Inhalt dieser Arbeit ist die Auseinandersetzung mit Richard Wagners musikalischer Neugestaltung der ergreifenden Liebesgeschichte von Tristan und Isolde. Die Grundlage für sein Opernlibretto schöpfte Wagner aus einer Überlieferung von dem mittelalterli-chen Dichter Gottfried von Strassburg, der seinerseits aus einer keltischen Volkssage die eigene Legende formte.
Bei Gottfried von Strassburg ist die berühmt gewordene Liebesgeschichte das Produkt eines Trankes, den die beiden Königskinder Isolde und Tristan irrtümlich zu sich neh-men. Jenes sexuell anregende Getränk braut die im zaubern kundige Mutter von Isolde, damit ihn die Tochter und ihr alternder Gemahl in ihrer Hochzeitsnacht einnehmen.
Richard Wagner lässt sich von dieser Geschichte inspirieren. Er übernimmt vieles, aber gestaltet im Grunde doch alles neu, legt zudem eine bedeutende philosophische und psychologische Basis seinem Entwurf zugrunde.
Diese Arbeit wird sich daher mit besonderer Aufmerksamkeit jener Tiefe, die der Be-ziehung zwischen Isolde und Tristan zu Grunde liegt, zuwenden. Welche vom Wagner neu eingeführten Elemente finden wir vor? Welche zusätzlichen Einflüsse wirkten sich auf die Opernkomposition aus? Diese und weitere Fragen sind im Folgenden zu beant-worten.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Teil 1: Fremde Stimmen in Wagners Werk
1.1 Platon: Symposion
1.2 Wagners Buddhismus
1.3 Schopenhauer
Teil 2: Postnatale Prägung Tristans
2.1 Figur Tristan in Anlehnung an Heideggers Idee der Geworfenheit
2.2 Tristan: postnatale Traumaursachen
2.3 „Bedingung des geschädigten Dritten“ nach Peter Dettmering
Teil 3: Begegnung und Entgleitung der Eigenkontrolle
3.1 Blickkontakt
3.2 Prozess der Kontrollaufgabe in Anlehnung an Hofmann
3.3 Tristans und Isoldes eigene Realitätsebene
Teil 4: Liebessehnsucht und Todestrieb
4.1 Liebesmotiv und seine Ausprägungen
4.2 Zusammenspiel von Liebe und Tod
4.3 Novalis: Nachtmotiv und das Sehnen
4.4 Entschlüsselung des Todesmotivs
4.5 Funktion des Zaubertranks (Motiv: Trank)
Abschließende Betrachtung
Literaturverzeichnis
Ausgaben:
Kritische Literatur:
Einleitung
Inhalt dieser Arbeit ist die Auseinandersetzung mit Richard Wagners musikalischer Neugestaltung der ergreifenden Liebesgeschichte von Tristan und Isolde. Die Grundlage für sein Opernlibretto schöpfte Wagner aus einer Überlieferung von dem mittelalterlichen Dichter Gottfried von Strassburg, der seinerseits aus einer keltischen Volkssage die eigene Legende formte.
Bei Gottfried von Strassburg ist die berühmt gewordene Liebesgeschichte das Produkt eines Trankes, den die beiden Königskinder Isolde und Tristan irrtümlich zu sich nehmen. Jenes sexuell anregende Getränk braut die im zaubern kundige Mutter von Isolde, damit ihn die Tochter und ihr alternder Gemahl in ihrer Hochzeitsnacht einnehmen.
Richard Wagner lässt sich von dieser Geschichte inspirieren. Er übernimmt vieles, aber gestaltet im Grunde doch alles neu, legt zudem eine bedeutende philosophische und psychologische Basis seinem Entwurf zugrunde.
Diese Arbeit wird sich daher mit besonderer Aufmerksamkeit jener Tiefe, die der Beziehung zwischen Isolde und Tristan zu Grunde liegt, zuwenden. Welche vom Wagner neu eingeführten Elemente finden wir vor? Welche zusätzlichen Einflüsse wirkten sich auf die Opernkomposition aus? Diese und weitere Fragen sind im Folgenden zu beantworten.
Um den Rahmen der Arbeit jedoch nicht zu sprengen, muss die musikalische Librettoumsetzung weitgehend unberücksichtigt gelassen werden. Ich möchte dennoch auf weiterführende Literatur hinweisen, welche sich ausführlich mit einer Musikanalyse des wagnerianischen Liebesepos und v. a. mit der zentralen Bedeutung seiner Leitmotive beschäftigt.[1]
Teil 1: Fremde Stimmen in Wagners Werk
Es sei allem voran bedacht, dass sich Wagner bei der Erschaffung seines Meisterwerks „Tristan und Isolde“ vom fremden Gedankengut sowie von verschiedenen philosophischen Konzepten lenken ließ. Zunächst sollen die wichtigsten jener Leitideen kurz dargestellt und die Prallelen zu Wagners Werk umrissen werden.
1.1 Platon: Symposion
Der früheste Rückbezug, der für Wagners „Tristan und Isolde“-Konzept relevant ist, kann zu Platon hergestellt werden. Dessen Vorstellung, die Menschen seien ursprünglich ein ununterschiedenes, einheitliches Wesen, von den Göttern getrennt und deshalb von einer unstillbaren Sehnsucht zur Wiedervereinigung erfüllt, liegt dem ewigen wagnerianischen Liebespaar zugrunde. Wagners entsprechender Leitgedanke ist: der Weg zum wahren Menschsein führt allein durch die Verschmelzung in der Liebe.[2]
Liebe geht nach Platon auf das dem subjektiven Erinnerungsvermögen untergeordnete, unpersönliche Gedächtnis zurück. Das unbezwingbare Zueinanderstreben zweier Menschen versteht er als Erinnerung an ihre Unzusammengehörigkeit, die die Seele vor ihrer Geburt geschaut, danach jedoch, im Leben selbst, wieder vergessen hat. So erklärt sich die unwiderstehliche Anziehungskraft, die Tristan und Isolde aufeinander ausüben und die sich als wiedererinnerte nicht hinterfragen lässt. Im Augenblick ihrer ersten Begegnung sind sie ihrer archaischen, ihnen beiden eineinwohnenden Liebe gewahr geworden. Sie erinnern sich ihrer ursprünglichen Ganzheit, die sie wiederherzustellen verlangen.[3]
Das Verlangen des Menschen soll dabei nicht bloß darauf gerichtet sein den Koitus zu vollziehen, sondern darüber hinaus wahrhaft und endgültig „vereinigt und verschmolzen mit dem Geliebten aus zweien eins zu werden“[4]. Solch eine Wiedererlangung der androgynen Einheit streben Tristan und Isolde bei ihrem Zusammentreffen in Szene II.2 an:
I: Herz an Herz dir,
Mund an Mund;
T: eines Atems
ein’ger Bund (II. 2. S.143)
1.2 Wagners Buddhismus
Wagners Interesse und Begeisterung für die Grundsätze der buddhistischen Religion findet man ebenfalls in modifizierter Form in seiner Bearbeitung des Tristan-Isolde-Stoffes vor. Ein Grundriss der buddhistischen Theorie, der für die hier behandelte Oper von Bedeutung ist, sieht folgendermaßen aus.[5]
Der Mensch ist in einer endlosen Aneinanderreihung von Geburt und Tod eingeschlossen, durch welche sein Dasein definiert wird. Tod und Geburt sind aber defiziente Modi des Seins. Der Mensch versucht also aus jenem sinnlosen Kreislauf seines „Personal-Egoismus“, der wiederkehrenden Aneinanderreihung aus Geburt, Krankheit, Alter, Tod und Wiedergeburt auszubrechen. Dies kann ihm aber erst gelingen, wenn er ein Gegenüber gefunden hat, in welchem er die eigene Spiegelung wieder erkennt, also sich selber sieht und sein wahres Wesen schaut. „Der Pfad der Erlösung nimmt seinen Ausgang von der Über-Schreitung des Ich-Bewußtseins“, über die völlige Selbstvergessenheit, welche ein Heraustreten aus den Grenzen der Individualität nach sich führt. Die Bestimmtheit des Individuums resultiert nämlich aus einem Nicht-Vereint-Sein der beiden Hälften des Männlichen und des Weiblichen. So sehen auch Tristan und Isolde in einander das eigene Ich gespiegelt. Dadurch gelingt es den beiden aus dem Alltagskreislauf auszubrechen, ihre Weltwahrnehmung verändert sich gleichzeitig radikal. (s. u.)
Der Tod kann dann ein Weg zum „unerschienenen“, entindividualisierten Wesen sein, aber auch zur Reinkarnation und damit einer erneuten Isolation. Die Nirvâna aber ist nicht der Tod selbst. Vielmehr steht sie außerhalb der Grenzen der Zeit und ist somit nicht vom Tod abhängig. Dies entspricht keinesfalls der christlichen Vorstellung vom Jenseits, sondern ist gerade der Weg hinaus aus dem Gegensatz von Diesseits und Jenseits, aus dem Kreislauf von Tod und Auferstehung.
1.3 Schopenhauer
Die Bekanntschaft mit der Philosophie Arthur Schopenhauers ist das größte Ereignis im Leben Wagners; keine frühere intellektuelle Begegnung […] kommt dieser an persönlicher und historischer Bedeutung gleich: denn sie bedeutete höchsten Trost, tiefste Selbstbestätigung, geistige Erlösung für den, dem sie in so vollkommenen Sinne 'zukam', und sie hat ohne Zweifel erst seiner Musik den entfesselnden Mut zu sich selbst gegeben.[7][6]
Vieles, was Wagner aus der Weltsicht Arthur Schopenhauers geschöpft hat, wirkte sich, wie auf keine andere seiner Opern, auf die „Tristan und Isolde“-Auslegung aus. Schopenhauers Existenzkonzept des Menschen benutzte Wagner prototypisch für das Handeln und das Streben seiner beiden Liebenden.
Der schopenhauersche Mensch ist keine einfache Erscheinung seiner selbst, er ist vielmehr die Modifikation einer allem zugrunde liegenden Kraft – der Kraft des Willens. Allein durch die Hilfe seines Intellekts ist dieser im Stande, nicht nur dem Zwang des Willens entsprechend zu handeln, sondern sich diesem auch zu widersetzen. Derjenige nämlich, der den Willen stets bejaht, unterliegt ihm und bleibt in seinem Egoismus gefangen. Dabei kann allein die durch Willenskraft selbst initiierte Verneinung des Willens zum Leben - laut Schopenhauer - das irdische Leiden überwinden. Die völlige Willensverneinung erreicht der Mensch nämlich erst durch die Abwerfung seiner Individualität. Diese vollzieht sich nur im Tode: „Der Tod ist ein Schlaf, in welchem die Individualität vergessen wird.“ Der Zustand einer völligen Vergessenheit ist nach Schopenhauer das erstrebenswerte Endziel.
Tristan und Isolde durchlaufen nun jenen Entwicklungsprozess und überwinden die Grenzen ihrer individuellen Unterschiede. Sie erreichen die nach Schopenhauer so erstrebenswerte Auflösung der Ich-Grenzen, einen Zustand der leidenschaftsbedingten Selbstvergessenheit, und beschließen zusammen den gemeinsamen Tod, um sich jenen vollkommenen Zustand auf Ewig zu erhalten:
I: Du Isolde, I: So stürben wir um,
Tristan ich, um ungetrennt –
nicht mehr Isolde! T: ewig einig,
T: Tristan du, ohne End’ (II. 2. S.151)
ich Isolde,
nicht mehr Tristan! (II.2. S.157)
Und doch herrscht zwischen Wagner und Schopenhauer in dieser einen Frage nach der Erlösung[8] durch geschlechtliche Liebe vollkommene Uneinigkeit.
Man hat bestritten, daß der >Tristan< von schopenhauerischer Philosophie beeinflußt sei, - mit Recht, soweit die „Verneinung des Willens“ in Frage kommt: denn es handelt sich ja um ein Liebesgedicht, und in der Liebe, im Geschlecht bejaht sich der Wille am stärksten.[9]
Bei Schopenhauer ist Liebe nämlich keine personale, ja sie ist nicht einmal „auf das Menschengeschlecht beschränkt, sondern alles Lebende umfassend“. Zudem verwirft Schopenhauer die Lust der sexuellen Vereinigung als nachdrücklichste Form der Bejahung des Willens. Als erstes Erfordernis der Erlösung gilt für ihn demnach vollständige Askese. Das Mitleid (caritas) gilt dagegen als „die wahre und reine Liebe“. Wagner aber wendet diese Entsexualisierung der Liebe in einen absoluten Gegensatz um. Er setzt an die Stelle der schopenhauerschen Askese und Willensverneinung als Weg zur Gemütsruhe die geschlechtliche Liebe.
Teil 2: Postnatale Prägung Tristans
Nirgends, ach nirgends
find ich Ruh:
mich wirft die Nacht
dem Tage zu (III. 1. S.203)
Tristans postnatale Prägung erscheint im Kontext dieser Arbeit bedeutsam, da diese ihre Wurzeln aus mehreren philosophischen sowie psychoanalytischen Theorien führt, welche für die nachfolgende Betrachtung der Tristan-Isolde-Beziehung grundlegend sind.
2.1 Figur Tristan in Anlehnung an Heideggers Idee der Geworfenheit
Martin Heideggers „Idee von der Geworfenheit des Menschen“ macht ein Stück der Angst Tristans aus, welche wiederum aus seinem postnatalen Trauma resultiert. Der Mensch muss nach Heidegger sein Dasein in der Welt akzeptieren ohne den Grund, für seine Existenz, das „Woher“ zu verstehen. Er kann eine rationale Erklärung für sein am Leben Sein niemals erlangen. So stellt die Angst eine Grundbefindlichkeit des Menschen dar, deren eigentlicher bestimmender Faktor das „In-der-Welt-Sein“ an sich ist: „Das Wovor der Angst ist das In-der-Welt-sein als solches.“[10][11]
Tristan dem „Helden ohne Gleiche“ (I. 2. S.33) ist keine Furcht bekannt, wenn es ihm um „Ehr und Ruhm“ (II. 2. S.167) geht. Dagegen zeigt sich seine Angst als im Aufzug III (III. 1. S.199) vom Morgengrauen die Rede ist. Währenddessen birgt das Morgengrauen zwei Aspekte in sich. Neben der Morgendämmerung ist damit ebenso ein Grauen vor dem Tagesanbruch, vor dem in die Tageswelt „geworfen“ werden, gemeint. Tristan fühlt sich in der Tagwelt, in die er „hineingeworfen“ wurde, nicht zu Hause. Sie ist ihm im heideggerschen Sinne unheimlich: „In der Angst ist einem „unheimlich“. […] Unheimlichkeit meint aber dabei zugleich Nicht-zuhause-sein.“[12]
[...]
[1] Im Zusammenhang damit ist beispielsweise Rößler, Die inhaltliche und musikalische Funktion der Motive in Richard Wagners „Tristan und Isolde“ sowie Chailley, Tristan et Isolde de Richard Wagner zu empfehlen.
[2] Dieses Kapitel stützt sich auf Urmoneit, Opernführer, S. 55.
[3] Ebd., S. 55.
[4] Dorschel, Die Idee der „Einswerdung“, S. 22.
[5] Dieses Kapitel stützt sich auf Dorschel, Die Idee der „Einswerdung“, S. 15.
[6] Dieses Kapitel stützt sich an Schopenhauer, Hauptwerke Band I, Die Welt als Wille und Vorstellung, S. 305-453 an.
[7] Mann, Wagner und unsere Zeit, S. 93.
[8] Die Erlösungslehre, welche Schopenhauer in seinem Buch „Die Welt als Wille und Vorstellung“ formuliert und aus der Wagner seine Konzeption von „Tristan und Isolde“ nährt, beruft sich ihrerseits ausdrücklich auf die religiöse Tradition des Buddhismus.
[9] Mann, Wagner und unsere Zeit, S. 151.
[10] Dieses Kapitel stützt sich auf Heidegger , Sein und Zeit sowie an Hofmann, Tristan-Syndrom.
[11] Heidegger , Sein und Zeit, S.186.
[12] Ebd., S.188.
- Arbeit zitieren
- Anna Perlina (Autor:in), 2004, Erörterung der Liebesbeziehung in Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91972
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