Die Arbeit untersucht den Einfluß von Interessenverbänden im politischen Prozess der BRD. Sie thematisiert dabei zunächst die theoretische Konzeption von Interessenverbänden in der Pluralismustheorie von Ernst Fraenkel. Im Anschluss erfolgt eine Betrachtung des Spektrums organisierter Interessen in der BRD und eine beispielhafte Untersuchung des BDI. Im letzten Abschnitt werden die Einflussmöglichkeiten von Verbänden skizziert und einer Bewertung unterzogen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Verbändestaat und Pluralismus
2 Organisierte Interessen in der BRD
2.1 Das Spektrum der organisierten Interessen
2.2 Struktur und Mittel von Interessenverbänden am Beispiel des BDI
3 Der Einfluss der Verbände im politischen Prozess
Schlussbetrachtung
Abkürzungsverzeichnis
Literatur- und Quellenverzeichnis
Einleitung
Am 1. November 1972 legte der Deutsche Bundestag zum ersten mal eine 'öffentliche Liste über die Registrierung von Verbänden und deren Vertretern' auf. Ursprünglich als eindeutige Kennzeichnung von Interessenvertretern gedacht, diente die Liste auch dazu, sich aus der Sicht der Politiker einen Überblick zu verschaffen, welche Interessengruppen eigentlich in der Republik tätig waren. Spätestens jedoch als schon im März 1973 bereits 635 Interessen-vertretungen registriert waren, wurde klar, dass eigentlich kein Überblick zu gewinnen war. Heute, fast 35 Jahre später, sind weit mehr als tausend neue Registrierungen hinzugekommen.
Welche Rolle aber spielt die gewachsene Zahl der Interessenvertreter und Interessenverbände in der Bundesrepublik? Welche Rolle spielen sie für das Gemeinwohl? Und wie wirken sie auf den politischen Willensbildungsprozess ein? Diesen Fragen soll in der vorliegenden Arbeit nachgegangen werden.
Zweifellos handelt es sich beim Verbändestaat um ein äußerst weitläufiges Thema. Aufgrund des begrenzten Rahmens dieser Arbeit müssen hierbei Prioritäten gesetzt und zweifellos interessante und im Gesamtbild relevante Aspekte unberücksichtigt bleiben. Hier wären beispielhaft die historische Entwicklung des Verbändewesens, seine Ausprägungen in den verschiedenen politischen Systemen westlicher Demokratien, oder auch die Rolle von Interessenverbänden auf supranationaler, namentlich europäischer Ebene, zu nennen. Das Augenmerk dieser Untersuchung liegt jedoch auf der Arbeit der Verbände in der Bundesrepublik.
Hierzu findet zunächst im ersten Teil der Arbeit eine Annäherung an den Begriff des Verbändestaates statt. In einer kurzen theoretischen Einführung soll die Thematik der Interessenvertretung in einer pluralistischen Demokratie skizziert werden.
Im zweiten Teil der Arbeit soll das Verbändewesen selbst genauer untersucht werden. Ein Überblick über das Spektrum der organisierten Interessen in der Bundesrepublik soll auch den Versuch einer Gewichtung vornehmen. Eine beispielhafte Untersuchung von Struktur und Mitteln des Bundesverbands Deutscher Industrie soll den Ausgangspunkt für die weitere Analyse im dritten Kapitel bilden.
Im diesem soll schließlich der Einfluss der Verbände auf den politischen Prozess der Bundesrepublik untersucht werden. Zunächst werden die verschiedenen Einflussstragien skizziert und auf ihren Wirkungsgrad hin untersucht. Auf Basis der gewonnen Erkenntnisse soll versucht werden, die Rolle der Verbände im politischen Prozess einer Bewertung zu unterziehen.
1 Verbändestaat und Pluralismus
In diesem ersten Teil der Arbeit soll die in der Einleitung angekündigte Annäherung an den Begriff des „Verbändestaates“ erfolgen. Das Lexikon der Politikwissenschaft von Dieter Nohlen und Rainer-Olaf Schultze vermerkt hierzu:
„Verbändestaat: Schlagwort, das Mitte der 1950er Jahre auf die Existenz und Wirkungsberechtigung von Interessengruppen hinwies und gleichzeitig vor der desintegrierenden Kraft einseitiger und egoistischer Interessenpolitik warnte.“[1]
Diese Definition deutet bereits auf zwei wichtige Aspekte des Untersuchungsgegenstands dieser Arbeit hin. Die Existenz verschiedener Interessen und die Wirkungsberechtigung der sie vertretenden Gruppen – als erster Aspekt – entspricht der pluralistischen Grundidee von Demokratien, wie der BRD.[2] Diese Grundidee geht davon aus, dass das Gemeinwohl – als gewünschtes Ziel staatlichen Handelns – nicht von staatlichen Entscheidungsträgern a priori erkannt, sondern „(...) lediglich a posteriori als das Ergebnis eines delikaten Prozesses der divergierenden Ideen und Interessen der Gruppen und Parteien erreicht werden [kann.] (...)“[3]
Die Mitwirkung von Interessengruppen an der politischen Willensbildung wird hier also als essenziell angesehen. Eine Untersuchung, die Interessengruppen in einer pluralistischen Demokratie zum Gegenstand hat, kann also nicht fragen, ob Interessenvertretung demo-kratisch legitim ist. Die Frage kann nur lauten, wie sie gestaltet wird.
Das Gemeinwohl spielt dabei die Rolle einer „regulativen Idee“[4], der sich alle am Entscheidungsprozess beteiligten Gruppen verpflichtet fühlen (sollten). Diese regulative Idee gründet auf einem allgemein anerkannten Wertekodex, welcher als gemeinsame Zielrichtung, nicht jedoch als unmittelbar anwendbares Handlungsmuster im politischen Geschehen fungiert.[5]
So lässt sich dann auch der zweite Aspekt – die Warnung vor der „desintegrativen Kraft einseitiger und egoistischer Interessenpolitik“ – verstehen, die im Begriff des Verbände-staates laut Nohlen und Schultze mitschwingt. Eine Tagespolitik die im Verdacht steht das Gemeinwohl aus dem Blick verloren zu haben, also einseitig zu sein, verliert ihre integrative Kraft wenigstens bei den (scheinbar) benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen. Eine pluralistische Gesellschaft in der über das Gemeinwohl – im vorher beschriebenen Sinne – tatsächliche Uneinigkeit besteht, verliert gleichsam die Fähigkeit aus der Summe differenzierter Einzelinteressen einen Gemeinwillen zu bilden.
Diese Erkenntnis legt zunächst den Schluss nahe, es sei ratsam, die verschiedenen Interessen einer Gesellschaft innerhalb des politischen Systems quasi abzubilden. Nicht zuletzt aufgrund des hohen Komplexitätsgrades der modernen, pluralistischen Gesellschaft, ist dies allerdings zum Scheitern verurteilt. Dennoch sind in der Bundesrepublik und anderen westlichen Demokratien, Interessenorganisationen institutionell bis zu einem gewissen Grad in staatliche Funktionen einbezogen.[6] Man bezeichnet dies als (Neo-)Korporatismus. Der Partizipations-grad unterscheidet sich hierbei je nach politischem System. In der konsensorientierten Bundesrepublik finden sich korporatistische Ansätze in Form von vielfältigen, öffentlichen Funktionen von Verbänden. Gerhard Lehmbruch hat hierfür den Begriff der „korporativen Verhandlungsdemokratie“ eingeführt. Er sieht das Modell des hierarchisch-souveränen Staates in den Demokratien 'Westmitteleuropas' zunehmend in Frage gestellt und das Mehrheitsprinzip zunehmend durch „Verhandlungssysteme“ überlagert.[7]
Die Definitionen der Korporatismustheorie unterscheiden sich jedoch stark, je nach Autor und so wird auch seine Ausprägung in der Bundesrepublik durchaus unterschiedlich bewertet. Für die vorliegende Arbeit soll der Verweis auf die Existenz korporatistischer Strukturen genügen, Bewertungen bleiben spezialisierten Untersuchungen vorbehalten.
Als Fazit dieser kurzen, theoretischen Einführung in die Thematik der Interessenvertretung in der Demokratie lässt sich ziehen, dass Interessengruppen eine zentrale Rolle im demokratischen Prozess pluralistischer Gesellschaften zufällt. Sie bündeln und artikulieren Einzelinteressen und wirken so – neben den Parteien – an der Bildung des Gemeinwillens mit. Es bleibt die Frage danach, wie sie diese Rolle tatsächlich ausfüllen und wie die politischen Entscheidungsträger mit ihnen interagieren. Dieses Wechselspiel bedarf einer kritischen Bewertung, zu der sich diese Arbeit als Beitrag versteht.
Heidrun Abromeit hat in ihrem Werk „Interessenvermittlung zwischen Konkurrenz und Konkordanz“, eine Reihe von Fragen formuliert, von denen zwei Bereiche hier aufgegriffen werden sollen, erstens:
„Sind manche Gruppen immer dominant, gibt es Dauer-Vetogruppen, gibt es strukturelle Minderheiten, die ständig übergangen werden? (...) Welche Typen der Organisation von Interessen erleichtern welchen Interessen die Durchsetzung (...) ?“[8]
Im Weiteren sollen die organisierten Interessen in der Bundesrepublik, auch mit Rückblick auf diese Fragen, untersucht werden.[9]
2 Organisierte Interessen in der BRD
Wie bereits in der Anleitung angedeutet wurde, gibt es in der Bundesrepublik eine praktisch unüberschaubare Menge von Interessenverbänden und Interessenvertretern. Fragt man darüber hinaus nach der Menge organisierter Interessen im Allgemeinen – schließt man also diejenigen Organisationen mit ein, denen der Wille zur politischen Einflussnahme nicht zu eigen ist, gerät man schnell an die Grenzen des fassbaren. Nicht umsonst fragt Ulrich von Alemann in diesem Zusammenhang: „Wer kann das Meer der Organisationen ausloten?“[10] Eine Antwort bleibt er zunächst schuldig, denn wie er richtig bemerkt, „gibt es keine klaren Daten (...). Es existieren nur Schätzungen und Annäherungen.“[11]
In Anbetracht dieses Forschungsstandes und auch aufgrund der ebenfalls schon angedeuteten Notwendigkeit von Prioritätensetzung bei dieser Untersuchung, soll der Begriff der organisierten Interessen hier im weiteren auf diejenigen Organisationen beschränkt werden, die tatsächlichen Einfluss auf den politischen Prozess der BRD nehmen.
2.1 Das Spektrum der organisierten Interessen
In diesem Abschnitt soll versucht werden etwas Ordnung in die oben beschriebene Gruppe organisierter Interessen zu bringen. Um das Eingrenzungskriterium der 'politischen Aktivität' von Interessenverbänden zu präzisieren, wird hier die in der Einleitung erwähnte, beim Bundestag geführte Lobbyliste heran gezogen. In dieser Liste müssen sich alle Verbände registrieren lassen, die bundespolitisch aktiv werden – d.h. beispielsweise an parlamentarischen Anhörungen teilnehmen – wollen.
Martin Sebaldt der in einer sehr ausführlichen Studie[12] unter anderem die entsprechenden Listen von 1974 bis 1994 untersucht hat, sieht sie als zuverlässige Quelle, „da keine ernsthaften Gründe existieren sich dieser Registrierung zu entziehen, sondern sie letztendlich nur Vorteile in Form von Beteiligungschancen bringt.“[13]
[...]
[1] „Verbändestaat“ in: Nohlen, Dieter; Schultze, Rainer-Olaf (Hrsg.): Lexikon der Politikwissenschaft / Theorien, Methoden, Begriffe. München 2002
[2] Vgl. Rudzio, Wolfgang: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 5. überarbeitete Auflage, Opladen: 2000. S. 69
[3] Fraenkel, Ernst: Deutschland und die westlichen Demokratien. 7. Aufl. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: 1979. S. 200
[4] Fraenkel: Deutschland und die westlichen Demokratien S. 42
[5] Vgl. Fraenkel: Deutschland und die westlichen Demokratien. S. 199
[6] Vgl. Rudzio: politisches System der BRD S. 106
[7] Vgl. Lehmbruch, Gerhard: Verhandlungsdemokratie, Beiträge zur vergleichenden Regierungslehre. Wiesbaden: 2003. S. 158
[8] Abromeit, Heidrun: Interessenvermittlung zwischen Konkurrenz und Konkordanz: Studienbuch zur Vergleichenden Lehre politischer Systeme. Opladen: 1993. S. 9
[9] Es sei nicht verschwiegen, dass Abromeit den Aspekt der Gemeinwohl-Schädlichkeit oder -Verträglichkeit explizit nicht berücksichtigt. Allerdings erscheint diese Distanzierung als künstliche Abgrenzung zu einer vermeintlich überholten „konservativen Verbändekritik“ und wird im weiteren durch ihre Bezugnahme auf den Gerechtigkeitsbegriff wieder relativiert. Dem Verfasser dieser Arbeit erscheinen die von ihr aufgestellten Fragenkomplexe - trotz Abromeits Distanzierung von der Gemeinwohlfrage - als adäquate Bewertungshilfen, bei der Untersuchung von Interessenvermittlungssystemen auf ihre gesamtgesellschaftliche Balance – und damit auch auf ihre Gemeinwohl-Verträglichkeit hin.
[10] von Alemann, Ulrich; Kißler, Leo (Hrsg): Grundwissen Politik. Band 1: von Alemann, Ulrich: Organisierte Interessen in der Bundesrepublik. Opladen 1987. S. 59
[11] Ebd.
[12] Sebaldt, Martin: Organisierter Pluralismus: Kräftefeld, Selbsveständnis und politische Arbeit deutscher Interessengruppen. Opladen: 1997.
[13] Sebaldt: Organisierter Pluralismus. S. 75
- Arbeit zitieren
- Stefan Weidemann (Autor:in), 2006, Lobbyismus im Verbändestaat, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92246
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