Diese Arbeit dient in erster Linie der Betrachtung und dem Verstehen in Bezug auf die Entstehung und Entwicklung der Frauenbewegung und der damit verbundenen Stellung der Frau. Deshalb liegt ein Fokus der Arbeit auf der Entstehungsgeschichte der Bürgerlichen und der Proletarischen Frauenbewegung in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Die Ungleichheit der Gesellschaft im Kaiserreich hatte historische Ursachen, die ebenfalls in dieser Arbeit thematisiert werden. Dafür geht der Blick weit zurück in die antike Zeit und widmet sich der Betrachtung der vorzivilisierten Gesellschaft, ihrer Entwicklung und ihrem Umgang mit den weiblichen Mitgliedern.
Es wird die Entstehung des Patriarchats aufgezeigt, dessen Rahmenbedingungen die Ungleichheit der Frau über Jahrtausende zementierte und sich in vielen Teilen auch heute in unserer modernen Gesellschaft noch auswirken. Ausgehend von der Proletarischen Frauenbewegung und ihrer Verknüpfung mit der deutschen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung geht der weitere Fokus in Richtung der Geschichte der DDR und ihrer Frauenpolitik. Hier gab es einen ernsthaften Versuch, die Ideale der Arbeiterbewegung und damit einhergehend die Gleichberechtigung der Frau in einer sozialistischen Gesellschaft umzusetzen. Inwiefern dies gelungen ist, wird die Arbeit aufzeigen. Ein weiterer Aspekt der Arbeit ist die Situation der Frauen in der Gewerkschaftsbewegung der BRD.
Die Arbeit gliedert sich in sieben Kapitel, wobei Kapitel 1 und 2 das Vorwort und die Einleitung umfassen. In Kapitel 3 wird ein Rückblick unternommen, der den Beginn und die Entwicklung der Menschheit in Bezug auf gesellschaftliche Verhältnisse, den Familienbegriff und das Verhältnis zwischen Mann und Frau, betrachtet. Das Kapitel 4 beschäftigt sich mit dem Beginn der Frauenbewegung in Deutschland, deren Vorbedingungen und Auslöser. Ausgehend von der Französischen Revolution werden die Entwicklungen, die Auswirkungen und die verschiedenen Strömungen der Frauenbewegung bis zum Ende des ersten Weltkrieges dargelegt. Kapitel 5 nimmt die Situation der Frauen in der ehemaligen DDR, unter Betrachtung der politisch gegebenen Verhältnisse, unter die Lupe und zeigt auf, wie sich Politik und Gesellschaft dem Anspruch, Gleichberechtigung zu verwirklichen, stellten. Kapitel 6 betrachtet die Situation der Frauen in den Gewerkschaften der BRD, vor allem im Deutschen Gewerkschaftsbund. Mit gewonnenen Erkenntnissen und einem Ausblick schließt die hier Arbeit in Kapitel 7 ab.
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort
2. Einleitung
3. Die Vorbedingungen der Frauenbewegung
3.1. Geschichtlicher Rückblick zu den Ursprüngen der Menschheit
3.2. Mutterrecht vs. Vaterrecht und die Etablierung des Patriarchats
4. Die Französische Revolution und die Frauen
4.1. Die Lebenssituation der Menschen im ausgehenden 18. Jahrhundert
4.2. Exkurs Frauenbild der Zeit
4.3. Die Frauenfrage in Deutschland
4.4. Die Deutsche Revolution 1848 und die Institutionalisierung der Frauenbewegung in Deutschland
4.4.1. Trennung in proletarische und bürgerliche Frauenbewegung
4.4.2. Die bürgerliche Frauenbewegung
4.4.3. Proletarische Frauenbewegung
4.5. Errungenschaften und Grenzen - Was wurde erreicht?
5. Die Frauenbewegung in der DDR
5.1. Neue Wege Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Gründung der DDR
5.1.1. Die Gründung der DDR
5.1.2. Gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen
5.1.3. Die wirtschaftliche Situation der DDR
5.1.4. Das Bildungssystem der DDR
5.2. Frauenpolitik
5.3. Berufsförderung für Frauen
5.4. Institutionen der Frauenpolitik und der Internationale Frauentag
5.5. Die Lebenssituation der Frauen
5.6. Frauen in Führungspositionen
5.7. Grenzen der staatlichen Frauenpolitik
5.8. Das Ende des DDR-Staats und die Rolle rückwärts in Frauenfragen?
6. Die Frauengewerkschaftsbewegung in der BRD
6.1. Situation der Frauen in der Bundesrepublik
6.2. Die Frauenbewegung in der BRD
6.3. Frauen in der Gewerkschaft
6.4. Die Themen der Frauengewerkschaftsarbeit
6.4.1. Lohngleichheit für Frauen
6.4.2. Das Recht auf Arbeit für Frauen
6.4.3. Sicherung des Frauenarbeitsschutzes, Mutterschutz
6.4.4. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
6.4.5. Frauenbildungsarbeit
6.4.6. Aufwertung typischer Frauenberufe / Entgeltdiskriminierung
6.4.7. Frauen- und Gleichstellungspolitik
6.4.8. Führungspositionen
6.5. Traditionen und Einflüsse der Gewerkschafterinnen
7. Erkenntnisse und Ausblick
7.1. Zusammenfassung der einzelnen Kapitel
7.2. Wesentliche Zusammenhänge
7.3. Blick auf heute
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
"Mehr Stolz, ihr Frauen!
Wie ist es nur m ö glich, dass ihr euch nicht aufbäumt gegen die Verachtung, die euch noch immer trifft.
- Auch heute noch? Ja, auch heute noch." (Hedwig Dohm)
1. Vorwort
Das Zitat von Hedwig Dohm, dass sie so im ausgehenden 19. Jahrhundert äußerte, hat an Aktualität nicht verloren. Auch in unserer heutigen Zeit, in unserem Land und weltweit existiert eine, je nach Region, starke oder schwächer ausgeprägte Benachteiligung der Frauen. Um diese zu verstehen und einordnen zu können, ist es nötig, sich damit geschichtlich zu beschäftigen. Helmut Kohl sagte einst, „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten.“ Diesem Anspruch möchte ich mit meiner Masterarbeit weitestgehend gerecht werden. Ich will vor allem verstehen.
Ich bin Jahrgang 1975, in der DDR aufgewachsen und sozialisiert und habe als Jugendliche den Fall der Mauer in Berlin hautnah miterlebt. Die Aufnahme der DDR-Thematik in Bezug auf die Gleichberechtigung der Frau ist meinem Bedürfnis geschuldet, mich wissenschaftlich mit der Frauenpolitik der DDR auseinanderzusetzen. Ich bin mit dem Bewusstsein und dem Gefühl in das Leben getreten, dass Frauen gleichberechtigt sind, daran habe ich nie gezweifelt. So habe ich es in meiner Kindheit und Jugend erlebt und für mich als Normalität abgespeichert und nicht hinterfragt. Mein Leben als junge Erwachsene war geprägt von der Zeit der Wende mit ihren politischen und wirtschaftlichen Folgen, und den Alltagssorgen einer alleinerziehenden und berufstätigen Mutter. Dies ließ keinen Raum für die weitere Beschäftigung mit der Thematik. Das Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten brachte andere Rollenbilder in meine Gedanken- und Gefühlswelt, wodurch ich begann, die Gleichberechtigung der Frau kritisch zu hinterfragen und mich auf persönlicher Ebene zu positionieren. Im Masterstudium bekam ich die Möglichkeit, mich tiefer und wissenschaftlich mit dem Thema Frauen und Ungleichheit auseinanderzusetzen. Jetzt konnte ich die gefühlte Ungleichbehandlung und Ungerechtigkeit in Bezug auf Frauen in Worte fassen. Die tiefere Auseinandersetzung mit der Thematik in Form einer Masterthesis erschien mir dabei als ein inneres Bedürfnis. In diesem Sinne ist die hier vorliegende Arbeit zu sehen, als ein Versuch, dem Phänomen der (Un)-gleichbehandlung der Frau, welches in der Tat kein nur gefühltes, sondern auch belegbares ist, auf die Spur zu gehen und anhand der Historie verständlich zu machen.
Ein ganz besonderer Dank geht an meine Betreuungspersonen an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, Frau Dr. Godel-Gaßner und Frau Prof. Holm. Ohne ihre beständige, wohlwollende und fachlich sehr fundierte Hilfe wäre diese Arbeit nicht möglich geworden. Meinen Freundinnen Anna Bentele und Isabel Martin möchte ich ganz herzlich danken, fürs Lesen, fürs darüber diskutieren und für eure stets offenen Ohren. Der große Dank, den ich meinem Mann Hans-Jürgen Schroff gegenüber empfinde, soll nicht unerwähnt bleiben. Unermüdlich hat er mich unterstützt, war mir ein wertvoller Zuhörer und Gesprächspartner und hat mir während der Zeit des Schreibens stets den Rücken freigehalten. Dafür gebührt ihm mein außerordentlicher Dank.
2. Einleitung
Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist auch heute ein aktuelles und gesellschaftlich relevantes Thema, dessen Verwirklichung in Teilen dem gesetzlichen Anspruch hinterherhinkt.
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ (Art. 3, Abs.2, GG).
Mit dem Begriff der Gleichberechtigung wird der Bereich des „gleichen Rechts für alle“ abgesteckt, während die Gleichstellung auf die wirkliche Angleichung der Lebenssituation von gleichberechtigten Gruppen zielt. Im zweiten Gleichstellungsbericht des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend formuliert die Bundesregierung, „eine Gesellschaft anzustreben, in der Frauen und Männer die gleichen Verwirklichungschancen haben“ (BMFSFJ 2017, S. 9). Aspekte, wie die Beteiligung am Arbeitsmarkt, sowie an wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen und den damit verbundenen Funktionen, z. B. in Betriebsräten, Aufsichtsräten und betrieblichen Führungspositionen, sowie die Vertretung in politischen Entscheidungsräumen, stellen Indikatoren dar, an denen der Stand der Gleichstellung gemessen werden kann. Um wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen und Männern zu gewährleisten, stellen Bildungschancen, verfügbares Realeinkommen und Zeit für die Erwerbsarbeit zentrale Eckpfeiler dar. Verbunden mit der Zeit für die Erwerbstätigkeit ist die partnerschaftliche Aufteilung der Familien- und Sorgearbeit, welche die Vereinbarkeit von Beruf und Familie miteinschließt. Die aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung zur Gleichstellung der Geschlechter 2020 zeigt den tatsächlichen Stand in den Bereichen Bildung, Erwerbsarbeit, Einkommen, Zeit, Sorgearbeit und Mitbestimmung auf. Die Studie verweist darauf, dass sowohl in Teilen Fortschritte in Bezug auf den Abbau von Geschlechterungleichheit, als auch bedenklich stimmende Stagnationen und Rückschritte zu verzeichnen sind (vgl. Hobler et.al., 2020, S. 5f). Für den Bereich Bildung konnte festgestellt werden, dass nur noch geringe Unterschiede beim höchsten beruflichen Abschluss zwischen Frauen und Männern herrschen und die Frauen die Männer bei der schulischen Bildung bereits überholt haben. Inzwischen nehmen mehr Frauen als Männer an der beruflichen Weiterbildung teil. Als ein reales Problem in Bezug auf die Berufsausbildung muss die starke Segregation entlang der Geschlechtsgrenzen genannt werden, die auch in der Erwerbsarbeit zu verzeichnen ist. Frauentypische Berufe werden schlechter bezahlt, die geringfügigen Tätigkeiten werden hauptsächlich von Frauen ausgeübt, einzig in der Verteilung der befristeten Stellen können keine Unterschiede festgestellt werden. Wirklich schwierig in Bezug auf die Erwerbstätigkeit ist die Verteilung von Teilzeitarbeit. Fast jede zweite Frau, aber nur jeder zehnte Mann übt eine Teilzeitbeschäftigung aus. Dies hängt eindeutig mit der Verteilung der Sorgearbeit zusammen, die hauptsächlich noch immer von Frauen verrichtet wird. Damit leisten sie in der Mehrzahl einen deutlich höheren Anteil an unbezahlter Arbeit als Männer. Dies gilt auch dann, wenn sie erwerbstätig sind und Vollzeit arbeiten. Die Arbeitsteilung bei Paaren mit Kindern entspricht immer noch der traditionellen Rollenaufteilung, in der die Frauen einen ungleich höheren Anteil an unbezahlter Hausarbeit und Kinderbetreuung übernehmen und Männer den höheren Anteil an bezahlter Erwerbstätigkeit leisten. Die Doppelbelastung durch Sorgearbeit und Erwerbstätigkeit ist damit eindeutig den Frauen vorbehalten, die durch die Pflege von Angehörigen zusätzlich verstärkt wird. Auch in diesem Bereich obliegt der Frau der Großteil der Pflegearbeit in den Familien. Positiv erwähnt werden muss die Verbesserung der institutionellen Kinderbetreuung, die in den letzten Jahren stark gestiegen ist. Auch nehmen immer mehr Männer die Leistungen des Elterngeldes in Anspruch und beteiligen sich an der Pflege von Angehörigen, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie die Frauen. Die größte Herausforderung der Gleichstellung ist der Bereich der Mitbestimmung, denn hier ist eindeutig eine Ungleichheit zu verzeichnen. Die gewerkschaftliche Organisation der Frauen stellt sich als weitaus geringer dar, als die der Männer. Aufgrund von gesetzlichen Bestimmungen für börsennotierte und paritätisch-mitbestimmte Unternehmen, hat sich die Quote der Frauen in Aufsichtsräten leicht erhöht, aber mit einer Vertretung von nur 27 Prozent aller Aufsichtsratsmandate und nur 8 Prozent aller Vorstandsvorsitze in den 160 größten deutschen börsennotierten Unternehmen, kann noch lange nicht von Gleichstellung gesprochen werden (vgl. ebd., S. 6). Auch auf der politischen Ebene wird das Missverhältnis der Geschlechter deutlich. Mit der letzten Bundestagswahl 2017 ist der Bundestag enorm gewachsen, der Frauenanteil der Mandatstragenden ist allerdings deutlich zurückgegangen, auf nur noch 31%. Dieser Tiefstand in Bezug auf die Frauenquote im Bundestag knüpft an das Wahljahr 1998 an (vgl. Bukow; Voß, 2018).
Warum eine Masterthesis zum Thema Frauenbewegung schreiben? Die Auseinandersetzung mit dem aktuellen Zeitgeschehen in Bezug auf die Situation der Frauen in Deutschland, macht es notwendig, sich den historischen Begebenheiten, Geschehnissen und Entwicklungen der Frauenbewegung zu stellen. Die heutige Situation von Frauen in der BRD kann nur unter dem Einbezug der historischen Begebenheiten verstanden werden. Trotz all der Errungenschaften, die es Frauen erlauben, zu wählen und sich wählen zu lassen, sich Bildung anzueignen, Berufe ihrer Wahl zu ergreifen, sich zu entwickeln und an der Gesellschaft teilzuhaben, sind sie auch heute noch der Doppelbelastung von Haushalt und Familie und ihrer Berufstätigkeit ausgesetzt. Hausarbeit und Fürsorgetätigkeiten haben noch immer nicht die gesellschaftliche Akzeptanz gefunden, die ihnen gebührt. Die Altersarmut ist vor allem ein weibliches Problem.
Um sich den Ursachen dafür zu nähern, ist es angemessen, sich mit der Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland auseinanderzusetzen. Diese Arbeit dient in erster Linie der Betrachtung und dem Verstehen in Bezug auf die Entstehung und Entwicklung der Frauenbewegung und der damit verbundenen Stellung der Frau. Deshalb liegt ein Fokus der vorliegenden Arbeit auf der Entstehungsgeschichte der Bürgerlichen und der Proletarischen Frauenbewegung in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Ungleichheit der Gesellschaft im Kaiserreich hatte historische Ursachen, die ebenfalls in dieser Arbeit thematisiert werden. Dafür geht der Blick weit zurück in die antike Zeit und widmet sich der Betrachtung der vorzivilisierten Gesellschaft, ihrer Entwicklung und ihrem Umgang mit den weiblichen Mitgliedern. Es wird die Entstehung des Patriarchats aufgezeigt, dessen Rahmenbedingungen die Ungleichheit der Frau über Jahrtausende zementierte und sich in vielen Teilen auch heute in unserer modernen Gesellschaft noch auswirken. Ausgehend von der Proletarischen Frauenbewegung und ihrer Verknüpfung mit der deutschen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung geht der weitere Fokus in Richtung der Geschichte der DDR und ihrer Frauenpolitik. Hier gab es einen ernsthaften Versuch, die Ideale der Arbeiterbewegung und damit einhergehend die Gleichberechtigung der Frau in einer sozialistischen Gesellschaft umzusetzen. Inwiefern dies gelungen ist, wird die Arbeit aufzeigen. Ein weiterer Aspekt der Arbeit ist die Situation der Frauen in der Gewerkschaftsbewegung der BRD. Wie stellte sich die Arbeit der Frauen hier dar, mit welchen Problemen sahen sie sich konfrontiert und welchen Traditionen fühlten sie sich verbunden?
Die in der Arbeit verwendete Literatur weist eine große zeitliche Spannweite auf. Aufgrund der historischen und gegenwärtigen Betrachtung des Forschungsgegenstands Frauenbewegung wird Literatur aus dem 19., 20. und 21. Jahrhundert genutzt, ungeachtet der politischen Einstellungen der Autorinnen und Autoren. Allgemeine Kenntnisse der Geschichte werden vorausgesetzt und die Arbeit erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.
Die hier vorliegende Arbeit gliedert sich in sieben Kapitel, wobei Kapitel 1 und 2 das Vorwort und die Einleitung umfassen. In Kapitel 3 wird ein Rückblick unternommen, der den Beginn und die Entwicklung der Menschheit in Bezug auf gesellschaftliche Verhältnisse, den Familienbegriff und das Verhältnis zwischen Mann und Frau, betrachtet. Auch der Begriff des Mutterrechts wird in diesem Zusammenhang thematisiert. Das Kapitel 4 beschäftigt sich mit dem Beginn der Frauenbewegung in Deutschland, deren Vorbedingungen und Auslöser. Ausgehend von der Französischen Revolution werden die Entwicklungen, die Auswirkungen und die verschiedenen Strömungen der Frauenbewegung bis zum Ende des ersten Weltkrieges dargelegt. Bewusst wird die Zeit von der Entstehung der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges ausgespart. Die Rezeption dieser Zeit ist in verschiedenen Forschungsarbeiten umfänglich dargestellt und erörtert worden. Für diese Arbeit ist dieser Zeitabschnitt nicht relevant. Kapitel 5 nimmt die Situation der Frauen in der ehemaligen DDR, unter Betrachtung der politisch gegebenen Verhältnisse, unter die Lupe und zeigt auf, wie sich Politik und Gesellschaft dem Anspruch, Gleichberechtigung zu verwirklichen, stellten. Kapitel 6 betrachtet die Situation der Frauen in den Gewerkschaften der BRD, vor allem im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Absichtlich wird in diesem Kapitel der Teil der Bewegung, die eher in der Tradition der Bürgerlichen Frauenbewegung steht, wie die Autonome Frauenbewegung, nur am Rande erwähnt, da der Fokus auf den Entwicklungslinien der Proletarischen Frauenbewegung und damit der Frauen liegt, die sich im gewerkschaftlichen Umfeld bewegen. In Bezug dazu wird hier herausgearbeitet, mit welchen Traditionen, Erfahrungen und Problematiken sich die Frauen in der Gewerkschaftsarbeit auseinandersetzen müssen. Mit gewonnenen Erkenntnissen und einem Ausblick schließt die hier vorliegende Masterarbeit in Kapitel 7 ab.
3. Die Vorbedingungen der Frauenbewegung
Um die Entwicklung der Frauenbewegung und ihrer Forderungen zu verstehen, ist es notwendig, den geschichtlichen Rückblick zu wagen. Wie war es früher zu Beginn der Menschheit, galt schon immer die patriarchalische Gesellschaftsordnung? Wie hat sich die Familie über die vielen Jahrtausende zu unserer heutigen modernen Form entwickelt? Das folgende Kapitel setzt sich mit diesen Fragestellungen auseinander und versucht einen Überblick darüber zu schaffen.
3.1. Geschichtlicher Rückblick zu den Ursprüngen der Menschheit
Der Anthropologe und Mitbegründer der Ethnologie Lewis Henry Morgan (1818-1881) gilt als einer der ersten Wissenschaftler, der die menschliche Vorgeschichte zu ordnen begann.
„Man kann jetzt auf Zeugnisse von überwältigender Kraft hin behaupten, dass daß die Wildheit bei allen Stämmen der Menschheit der Barbarei vorherging, wie anerkanntenermaßen die Barbarei ein Vorläufer der Zivilisation war. Die Geschichte des Menschengeschlechts zeigt überall die gleichen Anfänge, die gleichen Erfahrungen, den gleichen Fortgang.“ (Morgan, 1908, S. XIII)
Er teilte die Entwicklung der Menschheit in drei Stufen ein, um daran den jeweiligen Fortschritt deutlich zu machen. Im Zusammenhang mit der Entwicklung des Menschengeschlechts, muss nach Morgan auch die Entstehungsgeschichte der Familie gesehen werden. In ihrer Entwicklung hat die Familie viele aufeinanderfolgende Formen durchlebt und große Verwandtschaftssysteme geschaffen, die sich zum Teil bis heute erhalten haben. Ihr Weg lässt sich nachvollziehen von der Blutsverwandtschaftsfamilie über Zwischenformen bis zur monogamen Familie. Seiner Ansicht nach entwickelte sich parallel zur Menschheit und Familie, der Eigentumsbegriff. Während den Menschen in der Wildheit die Gier nach Reichtum noch völlig unbekannt war, veränderte sich dieser Umstand gravierend, je zivilisierter die Menschheit wurde (vgl. ebd., S. XIV f).
„Es steht fest, dass der Mensch nicht […] als Kulturmensch auf die Erde kam, sondern er hat in unendlich langen Zeiträumen, indem er sich allmählich aus dem reinen Tierzustand befreite, Entwicklungsperioden durchgemacht, in welchen sowohl seine sozialen Beziehungen wie die Beziehung zwischen Mann und Frau die verschiedensten Wandlungen erfuhren.“ (Bebel, 1977, S. 10)
Morgan folgend teilt sich die Entwicklung des Menschengeschlechts in die Stufe der Wildheit, der Barbarei und zuletzt in die Stufe der Zivilisation auf. Die Stufe der Wildheit ist gekennzeichnet durch die Nutzbarmachung des Feuers und den Zugang zur Fischnahrung. Die Menschen bauten noch einfache Steinwerkzeuge, später dann Pfeil und Bogen. Damit erschufen sie die entscheidende Waffe zur Nahrungsmittelbeschaffung (vgl. Engels, 1973, S. 29f). Die Ausbildung einer artikulierten Sprache kann als Hauptergebnis dieser Zeit angesehen werden. Auf der zweiten Stufe steht die Barbarei. Diese Periode ist gekennzeichnet durch die Einführung der Töpferkunst, der Zähmung von Tieren und der Züchtung von Pflanzen. In diesem Zeitraum gelang es den Menschen Herden zu bilden und als Hirten ihr Leben zu bestreiten. Die Fähigkeit, Eisenerz zu verarbeiten, fällt ebenso in diese Periode. Die letzte Entwicklungsstufe nach Morgan ist die Stufe der Zivilisation. Durch die Erfindung der Buchstabenschrift und ihrer Verwendung zur Literatur, wie es beispielsweise von den alten Ägyptern und ihrer Hieroglyphen, den Griechen der Heroenzeit oder von den italienischen Stämmen überliefert ist, wechselte das Menschengeschlecht die Entwicklungsstufe. Neben dem kulturellen Aufschwung konnte mit der Erfindung des Pflugschars Ackerbau auf großen Territorien durchgeführt werden. Damit einhergehend war es nun möglich, Lebensmittel zu vermehren und aufzubewahren. Die Weiterentwicklung von Eisenwerkzeugen gedieh ebenso wie Verarbeitung von Rohstoffen zu einem Kunsthandwerk. Weitere Erfindungen dieser Periode waren der Blasebalg oder die Handmühle. Öl und Wein wurden erstmals verarbeitet und der Wagen, wie auch für die Kriegsführung nützlich, der Streitwagen erfunden. Die Anfänge von Architektur sind anhand befestigter Städte aus Stein mit Türmen und Zinnen zu erkennen (vgl. ebd. S. 33f).
In Bezug auf die Familie und das Leben der Geschlechter miteinander hat Morgan festgestellt, dass die Perioden der Wildheit und der Barbarei ihre ganz eigenen geschlechtlichen und gesellschaftlichen Beziehungen besaßen (vgl. Bebel, 1977, S. 14). Demnach gab es zu Beginn der Menschheitsgeschichte die Blutsverwandtschaftsfamilie, in der die Ehegruppen nach Generationen geordnet sind. So besteht eine Familie in diesem Konstrukt aus der Nachkommenschaft eines Paares und die Nachkommen der einzelnen Mitglieder sind sich ebenfalls Mann und Frau. Aus dieser Form der Familie hat sich die Punaluafamilie (Gruppenfamilie) entwickelt. Hier wurde den Eltern und Kindern, sowie Bruder und Schwester der Geschlechtsverkehr untersagt (vgl. Engels, 1973, S. 45ff). Dagegen ist die Ehe zwischen einer Reihe Schwestern eines Familienverbandes mit den Brüdern eines anderen Familienverbandes gewollt und erlaubt. Aus dieser Konstellation entwickelte sich allmählich der Geschlechtsverkehr bis hin zu entferntesten Kollateralverwandten mütterlicherseits. Daraus entsteht die Gens (Clan/Stamm/Sippe). Die Gens als eine Blutsverwandtschaftsgruppe hat eine Stammmutter, von der die weiblichen Nachkommen generationsweise abstammen. Die Mutter stellt das Haupt der Familie dar (vgl. Bebel, 1977, S. 24). Bei dieser Form der Gruppenfamilie kann nur schlüssig nachgewiesen werden, wer die Mutter ist, die Vaterschaft ist oft ungewiss. Daher wird die Abstammung nur der weiblichen Linie nach anerkannt. Bachofen hat dieses Prinzip das Mutterrecht genannt (vgl. Engels, 1973, S. 50). Aufgrund der zunehmenden Größe der Gens wurde die Gruppenehe mehr und mehr unmöglich, so dass sich die Paarungsfamilie durchsetzt. Diese Familienform kann zeitlich an der Grenze zwischen der Wildheit und der Barbarei verortet werden. Hier leben nur noch ein Mann und eine Frau zusammen. Während es dem Mann weiterhin gestattet ist, der Vielweiberei zu frönen, ist es den Frauen unter Androhung von Strafe, strengstens untersagt, andere Betten aufzusuchen. Allerdings kann die Ehe leicht gelöst werden und die Kinder bleiben weiterhin der Mutter zugehörig. Die Ehe wird von den Müttern gestiftet. Weiterhin wird die Haushaltsführung, wie in allen früheren Zeiten, von der Gemeinschaft betrieben (vgl. ebd. S. 57). Eigentum wird als Kollektiveigentum verstanden, Zugang dazu hat nur, wer mit der Gens verwandt ist (vgl. Wesel, 1980, S. 92).
„Kommunistischer Haushalt bedeutet aber die Herrschaft der Weiber im Hause, wie ausschließliche Anerkennung einer leiblichen Mutter bei Unmöglichkeit, einen leiblichen Vater mit Gewißheit zu kennen, hohe Achtung der Weiber, d.h. der Mütter, bedeutet. Es ist eine der absurdesten, aus der Aufklärung des 18. Jahrhunderts überkommenen Vorstellungen, das Weib sei am Anfang der Gesellschaft Sklavin des Mannes gewesen. Das Weib hat bei allen Wilden und allen Barbaren der Unter- und Mittelstufe, teilweise noch der Oberstufe, eine nicht nur freie, sondern hochgeachtete Stellung.“ (Engels, 1973, S. 57)
Am Übergang von der Barbarei zur Zivilisation1 begegnet uns erstmalig die Monogame Ehe/ Familie. Sie stellt den Sieg der Zivilisation über die Barbarei dar. Zusammen damit gewinnt auch die Bedeutung des Eigentums in dieser Periode enorm an Gewicht. Morgan verortet diesen Umstand am Beginn der Zivilisation. Die Begierde nach Besitz und Eigentum prägte sich aus und überstrahlte alle anderen Begierden. Sie ließ die Menschen nicht nur Hindernisse überwinden, sondern ermöglichte die Errichtung einer politischen Ordnung auf der Grundlage von Landgebiet und Eigentum (Morgan, 1908, S. 5). Aufgrund der Zähmung von Haustieren und der Züchtung von Herdentieren ist es den Menschen erstmals möglich, materiellen Reichtum zu generieren. Wurde vorher jeden Tag aufs Neue um Nahrung gerungen, kann diese nun gespeichert und gelagert werden. Die Vielzahl an Herdentieren bedarf nur wenig Pflege und Aufsicht. Dafür pflanzten sich diese in großer Zahl fort und lieferten beständig Fleisch und Milch. Die Jagd als Nahrungsbeschaffung wurde zum Luxus. Der so neu geschaffene Reichtum gehörte nach altem Brauch der Gens. Da dem Mann die Aufgabe der Nahrungsbeschaffung oblag, gehörten ihm auch die Arbeitsmittel und das Vieh selbst, welche er nach einer Scheidung mitnehmen konnte. Die Frau behielt den Hausstand. Mit dem Entstehen der neuen materiellen Verhältnisse kam auch die Erbfrage erneut auf. Starb der Mann wurde nach Mutterrecht all sein Besitz den Gens Verwandten zugesprochen, seine Kinder gingen leer aus. Mit der Zunahme des Reichtums an Vieh und Ackerland bekam der Mann eine immer stärker werdende Rolle innerhalb der Familie und nutzte diese aus, um die Erbfolge in seinem Sinne zu verändern. Dies ging wohl sehr einfach vonstatten (vgl. Engels, 1973, S. 63f).
„Denn diese Revolution – eine der einschneidendsten, die die Menschen erlebt haben - brauchte nicht ein einziges der lebenden Mitglieder der Gens zu berühren. Alle Angehörigen konnten nach wie vor bleiben, was sie gewesen. Der einfache Beschluß genügte, daß in Zukunft die Nachkommen der männlichen Genossen in der Gens bleiben, die der weiblichen aber ausgeschlossen sein sollten, indem sie in die Gens ihres Vaters übergingen. Damit war die Abstammungsrechnung in weiblicher Linie und das mütterliche Erbrecht umgestoßen, männliche Abstammungslinie und väterliches Erbrecht eingesetzt.“ (ebd., S. 65)
Die monogame Familie ist die erste Form der Familie, die statt auf natürlichen, auf ökonomischen Bedingungen beruhte. Damit stellt sie den Sieg des Privateigentums über das ursprüngliche natürliche Gemeinschaftseigentum dar. „Sie tritt auf als Unterjochung des einen Geschlechts durch das andre, als Proklamation eines bisher in der ganzen Vorgeschichte unbekannten Widerstreits der Geschlechter.“ (ebd. S. 75) Im Gegensatz zu den Formen des Zusammenlebens aus früheren Zeiten, wie die Gruppen –oder Paarungsehe, kann in der monogamen Familie einzig der Mann das Band lösen und seine Frau verstoßen. Auch ist es weiterhin für den Mann sittlich, Untreue zu üben. Dahingegen werden untreue Frauen gesellschaftlich geächtet und aufs Übelste bestraft. Die monogame Ehe und Familie begründeten die Herrschaft des Mannes, mit dem vornehmlichen Ziel, Kinder mit unbestrittener Vaterschaft zu zeugen (vgl. ebd., S. 71f). Ebenso fällt in diese Zeit die Nutzbarmachung der Ware Mensch – die Sklaverei. War sie den Völkern der Anfangszeit der Barbarei noch unbekannt, so forderten die Viehzucht, die Weberei und der Feldanbau Arbeitskräfte. Mit der Erzeugung von Reichtum aufgrund von sesshafter Landwirtschaft, höheren Gewerbefleißes, sowie lokalem und auswärtigem Handel, entstand auch die systematische Sklaverei. Ebenso eine Folge davon war die Entstehung der patriarchalischen Familie nach dem hebräischen Typus, die wie die lateinischen und griechischen Stämme die Oberhoheit des Vaters anerkannte (vgl. Morgan, 1908, S. 464f).
„Der erste Klassengegensatz, der in der Geschichte auftritt, fällt zusammen mit der Entwicklung des Antagonismus von Mann und Weib in der Einzelehe und die erste Klassenunterdrückung mit der des weiblichen Geschlechts durch das männliche. Die Einzelehe war ein großer geschichtlicher Fortschritt, aber zugleich eröffnet sie neben der Sklaverei und dem Privatreichtum jene bis heute dauernde Epoche, in der jeder Fortschritt zugleich ein relativer Rückschritt, in dem das Wohl und die Entwicklung der einen sich durchsetzt durch das Wehe und die Zurückdrängung der andern.“ (Engels, 1973, S. 77)
Mit dem Aufkommen der monogamen Familie am Ende der Barbarei und am Beginn der Zivilisation war die Abstammungsfolge auf die männliche Linie übergegangen. Durch die systematische Bebauung der Erde verwuchsen die Familien mit dem Boden und entwickelten sich zu einer Organisation zur Produktion von Reichtum. Dies führte zur Selbständigkeit der Familie. War in der Periode der Wildheit und Barbarei der Boden Gemeinschaftsbesitz der Gens, ist dieser nun am Beginn der Zivilisation durch die Sesshaftigkeit zu Privatbesitz Einzelner geworden. Der Vater und die Kinder bebauten ihr eigenes Stück Land, besaßen Herden und stellten eigene Waren zum Verkauf her. Daher entwickelte sich auch der Anspruch der Kinder auf die Güter, die sie zuvor bearbeitet hatten. Durch den Ackerbau wurde der Boden zum Objekt Einzelner. Das so entstandene Privateigentum verlangte nach einer neuen Ordnung und es stellte sich heraus, dass das Haupt der Familie das natürliche Zentrum der Anhäufung des Reichtums wurde. Mit der Entstehung der monogamen Familie wurde die Vaterschaft der Kinder sichergestellt und diente damit der Behauptung und Anerkennung des ausschließlichen Rechts der Kinder auf das Vermögen des verstorbenen Vaters (vgl. Morgan, 1908, S. 466ff).
Mit der Etablierung des Vaterrechts und des Patriarchats in der Antike hat sich die Stellung der Frau in der Familie und in der Gesellschaft verändert. Das sich dies nicht zu allen Zeiten der Geschichte der Menschheit so verhielt, erläutert das folgende Kapitel. Hier wird aufgezeigt, dass sich die Gesellschaften in vorzivilisierten Zeiten durchaus anders organisierten und Frauen eine deutlich stärkere Position in ihren Gemeinschaften einnahmen.
3.1. Mutterrecht vs. Vaterrecht und die Etablierung des Patriarchats
Dieser Abschnitt zeigt die Entwicklung vom Mutterrecht hin zum Vaterrecht und damit zur Entstehung des Patriarchats nach Bachofen auf. Johann Jakob Bachofen (1815-1887), ein Gelehrter der Altertumswissenschaften und Jurisprudenz aus der Schweiz hat sich mit diesem Thema beschäftigt. Er schrieb 1861 das Buch über das Mutterrecht, welches seiner Zeit seitens der Wissenschaft als unmöglich galt (vgl. Wesel, 1980, S. 9). Das Mutterrecht nach seiner Auffassung „ist also das Prinzip des gynaikokratischen (frauenherrschaftlichen) Zeit- und Weltalters […]. (Hartmann in Bachofen, 1975, S. XII)
„Von den Perioden und Völkern abgesehen, wo der Frau das „Mutterrecht“ eine hervorragende soziale Machtstellung einräumte, war die Lage des weiblichen Geschlechts stets die von Unterdrückten, von Menschen zweiten Grades, Wesen einer untergeordneten Gattung“ (Zetkin in Gensewich, 1994, S. 214)
Die Völker der Antike respektierten die Abstammung nach den Müttern und das damit verbundene Mutterrecht. In dieser Zeit wird vom Mutterland statt Vaterland gesprochen und von mater familias statt pater familias. Wie schon in früheren Familienformen gestaltete sich das Leben in den Gens nach der Gemeinschaft. Alle Güter waren Gemeinschaftsbesitz und es herrschte das kommunistische Wirtschaftsprinzip. Hier genossen die Frauen ein hohes Ansehen und führten die Familiengenossenschaft. Sie agierten als Streitschlichterinnen und Richterinnen. Als Priesterinnen sind sie für die Kultaufgaben verantwortlich. In diesen Gesellschaften genossen Frauen ein hohes Ansehen, der Muttermord stellt eines der schwersten Verbrechen dar und wird gemeinschaftlich gerächt (vgl. Bebel, 1977, S. 25).
„So zeigten sich die Wirkungen des Mutterrechts in allen Lebensbeziehungen der alten Völker, bei den Babyloniern, den Assyrern, Ägyptern, bei den Griechen vor der Heroenzeit, bei den italischen Völkerschaften vor der Gründung Roms, den Skythen, den Galliern, den Iberern und Kantabrern, den Germanen usw. Die Frau nimmt zu jener Zeit eine Stellung ein, die sie seitdem nie mehr eingenommen hat.“ (ebd., S. 25)
Herodot berichtete im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung vom Volk der Lykier, die in Südwest-Kleinasien siedelten. Dem reiselustigen Herodot, der sich für die verschiedensten Völker interessierte und so einiges in seinem Leben gesehen hatte, fiel vor allen Dingen ein besonderer Brauch der Lykier auf.
„Folgenden Brauch aber pflegen nur sie, und sie haben ihn mit niemandem auf der Welt gemeinsam: Sie nehmen den Namen ihrer Mütter an und nicht die ihrer Väter. (5) Wenn ein anderer sein Gegenüber fragt, wer er ist, dann wird er seinen Stammbaum mütterlicherseits aufführen und die Mütter der Mutter aufzählen. Wenn eine freie Bürgerin einen Sklaven heiratet, dann gelten ihre Kinder als freigeboren. Wenn aber ein Bürger, mag er auch der Angesehenste unter ihnen sein, eine fremde Frau oder eine Nebenfrau hat, dann haben die Kinder keine bürgerlichen Rechte.“ (Herodot, 2002, Ab. 173, S. 209f)
In der lykischen Gesellschaft folgen die Kinder der Mutter, nur die Töchter sind im Gegensatz zu den Söhnen erbberechtigt. In der Familie herrscht die Mutter, dieses Recht weitet sich auch auf das Staatswesen aus (vgl. Bachofen, 1975, S. 109). Über die alte Gesellschaft Athens berichtet Bachofen, dass nach einem schrecklichen Ereignis die Bürger und Bürgerinnen zusammenkamen, um zu beraten, was zu tun sei. Zu dieser Zeit waren die Frauen noch stimmberechtigt. Zur Auswahl stand der Schutz des Neptuns oder der Minerva. Die Frauen überstimmten die Männer und sprachen sich für Minerva aus. Das erboste den Gott Neptun und er überflutete alle Ländereien der Athener. Um ihn wieder wohlgesonnen zu stimmen, legten die Bürger Athens ihren Frauen eine dreifache Strafe auf. Sie nahmen ihnen ihr Stimmrecht und sie durften ihre Kinder nicht mehr nach ihnen benennen, wie sie sich selbst auch nicht mehr Athenäerinnen, nach der Göttin Athene, nennen durften. Diese mythische Geschichte zeigt den Übergang vom Mutterrecht zum Vaterrecht bei den Athenern, dabei steht Neptun für das Vaterrecht und Minerva für das jetzt besiegte Mutterrecht (vgl. ebd. S. 138).
Besonders anschaulich stellt Bachofen den Übergang vom Mutterrecht zum Vaterrecht anhand der Orestie des Aeschylos (525-456 v. Chr.) dar. Aufgeführt um 458 v. Chr. in Athen vor einem ausschließlich männlichen Publikum, geht es in dem Stück um den Mord des Orest an seiner Mutter Klytaemnestra, die wiederum zuvor ihren aus Troja heimgekehrten Mann Agamemnon zusammen mit ihrem Liebhaber umbringt. Verdient aus ihrer Sicht deshalb, weil er die gemeinsame Tochter Iphigenie auf einen Orakelspruch hin zu Gunsten des Krieges in Troja2 geopfert hatte. Dies wiederum erzürnt den Sohn Orest, der daraufhin seine Mutter aus Rache und auf Geheiß der Athene und des Apollo, ermordet. Die Erinnyen3, nach altem Brauch die Verteidigerinnen mutterrechtlicher Prinzipien, wollen Orest dafür bestrafen. Es kommt zu einer Verhandlung vor dem Areopag, dem Rat der Obersten von Athen. Athene und Apollo verteidigen dabei den Orest gegen die Erinnyen und stehen für das neue Recht, das Vaterrecht (vgl. Bebel, 1977, S. 34).
„Im Agamemnon, dem ersten Akt der Oresteis, liefert Aeschylos einen wichtigen Beitrag zur Kenntnis desselben Urrechts der menschlichen Gesellschaft, und seiner Auffassung schließt sich in diesem Teile auch Sophokles‘ Elektra an. Die Erinnyen verfolgen nur Orest, den Muttermörder, Klytaemnestras Tat ruft sie nicht zur Rache auf. Sie ist dem Mann nicht blutsverwandt, den sie erschlug.“ (Bachofen, 1975, S. 171)
Obwohl auch Klytaemnestra ihre Schuld mit dem Tode sühnen musste, treten die Erinnyen erst nach Orestes Mord an seiner Mutter auf den Plan. Die Erinnys selbst ist die Erde, die Mutter allen irdischen Lebens. Vergossenes Mutterblut stellt eine tiefe Beleidigung der Erde dar. Die Erinnyen, als Vertreterinnen der Mutter Erde und des Mutterrechts, sinnen auf Rache des gebrochenen alten Rechts, der alten Ordnung der Dinge (vgl. ebd. S. 161). Die Verhandlung vor dem Areopag endet ohne Mehrheit. Erst die Stimme der Athene, die als Vorsitzende fungiert, kann die Verhandlung für Orest entscheiden und er wird freigesprochen. Athene begründet ihre Entscheidung damit, dass keine Mutter ihr das Leben gab, sondern sie dem Männlichen ihr ganzes Herz gibt (vgl. Wesel, 1980, S. 58).
„Dem Vater hab ich alles zu verdanken und gebe darum auch nicht mehr Gewicht dem Tod der Frau, die ihren Mann, des Hauses Oberhaupt, erschlug.“ (Eumen, 737-743 in Wesel, 1980, S. 58)
Die Tragödie des Aeschylos beschreibt im Grunde die Frage nach dem Vorrang des Weiblichen oder des Männlichen. Apollo verteidigt Orest mit dem Argument, dass die Bindung des Kindes mit dem Vater enger sei, als die mit der Mutter. So gewinnt das neue Recht der Väter. Die Erinnyen können nur noch klagen, sie sind entmachtet.
„Oh neue Götter, alt Gesetz und uraltes Recht. Ihr reißt sie nieder, reißt sie fort aus meiner Hand.“ (Eumen, 808-809 in Wesel, 1980, S. 59).
Für Bachofen ist damit klargestellt, dass dadurch das Mutterrecht ins Vaterrecht überging (vgl. Bachofen, 1975, S. 185). Waren die Frauen zu Homers Zeiten noch gleichberechtigt und nach Mutterrecht in der Gesellschaft vertreten, veränderte die Entwicklung der Demokratie4 in Athen die Gesellschaft hin zu einer Männerdemokratie. Hier wird die Frau gesellschaftlich und juristisch zu einem Menschen zweiter Klasse. Mädchen wurden nicht unterrichtet und Frauen, selbst verheiratete, durften ihre Gemächer nur unter beständiger Aufsicht verlassen. Ihre rechtliche Stellung umfasste eine lebenslange Vormundschaft des Mannes oder männlicher Verwandter, sie konnte keine Verträge schließen und hatte auch kein Erbrecht. Den Weg der Scheidung konnten nur die Männer gehen. Ehebruch wurde definiert als die Verletzung der Rechte der Männer, begangen von verheirateten Frauen, nicht umgekehrt. Der Lebensbereich der Frau wurde auf das Haus, die Kinder und den Webstuhl verkleinert (vgl. Wesel, 1980, S. 60f).
„Der Umsturz des Mutterrechts war die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts. Der Mann ergriff das Steuer im Hause, die Frau wurde entwürdigt, geknechtet, Sklavin seiner Lust und bloßes Werkzeug der Kindererzeugung.“ (Engels, 1973, S. 66)
Das Aufkommen des Vaterrechts ging einher mit der Herrschaft des Privateigentums und der Unterdrückung der Frau (vgl. Bebel, 1977, S. 32f). Damit etablierte sich ein Rollenbild, das von nun an, ungeachtet der politischen Verhältnisse, in unserem Kulturraum fast 2000 Jahre unangetastet wirkte. Die Unterdrückung der Frau ist somit wesentlich älter als die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Gesetzgebung (vgl. Marx, 1968, S. 76).
„Über Jahrhunderte wurde diese entrechtete Lage des weiblichen Geschlechts als etwas völlig Natürliches, als Schicksal der Frau hingenommen. Nur wenige humanistisch gesonnenen Männer und Frauen protestierten gegen diese Entwürdigung des weiblichen Geschlechts, diesen wenigen blieb der Erfolg versagt.“ (Kuhrig, 1979, S. 12)
Das seither vorherrschende Vaterrecht und die Etablierung des Patriarchats führten dazu, dass in den kommenden Jahrhunderten die Frauen außerhalb des Hauses keinerlei Rechte besaßen. Sie waren stets auf den Mann angewiesen und hingen von seinem Wohlwollen ab. Weder in der katholischen und später in der protestantischen Kirche, noch im Staatswesen spielten Frauen eine Rolle, bis auf wenige Monarchinnen abgesehen. In Kunst, Literatur und Musik sind Frauen abwesend und auch der Bereich Bildung ist männlich dominiert. Die Zeit der Aufklärung brachte neue Denkkonzepte, auch in Bezug auf die Stellung der Frau. Die Französische Revolution 1789 motivierte die Frauen, sich für ihre Rechte einzusetzen. Mit der Formulierung der Menschenrechte lag ein Konzept vor, dass sich fragen lassen musste, warum nicht auch Frauenrechte Menschenrechte sind. Damit wurde das Thema Frauenrechte in den gesellschaftlichen Diskurs getragen und ließ sich nun nicht mehr, seitens der Herrschenden und politisch Verantwortlichen, verdrängen.
4. Die Französische Revolution und die Frauen
Mit der Französischen Revolution 1789 bekamen die Frauen die Chance, den Kampf für Gleichberechtigung und Anerkennung in den gesellschaftlichen Diskurs zu rücken. Durch die Revolution wurde die Grundfeste der gesamten bisherigen Weltordnung in Frage gestellt. Die Beseitigung des Feudalismus, seiner ständischen Gesellschaftsordnung und des Absolutismus stellte eine Zeitenwende dar. Die bisherige Ordnung der Familie und die Beziehung zwischen den Geschlechtern wurden ebenso zur Disposition gestellt. Die Französische Revolution ermutigte viele Frauen, die errungenen Rechte auch für sich in Anspruch zu nehmen. In Paris 1789 forderten die Frauen bei der Nationalversammlung die Einführung gleicher politische Rechte für beide Geschlechter.
„Die grundlegende Infragestellung der traditionellen Geschlechterbeziehungen und die veränderte, ungewohnte Rolle der Frauen waren nicht nur eine Folge revolutionärer Umwälzungen – im Sinne von betroffen sein oder mitgerissen werden. Vielmehr bestand das Neue gerade darin, dass der „allgemeine“ Wille, die Welt von Grund auf zu erneuern, eine neue Form der Öffentlichkeit schuf, d.h. einen politischen Raum, in dem Männer und Frauen der verschiedenen Schichten des Volkes agieren, ihre Stimme erheben und intervenieren können.“ (Gerhard, 2009, S. 10)
Es bildeten sich im Zuge dieser neuen Zeit zahlreiche Frauenversammlungen in Frankreich. Eine der herausragenden Persönlichkeiten war Olympe de Gouges (1748-1793), die mit ihrem Gesetz „Declaration des droits de la femme“ das bereits bestehende Gesetz „Declaration des droits de l’homme“ um die Beteiligung der Frauen erweiterte und dieses der Königin Marie Antoinette bereits 1789 überreichte.
„Frau, erwache! … Erkenne Deine Rechte! All seine Kräfte aufbietend vermochte der versklavte Mann nicht ohne deine Hilfe seine Ketten zu sprengen. Kaum in Freiheit, zeigt er sich ungerecht gegen seine Gefährtin. Oh Frauen! […] Sagt an, welche Vorteile sind Euch aus der Revolution erwachsen?“ (De Gouges in Ohgke, 1994, S. 166)
Das von ihr um Passagen erweiterte Gesetz sollte Ausdruck des gesamten Volkswillens sein. Die engagierten Frauen gründeten die erste Frauenzeitung „Le journal de l’Etat et du citoyen“. Sie traten nicht nur durch die Erstellung von Petitionen in Erscheinung, sie nahmen an Konvents Beratungen und an der Nationalversammlung teil und setzten sich aktiv, oft auch bewaffnet, für die politische Bewegung ein. Den neuen Machthabern, Robespierre und Danton, waren die motivierten Frauen allerdings ein Dorn im Auge. Ihre Forderung nach politischer Teilhabe wurde von ihnen als gefährlich und unweiblich diffamiert und es wurde darüber diskutiert, die Frauenversammlungen einfach zu verbieten. Frauen fehlt die Fähigkeit zum Nachdenken und sie sind nicht in der Lage, große Entscheidungen zu treffen. Dies war der Tenor der Machthaber (vgl. Lange in Ohgke, 1994, S. 164). Es gelang ihnen nicht, die Frauen von ihrem begonnenen Kampf für ihre Rechte abzuhalten. Somit sind diese Frauen Vorreiterinnen der sich anschließenden Frauenbewegungen geworden. Die Engpässe in der Lebensmittelversorgung spürten vor allem die Frauen, die sich um die Versorgung der Familie kümmerten. Ihre Forderungen nach Brot verknüpften sie mit geschickt mit politischen Ansprüchen und erreichten dadurch auch die Anerkennung der Menschenrechte durch den König. Doch galten die neu formulierten Menschenrechte für alle Menschen? Tatsächlich waren damit nur die Männer gemeint. Olympe de Gouges nahm sich die Erklärung der Menschenrechte vor und schrieb sie im Sinne der Gleichberechtigung um. Teilhabe der Bürgerinnen, Teilhabe an Gesetzgebung und an öffentlichen Ämtern sind nur einige ihrer Forderungen gewesen, die ihnen seitens der Herren verwehrt wurden. Die Frauen nahmen dennoch an der Nationalversammlung teil, engagierten sich in revolutionären Clubs, nahmen sich das Rederecht und reichten unzählige Petitionen ein. Tatsächlich schafften sie es, das Scheidungsrecht zu reformieren, indem sie nun die Möglichkeit hatten, sich scheiden zu lassen. Dieser kleine Sieg für die persönliche Freiheit der Frauen konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die mühsam erkämpften politischen Rechte nun systematisch aufgelöst wurden. Während die revolutionären Frauen zur Machtergreifung der Jakobiner noch einen wichtigen Faktor darstellten, wurden sie im Anschluss erneut entrechtet. Bereits 1793 wurden im ganzen Land die Frauenclubs verboten, im darauffolgenden Jahr wurde ihnen die Zulassung zu öffentlichen Versammlungen vom Konvent untersagt. Olympe de Gouges, die vehement für die Gleichberechtigung eintrat, wurde 1793 von den radikalen Revolutionären als Verräterin auf dem Schafott hingerichtet. 1795 wurde ein neues Zivilgesetzbuch verabschiedet, welches ausdrücklich auf die Unterschiede zwischen Mann und Frau verwies. Der „Code civil“, der 1804 unter Napoleon in Kraft trat und überall in Europa als eine Meisterleistung liberaler Gesetzgebung galt, fiel besonders durch sein hartes Familienrecht auf. Hier musste sich die Ehefrau in jeglicher Hinsicht, rechtlich und moralisch, dem Manne unterwerfen. Dies galt auch im Hinblick auf Scheidungen, bei denen bis 1938, die in der Ehe geborenen Kinder, sofern der Vater sie nicht anerkannte, keinerlei Ansprüche oder Rechte innehatten. Marianne Weber bescheinigt kritisch, dass das französische Zivilgesetzbuch damit hinter die Errungenschaften im Rechtsbereich des Ancient Regime und damit zurück in den reinsten mittelalterlichen Patriarchalismus fällt (vgl. Weber in Gerhard, 2009, S. 27). So wurden die Forderungen nach gleichberechtigter Teilhabe von Frauen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens erst 150 Jahre später umgesetzt. Damit etablierte sich die Vorstellung von der Ungleichheit der Geschlechter erneut, obwohl durch die Deklaration der Menschenrechte ein neuer Geist die Gleichheit aller Menschen zur Devise des Denkens machen sollte (vgl. Hofherr in Ohgke, 1994, S. 165f).
4.1. Die Lebenssituation der Menschen im ausgehenden 18. Jahrhundert
Nachdem Napoleon zum Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nationen beigetragen hatte, existierte seit dem Wiener Kongress von 1815 der deutsche Bund, ein Zusammenschluss der 39 souveränen Fürstentümer und Kleinstaaten. Preußen und Österreich kämpften jeweils um die Vormachtstellung. Nachdem 1834 der deutsche Zollverein gegründet wurde, baute vor allem Preußen seine wirtschaftspolitische Führungsrolle massiv aus. Das Land stand am Übergang von der feudalen zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. Dies ging einher mit einem enormen Bevölkerungszuwachs und der gleichzeitigen Beschleunigung der technisch-industriellen Entwicklung. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Deutschland, im Gegensatz zu England, noch weit entfernt von der Industriellen Revolution (vgl. Marx in Gerhard, 1978, S. 16). Erst in den 1840iger Jahren hatte auch hierzulande die kapitalistische Warenproduktion ihren Durchbruch. Dies belegen die Zuwachsraten in der Produktionsmittelindustrie und die gesteigerte Akkumulation und Anlagen von Geld- und Sachkapital (vgl. Merfeld in Gerhard, 1978, S. 16). Auch der Ausbau der Eisenbahn half dem industriellen Kapitalismus, sich endgültig als Wirtschaftsform zu etablieren (vgl. Bornemann in Gerhard, 1978, S.16).
Das Mittelalter mit seiner feudalistischen Ordnung kannte noch keine Trennung von Hausarbeit und Berufstätigkeit. Das wirtschaftliche Leben bestimmten die Zünfte, denen sowohl Handwerker als auch Gewerbetreibende angehörten. Die Bauern als auch die Handwerker bewirtschafteten zumeist ihr eigenes Stück Land, bzw. arbeiteten im eigenen Handwerksbetrieb. In diesem Kontext wurde von der Grundform der Familie als Produktionsgemeinschaft gesprochen. Die Familie besaß und nutzte ihre Produktionsmittel selbst (vgl. Weber-Kellermann in Bake, 1994, S. 142). Erst mit dem Aufkommen des Kapitalismus im 18. und 19. Jahrhundert wurden Millionen von Bauern und Handwerkern die ökonomische Existenz entzogen und sie fanden sich plötzlich in der Rolle des freien Lohnarbeiters wieder. Auch die Arbeit im Einzelhaushalt verlor dadurch ihren öffentlichen Charakter. Die Einführung der Massenproduktion führte zur Lohnarbeit der Frauen, die in vielen Fabriken die Mehrheit der Arbeiterschaft ausmachten. Ohne Kinder- und Frauenarbeit konnte sich der Kapitalismus nicht ausbreiten, er war auf ihre Arbeitskraft angewiesen (vgl. Herve‘, 1995, S. 11f). Die Frauen der Bauern und Handwerker galten bis dahin als gleichwertige Arbeitskräfte, verrichteten neben der Hausarbeit, ebenso die Garten- und Feldarbeit und trugen durch ihre Heimarbeit zum Familieneinkommen bei. Ihr Fleiß und ihre wirtschaftliche Umsicht entschieden oftmals über den Lebensstandard der Familie (vgl. Pinchbeck in Gerhard, 1978, S. 30f). Doch mit der Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse kommen die Frauen zunehmend unter Druck. König stellt dazu fest, „[…] daß der Wirkungsradius der Frauen seit dem Mittelalter fortschreitend eingeengt wurde und ihre soziale und rechtliche Stellung sich stetig verschlechtert hat.“ (König in Gerhard, 1978, S. 92)
Mit dem Kapitalismus kam die beschleunigte Umwandlung landwirtschaftlicher Produktionsverhältnisse, es entstanden landwirtschaftliche Großbetriebe und Handwerksmanufakturen. „[…], daß sich mit dem Übergang zur Entwicklung kapitalistischer Verhältnisse die Form der Arbeit geändert hatte – übrigens auch für den Mann: sie war Lohnarbeit geworden. Die neue „Freiheit“ als Lohnarbeiter für Mann und Frau aber fiel zusammen mit einer durch die Entwicklung der Produktivkräfte bedingten Trennung von Haus und Werkstatt oder Wohnung und Betrieb.“ (Gerhard, 1978, S. 33)
Auch die bürgerlichen Haushalte waren von dieser bedeutenden Umwälzung nicht ausgenommen. Die bürgerliche Frau führte bis dahin noch eine Existenz strenger häuslicher Zurückgezogenheit. Als Hausfrau hatte sie umfangreiche Aufgaben zu bewältigen. Nicht nur die alltäglichen Arbeiten waren zu verrichten, sie war auch verantwortlich für das Spinnen, Weben, die Herstellung von Bier und Kerzen. Erst die technische Entwicklung befreite sie von vielen ihrer bisherigen Arbeiten. Bis es dazu kommen sollte, lasteten alle Verantwortungen auf der Schulter der Frau, einzig am Sonntag zum Kirchgang, hatte sie frei. Ehen wurden nur innerhalb des gleichen gesellschaftlichen Kreises geschlossen, Töchter schon früh zur häuslichen Arbeit erzogen und der Zugang zu Bildung wurde ihnen oft verwehrt (vgl. Bebel, 1977, S. 93).
„Die Entwicklung der Produktionsmittel zerstörte die ökonomische Basis für das Wirken der Frau innerhalb der Familie, zugleich schuf sie die Bedingungen für die Thätigkeit der Frau in der Gesellschaft, draußen auf dem Markt des Lebens.“ (Zetkin in Gensewich, 1994, S. 215)
Die wirtschaftliche Situation im Kapitalismus verursachte ein Abrutschen der bisherigen kleinen Mittelstände, der kleinen Kaufleute, der Handwerker und Bauern in die Klasse des Proletariats. Entweder sie unterliegen der finanzkräftigen Konkurrenz oder ihre Fähigkeiten und Geschicklichkeiten werden von den neuen Produktionsweisen entwertet (vgl. Marx, 1848, Kommunistisches Manifest). Welche Auswirkungen dies auf die Frauen hatte, wird im Folgenden erläutert.
4.2. Exkurs Frauenbild der Zeit
Als Reaktion auf die besonderen gesellschaftlichen Verhältnisse entstand um 1830 vor allem in Preußen ein neuer bürgerlicher Patriarchalismus, der die traditionellen Herrschaftsansprüche des Mannes neu interpretierte und stützte und diese im Bürgerlichen- und im Familienrecht verankerte (vgl. Gerhard, 1978, S. 12). Waren die Frauen, wie auch die Männer Anfang des 19. Jahrhunderts aus der feudalen Unterdrückung entlassen worden, so sorgte ein reaktionäres bürgerliches Familienrecht dafür, dass sie sogleich erneut in die feudale Abhängigkeit des Ehemannes gerieten (vgl. ebd. S. 14f). Dem Kampf der Frauen für Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, für Gleichberechtigung und gesellschaftliche Anerkennung stand seit jeher eine Armada von Männern gegenüber, die sich vehement dagegen aussprachen und um ihre Macht und ihre Pfründe bangten, die sie durch die feministischen Bestrebungen der Frauen bedroht sahen. Viele Wissenschaftler, Vertreter verschiedenster Berufsstände und Politiker äußerten ihre Bedenken, aber auch ihre Verachtung dem weiblichen Geschlecht gegenüber, welches ihrer Meinung nach lediglich zur Arbeit im Haushalt, zur Fortpflanzung und Erziehung der Kinder existiert. „[…] daß die Natur selbst der Frau ihren Beruf als Mutter und als Hausfrau vorgeschrieben hat, und daß Naturgesetze unter keinen Umständen ohne schwere Schädigungen, welche sich im vorliegenden Falle besonders an dem nachwachsenden Geschlecht zeigen würden, ignoriert werden können.“ (Planck in Stein, 1985, S. 225) „[…] und dass sie alles thun, was in ihren Kräften steht, um im Interesse des menschlichen Geschlechtes die widernatürlichen Bestrebungen der „Feministen“ zu bekämpfen. Es handelt sich hier um die Gesundheit des Volkes, die durch die Verkehrtheit der „modernen Frauen“ gefährdet wird.“ (Möbius, 1905, S. 25)
Das Frauenbild dieser Zeit war bestimmt vom Denken, das die Frau für den Mann geschaffen wurde. Auch Rousseau (1712-1778) sah im Mann ein autonomes Subjekt, welches Staatsbürger sein soll, denn die Natur gab dem Mann Geistes- und Verstandeskräfte, während die Frau auf die Sphären des Herzens und des Geschmackes degradiert wurde. Frauen haben demnach nichts in der Politik verloren, nur der Mann ist freier Bürger und Familienoberhaupt. Die Frau hingegen ist dem Mann Gehorsam schuldig (vgl. Harter in Ohgke, 1994, S. 173). Schoppenhauer (1788-1860) spricht den Frauen gleich ganz die Fähigkeit zu körperlicher und geistiger Arbeit ab. Aus seiner Sicht befinden sich Frauen in einem Stadium zwischen Kind und Mann, weil sie sich läppisch, kindisch und kurzsichtig verhalten. Daher ist ihre Bestimmung die der Pflegerin und Erzieherin, mehr nicht. Auch fehlt der Frau der Sinn für Gerechtigkeit, Redlichkeit und Gewissenhaftigkeit. (vgl. Schoppenhauer in Ohgke, 1994, S. 174f).
„[…] Demgemäß wird man als den Grundfehler des weiblichen Charakters Ungerechtigkeit finden. Er entsteht zunächst aus dem dargelegten Mangel an Vernünftigkeit und Ueberlegung, wird zudem aber noch dadurch unterstützt, daß sie, als die schwächeren, von der Natur nicht auf die Kraft, sondern auf die List angewiesen sind: daher ihre instinktartige Verschlagenheit und ihr unvertilgbarer Hang zum Lügen5.“ (ebd., S. 175)
Hedwig Dohm (1831-1919) merkte den Widerspruch an, den die Frauen gesellschaftlich auszuhalten hatten. Die Poeten und Dichter sahen sie als sanftmütige, keusche und schüchterne Wesen, die in Prosa und Lyrik liebevoll besungen wurden, während die Mehrheit der Männer den Frauen Zankwütigkeit, Geschwätzigkeit, Naivität und raffinierte Berechnung nachsagten (vgl. Dohm, 1876, S. 9ff).
„Wer so des Weibtumes ganzen Jammer in der eigenen Brust gefühlt hat, der ermisst die tödliche Ungerechtigkeit der bisherigen Weltordnung. Der Narben lacht, hat Wunden nie gefühlt.“ (Dohm 1897 in Müller/Rohner, 2006, S. 94)
Das Desinteresse und die Abneigung der Männer gegenüber der Emanzipation der Frau führt Helene Lange (1848-1930) darauf zurück, dass sie (die Männer) nicht erleben müssen, was Frauen durchmachen. Für sie ist das Verhältnis zur Frau angemessen und sie können sich nicht im Entferntesten vorstellen, dass hier ein zutiefst ungerechter Umstand herrscht. Den neu gewonnenen sozial-ethischen Maßstäben hält dieses Gesellschaftmodell nicht mehr Stand und wird deshalb von den Frauen berechtigterweise kritisiert und trägt zur Mobilisierung der Frauen für einen Kampf nach politischer Teilhabe bei (vgl. Lange, 1980, S. 41).
Die Stellung und das Ansehen der Frauen zur Zeit der französischen Revolution und danach in nahezu sämtlichen Ländern der Erde, vor allem in Europa und im angelsächsischen Raum, haben amerikanische Frauen im Juli 1848 in ihrer „Declaration of sentiments“ folgend zusammengefasst, daraus ein Auszug:
„Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte wiederholter Schädigungen und Übergriffe von Seiten des Mannes gegenüber der Frau, die zum unmittelbaren Zweck die Begründung einer Tyrannei über sie haben. Um dies zu beweisen, sollen die Tatsachen einer unvoreingenommenen Welt unterbreitet werden.
Er hat ihr niemals erlaubt, ihren unveräußerlichen Anspruch auf das politische Stimmrecht auszuüben. Er hat sie gezwungen, sich Gesetzen zu unterwerfen, bei deren Abfassung sie keine Stimme hatte. Er hat ihr Rechte vorenthalten, die man den unwissendsten und entartetsten Männern, Einheimischen und Fremden, gewährt. Indem er sie des vornehmsten Rechts eines Bürgers, des Wahlrechts, beraubte, und sie so ohne Vertretung in den gesetzgebenden Körperschaften ließ, hat er sie auf allen Seiten unterdrückt. Er hat die verheiratete Frau, vom Standpunkt des Gesetzes aus, bürgerlich tot gemacht. Er hat ihr alles Eigentumsrecht genommen, sogar auf den selbstverdienten Lohn. […] In dem Heiratsvertrag ist sie gezwungen, ihrem Manne Gehorsam zu versprechen, der in jeder Beziehung zu ihrem Herrn wird, indem das Gesetz ihm das Recht gibt, sie ihrer Freiheit zu berauben und Züchtigung auszuüben. […] Er hat die Scheidungsfrage in bezug auf die Scheidungsgründe und in bezug darauf, wenn im Falle der Trennung die Kinder zugesprochen werden sollen, so gestaltet, daß dabei das Glück der Frau ganz außer Acht gelassen wird, da das Gesetz in allen Fällen von der falschen Voraussetzung der Überlegenheit des Mannes ausgeht und alle Macht in seine Hände gelegt wird. […] Er hat fast alle einträglichen Berufe monopolisiert, und in denen, die sie ausüben darf, erhält sie nur eine klägliche Bezahlung. […] Er hat ihr die Gelegenheit versagt, sich eine gründliche Bildung anzueignen, indem er ihr alle höheren Schulen verschloß. […] Er hat die öffentlichen Moralanschauungen verwirrt, indem er der Welt ein verschiedenes Sittengesetz für Mann und Frau gab, durch welches moralische Verfehlungen, die die Frauen gesellschaftlich unmöglich machen, bei dem Mann nicht nur geduldet, sondern sogar für ziemlich belanglos gehalten werden. […] Er hat sich in jeder Weise bemüht, ihr Vertrauen in ihre eigene Kraft zu zerstören, ihre Selbstachtung zu verringern und sie willig zu machen, ein abhängiges und unwürdiges Leben zu führen.“ (Declaration of sentiments 1848, zitiert nach Lange 1980, im Anhang)
In der Rechtsprechung und in der Theologie wird die Frau stets als bedeutungsloses Wesen betrachtet und auch die christliche Kirche hat sich ihre Geringschätzung gegenüber der Frau bewahrt. Die Frauen bleiben unmündig und die Ehe ist noch immer eine fast absolute und gesetzlich garantierte Herrschaftsform des Mannes (vgl. Dohm, 1986, S. 95f).
4.3. Die Frauenfrage in Deutschland
Die Französische Revolution hat die Idee der Menschenrechte aufs Tablett gebracht und ein Teil ihres Geistes nach Deutschland getragen (vgl. Bebel, 1977, S. 93). Durch die Industrialisierung und die Kapitalisierung der Gesellschaft hierzulande sind neue Phänomene im gesellschaftlichen Leben zu beobachten, was zur Entstehung der Frauenfrage entscheidend beitrug. Zunftprivilegien wurden abgeschafft, Markt- und Bannrechte aufgegeben und die persönliche Gebundenheit verschwand. Die technischen Verbesserungen sorgten für eine Verbilligung des Warenangebots und führten zur Massenbeschäftigung, vor allem für Frauen. Soziale und wirtschaftliche Schranken wurden abgebaut. Es entstanden verschiedene rechtliche Änderungen, wie die Gewerbefreiheit, die Freizügigkeit, die Aufhebung der Ehebeschränkungen und die Niederlassungsfreiheit, somit konnte sich der Kapitalismus frei entfalten (vgl. ebd., S. 93f). In diesem Rahmen entwickelte sich die Frauenfrage. Die Antwort darauf, was die Frauenfrage beinhaltet, gibt August Bebel (1840-1913) folgend:
„Bei dieser handelt es sich um die Stellung, welche die Frau in unserem sozialen Organismus einnehmen soll, wie sich ihre Kräfte und Fähigkeiten nach allen Seiten entwickeln kann, damit sie ein volles, gleichberechtigtes und möglichst nützlich wirkendes Glied der menschlichen Gesellschaft werde.“ (ebd., S. 3)
Während August Bebel den Ursprung der Frauenfrage in der Kapitalisierung der Gesellschaft und in der Eigentumsordnung sieht, die einfach abgeschafft werden müsse, ist für Helene Lange die Begründung der Frauenfrage eine andere (vgl. Lange, 1980, S. 15). Sie weist neben anderen Faktoren auch auf den Frauenüberschuss in den westlichen Gesellschaften hin.
„Der Frauenüberschuß ist ein erschwerender Faktor in der Entstehung der Frauenfrage und natürlich auch eine mittreibende Tatsache der Frauenbewegung.“ (ebd., S. 18)
Sie entwirft ein anderes Szenario, das zur Entstehung der Frauenfrage führt. Nach ihrem Verständnis verläuft das Leben des Kulturmenschen in zwei unterschiedlich großen Kreisen. Der kleinere von beiden ist der Kreis der Familie und der größere stellt die Gesellschaft dar.
„Unser Leben, alles was wir denken und arbeiten, und wiederum was wir an Kulturgütern empfangen und in uns aufnehmen, vollzieht sich zum Teil in dem engen Kreis der Familie, zum Teil in dem weiteren der sozialen Gemeinschaft.“ (ebd., S. 20)
Die modernen Technologien und die sich dadurch verändernde Gesellschaft hat eine Veränderung der Familienstrukturen mit sich gebracht. Das heißt, menschliche Tätigkeiten, die im primitiven Bereich der Familie vollführt wurden, verlagern sich immer mehr in die soziale Gemeinschaft, die in vielen Gesichtern auftritt, als Staat, als industrielle Unternehmung oder als freiwilliger Verband (vgl. ebd. S. 20ff). Die Entstehung der Frauenfrage verlegt Lange weit vor die Industrialisierung, an den Zeitpunkt nämlich, als Tätigkeiten, wie Spinnen oder Weben nicht mehr von den Frauen in der Kemenate verrichtet wurden, sondern sich zu einem Berufstand der sozialen Güterproduktion entwickelten, ebenso wie das Schneidern, Backen oder Sticken. Für Helene Lange liegt ein weiteres Indiz für die Frauenfrage in der Erziehung. Seit jeher wurde die Einführung in die Haushaltspraxis von allen Völkern als das Wesen der Erziehung betrachtet. Allerdings konnten nun die häuslichen Bildungsmöglichkeiten den differenzierten Bedürfnissen, die mit einem Staatswesen und einer veränderten Ökonomie einhergingen, nicht mehr gerecht werden. Und es entstand das Schulwesen, welches den Bildungsauftrag übernahm. Damit wuchs die Bedeutung des Kreises der sozialen Gemeinschaft und die kleinen Familienkreise wurden sogartig in den großen Kreis hineingezogen. Dabei gab es noch genügend Arbeit für die in der Familie vorhandenen Frauenkräfte. Die modernen und handwerklich hergestellten Gerätschaften verlangten nach Pflege und Erhaltung und auch die Erziehung, die zwar teilweise in die Schule ausgelagert wurde, benötigte die Aufmerksamkeit und Arbeit der Frauen. Trotz dessen empfanden immer mehr Frauen die Verkleinerung ihres Lebenskreises nicht mehr als Entlastung, sondern als ein Raub ihrer notwendigen Lebensinhalte. Für die Frau stellte sich nun die Frage, gelingt ihr ein Eintreten in die soziale Gemeinschaft durch Ausübung ihrer Leistungen oder muss sie in Zukunft auf die Verwertung ihrer Lebenskraft und Arbeitsleistung verzichten? „Da entstand die Krisis, die wir mit der modernen Frauenfrage augenblicklich erleben.“ (ebd., S. 22f) Die Expansion der Großindustrie konnte ohne die weibliche Arbeitskraft nicht gelingen und so zog diese immer mehr weibliche Arbeiterinnen an. Die Frauen gingen in die Fabriken und die Familie zerbröckelte unaufhaltsam weiter. Bereits 1839 in England war die Hälfte der in Fabriken angestellten Arbeiterschaft weiblich. Während viele Frauen aus der Mittel- und Unterschicht sich als Fabrikarbeiterinnen verdingten, drängten Frauen aus den oberen Schichten, deren Arbeitskraft durch die Entlastung im Haushalt freigestellt wurde, ebenfalls hinaus in die soziale Gemeinschaft, um in höhere Berufe eingelassen zu werden (vgl. ebd., S. 23). Neben dem bereits genannten Gründen für die Frauenfrage kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu. Durch die Vereinfachung der Haushaltsführung haben Frauen das Gefühl, nicht vollwertig gebraucht zu werden. Während die Familie zu früheren Zeiten mehrere Generationen in einem Haus vereinte und sich die weibliche Seite stets um die die Haushaltsbelange kümmerte, fiel dies durch die fortschreitende Modernisierung im Haushalt weg und auch die Verwendung der Frauenkraft in diesem Ausmaß. Dagegen empfanden Männer in Anbetracht dieser Tatsache, dass all die weiblichen Haushaltsmitglieder versorgt werden wollen, die Ehe zunehmend als Luxus und sind nicht mehr gewillt zu heiraten. Daher fragt Louise Otto (1819-1895) zu Recht:
„Und wohin nun mit diesen Allen, die sonst das Haus beschäftigte: den erwachsenen Töchtern, den Unverheirateten – deren Zahl um so mehr wächst, als die Männer sehen, wie kostspielig es ist, verheiratet zu sein – den Witwen? Diese Frage ist als sogenannte „Frauenfrage“ mit in das Programm der Gegenwart gesetzt worden, ganz dicht neben die sociale Frage.“ (Otto um 1876, 1988, S. 154)
Antwort auf diese Fragen konnte nur eine organisierte Bewegung bringen, deren Ziel es sein musste, die Forderungen der Frauen in die politische und gesellschaftliche Öffentlichkeit zu bringen und für deren Umsetzung zu kämpfen.
4.4. Die Deutsche Revolution 1848 und die Institutionalisierung der Frauenbewegung in Deutschland
„Speziell die französische Fremdherrschaft hatte für Deutschland die Wirkung einer Revolution; sie stürzte das Alte, Abgelebte oder beschleunigte, wie in Preußen, seinen Sturz. Und was auch immer in der Reaktionsperiode nach 1815 versucht wurde, um das Rad der Zeit wieder zurückzudrehen, das Neue war zu mächtig geworden und blieb schließlich als Sieger.“ (Bebel, 1977, S. 93)
Die Forschung spricht davon, dass im Jahrzehnt vor der deutschen Revolution von 1848 die Frauen begannen, beflügelt von der Französischen Revolution, nach Emanzipation zu streben (vgl. Beer in Clemens, 1988, S. 9). Dabei ging es den Frauen darum, sich politisch einzubringen und ihre Forderungen nach politischer Partizipation nach außen zu artikulieren. Noch waren die Frauen aufgrund ihres Geschlechtes von den gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Die 1848iger Revolution politisierte sie und sie nahmen aktiv daran teil (vgl. Clemens, 1988, S. 10). Die großen sozialen Bewegungen des 18. Und 19. Jahrhunderts, die mit der französischen Revolution entstanden, übten einen entscheidenden Einfluss auf die Entstehung der Frauenbewegung aus. Seitdem wurden in Frankreich, in England und in den USA Frauenrechte gefordert. Bürgerfrauen in den USA traten für ihre eigenen Emanzipationsrechte und für die Rechte der Sklaven ein, in England entwickelte sich die Suffragetten-Bewegung unter Mary Wollstonecraft (1759-1797), denen es ebenfalls um die Gleichberechtigung der Frau ging. Die französische Februarrevolution um 1848 ließ die Frauenbewegung erstarken, dies zeigte sich vor allem in der Gründung reaktionärer Frauenklubs und in der Gründung der Union für Arbeiterinnen. Im März 1848 sprang der Funke der Revolution auch auf Deutschland über. Unter den Revolutionären fanden sich zahlreiche Frauen, die mit ihnen Seite an Seite die Revolution vorantrieben (vgl. Herve‘, 1995, S. 15f). Durch die Forderungen der Revolutionäre nach Presse- und Versammlungsfreiheit, nach einer freien Gerichtsbarkeit und nach einer Vertretung und Beteiligung des Volkes, sowie die Gewährleistung von Rechtsgarantien und einer der Nation angemessenen Verfassung, sahen sich die Frauen ermutigt, über Geschlechtergrenzen hinweg, ihre Forderungen nach gleichen Staatsbürgerrechten und Anerkennung der Frau öffentlich zu äußern. Damit gelang es ihnen, eine in der Gesellschaft neue Frauenöffentlichkeit herzustellen (vgl. Gerhard, 2018, S. 28f). Eine der herausragendsten Figuren der deutschen Frauenbewegung ist Luise Otto, später Luise Otto-Peters (1819-1995). Aufgewachsen in Sachsen, früh verwitwet und nur mit einem kleinen Erbe ausgestattet, setzte sie sich schreibend für die notleidenden Arbeiterinnen, vor allem in der Textilindustrie, ein. Ihr soziales und politisches Engagement für die Arbeiterbewegung verband sie von Anfang an mit der Frauenfrage. Ihre um 1849 erschienene Frauenzeitschrift mobilisierte die Frauen und machte aus Luise Otto eine Wortführerin. Damit stand sie an der Spitze der ersten Frauenbewegung in Deutschland (vgl. Gerhard 1990 in Gerhard 2018, S. 33f). Ihre Zeitschrift, die 1850 verboten wurde, nutzte sie als Sprachrohr. Mit politischen Kommentaren, Berichten und Essays wurden die Schritte der ersten sozialen und politischen Bewegung von Frauen begleitet, dokumentiert und vorangetrieben. Als Teil der demokratischen Bewegung forderten die Frauen Freiheit, Selbstbestimmung und ein geeintes Deutschland. Mit dem Verlauf der politischen Ereignisse wurde deutlich, dass sie sich, um politisch etwas zu Gunsten der Frauen erreichen zu können, organisieren müssen. Damit entstanden weitverzweigte Netzwerke, viele verschiedene Frauenvereine und eine gemeinsame politische Ausrichtung.
„Sie legen Zeugnis ab für die Bewusstwerdungsprozesse vieler Einzelner, die mit der Erkenntnis, dass ihr Schicksal kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches, geschlechtsspezifisches war, Mut zur Einmischung in die Verhältnisse schöpften.“ (Gerhard, 2018, S. 34)
Um eine wirkungsvolle Interessensvertretung der Frauen zu erreichen, müssen sie sich verbindlich organisieren, damit stimmten sie auch mit den Sozialisten überein (vgl. Wurms, 1995, S. 47). Zur Organisation und Durchsetzung frauenspezifischer Forderungen gründeten sich im Revolutionsjahr 1848 zahlreiche Frauenvereine, die einen demokratischen Anspruch verfolgten. Auch eine große Zahl von Frauen-Bildungs- und Erziehungsvereinen gründeten sich in dieser Zeit. Eines ihrer Hauptanliegen war die Befähigung der Hausfrau zur Staats- und Weltbürgerin. Auch der desolate Zustand der Bildung von Frauen insgesamt zog die Notwendigkeit nach sich, diesen Umstand abzuschaffen und rückte damit in den Fokus der Frauenvereine (vgl. Gerhard, 2018, S. 39).
„Doch wir fordern nicht allein weil die Noth dazu drängt, sondern im Interesse des Gemeinwohls, der Humanität, der Sittlichkeit und der männlichen wie der weiblichen Würde, daß man die Frauen wie in der guten alten Zeit zur Arbeit erzieht wie die Männer, aber zur Arbeit, die, wo das Haus und die Familie ihrer nicht bedarf, fröhlich und getrost hinausschreite auf den großen Markt des Lebens, an der Stätte, welche ihren Fähigkeiten und Neigungen die angemessenste ist sich selbst durch ehrliche Arbeit die Existenz zu erwerben auf irgend einer Stelle, durch irgend welche Leistungen sich selbst vor einem verlornen Leben zu behüten und ein würdiges, nützliches Glied zu sein der ganzen menschlichen Gesellschaft.“ (Otto, 1988, S. 170f)
Damit wurden die Forderungen der Frauenbewegung laut und in den gesellschaftlichen Diskurs getragen. Der Euphorie über die vermeintlichen Möglichkeiten, die die Revolution den Frauen versprach, folgte die Desillusionierung. Sie wurde mit der Gesetzesverabschiedung in der Frankfurter Nationalversammlung im Dezember 1848 deutlich. Die erste gesamtdeutsche verfassungsgebende Versammlung in der Paulskirche formulierte Staatsbürgerrechte nur für die Männer. Der Protest der Frauen dagegen blieb wirkungslos. Im Gegenteil, das Königreich Sachsen erließ um 1850 ein Pressegesetz, in dem es ausschließlich nur Männern erlaubt war, eine Redaktion zu leiten. Dies zielte u.a. darauf ab, Frauenzeitungen, wie die von Luise Otto, zu verbieten und die Redakteurinnen mundtot zu machen (vgl. Gerhard, 2018, S. 41f). Verheerender für die Frauenbewegung zeigte sich das im Frühjahr 1850 erlassene Vereinsgesetz, welches erst in Bayern und Preußen, und dann in allen Staaten des deutschen Bundes in Kraft trat. § 8 des Preußischen Vereinsgesetzes untersagte allen Frauen, jung wie alt, jegliche Mitgliedschaft in einem politischen Verein und ebenso die Teilnahme an Versammlungen, die sich mit politischen Gegenständen beschäftigen. Dies war ein herber Schlag für die noch junge Frauenbewegung und beeinträchtigte ihren weiteren Weg außerordentlich (ebd. S.43). Auf dem Weg zur bürgerlichen Gesellschaft bedienten sich die Regierenden besonders des Familienrechts, um den Frauen ihren Platz zu zeigen und den Männern ihre Privilegien zu sichern. Mit der Verweigerung des Stimmrechts einhergehend, mussten die Frauen auch auf Bürgerrechte, Versammlungs- und Koalitionsfreiheit verzichten. Damit etablierte sich erneut ein bürgerlicher Patriarchalismus, im Gewand des Bürgerlichen Gesetzbuches (vgl. ebd. S. 45). Es sollte nochmals fünfzehn Jahre dauern, bis um 1865 der erste „Allgemeine Deutsche Frauenverein“ von Luise Otto-Peters und Auguste Schmidt gegründet wurde (vgl. ebd. S. 54f). Das Prinzip der Selbsthilfe und Autonomie als ein Hauptziel des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins wurden von allen Beteiligten grundsätzlich unterschrieben und anerkannt. Vor allem Arbeiterinnen und Frauen, die als Ungelernte einfache Tätigkeiten ausübten, wurden durch den Verein vertreten, aber auch ein Teil der bürgerlich Orientierten fanden hier ein Zuhause (vgl. Biermann, 2009, S. 61). Die unterschiedlichen Interessen der Frauen, die sich engagierten, wurden gekennzeichnet durch die Bürgerlichen und ihre Lebensverhältnisse in der Bourgeoisie und auf der anderen Seite durch die Proletarierinnen, die als Lohnabhängige und unter katastrophalen Arbeitsbedingungen zum Erfolg des Kapitalismus beitrugen (vgl. Zetkin, 2017, S. 21). Auf der ersten deutschen Frauenkonferenz in Leipzig um 1865 wurden die Bruchlinien der verschiedenen Strömungen der Frauenbewegung deutlich. Ging es den Bürgerlichen in erster Linie darum, dass Frauen der Zugang zu einem Erwerbsleben ermöglich werden soll, gaben die Proletarierinnen ihrer Forderung nach einem passiven und aktiven Wahlrecht und voller politischer Gleichberechtigung Ausdruck. Die Trennung in eine bürgerliche und in eine proletarische Frauenbewegung folgte daraus (vgl. ebd. S. 37).
4.4.1. Trennung in proletarische und bürgerliche Frauenbewegung
Die Interessen der Frauenbewegung gingen entlang der Klassenzugehörigkeit auseinander. 1865 wurde auf der Frauenkonferenz in Leipzig der Allgemeine Deutsche Frauenverein unter der Leitung von Luise Otto-Peters gegründet (vgl. Herve‘, 1995, S. 17). Die Beteiligten gehörten in großem Umfang zu der sich entwickelnden Bürgerlichen Frauenbewegung. Ihre ursprünglichen Ziele, wie das Wahlrecht, Recht auf Bildung und die Berufsfreiheit, schrumpften zusammen auf die Forderung nach dem Recht auf die Freiheit der Berufsausbildung. Am Beginn der Bürgerlichen Frauenbewegung galt das Interesse der dort Versammelten neben der freien Berufswahl und dem Zugang zu einem Erwerbsleben, auch der Verbesserung der Situation der Arbeiterinnen. Doch die Gegensätze der Klasseninteressen von Bourgeoisie, der die Bürgerlichen im Großteil angehörten, und Proletariat, verhinderten einen kraftvollen Einsatz für die Interessen der Arbeiterinnen (vgl. Zetkin, 2017, S. 42).
„Das ehrliche Empfinden für die Leiden der Arbeiterinnen, Arbeiterfrauen, des gesamten Proletariats paarte sich nicht mit der klaren Erkenntnis der letzten ausschlaggebenden Ursache der Leiden, die die Werktätigen peinigen.“ (ebd., S. 43)
Den Proletarierinnen ging es in erster Linie um Emanzipation, um Gleichberechtigung und um politische Rechte. Die gegensätzlichen Interessen ihrer jeweiligen sozialen Schichten verhinderten es aber, ein gegenseitiges und umfassendes Verständnis füreinander aufzubringen. Der unversöhnliche Klassengegensatz von ausgebeutetem Proletariat und privilegierter Bourgeoisie wog zu stark, als das die bürgerlichen Frauen diesen in ihrem Fordern und Handeln verändern könnten oder wollten. Die Lösung für die Proletarierinnen lag in einer Organisation mit den Klassengenossen zum gemeinsamen Kampf für ihre Interessen (vgl. ebd., S. 42f). Diese fanden sie in der Sozialdemokratie, der ein gesellschaftlicher Umbau mit der Abschaffung der Klassengegensätze vorschwebte. Dazu merkte August Bebel an:
„Die in der bürgerlichen Frauenbewegung stehenden Frauen begreifen die Notwendigkeit einer solchen radikalen Umgestaltung nicht. Beeinflußt von ihrer bevorzugteren Stellung, sehen sie in der weitergehenden proletarischen Frauenbewegung gefährliche und nicht zu billigende Bestrebungen, die sie zu bekämpfen haben. Der Klassengegensatz, der zwischen der Kapitalisten- und Arbeiterklasse klafft und sich bei der Zuspitzung unserer Verhältnisse immer schroffer entwickelt, ist also auch innerhalb der Frauenbewegung vorhanden.“ (Bebel, 1977, S. 7)
Bereits nach der Revolution 1848 bildeten sich in Deutschland verschiedene Arbeitervereine, die an die vorrevolutionäre Zeit der Arbeiterbewegung anknüpften und vom liberalen Bürgertum Förderung erhielten. Federführend bei der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins in Leipzig um 1863 zeigte sich Ferdinand Lassalle (1825-1864). Unabhängig davon begannen die Sozialdemokraten um 1868, die Arbeiterbewegung gewerkschaftlich zu organisieren. Ein Jahr später konstituierte sich in Eisenach die Arbeiterpartei unter der Führung von August Bebel (1840-1913) und Wilhelm Liebknecht (1826-1900). Diese entstand aus einem Zusammenschluss sächsischer und süddeutscher Arbeitervereine. Nach Jahren des inhaltlichen und grundsätzlichen Streitens, schlossen sich beide Vereinigungen 1875 in Gotha zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands zusammen (vgl. Drechsler et.al., 1971, S. 354). Hier fanden die proletarischen Frauen ein Zuhause und eine „klassenbewußte und darum kraftvollere Vertretung, als es die bürgerliche Frauenrechtlerei je war und sein konnte“ (Zetkin, 2017, S. 42). Die Arbeiterinnen erkannten in den sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Bestrebungen gleiche Interessen und wurden Teil der Arbeiterbewegung Deutschlands.
„Sie ist erwachsen als Teil der allgemeinen klassenbewußten Arbeiterbewegung Deutschlands, gemäß der geschichtlichen Wahrheit, daß die Befreiung der Arbeiterklasse und all ihrer Teile das Werk der Arbeiterklasse und all ihrer Teile selbst sein muß.“ (Zetkin um 1865 in ebd., S. 44)
Damit spaltete sich die deutsche Frauenbewegung in zwei große Lager auf, auf der einen Seite die Bürgerliche und auf der anderen Seite die Proletarische Frauenbewegung. Auf der Frauenkonferenz 1865 gründete sich die Bürgerliche Frauenbewegung und der Beginn der Proletarischen Frauenbewegung ist eng mit der Entstehung der Arbeiterbewegung verbunden (Herve‘ 1995, S. 18).
4.4.2. Die bürgerliche Frauenbewegung
Neben der Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins um 1865 auf der Frauenkonferenz in Leipzig, wurde am gleichen Ort die Bürgerliche Frauenbewegung ins Leben gerufen. Das Recht auf die Freiheit der Berufsausbildung bildete die Hauptforderung der Strömung. Die Forderung nach politischer Emanzipation verschwand aus dem Fokus (vgl. ebd., S. 17).
Drei große Richtungen hatten sich in der bürgerlichen Frauenbewegung bis Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt. Zum linken Flügel zählten sich die Radikalen. Sie forderten die Achtung der Menschenrechte auch für Frauen, strebten nach einem demokratischen Frauenwahlrecht und der Anerkennung der Frau als Subjekt im öffentlichen und privaten Recht. Ihr Ziel war die Ausbildung einer Frau, die unabhängig ihrer Mutter- und Ehefrau Rolle, sich selbstständig, auch unabhängig von patriarchalischem Denken, entwickeln kann. Den Anhängerinnen des linken Flügels, die sich politisch liberal, einige als demokratisch oder sozialistisch einordneten, wollten nicht weniger, als eine veränderte gesellschaftliche Stellung der Frau erreichen. Eine ihrer Vertreterinnen war Minna Cauer (1842-1922), die 1888 in Berlin den ersten von vielen weiteren Vereinen unter dem Motto „Frauenwohl“ gründete. In sämtlichen Großstädten des deutschen Reichs fanden sich solche Vereine, die neben Sozial- und Rechtsberatung für Frauen, auch Arbeiterinnen und Angestellten die Möglichkeit boten, ihre Kinder in Betreuung zu geben. Die im Hamburger Ableger versammelten Frauen unterstützten 1896/97 den Hamburger Hafenstreik und den Streik der Konfektionsarbeiterinnen. Später um 1899 schlossen sich diese Vereine zum „Verband fortschrittlicher Frauenvereine“ zusammen. Minna Cauer und Anita Augspurg (1857-1943) leiteten diesen gemeinsam (vgl. Wurms, 1995, S. 59f). Um ihre Verbundenheit mit den Arbeiterinnen zu zeigen, nahmen sie in ihre Vereinsatzung den Passus auf, dass sie alle Versuche ablehnen, Frauen des Bürgertums von ihren proletarischen Genossinnen zu trennen. Sie gaben eigene Zeitschriften heraus, kämpften gegen die bürgerliche Doppelmoral und gegen die Prostitution. Daneben setzten sich für eine selbstbestimmte Sexualität ein. Ihre autonome Organisation von Fraueninteressen gegen den gesamtgesellschaftlichen, klassenspezifischen und privaten Patriarchalismus unterstrichen sie durch Aktionen gegen das patriarchalische Ehe- und Familienrecht im BGB. In vielen ihrer Forderungen wurden sie von den Gemäßigten der Bürgerlichen Frauenbewegung unterstützt, einzig in der Forderung nach einem demokratischen Wahlrecht für Frauen wurden sie von den Gemäßigten im Stich gelassen (vgl. ebd., S. 58f). Ihre Anliegen und Forderungen wurden vom Geist der Aufklärung und vom Humanismus getragen, der ihren Blick für die sozialen Klassenverhältnisse schärfte.
„Ihr radikaler Individualismus ließ sie die Menschen aber erst in zweiter Linie als Angehörige von Schichten und Klassen begreifen. Als Frauen war ihr wichtigstes Anliegen das Aufbrechen und Abschaffen patriarchalischer Strukturen.“ (Wurms, 1995, S. 58)
Dem mittleren Flügel gehörten die Gemäßigten an. Ihr Einsatz galt dem einseitigen Frauenideal, das die Aufgabe der Frauen in der Hausarbeit und Kindererziehung sah. Sie unterschieden sich von den Radikalen darin, dass sie die Mutterschaftsbestimmung der Frau als Grundmaßstab betrachteten. Damit setzten sie die Grenze für alle weiteren Emanzipationsbestrebungen. Ihre nationalliberale und liberale politische Ausrichtung führte erst spät zu einem Engagement für ein demokratisches bzw. ein Drei-Klassen-Wahlrecht für Frauen. Die Gemäßigten machten den überwiegenden Teil der Bürgerlichen Frauenbewegung aus (vgl. ebd., S. 46f).
Im rechten Flügel organisierten sich die Konservativen und traten für die wirtschaftliche Selbständigkeit der ledigen Frau ein. Neben dem Einsatz für die wirtschaftliche Unabhängigkeit der nichtverheirateten Frauen, gehörten für die meist konfessionell gebundenen und mehrheitlich konservativen bis deutschnational orientierten Frauenvereine, das Recht auf Bildung, wie auch das kirchliche und kommunale Frauenwahlrecht zu ihren Forderungen.
Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts galten die Bestrebungen der Bürgerlichen Frauenbewegung vorwiegend dem Recht auf eine freie Ausbildung der Persönlichkeit und der Individualität der Frau (ebd., S. 46f). Um dies durchzusetzen, wurde 1894 nach amerikanischem Vorbild der Bund deutscher Frauenvereine (BdF) unter der Leitung von Auguste Schmidt (1833-1902) gegründet und in der Folge von der Feministin Marie Stritt (1855-1928) weitergeführt. Ab den 1880iger Jahren verstärkte sich der Einsatz der Bürgerlichen Frauenbewegung für die Verbesserung der Bildungsbedingungen für Mädchen und Frauen. Dabei wurde die Organisation der Lehrerinnen an höheren Mädchenschulen und ihre Fortbildung in den Vordergrund gestellt. Schon in den 1860iger Jahren wurden die ersten Lehrerinnenvereine als lokale oder regionale Selbsthilfeinitiativen von Gouvernanten oder Lehrerinnen an privaten und öffentlichen Schulen gegründet. 1889 folgte der reichsweite Zusammenschluss der Initiativen unter der Führung von Helene Lange (1848-1930) in enger Kooperation mit anderen Organisationen der Frauenbewegung im Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein (ADLV) (vgl. Jacobi, 2013, S. 297f.). Lange schrieb unzählige Petitionen und forderte neben einer grundlegenden Reform zur höheren Mädchenbildung, auch die gleichberechtigte Beteiligung von Lehrerinnen mit akademisch gleichwertiger Ausbildung am Unterricht in den höheren Mädchenschulen. So forderten Lange und ihre Unterstützerinnen in einer Petition um 1887, „daß dem weiblichen Element eine größere Beteiligung an dem wissenschaftlichen Unterricht auf Mittel- und Oberstufe der öffentlichen höheren Mädchenschulen gegeben und namentlich Religion und Deutsch in Frauenhand gelegt werde“. (Lange, 1928, S. 7) Viele der Petitionen blieben ungehört. Damit setzte sich unter den Frauen die Erkenntnis durch, dass sie sich nur selbst helfen konnten, um Mädchen und Frauen höhere Bildungsabschlüsse zu ermöglichen. Tatsächlich trafen die Selbsthilfeinitiativen als „Propaganda der Tat“ in den 1890iger Jahren auf günstige Bedingungen, denn Deutschland setzte sich im Konkurrenzkampf der Industrienationen der Gefahr aus, wegen seiner Rückständigkeit in der Mädchenbildung ins Abseits zu geraten. Diese Ansicht setzte sich auch in der öffentlichen Meinung mehr und mehr durch (vgl. Jacobi, 2013, S. 298). Mit der Aufhebung der Sozialistengesetze und der Absetzung Bismarcks entwickelte sich in Deutschland ein neues sozialpolitisches Problembewusstsein. Dies ging einher mit dem Bedürfnis nach der Befriedigung gesellschaftlicher Konflikte (vgl. Gerhard, 2018, S. 62). Dank ihrer Beharrlichkeit konnte die Bürgerliche Frauenbewegung auf dem Gebiet der Mädchenbildung, der beruflichen Bildung und dem Frauenstudium, ihre nachhaltigsten Erfolge verbuchen. Sie erreichten die Einrichtung von Realkursen, die den Frauen die vertiefende Bildung in Naturwissenschaften und Nationalökonomie ermöglichten. 1893 starteten unter der Leitung von Helene Lange Gymnasialkurse, deren Ausbildung sich an den Richtlinien der humanistischen Gymnasien orientierte und zur Vorbereitung der Frauen auf die Reifeprüfung und dem anschließenden Studium diente (vgl. ebd., S. 69). Mit dem aufkommenden Krieg 1914 legte sich das Augenmerk der Bürgerlichen ganz auf die Unterstützung dessen. Bereits 1914 rief Gertrud Bäumer (1873-1954), Weggefährtin von Helene Lange, den Nationalen Frauendienst ins Leben. Dieser hatte die Organisation des Kriegsdienstes für Frauen in der Heimat zur Aufgabe. Hier wurden sämtliche Frauengruppen, Vereine und Wohlfahrtsorganisationen zusammengeführt. Mit dabei waren auch sozialdemokratische Vereine, die dem Kaiserwort vom August 1914 <<Ich kenne keine Partei mehr; ich kenne nur noch Deutsche>>, folgten (vgl. Gerhard, 2018, S. 79). Der Bund deutscher Frauenvereine (BdF) hatte den Krieg vorbehaltlos und von Beginn an unterstützt. Als der BdF 1897 dem Internationalen Frauenbund beitrat, unterstützte er noch die gemeinsamen Anstrengungen zur internationalen Friedensarbeit. Diese waren aber mit Blick auf den kommenden Krieg den nationalen Interessen untergeordnet worden. Eine Beteiligung des BdF an der Frauen-Friedens-Konferenz im April 1915 wurde abgesagt und allen daran Teilnehmenden Propaganda vorgeworfen, sowie die Teilnahme für unvereinbar mit der vaterländischen Gesinnung erklärt. Dies hatte Austritte der Radikalen aus dem Dachverband zur Folge (vgl. Wurms, 1995, S. 54f). Todes- und Opfermut, den Heldentod als Schicksal und andere Kriegstugenden gehörten zum Narrativ der Deutschen im Angesicht des Krieges.
„Es ist ein mütterliches Grunderlebnis, daß Leben und Kraft hingeopfert werden muß, damit neues Leben umso schöner erblühen kann.“ (Bäumer in Wurms, 1995, S. 55) Ganz in diesem Sinne wollte die Mehrheit der im BdF organisierten Frauen zur nationalen bürgerlichen Gesellschaft gehören. Mit dem Dienst fürs Vaterland versprachen sie sich eine Chance zur Integration in Staat und Gesellschaft. Dabei lag der Aufgabenschwerpunkt des Nationalen Frauendienstes in der Koordination und Zentralisierung aller Frauenorganisationen unter Einbezug der unorganisierten Frauen. Der damit verbundene Verantwortungsbereich lag in der Arbeitsvermittlung, der Kriegsfürsorge und der Lebensmittelversorgung (vgl. Wurms, 1995, S. 55). 1916 wurde die Frauenarbeitszentrale beim Kriegsamt eingerichtet. Das Personal dafür rekrutierte sich hauptsächlich aus dem Führungskreis des BdF. Es entstand eine nationalistische Ausrichtung, die auch dem Wunsch nach Integration diente und in die allgemeine Kriegseuphorie mündete. Diese wurde nach dem Ende des Krieges nicht mehr korrigiert. Ihre großen Leistungen sahen die meisten prominenten bürgerlichen Frauen im Einsatz während des Ersten Weltkrieges (vgl. Gerhard in Wurms, 1995, S. 57).
4.4.3. Proletarische Frauenbewegung
Die Anfänge der Proletarischen Frauenbewegung reichen zurück in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Schon Ende 1860iger Jahre gab es erste Bestrebungen, vor allem rund um die Textilindustrie in Sachsen, die Proletarierinnen in die bereits bestehende Organisation der Arbeiterklasse einzubinden (vgl. Zetkin, 2017, S. 84). Dies gelang im Zusammenhang mit der I. Internationalen, die sich als Internationale Arbeiter-Assoziation, ein Zusammenschluss sämtlicher internationaler Arbeitervereine, im Oktober 1864 in London gründete und mit der Hauptforderung in die Welt trat, „daß die Emanzipation der Arbeiterklasse durch die Arbeiterklasse selbst erobert werden muß; daß der Kampf für die Emanzipation der Arbeiterklasse kein Kampf für Klassenvorrechte und Monopole ist, sondern für gleiche Rechte und Pflichten und für die Vernichtung aller Klassenherrschaft […].“ (Marx, 1864) Die Zusammenschweißung des Proletariats war hier eines der vorgegebenen Ziele, von denen sich auch die Proletarierinnen angesprochen fühlten (vgl. Zetkin, 2017, S. 87). Führende Köpfe dieser Bewegung riefen dazu auf, das Ideal der weiblichen Emanzipation in der sozialistischen Ordnung der freien Arbeit zu verwirklichen (vgl. Motteier in Zetkin, 2017, S. 88). Damit wurden die Arbeiterinnen auf der 1869 stattfindenden Internationalen Gewerksgenossenschaft der Manufaktur-, Fabrik- und Handarbeiter als gleichberechtigte, stimm- und wahlberechtigte Mitglieder aufgenommen. Die Bewegung wurden von der Erkenntnis getragen, dass nur die gemeinsame Organisation der Interessen der Arbeiterklasse und der gemeinsame Kampf der Proletarier ohne Ansehen des Geschlechts zum Erfolg führen können. Auf dem Gothaer Kongress 1875, der zur Gründung der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands diente, wurden Frauen als Delegierte zu den Parteitagen zugelassen.
[...]
1 Übergang in die Zivilisation auf dem europäischen Kontinent: „Man kann sagen, daß bei den asiatischen Griechen die Zivilisation mit der Abfassung der homerischen Gesänge ungefähr 850 vor unserer Zeitrechnung begonnen hat, und bei den europäischen Griechen ungefähr ein Jahrhundert später mit der Abfassung der Gedichte des Hesiod.“ (Morgan, 1908, S. 182)
2 Der Trojanische Krieg fand, historisch belegt, „am siebentletzten Tage des Monat Thargelion, im 22. Jahr des Königs Menestheus von Athen“ statt und Troja fiel am 5. Juni 1206 v. Chr. (vgl. Cancik, 2001, S. 174). Die lyrische Verarbeitung des Trojanischen Krieges übernahm Homer in der „Ilias“ während des 8. Jahrhundert v. Chr. (vgl. Hampe in Homer, 1979, S. 532).
3 Erinnyen (griech.) Furiae (lat.) – Figuren aus der griechischen Mythologie, sorgten für die Rechtmäßigkeit der Dinge innerhalb der Ordnung und verfolgten Männer und Frauen, die gegen die naturgegebenen Gesetze verstießen (vgl. Grant, Hazel, 1996, S. 154)
4 Die Reformen des Solon und des Kleisthenes, die sogenannten Urväter der Demokratie, gelten als die Einführung der attischen Demokratie im 6. Jahrhundert v. Chr. Erstmalig in der Geschichte wird hier die Mitbestimmung des Volkes am politischen Geschehen im Stadtstaat Athen ermöglicht (vgl. Stöcker, 2015).
5 Aus: A. Schopenhauer: Parerga und Paralipomena. 2 Bde, 1851. Wiesbaden, 2. Auflage 1947, Kapitel 27, S. 650ff.
- Quote paper
- Verena Lemnitzer (Author), 2020, Die Frauenbewegung in Deutschland von 1848–2019. Entwicklungen und Auswirkungen bis heute, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/921250
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