Die Prozesse gegen Miltiades und deren Erkenntnisgehalt im Bezug auf eisangeliá in Athen vor den Reformen Ephialtes


Term Paper (Advanced seminar), 2006

20 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Kenntnisstand der Forschung

3. Biographie
3.1. Vor dem Skythenzug 514/513 v. Chr
3.2. Der umstrittene Rat an der Donaubrücke
3.3. Die Flucht und die Erwerbung Lemnos
3.4. Der Ionische Aufstand 494-499 v. Chr und der erste Prozess 493 v. Chr
3.5. Von der Schlacht bei Marathon zur Paros-Expedition
3.6. Das Verhältnis zwischen Miltiades und Athen

4. Die Beiden prozesse gegen Miltiades
4.1. Der erste Prozess 493 v. Chr
4.2. Der zweite Prozess 489 v. Chr

5. Resümee

6. Anhang
6.1. Stemma
6.2. Der Lebenslauf bis 493: Eine schematische Darstellung

7. quellenverzeichnis

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Miltiades, der Sieger von Marathon, ist sicherlich eine der umstrittensten Personen in Herodots Darstellung der Perserkriege. Er, der die Griechen erfolgreich in die Schlacht gegen die Perser in die Ebene von Marathon führte, ist wie kaum eine andere für die griechische Antike wichtige Person in Herodots Werk unscharf: Sein Lebenslauf ist lückenhaft, verschiedenste Episoden in seinem Leben sind umstritten und sein Verhältnis zur Polis Athen nährte die Diskussion über den Zustand der Demokratie im nachkleisthenischen Athen. Ähnliches gilt für das athenische Rechtssystem mit dem Miltiades gleich zweimal in Konflikt geriet: In der Forschung gibt es verschiedene, teilweise widersprüchliche Positionen zur athenischen Rechtsordnung dieser Zeit, da die magere Quellenlage einen vergleichsweise spekulativen Umgang mit dieser Thematik erfordert: Es können nur dokumentierte Fälle beispielhaft herangezogen und analysiert werden um dann von diesen zu abstrahieren. Den Interpretationsspielraum, der sich bei der Analyse der bekannten Fälle auftut, gilt es soweit wie möglich zu begrenzen.

Ich werde versuchen ein Puzzlestück dazu beizutragen indem ich die beiden Prozesse gegen Miltiades untersuchen und auf ihren Informationsgehalt bezüglich der prä-ephialtes’schen Prozeduren bei eisangeliá abklopfe. Hierfür werde ich im ersten Abschnitt dieser Arbeit auf den allgemeinen Kenntnisstand zur Eisangelie in Athen vor Ephialtes eingehen indem ich die Positionen Thiems, Hansens und Rhodes’ darstelle, bevor ich dann versuchen werde, die komplizierten biographischen Zusammenhänge in Miltiades’ Leben mit Hilfe der Werke von Obst, Kinzl und Berve nachzuzeichnen, um im letzten Abschnitt schließlich aus der Quellenlage zu den Prozessen gegen Miltiades unterstützende und abweichende Tendenzen herauszufiltern.[1]

2. Der Kenntnisstand der Forschung

Verfolgt man die Darstellung bei Aristoteles, scheint es so gewesen zu sein, dass der Areopag vor den Reformen Ephialtes’ alle Fälle von eisangeliá allein verhandelte und in diesen Prozessen urteilte.[2] Andere Quellen deuten jedoch darauf hin, dass die Kompetenzen des Areopags wahrscheinlich schon früher beschnitten wurden, weshalb sich die Frage stellt, ob an den Prozessen gegen Themistokles, Kimon und eben auch Miltiades das Volk nicht bereits in irgendeiner Weise beteiligt war.[3] Hier deutet sich eine Parallele zur Übertragung der Befugnis zur Durchführung des Ostrakismos auf die ekklêsía 488/487 v. Chr. an.[4] Dabei geht Hansen sogar soweit, dass er behauptet, dass Fälle von eisangeliá schon vor den Reformen Ephialtes’ ausschließlich vom Rat oder der Volksversammlung behandelt wurden und der Areopag keine Befugnisse mehr in diesen Prozessen hatte.[5] Entgegen dieser Position vertritt Rhodes die Ansicht, dass eisangeliá vor dem Areopag verhandelt wurde und dieser die Kompetenz hierzu erst verlor, als sie unter Ephialtes an den Rat der 500 übertragen wurde.[6] In diesem Zusammenhang sieht Rhodes eine mögliche Erklärung für die Übertragung der Strafgerichtsbarkeit in Fällen von eisangeliá gerade darin begründet, dass die Fehlurteile gegen Themistokles und Kimon ohne Sanktionierung des Volkes stattfanden.[7] Carawan erwähnt eine Quelle, die scheinbar Rhodes Position zu unterstützen scheint: IG I3 105:[8]

“The law implies that ‘the council’ had previously sentenced criminals to death on its own authority, and that the council, from the date of the inscription (410/9), would continue to initiate proceedings involving the death penalty, but such cases would come to trial before the assembly or the court.”[9]

Es ist jedoch problematisch aus dieser Quelle zu schließen, dass die Bürger Athens überhaupt nicht in diesen Prozessen involviert waren.[10] Tatsächlich deuten andere Quellen deutlich darauf hin, dass zumindest ein Teil der Prozesse im Rahmen des Rats stattfanden.[11] Carawan schlägt deshalb folgenden Kompromiss vor:

“Charges of official misconduct by eisangelia and euthyna were ordinarily tried by the Areopagus. Abuse of this authority led to a series of reforms: the hearing-in-chief and final verdict were transferred to the courts.”[12]

Man muss also von einer Aufteilung der Kompetenzen ausgehen: Es spricht viel für die Annahme, dass bei Delikten, bei denen die Todesstrafe drohte, ein Teil der Verhandlung und die Urteilsfindung vom Volk übernommen wurde:[13] Der Volksversammlung, bzw. einem Volksgericht (dikastêria) scheint die Urteils- und Strafmaßfindung aufgetragen worden zu sein, während der Areopag in einer abschließenden Verhandlung das Urteil bestätigte oder widerruf.[14]

3. Biographie

Die Verehrung des griechischen Feldherren (sowohl damals, als auch in den Jahrtausenden danach) hat zu einer gewissen Verklärung und „ideologischen Überhöhung“ geführt, die „es heute nicht ganz einfach [macht], die Geschichte des ‚Siegers von Marathon’ nachzuzeichnen“.[15] An kritischen Stellen in Miltiades’ Lebenslauf werde ich versuchen anhand von Fußnoten meine Position bezüglich dieser Abschnitte zu erläutern.

3.1. Vor dem Skythenzug 514/513 v. Chr.

Der Philaide Miltiades der Jüngere (Miltiades II, in dieser Arbeit nur als Miltiades bezeichnet) ist nach Obst und Kinzl Sohn des Kimon I und einer unbekannten Mutter.[16] Noch in Athen schließt er seine erste Ehe mit einer Unbekannten und hat mit dieser zwei Kinder. (Siehe auch 5.1. Stemma). Nach dem Tod seines Onkels übernimmt zuerst Miltiades’ Bruder Stesagoras die Herrschaft über die Chersones, da dieser jedoch bald ermordet wird, zieht Miltiades im Zeitraum 524/523 – 514/513 v. Chr. selbst dorthin.[17] Nach seiner Ankunft stellt sich der neue Herrscher um seinen Bruder trauernd. Die dortigen Häupter der Städte versammeln sich bei ihm um ihr Beleid auszusprechen, werden jedoch allesamt festgenommen. Neben diesem Ereignis deutet auch die Schaffung einer 500 Mann starken Leibwache für Miltiades darauf hin, dass der neue Herrscher der Chersones sofort begann, eine Tyrannis aufzubauen. Um seine Macht weiter auszubauen, heiratet Miltiades Hegesipyle, die Tochter eines Königs eines Sapaierstamms dieser Region, und zeugt mit ihr ein Kind: Kimon.[18]

3.2. Der umstrittene Rat an der Donaubrücke

514/513 v. Chr. brach Dareios zum sogenannten Skythenzug gen Norden auf und rief die persischen Vasallenherrscher in Ionien, Äolien und am Hellespont zur Heeresfolge auf. Dazu gehörte auch Miltiades, der in seiner Macht von den Persern abhängig war. Nachdem die Skythen die nach Norden marschierenden Perser verfehlten und die Brücke über die Donau erreichten, forderten sie die dort zurückgebliebenen Griechen dazu auf, die Brücke abzureißen, um die Perser auf der Nordseite der Donau zu stranden und sich selbst von der persischen Übermacht zu befreien.[19]

Hier kam es nun zum sogenannten Rat an der Donaubrücke. Nach Herodot riet Miltiades den Griechen nämlich, der skythischen Forderung nachzukommen und den Verrat an den Persern zu begehen. Mit seinem Vorschlag hatte er jedoch keinen Erfolg, so Herodot, weil die übrigen dort versammelten griechischen Herrscher realisierten, dass ihre eigene Tyrannis in den griechischen Überseegebieten nur durch die Rückendeckung der Perser bestehen konnte.[20] Um jedoch die Skythen zum Abzug zu bewegen, taten die Griechen so, als würden sie die Brücke abreißen. Nach dem Verschwinden der Skythen wurde diese allerdings wieder instand gesetzt.[21]

Ich gehe im Widerspruch zu Herodot jedoch davon aus, dass diese Episode nicht historisch ist, sondern erst viel später im Rahmen seiner Gerichtsverhandlung wegen seiner Tyrannis auf der Chersones, die in einem späteren Abschnitt behandelt werden soll, erfunden wurde um ihn als loyalen Griechen zu portraitieren.[22] Dennoch ist meiner Meinung nach seine Teilnahme am Skythenzug insgesamt nicht in Frage zustellen, obwohl dies durchaus möglich wäre.[23]

3.3. Die Flucht und die Erwerbung Lemnos

Nach Herodot fielen nach dem Skythenzug des Dareios die verärgerten Skythen in die Chersones ein, woraufhin Miltiades die Flucht ergriff ohne den eigentlichen Angriff abzuwarten, geschweige denn, sich zu verteidigen.[24] Das Bild, das Herodot hier von Miltiades zeichnet ist das eines Feiglings.[25] Traditionell verwies man in der Forschung auf die Philaidenfeindlichkeit Herodots und ging von einer Flucht des Miltiades’ vor den Persern aufgrund seines Verrats an der Donaubrücke aus. Mit der bereits oben erläuterten Erkenntnis, dass Miltiades diesen Verrat wohl gar nicht begangen hat, ist dies logischerweise jedoch nicht vereinbar. Wie Obst und Kinzl bin auch ich der Meinung, dass Miltiades höchstwahrscheinlich nicht vor dem Ionischen Aufstand von der Chersones floh.[26] Eng an diese letzte Erkenntnis ist die Frage gebunden, wann Miltiades die von Herodot beschrieben Eroberung Lemnos unternahm.[27] Es lässt sich leider nicht eindeutig klären, wann die Erwerbung wohl stattfand – lediglich ein Zeitfenster lässt sich bestimmen: Sie muss im Zeitraum von 511/510 v. Chr. bis 494-499 v. Chr. vollzogen worden sein.[28]

[...]


[1] Zur Biographie Miltiades’: Obst, Ernst, s.v. Miltiades, in: RE XV A2, 1932; Kinzl, Konrad, Miltiades-Forschungen, Wien, 1968 (= Dissertationen der Universität Wien 24); Berve, Helmut, Miltiades: Studien zur Geschichte des Mannes und seiner Zeit, Berlin, 1937 (Hermes Einzelschriften). Zum Gerichtswesen Athens: Rhodes, Peter John, The Athenian Boule, Oxford, 1972; Hansen, Mogens Herman, Eisangelia: The sovereignty of the people's court in Athens in the fourth century B.C. and the impeachment of the generals and politicians, Odense, 1975; Thiem, Andrea-Christina, Die Verfassung Athens im 5. Jh. v. Chr. in den staatsphilosophischen Schriften des Aristoteles: Kompendium zu Verfassungsgrundsätzen und Reformen, Münster, 2000

[2] Thiem, 2000, Seite 61

[3] Ebd.

[4] Thiem, 2000, Seiten 98 und 109

[5] Hansen, 1975, Seite ???

[6] Rhodes, 1972, Seiten 199-201 und Thiem, 2000, Seite 109

[7] Rhodes, 1972, Seiten 205 und 206

[8] Carawan, Edwin M., Eisangelia and Euthyna: The Trials of Miltiades, Themistocles and Cimon, in: GRBS, Band 28, 1987, Seiten 167-208, hier: Seite 169

[9] Ebd.

[10] Ebd., Seiten 169 und 170

[11] Ebd., Seite 169

[12] Ebd.

[13] Es ist dabei jedoch schwer zu erörtern, welche Delikte zu einer Todesstrafe, und auch allgemeiner, welche Delikte überhaupt zu eisangeliá führen konnten. (Rhodes, 1972, Seite 163) Deshalb werde ich in dieser Hausarbeit an den entsprechenden Stellen kurz diskutieren, welches Delikt zu einer Anklage geführt haben könnte und welche Form von Prozess daraus resultiert hat.

[14] Carawan, 1987, Seite 194

[15] Funke, Peter, Miltiades, in: Brodersen, Kai [Hrsg.], Grosse Gestalten der griechischen Antike. 58 historische Porträts von Homer bis Kleopatra, München, 1999, Seite 301-310, hier: Seite 301

[16] Zu den Familien- und Verwandtschaftsverhältnissen Miltiades’: Vgl. Obst, 1932, Sp. 1681 und Kinzl, 1968, Seite 25

[17] Zur Datierung Miltiades’ Ankunft auf der Chersones: Vgl. Obst, 1932, Sp. 1682

[18] Hdt. 6, 39

[19] Hdt. 4, 136

[20] Hdt. 4, 137

[21] Hdt. 4, 139

[22] Der Rat an der Donaubrücke ist aus mehreren Gründen wahrscheinlich unhistorisch: Wie Kinzl argumentiert, wäre dieser Rat einem Verrat an den Persern gleich gekommen, weshalb die Tyrannen um ihr Leben fürchten mussten, hätte Dareios, und das ist nicht gerade unwahrscheinlich, davon erfahren. (Vgl. Kinzl, 1968, Seite 83). Des weiteren kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Abriss der Brücke die Perser tatsächlich in arge Bedrängnis gebracht hätte. (Vgl. Kinzl, 1968, Seite 85) Auch Obst kommt zu dem Schluss, dass diese Episode unhistorisch ist: „Die Urform der Liste Herodots IV 138 hat den Namen des Miltiades nicht enthalten, obgleich ihr Material als vorzüglich angesehen werden muss; erst eine viel spätere, frühestens 493 verfasste Überarbeitung enthält das von Miltiades damals zu seinen Gunsten ausgestreute Gerücht als Tatsache. Miltiades hat also am Skythenzug vermutlich gar nicht teilgenommen.“ (Obst, 1909, Seite 415)

[23] Vgl. Obst, 1932, Spalte 1683

[24] Hdt. 6, 40

[25] Vgl. Kinzl, 1968, Seite 28 und Obst, 1932, Spalte 1684

[26] Vgl. Obst, 1932, Spalte 1684 und Kinzl, 1968, Seiten 85-96

[27] Hdt. 6, 140

[28] Nach Herodot ist der Zeitpunkt für diese Eroberung eindeutig bestimmbar, schließlich erfahren wir, dass sie von der Chersones aus stattfand, auf die sich Miltiades nach seiner Flucht vor den Persern erst während des Ionischen Aufstands wieder wagen kann. (Vgl. Obst, 1932, Spalte 1686) Geht man jedoch davon aus, dass Miltiades die Halbinsel nie verlassen hat, so steht eine weitere Option zu Verfügung: Miltiades könnte die Insel bereits vor dem Ionischen Aufstand erobert haben. Bei Herodot wird die Insel von Pelasgern bewohnt, als Miltiades sie erobert. (Vgl. Hdt. 6, 136) Somit muss die persische Unterjochung der Insel der griechischen Eroberung voraus gehen, da der persische Feldherr Otanes die noch von Pelasgern bewohnte Insel 511/510 v. Chr. erobert. (Vgl. Hdt. 5, 26) Ich gehe davon aus, dass sie tatsächlich kurz vor oder sogar erst während des Ionischen Aufstands stattfand, da die Eroberung der Insel eindeutig antipersisch ist – eine Aktion, die sich der auf der Chersones verbliebene Miltiades erst um 499 leisten kann. (Vgl. Rausch, Mario, Miltiades, Athen und „die Rhamnusier auf Lemnos“ (IG I3 522bis), in: Klio 81, 1999, Seiten 7-17, hier: Seite 9) Problematisch bleibt jedoch, dass bei Corn. Nepos, Vit. Milt., Kap. 3, die Eroberung von der Chersones aus vollzogen wurde und zwar zur Zeit des Skythenzugs des Dareios.

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Details

Title
Die Prozesse gegen Miltiades und deren Erkenntnisgehalt im Bezug auf eisangeliá in Athen vor den Reformen Ephialtes
College
Humboldt-University of Berlin  (Institut für Geschichtswissenschaften)
Course
Politische Prozesse im klassischen Athen
Grade
1,0
Author
Year
2006
Pages
20
Catalog Number
V91984
ISBN (eBook)
9783638060059
ISBN (Book)
9783656854319
File size
487 KB
Language
German
Keywords
Prozesse, Miltiades, Erkenntnisgehalt, Bezug, Athen, Reformen, Ephialtes, Politische, Prozesse, Athen
Quote paper
Martin Meingast (Author), 2006, Die Prozesse gegen Miltiades und deren Erkenntnisgehalt im Bezug auf eisangeliá in Athen vor den Reformen Ephialtes, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91984

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