrechtsartiges Recht haben. Obwohl der Konkursit auch nach der Konkurseröffnung formeller Eigentümer der Masse bleibt, ist er in der Verfügung und Verwaltung darüber eingestellt21.
Ein Konkurs der Swissair-Konzerngesellschaften – insbesondere der eigentlichen „Swissair“ – hätte die Fortsetzung des Flugbetriebs praktisch verunmöglicht. Die Begleichung der laufenden Verpflichtungen des Fluggeschäfts, namentlich die Bezahlung des Treibstoffes und der jeweiligen Flughafengebühren, wären als Verfügungsgeschäfte gegenüber den Konkursgläubigern ungültig gewesen, wenn nicht das Konkursamt gehandelt hätte. Der Eintrag im Handelsregister (bspw. „Swissair Schweizerische Luftverkehrs-AG in Liquidation“) hätte diese Rechtsunsicherheit publik gemacht. Zudem hätte der Konkurs einer Holdinggesellschaft wie der SAirGroup AG oder der SAirLines AG eine Kaskade von weiteren Konkursen über diverse Konzerngesellschaften bewirkt und eine flexible und optimale konzerninterne Finanzbewirtschaftung verunmöglicht22.
3. Besonderheit der Insolvenz eines Konzerns
Im materiellen Recht gilt allgemein das Prinzip der juristischen Selbständigkeit der einzelnen Konzerngesellschaften. Diese Grundlagen gelten auch bei der Zahlungsunfähigkeit des Konzerngebildes. Es sollen nicht alle Aktiven eines insolventen Konzerns in einen Topf geworfen werden23.
Die Expertengruppe Nachlassverfahren24 hält den Erlass von eigentlichen Konzernkonkursnormen beziehungsweise eine Sonderbehandlung von Grossinsolvenzen für nicht sachgerecht25.
Nach den Regeln des Konkursrechts haftet für die Forderungen eines Gläubigers gegen ein Konzernunternehmen ausschliesslich das Vermögen des betriebenen Unternehmens. Deshalb bleibt der Zugriff der Gläubiger auf das Gesamtkapital der Konzerngruppe, wie es zum Beispiel in einer konsolidierten Konzernrechnung im Sinne von Art. 663e OR26 aufgeführt sein könnte, verwehrt.
Es kommt also in der Liquidation eines ganzen Konzerngebildes oder Teilen davon zu einer Vielzahl getrennter Verfahren. Dabei kann es vorkommen, dass aus konzerninternen Gründen der Finanzbewirtschaftung einzelne Massen im Insolvenzverfahren über mehr Aktiven verfügen als andere. Dies ist ungünstig für diejenigen Gläubiger, deren Forderungen mehr oder weniger zufällig von Massen befriedigt werden, deren Dividende kleiner ausfällt, als dies bei anderen Massen der Fall gewesen wäre27.
II. Das Nachlassverfahren als Alternative zum Konkurs
1. Zweck und Einleitung des Nachlassverfahrens
Das oben grob skizzierte Verfahren der Generalexekution bzw. der Zwangsvollstreckung bedeutet vielfach für den Gemeinschuldner die Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz und die Entwertung seines Vermögens. Der Zweck des Nachlassverfahrens liegt darin, solche Folgen für den ehrlichen Schuldner in finanzieller Bedrängnis zu vermeiden. Es wird eine Sanierung durch Schuldenerlass im Sinne von Art. 115 OR oder zumindest eine weniger rigide Liquidation angestrebt, womit dem insolventen Unternehmen ein Konkurs erspart werden kann28.
Um ein Nachlassverfahren einzuleiten muss zunächst dem Schuldner Nachlassstundung gewährt werden. Diese hat im Wesentlichen zur Folge, dass keine Betreibungen gegen den Schuldner mehr erhoben werden können bzw. dass nicht gleichzeitig der Konkurs über ihn eröffnet wird.
Das Verfügungsrecht des Schuldners während der Nachlassstundung ist zwar eingeschränkt, jedoch nur im Umfang des Katalogs von Art. 298 Abs. 2 SchKG; das Geschäft kann unter Aufsicht des Sachwalters weitergeführt werden29. Die Weiterführung des Flugbetriebs war während der Nachlassstundung möglich30.
2. Voraussetzungen für die Bewilligung der Nachlassstundung
Gemäss Art. 293 Abs. 1 SchKG hat der insolvente Schuldner, der auf dem Weg des Nachlassverfahrens mit seinen Gläubigern einen Konsens erreichen will, vorgängig beim zuständigen Nachlassrichter um Bewilligung der Nachlassstundung zu ersuchen31. Gesuchsteller können sowohl natürliche als auch juristische Personen sein.
Das Gesuch für die Nachlassstundung muss folgende Angaben und Anträge enthalten32:
Nachweis, dass die formellen Voraussetzungen (Zuständigkeiten etc.)
vorliegen;
Begründung, weshalb der Schuldner die Nachlassstundung verlangt,
mittels Darstellung von Ursachen und Umfang der Krisensituation;
Anträge darüber, wie über das schuldnerische Vermögen weiter
verfügt werden soll und
- welche Kompetenzen dabei dem Sachwalter zukommen sollen.
Weiter wird von einer buchführungspflichtigen, insolventen Unternehmen die Beilegung einer möglichst aktuellen Bilanz und einer Erfolgsrechnung gefordert.
Der Swissair-Konzern bestand fast ausschliesslich aus insolventen Aktiengesellschaften. Eine Aktiengesellschaft ist aufgrund von Art. 643 Abs. 1 i.V.m. Art. 957 Abs. 1 OR zur Buchführung verpflichtet und hat demnach gem. Art. 293 Abs. 1 SchKG eine aktuelle Bilanz und eine Erfolgsrechnung dem Gesuch um Nachlassstundung beizulegen.
Das Nachlassgericht benötigt als Entscheidungsgrundlage in Sachen Nachlassstundung eine Übersicht der geschätzten Aktiven des Gesuchstellers und eine Aufzählung seiner Passiven mit Nennung der jeweiligen Gläubiger33. Wichtig ist dabei gemäss Art. 293 Abs. 1 SchKG, dass sich aus den eingereichten Unterlagen „die Vermögens-, Ertrags- und Einkommenslage [des Gesuchstellers] ergibt".
Zuletzt wird als Beilage der Entwurf eines Nachlassvertrages gefordert. Es soll daraus ersichtlich werden, dass aus dem Nachlassverfahren ein für die Gläubiger attraktiveres Ergebnis hervorgeht, als dies im Konkurs der Fall wäre34.
C. Das Liquidationsverfahren des Swissairkonzerns
I. Der Entscheid, um Nachlassstundung zu ersuchen
1. Feststellung der Insolvenz
Am 25. April 2001 bezifferte Mario Corti an der Generalversammlung der SAirGroup AG einen Konzernverlust im Jahre 2000 von 2.9 Mia. Franken35. Die Eigenkapitalbasis des Konzerns per Ende Juni betrug 555 Mio. Franken (dies entsprach 2.5% der Bilanzsumme). Zu dieser Zeit betrugen die Nettoverbindlichkeiten der Swissair-Gruppe 12.4 Mrd. Franken36.
[...]
1MOSER, 13.
2LÜCHINGER, 25; BOTSCHAFT REDIMENSIONIERUNG, 6442.
3MOSER, 43.
4MOSER, 84.
5LÜCHINGER, 152 ff.; MOSER, 134.
6LÜCHINGER, 136.
7SCHNEIDER, 346 f. Weder der Gesetzgeber noch das Bundesgericht verwenden einheitliche Begriffe zur Umschreibung der Konzerne. In der Doktrin ist die Vielfalt der verwendeten Begriffe von „einem geradezu babylonischen“ Ausmass, VON BÜREN, 12 ff. m.w.H.
8HARSCH, 8.
9MOSER, 76.
10VON BÜREN, 15.
11ZIRKULAR Nr. 2, SAirGroup AG, 3.
12Verfügung vom 18. Januar 2002, SAirGroup AG / SAirLines AG betreffend Ermächtigung gem. Art. 298 Abs. 2 SchKG (Swissport International AG).
13ZIRKULAR Nr. 2, SAirLines AG, 4.
14BOTSCHAFT REDIMENSIONIERUNG, 6443.
15ZIRKULAR Nr. 2, Flightlease AG, 3.
16ZIRKULAR Nr. 3, Flightlease AG, 2.
17STÖCKLI, 485. Näheres zum Betriebsübergang unten, D.
18Datum der Bewilligungen der provisorischen Nachlassstundungen durch die jeweils zuständigen Nachlassrichter. Weitere Ausführungen dazu unter C.I.4.
19VON BÜREN, 443.
20Art. 197 Abs. 1 SchKG; SPÜHLER, 1.
21AMONN / WALTHER, 327.
22Verfügung vom 3. Dezember 2001, SAirGroup AG betreffend Nachlassstundung, 27 f.
23MEIER, 691. Eine sog. materielle Konsolidierung der einzelnen Insolvenzverfahren ist nicht erwünscht, GROUPE DE REFLÉXION, 55.
24Das Bundesamt für Justiz beauftragte im Sommer 2003 Daniel Hunkeler, Franco Lorandi, Isaak Meier, Henry Peter, Daniel Staehelin, Karl Wüthrich, Dominik Gasser und Monique Albrecht mit der Abklärung bezüglich Revisionsbedarf des Nachlassrechts.
25GROUPE DE REFLÉXION, 4.
26VON BÜREN, 90; BÖCKLI, Aktienrecht, 61 und924.
27VON BÜREN, 150; BERTI / GIRSBERGER, 21. Zu den zivilrechtlichen Mitteln zur
Erweiterung des Vollstreckungssubtrats kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit auf die entsprechende Literatur verwiesen werden.
28SPÜHLER, 119; DANNECKER / SCHWARZENBACH, 520.
29AMONN / WALTHER, 451.
30Verfügung vom 3. Dezember 2001, SAirGroup AG, 8.
31Der Richter entscheidet im Summarverfahren, Art. 25 Ziff. 2 lit. a SchKG (SPÜHLER, 122).
32KULL, Thomas M., in: Komm-SchKG Art. 293 N 24 ff.
33KULL, Thomas M., in: Komm-SchKG Art. 293 N 28.
34KULL, Thomas M., in: Komm-SchKG Art. 293 N 35.
35LÜCHINGER, 161.
36NZZ vom 19. September 2001.
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