Vor über 25 Jahren stellt Stephen L. Wailes fest, die Hoffnungen Hanns Fischers aus dem Jahr 1960 auf eine Belebung der Stricker-Forschung hätten sich nicht erfüllt. Auch in den Jahren, die seither vergangen sind, hat insbesondere die geistliche Dichtung des mittelalterlichen Dichters wenig Interesse auf sich gezogen, obwohl gerade die geistlichen Themen von größter Bedeutung für den Stricker gewesen sind.
Diese Tatsache würdigend soll in dieser Arbeit eines der beeindruckendsten und umfangreichsten geistlichen Werke im Mittelpunkt stehen, das dem Stricker zugeschrieben wird: ‚Vom heiligen Geist’. Anhand dieses großen Gedichtes wird der Versuch unternommen werden, den Mitteln auf die Spur zu kommen, deren sich der Stricker bei Aufbau und Gestaltung bedient hat, wie auch den besonderen Akzenten, die er bei der Verbreitung der geistlichen Lehren setzte.
Zuvor jedoch wird sich ein Abschnitt mit den Umständen der Entstehung der Dichtung des Strickers beschäftigen und der Frage nachgehen, inwieweit überhaupt konkrete Aussagen über Autor und Werk zulässig und machbar sind.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die geistliche Welt in der Zeit des Strickers
2.1 Didaxe im Werk des Strickers
2.2 Auftragsarbeiten?
3. Vom heiligen Geist
3.1 Aufbau
3.1.1 Das Wirken des heiligen Geistes
3.1.2 Die Gaben des heiligen Geistes und die sieben Sünden
3.2 Interpretation
4. Schluss
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Vor über 25 Jahren stellt Stephen L. Wailes fest, die Hoffnungen Hanns Fischers aus dem Jahr 1960 auf eine Belebung der Stricker-Forschung hätten sich nicht erfüllt.[1] Auch in den Jahren, die seither vergangen sind, hat insbesondere die geistliche Dichtung des mittelalterlichen Dichters wenig Interesse auf sich gezogen,[2] obwohl gerade die geistlichen Themen von größter Bedeutung für den Stricker gewesen sind.[3]
Diese Tatsache würdigend soll in dieser Arbeit eines der beeindruckendsten und umfangreichsten geistlichen Werke im Mittelpunkt stehen, das dem Stricker zugeschrieben wird: ‚Vom heiligen Geist’. Anhand dieses großen Gedichtes wird der Versuch unternommen werden, den Mitteln auf die Spur zu kommen, deren sich der Stricker bei Aufbau und Gestaltung bedient hat, wie auch den besonderen Akzenten, die er bei der Verbreitung der geistlichen Lehren setzte.
Zuvor jedoch wird sich ein Abschnitt mit den Umständen der Entstehung der Dichtung des Strickers beschäftigen und der Frage nachgehen, inwieweit überhaupt konkrete Aussagen über Autor und Werk zulässig und machbar sind.
2. Die geistliche Welt in der Zeit des Strickers
Zu Beginn des 13. Jahrhunderts erreichte von Italien kommend eine Bewegung neuer Frömmigkeit die deutschen Länder, die in Opposition zu der gelebten Realität der bestehenden Mönchsorden und der Amtskirche eine Umkehr hin zu einer ‚wahren’ Nachfolge Christi predigte.[4] Erste wichtige Träger der neuen Gedanken waren die Franziskaner, die ab 1221 auch in Deutschland mit ihrer Tätigkeit begannen.[5] Parallel zum geistlichen Wirken – und oft mit diesem verbunden – entfalteten die neuen Orden[6] eine rege publizistische Tätigkeit, die Predigten und Literatur auch in den Volkssprachen entstehen ließ.[7] Gleichzeitig bewegten die Beschlüsse des IV. Laterankonzils die Christenheit.
In jenen Jahren, als Zeitgenosse der Entwicklungen, lebte im süddeutsch-österreichischen Raum jener rätselhafte Dichter, den die Nachwelt nur als ‚Stricker’ kennt und über dessen Leben trotz seines bemerkenswerten und umfangreichen Werkes nichts Konkretes bekannt ist.[8] Wirkte er für Auftraggeber oder für sich selbst? Folgte er dem Gedankengut seiner Zeit oder der eigenen Meinung? Es wurde viel darüber spekuliert, ohne zu beweisbaren Erkenntnissen zu gelangen.
Einigkeit herrscht unter den Kundigen der ihm zugeschriebenen Dichtung[9] jedoch darüber, dass im Stricker ein Mann zu sehen ist, der sich der Belehrung und Erziehung seiner Mitmenschen verschrieben hatte.[10]
2.1 Didaxe im Werk des Strickers
Der Stricker zeigt sich in seiner umfangreichen Kleindichtung als Dichter, dessen „Ziel“ es ist, „belehrend auf die Menschen einzuwirken“.[11] Heinzle charakterisierte ihn als „unermüdlichen Vermittler von Ordnungsvorstellungen“, dem „vor allem“ die „Verbreitung christlicher Glaubens- und Sittenlehre“ am Herzen lag: „Bedeutung der Sakramente; Notwendigkeit rechtzeitiger Buße, Sündhaftigkeit von Hoffart“.[12] Sein Zielpublikum ist dabei wohl weit zu fassen – es sind „nicht nur […] die Laien, sondern auch […] Geistliche und Ordensleute“.[13]
2.2 Auftragsarbeiten?
Die Frage nach möglichen Förderern und Auftraggebern des Strickers hat die Forschung immer wieder bewegt. Sie soll in dieser Arbeit nicht näher behandelt werden, da ihre sichere Beantwortung – auf Grund des Mangels an textexternen Nachweisen über das Leben des Dichters – schlicht unmöglich scheint. In der Forschung sind die Einschätzungen daher stark abhängig vom jeweiligen Bild, das sich die jeweiligen Literaturwissenschaftler vom Stricker und seiner Epoche machen.
Heinzle etwa stellte fest, dass der Stricker „[u]nverkennbar […] eine starke Tendenz im Sinne der hierarchischen Amtskirche“ gehabt habe, die „sich nicht zuletzt in […] Ausfällen gegen die Ketzer äußert“.[14] Daher vermutete er, diese Werke des Strickers seien „zu einem guten Teil im Auftrag geistlicher Institutionen“[15] entstanden – „wobei in erster Linie an die Bettelorden zu denken ist“.[16] Der Dichter erscheint als „Propagandist[…] im Auftrag der Kirche und des Landesherren“.[17]
Ehrismann hingegen mag solche Vorstellungen „für kleinere Geister gelten lassen“.[18] Seinem Stricker war die „Sorge um die Wahrung der ethisch-religiösen Werte […] die ideologische Grundbedingung seiner Poesie“.[19] Des Strickers „ziemlich volkstümliche Theologie“ lasse sich „jedenfalls nicht an einem bestimmten Orden“ festmachen.[20]
Dementsprechend liegen auch über die Entstehungsumstände oder etwaige Auftraggeber und Abnehmer des hier behandelten Werkes keine näheren Informationen vor. 1999 berichtete Jürgen Wolf über die Entdeckung eines neuen Fragments des Gedichtes ‚Vom heiligen Geist’,[21] Teil der vielleicht ältesten bisher bekannten Handschrift dieses Textes.[22] Doch auch dessen Herkunft verliert sich im Dunkel der Geschichte.[23]
[...]
[1] Stephen L. Wailes: Studien zur Kleindichtung des Stricker. Berlin: Erich Schmidt 1981 (=Philologische Studien und Quellen Heft 104). S. 11.
[2] Ehrismann etwa merkte an, die „religiöse Dichtung“ des Strickers könne „heute […] nur noch das Interesse des Spezialisten beanspruchen“ (Otfried Ehrismann: Der Stricker. Erzählungen, Fabeln, Reden. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Otfried Ehrismann. Stuttgart: Reclam 1992 (= Universal Bibliothek Nr. 8797). S. 23.).
[3] Vgl. Sabine Böhm: Der Stricker - Ein Dichterprofil anhand seines Gesamtwerkes. Frankfurt am Main: Peter Lang 1995 (= Europäische Hochschulschriften. Reihe I. Deutsche Sprache und Literatur. Band 1530). S. 20-37 und 129-130.
Rocher machte als „Fundament“ der Dichtung des Strickers das „Dreieck milte – ere - vröude“ aus (Daniel Rocher: Hof und christliche Moral. Inhaltliche Konstanten im Oeuvre des Stricker. In: Mittelalterliche Literatur und Kunst im Spannungsfeld von Hof und Kloster. Ergebnisse der Berliner Tagung, 9.-11. Oktober 1997. Tübingen: Niemeyer 1999. S. 110.), die der Stricker „mit einem geistlichen Inhalt erfüllte“ (Ebd. S. 111.).
[4] Vgl. Joachim Heinzle: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit. Herausgegeben von Joachim Heinzle. Band II: Vom hohen zum späten Mittelalter. Teil 2: Wandlungen und Neuansätze im 13. Jahrhundert (1220/30-1280/90). 2., durchgesehene Auflage. Tübingen: Niemeyer 1994. S. 60-66.
[5] Ebd. S. 64.
[6] Zu den Franziskanern gesellten sich rasch Dominikaner, Augustiner und Karmeliter.
[7] Zu denken wäre etwa an die ungeheuer populären Predigten des Berthold von Regensburg (vgl. Ebd. S. 69-73.) oder die Werke Davids von Augsburg (vgl. Ebd. S. 73-75.) und Lamprechts (vgl. Ebd. S. 66-69.). Heinzle vermutete gar eine gewisse Dynamik, die sich aus dem Mit- und Gegeneinander der Dichter und Mönche ergab (Ebd. S. 102).
[8] Vgl. Karl-Ernst Geith u. a.: Der Stricker. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Bd. 9. Slecht, Reinbold – Ulrich von Liechtenstein. Hrsg. von Burghart Wachinger u. a. Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage. Berlin/New York: Walter de Gruyter 1995. Spalte 418-419 und Spalte 433-434.
Vgl. auch Otfried Ehrismann: Der Stricker. S. 8-13. und Sabine Böhm: Der Stricker. S. 245-257.
[9] Grundlegende Arbeit auf dem Gebiet der Identifizierung des Strickerkorpus leistete Zwierzina zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die dabei auftretenden Probleme bei der exakten Zuschreibung einzelner Werke zum Stricker haben u. a. zur Vorstellung von „Strickerschulen“ geführt, in denen seinem Vorbild gefolgt wurde (vgl. Karl-Ernst Geith u. a.: Der Stricker. Spalte 430-432.).
[10] Vgl. Joachim Heinzle: Geschichte der deutschen Literatur. S. 15-16.
[11] Ebd. S. 15.
[12] Ebd.
Hiermit verbindet sich die Vorstellung des gottgewollten „Ordo“ (vgl. Sabine Böhm: Der Stricker. S. 37-39.).
[13] Joachim Heinzle: Geschichte der deutschen Literatur. S. 15.
[14] Ebd.
Ähnlich äußerte sich auch Ehrismann (vgl. Otfried Ehrismann: Der Stricker. S. 5-7.).
Rocher hingegen wies auf die kirchenkritischen Züge im Werk des Strickers hin. Vgl. Daniel Rocher: Der Stricker, ein Quasi-Häretiker oder ein Verteidiger der Kirche?. Ein Essay. In: Ze hove und an der strazen. Die deutsche Literatur des Mittelalters und ihr „Sitz im Leben“. Festschrift für Volker Schupp zum 65. Geburtstag. Stuttgart/Leipzig: Hirzel 1999. S. 233-236.
[15] Joachim Heinzle: Geschichte der deutschen Literatur. S. 15.
[16] Ebd.
[17] Ebd. S. 16.
Vgl. hierzu auch Ute Schwab: Beobachtungen bei der Ausgabe der bisher unveröffentlichten Gedichte des Strickers. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 81 (1959). S. 61-98. Schwab betrachtete den Strickers als überzeugten Verfechter der Beschlüsse des Laterankonzils von 1215 und als Bekämpfer der Ketzerei im Sinne der Amtskirche. Wailes äußerte sich erheblich skeptischer über Verbindungen zu den Franziskanern (vgl. Stephen L. Wailes: Studien zur Kleindichtung des Stricker. S. 101-106.) wie auch zum Laterankonzil (z.B. Ebd. S. 119-122. oder 250.).
[18] Otfried Ehrismann: Der Stricker. S. 14.
[19] Ebd.
[20] Ebd. S. 23.
[21] Jürgen Wolf: Handschriftenfunde zur Literatur des Mittelalters. 140. Beitrag. Ein neues Stricker-Fragment aus Freising (‚Vom heiligen Geist’). In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 128 (1999). S. 425-427.
[22] Wolf ordnete sie in den „Umkreis“ geistlicher Werke des 13. Jahrhunderts ein (Ebd. S. 426.) und spekulierte sogar darüber, dass die „Freisinger Handschrift“ die Vorlage für die längste Fassung des Gedichtes in der Nikolsburger Handschrift gewesen ist (Ebd. S. 427.).
[23] Vgl. Ebd. S. 425.
- Quote paper
- Stefan Krause (Author), 2008, „Wir suln loben den heiligen geist“ - Der Stricker als Vermittler geistlicher Inhalte, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92105
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