Die menschliche Stimme definiert sich als das Vermögen, Töne und Laute zu erzeugen. Diese Laute wurden im Laufe der Evolution mit konnotativen und denotativen Bedeutungen verknüpft und es entwickelte sich die Sprache.
Doch die menschliche Stimme ist noch viel mehr als nur Träger der Sprache.
Psychoanalytisch betrachtet ist sie gleichzeitig ein Objekt (Jacques Lacan betrachtet sie sogar als ein objet (a)) , welches Begierde hervorruft und als Fetisch fungieren kann.
Schon in der pränatalen Phase ist der Fötus umgeben von Stimmen, die (retrospektiv betrachtet) von scheinbar überall herkommen und deren Quelle stets im Dunkeln liegt.
Dieses Phänomen, welches sich oft im Medium Film wieder findet, nennt Michel Chion in seinem Buch The Voice in Cinema die akusmatische Stimme, also eine Stimme, deren Herkunft unbekannt ist und die keinem menschlichen Körper zugeordnet werden kann. Chion konstatiert weiterhin, dass diese Stimme ausgestattet ist mit gottesähnlichen Attributen. Sie ist allgegenwärtig, allwissend, allsehend und damit allmächtig.
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1.1 Die akusmatische Stimme und ihre vermeintliche Quelle
Die Einführung der Figur beginnt mit einer Stimme, deren zugehörige Quelle in Form eines menschlichen Körpers vorerst nicht im Bildbereich sichtbar ist. Somit tritt die Stimme als akusmatische Stimme in die Diegese ein.
Klar und deutlich hörbar flotiert sie über das gesamte Bild und macht es dem Rezipienten unmöglich, auch nur die Richtung zu orten, aus der sie kommt.
Erst danach erscheint ein Körper auf der Leinwand, der aus dem Dunkeln in eine spärlich beleuchtete Gasse tritt. Er ist durch das Halbdunkel und den Nebel um ihn herum zwar als menschliche Figur erkennbar, Einzelheiten lassen sich jedoch noch nicht feststellen. Trotz der nur vagen Andeutung des Körpers und der uneindeutigen Präsentation der Stimme, lässt sich ein Zusammenhang zwischen beiden sofort vermuten, da es einer der klassischen Regeln des Films entspricht, den Sprechenden gleichzeitig visuell zu repräsentieren.
Laut Chion entsteht die Bereitschaft, eine Stimme und einen Körper einander zuzuordnen und damit die Stimme zu deakusmatisieren, sobald man sieht, wie sich die Lippen bewegen und dabei die Stimme erklingt. In diesem Fall jedoch wird diese Erwartung nicht erfüllt. Lediglich die Montage suggeriert dem Rezipienten, dass der gezeigte Körper die tatsächliche Quelle der Stimme sein könnte.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Die akusmatische Stimme
1. Die Einführung von Stimme und Körper in die Diegese
1.1 Die akusmatische Stimme und ihre vermeintliche Quelle
1.2 Schauspiel und Sprache als weitere Indizien für die Trennung von Stimme und Körper
2. Der Ursprung und die Bedeutung der Stimme Vs
2.1 Die zwei Ebenen der Diegese
2.1.1 Die metakommunikative Ebene
2.1.2 Die Ebene der diegetischen Realität (Plot)
2.2 Die kollektive Verkörperung
3. Schlussfolgerung
4. Literaturverzeichnis
Einleitung: Die akusmatische Stimme
Die menschliche Stimme definiert sich als das Vermögen, Töne und Laute zu erzeugen.[1] Diese Laute wurden im Laufe der Evolution mit konnotativen und denotativen Bedeutungen verknüpft und es entwickelte sich die Sprache.
Doch die menschliche Stimme ist noch viel mehr als nur Träger der Sprache.
Psychoanalytisch betrachtet ist sie gleichzeitig ein Objekt (Jacques Lacan betrachtet sie sogar als ein objet (a))[2], welches Begierde hervorruft und als Fetisch fungieren kann.
Schon in der pränatalen Phase ist der Fötus umgeben von Stimmen, die (retrospektiv betrachtet) von scheinbar überall herkommen und deren Quelle stets im Dunkeln liegt.
Dieses Phänomen, welches sich oft im Medium Film wieder findet, nennt Michel Chion in seinem Buch The Voice in Cinema[3] die akusmatische[4] Stimme, also eine Stimme, deren Herkunft unbekannt ist und die keinem menschlichen Körper zugeordnet werden kann. Chion konstatiert weiterhin, dass diese Stimme ausgestattet ist mit gottesähnlichen Attributen. Sie ist allgegenwärtig, allwissend, allsehend und damit allmächtig.[5]
Um ihr diese Macht zu nehmen, muss sie deakusmatisiert werden, das heißt, es muss durch einen symbolischen Akt die Stimme an einen menschlichen Körper gebunden werden, indem sich Lippen offenbaren, die sich synchron zu den Worten der Stimme bewegen.[6]
Die akusmatische Stimme im Film wird innerhalb desselbigen noch verstärkt durch den vor allem dem Hollywoodfilm zugrunde liegenden Vokozentrismus.[7] Die menschliche Stimme hat hier immer die dominante Stellung; alle anderen Tonquellen werden ihr untergeordnet.
Weiterhin sind die Praktiken der Tonbearbeitung und -mischung der „Ideologie des Sichtbaren“[8] untergeordnet, was in der Praxis dazu führt, dass im Mainstreamkino akusmatische Stimmen, die sich in ihrer Wirkung durchaus hierarchisch neben oder sogar über dem Bild einordnen können, fast immer deakusmatisiert werden.
Das heißt, innerhalb der Diegese wird im Verlauf des Films für den Rezipienten sichtbar die akusmatische Stimme einer Quelle zugeordnet und damit ihrer besonderen Macht beraubt.
Diese Analyse beschäftigt sich mit dem Film V wie Vendetta (James McTeigue, USA / Großbritannien / Deutschland 2005), der eindeutig von der üblichen Praxis der Deakusmatisierung abweicht. In dieser Analyse soll aufgezeigt werden, dass die Stimme des Protagonisten V eine akusmatische Stimme ist, die dadurch, dass sie eben nicht wie sonst üblich deakusmatisiert wird, Trägerin einer politikphilosophischen Bedeutungsebene innerhalb des Filmes ist. Nach einer näheren Betrachtung der Inauguration und der Charakteristika der Stimme, soll ihr Ursprung und damit auch ihre Bedeutung betrachtet werden.
1. Die Einführung von Stimme und Körper in die Diegese
V wie Vendetta ist die Geschichte der Figur V, einem Freiheitskämpfer, der sich im totalitären England der Zukunft terroristischer Handlungen bedient, um die faschistische Regierung zu stürzen und die Bevölkerung zur Revolution anzustacheln.
Zunächst soll die Einführung von V anhand der Szene[9] analysiert werden, in der die Figur zum ersten Mal in der Diegese erscheint.
1.1 Die akusmatische Stimme und ihre vermeintliche Quelle
Die Einführung der Figur beginnt mit einer Stimme, deren zugehörige Quelle in Form eines menschlichen Körpers vorerst nicht im Bildbereich sichtbar ist. Somit tritt die Stimme als akusmatische Stimme in die Diegese ein.
Klar und deutlich hörbar flotiert sie über das gesamte Bild und macht es dem Rezipienten unmöglich, auch nur die Richtung zu orten, aus der sie kommt.
Erst danach erscheint ein Körper auf der Leinwand, der aus dem Dunkeln in eine spärlich beleuchtete Gasse tritt. Er ist durch das Halbdunkel und den Nebel um ihn herum zwar als menschliche Figur erkennbar, Einzelheiten lassen sich jedoch noch nicht feststellen. Trotz der nur vagen Andeutung des Körpers und der uneindeutigen Präsentation der Stimme, lässt sich ein Zusammenhang zwischen beiden sofort vermuten, da es einer der klassischen Regeln des Films entspricht, den Sprechenden gleichzeitig visuell zu repräsentieren.[10]
Laut Chion entsteht die Bereitschaft, eine Stimme und einen Körper einander zuzuordnen und damit die Stimme zu deakusmatisieren, sobald man sieht, wie sich die Lippen bewegen und dabei die Stimme erklingt. In diesem Fall jedoch wird diese Erwartung nicht erfüllt. Lediglich die Montage suggeriert dem Rezipienten, dass der gezeigte Körper die tatsächliche Quelle der Stimme sein könnte.
[...]
[1] Wahrig-Burfeind, Renate Wahrig Illustriertes Wörterbuch. München: ADAC Verlag, 2004, S.828
[2] Lacans objet (a) ist ein Objekt des Begehrens, also ein libidinös besetztes Objekt, welches jedoch wesenhaft stets unerreichbar bleibt. Siehe dazu Lacan, Jacques Ecrit: A Selections. London: Tavistock, 1966, S.314-315
[3] Chion, Michel The Voice in Cinema. New York: Columbia University Press, 1999
[4] In dieser Analyse beziehe ich mich ausschließlich auf die „reine“ akusmatische Stimme. Grenzfälle wie der Voice-Over werden vernachlässigt.
[5] Chion, Michel The Voice in Cinema. New York: Columbia University Press, 1999, S. 18-23
[6] ebenda, S. 27-28
[7] ebenda, S.6-7
[8] Marie, Michel Son. In: Jean Collet et al.: Lectures du film. Paris: Albatros, 1975, S. 206
siehe auch Doane, Mary Ann Ideologie und Praktiken der Tonbearbeitung und -mischung In: Riesinger, Robert (Hg.) Der kinematographische Apparat. Geschichte und Gegenwart einer interdisziplinären Debatte. Münster: Nodus, 2003, S. 126ff.
[9] Laufzeit: 5 Minuten 30 Sekunden – 8 Minuten 50 Sekunden
[10] Altman, Rick Moving Lips: Cinema as Ventriquolism. In: Yale French Studies, Nr. 60, 1980, S. 68
- Arbeit zitieren
- Beatrice Behn (Autor:in), 2008, V für Vox Populi - Zur Stimme von "V wie Vendetta" und ihre Bedeutung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92035
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